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BlutsErben des Siegels

- Gegen das System -
von

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Prolog

Wie gesagt, mein Juwel! Man muss wohl viel Geduld haben, es zu lesen, aber bitte - ich glaube, es könnte sich lohnen...

Und noch eins: KOMMIS!!!
 

Der Mond schien durch die schweren, grauen Wolken, die schnell vom Wind mit sich getragen wurden, hier und da riss der Himmel auf und gab einen klaren Blick auf die Sterne frei.

Es war eisig kalt draußen, das Feuer prasselte wohlig warm im Kamin, aber dennoch konnte es die Kälte nicht ganz ausschließen, die sich durch alle Ritzen und Fugen quetschte.

Elodie griff nach der Holzbürste auf ihrer Kommode und fuhr damit durch ihr seidiges blondes Haar, dann legte sie die Bürste wieder weg, stand auf und schloß die knarrenden Fensterläden, an denen der Wind rüttelte.

Sie ging zum Regal, zog ein altes Buch heraus, nahm eine Decke und setzte sich auf den Teppich vor das Feuer, deckte sich zu und schlug eine vergilbte Seite auf.

Die Schrift war klein und verschnörkelt, und Elodie hatte Mühe, das Latein zu entziffern und zu übersetzen, da sie lange nicht mehr in den lateinischen Büchern gelesen hatte, doch der Inhalt lohnte sich stets.

Nach einer guten Stunde klopfte es. Sie stand auf, legte das Buch zurück an seinen Platz und drehte sich zur Tür.

"Ja bitte?"

Die eiserne Klinke wurde herunter gedrückt, und mit quietschenden Scharnieren öffnete sich die Eichentür.

Eine Magd trat demütig ein.

"Mademoiselle? Ein Gesandter der Kirche trat soeben ein, mit ihm ein junger Mann. Der Gesandte gab mir einen Brief für Euch und verließ das Haus sofort wieder, der junge Mann wartet in der Bibliothek."

Elodie nickte und nahm den Brief entgegen, das Siegel war noch ungebrochen.

"Ein Brief aus Rom also?", murmelte sie vor sich hin und schickte die Bedienstete mit einer Handbewegung aus dem Raum. Diese nickte, verneigte sich kurz demütig und schloß die Tür hinter sich.

Elodie brach das Siegel, das rote Wachs bröckelte auseinander, als sie den Brief auseinander faltete.

Er war in ihrer Muttersprache, in Französisch, verfasst, doch die Schrift war nicht weniger schwer lesbar als die in ihrem Buch. Auf die Ansprache achtete sie nicht, sie las gleich den Hauptteil.
 

"Das Blut des Ordens ist wieder erwacht, die Kommission hat den Papst davon in Kenntnis gesetzt, dass die Kräfte der ersten magischen Existenz entfesselt wurden. Die Hexenjäger haben sich über den Befehl des Papstes hinweggesetzt, sie haben sich auf die Suche nach Mitgliedern des Ordens gemacht um diese zu töten, sollten sie Erfolg haben. Jene Hexenjäger, denen nachgewiesen werden kann, sich eigenmächtig entschieden zu haben, werden nach Rom gebracht und dort vor das Gericht gestellt, wo sie nach Beweis der Schuld auf dem Scheiterhaufen hingerichtet werden.

Euer stillgelegtes Kloster soll die Zuflucht darstellen, welcher die Mitglieder vorerst bedürfen. Ein Mitglied befindet sich zur Zeit bei Euch , gebt ihm ein Mahl und eine Ruhestelle. Sollten alle zwölf beisammen sein, so hört Ihr wieder von uns. Der nächste Gesandte wird Euch für Eure Mühen entschädigen.

Gott segne Euch,

hochachtungsvoll,

Kardinal Augustinus"
 

Elodie atmete tief durch, faltete den Brief wieder, zog ein großes Buch aus dem Regal und schlug die erste Seite auf. Hier waren keine weiteren Seiten vorhanden, ein großer Quader war hinaus geschnitten worden, so dass man das Buch als Schatulle nutzen konnte. Sie legte den Brief hinein, stellte das Buch zurück und ging vor die Tür.

Die Magd hatte geduldig gewartet.

"Anne? Bitte Giselle zu mir in die Bibliothek und gehe in den Schlaftrackt. Richte ein Zimmer her. Ach ja, und setze vorher die Küche in Kenntnis, dass wir unser Abendessen heute um sieben einnehmen. Es muss ein Teller mehr gedeckt werden, der Fremde bleibt."

Anne nickte, machte demütig einen Knicks und lief den Flur nach rechts hinunter, bog nach links und stieg die Treppe hinab.

Die Kerzen flackerten nervös in ihren Haltern, Anne musste sie in der letzten Stunde entzündet haben, als es begann, zu dunkeln.

Elodie hob den leichten Stoff ihres Kleides um besser gehen zu können, wandte sich nach links und ging an mehreren Türen vorbei. Dieses ehemalige Kloster war einfach unglaublich groß, und sie hatte sich in hohen Räumen nie wohl gefühlt.

An der Treppe, die nun rechts nach unten führte, hielt sie an und stieg hinunter. Sie war in der Eingangshalle angekommen, die mit weißen Fliesen ausgelegt war. Die große Flügeltür war Elodie gegenüber, sie ging um das Treppengeländer herum und - jetzt mit der Tür im Rücken - rechts unter der Treppe hindurch, den Korridor bis zum Ende entlang und stand schließlich vor der Tür zur Bibliothek.

Sie drückte sie Klinke herunter und öffnete die schwere Tür.

Die Bibliothek war der einzige Raum, der keine vier Wände hatte. Er hatte zwei. Die in ihrem Rücken, in dem die Tür eingelassen war, und eine gebogene, die sich vom einen Ende der Wand bis zum anderen erstreckte. Das Dach war eine halbe Kuppel, in dem die vier Evangelisten als Glasmosaik eingelassen waren. Matthäus, einen Engel im Hintergrund, mit fließendem Wasser, das zwischen seinen Händen hindurch glitt, Markus zusammen mit einem Löwen, in den Händen eine Flamme haltend, Lukas mit einem Lamm und einem Pflanzentrieb und Johannes, von den Flügeln eines Adlers geschützt und eine Glaskugel mit einem Nebel darin im Griff.

Ein runder Teppich war auf dem Boden ausgebreitet, an den Wänden Regale über Regale mit Büchern.

Der Mann, der in diesem Raum gewartet hatte, zog seinen Mantel eng um sich und sah hoch in die Kuppel, wo man die Bilder zur Zeit, dank des mangelnden Lichts, kaum sehen konnte.

"Sie sind schöner im Morgenlicht, wenn das Licht sich in den Scheiben bricht"; sagte Elodie und trat näher.

Der Mann lächelte.

"Natürlich, davon gehe ich aus", antwortete er auf Französisch, allerdings klang sein Akzent sehr englisch, was Elodie nicht besonders gefiel.

"Darf ich fragen, wie Ihr heißt, Monsieur?"

Er lächelte, und helle Zähne kamen zum Vorschein.

"Mein Deckname auf der Reise hierher war Exodus. Mehr werde ich Euch noch nicht sagen, verzeiht mir meine Unhöflichkeit. Trotzdem bin ich so dreist, Euch nach Eurem zu fragen", sagte er mit glitzernden grünen Augen.

Was konnte man von einem Engländer schon erwarten?

Sie machte einen kleinen Knicks.

"Elodie Délieure."

Er nickte.

"Nun, Mademoiselle Délieure, man sagte mir, hier sei ich vorerst sicher."

Sie nickte und musterte ihn von unten bis oben.

"Nun, Exodus , man schrieb mir, Ihr seid ein Mitglied des Ordens der ersten magischen Existenz."

Er lächelte wieder, doch sie wusste nicht, ob er es tat, weil er über sie lachte oder weil er von ihr lediglich amüsiert war.

"Vielleicht hätte man Euch nicht so viel schreiben sollen, Mademoiselle, sonst erwischen Euch noch ein paar Hexenjäger."

Elodie lachte.

"Sie würden mir nichts tun, ganz im Gegensatz zu Euch offensichtlich. Ich habe Beziehungen zu der Kirche, die man nicht einfach übergehen sollte. Außerdem weiß ich mich zu wehren."

Exodus lächelte weiter und nickte.

"Offensichtlich."

Sie war verwirrt, hatte er das jetzt über ihre Beziehungen gesagt oder über seinen Stand gegenüber den Hexenjägern? Machte er sich über sie lustig?

Er blickte zum Kamin.

"Ein wenig kalt hier, stört es Euch, wenn ich Feuer mache?"

Elodie schüttelte den Kopf.

"Lasst nur, meine Zofe wird das erledigen, sie wird gleich hier sein."

Er lächelte noch immer.

"Es ginge aber schneller so", sagte er, hob die Hand zum Mund und pustete über seine geöffnete Handfläche zum Kamin hin.

Elodie traute ihren Augen nicht.

Da waren Flammen, die von seiner Hand bis zur Feuerstelle, die immerhin ungefähr acht Meter entfernt war, flogen, die Holzscheite entzündeten und glücklich anfingen zu prasseln. In Sekundenschnelle hatte er das Feuer gemacht, und es wurde gleich Wärmer in dem hohen Raum.

Exodus ließ seinen Mantel von den Schultern gleiten und legte ihn über seinen Arm.

In diesem Moment trat Giselle ein und stellte sich schräg hinter ihre Herrin.

Elodie drehte sich zu ihr um.

"Giselle, nimmst du diesem Herrn bitte seinen Mantel ab und bürstest danach mein weißblaues Kleid aus? Ich möchte es gleich zum Essen tragen. Das wäre alles, du kannst danach wieder gehen."

Giselle, die einzige ihrer Bediensteten, die auch einmal einem Befehl nicht gehorchte, sah Elodie mit stechenden Blicken aus den Augenwinkeln an.

"Mit Verlaub, Mademoiselle, aber dafür hättet Ihr mich nicht aus dem Bett holen müssen. Das hätte auch Anne erledigen können."

Elodie schüttelte den Kopf.

"Nein, Giselle, das hätte sie nicht, ich habe sie geschickt, ein Zimmer herzurichten. Nun murre nicht und tu mir den Gefallen."

Die Zofe nickte, ging zu dem Mann, der sich Exodus nannte, nahm seinen Mantel ab, machte einen Knicks und verließ die Bibliothek.

Er lachte leise.

"Eure Bedienstete scheint ihren eigenen Kopf zu haben."

Elodie nickte.

"Ja, aber ich habe den dickeren.

Nun gut, ich wüsste gerne, was das gerade war", sagte sie und deutete auf das Feuer im Kamin, das die Holzscheite hochkletterte.

Er wurde ernster.

"Das war das Blut der ersten magischen Existenz. Ich dachte, Ihr hättet davon gehört, Mademoiselle?"

Elodie nickte ein weiteres Mal.

"Ja. Doch ich hörte nur, dass Euer Orden im Interesse der Kirche ist, und dass ich ihm ein Heim bieten soll."

Exodus zog eine Augenbraue in die Höhe.

"Und Ihr hinterfragt niemals die Absichten der Kirche?"

Elodie schnaubte.

"Ich bin keine Ketzerin, Monsieur."

Exodus legte den Kopf in den Nacken und drehte sich im Kreis, um das Kuppeldach voll überblicken zu können. Erst jetzt sah Elodie ein Schwert an seiner Seite aufblitzen.

"Viele Ketzer sagten nichts gegen die Kirche selbst, sondern gegen ihre Weltansichten. Viele von jenen, die ihren Tod auf dem Scheiterhaufen fanden, starben im Recht. Oder ohne Grund."

"Ihr selbst klingt wie einer dieser Ketzer, Exodus."

Er zuckte mit den Schultern und wandte sich ihr wieder zu.

"Wer weiß das schon...? Und wer entscheidet, wann Ketzerei beginnt und wo sie endet?"

Elodie machte einen Knicks.

"Die Inqusition, Monsieur", sagte sie und machte eine kurze Pause, "Ich werde Anne rufen lassen, sie müsste inzwischen fertig sein. Ich lasse Euch auf Euer Zimmer bringen; wenn Ihr wollt, könnt Ihr mit uns zu abend essen. Teilt es Anne mit, sie wird Euch abholen, wenn Ihr wollt. Ihr kennt Euch ja hier noch nicht aus."

Er sah sie auf einmal kalt an, und sie ging mit dem unwohlen Gefühl, ihm ihren Rücken zuzuwenden, hinaus.

Sie schritt den Korridor zurück und bog schließlich nach links wieder in die Eingangshalle ein. An einer der Treppen war eine Glocke mit einem Band befestigt, Elodie zog an dem Seil und ein heller lauter Klang ertönte.

Nach wenigen Minuten des Wartens eilte Anne die Treppe hinunter.

"Ja, Mademoiselle?"

Elodie lächelte.

"In der Bibliothek wartet noch immer der junge Mann. Bringe ihn auf das Zimmer, das du gerade hergerichtet hast. Sollte er wünschen, mit uns zu Essen, so hole ihn um kurz vor sieben wieder von dort ab und bringe ihn zum Esszimmer. Das wäre alles."

Anne knickste und ging in Richtung Bibliothek.

Elodie dagegen ging den Weg, den sie gekommen war, wieder zurück, hoch in ihr Arbeitszimmer, wo noch immer das Feuer im Kamin brannte.

Sie setzte sich an den Schreibtisch, zog Feder und Tinte hervor, sowie ein Stück Papier, um einen Brief zu schreiben. Sie tauchte die Spitze der Feder in die schwarze Flüssigkeit, zog sie wieder heraus, ließ sie ein wenig abtropfen und setzte sie schließlich auf das Blatt, wo sie sich kratzend hin und her bewegte, das Schwarz zu Buchstaben und Worten formte und verweilte. Was war es nützlich, in einem Kloster aufgewachsen zu sein, wo man sie lesen, schreiben, rechnen und Latein gelehrt hatte.
 

"An den Konklave um Papst Nikolaus V
 

Ich habe den Brief erhalten, den mir Kardinal Augustinus schrieb, und den Mann des Ordens in Gottes Namen empfangen. Ich bin verständlicherweise nicht froh gesonnen, einen Engländer im Hause zu haben, doch ich werde der Order der Kirche folgen, so wie meine Mutter es getan hätte, als sie noch fähig war, die Stimme unseres Herrn wahrzunehmen. Dennoch möchte ich mit diesem Brief den Verdacht äußern, einen Ketzer in meinem Hause zur Ruhe kommen zu lassen, und erwarte dringend einen weiteren Brief, was es mit diesem Orden auf sich hat. Voll Hochachtung sage ich, dass Ihr sehr wohl wisst, dass ich keine Probleme habe, Hexenjäger abzuwehren, doch ich wünschte zu wissen, wofür ich dieses Risiko auf mich nehme.

Ehrfurchtsvoll,

Elodie Délieure von Orléans"
 

Elodie faltete den Brief, beschriftete ihn mit einer Adresse in Rom, griff nach einer Kerze und entzündete sie mit dem Feuer aus dem Kamin, träufelte Wachs auf das Papier, wo die Blattenden sich überschnitten, öffnete eine Schublade ihres Tisches und zog einen Stempel heraus, den sie auf das warme Wachs drückte. Ihr Siegel.

Dann pustete sie die Kerze aus, ging zum Kamin, griff nach der Schippe und dem Sand, der daneben stand und erstickte das Feuer.

Sie ging die Treppe hinunter, durch die Eingangstür hindurch, wandte sich nach links in den Garten, wo Gemüse angebaut wurde und die alten Weinranken noch immer wucherten, hinter das riesige Haus und zu den Ställen.

Ein Pferd mehr stand jetzt hier, es musste zweifellos Exodus gehören. Ein schwarzer Hengst mit langer Mähne. In den vielen Boxen waren jetzt drei Tiere, zwei gehörten ihr.

Neben den Pferdeställen war der Vogelkäfig, eine riesige Voliere aus hartem, robustem Holz. Sie schob sich einen ledernen Handschuh über den rechten Unterarm, schnürte ihn umständlich fest und öffnete das Schloß und damit die knarrende Tür.

Sofort flog ein riesiger Vogel zu ihr und ließ sich auf ihrem Arm nieder, die riesigen Krallen im Leder versenkt, lange Bänder daran, die markierten, dass das Tier einen Besitzer hatte.

Elodie lächelte ihren Wespenbussard an, er war ihr ganzer Stolz.

"Aer, du musst für mich den Brief zu Monsieur Ferin schaffen, hörst du? Ferin!"

Der Vogel sah ihr in die Augen und schrie kurz, aber kräftig.

Elodie lächelte.

"Sehr gut", murmelte sie, nahm eines der Bänder um seine Krallen und band den Brief notdürftig daran fest.

Er breitete die Flügel aus, schlug damit und stieß sich mit einem Ruck von ihrem Arm ab.

Sie nahm den ledernen Handschuh, legte ihn wieder hin und ging zurück in das große Haus.
 

Als sie sich umgezogen hatte - sie trug jetzt ein weißes, langes Kleid mit weiten Ärmeln, das im Licht blau schimmerte - ging sie hinunter in das Esszimmer.

Exodus wartete bereits, Giselle hatte sich neben ihn gesetzt und lachte im Gespräch mit ihm mit geröteten Wangen. Als sie ihre Herrin sah, wurde sie sofort ernst, stand auf und stellte sich weiter hinten in die Ecke. Elodie war es nur recht.

Exodus besah sie von oben bis unten.

"Ihr seht zauberhaft aus, Mademoiselle Délieure."

Sie lächelte.

"Ich danke Euch, aber Ihr braucht mir nicht schmeicheln."

Er sah sie durchdringen mit seinen grünen Augen an, die schienen, als könne er durch sie hindurch sehen. Die Intelligenz glitzerte förmlich durch sie heraus. Wer war der Fremde, den sie aufzunehmen gezwungen war?

"So? Es kommt mir so unehrenhaft vor, Euch hier zu belagern."

Sie setzte sich neben ihn und schüttelte den Kopf.

"Ihr belagert mich nicht. Ihr seid mein Gast. Die Kirche hat mir den Auftrag gegeben, also werde ich ihn ausführen."

Er nickte, doch es war ein seltsames, trauriges Nicken.

"Ja... Man sagte mir, in Euch wäre Eure Mutter wieder erwacht."

Elodie war überrascht, dass man ihm von ihrer Mutter erzählt hatte. In ihr erwachte Zorn und Wut.

"Ich möchte nicht plumb erscheinen, doch ich glaube nicht, dass Ihr als Engländer auch nur ein einziges Wort über sie verlieren dürftet."

Giselle horchte auf und sah von ihrer Herrin zu dem Fremden und wieder zurück.

Er sah sie weiter ruhig an, doch jetzt nicht mehr mit der Belustigung, die sie vorher hatte erkennen können.

"Ich mag englischer Abstammung sein, doch ich wurde in Frankreich geboren. Ich fühle mich als Franzose, auch wenn es vielleicht nicht so aussehen oder klingen mag. Und ich kannte Eure Mutter besser, als Ihr denkt. Sie war eine gute Freundin eines meiner Freunde."

Sie zeigte keine weitere Gefühlsregung.

"Jedenfalls sagte man mir schon öfter, ich würde ihr ähneln. Ich habe es als Kompliment gesehen."

Exodus schüttelte den Kopf und fuhr sich mit einer zwar großen, aber fein gezeichneten Hand durch das schwarze Haar.

"Jeder dieser Menschen log Euch ins Gesicht ohne rot zu werden, Mademoiselle. Nehmt es mir nicht übel, aber Ihr ähnelt ihr in keinster Weise. Man sagte mir zwar, Ihr würdet ihr gleichen, doch ich bin, offen gesagt, enttäuscht. Nun gut, reden wir nicht weiter davon", sagte er und warf Giselle einen Blick zu, die sofort durch die Tür verschwand, "ich glaube, Ihr seid ebenfalls hungrig."

Elodie war überrascht. Er hatte ihr gerade ins Gesicht gesagt, dass sie eine Person mit widerlichem Charakter war, und dann ihre Bedienstete hinausgeschickt, die ihm offensichtlich mehr gehorchte als ihr.

Die Überraschung wandelte sich in Zorn.

Sie stand auf, er erhob sich, wie es Anstand war, mit ihr.

"Verzeiht, mein Gast ohne Namen, doch ich wünsche nicht länger, mit Euch zu essen. Vielleicht können wir unser Gespräch morgen fortsetzen", sagte sie patzig, "Gute Nacht, Monsieur."

Sie schob den Stuhl zur Seite und verließ das Esszimmer, gerade als Giselle mit dem Wagen kam, auf dem all die Köstlichkeiten ihren Platz gefunden hatten.

"Ich gehe zu Bett, Giselle. Iss du ruhig mit ihm, du scheinst dich ja prima mit ihm zu verstehen."

Die Zofe blieb ernst, doch ihre Augen leuchteten.

"Jawohl, Mademoiselle."

Sie schloß die Tür hinter sich, und Elodie ging, rannte fast vor Zorn, wieder nach oben, um ihr Buch weiter zu lesen. Ihr Magen knurrte, doch es war schließlich nicht das erste Mal. Frankreich war noch immer im Krieg gegen England, Hungersnöte und Krankheiten gab es überall, sagte sie sich.

Das kleine Latein strengte ihre Augen aufs Neue an, doch binnen weniger Minuten war sie darin versunken und nahm nichts mehr um sich herum war.

Bis es an der Tür klopfte.

"Mademoiselle Délieure? Darf ich eintreten?", fragte die dunkle Stimme des Fremden.

Elodie machte sich nicht die Mühe, aufzustehen.

"Natürlich, kommt herein."

Die Tür schwang langsam auf und Exodus betrat das Arbeitszimmer.

"Es ist kalt hier, Mademoiselle. Vielleicht solltet Ihr Feuer machen? Oder soll ich für Euch?", fragte er in nettem Tonfall.

"Lasst nur, ich gehe gleich zu Bett, dort hat Giselle den Kamin bereits entfacht."

Er nickte.

"Ich glaube, Ihr habt mich vorhin missverstanden, Mademoiselle, und dafür möchte ich mich entschuldigen. Ich wollte Eure Gefühle nicht verletzen. Ich habe nur den meinen nicht Einhalt geboten."

Elodie stand auf.

"Was ein Mann in Eurem Alter durchaus können müsste, Monsieur. Wie alt seid Ihr? Fünfundzwanzig? Ihr müsstet es jedenfalls gelernt haben."

Er nickte ein weiteres Mal.

"Sechsundzwanzig, und ja, ich habe es gelernt. Deshalb bin ich hier. Um mich zu entschuldigen. Vergebt mir."

Er ging auf sie zu und sie gab ihm ihre Hand, er verbeugte sich, hob ihre Hand zum Mund und hauchte einen Kuss darauf.

Sie lächelte.

"Gut, ich nehme Eure Entschuldigung an. Doch ich möchte jetzt wirklich zu Bett gehen. Wir werden uns morgen wiedersehen, Exodus. Spätestens am Frühstückstisch. Gute Nacht, Monsieur."

Er erwiderte ihr Lächeln.

"Ich danke Euch, Mademoiselle Délieure. Dann wünsche ich Euch einen angenehmen Schlaf und ebenfalls eine gute Nacht."

Sie ging mit wehendem Kleid an ihm vorbei und drehte sich an der Tür noch einmal um.

"Verzeiht auch mir meinen harten Ton. Ich wollte nichts gegen Eure Abstammung sagen. Ich mag nur Engländer im Allgemeinen nicht."

Er nickte wieder.

"Verständlich. Doch ich würde wirklich eher dem König Frankreichs die Treue schwören als dem englischen.

Gute Nacht, Mademoiselle", sagte er und sie verließ den Raum. Flüsternd setzte er etwas hinzu:

"Mademoiselle d'Arc."
 

© by Idhren

Catherine schlug ihre Kapuze hoch um das schwarze, zurückgebundene Haar vor dem Regen zu schützen, der vom Himmel nieder prasselte, sah hoch zu den Wolken und trat unter dem Dach hervor auf die Straße.

Rouen.

Noch immer von den Engländern besetzt. Dieser Krieg dauerte inzwischen annähernd ein Jahrhundert - wann hörte dieser Spuk auf? Dem französischen Volke seinen französischen Regenten, hier hatte ein englischer König nie etwas verloren. Erst recht kein Land.

Sie zog ihren Mantel eng um sich, als eine kalte Brise durch ihre Kleidung fuhr, und ging vorsichtig unter den wachen Augen eines Engländers ihres Weges.

Und endlich war sie am Ziel: Der Marktplatz, an dem vor neunzehn Jahren der Scheiterhaufen brannte, als sie selbst noch ein kleines Kind auf dem Arm ihrer Mutter war. Der Scheiterhaufen, der Frankreichs große Hoffnung zu Staub zerfallen ließ. Von den Franzosen verraten, von den Burgundern verkauft, von den Engländern hingerichtet: Das Bauernmädchen mit göttlicher Bestimmung, das imstande war, die Stimme des Herrn zu hören. Jeanne d’Arc, die Befreierin Orléans, angekettet und in Flammen aufgehend - noch immer trug sie das Bild in ihrem Gedächtnis.

Doch sie würde vorerst zum letzten Mal hier sein und der Verstorbenen die Ehre erweisen, die ihr von den dafür Blinden verschmäht.

Die Kirche hatte ihr den Auftrag erteilt, ein ehemaliges Kloster an der Loire, noch unterhalb von Bourges aufzusuchen. Widerwillig hatte sie sich gefügt. Man hatte ihr den Namen Persephone gegeben, unter dem sie von nun an reisen sollte, da Hexenjäger auf der Suche nach den zwölf Mitgliedern der ersten magischen Existenz waren.

Sie schnaubte. Persephone! Ein Name, der den Hexenjägern wohl so gar nicht auffallen sollte? Sie würde schneller erkannt als eine Maus von einem Falken! Man hätte mehr erwarten können von der christlichen Kirche.

Catherine machte das Kreuzzeichen vor der Brust, faltete die Hände, schloß die Augen und murmelte flüsternd: „Amen."

Sie zog eine weiße Rose aus ihrer Manteltasche, küsste sie und legte sie auf den Boden.

Einer der Besatzer kam auf sie zu, seine Hand am Schwertheft.

„Du da! Weib! Was tust du?"

Catherine wandte sich ihm zu und sah unter ihrer Kapuze mit eisblauen Augen in die seinen, grauen.

„Ich lege eine Rose nieder. Nicht mehr."

Er sah auf die weiße Blume.

„Wofür?"

Sie schwieg, und er begann laut zu lachen.

„Für das dreckige Weibsbild, dass hier vor zwanzig Jahren brannte? Diese Ketzerin in Männerkleidung? Manche der Wachen sagten, sie hätten sich an ihr gütlich getan..."

In Catherine stieg der Zorn empor, sie hätte ihm die Augen auskratzen können, wäre er kein Engländer.

„Ihr versteht davon nichts, Monsieur."

Er holte aus und knallte ihr eine Ohrfeige ins Gesicht, so dass sie ein paar Schritte zurück taumelte.

„Sei nicht so dreist, du Ratte. Und sprich mich auf englischem Boden nicht mit Monsieur an", sagte er und äffte ihre Stimme nach.

Sie hielt sich die Wange, während er auf die Rose sah, einen Schritt darauf zu ging und sie mit seinem schlammigen Stiefel zertrat.

„Das ist es, was dieser Ketzerin gebührt!", rief er laut aus, drehte sich um, lachte und ging seines Weges.

In Catherines Augen flammte Hass auf.

Sie zog sich zurück vom Marktplatz, die Zeit war gekommen, Rouen zu verlassen. Vielleicht für immer.
 

Laurent saß ab von seinem Schimmel und band die Zügel an einem Ast fest. Ein kleiner Bach, der bald schon in die Garonne fließen würde, bahnte sich hier seinen Weg durch die Gräser, endlich eine Stelle, an der man trinken könnte.

Er band seinen Wasserbeutel vom Sattel los, öffnete den Verschluß und hielt ihn in das eisig kalte Wasser um den Vorrat wieder aufzufüllen.

Schnell aber hatte er ihn wieder festgebunden und löste die Zügel, saß auf und ritt weiter Richtung Norden. Immer der Stadt Bourges entgegen.

Ein weiteres Mal zog er den Brief hervor und las ihn durch. Ein Brief aus Rom, von ein paar Kardinälen entsandt und vom Papst selbst unterschrieben.

Laurent hatte den Auftrag erhalten, eine gewisse Mademoiselle Délieure aufzusuchen. Vor einem Tag erst war er von Toulouse aufgebrochen, und es gefiel ihm ganz und gar nicht, weiter nach Norden aufbrechen zu müssen. Wer wusste schon, was die Engländer planten, seit sie zurück gedrängt wurden?

Er drehte sich einen kurzen Moment um - schon wieder diese Gestalt, die ihn zwischen den Gestalten verfolgte. Eine ganze Weile hatte es ihn nicht gestört, doch langsam wurde es unangenehm.

Er wendete seine Stute und ließ sie zum Stillstand kommen.

Der dunkel gekleidete Mann kam jetzt im Trab auf ihn zu.

Laurent lächelte.

„Monsieur, kann ich irgend etwas für Euch tun? Ihr reitet schon über zwei Stunden hinter mir her."

Der Mann auf dem braunen Wallach, kein schön ansehnliches Tier, grinste.

„Natürlich könnt Ihr mir helfen. Als erstes mit Eurem Namen?"

Laurent lächelte geduldig weiter.

„Genesis muss Euch vorerst genügen."

Der Mann vor ihm, sein dunkelbraunes Haar klebte dreckig in seinem Gesicht, zog die Augenbrauen in die Höhe.

„Ihr beruft Euch also auf das heilige Buch, wenn Ihr Euren Namen nennt?"

„Ich mag die Geschichte über die Sintflut, wenn alles von vorne beginnt."

Der Mann sah kurz auf die Beine der Stute und dann wieder in Laurents Gesicht, dass ein Lächeln noch immer zierte.

„Genesis 8, 2-3: Die Quellen der Urflut und die Schleusen des Himmels schlossen sich; der Regen vom Himmel ließ nach, und das Wasser verlief allmählich von der Erde.", zitierte der Fremde.

Laurent sah ihn misstrauisch an.

„Ihr könnt Latein? Dabei seht ihr doch wie ein einfacher Bürger aus", bohrte er sanft nach.

Der Mann vor ihm grinste.

„Mein Leben ist der Kirche gewidmet, könnte man sagen", antwortete er.

Ein straffer Zug an den Zügeln, und die weiße Stute wendete.

„Ein Leben für die Kirche als einfacher Bürger? Es tut mir leid, aber mit Hexenjägern wie Euch will ich nichts zu tun haben. Sie sehen in jedem, der ihnen nicht gefällt etwas Ketzerisches."

Der Fremde drückte seinem Tier die Beine in die Seiten und ritt neben Laurent her.

„Dann solltet Ihr vorsichtig sein, damit ihr dieses unsere Treffen nicht irgendwann bereuen müsst."

Laurent lachte.

„Ihr wollt mir drohen?"

Der Mann grinste boshaft.

„Ich tue es bereits."

„Ihr seid so alleine hier wie ich, seid vorsichtig, was Ihr im Begriff seid, zu tun. Ich könnte Euch hier angreifen und eine lange Zeit würde man Euren Leichnam nicht finden."

Der Mann kniff die Augen zusammen.

„Ihr wollt Euch einem Arm der Kirche widersetzen?"

Laurent schüttelte den Kopf.

„Etwas Solches würde ich nie wagen, ihr versteht mich falsch. Ich verstehe nicht, warum ihr mir als rechtschaffenem Bürger auflauern wollt, der in gewissem Sinne auch ein Arm der Kirche ist. Verzeiht mir meinen barschen Ton, doch bin ich aufgebracht, dass mir ein Hexenjäger folgt, obwohl ich frommer bin als manch ein anderer."

Der Mann sah ihn noch einen Moment abschätzend an, dann nickte er.

„Natürlich. Ich will Euch auch nicht weiter aufhalten. Verzeihung", sagte er und verneigte sich so gut er konnte auf dem Pferd, wendete und ritt zurück.

Laurent lächelte.

„Welch grandiose Ideen haben sie doch! Ihre eigene Strategie geht für sie nach hinten los", lachte er leise in sich hinein. Doch er musste zugeben, dass es mehr als lästig war, diese Fliegen immer wieder abschütteln zu müssen.

Weiter ging der Ritt zum Kloster. Es würde noch mehrere Tage dauern, bis er angekommen wäre.
 

Die kleine Flamme kämpfte flackernd ums Überleben im sanften Hauch der kalten Luft, der von draußen in die Kirche wehte. Das blonde Haar flog um ihr Gesicht, dessen grüne Augen von den Lidern verdeckt wurden. Die Hände waren vor der Brust gefaltet, die Augenbrauen im Gebet kraus gezogen.

Sie stand von der Gebetsbank auf, machte das Kreuzzeichen, knickste vor dem Herrn und verließ die Kirche mit schnellem Schritt.

Draußen kam ihr ein Mädchen entgegen gelaufen, nicht älter als sieben Jahre, die Arme weit geöffnet.

„Florette, Florette! Musst du wirklich gehen?", rief es ihr schon aus der Ferne zu.

Florette kniete sich hin, darauf bedacht, das hellblaue Kleid nicht zu beschmutzen, und umarmte ihre kleine Schwester.

„Ja, Adrienne, ich muss. Ich kann nicht länger hier bleiben."

Das kleine Mädchen konnte sich nicht mehr zurückhalten, sie weinte und ließ die Tränen langsam über ihre Wangen laufen, die salzigen Perlen lösten sich von ihrem Kinn und fielen auf den Boden, der sie gierig aufnahm.

„Mama und Papa brauchen dich aber! Ich brauche dich! Julien braucht dich! Und was ist mit Frédéric? Er hat gerade erst bei Papa um deine Hand angehalten!"

Florette lächelte.

„Mama und Papa müssen ohne mich auskommen, Mama weiß das, du hast von nun an Julien, um den du dich kümmern musst. Ich musste mich auch um dich kümmern, als ich so alt war wie du; kümmere du dich also nun um unseren Bruder. Und Frédéric? Er wird es verstehen. Er muss warten. Liebt er mich wirklich, so wird er auf mich warten. Wenn ich wieder zurück bin, werde ich seine Frau."

Adrienne wischte sich mit dem Handrücken die Tränen ab und nickte.

„Gut, ich werde mich bemühen, Mama und Papa zur Hand zu gehen, und Julien wird mit mir heranwachsen."

Adrienne sah auf den Boden, Florette legte ihr einen Finger unter das Kinn und zwang sie so, ihr in die Augen zu sehen.

„So ist es recht, Kleine. Du wirst das schon schaffen."

Das Mädchen nickte tapfer.

„Frédéric wartet auf dem Hügel auf dich, er sagte, er wolle sich von dir verabschieden, ohne das jemand bei euch ist."

Florettes Herz begann zu flattern, sie stand auf.

Sie zog sich schnellen Schrittes von der Kirche zurück, lief durch eines der weiten Lavendelfelder und den Hang hinauf, wo sie ihren Liebsten schon stehen sah.

Er breitete die Arme aus und umarmte sie.

„Florette, ich bitte dich, bleibe bei mir! Mein Herz ist auch so schon voller Sorge, willst du wirklich, dass ich unruhig hier bleibe und jeden Tag um deine Rückkehr bange?"

Sie lächelte in seine braunen Augen und strich ihm durch das dunkelblonde Haar.

„Frédéric, ich muss gehen! Oder willst du, dass man mich als Ketzerin auf dem Scheiterhaufen verbrennt? Ich kann mich der Kirche nicht entziehen, so gerne ich auch bleiben will! Es dauert sicher nicht lange, und deine Arme können mich wieder halten, sorge dich nicht meinetwegen."

Er nahm eine Strähne ihres langen Haares zwischen zwei Finger und sah mit zusammengezogenen Augenbrauen darauf.

„Dein blondes Haar, deine blasse Haut und deine hellrosa Lippen werden mich im Traum verfolgen und quälen. Ich liebe dich, sosehr, dass ich egoistisch selbst dem Herrn gegenüber geworden bin und dich ihm vorenthalten wollte. Verzeih mir, meine Liebste. Ich werde dich nicht aufhalten, und wenn es mir das Herz entzwei reißt."

Er kam mit seinem Mund dem ihren immer näher und küsste sie schließlich sanft.

Frédéric reagierte nicht so, wie sie es sich von ihm erhofft hatte, dennoch lächelte sie zaghaft. Sie hatte sich nicht gewünscht, dass er ihr ein schlechtes Gewissen machte und sie mit jenem schlechten Gewissen das Dorf verließ. Doch er war und blieb nun einmal Frédéric, und es war auch gut so.

Sie löste sich wieder von ihm und lief nach Hause, wo ihre Mutter das einzige Pferd, dass die Familie besaß, gesattelt hatte. Sie nahm sich ihren Mantel, schlug die Kapuze hoch und saß auf. Die Reise würde nun beginnen. Ohne Frédéric, ohne ihre Familie. Florette war sechzehn, es würde ihre erste Reise ganz alleine sein. Und hoffentlich auch die letzte, nach ihrer Rückkehr würde sie sicher nicht mehr fort wollen.
 

Das Kruzifix baumelte an seiner silbernen Kette um ihren Hals, sie nahm es in die Hand und besah sich seine Form und den silbergrau glänzenden Hämatit, der in der Mitte eingefasst war.

Das braune Haar zu einem Zopf geflochten, doch unter der weißen Kapuze verdeckt, so stand sie vor dem Spiegel in ihrem Zimmer. Hélène griff nach ihrem Gebetbuch und wollte gerade den Knauf ihrer Tür berühren, als es klopfte. Erschreckt zog sie den Arm zurück.

„Ja bitte?"

Die Tür schwang auf und eine weitere Frau ganz in weiß trat ein, einen gelben Umschlag in den Händen.

„Madame, dieser Brief kam gerade für Euch an. Er ist aus Rom - habt ihr an einen Kardinal geschrieben?", fragte sie höflich, doch sie schien keine Antwort zu erwarten, statt dessen verließ sie das Zimmer wieder.

Hélène nahm das Papier verwirrt in die Hände, brach das Wachssiegel und las.

Als sie am Ende angelangt war, las sie von vorne. Und noch einmal.

Dann öffnete sie die Tür, wandte sich nach links und lief schnellen Schrittes den Flur weiter entlang, bis sie an einer bestimmten Tür angelangt war. Sie klopfte und trat nach einem gedämpften „Herein" durch die Tür.

Vor ihr stand eine alte Frau, die kleinen Lachfalten neben den Augen zogen sich zusammen, als sie Hélène sah und zu lächeln begann.

„Ahh, meine Liebe, was kann ich für dich tun?"

Hélène drückte ihr verwirrt den Brief in die Hand.

„Bonjour, Madame. Ich habe soeben diesen Brief erhalten. Er kommt von den Kardinälen und ist sogar von seiner Heiligkeit unterschrieben."

Die Frau zog verwundert die Augenbrauen in die Höhe und las.

Als sie fertig war, schaute sie auf und lächelte.

„Nun, es scheint, als müsstest du uns verlassen."

Hélène sah auf den Boden.

„Aber ich bin doch gerade erst eingetroffen!"

Die alte Frau legte ihre Hand an Hélènes Wange.

„Du kannst den Weg Gottes, den du einschlagen wolltest, eben noch nicht betreten. Er hat dir einen anderen Pfad aufgezeigt und dir vielleicht eine Prüfung auferlegt. Folge ihr mit mutigem Herzen, und du wirst wohlbehalten zurückkehren."

Hélène biss auf ihrer Unterlippe herum, und die Frau sah die Sorge, die sich ihn ihren Augen widerspiegelte.

„Was bedrückt dich so sehr, dass du nicht gehen magst?"

„Madame, meine Gedanken sind bei Jeanne d’Arc, die, angeblich von Gott geschickt, auf dem Scheiterhaufen endete."

Die Alte lächelte sanft.

„Du vergleichst dich mit einer Ketzerin, die in Männerkleidung gegen die Engländer kämpfte. Sei unbesorgt."

Hélène nickte, dennoch ging sie mit Sorgen aus dem Raum und zog sich in ihrem Zimmer zurück.

Ja, so absurd es auch war, sie zog Parallelen zwischen Jeanne d’Arc und sich. Auch Jeanne war angeblich in Gottes Auftrag losgezogen, und sie sollte sich ebenfalls fügen.

Vor allem die Antwort, die sie gerade bekommen hatte... Eine Ketzerin? Nein, sie glaubte nicht, das Jeanne jemals eine Ketzerin gewesen war. Und war es so schlimm, dass sie in Männerkleidung gegen die Engländer gekämpft hatte? Sicherlich war es unerhört, dass sie die Kleidung angelegt hatte, aber sie hatte immerhin auch den Feind zurück drängen können!

Hélène ging zum Fenster und stieß die hölzernen Läden auf. Das Meer schlug mit seinen Wellen sanft gegen das Ufer, das Rauschen dröhnte in den Ohren. Und diesen wundervoll abgelegenen Ort sollte sie verlassen?

Aber es war Auftrag der Kirche. Wer sich widersetzte, würde als Ketzer angeklagt werden. Nicht schlimmeres hätte sie sich vorstellen können.

Ein Vogel flog an dem Fenster vorbei und auf das Meer hinaus.

Frei.

Eine Freiheit, die auch sie sich immer schon gewünscht hatte. Könnte Hélène jene Freiheit auf ihrer Reise finden?

Sie würde sie auf jeden Fall suchen. Ihre Entscheidung stand fest: Die Zeit war gekommen, diesen Ort wieder zu verlassen. Lange hatte sie nicht ausharren dürfen. Doch ehe sie ihr ganzes Leben hier verbrachte, weit ab vom Krieg, würde sie noch einmal Abenteuer haben dürfen.
 

Jean verabschiedete sich von seiner Mutter, öffnete die Tür und verließ das Haus. Er lief den schmalen Bergweg hinauf, hoch und immer höher, bis er von ihm weg trat und einen Vorsprung hochkletterte, nur drei, vier Meter hoch. Er hielt sich an den hohen Grasbüscheln die hier wuchsen fest und zog sich hoch, um weiter zu laufen, wo sonst nie jemand entlang kam.

Bald schon war er am Ziel angekommen: Ein kleiner Durchlass im Stein, wie eine Höhle, doch nicht einmal groß genug für ein Kleinkind. Jean mit seinen dreizehn Jahren passte erst Recht nicht hindurch.

Doch er streckte einen Arm hinein, kicherte in sich hinein und zog ihn wieder heraus.

Um den Arm herum war eine Art Echse gewickelt, mit langem Schwanz, der in einer großen, keilförmigen Schuppe endete, mit langen Krallen an den Füßen, einer lang gezogenen Schnauze und eng anliegenden Flügeln, die von den Schulterblättern fast bis zum Schwanzende gingen. Die Farbe ihrer Schuppen war Anthrazit, doch im Licht schimmerten sie stark blau. Sie war mit Schwanz nicht länger als siebzig Zentimeter.

„Bonjour, Avia. Hast du gut geschlafen?", fragte er, während der Drache ihn aus schwarzen Augen ansah.

Jean fasste in seine Hosentasche und fischte darin herum, bis er ein paar Stücke Brot und die Scheibe Wurst gefunden hatte, die er an Avia verfütterte. Die Echse schlang sie gierig herunter, spannte die verhältnismäßig großen Flügel und hob sich in die Luft, stieg mit jedem Flügelschlag sanft auf und ab.

Ein kleiner Schmetterling flog vorbei, Avia sichtete ihn, flog darauf zu, machte das Maul auf und stieß eine kleine Flamme hervor, das verkohlte Insekt landete zwischen den Zähnen des Drachen und wurde schnell geschluckt.

Jean schüttelte den Kopf.

„Dabei sind sie doch so niedlich, Avia. Aber gut, friss nur. Gibt genug davon - wie viele gibt es schon von dir?"

Avia flog um seinen Kopf und legte sich in seinem Nacken lang auf seine Schultern. Er hob einen Finger und kraulte ihr den Hals, woraufhin sie einen Laut, der nach einer Mischung aus knurren und miauen klang, als Bestätigung des Gefallens von sich gab.

Er lächelte.

„Du bist das Beste, was mir seit langem passiert ist, Süße... Aber Maman weiß inzwischen von dir. Sie sagt, ich soll mich nicht mit Dämonen einlassen, denn sie sind den frommen Menschen Versuchung und Prüfung zugleich. Ich kann dir aber nicht widerstehen. Wir sind doch Freunde, oder?"

Der Drache rieb seine rauhe Schnauze an Jeans Wange.

„Sehr gut. Dann geh vorerst wieder in deine Höhle, ich komme später um dich zu holen."

Der ließ die Echse auf seinen Arm klettern und streckte ihn wieder in die Felsspalte, wo Avia sich wieder einrollte.

Jean kletterte den Hang mühsam wieder hinunter und rannte den Weg zurück.

Als er die Tür öffnete, saß seine Mutter am Tisch, Tränen rannen ihr über das Gesicht.

„Maman! Was ist geschehen, dass du weinst?"

Sie sah auf und lächelte.

„Du musst uns nun verlassen, Jean. Ein Brief der Kirche. Du und dein Dämon, ihr müsst in ein abgelegenes Kloster. Ich habe es dir von Anfang an gesagt: Du sollst dich nicht mit diesem Tier abgeben, die Kirche wird aufmerksam und es dir austreiben. Gott sieht alles, und nun musst du gehen. Ich sattele das Pony, das Pferd ist zu groß für dich. Es ist eine Karte dabei, die du lesen kannst. Du musst nur an die Loire gelangen. Dann findest du es ganz schnell, mein Schatz."

Jeans Herz blieb stehen.

„Ich soll in ein Kloster?"

Sie nickte.

„Ja, so steht es hier. Wehre dich nicht, du kommst ohne den Dämon zurück und alles ist gut", sagte sie und lächelte weiter sanft.

Der Junge hatte Angst davor, zu diesem Kloster zu ziehen. Nicht nur, dass sie ihm seine Freundschaft zu Avia austreiben wollten, wie es schien, sie wollten sie auch noch behalten? Womöglich töten?

Doch er konnte sich dem Befehl nicht widersetzen. Er musste gehen. Mit dem schönen Drachenweibchen. Schweren Herzens ging er den Weg, den er gerade erst gekommen war, wieder zurück und holte Avia aus ihrem Versteck. Sie hatte sich liebevoll um seinen Unterarm gewickelt, als er wieder zurück kehrte.

Unten wieder angekommen, schreckte seine Mutter zuerst vor dem Tier zurück, sein Vater, der gerade aus dem Stall kam, trocknete sich die Hände mit einem Stück Stoff ab und gab ihm ein Messer, fast schon so groß, um Dolch genannt zu werden. Der Griff war mit vielen, wunderschönen Verzierungen versehen.

„Pass auf dich auf, Junge, und kehre gesund zurück zu uns. Ich kann mir denken, was dir bevorsteht. Dass sie mich nicht nahmen... Wie auch immer. Du bist wachsam und mutig, ja?"

Jean nickte tapfer, Tränen sammelten sich in seinen Augen. Seine Mutter überwand sich schließlich und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn.

Er sah zu Avia und fasste einen Entschluß.

‘Niemals wird dich mir irgendwer wegnehmen. Nur du kannst dich entschließen, mich zu verlassen. Ich werde alles dafür tun, damit du bei mir bleibst. Pass nur auf, ich schaffe das schon - irgendwie’, dachte er und sah sich das Pony an, auf das er jeden Moment steigen würde.
 

Das Saatgut rasselte aus der linken in die rechte Hand, Antoine lächelte. Aus all diesen kleinen Körnern würden später riesige Pflanzen werden können. So ein Wunder der Natur, dass aus so kleinen Dingen etwas so Wunderbares wurde.

Er drückte die Samen in die Erde und legte eine Hand darauf, als er sie wieder hinfort zog, waren kleine Sprieße zu erkennen.

Diese Gabe Gottes würde ihn schon bald auf die Reise schicken. Sein Söldnerleben war vorbei, doch die Engländer schienen ohnehin nicht länger als Bedrohung.

Er stand auf und schlenderte zurück zur Stadt, ging über den Marktplatz und sah sich das Sortiment des Waffenhändlers an. Hier war aber nichts, was begehrenswert für ihn war.

Er hatte den Brief schon vor zwei Tagen erhalten, doch er machte sich nicht so viel aus der Kirche wie manch anderer und ließ sich deswegen ein wenig mehr Zeit als sonst.

Er drehte sich um und sah ein kleines Mädchen schwere Lasten von Früchten und Gemüse tragen, ging zu ihr und nahm ihr den Korb ab.

„Wohin soll es denn gehen, Mademoiselle? Ich helfe Euch tragen, der Korb ist doch viel zu schwer für Euch", sagte er höflich.

Das Mädchen grinste, machte aber anstalten, ihm ihre Sachen wieder abzunehmen.

„Lasst nur, Monsieur, ich kann Euch nicht für Eure Dienste entlohnen, Ihr braucht mir nicht helfen."

Er beharrte jedoch weiter darauf.

„Ihr kränkt mich, Mademoiselle, wenn Ihr nur den Söldner und nicht den Kavalier in mir zu sehen vermögt."

Sie errötete und ließ endlich von ihm ab; ging die Straßen voraus um ihm den Weg zu zeigen.

„Wie alt seid Ihr, Mademoiselle?"

Sie drehte sich nur kurz um, ihre blonden, leicht lockigen Haare wehten um ihre Schultern.

„Fünfzehn, Monsieur. Warum fragt Ihr?"

Antoine zuckte mit den Schultern.

„Ich fragte mich nur, warum Ihr keinen starken Mann an Eurer Seite habt, bei Eurer hübschen Erscheinung."

Sie kicherte.

„Hört auf, mir Honig um den Mund zu schmieren, Monsieur", sagte sie, bog in eine Seitenstraße ein und hielt vor einem kleinen Haus.

„Da wären wir. Bekomme ich meinen Korb wieder?", fragte sie mit einem Glitzern in den grauen Augen.

Er lächelte, gab ihr das Verlangte und verbeugte sich kurz.

„Immer zu Euren Diensten, Mademoiselle. Jedenfalls, sobald ich wieder zurück bin."

Sie zog die Augenbrauen zusammen.

„Ihr verlasst uns also?"

Er nickte.

„Ja. Es war also das erste und vorerst einzige Mal, dass ich Euren Korb trug."

Sie nickte, legte den Kopf zur Seite und lächelte.

„Eine gute Reise, Monsieur", sagte sie und trat in das Haus ein.

Er ging zurück zu dem Platz, wo er die Körner eingesät hatte. In der Kälte waren riesige Sonnenblumen zur Blüte gekommen, sie würden sich jedoch nicht lange halten.

Antoine lächelte.

„Schade, dass ich langsam wirklich aufbrechen muss...", murmelte er und machte sich auf, seine sieben Sachen zusammen zu suchen. Doch als Söldner musste er sich wenigstens um gewisse Gefahren keine Sorgen machen.
 

Hier oben in den Bergen lag längst Schnee, die Seen waren zugefroren und trugen das Gewicht eines Menschen mit Leichtigkeit.

Marielles weißes Kleid war unten am Saum vollkommen durchnässt und verdreckt, ihre braunen Wildlederstiefel hielten ihre Füße aber dennoch wohlig warm. Sie sah zum Himmel, der von graublauen Wolken überzogen war und bahnte sich weiter ihren Weg durch die Schneedecke.

Bald schon landete eine weißglitzernde Flocke auf ihrer Nasenspitze, und sie beeilte sich, zurück ins Dorf zu kommen. Sie hatte nicht vor, durch ein Schneegestöber zu laufen.

Doch Marielle hatte keine Wahl: Bald schon waren die Flocken so dicht und zahlreich, dass sie kaum noch die Hand vor Augen sehen konnte.

In welche Richtung sollte sie sich wenden?

Sie schlug das braune, offene Haar zurück und setzte die Kapuze ihres dicken, gefütterten Mantel auf, dann sah sie erneut zum Himmel, doch sie konnte die Augen nicht lange aufhalten, da ihr das Eis immer wieder hinein wehte.

Ihre blauen, leuchtenden Augen bekamen ein Glitzern, als der Schnee, der von oben kam, sich teilte und sie gemütlich hindurch gehen konnte. Keine einzige Flocke berührte sie noch.

Das Licht des Dorfes, oben auf dem Hügel, begann, sie zu erreichen, endlich vermochte sie die Richtung, die sie einschlagen musste, zu erkennen.

Marielle stieg weiter hoch, doch als die Menschen sie hätten ausmachen können, ließ sie den Schneeschleier auch über sich fallen und kämpfte sich durch die Kälte, bis sie Zuhause angekommen war.

Das Feuer prasselte im Kamin, ihr Mann legte noch einen Holzscheit hinein.

Sie lächelte.

„Ich bin wieder da", sagte sie leise.

Er nickte.

„Ich sehe es. Komm her und wärm dich am Feuer, du bist wahrscheinlich halb erfroren."

Sie schüttelte den Kopf, gehorchte ihm aber dennoch.

„Ich kann die Kälte besser ertragen als manch eine andere Frau hier", sagte sie, streifte sich die Handschuhe von den Fingern und zog ihren Mantel aus, um sich auf dem Teppich vor dem Kamin nieder zu lassen.

Er ging zum Regal und zog ein Buch heraus, das er ihr gab.

Sie lächelte und empfing seinen Kuss gerne.

„Danke, Schatz."

Er strich ihr sanft über die Wange, doch sein Gesichtsausdruck änderte sich und schlug zur Sorge um.

„Du hast einen Brief erhalten. Du musst fortgehen."

Sie war fassungslos.

„Wie bitte?"

Er erhob sich, ging zum Tisch und gab ihr das Blatt Papier, das Wachs war inzwischen gebrochen.

Sie las durch und wurde immer bleicher. Als sie fertig war, sah sie mit Tränen in den Augen auf.

„Ich will nicht gehen. Mich hält zuviel hier."

Er lächelte und wischte ihr die Tränen fort.

„Schon gut. Du kannst auch nicht hier bleiben und dich widersetzen. Es ist ein Orden von zwölf, nicht wahr? Wenn jemand fehlt, fällt es auf. Gehe, ich werde auf dich warten."

Marielle sah in seine Augen, die pure Liebe auszustrahlen schienen. Sie fügte sich seinem Willen und nickte.

„Gut. Aber ich werde noch ein paar Tage bleiben. Ich will mich noch nicht lösen. Außerdem wird der Schneesturm draußen lange anhalten."

Er nickte, setzte sich zu ihr und nahm sie in den Arm.

Zusammen lasen sie weiter aus dem Buch, während das Feuer Wärme und Licht im Raum verbreitete.

Marielle wollte nicht gehen, aber sie würde. Widerwillig. Mit Traurigkeit, aber auch Neugier im Herzen.

Aber diese letzten Tage Zuhause würde sie vorerst noch genießen.
 

Eine junge Frau lehnte an einem Baumstamm, die Augen im Schlaf geschlossen und in das Licht der untergehenden Sonne getaucht. Eine leichte Brise fuhr durch ihr rötliches Haar, trug es mit sich und strich ihr sanft damit über die Nase.

Durch das Kitzeln aufgeweckt hob sie langsam die Lider, grüne Augen kamen darunter zum Vorschein.

Sie hob die Hand und fasste sich damit an die Schläfen. Ihre Kopfschmerzen waren inzwischen so stark, dass sie ihr die Tränen in Augen trieben.

Ein Vogel flog über die rotgoldenen Wolken und sang dabei fröhlich. Sie sah ihm hinterher und wunderte sich, als er in der Luft stehen blieb, ohne mit den Flügeln zu schlagen. Es sah aus, als hätte man ihn mit einem Pfeil an den Himmel geheftet. Wie konnte er so fliegen?

Und wo war die Brise geblieben, die ihr bisher durch das Haar gefahren war? Selbst die Wolken ließen sich nicht mehr vor der Sonne her peitschen. Sie blieben ganz einfach stehen.

Ein neuer Schmerz durchzuckte ihren Kopf und sie schloß die Augen und krümmte sich zusammen.

Als es langsam nachließ, war der Vogel weg. Der Wind wehte wieder, die Blumen und Gräser beugten sich ihm ergeben.

Sie schüttelte den Kopf, wie um den nachklingenden Schmerz hinaus zu werfen, stand auf, putzte ihr Kleid notdürftig ab und schützte die Augen mit der Hand vor dem Licht der Sonne als sie sich umsah.

Sie schien lange geschlafen zu haben, wenn doch schon die Sonne unterging.

Langsam begann sie, nach Hause zu gehen. Ein paar Feldwege entlang und zu dem kleinen Haus am Rande des Dorfes.

Sie öffnete die Tür und trat ein.

Ein Umschlag lag auf dem Tisch, die Adresse mit verschnörkelter schwarzer Tinte kenntlich gemacht.

Sie ging hin und öffnete ihn um ihn sich durchzulesen.

Sie verstand kaum etwas.

Was war der „Orden der ersten magischen Existenz"? Warum musste sie zu diesem Kloster?

Doch es machte nichts.

Manon war schon immer eine Reisende gewesen, war dafür mehr oder weniger ausgeschlossen worden, dass sie sich hier niedergelassen hatte war nur Zufall. Sie hatte die nächste Reise in die Normandie geplant, doch sie könnte auch Richtung Loire ziehen. Es war nur ein klein wenig weiter als ihr ursprüngliches Ziel.

Manon flocht ihre Haare zu einem komplizierten Zopf damit sie nicht weiter ins Gesicht hingen und las sich den Brief noch einmal durch. Sie war nur eine einfache Bauerntochter, deshalb hatte sie dabei starke Probleme. Doch mit starker Konzentration und indem sie den Buchstaben langsam folgte, konnte sie den Sinn immer besser zusammenstellen.

Allerdings hatte sie noch gar keine Lust, wieder abzureisen. Erst vor ein paar Wochen war sie wieder angekommen, und nun, im Winter, hatte sie eigentlich Zuhause bleiben wollen, so wie sich die Tiere in der kalten Jahreszeit in ihren Bau zurückzogen um Winterschlaf zu halten.

Nun gut, notgedrungen musste sie abreisen.

Sie warf den Brief wieder auf den Tisch und ging nach draußen um durch die Felder zu streifen, berührte mit den Fingerspitzen sanft die Blätter und Blüten der Gräser und Kräuter.

Ihre Beine wurden sacht gestreichelt, unter ihren unbeschuhten Füßen kribbelte es.

Die Sonne war jetzt fast nicht mehr zu sehen, der Himmel war hoch oben schon dunkelblau verfärbt und Sterne waren zu sehen, während sich am Horizont noch immer helles violett abzeichnete.

Manon liebte Sonnenauf- und Untergänge, die farbige Lichterkaskade, die dabei entstand und ihre beruhigende Wirkung auf Gemüt und Seele.

Sie hob die Hand zum Mund und drückte mit zwei Fingern gegen ihre Zunge um laut zu pfeifen.

Rechts oben auf dem Hügel hob ein Tier seinen Kopf, spitzte die Ohren und ging zuerst langsam, dann immer schneller den Hang hinunter.

Ein paar Meter, bevor es Manon erreichte, wurde das Pferd langsamer und stieß mit den Nüstern gegen ihre Hand.

Die Stute, ein Rappe, schnaubte leicht.

„Wir müssen bald wieder los, Foudra."

Ein kleines Wiehern war zu hören, und Manon lächelte.

„Du freust dich also? Ich weiß, du bist genau so eine Zigeunerseele wie ich. Wir sind geübt, wir beide werden schnell dort sein. Komm, wir reiten noch ein bisschen aus."

Sie schwang sich auf den Pferderücken, auch wenn kein Sattel vorhanden war konnte sie wunderbar reiten. Besser vielleicht noch als mit.

Foudra setzte sich in Bewegung, und zusammen strichen die beiden durch die Felder, in denen sich langsam der Nebel einzunisten begann, während der sichelförmige Mond, der golden das Blau hinaufkletterte auf sie hinunter blickte.
 

Eine junge Frau saß, trotz der Kälte in einem dünnen, grünbraunen Kleid, hoch oben auf einem starken Ast in einer Baumkrone und sah den Wolken in der Ferne zu.

Der Wind wurde langsam immer stärker, er hob ihr schweres, sehr langes blondes Haar hoch und strich ihr damit über das Gesicht. Die blauen Augen ließen sich nicht beirren und sahen weiter zum Horizont.

Einzelne blonde Strähnen hafteten an ihren Lippen fest, wehrten sich mit Hilfe des Windes, lösten sich endlich und flogen weiter durch die Luft.

Bald schon begannen die Wolken sich zusammenzuziehen, ballten sich drohend und bereit zum Kampf.

Dann ließen sie einen ohrenbetäubenden Donner los, bei dem die Frau lächelte.

Sie stieß sich von ihrem Ast ab, kam auf einem anderen, viel weiter schon unten, mit den Füßen auf und war in wenigen Sprüngen auf dem Boden.

Barfuß rannte sie durch die Gräser, die eiskalten Pfützen und Schlammlöcher waren ihr in dem Moment egal. Sie rannte und rannte, der grüne Stoff schleifte über den Boden, sog sich mit dem Wasser, das sich an die Halme geklammert hatte, voll.

Ein paar Steine und Stöcke lagen auf dem Boden, sie schnitt und kratze ihre Füße daran auf.

Der Regen setzte ein, die dicken Tropfen platschten auf die Erde und zersprangen in Tausende kleinere Perlen.

Er benetzte ihre nackte Haut an den Armen, ihr Haar und ihre Lippen, während sie immer noch weiter rannte mit ihren verwundeten Füßen.

Schließlich lief sie so schnell, dass sie nicht mehr sah, wo sie hintrat, blieb an einer Wurzel hängen und stürzte. Sie versuchte, sich mit den Armen abzustützen, doch im Schlamm rutschte sie weg und fiel mit dem Oberkörper in den Dreck.

Ein Blitz erleuchtete den Himmel für kurze Zeit, keine zwei Sekunden danach ertönte ein weiterer Knall des Donners.

Mit einem Lächeln auf den Lippen raffte sie sich wieder hoch, lief weiter und weiter.

Und endlich war sie auf dem freien Feld angekommen.

Sie schloß die Augen und hob den Kopf zum Himmel, breitete die Arme aus als würde sie den Segen Gottes verlangen.

Das Wasser fiel auf sie nieder, perlte von ihren Lidern ab und durchnässte ihr Kleid, das bald schon am Körper klebte, dreckig und kalt.

Ihr langes Haar wurde strähnig und begann zu triefen.

Sie öffnete die Augen, die jetzt begannen zu leuchten, und ein weiterer, über den ganzen Himmel verzweigter Blitz erschien.

Sie hob lächelnd die Hand.

Ein kleiner Blitz ging von ihrem Zeigefinger aus, zuerst nur kurz und aufleuchtend, dann größer, auch von anderen Fingern, schließlich war ein elektrischer Kranz um ihre Hand, der sich drehte und leuchtete. Ein Surren ertönte.

Sie lächelte.

„Ich habe so lange darauf gewartet, es wieder zu sehen..."

Ihre Augen röteten sich, aber ob es Tränen oder Regentropfen waren, die ihre Wange hinunter liefen, war nicht zu erkennen.

Sie stand sehr lange so da, doch irgendwann ließ der Regen nach.

Der Blitzring um ihre Hand blieb, allerdings wurde ihr irgendwann schwindelig und sie senkte die Hand wieder, woraufhin er sich auflöste.

Ob sie nun bereit war, zu gehen?

Bisher hatte sie sich geweigert.

„Nathalie?"

Sie drehte sich um.

Vor ihr stand ihre jüngere Schwester.

„Ich wusste, dass du hier bist. Komm her, ich habe Handtücher mitgenommen. Du erkältest dich sonst."

Nathalie nickte und ging langsam auf das Mädchen vor sich zu.

Ihre Schwester lächelte.

„Und danach flechte ich dein Haar. Dann geht es dir nicht mehr bis zum Po und du kannst besser reiten. Du musst nun wirklich bald los."

Ein erneutes Nicken von Nathalie. Sie lächelte.
 

Da lag ein Brief. Auf dem Tisch. Vergilbtes Pergament, mit schwarzer Tinte beschrieben. Phillippe konnte das Kratzen einer Feder auf Papier hören.

Aber alles war dunkel.

Wo war er?

Woher kam das Licht von weit weg, das auf den Tisch leuchtete, den Brief jedoch nicht berühren wollte?

Es war heiß hier... Es brannte von irgendwo...

Ob die Engländer wieder irgendwo eingefallen waren? Raubten, mordeten, brandschatzten? Sich an Frau und Kind vergingen?

Was war das für ein Geräusch? Ein Babyschrei? Leidend, die Knochen zum zittern bringend. So kümmert euch doch um das Kind!

Der Brief... Mit ihm hatte dieses Grauen begonnen...

Phillippe ging darauf zu. Beim Berühren ertönten der Kirchen Glocken. War das ein Zeichen von Göttlichkeit? Göttlicher Bestimmung?

Er las ihn schnell und begierig durch. Doch teilweise waren die Buchstaben verschwommen. Bei Bourges. An der Loire. Ein Kloster.

Der Klerus verlangte etwas von ihm, doch was genau war nur schwer zu lesen.

Phillippe hob den Blick zu dem Licht.

Noch mehr Feuer... Doch hell erleuchtet, wie von Gottes Erzengeln selbst berührt.

Jubelschreie aus dunklen Kehlen ertönten. Menschen, die zu viel Wein getrunken hatten, so schien es. Und immer weiter die Schreie aus dem Säuglingshals.

Wo war das Kind? Er würde sich darum kümmern, wenn er nur wüsste wo...

Doch er konnte seine Augen kaum aufhalten, so müde waren sie. Sein Geist war hellwach, doch seine Lider wollten den Augen nur Ruhe gönnen.

Schatten...

Schatten überall. Blitzende Waffen.

Auch Phillippe zog sein Schwert. Engländer hatte er schon immer gejagt. Sie hatten seiner Familie damals Schreckliches angetan.

Aber er sah nichts.

Nur die Schatten und das Feuer. Wo war dieses schreiende Kind? Um Himmels willen, es schrie als würde es sich das Leben aushauchen.

Und jetzt kreiste ihn das Feuer ein.

Zog sich enger um ihn, wie um ihm die Luft abzuschnüren.

Es wurde so unendlich heiß...

Immer heißer...

Höllenfeuer...

Er riss die Augen auf und setzte sich verschwitzt in seinem Bett auf.

Er legte den Kopf auf die Seite und sein Blick wanderte zum Tisch.

Ein Brief der Kirche. Sein Herz blieb einen Moment stehen, doch kleine Bruchstücke des Traums rieselten schon wieder in sein Unterbewusstsein zurück.

Also sollte er tatsächlich losziehen.

Gut, dachte er sich, dann auch sofort. Hier würde er es keinen Augenblick mehr länger aushalten. In diesem Bett, wo ihn jede Nacht die Träume jagten und versuchten, ihn irre zu machen.

Es war Zeit.

Dringend.

Elodie saß in der Bibliothek und blätterte in ein paar Büchern über Sternkunde. Sie hatte in der letzten Nacht in den klaren Himmel gesehen und war völlig fasziniert gewesen.

Nur Exodus hatte die Faszination rauben können. Sie verstand sich noch immer nicht mit ihm. Es war reine Höflichkeit, die sie nicht ihre ehrlichen Meinungen sagen ließ.

Elodie hatte draußen bei den Ställen gestanden und den Kopf in den Nacken gelegt, um die volle Pracht der winzigen Lichter sehen zu können. Orion jagte mit seiner mächtigen Keule im Süden den Stier, die Zwillinge sahen nur ruhig zu, während der große Wagen seine Bahnen drehte.

Exodus hatte sich neben sie gestellt und gelächelt.

"Wirklich schön, nicht wahr?", hatte er gesagt.

Elodie hatte genickt.

"Ja, es ist wunderbar, das Gott uns in der dunklen Nacht solche wunderschönen Dinge an den Himmel geheftet hat. Schade nur, dass sich der Himmel so dreht, dass man sie am Tag nicht sehen kann."

Er hatte sie nur mit Misstrauen angesehen, danach wieder den Kopf gehoben.

"Ich habe gehört, es soll schon im Jahre dreihundert vor Christus Gelehrte gegeben haben, die behaupteten, die Sterne drehen sich nicht um die Erde, sondern die Erde drehe sich, wodurch es nur so erscheint. Und es wurde behauptet, die Erde sei nicht Mittelpunkt der Welt."

Elodie sah ihn wütend an.

"Aber dem ist ja nicht so, nicht wahr, Monsieur Exodus? Gott hat die Erde geschaffen und den Menschen, und Sonne, Mond und Sterne drehen sich um unseren Planeten um die Krönung der Schöpfung zu erheitern."

Exodus lachte.

"Ihr nennt die Krönung der Schöpfung den Menschen, Mademoiselle? Wer bei Hofe seine Notdurft in den Ecken der Paläste verrichtet, ist für mich nicht jene Krönung der Schöpfung. Selbst Tiere halten ihre Höhlen sauber."

In Elodie begann es zu kochen.

"Monsieur, Ihr redet wie ein Ketzer, den man schnellstmöglich hängen sollte! Würde Euch jemals ein Mann Gottes so reden hören, wäret Ihr des Todes, dessen seid Euch gewiss! Ich halte nicht viel davon, Gotteslästerer in meinem Hause aufzunehmen, deswegen lernt, Eure Zunge zu hüten."

Wutentbrannt war sie gegangen.

Und jetzt saß sie hier in der Bibliothek, in der Hoffnung, etwas über jene Gelehrte zu finden, von denen er gesprochen hatte, und seine Thesen in der Luft zerreißen zu können. Doch hier stand nichts. Es hatte sie wahrscheinlich gar nicht gegeben...

Es war jetzt über drei Monate her, da war er zu ihr ins Kloster gekommen. Noch immer hatte er seinen wahren Namen nicht genannt, und noch immer schien er sie in jedem Gespräch, ob bewusst oder unbewusst, provozieren zu wollen.

Halb enttäuscht, halb zornig warf sie das Buch auf den Tisch.

Ein Gast, mit dem man sich nicht verstand, den man aber auch nicht rauswerfen durfte - es war eine Last, mit der sie der Kirche hoffentlich einen guten Dienst erwies.

Die Tür zur Bibliothek öffnete sich, Anne trat herein.

"Mademoiselle? Es sind zwei weitere Gäste eingetroffen, sie warten in der Eingangshalle."

Elodie stand auf und sah an sich herunter - es war schon spät, und sie war wieder aufgestanden, nachdem sie das Thema so beschäftigt hatte, daher hatte sie nur ihr weißes Negligé an.

"Ich komme. Wärest du so freundlich, noch zwei Zimmer herzurichten? Je nach dem ob Mann oder Frau in den verschiedenen Flügeln. Danke."

Anne knickste und ging den Korridor, den sie gekommen war, zurück, Elodie ging aus der Tür und schloß sie hinter sich, folgte Anne und fand sich bald in der Eingangshalle wieder.

Sie errötete.

"Verzeihung, ich bin nicht passend angezogen, um Gäste zu empfangen, doch ich hatte mich schon zu Bett gelegt...", sagte sie zu der Frau und dem Jungen, die vor ihr standen und musterte sie genau.

Die Frau war ganz in Schwarz gekleidet, ihr ebenfalls schwarzes Haar lugte nur ein wenig unter der Kapuze hervor. Ihre Gesichtszüge waren ungemein fein; schön geschwungene Lippen, eisblaue Augen unter dünnen Brauen und eine zierliche Nase.

Der Junge, keine fünfzehn, vielleicht nicht einmal vierzehn, hatte blondes, kurzes Haar, grüngraue Augen, einen schmalen Mund und jede Menge Sommersprossen auf der Nase. Was Elodie an ihm beschäftigte, war aber nicht sein Aussehen, nicht einmal sein Alter - es war die Kreatur um seine Schultern.

Eine Echse mit Flügeln, je nach Lichteinfall mit schwarzen oder blauen Schuppen. Ein Drache.

Die Frau lächelte.

"Das macht doch nichts. Wir wissen, dass es spät ist, doch wir hatten gehofft, trotzdem noch hier unterkommen zu können."

Elodie nickte geistesabwesend und hob den Blick von dem Drachen.

"Ja... Natürlich. Anne, eine Magd, richtet gerade zwei Zimmer her. Wenn Ihr mir bitte folgen würdet? Es wird noch ein wenig dauern, deswegen wäre es wohl besser, wenn Ihr erst einmal sitzen könntet."

Elodie führte sie zum Esszimmer, wo sich alle drei hinsetzten.

Die Frau lächelte, als sie sich niederließ.

"Mein Name ist Catherine Souchette. Mein Deckname auf dieser Reise war Persephone. Ich komme aus Rouen."

Elodie stutzte. Rouen? Sie sagte jedoch nichts.

Erst jetzt sprach der Junge, der bisher recht verängstigt gewirkt hatte.

"Ich bin Jean. Jean Horel. Mein Deckname war Hermes."

Catherine lächelte.

"Wir beide haben uns auf dem Weg hierher getroffen. Purer Zufall. Ich glaube, er denkt noch immer, man würde ihm sein geliebtes Drachenweibchen hier nehmen."

Elodie lachte.

"Nein, wozu? Ich bin ein bisschen verwirrt, das muss ich zugeben, aber warum sollten wir es dir wegnehmen? Ich hätte da nur eine Frage - soll es bei dir im Zimmer schlafen oder in den Ställen? Ist es nicht reinlich, so musst du es jedoch in deinem Zimmer selbst säubern!"

Jean blickte auf, zum ersten Mal sah man Freude in seinem Gesicht, seit er aufgebrochen war.

"Ich kann Avia behalten? Und sie darf sogar in meinem Zimmer schlafen? Danke!"

Der Drache erhob sich müde von seinen Schultern, drehte kurz ein paar Runden und legte sich dann auf den Tisch.

Catherines Lächeln hielt weiter.

"Siehst du, Jean? Ich hab es dir doch gesagt. Hier wird niemandem 'ein Dämon ausgetrieben'."

In diesem Moment öffnete sich die Tür, und Exodus trat ein.

Elodie wurde wieder wütend, doch diesmal nicht auf ihn. Er hatte mit Sicherheit schon geschlafen, dass sah man seinem müden Blick an. Giselle jedoch nicht.

Die Hausherrin lächelte ihm gezwungen zu.

"Guten Abend, Monsieur. Hier sind dann wohl zwei, die Euer Schicksal teilen. Persephone und Hermes, das ist Exodus."

Catherine sah sie verwirrt an, erhob sich kurz und stellte sich knapp vor.

"Catherine Souchette", sagte sie nur, Jean tat es ihr gleich.

Exodus lächelte.

"Mein Name bleibt erst einmal im Verborgenen, verzeiht mir meine Unhöflichkeit."

Die beiden nickten teilnahmslos und setzten sich wieder.

Exodus ließ sich neben Elodie auf einen Stuhl sinken.

Sie lächelte.

"Und? Habt Ihr gut geschlafen bisher?"

Er grinste.

"Eure Betten sind sehr weich, aber Eure Zofen handeln gerne im Interesse der Gäste."

"Sie sollte als Zofe in meinem Interesse handeln, sonst setze ich sie bald vor die Tür, sagt ihr das bitte das nächste Mal, wenn Ihr sie seht."

Er beachtete ihre Aussage erst gar nicht, faltete nur die Hände und stützte sein Kinn darauf.

"Und, hattet Ihr eine angenehme Reise?", fragte er höflich.

Jean strich über Avias Schuppenpanzer, während Catherine nickte.

"So angenehm, wie sie wohl sein kann", sagte sie und gähnte hinter vorgehaltener Hand.

Sie redeten noch ein wenig miteinander, das meiste reine Höflichkeit, doch dann trat Anne ein und berichtete, die Zimmer seien hergerichtet.

Elodie trug ihr auf, die beiden Gäste, die vollkommen übermüdet schienen, zu ihren Zimmern zu geleiten und ging selbst in ihres. Auch sie war müde.

Exodus blieb alleine im Esszimmer sitzen. Wahrscheinlich grübelte er noch ein wenig, das schien er gerne zu tun.
 

Der neue Tag brach an, und Elodie stand relativ früh auf.

Sie bat Giselle herein, als diese an die Tür klopfte.

"Mademoiselle? Soll ich Euch beim Ankleiden helfen?"

Elodie lächelte und nickte, während sie die Schnüre ihres Negligés am Ausschnitt öffnete und sich umkleidete.

Schließlich zog Giselle die Korsage des Kleides, das Elodie anzog, eng und schnürte sie zu, so dass Elodie im ersten Moment nach Luft schnappen musste.

"Giselle, ich muss noch mit dir reden.

Du bist meine Zofe, und ich hoffe, dir ist das klar. Meine Vertraute. Und es ist mir egal, wie sehr du den Engländer magst - du stehst in meinem Dienst und solltest nicht das tun, was mich erzürnt."

Die Bedienstete tat unwissend und überrascht.

"Wie bitte? Was meint Ihr, Mademoiselle?"

Elodie hielt sich am Türrahmen fest, während die Bänder verknotet wurden, weil sie sich nicht schütteln lassen wollte.

"Du wirst frech. Du weißt genau, was ich meine. Ich spiele auf gestern abend an. Und sage mir jetzt nicht, du hättest ihn nicht geweckt! Giselle, ich habe dich gerne aufgenommen, und ich fände es traurig, dich entlassen zu müssen, aber als meine Zofe schuldest du mir Respekt. Und wenn es dir noch so wenig passt."

Giselle nickte.

"Verzeiht, Mademoiselle. Ich weiß, es war unrecht und es stand mir nicht zu. Wenn es Euch nicht stört, gehe ich und sehe nach den anderen Gästen."

Elodie ließ ihre Zofe gehen.

Sie hingegen begab sich zum Arbeitszimmer.

Auf dem dunklen, schweren Schreibtisch lag ein Brief, das Siegel noch ganz. Er musste ziemlich früh angekommen sein, bestimmt hatte Anne ihn entgegengenommen. Die Magd konnte abends erst spät zu Bett gehen und musste morgens früh aus den Federn.

Elodie setzte sich und brach das Wachs um den Inhalt des Briefes zu lesen.
 

"Chère Mademoiselle Délieure,
 

Wir schickten Briefe an alle zwölf Mitglieder des Ordens und nannten ihnen ein Datum, den 29.04.1450.

Zu diesem Tag sollten alle zwölf im Kloster vereint sein. Sollte dieser Fall nicht zutreffen, so ersuchen wir Euch, uns dies zu schreiben. Außerdem erwarten wir einen Brief, sobald alle anwesend sind.

Das beigelegte Entgelt ist für jegliche Unkosten, die bei Euch anfallen werden.

Der nächste Brief wird das weitere Vorgehen von Kirche und Orden erläutern.
 

Hochachtungsvoll,

Die Kardinäle um Papst Nikolaus V."
 

Elodie wunderte sich über die Kürze des Briefes, besonders weil sie um mehr Informationen gebeten hatte, doch es störte sie nicht weiter. Das Datum war interessanter. Schon übermorgen. Und bisher waren erst drei Mitglieder eingetroffen. Doch ihr konnte es egal sein, sie hatte der Kirche folge geleistet.

Das beigelegte Entgelt musste wohl Anne angenommen haben, es lag kein Beutel auf dem Tisch.

Elodie ging durch die hohen Flure an ein paar Heiligenstatuen vorbei und begab sich ins Esszimmer.

Natürlich.

Exodus saß schon da und unterhielt sich mit Catherine und Jean. Als die Hausherrin das Zimmer betrat, verstummte das Gespräch. Dass sie vom Orden ausgeschlossen wurde, war ihr eigentlich ziemlich egal. Sie gehörte ja auch wirklich nicht dazu.

Sie setzte sich und nahm sich von Brot, Käse und Wurst, die auf dem Tisch lagen.

Catherine und Jean sahen auf ihren Teller und schwiegen, während Exodus die Arme mit den Ellen auf den Tisch stützte und sein Kinn auf die gefalteten Hände legte.

"Guten Morgen, Mademoiselle", sagte er höflich und lächelte, grinste beinahe.

"Guten Morgen, Monsieur", erwiderte Elodie und biss von ihrer Brotkruste ab, blickte aber nicht einmal auf.

Catherine hob den Kopf und sah die beiden an; wie er sie nicht aus den Augen ließ und ein gewisses Funkeln in seinen Augen glitzerte. Etwas Solches kannte sie sonst nur von Verliebten, hier aber schien es anders. Doch so sehr sie sich mühte, es zu lesen, sie vermochte es nicht.

Jean folgte mit seinem Blick dem Drachenweibchen, das glücklich seine Kreise im hohen Raum zog.

Exodus ließ seine Augen weiter auf Elodie ruhen.

"Und, Mademoiselle? Habt Ihr gut geschlafen?"

Elodie warf ihm nur einen kurzen Blick aus ihren grünblauen Augen zu, wandte sich dann wieder dem Essen zu.

"Eigentlich ist es an mir, Euch diese Frage zu stellen; seid Ihr doch mein Gast."

"So kann ich Euch sagen, dass ich einen ruhigen Schlaf hatte, aber trotzdem dankbar war, als Eure Zofe mich weckte und mir interessante Neuigkeiten berichtete."

Sie legte das Essen nieder und stand auf.

"Entschuldigt mich", presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, "doch ich will nach den Tieren sehen."

Jean, der erst mit dem letzten Satz zugehört hatte, sah sie verwundert aus großen Augen an.

"Aber Ihr habt Euer Frühstück nicht aufgegessen. Wer weiß, wann die nächste Hungerperiode einbricht, Mademoiselle?"

Exodus grinste jetzt.

"Genau, Mademoiselle Délieure. Ihr solltet das Essen nicht verschwenden."

Elodie warf ihm einen Blick zu, der ihn getötet hätte, hätte er es vermocht.

"Gib es dem Drachen", sagte sie knapp, nickte Catherine zu, die dem ganzen schweigend zusah und ging aus dem Raum.

Nachdem sie die Tür geschlossen hatte, atmete sie tief durch.

Anne kam in diesem Moment auf sie zu.

"Ein weiterer Gast ist eingetroffen, Mademoiselle. Den Beutel, den der Gesandte heute morgen brachte, habe ich zu dem anderen Geld gebracht, damit es sicher verwahrt ist."

Elodie nickte.

"Sehr gut, danke, Anne. Wenn du noch Zeit hast, bevor du etwas essen möchtest, bitte ich dich, Giselle zu suchen. Schick sie auf ihr Zimmer und verbiete ihr, es wieder zu verlassen, bevor ich nicht bei ihr gewesen bin."

Anne sah ihre Herrin verwundert an, nickte aber, machte einen Knicks und ging.

Elodie ging in die Eingangshalle.

Eine junge Frau sah sich beeindruckt um, ihr rötliches Haar flog bei schnellen Bewegungen ein wenig hin und her. Sie schien ein Alter von siebzehn zu haben, ihre Kleidung zeugte nicht von Reichtum.

Elodie ging auf sie zu.

Die Frau drehte sich zu ihr um.

"Bonjour, Mademoiselle. Bin ich hier in diesem Kloster richtig? Ich habe den Brief nur schlecht lesen können."

Elodie nickte.

"Ja, Ihr habt den rechten Weg eingeschlagen. Ich heiße Elodie Délieure. Seid willkommen."

Die Frau knickste.

"Mein Name ist Manon Fournier, mein anderer Name, den die Kirche mir gab, Fortuna."

Elodie lächelte.

"Gut, Manon. Seid Ihr hungrig? Oder wollt Ihr ausruhen?"

"Wenn es möglich ist, würde ich mich über etwas Eßbares sehr freuen."

Anne eilte wieder die Treppe hinunter.

"Mademoiselle? Giselle wartet."

"Ahh, Anne, sehr gut, danke. Wenn du jetzt frühstücken gehst, nimm Manon bitte mit und mache sie mit den anderen bekannt."

Die Magd nickte und der neue Gast ging mit ihr mit.

Elodie dagegen stieg schnell die Treppen hinauf. Als sie an Giselles Zimmertür kam, klopfte sie nicht einmal.

Sie schloß die Tür hinter sich und sah Giselle ins Gesicht, die aufgestanden war.

"Du erinnerst dich an unser Gespräch von vorhin?"

Die Zofe nickte.

"Natürlich, Mademoiselle."

"Hast du verstanden, was ich von dir verlangt habe?"

Giselle zögerte kurz.

"Ja, Mademoiselle, das habe ich."

Elodie atmete scharf ein.

"Höchst interessant. Denn du hast mir eindeutig zu verstehen gegeben, dass du meinen Ärger nicht bestärken willst. Und dennoch bist du heute zu Exodus gegangen und hast ihn mit irgendwelchen Neuigkeiten erfreut. Als erstes will ich wissen, welche das gewesen sein sollten."

Giselle schluckte.

"Ein Bote brachte die Nachricht, dass viele Menschen in der Umgebung in letzter Zeit nach unserem Kloster gefragt hatten. Es schienen auch Hexenjäger gewesen zu sein."

Elodie nickte knapp, das war ihr auch schon zu Ohren gekommen, und dennoch...

"Und warum hast du dich meinem Befehl widersetzt?"

Die Zofe blickte zu Boden.

"Exodus hatte mich darum gebeten, ihm solche Dinge mitzuteilen."

Von einer Ecke des kleinen Raums in den anderen gehend, dachte Elodie kurz nach, blieb dann stehen und sah ihre Bedienstete fest an.

"Gut, Giselle. Du hast dich meiner Order wissentlich widersetzt. Und nicht nur das: Du hast mir deine neuen Nachrichten nicht mitgeteilt, wie es eigentlich deine Aufgabe ist, sondern es lieber dem Engländer in meinem Hause berichtet. Das hat Folgen, wie du dir sicher denken kannst. Du hast dir in letzter Zeit viel herausgenommen. Ich hebe Anne in die Aufgaben meiner Zofe, ab jetzt musst du als Magd arbeiten. Oder gehen."

Ohne sich noch einmal umzudrehen verließ die Hausherrin das Zimmer und ging zurück zum Frühstückstisch.

Erneut verstummte das Gespräch mit ihrem Eintreten, aus dem nur Anne sich heraus zu halten schien.

Manon blickte lächelnd auf.

"Es ist wundervoll, endlich wieder etwas ordentlich zwischen die Zähne zu kriegen", sagte sie und lächelte mit gelblichen Zähnen, die ihr hübsches Gesicht ein wenig hässlicher machten.

Höflich lächelte Elodie zurück und nahm neben Anne Platz.

Die Magd mühte sich, in Gegenwart ihrer Herrin höflich zu essen, schloß den Mund um Schmatzgeräusche zu verhindern und schluckte, bevor sie sprach.

"Mademoiselle? Kann ich Euch helfen?"

Elodie schüttelte den Kopf.

"Iss in Ruhe weiter. Ich wollte dich nur unterrichten, dass du nach dem Essen Giselle erneut suchen kannst und ihr deine Aufgaben mitteilen kannst. Ihr Zimmer gehört vorerst dir, ich habe dich gerade zu meiner Zofe gemacht und Giselle zu den anderen Mägden geschickt. Ich hoffe, du weißt zu schätzen, dass ich dir diese Aufgaben erteile."

Annes Augen glühten, schnell schlang sie den Bissen in ihrem Mund hinunter.

"Ich danke Euch, Mademoiselle! Ich werde mein Bestes geben."

Elodie lächelte, dann wanderte ihr Blick entschlossen kurz zu Exodus, der das Gespräch wohl mit angehört hatte. Sie warf auch ihm ein Lächeln zu.

Hier sitze ich am längeren Hebel, dachte sie und stand auf.
 

Sie hatte den Lederhandschuh angezogen und sah Aer zu, wie er hoch oben am Himmel seine Kreise zog und sich schließlich auf die Erde stürzte, um etwas zu fangen.

Schwere Schritte kamen näher, Elodie wusste auch so, wer es war.

"Bonjour, Monsieur Exodus."

"Hello, Miss Délieure."

Verwirrt drehte sie sich um. Sie hatte ihn nie Englisch sprechen hören.

"Ich wusste doch, dass ihr mich so wenigstens einmal eines normalen Blickes würdigt."

Und schon sah sie wieder auf.

Er lachte.

"Euer Stolz ist der eines Mädchens, Mademoiselle."

Sie hob den Arm, und Aer ließ sich darauf nieder, dann ging sie auf ihn zu und sah ihm fest in die Augen.

"Und Euer Hochmut ist nicht auszuhalten. Könnte ich es, würde ich Euch nicht einen Tag länger in diesem Kloster die Zeit verbringen lassen. Doch die Kirche..."

Er sah sie abschätzend an.

"Mir scheint, Ihr lasst Eurer Wut langsam freien Lauf."

Er blickte ihr tief in die Augen, zuerst ernst, doch dann begann er sanft zu lachen.

Sie strich Aer über das weiche Gefieder.

"Warum lacht Ihr?"

Er sah zum Himmel.

"Ich hätte nicht gedacht, dass ich einst wiederholen müsste, was mein Freund mit Eurer Mutter tat."

Elodie ging zurück zur Voliere und ließ Aer in seinem Stall zurück.

"Und das wäre, Monsieur?", sagte sie verkniffen und drehte sich zu ihm.

Doch was er jetzt tat, damit hatte sie nicht gerechnet, sie war vollkommen überrascht.

Blitzschnell trat er auf sie zu, griff nach ihren Handgelenken, trieb sie ein paar Meter weiter und drückte sie kraftvoll, aber dennoch nicht hart an die Wand.

Ihr Herz begann zu rasen, vor Angst und Aufregung.

Seine grünen Augen blickten noch immer tief in die ihren, doch man konnte aus ihnen noch immer nichts lesen.

Er beugte sich vor und drückte seine Wange an ihre, um leise in ihr Ohr zu flüstern.

"Euch die Augen zu öffnen, Mademoiselle. In Eurem Blut liegt pure Naivität."

Er ließ von ihr ab und ging ohne ein weiteres Wort zurück.

Sie sah mit keuchendem Atem auf die Erde, legte eine Hand auf die Brust, durch die ihr Herz springen zu wollen schien und versuchte langsam, sich zu beruhigen.

"Dieser Mann ist das pure Mysterium", sagte sie leise zu sich selbst und sah hin, wo er verschwunden war.
 

Giselle klopfte an das Arbeitszimmer und trat ein. Glücklich sah sie keineswegs aus.

"Mademoiselle? Es sind gleich drei weitere Gäste eingetroffen. Sie stellten sich mir mit den Namen Uranos, Pandora und Gabriel vor."

Elodie nickte, Giselle knickste und verließ den Raum.

Die Hausherrin schrieb noch eben die letzten Sätze zu Ende, legte die Feder nieder und ging hinunter zur Eingangshalle. Die Tinte könnte jetzt trocknen.

Die neuen Gäste schienen sehr unterschiedlich.

Eine Frau, wohl jünger als Elodie, sah mit ihren blauen Augen gedankenverloren auf den Boden, keine einzige Gefühlsregung im Gesicht, die verriet, an was sie wohl dachte. Ihr blondes Haar musste sehr lang sein, es war geflochten und hochgesteckt worden; der Kopf sah beinahe beladen aus. Ihre Gestalt war hübsch, keine Narben im Gesicht, eine weiche Haut, die Lippen sehr rot, doch nicht zu sehr, sie schien außerdem sehr schlank. Elodie fiel auf, dass sie nur leichte Kleidung trug, die gewiss nicht viel wärmte.

Eine weitere Frau, noch sehr jung, sah sich beeindruckt mit wachen, grünen Augen um. Auch ihr Haar war blond, doch es war nur zurückgebunden und nicht so lang, wie das der Unbekannten neben ihr. Sie trug ein hellblaues Kleid, dass ihre Haut noch blasser wirken ließ, als sie ohnehin schon war. Sie schien ein wenig unsicher, aber dennoch sehr neugierig.

Ein weiterer Neuankömmling, ein Mann, beobachtete Elodie, wie sie die Treppe hinunterging. Seine Kleidung zeugte durchaus von Reichtum, weiche, farbenfrohe Stoffe. Er hatte braunes Haar und tiefe, braune Augen, bei denen es nicht unangenehm war, so durchdringend gemustert zu werden. Sie schätzte sein Alter auf Mitte zwanzig.

"Bonjour, Mesdemoiselles et Monsieur."

Die drei nickten und gaben ihr die Hand, als sie unten angekommen war.

"Bonjour, Mademoiselle", sagte der junge Mann und ergriff so das Wort der drei.

"Mein Name ist Phillippe de Talére, oder auch Gabriel. Diese junge Frau", sagte er und zeigte auf die jüngste, "heißt Florette Cadure, ihr Deckname war Uranos, und die dritte im Bunde ist Nathalie Lambour, auch genannt Pandora. Ich schätze, Ihr seid Elodie Délieure?"

Elodie nickte.

"Richtig. Ich freue mich, Euch begrüßen zu dürfen. Kann ich etwas für Euch tun, um es Euch angenehm zu machen?"

Er nickte dankbar.

"Wir hätten gerne alle etwas zu Essen, und danach wollten sich die Damen ausschlafen."

Elodie nickte, ging zu der Treppe und läutete die Glocke.

Giselle kam nach kurzer Zeit und machte einen Knicks.

"Ja, Mademoiselle?", fragte sie.

"Giselle, serviere den drei ein Mahl, was auch immer sie verlangen. Und danach bringe die Mesdemoiselles auf ihr Zimmer. Das wäre alles."

Die jetzige Magd knickste ein weiteres Mal und wandte sich an die drei Gäste.

"Folgt mir bitte."

Phillippe ging ihr sofort nach, Florette hob den Kopf wieder, um sich umzusehen. Nathalie dagegen blieb bei Elodie stehen.

"Mademoiselle? Ich hätte noch einen weiteren Wunsch. Könnten wir die anderen Ordensmitglieder sprechen?"

Elodie nickte.

"Ich glaube, Jean ist schon zu Bett, und auch die anderen sind schon auf ihren Zimmern, doch ich werde sehen, was ich tun kann."

Nathalie lächelte.

"Danke", sagte sie und ging Giselle hinterher.

So ging Elodie die Treppen wieder hinauf, an ihrem eigenen Schlafzimmer vorbei und weiter in den Flügel der weiblichen Gäste.

Zuerst klopfte sie an Catherines Tür.

"Ja bitte?"

Sie drückte die Klinke hinunter und ging in das Zimmer.

Catherine saß an ihrem Spiegel und kämmte ihr seidiges schwarzes Haar, sie schien sich gleich für den Schlaf umziehen zu wollen.

"Catherine? Es sind drei weitere Gäste eingetroffen, und ein Gast bat darum, mit Euch zu sprechen."

Persephone nickte.

"Ja, gut, wo finde ich sie?"

"Im Esszimmer", sagte Elodie, nickte und verließ das Zimmer wieder.

Sie wollte gerade an Manons Zimmertür klopfen, als diese wie aus dem Nichts an ihrer Seite erschien. Sie erschrak fürchterlich und atmete tief durch.

"Wo kommt Ihr so schnell her?"

Manon schüttelte den Kopf, sie verstand nicht.

"Aber ich bin doch ganz normal aus der Tür gegangen und habe mich neben Euch gestellt", sagte sie, zuckte zusammen und fasste sich mit zwei Fingern an die Schläfe.

"Diese Kopfschmerzen", stöhnte sie leise.

"Ich wollte Euch nur bitten, ins Esszimmer zu gehen, wenn Ihr wollt. Es sind drei weitere Mitglieder eingetroffen."

Manon nickte.

"Ja, ich gehe..."

Elodie änderte die Richtung und lief an den Heiligenstatuen vorbei in einen anderen Flügel. Als sie an der Statue des Papst Johannes Anglicus vorbeiging, schüttelte sie den Kopf. Welch Blamage für die Kirche... Diese Statue hätte längst umgeändert werden sollen. Dieser Papst war schlimmer als ein Heide gewesen...

Im Männerflügel klopfte sie an Exodus' Tür.

"Bitte?"

Sie ging hinein und er begann sofort zu Lächeln. Im Kamin prasselte fröhlich ein warmes Feuer.

"Ich hatte gehofft, Giselle würde kommen", sagte er mit einem Grinsen.

Sie schluckte ihren Ärger hinunter.

"Da Ihr sonst auch so interessiert an neuen Gästen seid, könnt Ihr Euch ins Esszimmer begeben", sagte sie knapp und verließ das Zimmer wieder.

Dann ging sie zur nächsten Tür, doch auf ihr Klopfen kam keine Reaktion.

Vorsichtig drückte sie die Klinke hinunter.

Jean schlief friedlich unter der warmen Decke, neben ihm Avia, die sofort den Kopf hob und Elodie aus schwarzen Augen wie Perlen ansah.

"Na, du tapfere Wächterin?", sagte Elodie leise mit einem kleinen Lächeln, fasste Jean sanft an den Schultern und weckte ihn auf.

"Jean? Jean, wach auf."

Er öffnete verschlafen die Augen.

"Ja?"

"Möchtest du ein paar weitere Mitglieder kennenlernen? Dann kannst du nach unten ins Esszimmer gehen. Du kannst aber auch weiter schlafen."

Er schüttelte den Kopf.

"Nein, ist schon gut, ich gehe", sagte er und gähnte, während Avia um vollends wach zu werden ein paar Kreise im Raum zog.

"Ich zieh mich nur noch eben richtig an", meinte Jean, und Elodie nickte.

"Ja, mach das."

Sie ging aus dem Raum und schloß die Tür hinter sich. Exodus lehnte an der Wand und sah sie lächelnd an.

"Ihr habt viel von Eurer Mutter. Sehr viel. Doch ist einiges komplett anders. Ich hoffe, Ihr verzeiht mir meinen Fehler, den ich zu Anfang beging. Wer Euch sagte, Ihr seid wie sie, log Euch nicht ins Gesicht. Er kannte sie nur nicht ganz."

Elodie schnaubte.

"Aber Ihr habt das getan?"

"Mademoiselle, ich war noch ein Kind, als ich sie kennenlernte. Aber ich habe Seiten an Ihr gekannt, die andere nicht bemerkt haben."

Sie hatte einfach keine Lust, darauf etwas zu erwidern.

"Wie auch immer. Geht besser zu den anderen."

Er lächelte breiter.

"Ich werde auf Jean warten. Er hat es ziemlich schwer hier als einziges Kind, wie mir scheint. Nur gut, dass er Avia hat..."

Elodie zog die Augenbrauen in die Höhe. Solche Seiten hatte sie bei ihm nicht vermutet.

Sie gähnte.

"Entschuldigt mich, aber ich muss dem Gespräch wohl nicht beiwohnen. Im Gegenteil, ich störe ja immer. Ich werde zu Bett gehen, wenn mich jemand sucht."

Er nickte, und sie ging an ihm vorbei.

In ihrem Zimmer half Anne ihr beim entkleiden, sie schwiegen beide viel und wechselten nur wenige Worte.

Als sie sich ins Bett legte, fiel sie schnell in einen tiefen Schlaf.
 

Beim nächsten Frühstück sahen alle sehr erschöpft aus, bis auf Elodie. Das Gespräch hatte wohl bis tief in die Nacht gedauert. Jean hatte man daher irgendwann schlafen lassen.

Schweigend nahm jeder sein Essen ein, solange, bis Giselle die Tür öffnete. Ihr erster Blick fiel auf Exodus, sofort wurde ihre Haltung gerader.

"Mademoiselle?", sagte sie mit einem Blick auf ihre Herrin, "Es ist ein weiterer Gast eingetroffen. Er hat sich mir mit Raphael vorgestellt."

Elodie nickte und erhob sich, mit ihr jedoch Exodus. Sie war überrascht.

"Ich möchte nur mit Euch gehen", sagte er erklärend.

Sie zuckte mit den Schultern und ging in die Eingangshalle.

Der Mann, der dort stand, hatte eine stark von der Sonne gebräunte Haut, seine Gesichtszüge waren sehr grob. Er war relativ groß, seine Kleidung beschmutzt und sein Haar filzig.

Exodus stellte sich in den Hintergrund.

"Bonjour, Monsieur", sagte Elodie freundlich.

Er nickte nur.

"Bin ich hier im Kloster, in dem sich der Orden der Ersten Magischen Existenz zusammenfindet?"

Sie nickte, jetzt zögernd.

"Ja, das seid ihr."

Etwas geschah, womit sie nicht gerechnet hatte.

Der Fremde griff an sein Schwertheft und zog es aus der Scheide.

Blitzschnell reagierte sie und wich dem Schlag aus. Sie hielt sein rechtes Handgelenk fest und hob das Knie zu seinen ungeschützten Weichteilen; schlug fest zu.

Der Griff um das Heft wurde lockerer, und sie entwand es ihm mit Mühe.

Er sank vor Schmerz zusammen, sie wartete mit der Klinge auf ihn gerichtet ab.

Seine Hand wanderte unbemerkt zu seinem Dolch, zog ihn und wollte ihn Elodie in eine Wade treiben, doch dank des Kleides erwischte er nur Stoff.

Sie hob den Saum an und trat ihm so fest sie konnte ins Gesicht.

Er fiel nach hinten über und bedeckte mit der Linken die blutende Nase, der Dolch rutschte aus seiner Hand und schlitterte von ihm weg.

Sie drückte die Klinge des Schwertes leicht an seinen Hals.

"Keine Bewegung mehr, klar?"

Doch etwas Unerklärliches geschah. Ein Kranz aus Feuer drehte sich um den Hals und die Ohren des Fremden und ließ ihn vor Schmerz aufschreien. Dann erstickte der Schrei, und der Mann atmete keuchend weiter.

Sie drehte sich zu Exodus um, der die Hand wieder senkte.

"Ihr könnt ihn jetzt gehen lassen. Er wird keinem anderen Hexenjäger sagen können, wo wir sind. Ich schätze nicht, dass Ihr ihn töten wollt. Und ich glaube nicht, dass er schreiben kann und so von diesem Tag berichten kann."

Der Fremde erhob sich und rannte aus dem Kloster.

Exodus lächelte.

"Ihr habt Glück, dass Ihr eine Frau seid. So rechnet niemand mit Euren Reaktionen. Bei einem Mann wäre der Hexenjäger sicher besser gewesen, gerade war er sehr überrascht. Ihr solltet vorsichtiger sein."

Elodie, der der Schweiß auf der Stirn stand, sah ihn ungläubig an.

"Ihr habt gewusst, dass er kein Mitglied ist. Woher? Woher wusstet Ihr, dass er ein Hexenjäger ist?"

Exodus lächelte.

"Die Hexenjäger wissen, dass wir Decknamen haben. Sie wissen aber nicht, welche Decknamen das sind. Manche von ihnen haben sich selbst ebenfalls anders genannt, in der Hoffnung, sie könnten uns so besser aufspüren, was meiner Meinung nach aber nur in noch mehr Verwirrung endet. Glauben sie, einen von uns aufgespürt zu haben, stellen sie sich mit ihrem neuen Namen vor, in der Hoffnung, Vertrauen zu erwecken. Und das können sie sogar, keiner von uns weiß, wie die anderen heißen. Allerdings finden sie so auch oft Gleichgesinnte, die sich ebenfalls einen anderen Namen aneignete.

Mademoiselle, wisst Ihr, wer Raphael ist?"

Elodie nickte.

"Natürlich. Raphael ist einer der Erzengel, auch genannt 'Medizin Gottes', er soll daher heilen können. Ich glaube, er ist der Schutzengel der Priester, bin mir aber nicht sicher..."

Exodus lächelte.

"Eine wahre Christin. Ihr wisst, was ich mit Feuer machen kann. Wir haben alle irgendeine solche Kraft, und ich weiß, dass es unter uns keinen Heiler gibt. Raphael wäre also gänzlich unpassend. Und sosehr die Kirche teilweise bei den Decknamen gepfuscht hat, einen solchen Fehler würde sie dann doch nicht begehen."

Elodie nickte.

"Darf ich fragen, was Ihr mit dem Mann gemacht habt?"

Exodus lächelte weiter.

"Ich habe seine Stimme und sein Gehör nutzlos gemacht."

"Ich schätze, das war gut so", sagte Elodie, sie wurde recht leise.

"Wo habt ihr gelernt, einen Mann so zu überraschen und zu entwaffnen?"

Elodie zuckte mit den Schultern.

"Als ich noch ein kleines Mädchen war gab es hier einige Dienstboten, die meinten, mich - als Kleinste - ärgern zu können. Ich habe mich immer mit ihnen angelegt. Und mit zunehmendem Alter haben wir dann nicht mehr gespielt, sondern trainiert. Wobei ich das als Mädchen natürlich heimlich machen musste, denn es war ja unschicklich."

Er lachte leise in sich hinein, sie dagegen seufzte.

"Gut, Monsieur, ich glaube, wir können wieder essen. Ich hasse es, wenn man mich dabei stört", fügte sie eigentlich nur für sich hinzu und ging an ihm vorbei in das Esszimmer.

Ihre anderen Gäste sahen sie erwartungsvoll an.

Elodie schüttelte nur den Kopf und zuckte mit den Schultern.

"Ein Hexenjäger", sagte sie knapp und ließ sich auf ihren Sitz sinken um den Rest, der auf ihrem Teller geblieben war, einzunehmen.

Florette sah Catherine und Exodus, die beiden ältesten im Raum, an.

"Aber ich dachte, heute sollten alle eintreffen? Wir waren schon recht spät."

Catherine nickte.

"Ja, wer heute nicht ankommt, der soll, soviel ich weiß, von Mademoiselle Délieure der Kirche gemeldet werden. Aber es ist ja erst morgen, sie haben noch den ganzen Tag, um einzutreffen."

Florette nickte und biss an ihrem Brot ab, Catherine musterte Elodie ziemlich genau.

Diese zuckte erneut mit den Schultern.

"Ihr habt es doch selbst gesagt. Ich habe diese Order von der Kirche bekommen, deshalb werde ich sie auch ausführen."

Sie sah Exodus aus den Augenwinkeln den Kopf schütteln, Catherine atmete einmal tief durch und sah auf ihren Teller.

Elodie stand auf.

"Entschuldigt mich", sagte sie und verließ den Raum, ohne überhaupt zu wissen, warum.

Hatte sie denn hier eine Gruppe von Ketzern in ihr Haus gelassen?

Vielleicht überwachte die Kirche ja den Orden, und wer heute nicht ankam, der hatte sich widersetzt?

Sie schüttelte den Kopf.

"Nein", sagte sie sich selbst, "ein kleiner Junge, in Jeans Alter, würde niemals jetzt schon zu einem Ketzer werden. Solche Gedanken müssen lange reifen... Mich stört nur, dass ich gar nicht mehr essen kann, weil ich andauernd aufstehen und weggehen muss!"

Sie verwarf den Gedanken vorerst.

Es führte sie in die Bibliothek.

Aus den hohen Regalen zog sie schließlich einen Band über Pflanzen heraus und schlug ihn an irgendeiner Seite auf, auf der zu lesen war, wie man sich die Haare mit Hilfe eines Holunderbeersafts dunkel färbte.

Sie las nur halbherzig, doch das eine lange Zeit, bis Giselle schließlich eintrat.

"Mademoiselle? Wieviele Gäste fehlen noch?"

Elodie zählte kurz nach.

"Ohne dass es dich etwas anginge, es sind fünf."

Die Magd errötete.

"Verzeiht, Mademoiselle. Jetzt sind es nur noch zwei, drei weitere sind eingetroffen und erwarten Euch in der Eingangshalle."

Elodie nickte, schlug das Buch zu und stellte es zurück in das Regal, aus dem sie es genommen hatte.

Als sie an Giselle vorbeiging, drehte sie sich noch kurz um.

"Ach ja, Giselle. Bevor ich es vergesse... Ich kann dir den Kontakt mit Exodus nicht verbieten, ich will es auch gar nicht, aber ich will dich noch einmal darauf hinweisen, dass du an ihn keinerlei Informationen weiterzuleiten hast, ohne dass ich dir ein Einverständnis gegeben habe."

Giselle knickste.

"Jawohl, Mademoiselle."
 

Dieses Mal waren es zwei Männer und eine Frau, der eine war sehr kräftig und stärker bewaffnet, er war offensichtlich Söldner, hatte dunkelbraunes Haar und braune Augen, er schien Anfang zwanzig zu sein.

Der andere Mann, er hatte blondes Haar und einen kurzen Kinnbart, war mit teuren Stoffen bekleidet, doch er schien nicht adelig zu sein.

Die Frau, sie schien Catherines Alter zu haben, war ganz in weiß gekleidet. Um ihren Hals hing ein Kruzifix, man sah ihr braunes Haar unter der Haube hervor; beides sagte Elodie, dass die Frau eine Nonne war.

Sie alle waren nass geworden von dem starken Regen draußen.

"Bonjour", sagte Elodie und ging auf sie zu.

Der große Mann nickte.

"Bonjour. Seid Ihr Mademoiselle Délieure?"

"Ja."

"Mein Name ist Antoine Dixier, mein Deckname war", sagte er und zögerte kurz, "Gaia."

Offensichtlich war es ihm peinlich, dass sein Name der der griechischen Erdgöttin war.

Die Frau trat ein wenig vor.

"Bonjour, Mademoiselle Délieure. Ich heiße Hélène Monnin, oder auch", wieder ein Zögern, "Luzifer."

Elodie zog die Augenbrauen in die Höhe. Was hatte sich die Kirche damit gedacht? Noch eine Hexenjägerin? Nein, das Amt bekleideten nur Männer.

Der Letzte stellte sich vor.

"Mein Name ist Laurent, Laurent Charvet, Deckname Genesis."

Giselle hatte sich im Hintergrund aufgestellt.

"Gut", sagte Elodie, "ich schätze, Ihr wollt etwas essen oder ausruhen? Giselle wird Euch in Eure Zimmer oder in das Esszimmer führen. In Euren Zimmern liegt auch trockene Kleidung."

Als sie gerade mit ihrem Satz geendet hatte, öffnete sich die Tür erneut und eine Frau, mit dicker Kleidung, die eigentlich schon viel zu warm schien für dieses Wetter draußen, trat ein und sperrte den starken Regen, der eindringen wollte, aus.

Sie streifte die Kapuze von ihrem Haar und lächelte.

"Bonjour! Bin ich hier richtig, bei einer Mademoiselle Délieure?"

Elodie nickte.

"Ja, das seid Ihr. Bonjour", antwortete sie und musterte auch diese Fremde.

Sie hatte braunes Haar, blaue Augen und ihre Gesichtszüge waren relativ fein, eine schöne Frau. An ihrer rechten Hand trug sie einen Ring.

Sie nickte den anderen zur Begrüßung zu.

"Mein Name ist Marielle Blanchard, die Kirche gab mir das Pseudonym Merkur."

Elodie nickte.

"Seid uns willkommen, Madame. Solltet Ihr etwas Essen wollen, könnt Ihr Euch in das Esszimmer begeben, wenn Ihr Euch umziehen wollt, könnt Ihr auf Euer Zimmer gehen; Kleidung ist vorhanden. Folgt einfach Giselle", sagte sie und wandte sich dann an alle, "Ich bitte, mich zu entschuldigen, sollte mich jemand suchen, ich bin in meinem Arbeitszimmer."

Sie ging die Treppe wieder hoch, während die kleine Gruppe der Magd hinterherging.

Exodus kam ihr entgegen, mit wehendem Mantel.

Sie blieb stehen.

"Wollt Ihr bei diesem Wetter etwa das Haus verlassen?"

Er setzte sein - ein wenig herablassendes - Lächeln wieder auf.

"Macht Ihr Euch Sorgen um meine Gesundheit, Mademoiselle?"

Sie errötete aus irgendeinem Grund.

"Nein, aber... Der Schlamm wird Eure Kleidung verdrecken, und Giselle ist das Waschen nicht mehr gewöhnt", antwortete, stammelte sie fast. Warum sagte sie so etwas Belangloses?

Er zuckte mit den Schultern.

"Sie muss wohl damit zurechtkommen, schließlich habt Ihr sie zur Magd gemacht.

Um ehrlich zu sein, will ich unbedingt ausreiten. Corbeau braucht unebdingt Bewegung."

Sie zog die Augenbrauen zusammen.

"Mit Verlaub, doch warum habt Ihr Euren Hengst Corbeau genannt?"

Er schien in Gedanken versunken, als er mit glücklichem Gesichtsausdruck antwortete.

"Ich habe ihn geschenkt bekommen. Um ehrlich zu sein, hat man mich zu einer Pferdewiese gebracht und mich wählen lassen. Ich war zu dem Zeitpunkt neunzehn. Corbeau war fast noch ein Fohlen, und er rannte vollkommen frei über die Wiese, sein schwarzes Fell glänzte in der Morgensonne... Ich fand Corbeau in dem Moment durchaus passend."

Sie lächelte.

"Monsieur, habt Ihr etwas dagegen, wenn ich Euch mit meiner Stute Gloire begleite?"

Er schüttelte den Kopf.

"Nein, doch ich würde Euch raten, bei dem Regen etwas überzuziehen. Ich werde bei den Ställen warten."

Sie nickte, ging in ihr Schlafzimmer und zog einen dicken Wollmantel heraus. Er würde sich schnell vollsaugen und schwer werden, doch etwas anderes hatte sie im Moment nicht zur Hand. Außerdem zog sie so schnell sie konnte ihr Kleid aus, da sie keinen Damensattel besaß und daher eine Hose benötigte.

In aller Hoffnung, sich mit ihrem Gast doch noch vertragen zu können, stieg Elodie die Treppe wieder hinunter, und Giselle kam ihr mit Marielle und Florette entgegen.

"Giselle, ich reite aus. Sollte das letzte Mitglied eintreffen, bitte einen kräftigen Mann - vielleicht Antoine - ihn mit dir zu begrüßen. Man weiß ja nie..."

Sie ging durch die Tür und um das Kloster, darauf bedacht, unter den höher gewachsenen Bäumen entlang zu gehen, um wenigstens ein wenig Regen von sich abzuhalten.

Exodus war gerade dabei, Corbeau die Trense anzulegen, den Sattel hatte er schon festgezurrt. Er war offensichtlich schnell im Umgang mit seinem Pferd.

Er sah sie abschätzend an.

"Und Ihr glaubt tatsächlich, der hält Euch warm?"

Diesmal war es an ihr, zu lächeln.

"Oh, Monsieur, sorgt Ihr Euch um meine Gesundheit?"

Er schüttelte den Kopf.

"Nein, aber um Euren Verstand."

Sie wollte gerade den Mund aufmachen, als er abwehrend die Hände hob.

"Verzeiht, Mademoiselle, doch wer dumm fragt, bekommt dumme Antworten."

Elodie wusste nicht, worauf er hinauswollte: War es dumm, daran zu denken, er mache sich Sorgen um sie, oder dumm, es in Frage zu stellen?

"Monsieur, man lehrte mich, dass keine Frage eine dumme sei."

Er zuckte mit den Schultern und wies auf die Schimmelstute.

"Soll ich sie für Euch satteln, oder wollt Ihr das tun?"

"Ihr könntet mir helfen, sie zu putzen, die Gurte sollen nicht schürfen."

Er nickte und nahm zwei der Pferdebürsten aus dem Behälter der Putzsachen, die am Ende des Pferdestalles neben den Boxen stand, eine gab er ihr.

Gloire hatte sich wohl ein- oder zweimal gewälzt, es dauerte seine Zeit. Doch schließlich war sie gesattelt.

"Exodus, könntet Ihr für mich die Trense anlegen? Ich würde Aer gerne mitnehmen."

Er nickte, sie ging daraufhin zur Voliere um den Lederhandschuh anzulegen und gut fest zu machen.

Der Bussard flog recht schnell auf sie zu, sie hielt die beiden Bänder an den Krallen fest in ihrer Hand.

Dann ging sie zu Gloire und setzte sich in den Sattel, griff mit der freien Hand nach den Zügeln.

"Bereit, Mademoiselle? Oder wollt ihr noch ein Tier mit Euch nehmen?"

Sie schüttelte den Kopf.

"Nein, es kann losgehen."

Er nickte und drückte Corbeau die Beine in die Flanken. Der Hengst setzte sich weich in Bewegung.

Elodie ritt ihm hinterher und war schnell auf seiner Höhe. Sie drückte ein weiteres Mal mit ihren Beinen, und Gloire fing an zu traben, sanft hob und senkte die Reiterin den Po um möglichst angenehm voranzukommen.

Sie stellte relativ schnell fest, dass Corbeau ein sehr eigenwilliges Pferd war, was aber durchaus zu Exodus passte, wie sie fand.

Sie ritten die Allee, die zum Kloster führte, in dem aufgeweichten Boden hinab, die Hufe spritzen den Schlamm hoch und das Regenwasser fiel in dicken Tropfen von den Ästen und in Elodies Nacken, von wo aus es den Rücken hinab rann, um schließlich von der Kleidung aufgenommen zu werden.

Als die Bäume am Rand schließlich zahlreicher und dicker wurden, bogen sie irgendwann links ab; ein sehr viel kleinerer Pfad, der in den Wald führte.

Elodie ließ die Lederriemen los und half Aer, als er sich in die Luft erheben wollte, mit einem kleinen Schwung des Arms.

Er rief einmal laut und kreiste über den Reitern.

Exodus lächelte, seine hellen Zähne waren auf irgendeine Art und Weise faszinierend.

"Ein schönes Tier", sagte er und fiel zurück in den Schritt, nachdem sie nun eine ganze Weile schneller geritten waren.

"Ja", antwortete Elodie und lächelte geschmeichelt, "ich habe ihn selbst aufgezogen. Ich bin sehr stolz, dass er mich so gut versteht und mir gehorcht."

Er nickte.

"Das ist verständlich."

Als sie ernst nach oben sah, zog Exodus eine Augenbraue in die Höhe.

"Wie ihr gerade den Himmel anseht, erinnert Ihr mich sehr an Eure Mutter, Mademoiselle."

Elodie war sich sicher, dass er mit dieser Aussage irgendetwas bezweckte, doch als sie ihn ansah, entdeckte sie tatsächlich Aufrichtigkeit in seinem Blick.

"Ihr verwundert mich, Exodus. Auf der einen Seite wirkt Ihr so... bitter auf mich, auf der anderen Seite fühle ich mich in Eurer Gegenwart wohl. Solange, bis Ihr wieder etwas Falsches sagt."

Exodus richtete den Blick nach vorn und sah ernst aus, als er antwortete.

"Seid Ihr also tatsächlich einmal ehrlich?"

Schon verwunderte er sie wieder.

"Glaubt Ihr, ich bin es sonst nicht?"

Er zuckte mit den Schultern.

"Ich glaube, ich hoffte, dass Ihr manchmal die Dinge nicht so meint, wie Ihr sie sagtet. Offensichtlich eine Täuschung, dass ich es annahm."

Der Regen prasselte immer noch auf Stoff und Haut, perlte davon der Haut ab, während der Stoff versuchte, noch mehr Flüssigkeit einzusaugen.

Sie legte zwei Finger an den Mund und pfiff.

Aer kam heruntergeflogen und ließ sich auf ihrem ledernen Handschuh nieder.

"Genau das ist es, was ich eben meinte. Es tut mir Leid, doch ich glaube, ich bin nass genug. Das Sattelleder geht durch den Regen nur kaputt. Ich werde zurück reiten. Gloire wird auf der Wiese hinter den Ställen noch mehr Bewegung bekommen, wenn sie meint, sie zu brauchen.

Entschuldigt mich, Ehrenwerter Gast", fügte sie mit einem beinahe ironischen Unterton hinzu, den sie eigentlich gar nicht so beabsichtigt hatte.
 

Sie kämmte ihr noch nasses Haar und blickte in den teuren Silberspiegel.

War das Gesicht ihrer Mutter in dem ihren widergespiegelt?

Jeder behauptete, sie sei genau wie sie. Natürlich hatte ihr das geschmeichelt. Nur Exodus hatte dem entschieden widersprochen.

Jetzt blickte sie sich im Spiegel ratlos an.

Ihre Abstammung hatte ihr auf irgendeine Art und Weise einen Teil ihrer Persönlichkeit gegeben.

Denn auch wenn sie ihre Mutter nie kennengelernt hatte - sie starb ein paar Tage nach Elodies Geburt -, so hatte sie dennoch klare Vorstellungen von ihr. Wenn sie wie ihre Mutter gewesen wäre, hätte sie jene vorgestellten Charakterzüge.

So fragte sie sich, wer sie eigentlich war. Hatte sie allen, sogar sich selbst etwas vorgespielt?

Sie warf den Kamm auf den Tisch und stand entschieden auf.

"Jeder, der wusste, wer sie war, sagte, ich sei wie sie, bevor sie so anders wurde. Nur ein einziger hat seine Stimme dagegen erhoben", sagte sie nachdrücklich zu sich selbst.

Und doch nagte weiter der Zweifel.

Sie schob diese Gedanken zu Seite und wandte sich zur Tür.

Ein paar Türen weiter ging sie in ihr Arbeitszimmer, setzte sich an den Schreibtisch, öffnete eine Schublade und zog ein Stück Pergament sowie das Tintenfaß hervor. Sie griff nach der Adlerfeder und begann zu schreiben.
 

"An die Kardinäle um Papst Nikolaus V.
 

fast alle Mitglieder sind inzwischen eingetroffen. Wir schreiben den 29.04.1450, doch ein zwölftes Mitglied fehlt. Die Sonne ist untergegangen, und ich glaube nicht, dass noch jemand eintreffen wird. Ich hoffe, im nächsten Brief mehr über den Orden der Ersten Magischen Existenz erfahren zu dürfen.
 

Ehrfurchtsvoll,

Elodie Délieure von Orléans"
 

Sie versiegelte den Brief, adressierte ihn, nahm ihn mit und ging zu Giselle.

Die Magd sah sie demütig an. Es hatte wohl geholfen, ihr den hohen Stand unter ihren Bediensteten zu nehmen.

"Giselle, du fährst noch heute in die Stadt zum Markt. Nimm den Brief mit und gib ihn im Gasthaus ab, dort wird ihn die nächste Postkutsche mitnehmen."

Giselle knickste und wandte sich um.

"Ach, und Giselle? Tu mir den Gefallen und zeige ihn nicht vorher Exodus."

Die Magd schluckte bei dem scharfen Kommentar und ging.
 

(ich habe dieses Mal nicht auf FF-Codes geachtet, ich hoffe, man merkt, wenn es sarkastisch sein soll ^^;;)

Es dauerte lange, bis eine Antwort kam. Dann aber, nach einem Monat, kam eine große: Ein Gesandter der Kirche.

Der Mann trat selbstbewusst in die Eingangshalle.

Er entrollte einen Zettel, als Elodie die Treppe zu ihm hinunter lief.

"Mademoiselle Délieure?", fragte er und sah sie aus seinen blaugrünen Augen musternd an.

Exodus kam aus der Bibliothek und lehnte sich gegen die Wand der Treppe, er schaute stumm zu.

"Ja", sagte sie und knickste, "Wie kann ich Euch helfen, Monsieur?"

Er warf einen Blick auf das Stück Papier.

"Erst einmal indem Ihr mir sagt, wer schon eintraf. Exodus kam mit einem Gesandten, wie ich hörte. Wie steht es mit Genesis?"

Elodie nickte.

"Eingetroffen."

"Merkur?"

"Ebenso."

"Persephone?"

"Ja."

"Luzifer?"

"Auch."

"Gabriel?"

"Ja."

"Gaia?"

"Eingetroffen."

"Aglaia?"

Elodie stutzte. Das fehlende Mitglied, das nicht angekommen war.

"Nein, ich muss Euch enttäuschen."

Der Mann sah auf.

"Ich werde mich gleich darum kümmern. Lasst uns noch eben bitte diese Liste durchgehen.

Pandora?"

"Eingetroffen."

"Fortuna?"

"Auch."

"Uranos?"

"Befindet sich im Kloster."

"Und Hermes?"

"Ebenso."

Er nickte, steckte den Zettel zurück in eine seiner Taschen und zog ein paar andere heraus.

"Monsieur, wollen wir uns nicht ins Kaminzimmer setzen?"

Er ließ die Hand in der Tasche und sah sich um, als fiele ihm jetzt erst auf, dass er noch immer in der Eingangshalle stand.

"Natürlich, ja."

Elodie knickste leicht.

"Folgt mir bitte, Monsieur", sagte sie, drehte sich um und ging zwischen den Treppen rechts und links hindurch und drückte die Tür der Klinke herunter, die ihr gegenüber lag. Rechts ging es zur Bibliothek, aus der Catherine kam und sich neben Exodus stellte, der im Begriff war, hinter Elodie und dem Gesandten in den Raum zu gehen.

"Monsieur, ist es genehm, wenn ein paar meiner Gäste uns begleiten?", fragte die Hausherrin vorsichtig.

Der Gesandte nickte.

"Natürlich."

Der große Raum war mit einem Kamin mit breiter Feuerstelle ausgestattet, weiche und teure Sessel waren außerdem zu finden, manche einzeln im Raum, manche um einen Tisch gestellt. Elodie setzte sich an einen dieser Tische und bot dem Fremden einen Platz an. Catherine und Exodus setzten sich ebenfalls.

"Also", begann der Gesandte und zog etwas Geschriebenes aus der Tasche.

"Aglaia war bisher nicht anwesend, richtig?"

Elodie nickte.

"Ja."

Er flog mit den Augen über das Papier, hielt dann inne und schmunzelte. Er lächelte sie an und reichte ihr das auf Latein verfasste Stück Papier.

Sie sah, dass alle aufgelistet waren, mit Decknamen und richtigen Namen.

Wer Aglaia war interessierte sie im ersten Moment nicht, sie achtete auf den Namen hinter 'Exodus', der in feinen Tintenlinien schön geschwungen niedergeschrieben worden war:

Cedric Lawson.

Sie war sich nicht ganz sicher, aber hatte sie den Namen nicht schon einmal irgendwo gehört?

Der Gesandte lächelte noch immer.

"Und, habt Ihr Euren Namen auf der Liste entdeckt?"

Elodies Blick hastete sofort zu dem Pseudonym Aglaia, hinter der sich ihre Identität versteckte.

Sie stutzte.

"Ich bin Aglaia? Hätte denn die Kirche mir dann nicht einen Brief geschrieben?"

Er schüttelte den Kopf.

"Nicht unbedingt", sagte er und Exodus zog Elodie das Papier sanft aus der Hand um es zu lesen. Er schien nicht überrascht.

Catherine blickte ihm über die Schulter, dass sie überrascht war, war nicht zu übersehen.

Der Fremde nickte.

"Also sind alle anwesend. Das heißt, ich kann diese zwölf Briefe hier lassen. Auf jedem ist sein Deckname, da jeder Brief sich von den anderen unterscheidet", mit diesen Worten zog er einen Stapel versiegelter Briefe aus seiner Tasche und legte sie auf den Tisch. Dazu holte er einen Beutel Geld heraus und legte ihn daneben.

"Für Eure Unkosten", meinte er und stand auf, "Bleibt nur sitzen, den Weg zurück finde ich allein."

Als er die Tür öffnete und aus dem Raum ging, trat Anne ein.

Elodie fasste sich langsam wieder. Alles was ihr noch Unbehagen bereitete, war, dass Exodus - nein, Cedric einmal erwähnt hatte, dass jedes Mitglied irgendwelche Kräfte hatte.

"Anne? Hole bitte alle unsere Gäste hierher ins Kaminzimmer. Danke", murmelte sie und sah auf den Stapel, auf dem ganz oben der Brief lag, auf dem Aglaia stand.

Catherine sah zu Elodie.

"Elodie, Ihr wisst gar nicht, worum es hier überhaupt geht, oder?"

Elodie schüttelte den Kopf.

"Nein", sagte sie und griff nach dem Brief, der für sie bestimmt war.

Exodus hielt ihre Hand fest, noch bevor ein Finger das Papier berühren konnte.

"Auch wenn jeder Brief für einen einzelnen bestimmt ist, wird offengelegt werden, was darin steht. Wir öffnen sie zusammen", erklärte er sehr bestimmt.

Sie nickte nur.

Der erste, der eintrat, war Antoine, der Söldner, zusammen mit Jean und Avia.

Elodie sah zu Exodus.

"Wisst Ihr, wer Aglaia ist?"

Er nickte.

"Ich bin mir nicht mehr sicher, aber ich glaube, sie war eine der anmutigen Chariten aus der griechischen Mythologie. Ihr Name bedeutet Glanz, neben ihr gab es noch Thalia, die Blüte und Euphrosyne, den Frohsinn."

"Hattet Ihr nicht gesagt, dass jeder Deckname mit der Kraft des Trägers übereinstimmt? Ich habe aber keine besonderen Talente, und ich weiß nicht, was Glanz mit mir zu tun haben sollte..."

Er lächelte, und diesmal erschien es Elodie vollkommen aufrichtig, nicht wie sonst.

"Wir finden dass schon heraus, Mademoiselle."

Jean setzte sich mit Antoine auf einen der Sessel, Avia zog über ihnen ihre Runden.

Dann geschah wieder etwas Ungewöhnliches. Auf einmal saß Manon neben Catherine, welche sich sehr erschreckte. Manon fuhr sich mit ihrer Hand an die Schläfen.

"Diese Kopfschmerzen bringen mich irgendwann um..."

Florette trat mit Marielle und Nathalie ein, sie warf Antoine einen kurzen Blick zu und sah dann sofort wieder weg, leicht errötet.

Die letzten waren Phillippe, Laurent und Hélène, sie mussten sich Stühle dazu holen.

Eine ganze Weile sprach niemand, manche blickten verwirrt zu Elodie, die sich im Sessel zurückgelehnt hatte und am liebsten nur noch in ihr Zimmer gehen und sich im Bett verkriechen wollte.

Exodus ergriff schließlich das Wort.

"Also, die zwölf der Ersten Magischen Existenz sind anwesend. Elodie sitzt bei uns, weil wir gerade die Nachricht bekommen haben, dass sie die vermisste Nummer Zwölf ist. Ihr Name, wenn sie hätte reisen müssen, wäre Aglaia gewesen.

Auf dem Tisch liegen Briefe. Der Gesandte sagte, in jedem stehe etwas anderes, aber ich glaube, es ist am Besten, wenn wir alle wissen, was die Kirche von uns im Einzelnen will. Sie hat die Erste Magische Existenz seit über dreihundert Jahren nicht mehr zusammengerufen, und der Krieg wird wahrscheinlich bald vorbei sein. Der wichtigste mögliche Grund - Frankreich wieder zu einen - ist es daher sicher nicht. Dieser Auftrag wurde einer Einzelnen erteilt, und sie scheiterte zwar nicht, ließ aber dennoch ihr Leben."

Elodie hatte genau zugehört, ihr wurde schlecht. Sie sah Anne hinten im Raum stehen.

"Anne? Bringe mir Wein. Viel Wein. Einen, der gut gären konnte."

Anne knickste und ging.

Exodus lachte.

"Ja, mir scheint, es ist viel für einen Tag."

Elodie lächelte ihn gequält an.

"Ich hätte noch eine Frage. Was ist die Erste Magische Existenz im Allgemeinen?"

Laurent, der Älteste im Raum, antwortete.

"Mademoiselle, ich denke, Ihr kennt die Bibel recht gut? Wisst ihr, wer Maria Magdalena war?"

Elodie nickte.

"Schön. Maria Magdalena stand Jesus, unserem Messias, näher, als die Kirche den Menschen glauben machen möchte. Um genau zu sein, war sie seine Frau. Natürlich darf die Kirche das nicht zugeben, denn es würde unter anderem bedeuten, dass das Zölibat auf Treibsand erbaut wurde. Wie auch immer, Maria Magdalena und Jesus zeugten ein Kind, dessen Name im Laufe der Zeit verloren ging, er ist nur im Geheimarchiv der Kirche noch festgehalten. Dieses Kind, eine Tochter, wurde mit dem Jünger Johannes verheiratet, der Jesus sehr nahe stand. Die Tochter Jesu und Johannes waren mit vielen Kindern gesegnet, die wahrscheinlich dank dem göttlichen Blut alle überlebten. Wir wissen, dass es mindestens zwölf waren, vielleicht sogar noch mehr.

Jedes dieser Enkelkinder Jesu besaß irgendeine übermenschliche Kraft. Und die Erstgeborenen dieser Enkelkinder wiesen ebenfalls eine Kraft auf, nicht unbedingt die gleiche, aber jeder Erstgeborene hatte sie, nicht die Schwestern oder Brüder, immer nur der Erste. Nun gut, Mademoiselle, um auf den Punkt zu kommen: Wir alle, die wir hier versammelt sind, sind Erstgeborene jenes Blutes. Auch Ihr, nehme ich an."

Elodie nickte, sie war kreidebleich.

"Ja, auch ich bin eine Erstgeborene... Das einzige Kind meiner Mutter... Und sie hatte die Kraft, die Stimme Gottes zu hören..."

Exodus nickte.

"Ja, Mademoiselle d'Arc, auch Eure Mutter war eine Erbin Jesu, wohl die größte seit langem."

Anne war inzwischen wiedergekommen und reichte Elodie das Glas Wein, doch sie stieß das Glas weg und nahm Anne die Flasche aus der Hand um daraus zu trinken. Welchen Eindruck sie machte, war ihr momentan egal.

Alle außer Exodus sahen Elodie fassungslos an, weniger wegen dem Wein, sondern mehr wegen ihres Namens, nur Catherine war in der Lage, etwas zu sagen.

"Ihr seid die Tochter Jeanne d'Arcs, Elodie? Warum dann der Name Délieure? Und - wie? Es kann doch nicht sein... ---!", sie holte tief Luft und machte große Augen, "Der Wächter der Zelle?"

Exodus nickte.

"Genau so."

Catherine schüttelte ungläubig den Kopf.

"Das kann nicht sein! Kein Engländer hätte das Kind leben lassen! Und Jeanne war gehasst unter Engländern wie Franzosen! Ich weiß es noch gut, auch wenn ich damals erst fünf war. Ich... habe bei ihrer Verbrennung zugesehen."

Exodus nickte.

"Ich auch. Sie bat mich, sie nicht lange leiden zu lassen."

Elodie sah Exodus fassungslos an. Sie bekam beinahe Angst bei diesem Gespräch.

"Du warst dabei? Du hast die Flammen höher schlagen lassen? Du hättest sie auch retten können, oder nicht?"

Er schüttelte den Kopf.

"Sie wollte nicht sterben, allein wegen dir nicht, aber sie musste. Übrigens warst du auch dabei, du hast ihr den Tod auch angenehmer gemacht."

Elodie sah auf den Boden. Zuerst langsam, dann immer schneller schüttelte sie den Kopf.

"Nein. Nein! Ich hätte das nicht gekonnt!"

Exodus lächelte.

"Du warst ein Säugling, du hast es instinktiv oder im Unterbewusstsein gemacht."

Elodie stiegen Tränen in die Augen, ängstlich wandte sie sich an Exodus.

"Was habe ich getan?", flüsterte sie.

Er wischte ihr die Tränen, die ihr über die Wange liefen, sanft fort und lächelte weiter.

"Du hast deinen Glauben in Gott und Kirche bewiesen und das Kreuz, dass man für sie hochhielt, zum Leuchten gebracht."

Ihre Augen flackerten, sie konnte es beinahe vor sich sehen.

"Glanz", murmelte sie.

Catherine wurde ruhig, Marielle aber begriff es noch immer nicht.

"Aber wie war das möglich? Das Jeanne ein Kind bekommt, das überleben darf?"

Exodus sah diese Frage in jedem Gesicht, dass anwesend war.

Er seufzte.

"Der Wächter, der sich angeblich an ihr gütlich tat, war ein Freund meines Vaters, der auch mir sehr nahe stand, trotz des großen Altersunterschieds, oder vielleicht gerade deswegen. Er bewachte die Zelle, in der Jeanne d'Arc festgehalten wurde, wenn sie nicht aussagen musste.

Sie verliebten sich ineinander, gleich zu Anfang.

Er und Jeanne flüsterten stundenlang miteinander, wenn er Wache halten musste, er versuchte ihr zu helfen, wo es nur ging. Er behauptete, er habe sie vergewaltigt, doch es war reine Liebe, keine Gewalt. Von ihm kam übrigens auch die Idee, dass sie ihre Schuld anerkannte. Doch irgendwann empfand sie es als Verrat an ihrem Gott und sich selbst, und sie revidierte, schon im Hochschwangeren Zustand. Ihre Niederkunft war kurz vor der Verbrennung, nur wenige Tage davor. Die Kirche sorgte dafür, dass sich ihr Todesdatum in die Länge zog, so dass sie das Kind gebären konnte. Zuerst wollte man sie überhaupt nicht brennen lassen, doch als sie schwanger wurde, sah man eine Möglichkeit, das Blut nicht aussterben zu lassen.

Das Kind hätte eigentlich von Unwissenden umgebracht werden müssen, aber mein Freund liebte es so sehr wie er Jeanne liebte. Er versprach Jeanne, es in Sicherheit vor den Engländern zu bringen.

Am Tag der Hinrichtung legte er den Säugling in die Hände eines Jungen.

'Ich werde das Kreuz für sie hochhalten, doch es würde gefährlich werden für Elodie. Nimm du sie, und bringe sie nachdem die Glut erlischt zu der Amme, ich habe dir gezeigt, wo sie wohnt, erinnerst du dich?', hatte er dem Kind gesagt und die Kleine in seine Arme gedrückt. Die Engländer sahen es als Verrat an, Jeanne eventuell vor der Hölle zu retten, indem er ihr ein Kreuz zeigte, er starb einen Tag nach Jeanne."

Catherine dachte fieberhaft nach, und Elodie griff jetzt nach dem Glas Wein.

"Ich erinnere mich. Da war ein kleiner Junge mit einem Kind, ein paar Meter von meiner Mutter und mir entfernt. Ich habe einen Mann gehört, der sich lustig machte über den Jungen. 'Sieh nur, der Bengel kümmert sich um ein Kind, will er Kindermädchen werden? Er ist eine Memme, wie sein Vater. Ein typischer Lawson', hat er gesagt."

Elodie fiel das Glas aus der Hand, es zerschellte auf dem Boden in tausend Scherben.

Sie blickte Exodus an, mit leeren Augen.

"Du warst es? Du hast mich gehalten, als mein Vater und meine Mutter sich in ihr Schicksal fügten?"

Er lachte gequält.

"Du hast zu lange auf die Liste geblickt."

Elodie stand auf.

"Verzeiht mir, aber ich kann mir den Brief jetzt nicht durchlesen, ich... muss ein wenig Schlafen, ich fühle mich nicht so gut...", sagte sie und ging auf die Tür zu, doch sie begann zu taumeln. Dann wurde es dunkel und sie fiel nach vorne.
 

"Mademoiselle? Mademoiselle, seid Ihr wach?"

Elodie öffnete langsam die Augen, zuerst sah sie nur verschwommen.

"Ja, ich glaube schon", antwortete sie leise.

Exodus hatte sich über sie gebeugt, zusammen mit Hélène und Florette.

Er lächelte.

"Ich dachte schon, Ihr wollt Euch drücken. Hier, Euer Brief", sagte er und reichte ihr das noch immer versiegelte Papier.

Elodie nahm es zwischen ein paar Finger.

"Hélène? Florette? Könntet Ihr mir den Gefallen tun, und kurz gehen?"

Hélène lächelte Florette an.

"Ich glaube, wir sollten die beiden allein lassen", sagte sie und grinste.

Elodie verdrehte die Augen.

"Ihr seid kindisch, Hélène!"

Florette lachte, und zusammen mit der Nonne verließ sie das Zimmer.

"Exodus, ich muss Euch eine Frage stellen."

Er sah sie wartend an.

"Mademoiselle, fragt, aber tut mir den Gefallen und nennt mich bei meinem Namen, wo Ihr ihn jetzt kennt."

Sie nickte.

"Erinnert Ihr Euch an den Tag, an dem Ihr mich an die Wand drücktet?"

"Ja...?"

Sie zögerte kurz.

"Ihr flüstertet mit etwas ins Ohr. Ihr hättet nicht gedacht, dass Ihr mit mir noch einmal machen müsstet, was Euer Freund - mein Vater - mit meiner Mutter tat. Die Augen öffnen. Erklärt mir das... Bitte."

Er schüttelte den Kopf.

"Nein, tut mir leid. Alles zu seiner Zeit. Öffnet den Brief, damit ich Euch sagen kann, was in den anderen steht. Lest laut."

Sie seufzte, sie wusste genau, dass es keinen Sinn hatte, ihn noch weiter zu fragen.

Sie brach das Siegel Roms, öffnete den Brief und las ihn vor.
 

"Mademoiselle Elodie Délieure von Orléans,
 

ich freue mich, mit Euch Kontakt aufnehmen zu können, Euch, als einem der Zwölf Mitglieder des Ordens der Ersten Magischen Existenz.

Ich wende mich mit meinen Kardinälen an Euch, weil wir von Prophezeiungen erfahren haben, welche die Kirche sehr beunruhigen. Wo sie sich genau befinden, ist uns unbekannt, wir wissen nur um ihren Inhalt, von dem nicht jeder einfache Bürger erfahren darf.

Aufgabe des Ordens ist es, diese niedergeschriebenen Prophezeiungen, alle Dokumente, die damit zusammenhängen, in seinen Besitz zu bringen und sie den Gesandten der Kirche zu übergeben, damit diese die nötigen Vorkehrungen treffen kann und die Papiere in den Geheimarchiven fest verschließen kann.

Wir hoffen, Ihr folgt dem Auftrag.

Gott segne Euch,

Nikolaus V"
 

Cedric schmunzelte.

"Einer der höflichsten Briefe ging also an Euch."

Elodie setzte sich auf und schlug die Decke von den Beinen, ihre Füße waren unglaublich heiß geworden.

"Was stand in den anderen?"

Er zuckte mit den Schultern.

"Im Groben etwa das gleiche. Mir drohte man, bei Phillippe entschuldigte man sich tausendfach, bei Hélène sagte man, es sei ihre göttliche Aufgabe, Antoine versprach man Reichtum, sie wollten nur sicher gehen, dass wir der Order folgen."

"Wisst Ihr von den Prophezeiungen?"

Er nickte.

"Ja, aber auch das nur im Groben. Da fragt ihr besser Phillippe."

Elodie zog die Augenbauen kraus.

"Warum das?"

Cedric lächelte noch immer.

"Fragt ihn. Aber für den Moment habt Ihr genug im Bett gelegen."

Er trat von der Bettkante weg und sie erhob sich.

Als sie stand, taumelte sie erneut.

Cedric reagierte schnell und hielt sie.

"Ihr wollt mir doch nicht schon wieder umfallen?"

Sie schüttelte den Kopf.

"Nein, mir ist nur schwindelig."

Er lachte.

"Mademoiselle, Ihr habt auch genügend Wein getrunken."

Sie sah ihn böse aus den Augenwinkeln an.

"War es meine Schuld, dass ich es musste?"

Er geleitete sie zur Tür.

"Also die meine war es sicher auch nicht."
 

Sie versammelten sich wieder im Kaminzimmer, wohin dieses Mal auch das Abendessen gebracht wurde.

Elodie las ihren Brief ein weiteres Mal vor. Als sie geendet hatte, wandte sie sich an Phillippe.

"Man sagte mir, Ihr seid derjenige, der mir erklären kann, was es mit diesen Prophezeiungen auf sich hat."

Er nickte.

"Ja, ich schätze, das kann ich. Es handelt sich dabei um eine Prophezeiung über drei Männer, die in den nachfolgenden hundert Jahren geboren werden.

Soviel ich weiß, wird der eine ein Prophet sein, der bis in das Jahr dreitausend vorausschauen kann, ein anderer ein Mann, der Erfinder und Künstler zugleich ist, und einer von ihnen wird ein Künstler sein, der sehr viel über Jesus erfahren wird, und aus Groll über den Klerus wird er es in einer versteckten Botschaft an die Decke einer Kirche malen."

Marielle meldete sich zu Wort.

"Ich möchte nur wissen, woher die Kirche von diesen Prophezeiungen weiß. Immerhin weiß sie offensichtlich nicht, wo sich die Papiere befinden, und trotzdem kennt sie ihren Inhalt."

Ein Anflug von Schmerz huschte über Phillippes Gesicht.

"Ich fürchte, auch das kann ich erklären. Ich war eine Weile in Rom und wurde krank. Man ließ mich mehrmals zur Ader und hob das Blut als göttliches Blut auf", sagte er und man hörte, dass es ihm zuwider war, sein Blut als göttlich zu bezeichnen, "ich weiß nicht, wie sie es geschafft haben, es zu konservieren, vielleicht wird es auch einfach dank der Gabe nicht schlecht. Jedenfalls habe ich herausgefunden, dass ein paar Männer sich geschnitten haben und von meinem Blut in die Wunde gegeben haben, in der Hoffnung, sie werden ein Kind Jesu. Manche sind daran gestorben, anderen hat es für kurze Zeit meine Gabe verliehen."

Elodie hatte gebannt zugehört, doch sie verstand im Gegensatz zu den anderen noch nicht.

"Welche Gabe habt Ihr denn, Phillippe?"

Er seufzte.

"Verzeiht, Mademoiselle. Mein Deckname ist Gabriel, erinnert Ihr Euch? Gabriel überbrachte den Menschen die Nachricht Gottes. Ich habe Visionen von Dingen, die noch kommen, die gerade irgendwo anders sind oder dergleichen. Ich wusste von diesen Prophezeiungen, und auch die Männer der Kirche wissen es, weil ich es wissen konnte."

"Oh", machte Elodie nur. "Seht Ihr denn immer etwas, oder nur zu bestimmten Zeiten?"

Er lächelte und wies auf einen Sessel in der Ecke.

"Was seht Ihr, Elodie?"

Sie zuckte mit den Schultern.

"Einen Sessel, nicht mehr."

Er nickte.

"Ich sehe darauf ein blondes Mädchen sitzen, es trägt seltsame Kleidung. Es hat etwas wie Papier auf dem Schoß und schreibt darauf. Es sieht her und schreibt dann weiter."

Er stand auf und ging zu dem Sessel, es schien als beugte sich über die Person, die er sah.

"Ich kann ihre Schrift leider nicht lesen", sagte er schulterzuckend und kehrte zurück.

Elodie blickte noch kurz zu dem Sessel.

"Man könnte Euch deswegen für verrückt erklären."

Phillippe lachte laut.

"Ja, ich weiß. Aber ich erzähle es ja auch nicht jedem. Um Eure Frage zu beantworten: Ich sehe immer etwas, das die anderen nicht sehen können, doch nicht immer fällt es mir auf. Es ist deutlicher, wenn ich schlafe."

"Wie auch immer", schnitt Cedric das Gespräch knapp ab, "wir sollen für die Kirche diese Papiere suchen. Phillippe, habt Ihr eine Idee, wo sie sich befinden könnten?"

Er zuckte mit den Schultern.

"Kaum, der Hintergrund ist teilweise sehr verschwommen. Trotzdem weiß ich, dass sie in einer Kapelle aufbewahrt werden."

Florette hob den Kopf.

"In einer Kapelle? Aber dann müssten sie doch nicht von uns geholt werden, oder? Sie sind schon in der Kirche Händen."

"Nein", erwiderte Phillippe und schüttelte den Kopf, "da kann seit mehreren Jahren kein Priester mehr gewesen sein.. Sie ist vollkommen zerstört. Aus irgendeinem Grund hat man sie nicht wieder aufgebaut."

Laurent hatte sich seinen Brief mehrere Male durchgelesen, jetzt merkte er auf.

"Vielleicht hat man sich entschlossen, lieber eine größere in der Nähe zu bauen?"

"Das wäre durchaus möglich, immerhin wachsen auch Dörfer, man konnte vielleicht die Menschen nicht mehr in der kleinen Kapelle aufnehmen", sagte Hélène und pflichtete damit Laurent bei.

Cedric schüttelte den Kopf.

"Ich glaube, da steckt noch mehr dahinter. Warum ist sie überhaupt zerstört worden? Phillippe, ich erinnere mich, dass Ihr mir sagtet, die Trümmer seien sehr alt?"

"Ja", antwortete dieser. "Es war viel Staub zu sehen, und überall hatten Spinnen ihre Netze gesponnen. Können es aber nicht auch die Engländer gewesen sein, Cedric?"

Exodus war bei der Verallgemeinerung der "Engländer" kurz zusammengezuckt, jetzt hob er unwissend die Schultern.

Avia flog von Jeans Schulter, als dieser sich im Sessel aufrichtete.

"Ich möchte nicht unhöflich dazwischenreden, aber ist es nicht eigentlich egal, was mit der Kirche passiert ist oder wie sie aussieht? Wir suchen doch nur diese Papiere, die da irgendwo unter den Steinbrocken liegen, oder nicht?"

Elodie lächelte ihm zu.

"Sicher, aber ich schätze, dass uns das Aussehen der Kirche, wie alt sie ist und wann und warum sie niedergerissen wurde, helfen kann, uns zu sagen, wo sich die Trümmer befinden."

Jean dachte kurz nach, mit einem kaum merklichen Nicken schien er die Antwort als überzeugend gelten zu lassen und er lehnte sich wieder zurück.

Catherine nahm sich Elodies Brief, um ihn sich noch einmal genau durchzulesen.

"Ich bin jedenfalls der Meinung, dass wir diesen Auftrag annehmen sollten. Welchen Beweggrund auch immer der Einzelne von uns hat, wir alle haben mindestens einen", sagte sie, während sie die Zeilen überflog.

Cedric nickte.

"Ich schätze, wir sollten wirklich danach suchen. Allerdings gefällt mir nicht, in welchem Ton die Briefe geschrieben sind."

"Wie mein Ihr das, Exo - verzeiht, Cedric?", fragte ihn Florette.

"Mir drohte man, auch wenn ich mir nicht drohen lasse, zu Elodie war man sehr höflich, Florette, drohte man Euch nicht den Ausschluss aus der Kirche?"

Sie nickte, ein wenig eingeschüchtert.

"Seht Ihr?", erklärte Cedric weiter. "Man nahm immer den Ton, der am angemessensten war, um Euch zu überzeugen, diesen Auftrag anzunehmen, nicht dass wir ihn offiziell ablehnen könnten."

Elodie schüttelte den Kopf.

"Ihr wollt auf irgendetwas hinaus, aber ich glaube nicht, dass die heilige Kirche Hintergründe hatte, die Ihr ihr wohl jeden Moment hinterher sagen werdet. Sie wollte einfach nur sicher gehen dass wir die Dokumente holen."

Catherine seufzte leise, sagte jedoch nichts.

Laurent sah zu ihr, dann wieder zu Exodus.

"Trotzdem haben wir nicht einen einzigen Anhaltspunkt. Phillippes Visionen in allen Ehren, doch sie helfen uns offensichtlich nicht weiter."

Cedric kniff die Lippen zusammen, und in diesem Moment fiel Elodie auf, dass Laurent und er so gegenteilig waren wie sie es nur sein konnten.

"Ja, Ihr habt leider Recht."

Antoine zuckte mit den Schultern.

"Sehe ich es also richtig, dass wir einen Auftrag erhalten haben und nicht wissen, wie wir ihn erfüllen sollen? Warum hat man ihn uns dann gegeben?"

Manon lachte.

"Genau deshalb. Die Kirche weiß nicht weiter, also ruft sie den Orden der Ersten Magischen Existenz zusammen."

Cedric nickte und lächelte leicht.

"Gut erkannt, Manon. Warum seid Ihr des Lesens und Schreibens nicht mächtig? Ihr scheint nicht von Dummheit verflucht."

Manon lächelte sarkastisch.

"Ich bin kein Junge, Cedric, mich schickte man auf keine Schule. Mich wundert, dass der Rest von uns es kann, bis auf Jean, der mir sagte, dass er noch nicht auf dem Hofe seines Vaters entbehrt werden konnte."

Elodie merkte auf.

"Da hat sie Recht, hat das etwas zu bedeuten?"

Nathalie schüttelte den Kopf.

"Das glaube ich nicht. Wir Frauen sind doch des Schreibens fast alle nicht genügend mächtig, um einen Brief zu verfassen, und Lesen kostet uns viel Anstrengung. Das hat sicher nichts zu bedeuten."

"Ja, das glaube ich auch nicht", sagte Cedric und gähnte, "aber wir haben noch genügend Zeit und es war ein langer Abend. Lasst uns eine Nacht darüber schlafen, ich denke, ausgeschlafen sieht alles schon anders aus."

Alle nickten zustimmend und standen auf, nur Jean blieb sitzen, weil er inzwischen eingeschlafen war. Avia ruhte auf seinem Schoß und hielt wachsam die Augen offen.

Elodie ging zu dem Jungen und strich ihm übers Haar.

"Jean?", flüsterte sie leise, doch außer einer Kopfbewegung bekam sie kein weiteres Zeichen, dass er wach war.

Cedric legte ihr eine Hand auf die Schulter und lächelte.

"Lasst ihn schlafen, Elodie, ich werde ihn nach oben tragen."

Sie nickte und trat einen Schritt zu Seite, damit Exodus Jean auf seine Arme heben konnte.

Die anderen hatten den Raum jetzt fast alle verlassen, die letzten gingen gerade durch die Tür, mit einem letzten lächelnden Blick auf Jean.

Elodie griff nach einer Kerze und ging Cedric voraus, hielt ihm die Tür auf, die sonst zurück schwingen würde.

Sie leuchtete ihm den Weg hoch über die Treppen und in den Flügel des Männerschlaftraktes, öffnete auch Jeans Tür. Avia rollte sich auf dem Bauch ihres Herrn zusammen und schloß die schwarzen Augen, ihre Schuppen schimmerten im Mondlicht, das durch das Fenster fiel.

Leise zogen die beiden sich zurück und schlossen die Tür sanft.

Exodus lächelte ihr zu.

"Ihr seid beinahe mütterlich in seinem Beisein", sagte er mit gedämpfter Stimme.

Sie zuckte mit den Schultern.

"Ich kann mir vorstellen, dass er sich hier sehr einsam fühlt. Er ist zu jung für diesen Bund. Florette ist nach ihm die jüngste, auch sie hat das Alter hierfür noch nicht erreicht."

"Vielleicht", sagte er und hob die Hand an ihren Kopf.

Sie wich scheu zurück, er begann zu lächeln.

"Was habt Ihr? Es ist nur ein Käfer in Eurem Haar, lasst ihn mich herausziehen."

Sie stand ganz still, als er mit sanften Händen eine Strähne ihrer Haare durchzog und das Insekt zur Seite warf.

Ihr Herz schlug schneller und sie bekam nicht genug Luft. Auch wenn es nur eine einfache Bewegung gewesen war, hatte sie auf eine besondere Art und Weise etwas Erotisches an sich.

Er hob den Arm erneut, dieses Mal strich er ihre Haare zurück und berührte mit seiner warmen Hand ihre kalte Schulter. Ein Schauer durchlief sie.

Und er kam ihr näher, legte eine Hand in ihren Nacken und zog sie sanft an sich. Sie sah hoch in seine grünen Augen, in deren Sanftheit sie sich zu verlieren begann und nahm ihn plötzlich auf eine völlig neue Art und Weise wahr. Er neigte den Kopf und berührte leicht mit seinen Lippen ihren Hals, strich mit seinen kurzen Bartstoppeln, die am Tag wieder gewachsen waren, wenig darüber.

Sie stand noch immer ganz still, schloß nur die Augen und drückte sich kaum merklich an ihn.

Sein Mund wanderte ihren Hals hinauf, an ihrem Ohr vorbei und auf ihren Mund zu, während seine rechte Hand verhinderte, dass sie den Kopf zur Seite drehte, und die linke ihren Rücken hinab strich.

Ihre Lippen begannen, sich unter den seinen zu öffnen; zuerst nur wenig, dann leidenschaftlich nahm sie seinen Kuss auf.

Als sie sich mehr und mehr für ihn fallen ließ, wurde ihr auf einmal bewusst, was sie eigentlich tat.

Sie stieß ihn zurück.

Elodie atmete heftig, seinem Verhalten jedoch konnte man keinerlei Gefühl ablesen.

Sie dachte nach, über alle möglichen Dinge, doch ihr fiel nichts ein, was sie hätte sagen können.

"Gute Nacht, Cedric", sagte sie schließlich bestimmt, drehte sich um und ging eilenden Schrittes zu ihrem Schlafzimmer, sah sich nicht mehr um, bis sie es endlich betreten hatte.
 

Sie schloß die Tür hinter sich und lehnte sich gegen das Holz, schloß die Augen kurz und sah dann an die Decke.

"Was mache ich eigentlich?", fragte sie sich selbst.

Sie ging auf ihre Kommode zu, setzte sich, zog die Spangen aus ihrem kupfernen Haar und drehte sie kurz in ihren Händen, bis sie sich tief in ihren Zeigefinger stach.

"Au!", machte sie und sah das Blut aus der kleinen Wunde quellen, wischte es jedoch weg und legte die Spangen auf den Tisch um nach der Bürste zu greifen.

Sie seufzte, kurz darauf klopfte es.

"Ja... bitte?", sagte sie, noch immer recht verwirrt.

Anne trat ein und lächelte.

"Mademoiselle, wollt Ihr zu Bett gehen?"

Elodie nickte und erhob sich, woraufhin Anne die Schnüre des Kleides in Elodies Rücken löste. Die Zofe half ihr beim Entkleiden und reichte ihr das Negligé, welches die Hausherrin überzog.

"Danke, Anne. Könntest du Giselle ausrichten, dass sie morgen ein Bad einlässt? Und sie soll im Männertrakt danach fragen, ob auch die Männer ein Bad nehmen wollen."

Anne nickte.

"Natürlich. Kann ich danach zu Bett gehen?"

Elodie nickte.

"Ja, ich wünsche dir eine angenehme Nacht."

Die Zofe knickste und verließ das Zimmer.

Elodie legte sich in das Bett, dass in die Wand eingelassen war und legte sich auf die Seite.

Noch immer hatte sie das Gefühl, Cedrics Hände strichen über ihre Haut wie leichte Federn, während es in der Spitze ihres Zeigefingers unangenehm ziepte.

Sie schüttelte den Kopf, als wolle sie den Gedanken hinauswerfen.

Er war noch immer dieser Mann, der sie wieder und wieder zur Weißglut hatte bringen wollen.

Und doch, sie hatte es gerade bereitwillig mit sich machen lassen. Warum?

Elodie schloß die Augen und zwang sich, nicht mehr daran zu denken, zwar mit minderem Erfolg, aber sie versuchte es.

Es dauerte sehr lange, bis sie endlich eingeschlafen war.
 

© by Idhren

So, für die ganz Harten kommt nun - Kapitel 4! Tadaa!
 

Das Licht schien durch die Fensterläden, die sie wohl nicht ganz geschlossen hatte und weckte sie zusammen mit fröhlichen Vogelgesängen und einem Klopfen an der Tür.

Elodie schlug die Augen auf und gähnte. Wie spät war es wohl?

Sie setzte sich auf den Bettrand und bat die Person vor der Tür herein.

Die Klinke wurde heruntergedrückt und Anne trat ein.

"Mademoiselle? Das Bad ist fertig. Ihr werdet die Erste sein."

Elodie nickte in Gedanken versunken.

"Ja."

Sie stand auf und ging hinter ihrer Zofe her, ihr Nachthemd schleifte hinter ihr her. In dem großen Raum, in den sie traten, stand die große Wanne. Das Feuer brannte im Kamin, darüber kochte ein Eimer Wasser.

Giselle hatte das blonde Haar hochgebunden, sie hob einen Eimer, der neben der Wanne stand und hievte den Inhalt in die Wanne.

"Giselle, ich möchte, dass du das Wasser so weit austauschst, dass auch die Letzte darin noch sauber werden kann und nicht frieren muss."

Giselle knickste als Anne Elodie half, das Negligé auszuziehen und in das Badewasser zu steigen. Sie nahm eine kleine Flasche vom Boden und ließ ein wenig Flüssigkeit davon ins Wasser, das begann, nach Rosen zu duften.

Anne griff nach einem Lappen und begann, Elodie beim Waschen zu helfen.

Die Hausherrin lehnte den Kopf an den Rand der Wanne und entspannte sich in der Wärme und dem angenehmen Duft.

Schnell war ihre Haut und ihr Haar vom Schmutz befreit und das Wasser wurde recht kühl.

Giselle und Charlotte, eine weitere Magd des Hauses, trugen bereits neue Eimer mit Wasser aus dem Brunnen im Hinterhof hinein.

Giselle griff nach einem großen Tuch, mit dem Elodie sich abtrocknen konnte. Die Hausherrin wickelte es sich um den Körper, gerade als Anne mit frischer Kleidung den Raum betrat.

Sie war Elodie behilflich, so dass diese bald in einem frischen Kleid erstrahlte.

"Mademoiselle, Madame Blanchard ist die Nächste, sie steht bereits vor der Tür, erlaubt Ihr mir, dass ich mich um sie kümmere? Charlotte wird Euch dann die Haare richten."

Elodie nickte.

"Ja, natürlich. Ich hätte eigentlich sowieso die Letzte sein sollen."

Charlotte richtete sich auf.

"Aber Herrin, es ist doch Euer Haus!"

Sie wurde mit einem nachsichtigen Lächeln bedacht.

"Richtig, und sie sind meine Gäste. Genau deshalb hatten sie in das frische Wasser steigen sollen."

Charlotte schwieg, griff nur nach der Bürste und den Haarbändern und verließ hinter Elodie den Raum.

Marielle hatte sich an die Wand gelehnt, sie sah aus dem Fenster. Ihr Blick hellte sich auf, als sie Elodie sah.

"Ah, Bonjour Elodie! Ich bin Euch wirklich dankbar für das Bad, es ist wirklich notwendig bei der Schwüle draußen."

Elodie lächelte.

"Ja, da habt Ihr durchaus recht. Giselle und Anne werden sich um Euch kümmern."

Sie nickte.

"Ich muss zugeben, teilweise gibt es hier wirklich eine königliche Behandlung wie man es sich am Hofe vorstellt. Euer Kloster ist wundervoll."

"Meint Ihr?", fragte Elodie. "Seitdem der Orden hier ist, ist alles lebhafter geworden. Ich will gar nicht daran denken, wie es ist, wenn ich wieder alleine hier bin."

Marielle lächelte nur leicht.

"So gern ich hier auch bin, es wird mich freuen, wieder bei meinem Mann zu sein", sagte sie und sah wieder aus dem Fenster, "ich vermisse ihn doch sehr. Aber zu etwas anderem: Ich habe gehört, dass die Männer erst morgen ein Bad nehmen werden, sie sieht es daher mit dem Frühstück aus?"

Elodie lächelte.

"Das wird in einer halben Stunde im Esszimmer serviert. Für diejenigen von uns, die um diese Zeit in der Wanne sitzt, wird etwas aufgehoben."

Giselle kam in diesem Moment aus der Tür in Elodies Rücken.

"Madame? Das Wasser ist wieder klar und warm. Wenn Ihr also...?", sagte die Magd und ging wieder zurück.

Marielle lächelte und ging ihr hinterher.

"Bis später, Elodie."
 

Charlotte hatte ihr die Haare hochgesteckt und Elodie überrascht festgestellt, wie geschickt ihre Magd darin war.

"Ich danke dir, Charlotte. Sagst du bitte Henri, dass er nach dem Frühstück Gloire sattelt? Das wäre alles, du kannst gehen."

Charlotte knickste und verließ den Raum.

Elodie sah sich kurz Silberspiegel an.

Sanft hob sie den Zeigefinger und strich über ihre Lippen. Die Lippen, die Exodus...

Nein, sagte sie zu sich selbst. Denk nicht mehr daran. Es war nichts. Nichts!

Sie erhob sich und ging den Korridor entlang zu den Treppen in das Esszimmer.

Das Frühstück war bereits serviert. Wahrscheinlich hatte Charlotte das getan, noch bevor sie ging um Giselle zu helfen, das Wasser nach oben zu schleppen.

Antoine, Jean und Laurent waren bereits hier und aßen.

"Bonjour, Elodie", sagte Jean mit einem Lächeln, Antoine und Laurent taten es ihm gleich.

Elodie setzte sich und nahm sich ein Stück Brot und etwas Wein.

Laurent lächelte sie an.

"Ihr seht zauberhaft aus, Elodie."

"Sauber vor allem, denke ich", erwiderte sie und sah ihn kurz an, um sich danach ein Stück Käse abzuschneiden.

Als sie gerade ihren ersten Bissen geschluckt hatte und an ihrem Glas nippte, öffnete sich die Tür und Cedric kam mit Phillippe herein, sie unterhielten sich angeregt.

Exodus' Blick fiel auf Elodie, doch er zeigte keine Gefühlsregung, nur seine Augen schienen noch leuchtender und tiefgründiger zu sein.

"Salut", begrüßte er die Runde und setzte sich dann.

Elodie nickte ihm nur zu und aß schweigend weiter ihr Frühstück.

Nach und nach kamen immer mehr Mitglieder des Ordens, setzten sich und unterhielten sich beim Essen, nur die Hausherrin blieb weiter still.

Als sie keinen Hunger mehr verspürte, entschuldigte sie sich, ging nach oben um sich feste Stiefel und eine Hose anzuziehen und verließ schließlich das Haus um zu den Ställen zu gelangen.

Henri, der Knecht des Hauses, stand mit Gloire an den Zügeln da und half ihr aufs Pferd. Die langgezogenen Narben in seinem Gesicht hatten das einst schöne Antlitz mit einem bitteren Geschmack entstellt. Nie hatte ihn jemand reden gehört, doch es glaubte niemand, dass er stumm war.

Sie lächelte ihm zu.

"Danke, Henri", sagte sie und nickte nur knapp.

Dann stieß sie der Stute sanft in die Flanken, die daraufhin im Schritttempo die Hufe voreinander setzte.

Sie ritt dieses Mal nicht die Allee hinunter, sie wandte sich gleich nach rechts um auf die weiten Wiesen zu gelangen.

"Na los Gloire, ich will, dass der Wind mir die Gedanken der letzten Tage aus dem Kopf fegt!", rief Elodie, als sie endlich auf den Feldern angekommen waren und drückte der Stute hart mir den Beinen in die Seiten, woraufhin Gloire in einen schnellen Galopp verfiel.

Elodie lachte laut auf, als sie so schnell wurden, dass das Haargeflecht auseinander fiel. Gloire klebte schon bald der Schaum vorm Maul, doch ihr schien es ebenfalls Spaß zu machen. Der Ritt führte rasend schnell am Waldrand entlang, die Hufe flogen so rasant über den Boden, dass sie ein paar Erdbrocken nach hinten schleuderten. Die Stute sprang hoch über einen Baumstamm, weit, so dass Elodie beinahe aus dem Sattel gerutscht wäre und sie sich mit aller Kraft wieder hoch zog. Aber selbst das steigerte nur ihren Spaß.

Doch plötzlich nahm sie, wie in Zeitlupe, wahr, wie ein paar Fasane aufschreckten und gen Himmel flogen, etwas im Gras der Wiesen hatte sie verscheucht. Die Vögel waren nah. Sehr nah. Gloire schreckte zurück, dann stieg sie. Elodie hatte damit nicht gerechnet. Ihre Hand wollte sich gerade an ein paar Riemen am Sattel festhalten, doch sie packte nur Luft. Vollkommen überrascht verlor sie das Gleichgewicht. Und fiel.

Fiel tief und hart. Schmerzvoll schlug sie mit dem Rücken auf, für einen Moment durchzuckte es ihren Körper, ihr blieb die Luft weg. Kurz danach knallte sie mit dem Hinterkopf auf einen Stein, der nah bei ihr lag.

Mit einem unglaublichen Schmerz, der ihren Körper durchzuckte und peinigte versank sie in der Dunkelheit.
 

Sie wippte ungleichmäßig, ihr Kopf und ihre Arme hingen schlaff herab, doch sie hatte noch immer nicht die Kraft, ihre Augen zu öffnen.

Elodie stöhnte angesichts der Schmerzen, die ihre Wunden noch immer ihrem Körper verursachten.

"Seid ruhig. Es scheint ein harter Sturz gewesen zu sein", sagte eine vertraute Stimme, doch sie wollte nicht denken, es war ihr egal, wessen Stimme das war. Sie drehte sich vorsichtig zu ihm und drückte ihr Gesicht an seine Brust, in der sie sein Herz schlagen hören konnte.

Durch sie ging ein Schauer, der sie zittern ließ.

"Ihr seid wirklich seltsam. Da denke ich, ich kenne Euch und Ihr seid leicht zu durchschauen, und im nächsten Moment passiert etwas vollkommen Unerwartetes."

Sie biss die Zähne zusammen und gab nur Schmerzenslaute von sich.

"Wir sind gleich da, Elodie."

Sie versenkte ihre Finger in seinem Hemd und zog sich an ihn.

"Danke", flüsterte sie.

Er lachte leise.

"Wofür?"

Ihr stiegen Tränen in die Augen, die sich schnell in dem Stoff seiner Kleidung verfingen.

"Weil Ihr mir...", sie zögerte.

Der wippende Gang verlangsamte sich.

"Weil ich euch was?"

Ein Schluchzen wurde von ihr unterdrückt, damit sie antworten konnte.

"Mehr geholfen habt, als Ihr selbst denkt."

Das Wippen ebbte ab.

"Ruht Euch aus", sagte er leise und sanft, dann setzte er seinen Weg fort.

Sie schloß die Augen, aus denen immer noch Tränen rannen, doch ob sie wegen des Schmerzes waren hätte sie nicht mit einem Eid besiegeln können.
 

"Elodie? Wie geht es Euch?"

Nathalie betrat den Raum mit einer Schüssel heißen Wassers. Als sie die Tür schloss, flackerte die Flammenzunge der kleinen Kerze, die auf dem Nachttisch stand.

Elodie öffnete die Augen.

"Besser, aber noch nicht gut. Wie geht es voran, was die Kirche angeht?"

Die Hausherrin hatte jetzt schon mehrere Tage im Bett gelegen, ein paar ihrer Wunden, die sie sich bei dem Sturz zugezogen hatte, waren offen gewesen und hatten lange geblutet. Währenddessen hatten de anderen Ordensmitglieder fieberhaft nach dem zerstörten Gotteshaus gesucht oder auch nur nach Spuren, die dorthin führen konnten.

"Wir haben ein paar Anhaltspunkte, die uns aufs Land hinaus schicken werden. Cedric, Phillippe, Laurent und Antoine sind dafür, dass wir so schnell wie möglich aufbrechen, manche der Frauen zögern noch. Wir haben aber abgesprochen, dass wir warten werden, bis Ihr Euch gesund genug fühlt, reiten zu können."

Elodie zuckte mit den Schultern.

"Ich bin selbst daran Schuld, dass ich gestürzt bin, nehmt auf mich bitte keine Rücksicht."

Lächelnd drückte Nathalie das Stoffstück aus und drehte sich zu Elodie um, damit sie die Wunden waschen konnte, eine Entzündung war immer noch nicht ausgeschlossen. Ausbrennen wollte sie die blutigen Stellen nicht lassen.

"Ich bitte Euch, wollt Ihr denn wirklich, dass Ihr noch einmal fallt und hoch länger ruhig liegen müsst? Ich denke, Cedric ist nicht gewillt, darauf zu warten."

Elodie schnaubte.

"Wer hat ihn eigentlich zu einer Art Anführer des Ordens bestimmt? Er ist nicht einmal der Älteste! Dieser arrogante..."

Nathalie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, überlegte aber noch einmal kurz und schien dann zu wissen, was sie erwidern wollte.

"Ich denke, das könnt Ihr in selbst fragen, er steht vor der Tür. Er möchte mit Euch reden."

Sie nahm den feuchten Stoff, ließ ihn in das noch immer dampfende Wasser in der Schüssel gleiten und ging durch die Tür.

Schnell legte Elodie noch die Decke richtig über ihren Körper bevor Cedric den Raum betrat, einen Brief lesend.

"Bonjour", sagte er und legte den Brief auf den Nachttisch, zog sich dann einen Hocker näher an das Bett und setzte sich. "Wie geht es Euch?", fragte er sie flüchtig.

Elodie sah ihm in die Augen. Ein Gefühl in ihr, das sie nicht genau bestimmen konnte, ließ sie kalt werden.

"Interessiert Euch das wirklich?"

Cedric zog eine Augenbraue in die Höhe.

"Neue Seiten an Euch. Nein, es interessiert mich nicht wirklich", sagte er und nahm den Brief wieder in die Finger.

"Ihr seid nicht besonders höflich", bemerkte Elodie nur knapp. Was war nur immer los, wenn sie sich begegneten?

"Nein, wohl nicht. Eher ehrlich, was meint Ihr?", meinte er schulterzuckend, doch er war mit seinen Gedanken schon ganz bei dem Papier in seinen Händen. "Ihr habt einen Brief bekommen -"

"Den Ihr schon gelesen habt?", unterbrach sie ihn auffahrend.

Er lächelte.

"Ja, ich habe ihn schon gelesen. Ganz abgesehen davon, dass es unhöflich ist jemanden zu unterbrechen - seid Ihr doch schließlich so besessen von Eurer Höflichkeit - ist der Brief aus Rom und geht damit uns alle an. Sie drohen uns. Wir brauchen zu lange."

Cedric hielt einen Finger unter das Blatt, woraufhin es in Flammen aufging.

"Aber das lassen wir uns ja nicht bieten, oder?", sagte er und lächelte sie an, seine Augen aber waren stechend und berechnend.

Elodie sah auf einen Punkt auf ihrer Decke. Sie hatte durchaus begriffen, worauf er hinaus wollte. Die Wut kochte geradezu in ihr, jeden Moment konnte sie explodieren.

"Raus", sagte sie leise.

Seine Augen glitzerten jetzt.

"Raus!", wiederholte Elodie, diesmal um einiges lauter. Die Kerze begann mit weißen, hellem Licht zu leuchten, einen kleinen Moment waren beide überrascht.

Aber er war in der Lage, sich schnell wieder zu fassen. Einen Augenblick meinte sie, ein Grinsen husche über sein Gesicht, doch sie sah schnell ein, dass sie sich geirrt haben musste.

"Natürlich, Mademoiselle, verzeiht."

Als die Tür sich hinter ihm schloss, spürte Elodie ein Prickeln in ihren Wunden und die Erkenntnis durchzuckte sie, dass sie sich soeben selbst geheilt hatte. Mit einem Lächeln, das ihre Lippen umspielte, ließ sie sich wieder in die Kissen sinken.
 

Ein paar Tage waren bereits vergangen, seit dem Elodie das Bett verlassen hatte, dennoch brach man noch nicht auf. Es gab noch einige Unklarheiten, wie der kürzeste Weg zur eingebrochenen Kapelle zu wählen war, doch die Hausherrin und ihre Bediensteten arbeiteten schon unermüdlich und machten alles zu Abreise bereit.

An einem Abend am Kamin, als Elodie und auch ein paar Gäste im Kaminzimmer ein paar Bücher lasen oder sich leise unterhielten, war aus einer Ecke des Raumes endlich zu vernehmen, wie Cedric, mit Antoine über eine Karte gebeugt, auf den Tisch schlug und laut rief: "Na also, wie sind fertig!"

Die Gespräche verstummten und man hob den Kopf von den Buchseiten um Exodus alle Aufmerksamkeit zu schenken.

Antoine sah noch einen Moment auf das Papier vor ihm auf dem Tisch, dann nickte er und blickte aus.

"Ja. Wann wollen wir aufbrechen? Oder sagen wir so: Wann können wir aufbrechen?"

Diese Frage wandte er an Elodie.

"Frühestens morgen, kurz vor Sonnenaufgang, gegen fünf."

Cedric nickte.

"Gut, dann geht jetzt besser jeder zu Bett."

Mit einem leisen Stöhnen stand Jean auf, der mit Phillipe Schach gespielt hatte.

"Avia", sagte er nur tonlos, und sein schuppiger Drache flog in kleinen Schrauben über ihm durch die Tür.
 

Copyright wie immer, wenn die Charas aus meiner Feder stammen, bei mir!

Dankö für's Lesen und Liebe Grüße,

Idhren



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Kommentare zu dieser Fanfic (9)

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Von: abgemeldet
2007-09-21T20:43:13+00:00 21.09.2007 22:43
also ich finde die gesamte geschichte sehr interessant. und das fässt es eigentlich auch schon zusammen^^
exodus is schon jetzt mein lieblingscharakter^^
ich würde gern mehr davon lesen!
schreibst du denn immernoch weiter?

ciao^^
Von: abgemeldet
2007-07-24T01:07:27+00:00 24.07.2007 03:07
Doch, die Geschichte scheint nach meinem Geschmack zu sein ^.^

Statt Gericht, also in dem Brief, würde ich heilige Inquisition schreiben, weil dass das Gericht ist und sich um solche Angelengenheiten kümmerte.
Was ich ja auch lustig finde, du fandest mein Prolog zu lang, dabei ist deines fast genauso lang, nur 300 Wörter oder so weniger ^.^
Was ich schade finde ist, dass du nicht auf Elodies Aussehen eingehst, also mehr. Der Leser weiß nur, dass sie blonde Haare hat.
>Sie drückte sie Klinke herunter und öffnete die schwere Tür<
- Hab da Mal ein Flüchtigkeistfehler spontan gefunden.
Ich würde statt Feuer gemacht Feuer entfacht schreiben, klingt schöner.
Der Name Elodie kommt ein wenig zu oft vor, versuche vielleicht Mal andere Wörter zu finden, womit du sie beschreiben kannst ohne ihren Namen zu nennen, da ginge zu Beispiel die junge Frau, die Hausherrin, oder auch noch viele andere.
Teilweise finde ich manche Sätze zu lang, diesen hier zum Beispiel:
>Sie tauchte die Spitze der Feder in die schwarze Flüssigkeit, zog sie wieder heraus, ließ sie ein wenig abtropfen und setzte sie schließlich auf das Blatt, wo sie sich kratzend hin und her bewegte, das Schwarz zu Buchstaben und Worten formte und verweilte.<
- Du könntest den Satz vielleicht in 2 oder 3 Sätze teilen und zum Beispiel noch das kratzende Geräusch der Feder auf dem Pergament beschreiben oder einfach die anderen Sinne außer das sehen zu benutzen. Dies erzeugt zusätzlich noch eine besser Stimmung um sich das bildlich vorstellen zu können.
Das gilt natürlich auch für andere so lange Sätze. Ich bin nicht gegen lange Sätze, aber du solltest mal versuchen auch die anderen Sinne anzusprechen und zu beschreiben, dann wirkt alles noch lebhafter. An sich find ich lange Sätze gut ^.~
Ansonsten Kann ich den anderen beiden Lesern vor mir zustimmen in dem Punkt, dass du auf gewisse Dinge mehr eingehen solltest, auch wünsche ich mir mehr Gefühle. Am Anfang fehlten die fast komplett und auch im Gespräch mit Exodus kamen sie erst recht spät.

Ansonsten lässt sich die Geschichte gut und flüssig lesen, worauf ich persönlich immer viel Wert lege. Auf Rechtschreibung hab ich nicht geachtet, bin nicht gut darin, also erkenne ich auch kaum Rechtschreibfehler.
Der Charakter von Exodus hat mich neugierig gemacht die Geschichte auf jedenfall weiter zu lesen und das werd ich auch.

Liebe Grüße
Chaos Phoenix
Von:  Teekatze
2007-02-18T15:36:15+00:00 18.02.2007 16:36
ich bin erst bei seite 7 und habe ausser zwei rechtschreibfehlern (die ich bemerkt habe) nicht gefunden was ich allzugross bemängeln könnte
du hast einen guten, schönen und flüssigen Schreibstil
allerdings scheint es mir das du dir am Anfang, wie soll ich sagen, recht viel zeit gelassen hast alles zu beschreiben, aber nach und nach wirkt alles gehetzter als wenn du dich beeilen müsstest mit irgendwas. aber was fehlt ist irgendwie der gründliche Tiefgang bei den kleinen DIngen. So zum beispiel die Zimmer. Wie haben sie ausgesehen, hängt ein Kreutz an der Wand wie sah der Engländer bei Jeanne d'Arcs Richtplatz aus (bullige Figur, unrasiert, neue Stiefel)
mir scheint es das du häufig nur bis zur vierten oder selten zur fünften Stufe der Kleinigkeiten beschreibst. okay kann ich verstehen aber bei atmosphärisch anspruchsvollen momenten, wie zum Beispiel bei einem Gewitter in einem Baum sitzen, Barfuß, da könnte doch die raue Rinde zwischen den Zehen kitzeln, oder Moos den Ast glitschig machen

so war erstmal alles
ich meld mich nochmal wenn ich zu ende gelesen hab
Von: abgemeldet
2006-07-20T20:02:49+00:00 20.07.2006 22:02
Leider habe ich nicht die Zeit dazu, alles hiervon zu lesen und somit werde ich keine Kritik zu der Geschichtsentwicklung abgeben, sondern nur zu deinem Stil. Bisher habe ich nur den ersten Absatz von Elodie gelesen, aber ich vespreche, Stück für Stück alles zu lesen. Deswegen kommst du auch auf meine Favoritenliste.

Ich meine, dass du Talent hast, aber es noch nicht völlig herangereift ist. Mir fehlt ein wenig mehr die Umschriebung (ich liebe Details *g*). Die Atmosphäre baut sich auf, aber viel zu langsam. Mit der Beschreibung ihres (z.b. Elodies) Umfeldes, wo sie sich befindet und weshalb, bringt dme Leser wichtige Informationen und baut gleich eine feste Struktur auf. Auch finde ich, bist du gleich zu Anfang auf Elodies Aussehen eingegangen (blonde Haare, zum beispiel), aber das Hausmädchen hats du völlig außen vor gelassen.
Auch fehlen mir die Beweggründe, warum sie das Buch in die Hand las, um sich dann mit der Schrift zu plagen. war ihr langhweilig? Das wurde dicht genannt.

Ich möchte dich hier nicht "berichtigen" nur möchte ich aufzeigen, was mir aufgefallen ist. ^^
Bitte, ich würde mich freuen, wenn du mir Bescheid sagst, sobalt ein neues Kapitel online gestellt wurde.
Von: abgemeldet
2006-01-14T09:58:51+00:00 14.01.2006 10:58
also, ich persönlich bin nicht der meinung, dass da etwas mehr action oder wiedrige umstände fehlen. für mich ist dies der beginn einer sehr langen geschichte und daraus schließe ich mal, dass der beginn mehr als gut vorangeht. wenn man mich fragt, würde ich sagen, dass nicht immer die story am besten ist die möglichst schnell konflikte aufzeigt sondern die, die diese langsam aufbaut und dann zu einem rasanten ende oder ähnliches bringt.
es gibt nicht umsonst den aufbau in deutsch in dem es auch darum geht die geschichte bis zum knackpunkt zu bringen und danach in kürzester zeit zum ende - mit einem kleinen weiteren höhepunkt, zu bringen.
wie ich das sehe, hat sie also doch kräfte. das ist doch mal was anderes. *g* mal eine 'heldin' die die meisten schwierigkeiten mit der eigenen kraft(entwicklung) hat *smile*.
Von: abgemeldet
2005-10-29T18:19:34+00:00 29.10.2005 20:19
Bitte schreib weiter!!! Die Geschichte ist toll! *hibbel* ^^
Von:  Hitokiri_Kurai
2005-09-29T18:54:12+00:00 29.09.2005 20:54
Kreative Idee, interessante Ausführung. Mir gefällt's soweit ganz gut. Was bisher aus meiner Sicht jedoch fehlt, ist eine Krise, sprich: Eine Situation in der die Personen sich anpassen müssen und reagieren. Das würde etwas mehr "Leben" in den bisherigen Verlauf bringen.
Von: abgemeldet
2005-08-21T13:15:06+00:00 21.08.2005 15:15
"grins" Keine ursache.Schreib nur schnell weiter sonst sterbe ich vor neugier.
Von:  Idhren
2005-08-20T19:13:55+00:00 20.08.2005 21:13
Oh Gott!
Ein Kommentar!
*theatralisch werd* Du weißt gar nicht WIE GLÜCKLICH DU MICH MACHST!
Manon? Na gut, hab ich ja kein allzu großes Geheimnis draus gemacht, was die kann. Wenn sie starke Kopfschmerzen hat, kann sie die Zeit anhalten, deswegen taucht sie halt auch immer ganz plötzlich auf.
(*total happy ist* Jemand liest mein Glanzstück... Jemand findet es gut... ^-^ DANKÖÖÖÖ)
Von: abgemeldet
2005-08-20T18:41:18+00:00 20.08.2005 20:41
Sorry ich lese deine story seit dem anfang aber mir fiel nie ein einen kommi zu schreiben."bettlet um gnade". Die geschichte ist total genial aber ich hab da eine frage. Diese Manon hat sie Kopfschmerzen weil sie sich teleportier oder weil sie sich durch Zeitverschiebung bewegt?? "neugierig kuckt"


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