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Last Desire 4

L x BB
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
In diesem Kapitel erkennen wir die genaue Beziehung zwischen Andrew und Dr. James Brown. Die Hobbypsychologen unter euch werden sicherlich schon recht schnell erkennen, dass nicht nur ein physisches Abhängigkeitsverhältnis besteht, sondern dass Andrew ganz offensichtlich am Stockholm-Syndrom leidet. Auf der einen Seite will er von Dr. Brown weg und will aus dieser Abhängigkeit entkommen, aber andererseits will er auch nicht von ihm weg, da er sich selbst einredet (und auch von Dr. Brown eingeredet bekommt), dass er es bei ihm besser hat. Dieses Kapitel ist jedenfalls nicht ohne! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Das war jetzt wirklich Stress pur gewesen. Mein PC ist kaputt gegangen und ich hab drei Tage gebraucht, um die Daten zu retten und glücklicherweise hatte mein Onkel "Polly" noch einen alten Dell-PC, den er abgeben wollte. So konnte ich auch meine bisherige Arbeit zu meiner FF retten. Glücklicherweise musste ich das Kapitel nur noch Korrektur lesen, deshalb hat es nicht allzu lange gedauert. Komplett anzeigen

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Verzweiflung

Ein kalter feuchter Wind wehte auf dem Dach und in der Ferne hörte man bereits den Donner. Dunkle Wolken zogen auf und alles wirkte so grau, tot und hoffnungslos. Nicht einmal die Sonne schien für ihn in diesem Augenblick und er hatte wenigstens gehofft, dass der leuchtend blaue Himmel ihm zumindest ein bisschen Trost spenden und ihn von seinem Vorhaben abbringen könnte. Aber dem war nicht so. Stattdessen verdüsterte sich die Welt um ihn herum und zog ihn noch tiefer in den Abgrund der Traurigkeit und Verzweiflung. Eigentlich hätte ihm kalt sein müssen, da er nicht einmal eine Jacke trug, aber die Kälte nahm er nicht sonderlich wahr, dabei war es bereits Ende Oktober. Nichts nahm er noch wahr, als den Schmerz und die Traurigkeit in seinem Innersten. Es gab kein Zurück mehr, jetzt nicht mehr. Für ihn gab es keinen anderen Ausweg mehr als diesen, das hatte er endlich begriffen. Er hatte auf ganzer Linie versagt und alles falsch gemacht, was man nur falsch machen konnte. Wirklich nichts hatte er richtig machen können, weil er einfach unfähig war. Er konnte es niemandem recht machen und stattdessen nur alles kaputt machen und alle um sich herum nur enttäuschen. Er war weder der Nachfolger für L, den Roger und Watari aus ihm machen wollten, noch war er der Freund für Beyond, der er eigentlich sein sollte, noch konnte er dem Menschen nahe sein, den er liebte. Sein ganzes Leben war eine einzige Katastrophe, ein Scherbenhaufen. Als er sich dessen wieder bewusst wurde, wuchs die Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit in ihm, doch er weinte nicht. Er wollte nicht weinen und schwach erscheinen. Niemand durfte merken, wie es in ihm drin wirklich aussah. Eine wichtige Regel als L’s zukünftiger Nachfolger: lass niemanden sehen, wie du dich wirklich fühlst. Verschließe deine Gefühle und bleibe stets objektiv. Du darfst niemals Gefühle zeigen und schwach erscheinen, bewahre immer einen klaren Kopf. Also lächelte er einfach. Ein Lächeln, welches er stets aufsetzte, um vor anderen glücklich, zufrieden und unbekümmert zu erscheinen. Doch in diesem Moment wirkte es nur umso trauriger und hoffnungsloser. Denn er konnte trotz allem die Tränen nicht zurückhalten. Ich bin wirklich erbärmlich, dachte er sich und versuchte sein Lächeln aufrecht zu erhalten, während er sich am Geländer festhielt. Ich bin nicht mal jetzt stark genug, um die Tränen zurückzuhalten. Dabei habe ich es doch sonst immer geschafft, stark zu erscheinen, aber es hat einfach nichts genützt. Egal wie sehr ich mich auch anstrenge, ich schaffe es einfach nicht. Stattdessen muss ich mir von Roger anhören, dass ich zwar vom Intellekt her L würdig bin, aber nicht dieselbe mentale Stärke besitze und deswegen ungeeignet bin. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, habe ich meinen besten Freund verloren. Ich habe alles verloren… Das waren die einzigen Gedanken, die ihn noch erfüllten und ihn Stück für Stück in diese Richtung getrieben hatten und ihn zu dieser drastischen Entscheidung zwangen.

Er brauchte nur loszulassen, um seiner erbärmlichen und wertlosen Existenz ein Ende zu bereiten. Wer würde denn schon um ihn weinen, wenn er tot war? Niemand… Seine Familie war nicht mehr da, er hatte Beyonds Herz gebrochen und mit seinen Gefühlen gespielt und ihm immer nur wehgetan. Und die anderen sahen doch sowieso auf ihn herab und hassten ihn, weil er der Beste war. Pah, der Beste? Von wegen. Er besaß zwar das Wissen, um L sogar zu übertrumpfen. Ja er hatte das Unmögliche geschafft und bewiesen, dass er L bereits übertroffen hatte. Aber er besaß nicht die nötige innere Stärke. Er war nicht so stark wie Beyond und die anderen Kinder im Waisenhaus. Nein, er war schwach und das machte ihn unfähig, L’s Nachfolge anzutreten. Egal wie sehr er sich auch anstrengte, er würde niemals der Mensch sein können, den die anderen sehen wollten. Und damit hatte er seine Daseinsberechtigung in dieser Welt verspielt. Er war doch einzig und allein zu dem Zweck in dieses Waisenhaus gekommen, weil er der große Hoffnungsträger war, auf den Watari baute. Doch stattdessen hatte er sich als absolut unfähig erwiesen und alle enttäuscht, die auf ihn vertraut hatten.
 

Ich habe nicht das Recht, L’s Nachfolger zu werden…

Ich habe nicht das Recht, Beyonds Freund zu bleiben…

Ich habe nicht das Recht, überhaupt noch am leben zu sein…
 

Seine Hände umklammerten das Geländer fester, der Wind wehte nun stärker als zuvor und es fröstelte ihm. Er sah nicht nach unten, denn er wusste, dass er es sich vielleicht noch anders überlegen könnte, wenn er sah, wie tief es nach unten ging. Höhen waren noch nie wirklich sein Ding gewesen und er wusste, was passieren würde, wenn er hinuntersprang. Er würde einige Stockwerke nach unten stürzen und dann auf dem Boden aufschlagen, wo sein mehr als bekümmernswertes Leben beendet wurde. Schön und gut, es würde kein schöner Anblick werden und wenn es nach ihm gegangen wäre, dann hätte er sich lieber anders entschieden. Aber andererseits erschien ihm genau dieser Tod am passendsten. Er würde genauso abstürzen wie im richtigen Leben und dann, wenn er ganz unten angelangt war, einfach sterben. Dann war er auch da, wo er wirklich hingehörte: ganz tief unten auf dem Boden des Abgrunds. Es ist richtig so, sagte er sich selbst immer wieder, brachte es aber dennoch nicht fertig, zu springen. Ein kleiner Widerstand existierte noch in ihm, ein Funken Angst. Was würde mit ihm passieren, wenn er starb? Wo würde er dann hingehen? Ach was, diese Fragen stellte er sich doch schon lange nicht mehr. Es war ihm egal geworden, was mit ihm nach seinem Tod passierte. Er würde einfach aufhören zu existieren, das war alles. Genauso wie eines Tages die Welt einfach aufhören würde zu existieren, als hätte es sie niemals gegeben. Und es würde irgendwann nichts mehr von ihm zurückbleiben. Weder seine Vergangenheit, sein Name, noch sein kurzes Leben, das er geführt hatte. All das würde ins Nichts verschwinden, so wie alles auf dieser Welt. Und wenn schon nicht die ganze Welt endlich verschwinden konnte, dann lag es an ihm, selbst zu verschwinden. Ja, ich werde für immer vom Angesicht dieser trostlosen Welt verschwinden und niemanden mehr wehtun oder enttäuschen können, nur weil ich lebe. Die anderen werden so viel glücklicher sein, wenn ich endlich tot bin. Dieser Gedanke gab ihm neue Kraft und obwohl er immer noch lächelte, flossen ungehindert seine Tränen. Und außerdem ist meine Lebenszeit ja sowieso abgelaufen. Also werde ich hier so oder so sterben. Da macht es auch keinen Unterschied mehr. Da kann ich doch genauso gut springen.

Er atmete tief durch, schloss dabei die Augen und bereitete sich innerlich vor. Der Himmel verdüsterte sich immer weiter und der Donner wurde lauter. Gleich würde mit Sicherheit das Gewitter hereinbrechen. Wie passend für so eine Situation. Fast schon ironisch das Ganze, dass er sich genau an dem Tag umbrachte, wo er Beyond das erste Mal getroffen hatte. Derselbe Tag, dieselbe düstere Atmosphäre. Auch damals hatte es gewittert, wenn er sich nicht täuschte. Aber es erfüllte ihn seltsamerweise mit dem Gefühl, als würde dadurch die Zeit wieder zurückgedreht werden und er mit seinem Tod diese Tragödie ungeschehen machen können. Er wäre gestorben, bevor er Beyond all diese Dinge angetan hätte und er hätte auch nicht die Menschen enttäuschen können, die auf ihn gezählt und ihm vertraut hatten. „Nein! Andrew, warte!!!“ Er hielt inne, als er plötzlich diese Stimme hörte. Für einen Moment kehrte ein kleiner Glanz in seine matten und leeren Augen zurück und als er sah, dass es Beyond war, schwand sein Lächeln. Was machte er denn hier auf dem Dach? Wieso war er nicht mit all den anderen Kindern im Speisesaal? Er sollte doch gar nicht hier sein! Er sollte das hier nicht mit ansehen! Aber dann erinnerte er sich wieder. Ja richtig… er weiß ja, dass ich gleich sterben werde. Er sah die Angst in diesen unmenschlichen roten Augen, die Angst vor dem bevorstehenden Verlust und die Verzweiflung. Alles nur wegen mir, dachte er traurig und fand sein Lächeln wieder. Nur wegen mir hast du so viel leiden müssen, mein Freund. Aber mach dir keine Sorgen. Wenn ich sterbe, dann bist du frei von mir und kannst endlich glücklich werden. Dann werde ich dir nie wieder wehtun können. „Andrew, bitte mach das nicht. Bleib bei mir! Ich brauche dich doch!“

„Es tut mir Leid, Beyond. Aber… es ist zu spät. Meine Zeit in dieser Welt ist abgelaufen. Ich kann einfach nicht mehr… Bitte verzeih mir…“ Damit ließ er das Geländer los und verlor den entsprechenden Halt. Er stürzte vom Dach und Beyond, der sich über das Geländer beugte und seine Hand nach ihm ausstreckte, konnte ihn nicht mehr erreichen. Nur ganz knapp verfehlte er die Hand seines Freundes und musste hilflos mit ansehen, wie dieser in die Tiefe stürzte. Und bis zu dem Moment, als A auf dem Boden aufschlug und starb, behielt er noch sein Lächeln, um bis zuletzt vor der gesamten Welt seine unendliche Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung zu verbergen.

Ein Tag wie jeder andere

Als Beyond aufwachte, spürte er etwas Schweres auf seinem Körper liegen und ihm war warm zumute. Müde rieb er sich die Augen und erkannte nur undeutlich im schwachen Licht, dass es L war, der da auf ihn lag, den Kopf auf seine Brust gelegt hatte und tief und fest schlief. Er sah dabei so süß aus, dass Beyond nicht anders konnte als zu grinsen und seinen Kopf zu streicheln. Zwar war der Herr Meisterdetektiv ab und zu ein Kotzbrocken, aber er schlief trotzdem nicht gerne alleine. Stattdessen kuschelte sich der Gute immer an ihn heran. Wie ein kuscheliges kleines Pandabärchen. Wie spät war es denn eigentlich? Beyond sah auf die Digitaluhr auf seinem Nachttisch und stellte fest, dass es bereits halb neun Uhr morgens war. Um die Zeit war L doch schon längst wach und kümmerte sich um seine Arbeit. Naja, ich hab ihn ja auch wieder ganz schön hart rangenommen. Kein Wunder, dass er so fertig ist. Na was soll’s… Dann liegen wir zwei Hübschen eben noch eine Weile zusammen, wenn der schon nicht von alleine aufwacht. Also lehnte sich Beyond wieder zurück und legte einen Arm um den schlafenden L. Es war so angenehm und friedlich, hier zu liegen, sich um rein gar nichts Gedanken machen zu müssen und einfach nur die Zweisamkeit genießen zu können. In der letzten Zeit war wirklich viel passiert. Seine Adoptivschwester hatte geheiratet und sie waren nach Boston gezogen, nachdem sie sich eine Zeit lang in Japan versteckt hatten, weil sie vor Clear und Sam sicher sein wollten, falls diese eines Tages ausbrechen sollten. Sie hatten trotz heftigem Beziehungsstreit wieder zueinander gefunden und in ein paar Monaten würde Rumiko Mutter werden. Wirklich unglaublich das Ganze und Beyond konnte es immer noch nicht so wirklich fassen. Manchmal, wenn er aufwachte, da hatte er das Gefühl, als wäre das alles bloß ein Traum gewesen. Und dann beschlich ihn manchmal die Angst, dass er aufwachte und sich entweder in seiner Gefängniszelle wiederfand, oder in diesem heruntergekommenen Apartment in L.A., wo er gehaust hatte, bis er von Sam niedergeschossen worden war. Aber wenn er dann die Augen öffnete und L lag da neben ihm, da wich diese Angst wieder und er wusste mit fester Gewissheit, dass das hier wirklich passierte und auch real war. Er war mit L wirklich in Boston. Kaum zu glauben, dass er vor ein paar Monaten noch versucht hatte, ihn umzubringen. Beyond musste sich daran erinnern, wie er L damals im Keller attackiert hatte, weil er ihm die Schuld an A’s Selbstmord gab. Wie sich die Dinge doch ändern können. Jahrelang bis aufs Blut verfeindet und jetzt gemeinsam im Bett. Wenn ich das dem Beyond von vor vier Monaten sage, der wird mich wahrscheinlich für verrückt erklären.

Langsam regte sich der Detektiv schließlich und öffnete die Augen. Müde starrte er ihn an und sagte nichts. „Guten Morgen, Pandabärchen“, grüßte Beyond ihn grinsend und zuerst gab L keine Reaktion darauf, dann schnappte er sich sein Kissen und klatschte es ihm halbherzig ins Gesicht. „Das war jetzt nicht nett“, beschwerte sich der Serienmörder und legte das Kissen beiseite. L seinerseits versuchte aufzustehen, aber man sah ihm an, dass er mal wieder wie gerädert war. Und wahrscheinlich war er deswegen sauer. „Du musstest es natürlich mal wieder komplett übertreiben. Dabei habe ich dir doch gesagt, dass zwei Runden mehr als genug sind, aber du kriegst ja nie den Hals voll. Und außerdem habe ich dir schon hunderttausend Mal gesagt, dass du das mit den Kosenamen sein lassen sollst!“ Also doch. Nun gut, Beyond hätte eigentlich damit rechnen müssen, dass er wieder einen auf den Deckel kriegt, aber das war es ihm trotzdem wert gewesen. Und im Grunde lief es doch immer so ab. Er machte sein Ding und bekam dann dementsprechend danach eins auf die Mütze zur Strafe. So war es immer abgelaufen und so würde es auch immer ablaufen. Da war er sich sicher. Daran hatte sich Beyond schon längst gewöhnt und er hatte ja auch nichts dagegen, dass es nach dem Sex immer so eine kleine Zankerei gab. L war nun mal ein eigensinniger Dickschädel und hatte eben seinen Stolz und den ließ er sich nicht so schnell nehmen. Das machte ja auch irgendwie den Reiz aus. Zugegeben, manchmal stellte Beyond es sich schon vor, dass er aufwachte, L ihm dann einen Kuss gab und ihm einen guten Morgen wünschte. Aber dann ließ er diesen Gedanken wieder fallen und sagte sich: Nee, das wäre einfach nicht L! Da hatte er lieber einen sturen und kindischen Dickkopf, als so etwas. Er hatte es eben gerne, wenn sein süßer Detektiv widerspenstig war. Dann machte es ja umso mehr Spaß mit ihm. Etwas benommen kam L wieder auf die Beine und wankte ein wenig. Beyond setzte sich auf und fragte etwas besorgt „Alles in Ordnung bei dir? Hast du Schmerzen?“ „Mein Rücken…“ Okay, dafür kann ich ja wohl nichts, dachte Beyond und stand ebenfalls auf und ging zu ihm hin. „Hast du irgendwie falsch gelegen?“ „Kann sein… Ich geh jetzt erst mal ins Bad.“

„Soll ich dir gleich mal eine Rückenmassage verpassen?“ L, der offenbar glaubte, dass der BB-Mörder wieder irgendetwas im Schilde führte, funkelte ihn misstrauisch an, sagte aber nichts. Wortlos verschwand er ins Bad und schloss die Tür ab. Mann, war der mal wieder schlecht drauf. Nun ja, Beyond musste zugeben, dass fünf Runden vielleicht ein bisschen übertrieben waren, aber das hatte sich der feine Herr Meisterdetektiv selbst zuzuschreiben. Immerhin war er nach der Sache mit dem kleinen Mittelchen, das Rumiko ihm zugesteckt hatte, so nachtragend gewesen, dass er eine Woche Sexverbot verhängt und Beyond sogar zwischendurch auf die Couch verbannt hatte! Also brauchte der sich nicht wundern, wenn es dementsprechend viel nachzuholen gab. Und außerdem hatten sie ja beide ihren Spaß gehabt, sonst hätte L nicht so süße Töne von sich gegeben. Als der Meisterdetektiv nach einiger Zeit aus dem Bad kam, ging Beyond selbst erst einmal duschen. Eigentlich wäre ihm ja lieber gewesen, wenn sie beide zusammen unter die Dusche gegangen wären, aber wenn der gute L mit schlechter Laune aufwachte, dann sollte man sein Glück nicht allzu sehr herausfordern. Sonst konnte das noch ordentlich nach hinten losgehen. Und da dem armen Kerl sowieso jegliche Energie fehlte, wollte Beyond auch mal Gnade walten lassen. Er war ja kein Unmensch.

Als er sich nach einer heißen Dusche im Spiegel betrachtete, stellte er fest, dass seine Augenringe deutlich zurückgegangen waren. Okay, er hatte nie so schlimme gehabt wie L, aber dennoch hatte er immer welche gehabt. Aber seit sie beide ein Paar waren, waren sie nach und nach verblasst und jetzt war kaum noch die Spur davon zu sehen. Und auch L’s Augenringe waren nicht mehr mit schwarzen Schluchten zu vergleichen wie sonst. Vielleicht lag es ja daran, weil der Gute auch mal etwas Abwechslung in sein Leben bekam und nicht immer nur mit seinen Kriminalfällen zu tun hatte, sondern jetzt auch endlich ein Privatleben besaß. Aber wahrscheinlich hatte es eher damit zu tun, weil Beyond ihn ganz schön an seine Grenzen trieb, dass der Ärmste fast jedes Mal nach dem Sex komplett gerädert war. Da musste er sich erst mal davon erholen und schlief dementsprechend auch länger. Auch gut, dann sah er nicht mehr ganz so schlimm aus. Die Tür zum Badezimmer ging auf und L kam noch mal rein. Dass Beyond nur ein Handtuch um die Hüften trug, störte ihn schon längst nicht mehr. „Hast du was vergessen?“ fragte Beyond und begann damit, seine Haare zu trocknen. „Ich brauch eine Schmerztablette…“ „Lass ruhig. Ich zieh mich nur eben kurz an, dann komm ich und sehe mir deinen Rücken mal genauer an.“ Doch so wirklich traute der Detektiv dem Braten immer noch nicht. Denn er wusste nur zu gut, was für ein hinterlistiger Schwerenöter sein Lover sein konnte. „Warum werde ich das Gefühl nicht los, dass du schon wieder etwas im Schilde führst?“

„Keine Ahnung. Dabei müsstest du doch längst wissen, dass ich dich in Ruhe lasse, wenn du so kaputt bist. So dringend nötig habe ich es ja auch nicht.“

„Als ob ich dir das abkaufe, du Nymphomane.“ Beleidigt streckte Beyond ihm die Zunge raus und holte aus dem kleinen Schränkchen ein Döschen mit Kopfschmerztabletten heraus und nahm eine. Dabei erhaschte L einen kurzen Blick auf seinen Rücken und sah die Narben, die Clear ihn verpasst hatte. Die Wunden waren gut verheilt, allerdings waren die Spuren der grausamen Folter immer noch zu sehen. Auch an Beyonds Handgelenken waren sie noch zu erkennen. Es würde wahrscheinlich noch eine lange Zeit dauern, bis sie gänzlich verblasst waren. Diese Narben waren unschöne Andenken daran, was Beyond für Schmerz und Leid erduldet hatte, um L zu beschützen. „Die Verletzungen sind offenbar inzwischen ganz verheilt“, sagte er schließlich und lehnte sich gegen die Badezimmertür. „Spürst du sie eigentlich noch?“ „Nicht wirklich“, antwortete der Serienmörder mit einem Kopfschütteln und begann damit, sich anzuziehen. „Zugegeben, es hat seine Zeit gebraucht, aber inzwischen merke ich gar nichts mehr. Und der Doc meinte auch, dass alles bestens verheilt ist. Nun gut, vielleicht werden ein paar Narben noch zurückbleiben, aber mich stört’s nicht sonderlich. Ich kann damit gut leben, weil ich ja sowieso wegen der Hauttransplantation nach der BB-Mordserie Narben habe. Und ich sage mir einfach: wer keine Narben hat, der hat nicht richtig gelebt. Solange wir beide leben und in Ordnung sind, ist es mir egal. Oder stören dich die Narben etwa?“

„Nein, das habe ich nicht gemeint.“ Doch Beyond konnte an L’s Gesicht deutlich ablesen, dass dieser sich Sorgen machte. Also ging er zu ihm hin und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. „Nun hör schon auf, dir deswegen Sorgen zu machen. Dank dir und Rumiko hab ich damit endgültig abgeschlossen und solange du bei mir bist, ist alles gut.“ Schließlich zog Beyond noch seinen Pullover an, dann verließ er mit L zusammen das Badezimmer und ging zurück mit ihm ins Schlafzimmer und wies den Detektiv an, den Pullover auszuziehen und sich hinzulegen. „Ich trau dir immer noch nicht“, gab dieser nur zur Antwort, folgte aber den Anweisungen. Beyond lachte darüber nur. „Keine Sorge, ich weiß, was ich tue und ich mach schon nichts Unanständiges.“

„Und wo hast du das überhaupt gelernt?“

„Rumiko hat mal einen Kurs gemacht und mir ab und zu mal eine Rücken- oder Nackenmassage gegeben, wenn ich verspannt war. Und dann hat sie mir eben gezeigt, wie es geht.“ Als L sich hingelegt hatte, begann Beyond mit seiner Arbeit. Er brauchte nicht lange um festzustellen, dass der Detektiv ziemlich verspannt war. „Es könnte vielleicht gleich ein kleines bisschen wehtun, nur damit du schon mal vorgewarnt bist.“ „Mach einfach“, das war die einzige Antwort darauf. Beyond passte natürlich auf, dass er nicht allzu grob vorging und eine Zeit lang ging alles auch ganz gut, aber dann, nach ungefähr zehn Minuten, erwischte er wohl eine ungünstige Stelle. Das Ergebnis war, dass es nicht besser, sondern schlechter wurde und L ein „Ich bring dich um, Beyond!!!“ von sich gab, während er versuchte, irgendwie aufzustehen, was sich aber als keine gute Idee herausstellte. Er schaffte nicht einmal das und lag bäuchlings und stöhnend im Bett. So war das nicht geplant gewesen. Schnell schnappte sich Beyond sein Handy und rief kurzerhand Rumiko an und bat sie, vorbeizuschauen und zu helfen. Da sie zum Glück gleich nebenan wohnte, war sie dementsprechend schnell da und sah das Häufchen Elend halbnackt und vor Schmerz stöhnend auf dem Bett liegen. Kein Wunder, dass sie sich dabei so ihren Teil denken musste. Entgeistert sah die Schwangere ihren Bruder an und fragte „Was hast du denn mit dem angestellt? Der arme L sieht ja furchtbar aus. Ich hab dir doch gesagt, du sollst es mit deinem SM-Fetisch nicht allzu sehr übertreiben.“

„Moment mal“, rief der Serienmörder und machte eine abwehrende Bewegung mit den Händen. „Es ist nicht, wonach es aussieht.“ „Das hör ich witzigerweise jedes Mal…“ Die Halbasiatin schüttelte den Kopf und sah sich die Sache selbst an. „Also schieß mal los, was habt ihr zwei Hübschen denn angestellt?“

„Beyond hielt es für eine wunderbare Idee, an mir seine absolut genialen Massagetechniken auszutesten und jetzt kann ich nicht mal mehr aufstehen.“ Rumiko sah sich das näher an und betastete vorsichtig die Stelle, wo es am meisten wehtat. „Ach Mensch, Beyond. Du solltest das besser mir überlassen. Ich werde mal sehen, ob ich das wieder gerichtet bekomme, sonst müssen wir zum Chiropraktiker.“

„Bloß das nicht“, grummelte L und seine Stimmung war auf einem neuen Tiefpunkt angelangt. „Ich brauch keine Pseudoärzte. Und ich schwör dir eines, Beyond: wenn ich wieder aufstehen kann, dann kannst du dich warm anziehen.“ Zum Glück hatte Rumiko deutlich mehr Ahnung und konnte nicht nur Beyonds Missgeschick beheben, sondern sorgte auch dafür, dass L’s Rückenschmerzen weggingen. Eine wirkliche Wohltat nach dem Mist, den Beyond verzapft hatte. Okay, er hatte es gut gemeint, das ließ sich nicht abstreiten. Aber das machte es auch nicht ungeschehen, dass er dem armen L versehentlich einen halben Hexenschuss verpasst hatte. Nachdem der Detektiv wieder vernünftig aufstehen konnte, verpasste er dem BB-Mörder zur Strafe eine Kopfnuss und ging dann mit ihm und Rumiko ins Wohnzimmer. Da die Schule, an der sie unterrichtete, auf Klassenfahrt war, hatte sie die Woche frei und hatte sowieso noch ein paar Arzttermine. Sie sah so schön aus wie eh und je, trotzdem machte sich langsam der Schwangerschaftsbauch bemerkbar. Zwar ließ er sich ganz gut unter ihren Kleidern verbergen, aber wenn man genau hinsah, konnte man ihn schon erkennen. „Sag mal, wo ist denn eigentlich Jamie?“ „Er muss heute in der Werkstatt aushelfen, da ein Kollege krank geworden ist. Ich treffe mich aber nachher noch mit Joey zum Shoppen, schon mal ein paar Sachen einkaufen gehen. Euch zwei kann ich ja schlecht fragen.“ Da hatte sie auch Recht. Weder L noch Beyond hatten wirklich Lust, mit Rumiko Babysachen einkaufen zu gehen. Deshalb war es eine vernünftige Idee, wenn sie stattdessen einen ihrer schwulen Freunde aus der Bar fragte. Die hatten deutlich mehr Spaß an so etwas. Rumiko war in jeder Hinsicht außergewöhnlich, anders konnte man es nicht beschreiben. Erst vor kurzem hatte L erfahren, dass sie Beyonds Adoptivschwester war und hatte vorher irrtümlich gedacht, dass die beiden eine heimliche Affäre hätten, was zu allerlei Missverständnissen und Streitereien geführt hatte. Aber dann hatte sich alles aufgeklärt und Rumiko war eine gute Freundin geworden, die immer half, wenn sie konnte. Nach außen hin war sie eine einfache Musiklehrerin, aber was viele nicht wussten war die Tatsache, dass sie die letzte lebende Karasuma war und damit zu einer Millionärsfamilie gehörte. Allerdings war sie kurz nach ihrer Geburt verstoßen worden, weil sie mit Shinigami-Augen zur Welt kam, genauso wie Beyond. Sie hatte sich liebevoll um ihn gekümmert und ihn vor den Übergriffen seines Vaters beschützt, was im Laufe der Jahre dazu führte, dass sie eine Antipathie gegen Männer entwickelte. Und da sie aufgrund ihres Aussehens viele aufdringliche Verehrer hatte, die sie teilweise regelrecht bedrängten, hatte sie sich von der Männerwelt abgewandt. Nun ja, besser gesagt von den heterosexuellen Männern. Deshalb waren all ihre männlichen Freunde schwul. Ihr Ehemann Jamie, den sie schon von klein auf kannte, war die einzige Ausnahme, weil er aufgrund seiner geistigen Behinderung grundehrlich war und nicht fähig war, irgendwelche bösen Hintergedanken zu haben. Er war in der Hinsicht wie eine Art Realversion von Forrest Gump. Zwar war sie für gewöhnlich ein sehr hilfsbereiter und fürsorglicher Mensch, aber sie hatte es genauso wie Beyond faustdick hinter den Ohren und konnte auch ziemlich grausam und sadistisch gegenüber Leuten sein, die ihre Freunde bedrohten. Das Einzige, woran sich L bis heute noch nicht gewöhnen konnte, war die Tatsache, dass Rumiko eine Leidenschaft für Yaoi-Mangas hatte und mit ihren Fantasien einen regelrechten Einfluss auf Beyond ausübte und ihn auf dumme Ideen brachte. Das waren Momente, in denen L sich ernsthaft fragte, ob sich die Welt gegen ihn verschworen hatte.

„Ich bin ja mal gespannt, wann Terry und Alex endlich heiraten werden, nachdem schon Joey und Sammy geheiratet haben. Die beiden wollen jetzt auch noch die Adoption für ein Kind beantragen. Ach ja, das wird sicherlich noch richtig schön werden, wenn Terry endlich seinen wahren Traummann heiratet, nachdem er die Verlobung mit Joey gelöst hat. Lange kann es ja nicht mehr dauern.“ Dankend nahm sie einen Kaffee von Watari entgegen und gab zwei Zuckerwürfel und etwas Milch dazu. Sie war gut gelaunt und hörte gar nicht mehr zu reden auf. Aber dann schließlich, als die Stimmung ausgelassen genug war, da kam sie mit dem nächsten Klopper an, als sie Beyond ein Buch in die Hand drückte, wobei sie sich natürlich nicht ihr Grinsen verkneifen konnte. Daran ließ sich sehr gut erkennen, dass sie gewisse Hintergedanken hatte. Und das gefiel L ganz und gar nicht. Und als er tatsächlich sah, dass das Buch nicht bloß irgendeine harmlose Krimilektüre war, seufzte er und schüttelte den Kopf. „Langsam habe ich wirklich den Eindruck, als hätte deine Adoptivschwester einen schlechten Einfluss auf dich.“

„Ich kann eben nicht anders“, sagte diese und lächelte entschuldigend. „Ich liebe einfach solche Beziehungen und ich will doch meinem kleinen Bruder helfen.“

„Und ich darf es wieder ausbaden, wenn du ihm ein Buch mit Fesselungstechniken mitbringst, oder wie?“

„Ach komm schon, L. Jetzt tu mal nicht so, als hättest du nicht auch deinen Spaß dabei.“

„Ihr habt euch eindeutig gegen mich verschworen.“ Beyond und Rumiko grinsten zusammen und schienen sich prächtig zu amüsieren. L hingegen kam sich hier irgendwie ziemlich verloren vor und grummelte nur missmutig vor sich hin. Er war eben ein schlechter Verlierer in der Beziehung. Und es nervte ihn einfach, dass Rumiko und Beyond sich gegen ihn zu verbünden schienen. „Einer schlimmer als der andere…“ „Jetzt sei mal nicht so eingeschnappt“, versuchte Rumiko ihn aufzuheitern und kniff ihn scherzhaft in die Wange. „Ich hatte das Buch sowieso schon seit längerem im Regal stehen, als Sascha es mir mal gegeben hat. Und mit Jamie kann ich das ja schlecht machen. Er mag so etwas nicht wirklich und wäre damit auch ziemlich überfordert. Und da ich weiß, dass mein Bruder so gewisse Vorzüge hat, dachte ich mir, er könnte mehr damit anfangen.“ Doch L glaubte ihr kein Wort, denn er wusste nur zu gut, dass Rumiko vollkommen verrückt nach solchen Beziehungen war und ständig mit ihren Mangas zugange war. Sowohl sie als auch Beyond hatten aber auch nur Blödsinn im Kopf. Zwar waren sie nicht blutsverwandt, aber vom Charakter her waren sie sich verdammt ähnlich. Schließlich aber holte die frisch verheiratete Halbjapanerin etwas anderes hervor, was sie Beyond und L sofort in die Hand drückte: die neuesten Ultraschallbilder. Es zeigte die beiden ungeborenen Zwillinge, die da langsam heranwuchsen. Beyond und L sahen sich das Bild an und konnten ihren Blick nicht abwenden. „Der Arzt meinte, dass alles wirklich wunderbar verlaufe. Es werden wohl eineiige Zwillinge und in dem Falle entweder zwei Jungen, oder zwei Mädchen. Ich hab schon mit Jamie überlegt, wie wir das zweite Kind nennen sollen. Wir haben uns auf Lucy und Sally geeinigt, wenn es zwei Mädchen werden und wenn es zwei Jungs werden, möchten wir sie Faith und Rebirth nennen.“

„Und merkst du schon irgendetwas?“

„Außer, dass ich fast ständig Heißhunger auf Milchshakes und Suppen habe, mir fast jeden Morgen schlecht wird und ich erst letztens in der Schule während des Unterrichts einen Heulkrampf gekriegt habe… Der Arzt meinte, dass das die Hormone sind, aber trotzdem war mir das echt peinlich, als Jessica gerade am Vortragen war und ich dann in Tränen ausgebrochen bin. Das wurde so schlimm, dass ich nach Hause geschickt wurde.“ Beyond, der sich das bildlich vorstellen musste, konnte sich das Lachen natürlich nicht verkneifen. Natürlich war das witzig. „Und was würdest du dir wünschen? Würdest du lieber Jungen oder Mädchen haben?“

„Das ist mir egal“, antwortete sie und trank noch einen Schluck Kaffee. „Solange die beiden gesund zur Welt kommen, bin ich glücklich damit. Ich hätte auch nichts dagegen, wenn sie genauso wie Jamie gewisse Einschränkungen haben. So oder so werde ich die beiden lieben.“ Schließlich musste sich Rumiko wieder verabschieden, da sie nicht zu spät zu ihrer Verabredung kommen wollte. Sie versprach aber, bald wieder vorbeizuschauen und legte Beyond ans Herz, es nicht ganz zu hart mit dem armen L zu treiben, dass dieser gar nicht mehr aufstehen konnte. Der Serienmörder erwiderte schmollend „Ich sagte doch, dass es nicht das war, wonach es aussah“, aber er konnte seiner Adoptivschwester diesen Spaß nicht nehmen. Und das Buch mit den Fesselungstechniken behielt er auch. Sehr zu L’s Missfallen übrigens, der genau wusste, dass er wieder als Versuchskaninchen herhalten durfte, wenn dieser Knallkopf meinte, er müsste das unbedingt selbst mal austesten. Und das war es doch, was diese gerissene Musiklehrerin beabsichtigt hatte.

Ein unverhofftes Wiedersehen

Da den Tag über nicht sonderlich viel zu tun war, hatte Beyond dementsprechend viel Freizeit und verbrachte etwas Zeit damit, sich die Nachrichten anzuschauen und zu gucken, ob es irgendetwas Interessantes in der Welt gab. Dem war nicht so, wie üblich. Immer, wenn man brutale und gestörte Serienmörder brauchte, waren sie nicht da. Na, zumindest war es tröstlich zu wissen, dass Sam und Clear immer noch hinter Gittern waren und er somit nicht befürchten musste, von denen noch besucht zu werden. Darauf konnte er wirklich verzichten. L hatte auch dafür gesorgt, dass die beiden so schnell nicht freikommen würden und wenn er etwas machte, dann auch richtig! Müde streckte er sich und sah aus dem Fenster. Draußen war es düster und bewölkt. Obwohl es bald Frühling wurde, war ihm so, als wäre es noch Herbst. Bald würde es wohl gewittern, so wie es aussah. Irgendwie weckte dieses Wetter jedes Mal die Erinnerung in ihm, als A damals vom Dach gesprungen war. Da war es auch so düster gewesen. Irgendwie schon verrückt, dass er sich ausgerechnet heute wieder daran erinnern musste. Aber seltsamerweise schmerzten ihn diese Erinnerungen nicht mehr so sehr wie damals. Natürlich war es tragisch gewesen und er würde niemals den entsetzlichen Anblick vergessen, als er seinen besten Freund und seine erste große Liebe tot auf dem Boden liegen sah, während sich unter ihm eine Blutlache ausbreitete. Aber es war nicht mehr so, dass es ihn stets und ständig verfolgte und er in diesem Schmerz gefangen war, wie vor einigen Monaten noch. Manchmal dachte er schon gar nicht mehr daran, weil er damit endlich abgeschlossen hatte. Dank L hatte er den Selbstmord endlich verarbeiten und die Vergangenheit hinter sich lassen können. Zugegeben, es gab Momente, in denen er seinen alten Freund vermisste und sich wünschte, er könnte wieder so offen mit ihm reden wie damals. Allein den Tag, als sich Beyond in ihn verliebt hatte, würde er wahrscheinlich nie vergessen. Es war ein windiger und wolkenverhangener Sommertag gewesen, als sich die Kinder aus dem Waisenhaus zum Angeln verabredet hatten. Es waren diese Freizeitaktivitäten gewesen, die er immer gehasst hatte, weil er so oder so immer der große Außenseiter gewesen war. Die anderen fanden ihn schon damals unheimlich, weil er eben anders war und deshalb war er immer alleine gewesen. Also hatte er im Abseits gesessen und sie beobachtet, während sie zum Spaß Fische angelten und sie hinterher ins Wasser zurückwarfen. Er war zwar kein Tierfreund gewesen, aber das, was sie da taten, war in seinen Augen einfach krank gewesen, besonders, weil es ihnen auch noch Spaß gemacht hatte. A hatte ebenfalls nicht mitgemacht und seine Angel nicht angerührt. Er hatte sich einfach zu ihm gesetzt und gesagt, er fände so etwas geschmacklos. Beyond hatte schließlich die Kinder gefragt, ob sie Spaß daran hätten, mit dem Leben anderer zu spielen. Wirklich verstanden hatten sie es nicht und als Mike auch noch gesagt hatte „Es sind ja nur Fische“, da hatte Beyond nur noch Verachtung für ihn übrig gehabt, ihn am Kragen gepackt und gesagt „Glaubt ihr etwa, das Leben eines Fisches ist weniger wert als das eines Menschen? Ihr spielt zum Spaß mit dem Leben von Tieren, weil sie sich nicht zur Wehr setzen und sich auch nicht großartig beschweren können. Mal sehen, ob ihr noch Spaß habt, wenn euch einer ins Wasser schmeißt und ihr fast ertrinkt. Bin dann mal gespannt, ob dann jemand sagen wird „Das ist doch bloß ein Mensch“. Ihr seid krank!“ Daraufhin hatten sie ihn wie schon so oft einen Freak genannt und er war mal wieder ganz alleine gewesen. Nun, das hatte auch keinen großen Unterschied gemacht, aber er hatte nicht damit gerechnet, dass A zu ihm kam und seine Meinung tatsächlich teilte. Er war der Einzige, der ihn wirklich verstanden hatte und seine Ansichten nachvollziehen konnte. Und auch wenn Beyond immer wieder versucht hatte, ihn abzuweisen, A hatte immer die Nähe zu ihm gesucht und war stets geduldig mit ihm. Er hatte all seine Launen ertragen und nie sein Lächeln verloren. Zuerst hatte Beyond ihn für ziemlich bescheuert und nervig gehalten, aber als sie dann wie schon so oft zusammen gesessen und miteinander geredet hatten, da hatte A etwas gesagt, was Beyond wirklich erschüttert hatte, weil es ihm zum allerersten Mal gezeigt hatte, was sich wirklich hinter seinem Lächeln versteckt hatte. Als Beyond ihm erzählt hatte, wie er von seinem Umfeld behandelt worden war und er dann sagte „Manchmal frage ich mich, ob ich schuld daran bin, dass alles so gekommen ist und dass ich ein Monster bin, oder ob vielleicht die anderen schuld sind“, da hatte A mit seinem typischen Lächeln geantwortet „Ich glaube, die ganze Welt ist schuld an dem Elend. Meinetwegen kann die ganze Welt aufhören zu existieren. Und ich gleich mit ihr. Es würde sowieso keine Rolle spielen, wenn ich nicht mehr da wäre. Niemanden würde es kümmern. Irgendwann hört sowieso alles auf zu existieren und nichts wird mehr zurückbleiben. Alles verschwindet ins Nichts und gerät in Vergessenheit. Du, ich und die ganze Welt und niemand bildet eine Ausnahme.“ In diesem Moment hatte Beyond erkannt, wie unendlich hoffnungslos und traurig dieser Junge hinter dem Lächeln war. A hatte der ganzen Welt einen unbekümmerten und fröhlichen Menschen vorgespielt und selbst keinen Lebenswillen und keine Hoffnung mehr besessen. Den Grund für seine Depression hatte er nie genannt, aber er hatte ein einziges Mal durchblicken lassen, was ihm passiert war und was ihn bis zu seinem Tode noch verfolgt hatte. Beyond hatte von ihm erfahren, dass A zuvor in einem anderen Waisenhaus gewesen war. Und dort seien in einer Nacht alle Kinder von einer einzigen Person getötet worden, er war der einzige Überlebende. Wahrscheinlich hatte das auch zu seiner Depression beigetragen, nicht bloß allein der Druck, der auf ihn lastete, oder seine unglückliche Liebe zu L. Manchmal fragte sich Beyond schon, ob vielleicht irgendwelche Hoffnung für ihn bestanden hätte und ob er seinen Tod nicht hätte verhindern können, wenn er schneller gewesen wäre. Hätte ich seine Hand nur zu fassen bekommen, dann hätte er vielleicht gar nicht sterben müssen. Das hatte er sich immer wieder gesagt, aber im Grunde hatte er sich doch nur etwas vorgemacht. Beyond wusste durch sein Augenlicht, dass A verloren gewesen war. Nichts auf der Welt hätte seinen Tod verhindern können, weil seine Zeit einfach abgelaufen war. Aber er hatte es lange Zeit nicht akzeptieren können, weil er ihn geliebt hatte und zwar so sehr, dass er für ihn zu L’s Ersatz wurde. Inzwischen wusste er auch, dass Clear mitverantwortlich gewesen war, dass A sich das Leben genommen hatte. Dieser durchgeknallte Bombenleger hatte ihn systematisch in die Ecke gedrängt, ihm Vorwürfe gemacht und ihm ein schlechtes Gewissen eingeredet, weil er nicht akzeptieren konnte, dass Beyond, den er so vergötterte, jemand anderen liebte. Und als er nach seinem heimlichen Abgang aus Wammys House bei Rumiko in der Oxford Universität untergekommen war, da hatte sie ihm auch klar gemacht, dass der Tod unvermeidlich war. Manche Dinge konnte man einfach nicht ändern, so grausam das auch klang. Wenn der Tod eines Menschen feststand, dann war es so und dann musste man es eben akzeptieren. Aus ihrem Mund klang das natürlich leicht daher gesagt, aber auch Rumiko hatte diese Erfahrung auf schmerzliche Art und Weise machen müssen. Denn ihre Zwillingsschwester, zu der sie ein sehr enges Verhältnis gehabt hatte, hatte sie trotz mehrfacher Knochenmarkspende nicht retten können und so war Yumiko im Alter von gerade mal 16 Jahren an ihrer Leukämie gestorben. Ihre leibliche Familie hatte sie gehasst, aber Yumiko und Rumiko waren sehr eng befreundet und lange Zeit war die schwer kranke Schwester die einzige Bezugsperson gewesen, während Rumiko bei ihrer leiblichen Familie gelebt hatte. Aber sie hatte schweren Herzens akzeptieren müssen, dass Yumiko an ihrer Krankheit sterben würde und sie blieb stark. Sie blieb allein deshalb stark, weil sie wusste, dass Beyond diese Tatsache eben nicht so einfach akzeptieren konnte und damit zu kämpfen hatte. Und lange Zeit hatte er noch gedacht gehabt, er hätte seinen besten Freund und seine große Liebe retten können, wenn er seine Hand erreicht hätte, als er in die Tiefe stürzte. Oder dass A nicht hätte sterben müssen, wenn L nicht da gewesen wäre. Lange Zeit hatte er L die Schuld an seinem Elend gegeben und ihn für A’s Tod verantwortlich gemacht. Aber nun hatte er endlich verstanden, dass niemanden die Schuld traf. A hatte diese Entscheidung selbst getroffen. Er hatte sich dafür entschieden, sich selbst das Leben zu nehmen und seine Zeit war einfach abgelaufen. Niemand hätte etwas daran ändern können. Der Tod gehörte nun mal zum Leben dazu. Inzwischen hatte Beyond dank L’s und Rumikos Beistand besser damit umgehen und mit dieser Tragödie endlich abschließen können. Er war glücklich jetzt und er glaubte fest daran, dass er und L zusammengehörten. Auch wenn sie sich oft in den Haaren lagen und sich gegenseitig ärgerten. Aber das gehörte zu ihrer schrägen Beziehung dazu und es war nun mal Fakt, dass sie ziemlich unterschiedliche Menschen waren, die nicht immer einer Meinung waren. Schließlich, als Beyond eine ganze Weile da gesessen und nachgedacht hatte, stand er auf und beschloss, ein wenig frische Luft zu schnappen. Hier drin würde sowieso nichts Interessantes geschehen und nur hier herumzusitzen hatte auch keinen Sinn. Also zog er sich seine Jacke an, verabschiedete sich kurz von L, der selbst gerade in einem Fall steckte und Ruhe brauchte.

Draußen war es immer noch düster und mit großer Wahrscheinlichkeit würde es nachher noch ein Donnerwetter geben. Na was soll’s, dachte er und ging weiter. Gegen den Regen habe ich ja nichts. Dann muss ich wenigstens nicht diese ganzen Menschen um mich herum ertragen. Zwar war er in der letzten Zeit deutlich offener geworden und auch Rumiko war es zu verdanken, dass er mehr Menschen in seine Welt hineinlassen konnte, aber dennoch hatte sich an seiner Grundhaltung nicht viel geändert. Er hasste die Menschen nach wie vor, aber inzwischen gab es auch einige, die er in seinem Leben duldete und mit denen er sich ganz gut verstand. Dazu zählten auch die Leute aus dem Lovely Evening, die ja ganz nett waren. Trotzdem hielt er eine deutliche emotionale Distanz zu ihnen, weil er einfach diese Verlustschmerzen nicht mehr erleiden wollte, wenn vor seinen Augen jemand starb, dessen Lebenszeit abgelaufen war. Er hatte seine Eltern sterben sehen und auch wenn sie ihm immer nur Schmerzen und Leid angetan hatten, so hatte er sie trotzdem geliebt. Sein Vater war ein arbeitsloser Trinker gewesen, der ihn und seine Adoptivschwester regelmäßig grün und blau geschlagen hatte, doch er hatte auch seine liebevollen Seiten gehabt. Ebenso wie seine Mutter, die ihn kurz vor ihrem Tod vor einen Zug stoßen und ihn töten wollte. Beyond war einfach nicht mehr fähig, den Menschen zu vertrauen. Lediglich L, Rumiko und Jamie waren die großen Ausnahmen. Alle anderen hasste oder duldete er nur. So sah seine Welt aus und daran wollte er auch nichts ändern. Es war die beste Möglichkeit, um nicht wieder verletzt oder enttäuscht zu werden.

Nach einer Weile erreichte Beyond die Einkaufsmeile und betrachtete gedankenverloren die einzelnen Schaufenster. Dabei sah er auch sein Spiegelbild und stellte fest, dass er gar nicht mehr so schlimm aussah wie früher. Es mochte eine Einbildung sein, aber diese Finsternis und diese unmenschliche Kälte in seinen Augen waren gewichen. Inzwischen wirkte er tatsächlich menschlicher. Ob Rumiko das damals gemeint hatte, als sie sagte, er hätte sich verändert? Vorher war es ihm nie so wirklich aufgefallen, aber jetzt, wo er sowieso über sich selbst und seine Haltung zu der Welt nachgedacht hatte, war es ihm tatsächlich aufgefallen. Nun gut, er war keine Schönheit und wer ihn sah, der machte lieber einen Bogen um ihn, aber inzwischen sah er nicht mehr ganz so abschreckend aus. Zumindest war er der Meinung.

Nachdem er eine Zeit lang umhergewandert war, erreichte er schließlich einen kleinen Süßwarenladen, wo alles noch hausgemacht war. Ab und zu ging er mal dorthin und brachte für L ein paar Sachen mit, um ihm eine Freude zu machen. Und nachdem er mit seiner nett gemeinten, aber dennoch völlig verkackten Rückenmassage Mist gebaut hatte, konnte er ihm das ja als Entschuldigung mitbringen. Zwar bekam er selbst nie irgendwelche Aufmerksamkeiten, aber das war ihm auch nicht so wichtig. Es genügte ihm einfach, dass er im Bett mit L machen konnte, was er wollte. Und er war sowieso nie der Mensch gewesen, der irgendwelche besonderen Liebesbeweise oder Geschenke erwartete. Er war eben kein Romantiker und er wusste auch, dass auch L nicht der Typ für so etwas war. Eigentlich war er schon wunschlos glücklich damit, dass L ihn aufrichtig liebte und ihm das auch sagte. Allein das war ja schon der größte Liebesbeweis, den man ihm machen konnte. Von A hatte er dergleichen nie zu hören gekriegt, weil dieser ihn nicht geliebt hatte. Streng genommen war L also der allererste Mensch, der seine Liebe auch erwiderte. Deshalb war es ihm auch umso wichtiger, dass er ihm immer wieder aufs Neue zeigte, wie wichtig ihm diese Beziehung war. Als Rumiko mitbekommen hatte, wie ihre Beziehung funktionierte, da konnte sie sich den Kommentar einfach nicht verkneifen, dass Beyond eindeutig der Mann in der Beziehung war. Und natürlich musste sie noch diverse andere Vergleiche machen und kam dann gleich wieder mit ihren Yaois an, aber im Grunde stimmte es ja eigentlich. Nur durfte er es bloß nicht L sagen, sonst wurde der nämlich noch richtig sauer. Nun ja, L war oft ein Miesepeter und reagierte bei solchen Themen immer so, dass er ihn entweder am Ohr zog, oder ihm zur Strafe eine Kopfnuss verpasste. Beyond war das gewöhnt und auch er selbst ließ hin und wieder mal eine Morddrohung vom Stapel, wenn er sauer war. Sie nahmen den anderen so wie er war, so funktionierte ihre mehr als schwierige Beziehung. Nachdem Beyond seinen kleinen Einkauf erledigt hatte, brach das Gewitter herein und er spannte den Regenschirm auf, den er vorsorglich mitgenommen hatte. Trotzdem wurde der Regen binnen kürzester Zeit immer schlimmer und schließlich zu einem reinen Platzregen und da er keine Lust hatte, bei dem Wetter noch weiter draußen zu bleiben, suchte sich erst einmal einen Ort, wo er solange warten konnte. Und da die Bar Lovely Evening in der Nähe war und auch schon geöffnet hatte, ging er dorthin. Die Bar war Rumikos und Jamies zweites Zuhause und er hielt sich dort ab und zu auch mal gerne auf. Einfach schon aus dem Grund, weil die Jungs ihn auch schon kannten und ganz umgänglich waren. Nun ja, manche waren etwas schwieriger. Und das bekam Beyond deutlich zu spüren, als er reinkam und gerade dabei war, Terry den Barbesitzer zu grüßen, als ihn auch schon jemand einen Klaps auf den Allerwertesten gab und er beim Hinsehen erkannte, dass es Colin Freeman war, der schon damals ein Auge auf ihn geworfen hatte. Als Beyond noch vor knapp eineinhalb Jahren regelmäßig hergekommen war, hatte er drei Verehrer gehabt und Colin hatte leider schon immer zu den aufdringlicheren Typen gezählt. Nun ja, solange Rumiko bei ihm war, ließ Colin ihn in Ruhe weil jeder in der Bar wusste, dass es nicht gerade klug war, Rumikos Freunde zu bedrängen. Aber wenn „Mama Ruby“ nicht da war, nutzte Colin oft die Gelegenheit, um sich an Beyond heranzumachen. Und das konnte er überhaupt nicht ab. „Na, Beyond? Soll ich dich auf einen Drink einladen?“ „Nein danke und ich wäre dir übrigens sehr verbunden, wenn du deine verdammten Griffel endlich bei dir behältst, oder es war das letzte Mal, dass sie überhaupt etwas angefasst haben.“ Colin war zwar kein schlechter Mensch, aber er war in vielerlei Hinsicht absolut taktlos und kapierte einfach nicht, wann er es besser sein lassen sollte. Der kannte in der Hinsicht eben überhaupt keine Grenzen. Also musste man ihn eben mit härteren Bandagen anfassen. „Bleib mal locker! Ich mach doch nur Spaß.“ „Und wenn du hetero wärst und Rumiko auf den Hintern gehauen hättest und dann noch sagen würdest, es wäre bloß Spaß, glaubst du, sie würde das auch als einen auffassen? Sie hätte dich schon längst eigenhändig kastriert, mein Freund. Ich weiß ja nicht, ob das irgendwann mal in deinen Dickschädel reingeht, aber es gibt da so ein wunderbar formuliertes Wort, das sich sexuelle Belästigung nennt. Und das gilt übrigens nicht nur für die Damenwelt. Also halte dir mal vor Augen, dass das, was du tust, exakt dasselbe ist, als würde ein Hetero einer Frau an den Hintern grapschen.“ Und das schien wohl endlich angekommen zu sein, denn da verging Colin Freeman endgültig das Grinsen und er sagte nichts mehr. Insgeheim wunderte sich Beyond aber schon, dass er selbst so ruhig geblieben war, denn normalerweise wurde er richtig sauer, wenn irgendeiner der warmen Brüder meinte, man könnte ihm so auf der Nase herumtanzen. Auch bei ihm gab es Grenzen! Naja, wahrscheinlich hatte er es seiner Beziehung zu L zu verdanken, dass er allgemein deutlich ruhiger geworden war und nicht immer sofort aggressiv wurde. Schließlich setzte er sich an einen leeren Tisch und sogleich kam Toby, der zweite Kellner neben Joey. Die beiden waren übrigens eineiige Zwillinge und machten es sich oft zum Spaß, sich immer einheitlich anzuziehen, um ihre Mitmenschen zu irritieren. Da Beyond und Rumiko durch ihr Shinigami-Augenlicht im Vorteil waren, hatten sie die beiden dennoch immer voneinander unterscheiden können. „Tagchen Beyond, du bist aber recht früh hier.“ „Ja ich weiß. Aber ich hatte keine Lust, gleich baden zu gehen bei dem Unwetter da draußen. Also warte ich hier eben solange. Hier ist aber auch nicht viel los. Wo sind die denn alle hin? Läuft etwa irgendwo wieder so eine Gay Parade?“

„Nein, die meisten kommen sowieso erst nach der Arbeit her. Naja, ein paar kommen auch schon mittags vorbei, aber da die Party ja meist abends beginnt, ist eben dort am meisten was los. Darf ich dir etwas bringen?“

„Eine Cola reicht völlig.“

„Kommt sofort!“ Damit ging Toby auch schon und Beyond sah sich um. Tatsächlich wirkte die Bar recht leer, aber das war ja um die Uhrzeit auch nicht anders zu erwarten. Es war gerade erst 15 Uhr und der Hochbetrieb begann meist erst zwischen 20 und 21 Uhr. Naja, zumindest konnte er hier solange die Zeit totschlagen, bis sich das Gewitter etwas gelegt hatte. Und hier hatte er noch ein wenig Ruhe. Toby kam schließlich mit der Cola zurück und fragte auch gleich, da er eine längere Zeit im Urlaub gewesen war „Wie geht es Mama Ruby eigentlich so? Ich hab gehört, sie hat vor kurzem geheiratet.“

„Sie ist ganz die Alte und wird es wahrscheinlich auch immer bleiben. Sie ist schon im vierten Monat schwanger und erwartet Zwillinge. Wenn mich nicht alles täuscht, ist sie mit deinem Bruder unterwegs, um Babysachen zu kaufen.“ Als Toby das hörte, musste er lachen. „Ja, mein Bruder ist definitiv der Typ für so etwas. Er träumt auch schon davon, selbst ein kleines Kind zu adoptieren. Gönnen würde ich es ihm, er ist ja absolut kinderlieb.“

„Und was ist mit dir? Hast du schon jemanden ins Auge gefasst, oder bist du noch auf der Suche?“ Der Kellner seufzte ein wenig theatralisch und bekam einen ganz verträumten Blick. Ein ganz deutliches Zeichen dafür, dass er tatsächlich ein Auge auf jemanden geworfen hatte. „Ehrlich gesagt gibt es da jemanden, aber… ich fürchte, dass er bereits vergeben ist. Zumindest spricht er ununterbrochen davon, dass er jemanden unbedingt wieder sehen will. Irgendwie verliebe ich mich auch immer in die Falschen. Alle guten Männer sind entweder vergeben, oder sie sind hetero.“ Da es noch andere Gäste zu bedienen gab, ging Toby weiter und so saß Beyond erst einmal allein am Tisch, wobei er dem Kellner schmunzelnd hinterher sah. Der arme Toby, dachte er sich und trank einen Schluck seiner Cola. Der hat auch immer nur Pech im Gegensatz zu Joey. Er war so mit seinen Gedanken und seiner Aufmerksamkeit ganz woanders, dass er gar nicht bemerkte, dass sich jemand zu ihm setzte und ihn fragte „Na? Ganz alleine hier?“ Och nee, dachte Beyond und seufzte genervt, als er registriert hatte, dass schon der nächste Kerl sich an ihn ranmachen wollte. Jetzt hatte er aber endgültig die Faxen dicke. „Ja und ich hab auch keine Lust auf ein Date oder so…“ „Nicht einmal auf ein einfaches Gespräch unter alten Freunden?“ Alte Freunde? So langsam war der Serienmörder irritiert und schenkte erst jetzt seinem gegenübersitzenden Tischnachbarn wirklich Beachtung. Und als er den rothaarigen Mann von knapp 25 Jahren mit den grünen Augen sah und vor allem den Namen der Person erkannte, da entgleisten ihm sämtliche Gesichtszüge. Selten in seinem Leben gab es Momente, wo er bis ins Mark erschüttert wurde und so tief geschockt war wie jetzt. Er konnte nicht glauben, wen er da vor sich sah und hielt es zunächst für einen Irrtum oder für einen Traum. Alles wäre logischer gewesen, als dass es hier gerade wirklich passierte. Der rothaarige Mann lächelte und dieses Lächeln kannte Beyond nur zu gut. Er hätte es überall auf der Welt wiedererkannt und es hatte sich seit damals nicht verändert. Sämtliche Farbe entwich seinem Gesicht und er schaffte es nicht einmal, auch nur ein Wort zu sagen. Denn das hier widersprach allem, wovon er seit langem überzeugt war.
 

Aber es geschah gerade wirklich. Die Person, die da ihm gegenüber am Tisch saß, war niemand anderes als Andrew Asylum alias A, der sich damals vor seinen Augen im Alter von gerade mal 15 Jahren vom Dach des Waisenhauses in den Tod gestürzt hatte.

A und der Gedankenschaltkreis

Der Schock saß tief in den Knochen und immer noch konnte Beyond nicht fassen, dass das hier wirklich passierte und dass der Mann, der ihm gegenüber saß, wirklich A war. Das war vollkommen unmöglich, das wusste er. A’s Zeit war damals abgelaufen gewesen und er hätte diesen Sturz vom Dach nie und nimmer überleben können. Und er hatte es auch nicht überlebt, das hatte er ganz deutlich gesehen. Wie also konnte er einfach so mit ihm am Tisch sitzen? Andrew Asylum, so der wahre Name des vermeintlich Verstorbenen, beobachtete die Reaktion seines besten Freundes und er hatte immer noch dieses unverkennbare Lächeln im Gesicht. Dieses falsche Lächeln, welches niemals seine Augen erreichte, weil sein Innerstes von Selbstzweifel, Angst und Traurigkeit beherrscht wurde. „Du siehst aus, als würdest du einen Geist sehen“, scherzte er und lachte. Ein sehr verunsichertes Lachen. Doch Beyond brauchte einen Moment, um aus seiner Schockstarre zu erwachen und brachte nur mit Mühe hervor „Andy… bist… bist du es wirklich?“ Ein Nicken kam zur Antwort und Andrew faltete die Hände, wie er es schon damals oft getan hatte, wenn es um ein ernstes Gespräch ging. Er sah gut aus. Sein Haar war etwas länger gewachsen als sonst und auch wenn er immer noch so blass war wie früher, hatte er eine gewisse charismatische Ausstrahlung und dass er attraktiv aussah, ließ sich nicht abstreiten. Sein Lächeln wirkte fröhlich und unbekümmert, so wie sonst, doch seine Augen wirkten melancholisch und gedankenverloren. „Wie es scheint, erinnerst du dich nach all den Jahren noch an den Spitznamen, den du mir gegeben hast. Du siehst übrigens gut aus, ein klein wenig blass im Gesicht, aber…“ „Wie kann das sein?“ unterbrach Beyond und hatte immer noch mit seiner Schockstarre zu kämpfen. Das, was hier gerade geschah, konnte doch nicht real sein. So etwas war völlig unmöglich! Tote konnten nicht wieder ins Leben zurückkehren, wenn ihre Lebenszeit einmal abgelaufen war. Andrew nahm seine Hand und sie fühlte sich so warm und vertraut wie damals an. Trotzdem kam ihm das nicht wirklich real vor. In dem Moment kam dieser tiefe Schmerz wieder hervor und Beyond konnte seine Tränen nicht zurückhalten. Warum? Warum musste das hier gerade passieren? Jetzt, wo er endlich diese ganze Sache verarbeiten und über den Tod seiner großen Liebe hinwegkommen konnte, stand diese nun wieder vor ihm und stellte damit sein ganzes Leben auf den Kopf. Alles drohte auf einmal zu kippen. Sein eigenes Leben, seine Gefühle, seine Liebe zu L… Wie sollte er damit umgehen? „Die ganzen Jahre dachte ich, du wärst tot und jetzt plötzlich… Wie kann das sein? Wieso bist du wieder da und warum tauchst du erst jetzt wieder auf? Ich war der festen Überzeugung, dass du tot bist und nun sitzt du plötzlich vor mir, als wäre nichts gewesen!“ Andrew, der den Schmerz in der Stimme seines besten Freundes hörte und damit erkannte, wie sehr dieser gelitten haben musste, konnte sein Lächeln nur mit Mühe aufrecht erhalten, doch es wirkte so unendlich traurig wie vor zehn Jahren. Schließlich aber senkte er den Blick und sein Lächeln schwand ganz. „Es tut mir wirklich leid, aber ich hatte einfach nicht die Möglichkeit, schon viel früher ein Lebenszeichen von mir zu geben. Und es stimmt ja auch, dass ich gestorben bin. Ich bin bei diesem Sprung vom Dach ums Leben gekommen.“

„Aber wie…“

„Es gibt da etwas, woran ich im Waisenhaus gearbeitet hatte. Du erinnerst dich vielleicht an dieses eine Projekt, welches ich von einer verstorbenen Wissenschaftlerin übernommen und zu Ende geführt habe. Dieses Projekt sollte meine letzte Arbeit sein, mit der ich es schließlich geschafft habe, L zu übertrumpfen, weil es mir als Einzigen gelungen ist, den Gedankenschaltkreis fertig zu stellen.“ Der Gedankenschaltkreis. Beyond erinnerte sich allmählich wieder an dieses Projekt, an dem Andrew so hart gearbeitet hatte. Nicht einmal L hatte es geschafft, die kodierten Pläne zu entschlüsseln und dann noch die letzten Puzzleteile zusammenzufügen. Beyond hatte sich damals von A erklären lassen, dass der Gedankenschaltkreis eine Art Mikrochip war, der im Gehirn eingesetzt wurde und wie ein Startkabel bei einem Auto funktioniere. Somit wäre es Komapatienten möglich, wieder aufzuwachen. Aber konnte man damit auch Menschen zurückholen? „Im Grunde ist das Gehirn lediglich der Rezeptor der Seele und die Seele selbst wird als Gedankenschaltkreis bezeichnet. Da man weiß, dass das Gehirn der Ursprung dieser Seele ist und dort damit das Leben entsteht, ist es möglich, einen elektronischen Gedankenschaltkreis und damit eine Art künstliche Seele zu konstruieren, um Menschen wieder zurückzuholen. Als ich gestorben bin, haben die Ärzte und Wissenschaftler meinen Körper zu Versuchszwecken benutzt und mir den Schaltkreis eingesetzt. Da mein Kopf bei dem Sturz ziemlich hinüber war, mussten sie mir eine Metallplatte einsetzen und selbst nachdem ich durch den Schaltkreis zurückgeholt werden konnte, lag ich durch die schweren Verletzungen im Koma und brauchte danach eine jahrelange Reha, bis ich mich wieder bewegen konnte. Und außerdem war der Schaltkreis noch nicht ausgereift. Es waren Verbesserungen und Änderungen von Nöten und so habe ich letztendlich zehn Jahre gebraucht, bis ich wieder ganz der Alte war. Deshalb konnte ich mich leider auch nicht viel früher bei dir melden.“

„Aber wieso… wieso hat niemand davon gewusst?“

„Es war ein geheimes Projekt und die Chancen, dass gleich der Prototyp funktioniert, lag bei allerhöchstens 33,45%. Und selbst dann hätte man nicht garantieren können, dass der Gedankenschaltkreis länger als einen Monat funktioniert. Niemand hat damit gerechnet, dass ich es überhaupt schaffe und es war auch ein streng geheimes Projekt, weshalb niemand davon wissen durfte.“ Das musste Beyond erst einmal sacken lassen, denn glauben konnte er es noch nicht so wirklich. Dann war Andrew also tatsächlich der Durchbruch gelungen und es war wirklich möglich geworden, einen Menschen mit einem künstlichen Gedankenschaltkreis zurückzuholen. Er hatte damit etwas geschafft, was wirklich alles verändern könnte. Er war der lebende Beweis dafür, dass man Menschen zurückholen konnte! Also war das hier keine Einbildung, oder irgendeine abstrakte Wahnvorstellung, die er sich irgendwie zusammengesponnen hatte. Andrew war gestorben und konnte durch den von ihm fertig gestellten Gedankenschaltkreis zurückgeholt werden. „Ich glaub das nicht“, brachte der Serienmörder hervor und wischte sich die Tränen weg. „Du bist wirklich wieder da…“ Andrew hielt seine Hand noch fester und schien innerlich selbst mit den Emotionen zu kämpfen, doch er ließ sich diese nicht anmerken, genauso wie damals. Stattdessen fand er sein Lächeln wieder zurück. „Glaub mir, es ist mir auch nicht wirklich leicht gefallen, hierher zu kommen. Als ich soweit wiederhergestellt war, dass ich mich problemlos bewegen konnte, da habe ich mich immer und immer wieder gefragt, wie ich dir gegenüber treten und wie ich dir das erklären soll. Und ehrlich gesagt, hatte ich auch Angst davor. Ich habe dir schlimme Dinge zugemutet und dir immer nur wehgetan. Aber du warst der einzige Mensch, der für mich da war und an den ich mich hätte wenden können.“ Beyond sagte nichts, sondern betrachtete ihn schweigend. Innerlich herrschte ein so gewaltiges Chaos, dass er gar nicht wusste, was er denn tun oder denken sollte. Alles erschien ihm so unwirklich und bizarr, dass er wieder in einen Zustand verfiel, der einer Schockstarre sehr ähnlich kam. Schließlich, als der Kellner Toby zurückkam und nach der Bestellung fragte, bat Beyond um einen Drink. Alkohol war jetzt das Einzige, was bei so einer Sache wirklich half. Andrew betrachtete ihn nachdenklich und sagte erst einmal nichts. Er wollte wohl warten, bis sein bester Freund sich erst einmal wieder gesammelt hatte. „Und du hast all die Jahre in Reha verbracht?“

„Du musst ja auch bedenken, dass ich vom Dach gesprungen bin. Eineinhalb Jahre lag ich im Koma und in der Zeit mussten sie meinen Schädel flicken und ich hatte unzählige Knochenbrüche gehabt. Als ich wieder aufgewacht bin, konnte ich mich nicht bewegen und außerdem hatte der Schaltkreis noch einige Macken gehabt, sodass es auch sehr häufig zu neurologischen und motorischen Ausfällen bei mir kam. Mein Zustand war so instabil gewesen, dass ich unmöglich das Institut verlassen konnte. Und als der Schaltkreis endlich richtig funktioniert hat, musste sich mein Körper erst mal erholen und danach konnte ich auch nicht mehr richtig laufen, oder mich überhaupt großartig bewegen. Das war schon ein ziemlich langwieriger und vor allem schmerzhafter Prozess, aber ich dachte mir: wenn ich tatsächlich die Chance bekomme, mein Leben noch mal von vorne zu beginnen, kann ich es schaffen. Und ich wollte dich unbedingt wieder sehen.“ Also hatte Andrew bis vor kurzem gar nicht die Möglichkeit gehabt, sich zu melden oder ihn viel früher zu besuchen? „Zugegeben, als ich gehört habe, dass du in Boston bist und hier ab und zu mal herkommst, da bin ich fast täglich hierhin gekommen in der Hoffnung, dich mal nach all der Zeit wiederzusehen.“ Als er das sagte, wich er Beyonds Blick aus und wirkte ein wenig beschämt. Dieser konnte nicht fassen, dass Andrew tatsächlich jeden Tag in die Bar gekommen war, nur um ihn zu treffen. Aber noch weniger konnte er es fassen, dass sein bester Freund wieder da war. Schließlich aber senkte Andrew den Kopf und wirkte in diesem Moment unendlich traurig und hoffnungslos. „Ich wollte mich entschuldigen für all das, was ich dir angetan habe, Beyond. Die ganze Zeit habe ich dir immer nur wehgetan und deine Gefühle missachtet. Dabei warst du immer für mich da und wolltest mir immer nur helfen. Ich war ein wirklich mieser Freund gewesen und bis zuletzt habe ich dir immer nur Schmerzen bereitet.“

Beyond nahm die Hand seines Freundes fest in die seinen und sah in seine matten und glanzlosen Augen. „Wir haben beide Fehler gemacht, nicht nur du. Es war damals eine dumme Idee von mir gewesen, dass ich für dich als Ersatz für L herhalte, aber das ist jetzt vorbei. Ich mache dir keine Vorwürfe deswegen, okay? Ich hätte mich auch anders verhalten sollen und die Vergangenheit kann man auch nicht mehr ändern. Deshalb lass uns das Ganze einfach vergessen, okay?“ Als sein bester Freund das hörte, schien ihm ein immenser Stein vom Herzen zu fallen und sein strahlendes Lächeln kehrte wieder zurück. Diese Geschichte von damals schien ihn wohl ziemlich verfolgt zu haben. „Hast du etwa deswegen Selbstmord begangen?“ Andrew schwieg, aber schließlich schüttelte er den Kopf und erklärte „Mir ist einfach alles über den Kopf gewachsen. Ich hatte erfahren, dass ich als L’s Nachfolger ungeeignet bin, weil ich psychisch labil bin und irgendwie ist mir einfach alles zu viel geworden. Ich hab mich so nutzlos, verzweifelt und wertlos gefühlt und wusste mir einfach nicht mehr anders zu helfen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, ich würde wirklich alle nur enttäuschen und als hätte ich kein Recht darauf, weiterzuleben. Und da dachte ich, dass alle glücklicher sind, wenn ich nicht mehr lebe.“ Beyond war zutiefst erschüttert, als er hörte, was seinem Freund alles durch den Kopf gegangen war und wie unendlich verzweifelt er gewesen sein musste. „Was redest du da für einen Schwachsinn? Scheiß doch drauf, ob du L’s Nachfolger werden könntest oder nicht. Ist dir denn nicht klar, dass du genug andere Qualitäten hast und dass dir etwas Unfassbares gelungen ist, was noch nicht einmal L geschafft hat? Du hast den ersten Gedankenschaltkreis bauen können und du lebst durch diesen wieder! Und du hast mir geholfen, eine Möglichkeit zu finden, das Monster in mir unter Kontrolle zu halten. Du solltest echt mal aufhören, dich von dem Geschwätz dieser Tattergreise so fertig machen zu lassen. Was du brauchst, ist einfach nur mehr Selbstvertrauen. Weißt du, ich habe all die Jahre auch immer nur gedacht, dass die Welt beschissen ist und ich habe ziemlich viele Fehler gemacht. Aber… die ganze Zeit immer nur zu denken, dass es nichts Schönes in dieser Welt gibt, hilft einem auf die Dauer auch nicht weiter. Nun gut, der Großteil der Menschheit kann mir immer noch den Buckel runterrutschen und das wird sich auch nicht so schnell ändern. Und mit Wammys House habe ich auch nichts mehr am Hut. Ich mach mein eigenes Ding und ehrlich gesagt war es die vernünftigste Entscheidung, die ich treffen konnte. Denn so muss ich mir von niemandem mehr anhören, wer ich zu sein habe und wer nicht.“

„Du hast das Waisenhaus verlassen?“ fragte Andrew überrascht, obwohl er eigentlich selbst gut genug wissen müsste, dass Beyond damals mit dem gesamten Waisenhaus auf Kriegsfuß gewesen war und nur deshalb dort geblieben war, weil er keine andere Möglichkeit gehabt hatte. „Kurz nachdem dein Tod verkündet und ich zu L’s Nachfolger ernannt worden war. Ich hatte den ganzen Laden so satt und bin in der Nacht abgehauen. Eine Zeit lang habe ich bei meiner Adoptivschwester Rumiko gewohnt, dann bin ich mit ihr und unserem Sandkastenfreund an die Oxford Universität gegangen und hab dort Medizin studiert.“ „Rumiko? Meinst du etwa Mama Ruby?“ Beyond nickte und erklärte, dass Rumiko damals von seinen Eltern adoptiert worden war, weil ihre Eltern sie verstoßen hatten. Andrew kam gar nicht aus dem Staunen heraus, denn mit so etwas hätte er wohl nicht wirklich gerechnet. „Unglaublich, dass Rumiko deine Adoptivschwester ist. Ich meine, ihr seid beide vom Charakter her komplett anders.“

„Ach, sie kann auch ziemlich frech werden, wenn sie will. Und du hast sie noch nicht wütend gesehen. Und glaub mir, du willst sie nicht wütend erleben.“

„Naja, ich hab dich aber auch schon ganz anders erlebt. Aber es ist schön zu hören, dass du hier nicht ganz so alleine bist. Und was hast du sonst so in all den Jahren gemacht?“ Hier zögerte Beyond und erkannte erst jetzt, in was für einer Situation er sich hier eigentlich befand. Andrew hatte keine Ahnung, was in den letzten Jahren alles passiert war. Er wusste nichts von der BB-Mordserie geschweige davon, dass sein bester Freund jetzt mit L zusammen war. Jenen Menschen, in den er unglücklich verliebt war. Nun sah der Serienmörder, dass er ein echt dickes Problem hatte. Denn wie sollte er ihm denn das alles beibringen? Wie sollte er ihm sagen, dass er drei Menschen getötet hatte, weil er L übertrumpfen und sich an ihm rächen wollte, weil er ihm die Schuld an Andrews Selbstmord gegeben hatte? Und wie sollte er ihm die Tatsache erklären, dass er selbst versucht hatte, sich umzubringen und dass er jetzt mit seinem Erzfeind in einer festen Beziehung war? Man konnte Andrew doch ansehen, dass er immer noch schwer depressiv war und dass er mit seinen Selbstzweifeln und seinen Ängsten zu kämpfen hatte. Wie sollte er ihm das sagen, ohne dass er gleich Gefahr lief, seinen besten Freund damit in den nächsten Selbstmord zu treiben? „Nun ja, bei mir ist nicht immer alles glatt gegangen und ich habe einige Probleme gehabt. Inzwischen hat sich das wieder einigermaßen berappelt und ich bin in erster Linie nach Boston gekommen, weil Rumiko mich als Trauzeugen haben wollte. Meine Zeit verbringe ich meist damit, brutale und bizarre Serienmorde zu untersuchen. Aber derzeit haben die meisten Serienmörder wahrscheinlich Winterpause oder sie sitzen schon im Gefängnis.“ Beyond bemühte sich, sich seine innere Unruhe nicht anmerken zu lassen und er hoffte, dass Andrew ihn bloß nicht näher befragte. Er wollte ihn nicht belügen, aber die Wahrheit konnte er ihm auch nicht sagen. Irgendwie fühlte er sich deutlich unwohl in dieser Situation und er war völlig überfragt, was er denn jetzt eigentlich tun sollte. Wie sollte er sich verhalten? Andrew schien zu spüren, dass da etwas nicht in Ordnung war und er lehnte sich zurück. „Ich kann verstehen, wenn das alles erst mal zu viel für dich ist. All die Jahre hieß es, ich sei tot und du musstest auch noch mit ansehen, wie ich hinunter gesprungen bin und dann stehe ich plötzlich da, als wäre nichts gewesen. Tut mir leid, ich wollte dir nicht so einen Schreck einjagen.“ Das ist es doch nicht. Ich weiß doch einfach nicht, was ich tun soll und wie ich dir das mit meiner Vergangenheit und das mit L beibringen soll. Was, wenn du wieder in deine Depressionen verfällst und dann wieder Selbstmord in Betracht ziehst? Wie soll das überhaupt weitergehen und wie soll ich L das überhaupt beibringen? Wir haben doch erst letztens einen Eifersuchtsstreit gehabt, weil er dachte, Rumiko und ich hätten ein Verhältnis miteinander. Wie soll er denn reagieren, wenn er plötzlich erfährt, dass meine erste große Liebe plötzlich wieder von den Toten auferstanden ist und nun wieder den Kontakt zu mir sucht? In dem Fall muss er doch eifersüchtig werden, oder etwa nicht? Ich an seiner Stelle würde durchdrehen!

Beyond trank seinen Drink aus und bestellte gleich noch einen nach. Auch diesen leerte er in einem Zug, während Andrew lediglich bei einem einzigen Drink blieb. „Und wie geht es dir inzwischen?“ fragte Beyond, in der Hoffnung, somit Fragen von Andrews Seite zu vermeiden, indem er ihm zuvorkam. Natürlich interessierte es ihn schon, was sein bester Freund in der ganzen Zeit erlebt hatte und wie es ihm inzwischen ging. Immerhin hatte man ihm einen elektronischen Mikrochip ins Hirn eingepflanzt, um ihn zurückzuholen! „Es geht mir gut. Zum Glück wurden die diversen Fehler behoben, sodass ich mich jetzt problemlos draußen bewegen kann. Ehrlich gesagt bin ich erst seit knapp zwei Wochen wirklich in der Lage, mich normal draußen zu bewegen, ohne dass es Probleme gibt. Nicht nur, dass sich meine Reha immer weiter in die Länge gezogen hat, weil der Schaltkreis zwischendurch Ausfälle hatte und ich daraufhin ins Koma gefallen bin. Manchmal bin ich urplötzlich umgekippt und eingeschlafen, dann kam es auch wieder dazu, dass plötzlich meine Beine den Dienst versagt haben und ich nicht mehr laufen konnte. Das ging bis vor einem Jahr so und als die letzten Fehler behoben waren und der Schaltkreis zu 100% auf die Impulswellen meines Hirns abgestimmt war, durfte ich trotzdem noch nicht das Institut verlassen, weil man damit rechnen musste, dass es wieder Probleme geben könnte. Und außerdem mussten noch diverse Untersuchungen gemacht werden. Das heißt, ich bin seit zehn Jahren nicht mehr draußen gewesen.“

Zehn Jahre war er in einem Institut gewesen? Wie zum Teufel hatte er es nur geschafft, das durchzustehen? „Warum haben sie dich denn zurückgeholt?“

„Dr. Brown, dem ich vor meinen Tod die Konstruktionspläne des Gedankenschaltkreises gegeben habe, war wohl der Auffassung gewesen, dass ich als perfektes Beispiel dienen würde, wenn es ihnen tatsächlich gelänge, mich zurückzuholen. Und außerdem traf sich ganz gut, dass ich keine Familie hatte und es somit keine Schwierigkeiten gegeben hätte, wenn es nicht funktioniert hätte. Nun ja, ich muss immer noch regelmäßig zur Kontrolle, damit nachgeprüft werden kann, ob der Schaltkreis intakt ist und einwandfrei funktioniert.“

„Und wo wohnst du zurzeit?“

„Im Institut. Dr. Brown meinte, es wäre das Beste, wenn ich dort leben würde, falls etwas passieren sollte. So wäre jederzeit jemand für mich da, der mir helfen könnte.“ Andrew holte einen kleinen Zettel und einen Stift hervor und schrieb eine Nummer auf, anschließend gab er sie Beyond. „Das ist meine Handynummer. Falls du dich mal wieder mit mir treffen willst, kannst du mich über diese Nummer erreichen.“ Ohne lange zu zögern holte der Serienmörder sein Handy heraus, in welchem bis vor kurzem nur Rumikos Nummer eingespeichert war, bis schließlich auch L’s Nummer dazugekommen war. Dieser bestand natürlich darauf, dass statt seines richtigen Namens ein Deckname eingegeben werden sollte, also hatte Beyond einfach „Pandabärchen“ eingetragen. Einfach nur, um den Herrn Meisterdetektiv zu ärgern. Nachdem er Andrews Nummer eingespeichert hatte, gab er ihm auch seine eigene und schon mussten sie sich auch verabschieden. Andrew musste ins Institut zurück und noch ein paar Tests machen. „Kommst du morgen wieder in die Bar?“ Unsicher zuckte der Rothaarige mit den Schultern. „Das kann ich noch nicht sagen. Aber ich werde schauen, dass ich mich morgen irgendwie freimachen kann. Mach’s gut, ja?“ Damit erhoben sie sich und zum Abschied gab Andrew ihm eine freundschaftliche Umarmung, bevor er ging. Beyond blieb aber noch in der Bar und bestellte einen dritten Drink. Irgendwie wusste er gar nicht, wie er sich in diesem Moment fühlen sollte. Sollte er sich freuen, dass sein bester Freund wieder lebte? Natürlich freute er sich, aber da waren noch so viele andere Gefühle. Gefühle, die er nicht einzuordnen wusste. Immer noch spürte er, wie Andrew seine Hand gehalten oder ihn umarmt hatte, aber er wusste einfach nicht, was das zu bedeuten hatte. Er war so durcheinander, dass er noch zwei Stunden regungslos sitzen blieb, bis er nach Hause zurückkehrte.

Beyonds Entscheidung

Es wurde schon dunkel, als er wieder zurückkam und L wartete schon bereits auf ihn. Die Frage „Wo warst du so lange?“ sparte er sich gleich, als er sah, dass sein Freund totenblass war und man ihm ansah, dass er völlig durch den Wind war. Sein Blick war vollkommen starr und er reagierte auf rein gar nichts. Er gab ihm die Süßigkeiten, die er ihm gekauft hatte und sagte nur „Hab ich dir mitgebracht“ und verschwand, ohne auch nur ein weiteres Wort zu sagen. Noch nie in seinem Leben hatte L ihn in einer dermaßen schlechten Verfassung gesehen. Wenn er es nicht besser wüsste, würde er sagen, Beyond hätte einen Geist gesehen und wäre deswegen so fertig. Oder war etwas mit Rumiko oder Jamie passiert? Sofort folgte der Detektiv ihm ins Wohnzimmer, wo der BB-Mörder auf der Couch saß, mit vollkommen abwesendem Blick. „Beyond, was ist mit dir? Ist irgendetwas passiert?“ Keine Reaktion. Es war so, als wäre er in eine völlige Schockstarre verfallen und könnte auf rein gar nichts mehr reagieren. Vorsichtig legte L eine Hand auf seine Schulter, um ihn aus seinen Gedanken zu holen. „Ist Rumiko oder Jamie etwas passiert?“ Ein stummes Kopfschütteln. Schließlich sagte er nur „Tut mir leid, aber ich kann im Moment noch nicht darüber sprechen. Ich… ich muss mir einiges durch den Kopf gehen lassen.“ Durch den Kopf gehen lassen? Als L das hörte, war er wirklich besorgt. Solche Worte hatte er bis jetzt noch nie von Beyond gehört und egal was passiert war, es musste ihn so sehr verfolgen, dass er nicht darüber sprechen konnte. Oder zumindest nicht mit ihm. Zuerst überlegte er, ob er vielleicht nachhaken sollte, aber er ließ es besser bleiben. Stattdessen beschloss er, geduldig zu sein und zu warten, bis Beyond bereit war, darüber zu sprechen. Er hatte versprochen, ihm in Zukunft zu vertrauen und das wollte er ihm jetzt auch beweisen. „Beyond, egal was ist, ich vertraue dir und wenn du noch nicht darüber reden willst, dann warte ich. Oder willst du lieber zuerst mit deiner Schwester darüber sprechen?“ Aus Erfahrung wusste L, dass es vielleicht erst einmal besser war, wenn Beyond mit jemandem sprach, der gänzlich außen vor war und da Rumiko nun mal als seine Adoptivschwester die einzige Außenstehende war, zu der er einen Bezug hatte, war sie die beste Wahl. Sie war ihm jahrelang wie eine Ersatzmutter gewesen und hatte ihm immer beigestanden. Nachdem L ihm gut zugeredet hatte, war der Serienmörder einverstanden und verabschiedete sich kurz und verschwand. Wenig später kam Watari, um nach dem Rechten zu sehen. „Ist irgendetwas vorgefallen?“ „Das weiß ich selbst noch nicht“, gab L zu und vergrub seine Hände in den Hosentaschen. „Aber egal was es war, es muss Beyond total aus der Bahn geworfen haben. Er wirkte völlig durcheinander und so habe ich ihn noch nie erlebt. Nicht einmal, als wir ihn im Keller eingeschlossen haben. Ich hoffe nur, es ist nichts Schlimmes passiert.“
 

Als Rumiko Beyond sah, da bekam sie vor Schreck fast einen Herzinfarkt und brachte ihn sofort ins Wohnzimmer. Jamie war inzwischen auch wieder von der Arbeit zurück und wunderte sich natürlich, was mit seinem Schwager los war und fragte auch sofort nach, aber Rumiko merkte sofort, dass das wohl nicht ganz so einfach zu erklären war und bat ihn erst einmal, einen Tee vorzubereiten. Sie selbst nahm wie immer heiße Milch mit Honig. „L hat mich ja schon angerufen, aber dass du so dermaßen durch den Wind bist, hätte selbst ich nicht gedacht. Erzähl schon, was ist passiert? Hattest du einen Rückfall gehabt?“ Beyond schüttelte den Kopf und versuchte, sich wieder zu sammeln. Doch er konnte das alles ja selbst noch nicht wirklich glauben. Wie denn auch, wenn plötzlich der Mensch wieder vor ihm stand, von dem er zehn Jahre lang glaubte, er sei tot? Schließlich atmete er tief durch und versuchte, sich zusammenzureißen. „Rumi, erinnerst du dich noch an den Jungen, von dem ich dir damals erzählt habe? Von dem, der damals vom Dach gesprungen ist und in den ich verliebt war.“

„Du meinst diesen Andrew? Klar doch, aber was ist denn mit ihm?“ Beyond musste noch mal eine Pause machen, da er das Gefühl hatte, dass sonst gleich die Gefühle mit ihm durchgehen würden. „Er kam heute in die Bar und wir haben zusammen gesprochen.“ Die schwangere Musiklehrerin war verwirrt und das zu Recht. Wie sollte sie das denn auch verstehen? „Wie jetzt?“ fragte sie und sah ihn ratlos an. „Was willst du damit sagen?“ „Dass er wieder lebt. Man hat ihm nach seinem Tod einen Gedankenschaltkreis eingesetzt, um ihn zurückzuholen. Und nachdem seine Reha abgeschlossen war, kam er in die Bar, weil er mich besuchen wollte. Verstehst du? Er ist gestorben, aber man konnte ihn mit diesem Ding wieder zurückholen und jetzt ist er wieder da. Verdammt noch mal, ich sollte mich eigentlich freuen, dass er wieder lebt. Aber… stattdessen könnte ich einfach nur heulen. Als würde ich mir wünschen, dass er tot geblieben wäre. Ich meine, wie soll das denn weitergehen? Was soll ich ihm oder L sagen? Andrew hat L damals abgöttisch geliebt und nun bin ich mit ihm zusammen. Verstehst du? Die ganze Zeit konnte ich damit leben, dass ich meinen besten Freund hintergehe, weil ich dachte, er sei tot und dass es deshalb nicht schlimm wäre. Und nun ist er wieder da und jetzt weiß ich nicht mehr, was ich tun soll. Wie soll ich Andrew gegenübertreten und was soll ich L sagen? Der wird doch wieder eifersüchtig werden und dann wird es nur noch mehr Ärger geben. Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll. Ich kann mich einfach nicht von Herzen freuen, dass mein bester Freund wieder lebt. Was bin ich denn für ein mieser Arsch?“

„So etwas darfst du nicht denken“, erwiderte Rumiko und nahm ihn tröstend in den Arm. Sie konnte gut verstehen, was für ein Gefühlschaos bei Beyond herrschen musste. Natürlich war dieser froh, dass Andrew am leben war, aber ihn plagten große Ängste und Schuldgefühle. Zu beichten, dass man mit der großen Liebe seines besten Freundes zusammen war, das war wirklich eine schwere Aufgabe. Und niemand hätte damit rechnen können, dass alles so eine Wendung nimmt. Aber da musste Beyond irgendwie durch, denn er hatte sich nun mal für die Beziehung zu L entschieden, also musste er auch dazu stehen. Doch da gab es noch ein Problem und das sprach sie auch direkt an. „Hast du denn noch Gefühle für ihn?“ „Ich weiß es nicht“, gab er zu und löste sich langsam wieder von seiner Adoptivschwester. „Ehrlich gesagt ist da gerade so ein Chaos bei mir, dass ich nicht weiß, ob ich noch Gefühle für Andrew habe, oder nicht.“

„Kann ich gut verstehen. Wenn du einen guten Rat von mir haben willst: sei ehrlich zu L und sag ihm, was Sache ist. Es bringt nichts, wenn du ihm irgendetwas verheimlichst. Du weißt ja noch, wie das mit uns beiden ausgegangen ist. Er verdient die Wahrheit und er wird mit Sicherheit Verständnis haben, wenn du ihm erzählst, wie du dich fühlst. Und was diesen Andrew betrifft, so denke ich, dass es das Beste ist, wenn du erst einmal in Erfahrung bringst, ob er überhaupt noch Gefühle für L hat. Zehn Jahre sind eine lange Zeit und in der können sich Gefühle ändern. Du musst ihm ja nicht direkt sofort sagen, dass du mit L zusammen bist. Wenn du ihm das alles schonend beibringst und ihm erklärst, was du all die Jahre durchgemacht hast, wird er sicherlich Verständnis haben.“

„Und wenn nicht? Was, wenn er sich dann wieder umbringt?“

„Beyond, du bist nicht sein Kindermädchen und auch nicht sein Seelsorger, klar? Er ist ein erwachsener Mann und trägt die Verantwortung für sein eigenes Leben. Dass du ihm helfen willst, finde ich lobenswert, aber wenn er wirklich so schwer depressiv ist, dass er gleich an Selbstmord denkt, musst du lernen, dich von ihm zu distanzieren. Ich weiß, dass das scheiße von mir klingt, aber du musst in erster Linie an dich selbst denken. Du bist doch jetzt endlich glücklich nach all den Jahren, da darfst du dich nicht gleich wieder runterziehen lassen, sondern musst dich auch ein Stück weit schützen. Menschen kommen nicht durch Worte allein wieder aus ihrer Depression, sondern brauchen professionelle Hilfe. Und du bist nur sein Freund, nicht sein Betreuer oder sein Therapeut!“ Rumiko fand ganz klare Worte und auch Beyond musste wohl einsehen, dass sie nicht ganz Unrecht hatte. Er war nicht für Andrews Leben verantwortlich und irgendwie musste er sich emotional mehr von ihm distanzieren, um nicht schon wieder dort zu landen, wo er vor Monaten noch gewesen war. Allein schon L zuliebe wollte er nie wieder so werden. „Und du meinst, es ist eine gute Idee, L das alles zu sagen?“

„Natürlich ist es das. Du hast von ihm verlangt, dass er dir Vertrauen entgegenbringen soll und im Gegenzug verlangt er, dass du ehrlich zu ihm bist. Also sag ihm einfach, was Sache ist. Natürlich wird es ihm nicht gefallen und selbstverständlich wird es ihn beschäftigen, aber er weiß somit, dass er dir vertrauen kann und er weiß doch, dass eure Beziehung zueinander anders ist als jene, die du zu Andrew geführt hast. Du bist mit ihm glücklich und das weiß L auch. Du solltest auch mehr Vertrauen zu ihm haben. Also mach, dass du deinen Arsch zurück nach Hause bewegst und dich mit ihm aussprichst und um deinen anderen Freund machst du dir später Gedanken, klar soweit?“ Damit hatte Mama Ruby gesagt, was sie sagen wollte und ihr Machtwort gesprochen. Beyond bedankte sich bei ihr für das Gespräch, trank seinen Tee aus und verabschiedete sich von ihr. Jamie, der die ganze Zeit über nichts gesagt hatte, begleitete ihn zur Tür und hatte wie immer sein kindliches und unschuldiges Lächeln auf den Lippen. „Mach dir keine Sorgen, Beyond. Egal was ist, Ruby und ich sind immer für euch da. Und wenn du auf dein Herz hörst, wirst du die richtige Entscheidung treffen.“

„Schön und gut“, sagte Serienmörder und seufzte. „Aber im Moment weiß ich nicht, was mein Herz mir sagen will.“ „Du weißt es nur deshalb nicht, weil die Stimmen in deinen Gedanken zu laut dafür sind. Und wenn du die Stimmen leiser machst, dann kannst du wieder hören, was dein Herz dir sagt. Nur darauf darfst du hören, dann wirst du auch glücklich werden.“

„Das werde ich mir merken. Danke, Jamie. Ich schau demnächst mal wieder mit L zusammen vorbei.“ Damit verabschiedete er sich und kehrte nach Hause zurück. Zwar hatte das Gespräch mit Rumiko geholfen, dass er jetzt so ungefähr wusste, was er zu tun hatte, aber verunsichert war er immer noch und das Gefühlschaos war immer noch da. Eines wusste er mit fester Gewissheit: er liebte L, er liebte ihn mehr als alles andere auf der Welt und er würde ihn auch nicht aufgeben wollen. Und genau das würde er ihm auch sagen. Als er wieder zurück war, wartete der Detektiv etwas unruhig im Wohnzimmer und war gerade dabei, einen Zuckerwürfelturm zu errichten. Man sah ihm an, dass er unruhig war und Beyond plagte das schlechte Gewissen, weil er wusste, dass er schuld daran war, dass es L so erging. Der Detektiv sah schließlich auf und sagte erst einmal nichts. Schließlich aber ging Beyond wortlos zu ihm hin und umarmte ihn. „L, ich möchte, dass du weißt, dass ich dich liebe und niemals jemanden so sehr lieben werde wie dich. Egal, was auch kommt.“ Nach einem kurzen Zögern erwiderte der überraschte L die Umarmung und spürte, mit welchen Emotionen Beyond zu kämpfen hatte. Doch er blieb geduldig und wartete, bis dieser sich wieder von ihm gelöst hatte und die Geschichte erzählen wollte. „Als ich heute unterwegs war, da brach ein Gewitter herein und ich bin in die Bar gegangen, um dort solange zu warten. Und dort habe ich meinen alten Freund Andrew wiedergesehen. Ich glaube, du wirst mehr mit dem Namen „A“ mehr anfangen können.“ L sah ihn mit einem verwirrten Gesichtsausdruck an und verstand es erst nicht. „A? Aber er ist doch gestorben.“

„Das schon, aber vor seinem Tod hat er es geschafft, den Gedankenschaltkreis fertig zu stellen und mit diesem konnte er schließlich zurückgeholt werden.“ Beyond brauchte es nicht zu erklären, L wusste schon über den Gedankenschaltkreis bescheid. Auch er hatte damals versucht, die Pläne zu entschlüsseln und dann zu vervollständigen, doch es war ihm nie gelungen. Dies war das einzige Rätsel gewesen, welches er nie hatte lösen können. Doch Andrew hatte es geschafft, deshalb lebte er jetzt wieder. Und so langsam schien sich L klar zu werden, was das bedeutete und warum Beyond so aufgewühlt war. Der Mensch, den er damals so sehr geliebt hatte und für den er so lange durch die Hölle gegangen war, kehrte wieder zurück und das ausgerechnet jetzt, wo er endlich sein Leben auf die Reihe bekam und mit seinen Gefühlen im Reinen war. All das drohte jetzt zu kippen und da war es nur verständlich, dass er aufgewühlt war. „Das hat wohl alte Gefühle bei dir wieder geweckt, nicht wahr?“

„Ich sollte mich eigentlich freuen, dass Andrew wieder lebt, aber ich kann es nicht von ganzem Herzen. Bis vorhin war meine Welt noch geordnet gewesen und es gab keinerlei Probleme. Aber nun das… Ich weiß echt nicht, was ich machen soll, L. Ich hab ihn vorhin gesehen, er ist immer noch schwer depressiv und versteckt das immer noch nach all den Jahren. Und ich habe einfach Angst davor, dass er dich nach all der Zeit noch lieben könnte. Denn er will wieder den Kontakt zu mir und ich weiß nicht, wie ich ihm das am schonendsten beibringen kann, ohne dass er gleich wieder einen Selbstmordversuch unternimmt. Und ich weiß auch nicht, wie ich mich ihm überhaupt gegenüber verhalten soll. Meine Gefühle sind gerade ein absolutes Chaos…“ L war anzusehen, dass er in ernster Sorge war. Nicht nur um Beyond, sondern er machte sich auch Sorgen darum, wie es zwischen ihnen weiterlaufen sollte. Was, wenn diese alten Gefühle zu A wieder aufflammen und sich Beyond für seine erste große Liebe entscheiden würde? Diese Sorge war verständlich und man konnte sie ihm nicht einfach so nehmen. Der BB-Mörder sah dies, beugte sich zu ihm herüber und sah tief in seine Augen. „Aber eines weiß ich genau: selbst wenn da noch Gefühle für Andrew da sind, ich würde ihn nicht mehr so lieben können wie dich. Es ist einfach zu viel passiert zwischen uns und mit dir bin ich wirklich glücklich. Zwar weiß ich nicht, wie meine Gefühle für A aussehen, aber ich weiß mit fester Gewissheit, dass ich mit niemand anderen so glücklich werden kann wie mit dir. Deshalb werde ich auch mit dir zusammenbleiben und um unsere Beziehung kämpfen.“ Und damit gab er L einen liebevollen aber dennoch zärtlichen Kuss. Dieser erwiderte ihn sofort und hielt Beyonds Hand fest. Nach einer Weile fragte er „Und was willst du tun?“

„Rumiko hat mir geraten, dass ich erst mal in Erfahrung bringen sollte, ob er überhaupt noch Gefühle für dich hat. Vielleicht haben wir ja Glück und er hat inzwischen das Interesse an dir verloren. Dann kann ich ihm die Wahrheit wenigstens sagen, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Aber wenn er dich nach all der Zeit immer noch liebt, dann wird es ein wenig schwierig werden. Ich möchte nicht, dass er wegen mir wieder in Selbstmordgedanken verfällt. Und ich möchte ihn nicht als Freund verlieren, aber… wenn ich mich letzten Endes zwischen ihm und dir entscheiden muss, dann muss ich eben Abstand zu ihm gewinnen, weil ich dich nicht verlieren will.“

„Beyond“, sagte L mit ruhiger Stimme und sah ihm mit einem nachdenklichen und schon fast unglücklichen Blick an. Für viele Menschen wirkten diese schwarz umrandeten Augen unergründlich, aber Beyond konnte mehr in ihnen sehen, weil er L’s Gefühle auch ohne Worte verstand. Und als er in diese Augen sah, hätte er am liebsten geweint, doch er riss sich zusammen. „Ich vertraue dir. Noch einmal will ich nicht denselben Fehler machen und an deinen Gefühlen zweifeln. Und wenn du mir sagst, dass du bei mir bleiben willst, selbst wenn da vielleicht noch Gefühle für A da sind, dann glaube ich dir auch. Ich bin wirklich froh, dass du mit mir darüber sprichst und auch wenn ich zugeben muss, dass ich schon Angst habe, werde ich dir vertrauen. Genauso wie ich für dich der wichtigste Mensch auf der Welt bin, bist du der wichtigste Mensch für mich. Du bist meine erste große Liebe und vielleicht… vielleicht kann ich deshalb verstehen, wie du dich fühlen musst.“ Er reagiert gar nicht so eifersüchtig oder misstrauisch, wie ich zuerst gedacht hatte. Dabei ist er damals fast ausgeflippt, als er mich mit Rumiko gesehen hat und dachte, ich hätte was mit ihr. Ob er etwa tatsächlich gelernt hat, mir zu vertrauen? Oder steckt etwas anderes dahinter? „Dann… dann hast du nichts dagegen, wenn ich mich mit Andrew treffe?“

„Das habe ich nicht gesagt“, erwiderte L und wich seinem Blick aus. Man konnte sehen, dass er eifersüchtig war und dass diese ganze Situation ihm schmerzte. „Wenn ich ehrlich sein soll, würde ich ihm am liebsten sagen, dass er sich von dir fernhalten soll und dir würde ich genau dasselbe sagen. Aber ich weiß, dass er dir als Freund viel bedeutet und als ich das letzte Mal so eifersüchtig reagiert habe, da habe ich unsere Beziehung aufs Spiel gesetzt und fast alles kaputt gemacht. Ich will mich nicht noch mal mit dir so heftig streiten. Deshalb will ich mich bemühen, dir zu vertrauen, dass du die richtige Entscheidung treffen wirst.“

„Das habe ich doch schon.“ Und damit küsste Beyond ihn erneut, dieses mal aber leidenschaftlicher als zuvor. Er schlang einen Arm um L und hielt ihn fest, dann schob er langsam eine Hand unter seinen Pullover. Der Detektiv leistete nicht einmal verbalen Widerstand, als das geschah und das sah ihm eigentlich nicht ähnlich. Stattdessen klammerte sich dieser nur fester an ihn und küsste ihn ebenfalls intensiver. Ob es an unserem Gespräch liegt, dass er sich nicht so bockig anstellt wie sonst? Etwas verwundert war er dennoch und fragte gleich „Alles in Ordnung mit dir, L?“ „Wieso fragst du?“ Beyond sah ihn etwas unsicher an und erklärte „Na weil du normalerweise immer einen Protest vom Stapel lässt, dass uns der alte Zausel sehen könnte und blablabla. Normalerweise muss ich dich erst überzeugen.“ Als L das hörte, wich er seinem Blick aus und wurde rot im Gesicht. Diesen verlegenen Ausdruck fand Beyond schon immer so süß an ihm. „Dann ist es eben mal nicht so, na und?“

„Darf ich raten? Es ist wegen A, oder?“ Voll ins Schwarze getroffen, dass sah er jetzt schon. Beyond konnte einfach nicht anders, als zu schmunzeln und strich ihm sanft durchs Haar. „Glaubst du etwa, ich erwarte von dir, dass du immer nach meiner Pfeife tanzt und tust, was ich sage? Na hör mal, L: ich liebe dich auch wegen deiner Dickköpfigkeit und ehrlich gesagt liebe ich dich sogar eben deshalb, weil du immer versuchst, deinen eigenen Willen durchzusetzen und wir uns deswegen immer gleich zanken. Das macht doch erst unsere Beziehung aus.“

„Dir kann man auch gar nichts recht machen, oder?“ entgegnete L ein wenig grummelig und schüttelte den Kopf. „Da komm ich dir ein Mal entgegen und du hast wieder was zu meckern.“ „Das habe ich nicht gemeint. Aber ich möchte nicht, dass du dich meinetwegen änderst. Ich liebe dich so wie du bist und ich möchte nicht, dass du denselben Fehler machst wie ich damals, indem du dich extra für den Menschen verstellst, den du liebst. Das bist doch nicht du, L. Ich habe mich in dich verliebt, weil du ein eigensinniger, stolzer und manchmal auch kindischer Dickkopf bist und ich will nicht, dass du dich für mich änderst, klar? Du und Andrew, ihr seid grundverschiedene Menschen, das stimmt schon. Aber… du darfst dich nicht mit ihm vergleichen und denken, du müsstest wie er werden, um mithalten zu können. Ich hab doch gesagt, dass ich dich mehr als jemand anderen sonst auf dieser Welt liebe. Deshalb bist du der letzte Mensch auf der Welt, der sich mir zuliebe ändern sollte.“ L, der mit diesen Worten anscheinend nicht so gut umgehen konnte, sah ihn immer noch nicht direkt an und war verlegen. Er sagte nichts, aber man konnte ihm trotzdem ansehen, dass Beyonds Worte ihn schon sehr bewegt hatten. Eigentlich war das ja die wohl größte Liebeserklärung, die man wohl machen konnte. Nur wusste er nicht so wirklich, wie er darauf reagieren sollte. Schließlich aber seufzte er und gab Beyond eine sanfte Kopfnuss. „Du schaffst es aber auch immer wieder, dass mir keine Widerworte mehr einfallen können.“

„Tja“, erwiderte der Serienmörder und lachte. „Ich weiß nun mal zu überzeugen. Also, wo waren wir zwei Hübschen noch mal stehen geblieben?“

„Können wir das nicht besser im Schlafzimmer fortsetzen?“

„Soso, dann hast du also doch was dagegen, weil du fürchtest, der alte Knacker könnte reinkommen und uns sehen. Nun, in dem Falle werde ich ganz einfach die Tür zumachen und hier drin mit dir weitermachen. Wir haben sowieso noch nicht alle Zimmer eingeweiht, seit wir hier eingezogen sind. Es fehlen noch das Wohnzimmer und die Küche.“

„Ich habe dir klar und deutlich gesagt, dass ich NIEMALS so etwas in der Küche mache.“

„Das hast du schon gesagt, als wir unseren Spaß auf der Waschmaschine hatten.“ Und dafür setzte es dieses Mal eine kräftigere Kopfnuss mit dem Kommentar „Halt bloß die Klappe, du Perversling!“

Wein und Fesseln

Kurzerhand hatte Beyond das Wohnzimmer verlassen, um ein paar Sachen holen zu gehen, dann kam er auch schon wieder zurück und schloss die Tür hinter sich. „So, der Alte wird uns nicht stören. Ich hab ihm gesagt, wir sind beim Ficken und wollen nicht gestört werden.“ „WAS HAST DU?“ rief L, merkte aber dann, dass der Serienmörder ihn wieder mal bloß verarscht hatte. In diesem Moment hätte er ihm am liebsten mit einer Drahtbürste dieses dämliche Grinsen aus dem Gesicht gebürstet. Warum nur musste der auch immer wieder solche Späße machen, wenn man von ihm sowieso nicht wusste, ob es nur ein Scherz war oder nicht? Dieser verdammte Sadist hatte sichtlich Spaß daran, L mal wieder auf die Palme zu bringen. Und als er mit einem breiten Grinsen ein Seil dabei hatte, ahnte der Detektiv nichts Gutes. „Bitte sag mir, dass es nicht das ist, wonach es aussieht.“ „Ach wieso denn nicht? So kann ich wenigstens mal die Techniken austesten, die ich in Rumikos Buch gesehen habe.“

„Wenn das genauso gut abläuft wie die Rückenmassage, dann bringst du mich noch ganz um! Garantiert!“ Aber es hatte keinen Sinn, sich dagegen zu wehren und großartig zu protestieren. Ehe L sich versah, begann Beyond auch schon mit dem Programm. „Keine Sorge, fürs Erste werde ich etwas Einfaches austesten.“ Austesten… bin ich hier etwa dein persönliches Versuchskarnickel, oder was? Die Sorgen und Gedanken wegen A hatte er inzwischen wieder gänzlich vergessen. Stattdessen hatte er jetzt andere Sorgen, nämlich die, dass Beyond wieder nur Blödsinn im Kopf hatte und er es wieder ausbaden durfte. „Oh Mann, ich kann es echt nicht glauben, dass du tatsächlich den Quatsch aus Rumikos perversen Sexbüchern nachmachen musst. Was kommt denn als nächste Schnapsidee? Etwa das Kamasutra?“

„Ach so ein Quatsch! Ich will Sex und keine Yogastunde. Und jetzt hör auf so herumzuzicken du Diva und lass dich endlich fesseln, oder ich soll ich dir vielleicht noch den Hintern versohlen?“

„Wag dich das und du wirst dein blaues Wunder erleben! Und lass mich endlich mit deinen perversen Fantasien in Ruhe!“ Doch es hatte keinen Sinn, denn Beyond war so oder so derjenige mit dem längeren Atem. Und egal wie viel L auch protestierte und sich beschwerte, letzten Endes endete es damit, dass er unterlag, wie sonst auch immer. Ehe er sich versah, lagen seine Klamotten auch schon allesamt verstreut auf dem Boden und Beyond hatte ihm schließlich die Beine angewinkelt und kurzerhand seine Handgelenke an die Fußgelenke gefesselt, was für den Detektiv eine höchst peinliche Position war. Als wäre das nicht schon genug, wurden ihm auch noch die Augen verbunden. „Zugegeben, gefesselt siehst du verdammt süß aus, mein Lieber. Da könnte man doch glatt ein Fotoalbum anlegen. Was hältst du davon?“

„Du hast wohl den Schuss nicht gehört!“ Beyond sagte nichts dazu und gab L einen Kuss auf die Wange. „Du weißt doch, dass ich nur Spaß mache. Zugegeben, der Gedanke wäre nicht schlecht, aber wenn du es wirklich nicht willst, dann lasse ich es auch. Ich will dich zu nichts zwingen, was du definitiv nicht willst und das weißt du ja auch.“ Natürlich wusste L das. Auch wenn Beyond in mancherlei Hinsicht einen absolut miesen Charakter besaß, so musste man ihm zugute kommen lassen, dass er auch sehr viel Einfühlungsvermögen besaß, was L betraf. Meist brauchte es keine Worte, damit er wusste, wann ein „Nein“ wirklich „Nein“ bedeutete und wann es einfach nur sein Stolz war, der da aus ihm sprach. Im Grunde sagte L fast zu allem sofort „nein“, weil er nur äußerst ungern klein bei gab und auch nicht wirklich gerne Schwäche zeigte. Aber Beyond hörte sowieso so gut wie nie auf seine Worte, sondern richtete sich einfach danach, was L’s Körper wirklich wollte. Und damit konnte er ihn am besten ärgern. Zärtlich strich er über L’s Brust und küsste seinen Hals und spürte deutlich, wie sein Herz schneller schlug. Wie sehr er diesen Körper liebte. Jedes Mal erfüllte es ihn mit einer fast schmerzlichen Sehnsucht, wenn er L so sah und besonders jetzt war er so sehr von seinen Gefühlen ergriffen, dass ihm fast wieder die Tränen kamen. Er wollte L nicht verlieren, ganz egal was auch kam. Er würde um ihn kämpfen und ihm beweisen, dass er ihn niemals aufgeben würde. Ganz egal wie seine Gefühle für Andrew aussahen, er war glücklich mit L und das hatte er noch nie wirklich bei Andrew oder bei irgendjemand anderem verspürt. Deshalb wollte er ihn wissen lassen, wie sehr er ihn liebte und dass es niemals jemand anderen geben würde. Obwohl L durch die Augenbinde rein gar nichts sah, schien er dennoch zu spüren, was da wohl los war und so fragte er „Alles okay bei dir?“

„Ja, mir gehen nur gerade die Gefühle ein bisschen durch.“

„Aber fang mir jetzt bloß nicht an zu heulen, während ich hier gefesselt da liege, okay?“ Beyond lachte und wischte sich eine Träne aus seinen Augenwinkeln. „So schlimm ist es nun auch wieder nicht. Ich will einfach nur, dass du weißt, dass du das Wunderbarste bist, was mir je passieren konnte und ich dich niemals aufgeben werde. Ganz egal was da auch kommen mag.“

„Das weiß ich doch. Mir geht es doch auch nicht anders.“ Nachdem sich Beyond wieder gefangen hatte, machte er weiter im Programm. Er fuhr sanft mit seiner Zunge über den Hals des gefesselten Meisterdetektiven und vergrub dann vorsichtig seine Zähne in eine besonders empfindliche Stelle, während seine Hand zu seiner Brust wanderte. Ihm entging nicht, dass auch L noch zwischendurch kurz wieder an diese Sache mit Andrew denken musste und dadurch abgelenkt war. Doch das nahm der Serienmörder als Grund, nur noch direkter vorzugehen. Der sollte an rein gar nichts mehr denken können, so sah die Sache aus! Also schaltete Beyond gleich einen Gang höher und begann mit seiner Zunge L’s Brustwarzen zu umspielen, bis diese spürbar hart geworden waren, bevor er auch dort leichte Bissspuren hinterließ. Gierig leckte er kleine Schweißperlen auf küsste seinen Hals, vergrub sanft seine Zähne in sein Ohrläppchen und wanderte dann langsam wieder hinunter zu L’s Brust und vergrub wieder seine Zähne hinein, dieses Mal etwas stärker als zuvor.

L zuckte leicht zusammen, als er diesen Stich spürte, doch zugleich fühlte es sich so unbeschreiblich gut an und er atmete schwer. Beyond, der genau wusste, wo sein Lover seine sensibelsten Punkte hatte, machte genau an der Stelle weiter, während seine Hand langsam weiter nach unten wanderte, bis diese L’s Weichteile umschloss. Der gefesselte Detektiv, der aufgrund der Tatsache, dass seine Augen verbunden waren, alles nur noch intensiver spürte als ohnehin schon, stöhnte lustvoll auf und sein Herz schlug schneller. Es war schon unglaublich, dass jemand wie er so dermaßen empfindlich war. Das zeigte nur, wie schwach er hinter der Maske des unantastbaren Meisterdetektivs wirklich war. Und genau das schien Beyond nur noch mehr anzustacheln, weiterzumachen und er begann nun damit, L’s Glied stärker zu massieren. Der Gefesselte begann zu keuchen und sein Körper zitterte leicht. Selbst beim besten Willen hätte er seine Erregung nicht verbergen können und dass er Gefallen daran hatte. Sein Gesicht begann zu glühen und die Hitze in seinem Körper wurde größer. Doch dann geschah das, was L so nicht direkt gewollt hatte und wogegen er sich immer sträubte: Beyonds Zunge begann damit, L’s Weichteile zu umspielen, dann ließ er seinen Penis vollständig in seinen Mund gleiten. „Nein… nicht! Das… ah!“ Es fühlte sich so unbeschreiblich gut an und eine heiße Welle der Lust überkam ihn, doch sein Verstand sträubte sich noch dagegen. Der Widerstand war da, aber er hatte nicht die Möglichkeit, sich irgendwie zur Wehr zu setzen. Wahrscheinlich hatte dieser durchtriebene Mistkerl genau das beabsichtigt und nun erkannte L, was für ein hinterhältiges Spiel Beyond da wieder mal mit ihm betrieb. „Beyond, hö-hör auf… das mh… das ist…“ L versuchte, irgendwie klare Worte zu formulieren, doch der Serienmörder wusste genau, wie er dem Detektiv die Energie dafür nehmen konnte. Sanft fuhr er mit seinen Fingernägeln über die nackten Oberschenkel seines „Opfers“ und L versuchte mit Mühe, seine Stimme zurückzuhalten. Aber länger würde er es nicht mehr schaffen, da ihm langsam die Energie geraubt wurde, während sein Verlangen, Beyond nahe zu sein und ihn zu spüren, immer größer wurde.

Schließlich aber löste sich der Serienmörder von ihm und zuerst fragte sich L, was denn wohl jetzt kam. Er hörte plötzlich ein Knallen und dann die Warnung „Das könnte jetzt etwas kalt werden“, da spürte er tatsächlich etwas Kaltes und Flüssiges auf seinen Körper tropfen. Was zum Henker stellte dieser Bekloppte jetzt schon wieder mit ihm an? Es roch irgendwie seltsam… nach… nach Alkohol? „Wie schon gesagt: Rumikos Lektüren bieten wirklich klasse Vorlagen. Und ich wollte schon seit längerem wissen, ob der Alkohol durch die Haut aufgenommen werden kann. Wäre doch interessant zu erfahren, oder?“ Zugegeben, L fühlte sich ein wenig seltsam, aber es konnte auch vom Weingeruch herkommen. Doch dann begann sich alles um ihn herum zu drehen und als Beyonds Finger sich in sein Innerstes bahnten, wurde ihm unbeschreiblich heiß zumute. „Offenbar scheint da doch was dran zu sein“, bemerkte Beyond und schüttete noch mehr von dem Wein über L’s Körper. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, als diese kühle Flüssigkeit über seine Haut rann und der Weingeruch stärker wurde. Alles schien intensiver zu werden, doch gleichzeitig hatte er das Gefühl, als würde sein Bewusstsein immer schwächer und durch einen dichten Nebelschleier verhüllt werden. Sein Denkvermögen war wie gelähmt und die Hitze in seinem Inneren war unbeschreiblich und viel stärker als sonst. Was… was passierte da nur mit ihm? Reagierte sein Körper etwa tatsächlich darauf? Sein Gesicht begann zu glühen und er fühlte sich fast schon ein wenig fiebrig. Beyond nahm nun den zweiten Finger hinzu und als er einen besonders sensiblen Punkt berührte, da konnte L sich nicht mehr zurückhalten und laut stöhnte er auf. Die Lust und die Erregung steigerte sich immer mehr und war kaum noch auszuhalten. Sein Kopf fühlte sich bleischwer an und dröhnte und alles und ihm wurde schwindelig. „Irgendwie ist mir seltsam zumute…“

„Das kommt eben vom Alkohol. Sag bloß, du verträgst nichts.“

„Ich hab Besseres zu tun, als Alkohol zu konsumieren.“

„Schon klar. Und darf ich raten? Du hast auch noch nie Gras geraucht.“

„Natürlich nicht!“

„Langweiler…“

„Könntest du endlich mal aufhören, so herumzusticheln, wenn du deine verdammten Finger in mich reinsteckst?“ L hasste es, wenn Beyond so etwas mit ihm machte und noch mehr hasste er es, dass er nicht mal die Möglichkeit besaß, ihm eine reinzuhauen oder ihm zur Strafe wenigstens einen Tritt zu verpassen. Selbst diese Alternative hatte dieser hinterhältige Mistkerl ihm genommen und das machte es nur noch schlimmer. „Irgendwie bist du heute ganz schön zickig drauf. Vielleicht sollte ich mal wieder den Vibrator nehmen, damit du etwas runterkommst.“ „Untersteh dich!“ rief L, doch bevor er noch etwas sagen konnte, versagte ihm wieder sein Sprechvermögen, als Beyond wieder diesen einen besonders sensiblen Punkt berührte und der allerletzte Widerstand dahinschmolz. In diesem Zustand wäre L nicht in der Lage gewesen, überhaupt noch zu protestieren. Diese unbändige Lust ertränkte ihn und begrub seinen Stolz vollständig. Er konnte nicht mehr verbergen, wie sehr er auf diese Berührungen reagierte und dass es sich so unbeschreiblich gut anfühlte. Schließlich aber zog er seine Finger wieder heraus und beugte sich stattdessen über den gefesselten L, woraufhin er ihm einen zärtlichen und dennoch leidenschaftlichen Kuss gab. Als er mit seiner Zunge zu spielen begann, schmeckte L etwas vom Alkohol. „Du glühst ja richtig im Gesicht“, bemerkte der Serienmörder mit erstaunter Stimme. „Steigt dir der Alkohol etwa jetzt schon zu Kopf?“ L schaffte es nicht, die Konzentration dafür aufzubringen, eine Antwort darauf zu geben. Ihm war so seltsam benommen zumute und er schaffte es einfach nicht, an überhaupt irgendetwas zu denken. Schließlich aber löste Beyond wieder seine Lippen von ihm und begann nun damit, L’s Beine ein wenig zu spreizen. Der gefesselte Detektiv, der rein gar nichts sehen konnte, wusste, was gleich kommen würde, aber er war nicht fähig, irgendwie darauf zu reagieren. Sein Körper fühlte sich irgendwie gelähmt an, als würde der Alkohol nicht nur seinen Verstand blockieren, sondern auch seine ganze Kraft rauben. Als er dann einen langsam wachsenden, stärkeren und heißeren Druck in seinem Innersten spürte, da war ihm, als würde in dem Moment sein ganzer Körper anfangen zu glühen. Sein Blut begann zu kochen und mit gewaltiger Kraft in seinen Adern zu pulsieren, Schweißperlen bildeten sich auf seiner Haut und ihm war wirklich, als läge er da im Fieber. Der Druck wurde immer stärker und seltsamerweise spürte er überhaupt keine Schmerzen, dabei ging Beyond deutlich schneller und direkter vor als sonst, als könnte er sich selbst nicht mehr bremsen. Als würde er ebenfalls die Kontrolle über sich verlieren. Und doch… er blieb immer noch er selbst. Denn solange er den Menschen an seiner Seite hatte, den er so sehr liebte, würde er niemals die Kontrolle über sein destruktives und monströses Verlangen verlieren.

Nachdem er vollständig eingedrungen war, verharrte er für einen kurzen Moment und L, der völlig überwältigt war und das Gefühl hatte, in einer heißen dunkelroten Flutwelle der Lust zu versinken, bebte am ganzen Körper und sein Atmen wurde zu einem Keuchen. Die Luft kam ihm so heiß und stickig vor und war schwer vom Weingeruch. Als Beyond sich in Bewegung setzte, da wurde das Feuer in L’s Innerem zu einem herrlichen Inferno. Es war, als würde er vollständig dahinschmelzen und diese Gefühle überwältigten ihn. Sein Wunsch, Beyond noch intensiver zu spüren und ihm für immer nahe zu sein, wurde zu seinem einzigen Gedanken, der ihn noch erfüllte. Und nun war er es, der mit den Emotionen kämpfte. Jetzt, da die Maske des unnahbaren Detektivs wie schon so oft zerbrochen war. Sie waren so überwältigend, dass ihm die Tränen kamen und er fasste in diesem Moment einen Entschluss. Er würde um Beyond kämpfen und ihn nicht so schnell aufgeben. Nein, er würde nicht zulassen, dass A ihm zu einer Gefahr wurde. Dieser Mistkerl hatte Beyond doch sowieso nie geliebt und mit seinen Gefühlen gespielt, um sich selbst über seinen Liebeskummer hinwegzutrösten. Seinetwegen hatte Beyond so gelitten und all die Jahre seine Gefühle verleugnet und sich so in seinem Hass hineingesteigert. Und nun war A einfach so wieder zurückgekehrt und wollte den Kontakt zu Beyond, nachdem er ihm so wehgetan hatte. Er hatte ihn im Stich gelassen, als er vom Dach gesprungen war und war ihm nicht einmal ein guter Freund gewesen. Beyond hatte so viel mehr verdient als diesen A. Warum nur tut er sich das denn nur selbst an und will wieder Kontakt zu ihm, wenn es ihm doch sowieso nur wieder Kummer machen wird? Egal was auch geschieht, ich werde für Beyond da sein und ihn auffangen. Ich werde nicht zulassen, dass er wieder in dieses Tief hinabfällt, in welchem er bis zu unserer Begegnung noch gefangen war. Ich will für ihn das Licht in dieser unendlichen Dunkelheit sein und ihn wissen lassen, dass ich ihm niemals so wehtun werde wie A damals.

Plötzlich merkte L, dass seine Fesseln sich deutlich gelockert hatten. Ob Beyond sie nicht fest genug geschnürt hatte? Nein… er hatte sie selbst gelöst. Aber warum? „L, halt mich…“ Und ohne zu zögern schloss er den Serienmörder in seine Arme und vergrub seine Fingernägel in diese von Narben gezeichnete Haut. Ehe er sich versah, hatte sich sein Körper Beyonds Bewegungen angepasst und sie lagen eng umschlungen auf der Couch. „Ich bin für dich da, Beyond…“, das waren die einzigen Worte, die er halbwegs zustande brachte. „Egal was kommt, ich werde dich niemals alleine lassen, oder dir wehtun.“ „Das weiß ich“, antwortete der Serienmörder und küsste ihn. Seine Stöße wurden härter und schneller und L’s Hände verkrallten sich noch stärker in Beyonds Haut. Es war so überwältigend und er spürte, dass er gleich an seine Grenzen stieß. Er schnappte nach Luft, das Herz schlug ihm bis zum Hals und drohte zu explodieren. Auch Beyond schien es nicht anders zu ergehen und seine Hände verkrallten sich ins Sofapolster. Sein Atem wurde zu einem Keuchen und L konnte seinen heißen Atem spüren.

Schließlich setzte Beyond zum letzten Endspurt an und schlang seine Arme um L, um ihn fest an sich zu drücken. Dieser hatte das Gefühl, gleich das Bewusstsein zu verlieren, wenn es nicht gleich vorbei war. In seinen Ohren dröhnte es und sein Kopf fühlte sich so schwer und träge an. Die Hitze in seinem Innersten wurde fast unerträglich und sein Körper glühte wie ihm Fieber. Für einen Moment begann er zu schwächeln, doch dann schaffte er es, seine letzten Energiereserven zu sammeln und sich wieder an Beyond festzuhalten. Sein Blut pulsierte nun noch gewaltiger als Beyonds Hand seinen Penis umschloss, da stöhnte er laut auf. „Ne-nein… ah! Das… das ist aah!!… zu… zuviel…“

„Damit musst du wohl leben. Wenn ich schon gleich kommen muss, dann du gefälligst auch.“ L hatte nun gänzlich die Kontrolle über seine Stimme verloren und wurde ungewollt laut. Seine Stimme zitterte und hörte sich so seltsam fremd in diesem Augenblick an. Diese Hitze und der Geruch des Weins hatten ihn völlig benebelt und ließen ihn fast verrückt werden. Und obwohl diese überwältigenden Gefühle ihm schon fast Angst machten, wollte er es dennoch. Alles in ihm schrie nach mehr, sein tiefstes Verlangen erfüllte ihn bis in die letzte Faser seines Körpers. Die Lust und diese unbeschreibliche Leidenschaft wuchsen zu einer gewaltigen Flutwelle heran und dann, mit einem allerletzten Aufbäumen brach diese Flutwelle endgültig über ihn herein und riss ihn gewaltsam mit sich. Er ertrank vollständig in ihr, als er und Beyond gemeinsam zu ihrem Höhepunkt kamen. Es war wie eine befreiende Erlösung von dieser herrlich süßen Qual und keuchend lagen sie eng umschlungen auf dem Sofa da, schweißgebadet und von Glück erfüllt.
 

Sie lagen einen Augenblick lang so da, dann gab es plötzlich ein lautes Knacken und ehe sich beide versahen, lagen sie auch schon auf dem Boden. L, der immer noch seine Augenbinde trug, nahm diese nun ab und sah zu Beyond. Dieser lag stöhnend auf dem Boden und presste eine Hand auf seinen Oberschenkel. „Ah! Scheiße verdammt!“ brachte er mit zusammengepressten Zähnen hervor und verzog das Gesicht vor Schmerz. „Beyond“, rief L und kroch zu ihm. „Hast du dir wehgetan?“

„Wahrscheinlich was gezerrt oder so. Ah Fuck. Irgendwie bin ich ungünstig gefallen. Was zum Teufel war das gerade?“ L sah zu der Couch und stellte mit Erstaunen fest, dass diese komplett hinüber war. „Die Couch ist offenbar zusammengebrochen. Scheint so, als bräuchten wir eine neue.“

„Könntest du dir bitteschön zu einem späteren Zeitpunkt Gedanken um die Inneneinrichtung machen und mir erst mal helfen?“ Da er sich wohl offenbar wirklich wehgetan haben musste, suchte L schnell seine Sachen zusammen. „Okay, ich geh mal Rumiko holen. Mal sehen, ob sie dir helfen kann. Wenn nicht, dann musst du zum Arzt.“

„Na großartig. Wenn die erfährt, was passiert ist, dann wird sie sich noch tagelang darüber kaputtlachen. Genauso wie letztens, als du mir statt der Kopfschmerzmittel versehentlich das Aphrodisiakum verabreicht hast, was eigentlich für dich bestimmt war!“
 

Und seine Befürchtung sollte sich bestätigen. L, der durch den Alkohol noch etwas benommen war, brauchte eine Weile, um vernünftig laufen zu können, außerdem musste er erst einmal ins Bad und die Weinreste abwaschen. Zum Glück traf er Rumiko in ihrem Haus an und sie kam sofort mit ihm rüber, um sich das Ganze selbst anzusehen. Sie konnte glücklicherweise helfen, die Verspannung bei Beyond zu lösen, fragte dann aber gleich nach, wie das passieren konnte und warum die Couch hinüber war. Und als beide ihr die Wahrheit beichten mussten, da kamen ihr vor lachen sogar die Tränen und natürlich hatte sie wieder eine neue Geschichte für ihre Freunde aus der Schwulenbar.

A's Elend

Andrew hatte nicht ein Wort gesagt, nachdem er die Bar verlassen hatte und er war so gedankenverloren, dass er die Umgebung um sich herum kaum wahrnahm. Eigentlich wollte er nicht zurückgehen. Er wusste, dass er eigentlich von dort weggehen und nie wieder zurückkehren sollte. Aber wo sollte er denn sonst hin? Es gab doch sonst keinen Ort, wo er hingehen konnte und er hatte auch keine andere Wahl. Inzwischen hatte das Gewitter aufgehört und die Sonne schien sogar ein wenig. Aber trotzdem war ihm einfach nur zum Heulen zumute. Ja, am liebsten hätte er geweint, aber er tat es nicht. Stattdessen versuchte er einfach sein Elend wegzulächeln um genauso wie damals niemanden sehen zu lassen, wie schlecht es ihm wirklich ging. Selbst wenn er weinte und jammerte, es würde doch rein gar nichts bringen, oder an seiner Situation irgendetwas ändern. Er wusste, dass es Konsequenzen haben würde, dass er einfach so klammheimlich das Institut verlassen hatte. Aber er wollte Beyond unbedingt wieder sehen und sich wenigstens bei ihm entschuldigen für die ganzen Dinge, die passiert waren. Aber letztendlich hatte er es nicht geschafft, Beyond das zu sagen, was er ihm noch sagen wollte. Er hätte es gerne getan, aber er hatte gesehen, wie aufgewühlt sein bester Freund gewesen war und da konnte er ihm doch nicht mit solchen Sachen kommen. Immerhin musste er doch einen ziemlichen Schreck gekriegt haben, Andrew konnte es ihm jedenfalls nicht verübeln. Doch wenn er ehrlich war, dann wäre es ihm lieber gewesen, der elektronische Gedankenschaltkreis wäre niemals zum Einsatz gekommen und er wäre tot geblieben. Dann wäre er jetzt nicht in dieser Situation. Irgendwie habe ich wohl ein Talent dafür, mich von einem Unglück ins nächste zu bringen, dachte er und nahm sich zusammen. Naja, wenigstens scheint es Beyond gut zu gehen und das ist doch schon mal was. Wenigstens ein kleiner Trost für meine absolut beschissene Lage.

Gleich schon, als er das Institut betrat, wurde er vom Wachpersonal in Empfang genommen und grob an den Armen gepackt. Er leistete keinerlei Widerstand und ließ sich bereitwillig wegbringen. So oder so hätte es keinen Sinn, sich gegen diese Leute zu wehren, sonst würden sie ihn nur wieder zusammenschlagen und er wusste genau, wann es keinen Sinn hatte, sich zu wehren. Es war sowieso ein Wunder gewesen, dass er es geschafft hatte, das Institut klammheimlich zu verlassen, ohne aufzufallen, aber er hatte einen Komplizen gehabt, der ihm geholfen hatte. Frederica hatte ihm wie schon so oft geholfen und ihn ihm den Tipp gegeben, wo er Beyond finden konnte. Ohne sie hätte er wahrscheinlich wieder Selbstmord begangen, wenn sie ihm nicht gesagt hätte, dass Beyond nach Boston gekommen wäre und somit wieder erreichbar für ihn war. Die Wachmänner führten ihn zum Büro von Dr. James Brown und als die Tür geöffnet wurde und Andrew den Wissenschaftler am Schreibtisch sitzen sah, da spürte er wieder den tief verborgenen Wunsch, wegzulaufen und nie wieder in dieses schreckliche Institut zurückzukehren. Doch er schaffte es nicht, diesem Wunsch nachzugeben. Er wusste, dass er keine andere Wahl hatte, als hierher zurückzukehren. Dr. Brown wies die Wachmänner an, ihn und Andrew allein zu lassen, woraufhin die Männer weggingen und die Tür hinter sich schlossen. Andrew blieb mit dem Rücken zur Tür stehen und machte keine Anstalten, näher zu kommen. Er sah Dr. Brown nicht einmal an. Seine Hände ballten sich zu Fäusten und er spürte, wie er sich verkrampfte. „Wo hast du dich herumgetrieben?“ fragte er und sah Andrew mit seinen kleinen giftigen Augen an. Er war ein groß gewachsener Mann von knapp 35 Jahren und ordentlich zurückgekämmtem Haar. Auch wenn er nicht danach aussah, war er kräftiger als er aussah und Andrew wusste aus Erfahrung, dass man sich besser nicht mit ihm anlegen sollte. „Ich habe dich was gefragt!“ sagte er mit Nachdruck und unmerklich sank Andrew in sich zusammen, während er es nicht fertig brachte, ihn anzusehen. „Ich war draußen.“ „Das weiß ich selbst“, entgegnete der Wissenschaftler gereizt und stand auf. Mit festen Schritten kam er auf Andrew zu, dann packte er ihn am Kragen. Da der 25-jährige nicht zu den größten Menschen zählte und Dr. Brown locker an die 1,88m heranreichte, war es für ihn ein leichtes, ihn so grob anzupacken. Ehe sich Andrew versah, bekam er einen Schlag ins Gesicht verpasst und wurde zu Boden gestoßen. „Ich hab dir ganz klar gesagt, dass du das Institut nicht verlassen sollst. Dein Leben liegt in meinen Händen, hast du das kapiert? Solange ich hier derjenige bin, der die Wartungen am GSK durchführt, hast du gefälligst im Institut zu bleiben. Du solltest mir mal ein wenig dankbarer sein, Andrew. Ich habe dich ins Leben zurückgeholt und deinen Körper zusammengeflickt. Ich habe dir dein Leben zurückgegeben und dafür kannst du ein bisschen entgegenkommender sein, findest du nicht auch? Stattdessen haust du einfach ab. Du undankbarer kleiner Scheißer!“ Und damit trat er ihn auf den Rücken, sodass Andrew auf dem Boden lag. „Es tut mir leid“, rief dieser mit zitternder Stimme und blieb auf dem Boden liegen, da er wohl befürchtete, sonst wieder geschlagen oder getreten zu werden. „Ich… ich wollte doch nur einen alten Freund besuchen gehen.“

„Du hast wohl vergessen, wie schlecht dein Zustand ist. Der GSK ist noch nicht hundertprozentig stabil und deshalb musst du an meiner Seite bleiben, damit ich dir helfen kann, wenn es wieder zu Ausfällen kommt. Dass ich dich hier im Institut einsperre, geschieht doch nur zu deiner eigenen Sicherheit! Ich sorge mich um dich und versuche, dir zu helfen und du undankbarer Bengel trittst das alles mit Füßen. Zehn Jahre habe ich mich für dich aufgeopfert und ohne mich würdest du jetzt nicht wieder leben.“ Damit ergriff der Wissenschaftler seinen Arm und half ihm wieder hoch. Der grausame und hartherzige Mann war verschwunden, er wirkte jetzt so viel sanftmütiger und freundlicher. Dr. James Brown besaß zwei Seiten, die Andrew mehr als deutlich zu spüren bekommen hatte. Er war ein Choleriker, der sehr schnell ausrasten und gewalttätig werden und im nächsten Moment wieder so sanftmütig und freundlich sein konnte. „Glaub mir, ich will dir doch gar nicht wehtun, Andrew. Aber du zwingst mich leider dazu, wenn du mir nicht gehorchst. Ich will, dass es dir gut geht und du bedeutest mir sehr viel. Warum nur bist du so undankbar?“

„Ich bin doch nicht undankbar“, erwiderte Andrew und rieb sich die Wange, wo er einen Schlag kassiert hatte. Es tat wirklich weh, aber er wusste, dass er das selbst zu verschulden hatte. Im Grunde war das ja seine Schuld. Er hätte das Institut nicht verlassen dürfen und musste jetzt eben dafür die Strafe tragen. Und dabei waren diese Schläge und Tritte ja noch nicht einmal die Strafe gewesen. Die würde nämlich noch folgen, das wusste er. „Ich bin dir wirklich sehr dankbar, dass du mir den GSK eingesetzt hast, aber ich wollte meinen besten Freund wieder sehen. Wenigstens ein Mal und mich für die Fehler entschuldigen, die ich damals begangen habe.“

„Du brauchst doch keine Freunde, Andrew“, erwiderte Dr. Brown, legte seine Hände auf Andrews Wangen und sah ihm in die Augen. „Du hast mich und du brauchst niemanden sonst. Ich werde dich am leben erhalten und ich bin der einzige Mensch, für den du existieren solltest. Du bist sehr wichtig für mich, deshalb will ich auch nicht, dass du einfach so abhaust. Glaub mir, ich will dir doch nichts Böses. Ich sorge mich einfach um deine Verfassung, aber wenn du so ungehorsam bist, zwingst du mich zu solch schrecklichen Dingen. Das tut mir doch genauso weh wie dir.“ Andrew schaffte es nicht, den Augenkontakt zu halten. Er kauerte auf dem Boden wie ein Häufchen Elend und fühlte sich so unendlich schlecht in diesem Moment. Wie oft hatte er von ihm gehört, dass es allein seine Schuld war, warum diese grausamen Strafen immer folgen mussten? Wie oft war er in Selbsthass versunken, weil er diese Dinge mit sich machen ließ und trotzdem nicht die Kraft aufbrachte, sich endlich von all dem hier zu befreien? Womöglich, weil er von Dr. Brown als einzigen Menschen die Zuwendung erfuhr, nach der er sich sehnte? Andrew war nicht dumm, er hatte längst erkannt, dass er sich nicht nur in einer physischen, sondern auch in einer psychischen Abhängigkeit von diesem Mistkerl befand, aber er wusste leider auch, dass er aus eigener Kraft nicht aus diesem Teufelskreis herauskam. Nicht nur, dass er die Zuwendung erfuhr, die er brauchte, um seinen Lebenswillen nicht wieder zu verlieren, er war auf Dr. Brown angewiesen, weil dieser für die Wartung des Gedankenschaltkreises verantwortlich war. Er musste bei ihm bleiben, das war nun mal die grausame Realität. Und Frederica war momentan nicht in der Verfassung, um ihm zu helfen, auch wenn sie es gerne würde. „Es tut mir leid“, wiederholte er zum gefühlten hundertsten Mal und hielt den Blick gesenkt. Dr. Brown stand vor ihm mit erhobenem Haupt, wie ein Scharfrichter, der auf sein hilfloses Opfer herabsah. Dann aber wurde sein Blick wieder so frostig wie zuvor und mit kalter Stimme sagte er „Wenn es dir leid tut, dann beweise es mir auch. Na los, zieh dich schon aus. Die Hände auf dem Schreibtisch und dann mach die Beine auseinander. Oder willst du mich den ganzen Tag warten lassen?“ Und da Andrew wusste, dass er keine andere Wahl hatte, gehorchte den Worten des Wissenschaftlers und begann damit, sich auszuziehen. Auch wenn er es hasste, er würde es tun, um Dr. Brown zufrieden zu stellen. Solange er nur nicht daran dachte, was mit ihm passieren würde und wie es ihm dabei ging, konnte er es ertragen. Er brauchte einfach nur seinen Kopf abzuschalten, dann war es in Ordnung. Zumindest irgendwie…

Gehorsam beugte er sich über den Schreibtisch und stützte seine Arme dabei ab. Dann wartete er. Er biss sich auf die Unterlippe und versuchte ruhig zu bleiben und an etwas anderes zu denken. Immerhin hatte es die letzten Jahre ja auch irgendwie geklappt. Doch dieses Mal fiel es ihm nicht so einfach wie sonst. Er konnte einfach nicht anders, als an Beyond zu denken und innerlich verkrampfte er sich, als er daran dachte, wie sehr er das hier eigentlich hasste und wie gerne er wieder bei ihm wäre. Deshalb schmerzte es umso mehr, als Dr. Brown mit aller Gewalt in ihn eindrang.
 

Nachdem es endlich vorbei war, zog Andrew seine Sachen wieder an, verließ Dr. Browns Büro und konnte kaum vernünftig laufen. Ihm tat alles weh und ihm war schlecht. Am liebsten hätte er sich in sein Zimmer begeben und sich hingelegt, um einfach nur zu schlafen, aber vorher wollte er noch etwas anderes erledigen. Er ging in die unterste Etage des Institutes in einen gesicherten Raum, den er eigentlich nicht betreten konnte, aber inzwischen hatte er das System schon längst geknackt und es war ein leichtes für ihn, die Passwörter und Scanner zu umgehen. Das war eine vergleichsweise einfache Übung für ihn. Schließlich, als sich die hochgesicherte Stahltür geöffnet hatte, betrat er einen Raum, der durch Panzerglas gesichert war und dahinter sah er Frederica. Sie lag in einem Bett, an diversen Schläuchen angeschlossen, die sie künstlich am Leben erhielten. Ihre Haut war genauso schneeweiß wie ihr langes Haar und ihre Augen, die kein Leben mehr besaßen und immerzu ins Leere starrten, hatten ein unnatürliches Rot. Wenn er schon wieder zurück war, dann konnte er sie wenigstens besuchen kommen und sich bei ihr für ihre Hilfe bedanken. Und sie freute sich immer, wenn jemand sie besuchen kam. „Andrew, du bist schon wieder hier?“ Ihr Körper regte sich nicht, nicht einmal ihre Lippen. Es schien so, als läge da eine Puppe im Bett. Verbal kommunizieren konnte sie nicht, da sie keine Stimmbänder mehr besaß. Doch sie konnte sich ohne Worte verständigen, da ihr Gedankenschaltkreis anders funktionierte als der von anderen Menschen. Er ermöglichte es ihr, dass man sie verstand, ohne dass sie etwas sagen musste. Ein Phänomen, welches man unter „Seelenverwandten“ kennen musste. Andrew öffnete die Panzerglastür und ging zu ihr ans Bett. Die Beatmungsmaschinen und das EKG gaben monotone und unschöne Geräusche von sich, die ihn selbst irgendwann vielleicht wahnsinnig gemacht hätten. „Ja, ich hab auch schon meinen alten Freund wiedergetroffen. Danke, dass du mir den Tipp gegeben hast, ihn in der Bar zu suchen.“

„Das mache ich doch gerne. Aber sag, was ist denn mit dir? Ist es wegen James oder beschäftigt dich etwas anderes?“ Er konnte nichts vor ihr verbergen, Frederica durchschaute jeden in ihrer Nähe und wusste deshalb sofort, was mit ihm los war. „Ich… ich hab nicht den Mut aufgebracht, es ihm zu sagen und irgendwie hatte ich das Gefühl, als würde er sich nicht wirklich freuen, mich wiederzusehen.“

„Er ist sehr aufgewühlt“, erklärte sie schließlich und obwohl ihr Körper starr und regungslos war, konnte man dennoch spüren, dass sie mit ihm mitfühlte. „Es ist viel bei ihm passiert in all der Zeit und auch er muss sich erst einmal mit dieser Situation zurechtfinden. Verlier nicht gleich den Mut, Andrew. Er hat sich gefreut, dass du wieder lebst und er macht sich nach wie vor Sorgen um dich. Gib ihm etwas Zeit, sich an diese neue Situation zu gewöhnen, okay? Ich weiß, dass er auch nach all den Jahren und Geschehnissen für dich da sein wird.“

„Und woher willst du das wissen?“

„Weil ich es eben weiß. Genauso wie ich eben wusste, wo du ihn finden wirst. Es gibt viele Dinge, die ich weiß und das würdest du wahrscheinlich nicht so wirklich verstehen oder nicht nachvollziehen können. Und es gibt nun mal Dinge, die ich weiß, die ich dir aber nicht sagen kann. Denn ich denke, dass es besser wäre, wenn du sie selbst herausfindest und daran wächst. Du bist ein guter Mensch, deshalb möchte ich dir auch gerne helfen, wenn ich es denn irgendwie kann. Gerne würde ich dir helfen, für immer von hier wegzugehen, damit du dich endlich von James’ Einfluss befreien kannst, aber leider schaffe ich das in meiner jetzigen Verfassung einfach nicht. Solange ich an diese Maschinen angeschlossen bin, kann ich mich nicht so bewegen, wie ich es denn gerne wollte und selbst dann würde mein Körper ohne diese Maschinen sterben. Aber… das kann ich noch nicht. Ich muss noch hier bleiben und warten. Deshalb tut es mir auch so leid, dass ich momentan nicht mehr für dich tun kann.“ Vorsichtig nahm Andrew ihre schneeweiße Hand und hielt sie fest. Sie fühlte sich so kalt an, genauso wie der Rest ihres Körpers. Wenn diese schreckliche Apparatur nicht wäre, die ihr solche Qualen antat und sie immerzu solche Schmerzen erleiden ließ, dann würde sie jetzt nicht so aussehen. Bevor man sie an diese ganzen Maschinen angeschlossen hatte, musste sie sicher wunderschön ausgesehen haben. Wie ein Engel… Sie war immer so eine gute Freundin für ihn gewesen und er konnte ihr nicht helfen. „Ich wünschte, ich könnte dir irgendwie helfen, Frederica.“ „Das ist nicht nötig“, erwiderte sie. „Ich habe mich doch selbst dafür entschieden. Und es wird sowieso nicht mehr lange dauern. Solange ich weiß, dass du bald dein Glück finden und deiner Traurigkeit entkommen kannst, ist es okay so. Und du weißt, dass ich dir zur Seite stehen werde als deine Freundin.“

„Warum willst du denn unbedingt hier bleiben und diese ganzen Schmerzen ertragen, obwohl du weißt, dass James doch nur an deinen Gedankenschaltkreis kommen will?“

„Weil bald jemand herkommen wird, der meine Hilfe ebenso brauchen wird wie du. Zwar wird das noch eine ganze Weile dauern und zugegeben, bis dahin werde ich wohl etwas einsam sein, aber das geht schon in Ordnung. Ich war schon so lange Zeit alleine, dass es nicht so schlimm ist.“

„Du wirst doch nicht einsam sein. Ich bin doch da!“

„Jetzt schon. Aber… erst einmal will ich dafür sorgen, dass du von hier endlich abhauen kannst und frei bist. Meine Möglichkeiten sind momentan stark begrenzt, deshalb musst du dich noch ein wenig gedulden, mein Freund. Aber ich verspreche dir: du wirst es schaffen, dein Glück in dieser Welt zu finden und damit auch den Willen zu leben! Also sei deshalb nicht so traurig, ja? Wenn du traurig bist, dann bin ich es doch auch.“ Andrew wischte sich eine Träne weg, beugte sich etwas vor und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Erst jetzt bewegten sich ihre Augen und sahen ihn an. Der äußere Rand der Iris ihres linken Auges war von einem goldenen Ring umgeben, wodurch ihre Augen etwas noch Unnatürlicheres an sich hatten. Doch Andrew hatte dieser goldene Ring schon immer fasziniert. „Wer wird denn kommen, dem du so unbedingt helfen willst?“ „Das ist ein Geheimnis“, erklärte Frederica schließlich. „Aber wenn er herkommt, dann habe ich auch wenigstens noch ein letztes Mal die Chance, Nastasjas Sohn wiederzusehen. Meine beste Freundin ist damals viel zu früh gestorben und das war allein meine Schuld. Wäre ich nicht da gewesen, dann hätten sie und ihr Mann nicht sterben müssen. Sie wollten mich nur vor James’ Vater beschützen, aber letzten Endes hat es auch nichts gebracht und ich bin hier gelandet. Allein meinetwegen haben bereits so viele Menschen sterben müssen. Meine Familie… Nastasja und Henry… meine Existenz ist eine Gefahr für andere. Ich habe damals beim Nowgorod-Massaker so schlimme Dinge gesehen. Unbeschreibliche Dinge, die mir selbst heute noch das Herz brechen, weil dabei auch noch meine eigene Familie getötet wurde. Einzig und allein, weil ich ein Monster bin. Genauso wie du denkst, dass du allein mit deiner Existenz so vielen Menschen wehtust, so denke auch ich. Womöglich verstehe ich dich deshalb so gut. Vielleicht ist das hier ja meine gerechte Strafe und ich habe es nicht anders verdient. Kann ja auch gut möglich sein…“

„So ein Unsinn“, erwiderte Andrew kopfschüttelnd und strich ihr vorsichtig durchs Haar. „Du hast niemals jemandem etwas Böses gewollt, deshalb trifft dich auch keine Schuld. Und ohne dich hätte ich Beyond nicht gefunden. Wenn du nicht wärst, dann hätte es diese Konstruktionspläne über die elektrischen Gedankenschaltkreise nicht gegeben und ich würde jetzt nicht hier stehen.“

„Und dennoch bedauerst du dein jetziges Leben. Ganz schön widersprüchlich, findest du nicht? Du versuchst mir einzureden, dass ich dieses Dasein nicht verdient hätte, weil der Fehler nicht bei mir liegt, sondern bei den anderen. Aber du selbst suchst alle Schuld immer bei dir und denkst, dass dein jetziges Dasein eine Strafe ist, weil du so viele Fehler begangen hast. Erkennst du es nun? Genauso wie ich mir keine Schuld geben muss, so musst du das genauso wenig. Was passiert ist, das ist passiert und wir müssen lernen, damit umzugehen und damit abzuschließen. Die Vergangenheit ist Vergangenheit und wenn wir uns von ihr beherrschen lassen, werden wir in unserem Leben nicht weiterkommen. Und das musst du auch verstehen. Das Leben der Menschen ist eben sehr kurz, deshalb ist es auch mehr als dumm, wenn sie sich die ganze Zeit nur in der Vergangenheit aufhalten. Also hör auf, darüber nachzudenken, welche Fehler du gemacht hast und was alles hätte anders laufen können. Lerne aus deinen Erfahrungen und mache denselben Fehler nicht noch mal, okay? Beyond hat dir doch gesagt gehabt, dass er mit den Geschehnissen von damals abgeschlossen hat und dir keine Vorwürfe macht. Also solltest du dasselbe tun und dich darauf konzentrieren, was jetzt ist!“ Als Andrew da hörte, konnte er nicht anders als zu lachen. Frederica hatte Recht. Er sollte endlich damit aufhören, die ganze Zeit nur in der Vergangenheit zu leben. Immerhin hatte er die Chance auf ein zweites Leben bekommen, also sollte er nach vorne sehen. „Du hast Recht… Oh Mann, du weißt auch immer Rat, oder?“

„Ich lebe eben schon eine ganze Weile, da sammelt man eben viel Erfahrung. Und jetzt geh auf dein Zimmer und ruh dich aus. Ich merke doch, dass du kaum stehen kannst und ich will auch nicht, dass du dich meinetwegen quälst. Aber wenn du noch einen Rat von mir willst: geh morgen wieder in die Bar und triff dich mit Beyond. Glaub mir, er wird dich nicht im Stich lassen und er wird schon Wege finden, dir zu helfen!“

„Ist gut. Dann mach’s gut bis dahin, Frederica.“ Damit gab er ihr noch einen Abschiedskuss und verließ das Zimmer. Sie lächelte nicht, nicht ein einziger Muskel bewegte sich und würde sie nicht zwischendurch blinzeln, könnte man meinen, sie sei bereits tot. Und doch steckte noch so viel Leben in ihr. Auch wenn sie wegen diesen unzähligen Maschinen litt und hier gefangen war, so hatte sie immer ein offenes Ohr für ihn und hatte ihm in all den Jahren beigestanden. Sie war wirklich eine gute Freundin für ihn…
 

Als er sich in sein Zimmer begeben und sich aufs Bett gelegt hatte, fielen ihm kurz darauf auch schon die Augen zu und er merkte erst jetzt, wie müde und erschöpft er eigentlich war. Und immer noch tat ihm alles weh. Aber… gleichzeitig fühlte er sich trotzdem besser nach dem Gespräch mit Frederica. Ja, er würde morgen wieder in die Bar gehen und sich mit Beyond treffen. Und dann würde alles wieder gut werden, da war er sich sicher.

Ein gebrochenes Herz

Beyond war mit gemischten Gefühlen in die Bar gegangen und fragte sich, ob er wirklich das Richtige tat. Zwar hatte L ihm gesagt, er würde ihm vertrauen, aber es war für ihn trotzdem quälend zu wissen, dass Beyond sich mit seiner ersten großen Liebe traf. Und natürlich hatte der Serienmörder ein schlechtes Gewissen ihm gegenüber, aber er machte sich auch Sorgen um Andrew. Er hatte gestern so unglücklich und traurig gewirkt, dass ihn einfach nicht das Gefühl los ließ, als wäre da etwas, was seinen alten Freund beschäftigte. Als er die Bar betrat, war es noch recht früh und dementsprechend noch nicht viel los. Trotzdem saßen bereits die üblichen Paare turtelnd auf ihren Stammplätzen. Na wenigstens war Colin nicht da. Wahrscheinlich traute der sich erst mal nicht mehr hierher, nachdem er befürchten musste, dass „Mama Ruby“ von seinem Ausrutscher erfahren hatte. Denn bei solchen Sachen verstand sie keinen Spaß, insbesondere als sie erfahren hatte, was Beyond zugestoßen war, als er an Clear und Sam geraten war. Auch wenn sie für gewöhnlich ein sehr geselliger und friedlicher Mensch und die wohl beliebteste Person in der Bar war, so wusste wirklich jeder, dass es gefährlich war, sich mit ihr anzulegen. Denn für sie gab es drei Regeln, die sie aufgestellt hatte und die man besser befolgen sollte: 1. Jamie war absolut tabu, 2. keiner fasste ihre Freunde oder Leute unerlaubt an, die unter ihrem Schutz standen. Und 3. waren Kinder allgemein tabu und das galt für alle. Und wer es wagte, gegen diese drei Regeln zu verstoßen, der konnte sein blaues Wunder erleben. Denn in der Hinsicht verstand Rumiko überhaupt keinen Spaß und machte auch keine Kompromisse. Er grüßte den Kellner Toby und bestellte sogleich eine Cola, allerdings merkte er, dass dieser ein wenig verstimmt war und so fragte er „Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen? Hattest du etwa schlechten Sex?“ „Sehr witzig“, gab Toby zurück und seufzte theatralisch. „Dir rennen die süßen Männer ja sowieso schon alle hinterher und dann triffst du dich ausgerechnet mit Andy. Dabei habe ich schon letztens eine Abfuhr von ihm bekommen.“

„Jetzt sag bloß nicht, er ist derjenige, in den du unglücklich verliebt bist!“

„Natürlich ist er das. Manchmal ist es mir echt ein Rätsel, wie du nur so viele Verehrer haben kannst.“ Diese Frage stellte sich Beyond auch oft genug, war aber bis jetzt noch nicht so wirklich auf eine Antwort gekommen. Vielleicht vermutete man bei ihm, dass er der Typ war, der eine raue Schale, aber einen weichen Kern hatte. Oder die warmen Brüder standen nun mal auf Kerle, die absolut unausstehlich waren. Er hatte schon längst aufgehört, sich diese Frage zu stellen. Die Männer waren ihm in der Hinsicht manchmal genauso ein Rätsel wie die Frauen. „Wir sind nur gute Freunde“, erklärte Beyond schließlich, da er merkte, dass Toby wohl ziemlich eifersüchtig war. „Damals im Waisenhaus waren wir sehr eng befreundet und ich gebe zu, dass ich damals Gefühle für ihn hatte. Aber inzwischen habe ich ja schon jemand anderen und ich will mit Andy einfach nur unsere Freundschaft wieder aufleben lassen.“ „Na wenn du meinst, Hase.“ Manchmal, wenn Toby so wehleidig drauf war, dann nannte er Beyond gerne mal „Hase“, aber das störte den Serienmörder nicht sonderlich. Die meisten aus der Bar sprachen sich so an, deshalb hatte es auch keine große Bedeutung. Rumiko wurde von allen ja auch immer „Herzchen“ oder „Mama Ruby“ oder auch kurz „Mama“ genannt. Und auch Jamie war keine Ausnahme. „Kopf hoch, Toby. Du findest schon irgendwann den Richtigen. Wieso versuchst du es denn nicht mal mit diesem Jacob Hillary? Rumiko meinte letztens, dass er wohl mal ein Auge auf dich geworfen hätte.“

„Echt?“ rief der Kellner überrascht und sah Beyond mit großen Augen an. Dieser versicherte ihm, dass Rumiko das wirklich gesagt hatte und das war zumindest ein Lichtblick für den armen Toby, der immer nur Pech mit den Männern hatte, während sein Zwillingsbruder sogar schon verheiratet war. Nachdem er wieder alleine war, setzte sich Beyond auf seinen Platz und wartete. Er hatte Andrew eine SMS geschrieben, dass er um halb sechs Uhr in der Bar warten würde, aber so wie es aussah, schien sich sein alter Freund etwas zu verspäten. Ob irgendetwas dazwischengekommen war? Hoffentlich hatte er keine Riesendummheit begangen. Ach was, die Leute im Institut würden sich sicherlich gut um ihn kümmern und dafür sorgen, dass er nicht schon wieder versuchte, sich umzubringen. Oder hatte er vielleicht Probleme mit diesem Mikrochip in seinem Kopf und konnte deshalb nicht kommen? Beyond war schon gerade dabei, sein Handy zu nehmen und Andrew anzurufen, da wurde die Tür geöffnet und er sah ihn auch schon hereinkommen. Er wirkte ein wenig abgehetzt und war außer Atem. Nachdem er sich kurz umgesehen hatte, sah er Beyond auch schon am Tisch sitzen und ging zu ihm hin. „Entschuldige, dass ich zu spät bin, aber die Besprechung mit Dr. Brown hatte leider etwas länger gedauert.“

„Schon in Ordnung, so lange warte ich ja auch noch nicht. Du hättest dich jetzt auch nicht so abhetzen müssen.“ Beyond entging nicht, dass da etwas nicht mit Andrew stimmte. Nicht nur, dass er im Gesicht verletzt war, er schien auch körperlich Schmerzen zu haben, allerdings versuchte er, sich nichts anmerken zu lassen. Was war mit ihm passiert? Ob er Ärger gehabt hatte? Andrew bestellte sich ein alkoholfreies Bier und zog erst einmal seine Jacke aus. „Alles in Ordnung mit dir?“ fragte Beyond, als er sah, dass Andrew sich kurz auf die Unterlippe biss, da er wohl Schmerzen hatte. „Irgendwie siehst du aus, als hättest du dich geprügelt.“ Für einen Moment, aber auch nur für den Bruchteil einer Sekunde zuckte der Rothaarige zusammen und sah wirklich wie geprügelt aus, aber dann gewann er seine Fassung wieder und lächelte wie sonst immer. „Ich hatte einen kleinen Streit mit Dr. Brown gehabt, das ist alles. Ich hab mich nicht an seine Anweisungen gehalten und das Projekt in Gefahr gebracht und dabei ist er eben etwas wütend geworden. Aber das ist schon in Ordnung.“ Doch Beyond sah ihn mit einem prüfenden Blick an. Es war ein ähnlicher Blick, wie auch L ihn hatte, wenn er seinen Verdächtigen gegenüber saß. Und er merkte sofort, dass es seinem alten Freund unangenehm war. „Es ist wirklich nichts“, betonte Andrew und nahm ein Schluck Bier. „Du machst dir echt zu viele Sorgen, okay?“

„Aber du sagst mir Bescheid, wenn irgendetwas ist. Versprichst du mir das?“ Andrew versprach es, aber Beyond ahnte, dass sein alter Freund es nur tat, um ihn ruhig zu stellen. Irgendetwas verschwieg der doch, das wusste er sofort. Er verschwieg doch immer alles, genauso wie damals. „Sag mal Beyond, wie geht es dir denn eigentlich? Das war ja gestern schon ziemlich viel auf einmal gewesen, oder? Immerhin sehen wir uns nach zehn Jahren wieder und das muss ja schon ein echter Schock für dich gewesen sein.“ Beyond schwieg einen Moment, denn es stimmte ja. Dass Andrew plötzlich wieder da war, war natürlich ein Schock für ihn gewesen, aber das konnte er ihm schlecht sagen. „Ich gebe zu, ich hab erst mal wirklich an meinen Verstand gezweifelt, aber ich freue mich natürlich, dass du wieder lebst, Andy. Und natürlich musste ich das alles erst einmal verdauen, aber ich bin wirklich froh, dass du wieder da bist.“ Die Erleichterung war seinem alten Freund deutlich anzusehen und natürlich freute sich Andrew, so etwas von Beyond zu hören. „Das freut mich zu hören. Du hör mal, wollen wir nachher noch einen kleinen Spaziergang an der frischen Luft machen? Ich wollte gerne mal das weite Meer sehen.“

„Streng genommen ist es ja der Ozean, aber klar! Kein Problem.“ Beyond wusste, dass sein alter Freund schon immer mal ans Meer wollte. Es war ein heimlicher Traum von ihm gewesen und wenn es ihn ein wenig aufmunterte, dann konnten sie ruhig einen kleinen Abstecher machen. Nachdem sie ihre Getränke bezahlt hatten, machten sie sich auf den Weg zur Bushaltestelle. Während sie warteten, schwelgten sie in alten Erinnerungen und erzählten witzige Anekdoten von früher. Und zudem konnte Beyond noch eine recht neue Geschichte erzählen, nämlich die Beinahekatastrophe, die sich kurz vor Rumikos Trauung zugetragen hatte. „Jamie hatte schon als Kind heftig gestottert, konnte das Problem aber in den Griff bekommen. Allerdings war er an diesem einen Tag so durch den Wind gewesen, dass er kaum ein Wort hervorbrachte. Ich hab ihm schließlich eine von meinen Beruhigungstabletten gegeben, damit er etwas ruhiger wird. Das Ergebnis war allerdings, dass er komplett aus den Latschen gekippt ist und nicht mal mehr vernünftig stehen konnte.“ Andrew lachte, als er das hörte und wollte natürlich sofort wissen, was dann passiert war. Auch Beyond hatte seinen Spaß an der Geschichte und erzählte „Nun, Terry hatte dann den Einfall, ihm Aufputschmittel zu geben, um den Beruhigungsmitteln entgegenzuwirken. Im Endeffekt war er wieder halbwegs auf den Beinen gewesen, allerdings hat man ihm schon angesehen, dass er ein wenig high war. Und dann rief noch Rumiko vom Friseur aus an, um zu schauen, ob auch alles in Ordnung war. Nun, sie hat natürlich gemerkt, dass Jamie auf Drogen war und hat uns ordentlich zusammengefaltet. Sie sagte wortwörtlich „Habt ihr Flitzpiepen den Schuss nicht gehört? Ich heirate gleich und ihr habt nichts Besseres zu tun, als meinen Verlobten zuzudröhnen? Ich schwöre euch, wenn wegen euch Spaßvögeln die Hochzeit ins Wasser fällt, dann ramm ich euch die Sonntagszeitung da rein, wo keine Sonne scheint und das so tief, dass ihr zwei Wochen lang nur Buchstaben scheißen könnt!“ Die war auf 180 und hätte uns am liebsten erwürgt. Aber letzten Endes ist alles noch gut ausgegangen und Jamie hat sogar seinen Treueschwur hinbekommen, ohne auch nur ein Mal zu stottern.“ Sie lachten beide und Beyond erzählte noch mehr witzige Geschichten, die ihm mit Rumiko passiert waren. So auch, als sie im Klassenzimmer während des Unterrichts einen Heulkrampf bekommen hatte wegen ihrer Schwangerschaftshormone. Und auch als der Bus kam und sie zwei Plätze gefunden hatten, hörte Beyond nicht auf zu erzählen. Es war eine wunderbar ausgelassene Stimmung und alle Sorgen und Probleme waren vergessen. Sie waren genauso wie damals unzertrennliche Freunde, die sich jeden Blödsinn erzählen konnten. Und er sah auch, dass dieser unglückliche Ausdruck in Andrews Augen verschwunden war. Das war wenigstens ein Trost für ihn und es war ihm auch wichtig, dass sein bester Freund endlich aus seiner Depression herauskam und sich besser fühlte. Was der jetzt brauchte, waren einfach mal ein paar schöne und unbeschwerte Momente im Leben, damit er nach dieser jahrelangen Isolation endlich wieder aus seinem Tief herauskam. Schließlich, nach einer knapp halbstündigen Busfahrt hatten sie den Hafen erreicht und inzwischen war es auch dunkel geworden. Es war an diesem Abend etwas milder als sonst und die Lichter der Häuser, der Schiffe und der Laternen spiegelten sich im Wasser wieder. Eine traumhafte Atmosphäre und Andrew schien sich sichtlich wohl zu fühlen. Sie gingen nebeneinander her und es war etwas ruhiger geworden. Beyond, der nach dem gestrigen Schock wieder einigermaßen Ordnung in sein Gefühlschaos bringen konnte, war dennoch etwas unruhig. Denn obwohl da diese so entspannte Atmosphäre zwischen ihm und Andrew herrschte, gab es etwas, das er nicht vergessen durfte. Er musste Klarheit schaffen, wie es mit seinen Gefühlen aussah und ob er wirklich endgültig mit Andrew hatte abschließen können, oder ob er ihn nach all der Zeit doch noch liebte. Und er musste wissen, ob sein bester Freund nach zehn Jahren immer noch in L verliebt war. Früher oder später musste er die Wahrheit sagen, auch wenn es unangenehm war, aber er hatte Angst. Nicht nur allein davor, wie sein bester Freund reagieren könnte, sondern auch davor, dass dieser wieder in seine Depressionen verfiel und erneut Selbstmord beging.

Schließlich, als sie eine Weile gelaufen waren, setzten sie sich auf eine Bank und betrachteten das offene Meer und den sternenklaren Himmel. „Wirklich traumhaft“, murmelte Andrew und seufzte, während sein Lächeln etwas Verträumtes angenommen hatte. „Die ganze Zeit hatte ich mir gewünscht, das Meer zu sehen und jetzt… Dafür hat sich das Warten auf jeden Fall gelohnt, findest du nicht?“

„Zugegeben, es ist schon schön. Aber in der Nacht sieht man ja nicht gerade viel.“

„Ach was, die Nacht macht es doch gerade erst so romantisch. Und ich habe dann das Gefühl, als würde alles Negative ausgeblendet werden und es treiben sich auch nicht so viele Leute herum.“

„Ja, außer die Triebtäter und andere Kriminelle.“

„War ja klar, dass das wieder von dir kommt, Beyond. Du hast echt keinen Sinn für Romantik.“

„Warum denn auch? Ich hab nun mal nicht den Sinn für so etwas so wie du. Du hast mich schon damals mit deiner Poesie eingeschläfert.“ Und als wäre das eine Aufforderung gewesen, sprang Andrew von seinem Sitz auf und stellte sich direkt vor Beyond hin. Er räusperte sich, richtete seinen Schal und holte fast schon dramatisch tief Luft und man sah ihm an, dass er gleich wieder irgendetwas zitieren würde. Und tatsächlich trug er sogleich überzeugend und dennoch theatralisch dramatisch wie schon damals vor:
 

„Geh auf, du holde Sonn'! Ertöte Lunen,

Die neidisch ist und schon vor Grame bleich,

Dass du viel schöner bist, obwohl ihr dienend.

Oh, da sie neidisch ist, so dien' ihr nicht!

Nur Toren gehn in ihrer blassen, kranken

Vestalentracht einher: wirf du sie ab!

Sie ist es, meine Göttin! meine Liebe!

O wüsste sie, dass sie es ist! –

Sie spricht, doch sagt sie nichts: was schadet das?

Ihr Auge red't, ich will ihm Antwort geben. –

Ich bin zu kühn, es redet nicht zu mir.

Ein Paar der schönsten Stern' am ganzen Himmel

Wird ausgesandt, und bittet Juliens Augen,

In ihren Kreisen unterdes zu funkeln.

Doch wären ihre Augen dort, die Sterne

In ihrem Antlitz? Würde nicht der Glanz

Von ihren Wangen jene so beschämen,

Wie Sonnenlicht die Lampe? Würd' ihr Aug'

Aus luft'gen Höh'n sich nicht so hell ergießen,

Dass Vögel sängen, froh den Tag zu grüßen?

Oh, wie sie auf die Hand die Wange lehnt!

Wär' ich der Handschuh doch auf dieser Hand,

Und küsste diese Wange!“
 

„War ja klar, dass du mal wieder mit Romeo und Julia ankommst. Du Poet hättest besser Schauspieler werden sollen. Talent hast du jedenfalls dazu.“ Andrew verbeugte sich tief und hatte sichtlich Spaß dabei. Er strahlte übers ganze Gesicht und erklärte „Schauspieler würde ich jetzt nicht werden. Aber ich liebe einfach diese Ästhetik. Aber während ich für Shakespeare geschwärmt habe, da hast du ja nur den „Faust“ im Kopf gehabt.“ Damit setzte er sich wieder zu Beyond und sah wirklich sehr glücklich in diesem Moment aus. So hatte der Serienmörder seinen besten Freund nur selten gesehen und als dieser auch noch seine Hand ergriff, da spürte er, wie sein Herz schneller schlug. Ihre Blicke trafen sich und für einen Moment schien die Zeit still zu stehen. Und dann, ehe sich Beyond versah, beugte sich Andrew zu ihm herüber und küsste ihn. Für einen Augenblick war der Serienmörder wie erstarrt und wusste nicht, was da gerade mit ihm geschah. Es war nicht so, dass es ihm unangenehm war so wie bei Clear, aber er wusste trotzdem, dass es falsch war. Und deshalb wollte er es auch nicht und so drückte er Andrew entschieden von sich. „Was… was machst du da?“ rief er fassungslos und stand auf und spürte erst jetzt, wie verletzt er eigentlich war. Er hatte gehofft, dass er und Andrew wieder Freunde sein könnten und jetzt so was. „Verdammt noch mal Andy, warum machst du schon wieder den gleichen Fehler wie damals? Ich will nicht mehr dein Ersatz für L sein, versteh das endlich. Damals haben wir beide eine Riesendummheit begangen und uns mit dieser Scheißidee nur gegenseitig unglücklich gemacht. Und ich dachte, wir hätten das geklärt!“ Andrew sah genauso verletzt aus wie Beyond und schaute ihn ebenso fassungslos an wegen dieser heftigen Reaktion. Er sah so unendlich traurig in diesem Moment aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen. „Nein Beyond, es… es ist nicht so wie du denkst“, versuchte er zu erklären und stand nun ebenfalls auf, dann ergriff er seine Hand. „Ich habe damals einen schrecklichen Fehler begangen, das weiß ich selbst. Aber ich habe endlich verstanden, wen ich wirklich liebe. Nämlich dich! Ich habe mich irgendwann in dich verliebt, aber als mir klar wurde, dass ich alles nur kaputt gemacht habe mit meinem Verhalten, da… da bin ich eben vom Dach gesprungen, weil ich mir solche Vorwürfe gemacht habe. Aber als Dr. Brown mich mit dem Gedankenschaltkreis zurückgeholt hat, da dachte ich, dass dies womöglich eine zweite Chance sein könnte und wir beide noch mal von vorne beginnen können.“

„Komm doch zur Vernunft, Andy“, rief Beyond und riss sich von ihm los. „Du liebst mich doch gar nicht, sondern L. Du siehst in mir doch nur L und damit machst du schon wieder den gleichen Fehler.“

„Warum reagierst du so heftig?“ fragte Andrew mit Erschütterung in der Stimme und er verstand nicht, warum der BB-Mörder so abweisend reagierte. Er war vollkommen verunsichert und sank schon fast zusammen. Beyond konnte es ihm nicht länger verschweigen und so erklärte er „Ich bin in einer festen Beziehung, Andy. Es gibt da bereits jemanden, den ich liebe und ich will ihn nicht einfach so aufgeben, versteh das doch. Ich bin gerne für dich als Freund da, aber mit uns beiden kann einfach nichts werden. Es ist zu viel zwischen uns beiden passiert und in zehn Jahren ändern sich manche Gefühle eben. Entschuldige Andy, es tut mir wirklich leid, aber ich kann das nicht tun.“ Andrew, der das wohl erst einmal verdauen musste, setzte sich wieder auf die Bank und ließ den Kopf sinken. Er wirkte so furchtbar unglücklich und verletzt, dass es einem schon das Herz gebrochen hätte, ihn nur zu sehen. Zwar versuchte er wie so oft, sich nichts anmerken zu lassen und einfach zu lächeln, doch er schaffte es einfach nicht. Stattdessen wirkten seine Augen vollkommen leer und Tränen flossen seine blassen Wangen hinunter. Er war vollkommen am Boden zerstört. „Du… du liebst bereits jemand anderen?“

„Es tut mir Leid.“ Beyond setzte sich zu ihm und wollte zuerst einen Arm um seine Schultern legen, sah dann aber davon ab, weil es sonst alles nur noch schlimmer gemacht hätte. „Du warst tot und… ich war ganz alleine. Aber dann habe ich jemanden getroffen und er konnte mich so lieben wie ich war und er hat mir beigestanden. Es ist nicht so, dass du mir vollkommen egal geworden bist, Andy. Ich sorge mich immer noch um dich und ich will auch für dich da sein, egal was es auch ist. Du bist mein bester Freund und du warst es, der Ryuzaki erschaffen hat, damit ich nicht immer Angst vor meiner anderen Seite haben musste. Du hast mir beigestanden, als es mir damals schlecht ging und du hast mich als einziger Mensch wirklich verstanden. Deshalb möchte ich für dich da sein und dir helfen, wenn du irgendetwas hast. Aber… ich möchte es als dein bester Freund tun.“ „Und… wer ist es?“ fragte Andrew und sah Beyond an. Diesem schnürte es die Brust zusammen, als er sah, wie unendlich traurig und hoffnungslos er war. Als wäre jeglicher Lebenswille aus seinem Körper gewichen. Er konnte ihm die Wahrheit nicht sagen. Schlimm genug, dass er Andrew wieder mal so wehtun musste, da konnte er ihm diese grausame Wahrheit nicht antun. „Du kennst ihn nicht“, log er und senkte den Blick. „Ich habe ihn kurz vor meinem Abgang aus dem Waisenhaus getroffen, ihn aber erst vor knapp vier oder fünf Monaten wiedergetroffen und dann sind wir uns näher gekommen.“ „Verstehe“, murmelte Andrew tonlos und atmete tief durch. Er sammelte sich und dann fand er die Kraft wieder zum Lächeln. Und dieses Lächeln schmerzte Beyond fast noch mehr, als wenn sein alter Freund unglücklich aussah. „Es ist schön zu hören, dass du jemanden gefunden hast, mit dem du glücklich bist, Beyond. Du hast Recht, das mit uns beiden hätte so oder so keinen Sinn gehabt, es ist einfach zu viel passiert. Entschuldige bitte den Ausrutscher. Ich wollte deine Gefühle nicht verletzen.“ „Andy…“

„Nein, nein! Schon gut. Ich… ich habe nicht das Recht, so etwas von dir zu verlangen und ich will dich auch nicht quälen, oder deine Beziehung gefährden. Ich freue mich wirklich, dass du endlich dein Glück gefunden hast, nachdem ich dir immer nur wehgetan habe.“ Damit stand Andrew auf und wandte sich zum Gehen. Beyond fühlte sich furchtbar und kam sich so mies vor, dass er ihm so vor den Kopf gestoßen hatte. Aber er hatte es ihm einfach sagen müssen. Er musste ganz klar zu L stehen und Position beziehen, so wie Rumiko ihm gesagt hatte. Nur so konnte ihre Beziehung standhalten. Und egal wie er sich auch entschieden hätte, es hätte in jedem Falle jemandem das Herz gebrochen. Natürlich fühlte er sich schrecklich, dass es ausgerechnet Andrew sein musste, der sowieso schon so viel durchgemacht hatte. Aber es war falsch, ihm aus Mitleid falsche Hoffnung zu machen. Das würde ihm letzten Endes nur noch mehr wehtun.

„Du hör mal Beyond, ich geh am besten ins Institut zurück. Die warten sicher schon auf mich. Aber… wir treffen uns ein anderes mal wieder, okay?“ Doch als er gehen wollte, da hielt Beyond ihn am Arm zurück. „Andrew…“ Er klang besorgt und man sah die Angst in seinen Augen. Es war derselbe Blick, wie er ihn vor zehn Jahren hatte, als er mit ansehen musste, wie sein bester Freund in den Tod sprang. Und genauso wie damals nannte er ihn nicht mehr bei seinem Spitznamen, sondern bei seinem richtigen Namen. „Ich lass dich so nicht gehen. Lass mich dich wenigstens zum Institut begleiten.“

„Wozu denn? Etwa weil du denkst, ich würde mich umbringen?“

„Ich hab schon ein Mal meinen besten Freund verloren, ich will das nicht noch mal!“ Andrew senkte den Blick, als er bemerkte, dass auch Beyond unglücklich mit dieser Situation war. Am liebsten hätte er ihn weggeschickt und betont, dass alles in Ordnung war. Aber er konnte ihm nichts vormachen. Nicht mehr. Und er wusste, dass Beyond sich nicht von seinem Vorhaben abbringen lassen würde. Andrew seufzte niedergeschlagen, dann sagte er nach einer Weile „Also gut. Wenn es dir so wichtig ist, dann kannst du mich begleiten.“ Da kein Bus direkt dorthin führte, fuhren sie mit dem Taxi. Das Institut lag etwas abgeschieden und war deshalb etwas schwierig zu finden, man konnte es aber dennoch gut erreichen. Es sah aus wie ein ganz normales Institut, aber irgendwie hatte Beyond kein sonderlich gutes Gefühl dabei. Auch als sie aus dem Taxi ausstiegen und zum Eingang gingen, verstärkte sich dieses Gefühl nur noch. Schließlich öffnete sich die Tür und ein ca. 35-jähriger Mann von knapp 1,88m Größe, der nicht gerade sympathisch auf den BB-Mörder wirkte, trat ihnen entgegen. Dank seines Shinigami-Augenlichts sah er sofort, dass der Mann James Brown hieß. Das war also der Leiter des Instituts? Dem würde Beyond noch nicht einmal seine Socken anvertrauen, so viel stand fest. „Wer ist das?“ fragte der Mann in einem nicht gerade freundlichen Ton und verschränkte die Arme. Andrew ging zu ihm hin und hielt den Blick gesenkt. Allein von der Körpersprache ließ sich erahnen, dass dieser Kerl ihn nicht wirklich gut behandelte und sämtliche Alarmglocken begannen bei Beyond zu klingeln. „Mein alter Freund, von dem ich dir erzählt habe. Beyond, das ist Dr. Brown. Er leitet das Institut und hat mir den Gedankenschaltkreis eingesetzt und mich bei meiner Reha unterstützt.“ Es folgte nicht einmal ein Händedruck. Beide Parteien wussten sofort, dass sie einander überhaupt nicht ausstehen konnten, auch wenn das verschiedene Gründe hatte. „Sehr freundlich, dass Sie Andrew hergebracht haben. Einen schönen Tag wünsche ich Ihnen noch.“ Und damit verschwand Dr. Brown mit Andrew ins Innere des Gebäudes und Beyond blieb noch eine Weile stehen. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht mit diesem Dr. Brown. Es war mehr als offensichtlich, dass der Kerl etwas im Schilde führte und mit Sicherheit hatte er Andrew auch geschlagen und ihm wahrscheinlich noch Schlimmeres angetan. Ich muss sofort zurück und mit L sprechen. Vielleicht kann er etwas über diesen Dr. Brown herausfinden. Ich muss Andrew schnellstmöglich von diesem Kerl wegholen.

Verzweiflung

Andrew ließ sich von Dr. Brown in sein Zimmer führen und sagte nichts. Es war ihm egal, was gleich folgen würde. Ihm war es gleich, ob er sich als Strafe für seinen erneuten Ausbruch erneut Prügel einfing oder nicht. Er hatte eh nichts Besseres verdient. Mit Sicherheit würde er gleich wieder verprügelt werden, immerhin hatte er Dr. Brown hintergangen und sein Wort gebrochen. Aber stattdessen brachte dieser ihn zum Bett und legte seinen Arm um ihn. „Du siehst nicht gut aus, Andrew. Hat er dir irgendwie wehgetan? Sag schon, was hat er dir getan?“ Er ist gar nicht wütend, dabei habe ich ihn doch wieder so sehr enttäuscht. Er hätte allen Grund dazu, mich jetzt windelweich zu schlagen, so wie vorletzte Woche, als ich nicht einmal mehr die Kraft aufbringen konnte, aufzustehen und einen ganzen Tag lang in dem Zustand auf dem Boden lag, ohne dass mir jemand geholfen hätte. Warum nur schlägt er mich nicht, sondern ist auf einmal so nett und fürsorglich zu mir? Andrew konnte seine Tränen nicht zurückhalten und verbarg sein Gesicht in den Händen. „Ich bin so ein verdammter Idiot“, brachte er mit zitternder Stimme hervor. „Wirklich nichts kann ich richtig machen. Ich sollte ihm ein guter Freund sein und wieder mache ich mit meiner Selbstsucht nur alles kaputt. So einer wie ich verdient es doch nicht, glücklich zu werden. Ich bin so erbärmlich…“

„Sag so etwas nicht“, erwiderte Dr. Brown und legte eine Hand auf seinem Oberschenkel. „Du brauchst so jemanden wie ihn doch gar nicht, wenn er dich nicht glücklich machen kann. Du hast mich und du brauchst niemanden sonst. Wenn du bei mir bleibst und mir gehorchst, kannst du mich nicht enttäuschen.“ Sanft wischte der Doktor für Humanbiologie und Neurologie ihm eine Träne aus dem Gesicht und sah ihm tief in die Augen. „Dass du zu mir zurückgekommen bist, war die richtige Entscheidung. Ich werde dafür sorgen, dass du diesen Beyond vergessen wirst und damit auch all den Kummer, den er dir zugefügt hat.“ Andrew sagte nichts, er blieb regungslos sitzen und wartete ab. Er reagierte auch nicht, als diese Hand über seine Wange streichelte und die andere näher zu seinem Schritt wanderte. Und als Dr. Brown ihn aufforderte, Jacke und Schal abzulegen, da gehorchte er stumm und wartete wieder. Er wehrte sich nicht, als er aufs Bett gedrückt wurde und sein Pullover hochgeschoben wurde. Seine leeren Augen ruhten auf Dr. Brown und hatten keinerlei Ausdruck mehr, geschweige denn überhaupt einen kleinen Glanz. „Du hast wirklich einen wunderschönen Körper. Eine Schande, dass dieser verlotterte Kerl dich so verschmäht. Er weiß gar nicht, was er an dir hat. Aber keine Sorge, ich bin für dich da und werde dir das geben, wonach sich dein süßer Körper sehnt.“ Immer noch sagte Andrew nichts, sondern wich diesem lüsternen Blick aus, der ihn jedes Mal wieder das bohrende Gefühl der Scham spüren ließ. Das hier sollte nicht passieren. Es war nicht richtig, dass er das hier mit sich machen ließ, das hatte Frederica ihm auch gesagt. Aber… was sollte er denn sonst tun? Er konnte doch nicht mehr zu Beyond zurück nach dem, was passiert war. Und Frederica konnte in ihrer derzeitigen Verfassung nichts ausrichten. Er hatte niemanden außer Dr. Brown, deshalb hatte er keine andere Wahl, als dies hier zuzulassen und es stillschweigend hinzunehmen.

Als er spürte, wie diese Hand über seine Brust strich, wusste er nicht, ob er in Selbstmitleid, Scham oder Selbsthass versinken sollte. Schließlich wurde sein Gürtel geöffnet und danach seine Hose ausgezogen. Dr. Browns Hand schob sich langsam in die Unterhose und Andrew biss sich auf die Unterlippe, sagte aber nichts. Trotzdem war ihm anzusehen, dass er am liebsten etwas gesagt hätte, besonders als diese Hand seine Weichteile umschloss. „Was ziehst du denn für ein Gesicht?“ „Tu ich doch gar nicht. Ich… ich bin nur ein wenig abgelenkt.“

„Nun, dann will ich mal dafür sorgen, dass du nicht mehr die Möglichkeit haben wirst, an diesen verwahrlosten Herumtreiber zu denken.“ Als Andrew das hörte, überkam ihn die Angst und er wollte sich schon aufsetzen, da wurde er auch schon gewaltsam auf den Bauch gedreht und dann wurden seine Hände auch schon mit dem Gürtel auf seinen Rücken zusammengebunden. Und gleich darauf wurde ihm auch schon die Unterhose ganz ausgezogen. Seine Angst wurde fast zur Panik und instinktiv wollte er sich wehren, doch da wurde auch schon sein Kopf gewaltsam aufs Bett gedrückt. „Nein… bitte James, das tut weh!“ Doch bevor er mehr protestieren konnte, wurde ihm auch schon ein Knebel in den Mund geschoben. „Du bist selbst schuld, Andrew. Dieses wehleidige Gesicht kann ich einfach nicht ausstehen und das weißt du auch. Du bist ein erwachsener Mann und flennst herum wie ein kleiner Junge. Und ich entsinne mich außerdem, dass du dein Wort gebrochen hast. Du wolltest doch für immer bei mir bleiben, oder habe ich das falsch in Erinnerung?“ Andrew versuchte etwas zu sagen, doch wegen diesem verdammten Knebel brachte er nicht ein Wort hervor. Zwar war es schon oft vorgekommen, dass er gefesselt, geknebelt und auch dabei misshandelt und dabei geschlagen oder mit dem Gürtel verdroschen wurde, aber da er sowieso schon so aufgewühlt war, gingen seine Gefühle mit ihm durch und er hatte nur noch Angst. Ihm tat sowieso noch alles weh von gestern, weil Dr. Brown wieder mal zu grob gewesen war und ihn noch nicht mal vorbereitet hatte, als er in ihn eingedrungen war. „Zeit für eine kleine Lehrstunde, dass man nicht einfach so seine Versprechen bricht. Und ich denke, ich habe auch schon das richtige Werkzeug für deine Bestrafung.“ Da er immer noch Andrews Kopf nach unten gedrückt hielt, konnte dieser nicht sehen, was Dr. Brown wieder mit ihm vorhatte, doch es war sicherlich nichts Gutes. Zuerst geschah rein gar nichts, aber dann ertönte ein leises, elektrisches Surren und eine gewisse Vorahnung kam ihm, als er es hörte. Seine Augen füllten sich mit Tränen und er versuchte sich irgendwie dagegen zu wehren. Doch der Gürtel war viel zu stramm um seine Handgelenke geschnürt und gegen die Kraft dieses Mannes kam er sowieso nicht an. „Glaub mir mein Junge, das hier wird mir genauso wenig gefallen wie dir, aber Strafe muss sein, findest du nicht auch?“ Nein, bitte James! Bitte mach das nicht. Ich verspreche auch, nie wieder unerlaubt das Institut zu verlassen, aber tu mir das nicht an! Andrew schrie durch den Knebel und seine Tränen wurden zu Sturzbächen, doch es half alles nichts. Er spürte, wie der Vibrator gewaltsam in ihn eindrang und sein Innerstes auseinanderriss. Ein irrsinniger Schmerz durchfuhr seine untere Hälfte und er zitterte am ganzen Körper. Doch es sollte so schnell nicht vorbei sein, denn Dr. Brown schob den Vibrator noch tiefer hinein und nahm dabei wenig Rücksicht auf Andrew. Dieser litt Qualen und versuchte irgendwie seine Muskeln zu entspannen, damit es nicht allzu sehr schmerzte und es somit halbwegs erträglicher wurde, aber es brachte nichts. Der Schmerz entriss ihn jegliche Kontrolle und ließ seinen ganzen Körper verkrampfen. Sein Innerstes brannte wie Feuer und er schnappte nach Luft, doch irgendwie schien er durch diesen verdammten Stoffknebel kaum atmen zu können. Schließlich ließ Dr. Brown ihn los und erhob sich wieder. Andrew sah ihn mit verweinten Augen flehend an, doch er sah, wie dieser nur seinen Gürtel auszog und das eine Ende um seine Hand wickelte. „Glaub mir, ich mach das nicht gerne, aber du lässt mir keine Wahl. Ungehorsam muss bestraft werden und ich habe dir doch klar und deutlich verboten, diesen Menschen zu treffen.“ Nein, bitte James! Ich werde es nie wieder tun, aber bitte nimm endlich dieses Ding raus. Es tut weh! Ich halte das nicht aus! Doch dieser kalte und harte Blick verriet, dass alles Flehen keinen Sinn haben würde. Er würde um seine Bestrafung nicht drum herum kommen. Die Schnalle des Gürtels sauste auf ihn herab und traf ihn zwischen den Schulterblättern. Andrews Körper verkrampfte sich und er zuckte zusammen, was es noch schlimmer machte, da insbesondere der Schmerz in seiner unteren Körperhälfte nur noch stärker wurde. Wieder schlug der 35-jährige zu und die Gürtelschnalle klatschte etwas weiter unten auf seine Haut und hinterließ eine hässliche rote Stelle. Immer und immer wieder schlug er mit aller Kraft zu und traf auch einige blaue Flecken, die er Andrew gestern oder auch Tage zuvor bereits zugefügt hatte. Unerbittlich schlug er zu und ihm war anzusehen, dass er seinen Spaß daran hatte, sein Opfer leiden zu sehen. Schon damals, als er diesen so sensiblen und zerbrechlichen Jungen mit dem hoffnungslosen Lächeln gesehen hatte, da hatte er das Bedürfnis verspürt, ihn zu quälen, ihn zu unterdrücken und ihn leiden zu sehen. Andrew war doch selber schuld, dass ihm all das hier widerfuhr. Er mit seinem traurigen und wehleidigen Blick und seinem Selbsthass schrie doch förmlich danach und legte es regelrecht darauf an, gequält zu werden. Er war einfach das perfekte Opfer, also brauchte er sich nicht zu wundern, warum ihm das hier passierte. Diesem armseligen Häufchen Elend stand es ja quasi auf der Stirn geschrieben, dass man ihm so was antun sollte, also brauchte sich James Brown auch keine Vorwürfe zu machen. Andrew war selbst schuld an der Situation und das sollte er auch zu spüren bekommen. Er wollte ihn vollständig brechen und diesen schönen blassen Körper noch weiter verunstalten. James Brown war ein sadistisches manipulierendes Monster und er nutzte eben die Tatsache aus, dass Andrew auf ihn angewiesen war. Er war der Einzige, der in der Lage war, die komplizierte Konstruktion des elektrischen Gedankenschaltkreises zu verstehen und die Wartungen durchzuführen. Andrew hatte keine andere Wahl, als bei ihm zu bleiben und das konnte er eben nutzen, um ihn nach Herzenslust zu quälen und seinen Spaß mit ihm zu haben. Der Junge konnte ruhig immer wieder abhauen. Er machte sich nicht einmal die Mühe, ihn einzusperren. Früher oder später kam Andrew doch sowieso wieder zurück und dann konnte er seine sadistischen Bestrafungsspiele an ihm durchführen.

Nachdem sein ganzer Rücken von geröteten Stellen gezeichnet war, wo die Gürtelschnalle ihn erwischt hatte, legte Dr. Brown den Gürtel weg und drehte sein Opfer nun auf den Rücken. Dabei öffnete er ihm die Beine und hob die Augenbrauen. „Anscheinend stehst du auf Schmerzen, wie ich sehe. Das scheint dich ja richtig zu erregen.“ Andrew zitterte am ganzen Körper und seine Augen waren von Tränen gerötet. Die Scham darüber, dass er erregt war, wirkte wie eine Droge auf Dr. Brown und er verspürte den Drang, ihn noch mehr zu erniedrigen und ihm noch mehr wehzutun. Er legte eine Hand um Andrews Penis und drückte zu. Dieser bäumte sich laut stöhnend auf und versuchte irgendwie sich mit seinen Beinen zur Wehr zu setzen, doch da kassierte er auch schon einen Schlag ins Gesicht. „Spreiz deine Beine, na los! Ich kann dir ja noch etwas viel Größeres da unten reinstecken, wenn du willst. Mal sehen, wie viel dein ausgeleierter Arsch noch aushält, bevor er endgültig aufreißt!“ Da Andrew wusste, dass James Brown seine Drohung ernst machen würde, wenn er nicht spurte, folgte er seinen Anweisungen und spreizte seine Beine, wobei er beschämt das Gesicht abwandte. „Wirklich ein hübscher Anblick. Zugegeben, als du jünger warst, sahst du noch viel süßer aus, aber nur weil du jetzt erwachsen geworden bist, heißt es nicht, dass ich das Interesse an dir verloren hätte. Ich könnte niemals genug von dir bekommen, Andrew.“ Langsam begann er seine Hand auf und ab zu bewegen und sah mit Genugtuung, dass sein Opfer kaum verbergen konnte, dass die Erregung damit wuchs. Du existierst einzig und allein für mich und ich habe die vollständige Kontrolle über dein Leben. Und das solltest du niemals vergessen, Andrew. Ein zufriedenes Lächeln spielte sich auf seine Lippen und seine Handbewegungen wurden schneller. Andrews ersticktes Schreien wurde zu einem leisen Stöhnen und man sah deutlich, dass sein Körper darauf reagierte. „Na? Gefällt dir das?“ fragte Dr. Brown und beugte sich zu ihm, um ihn besser in die Augen sehen zu können, doch der Gefesselte wich immer noch seinem Blick aus und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Doch das brachte ihm auch nichts. „Allem Anschein nach schon. Du genießt es richtig, oder?“ Andrew sah gequält aus und immer noch flossen Tränen. Natürlich hatte er Schmerzen und diese Demütigungen obendrein waren in seiner jetzigen Gefühlsverfassung unerträglich und er wäre am liebsten gestorben. Doch er konnte nichts tun, um sich dagegen zu wehren. Nicht solange seine Hände auf dem Rücken gefesselt waren. Damals, als seine Wirbelsäulenschäden noch nicht verheilt waren und Dr. Brown sich an ihm vergangen hatte, da hatte er wenigstens nichts gespürt, als es passierte. Da war es ja zum Glück noch nicht ganz so schlimm gewesen.

Die Handbewegungen wurden noch schneller und energischer und Andrew war anzusehen, dass er es gleich nicht mehr zurückhalten konnte. Sein Körper bäumte sich auf und er stöhnte laut durch den Knebel. Und als er dann seinen Orgasmus nicht verhindern konnte, begann er leise zu schluchzen. „Jetzt wein doch nicht gleich, Andrew. Du solltest froh sein, dass es überhaupt jemanden auf dieser Welt gibt, der dich so lieben kann wie ich. Ohne mich wärst du ganz alleine und hättest niemanden! Also hör auf damit, dich selbst immer nur zu bemitleiden. Da ich schon so nett war und dir die Art der Aufmerksamkeit gebe, die du dir so sehr von diesem Herumtreiber wünschst, dann könntest du mir auch ein wenig Dankbarkeit zeigen, findest du nicht auch?“ Damit nahm er den Knebel aus Andrews Mund und dieser wusste, was gleich kommen würde, doch er presste die Zähne zusammen und sah ihn flehend an. „Bitte James… ich… ich will nicht…“

Ein weiterer Schlag ins Gesicht folgte zur Strafe. „Du bist so undankbar, wo du mir doch so viel zu verdanken hast. Also jetzt mach den Mund auf, oder ich mache es kurz und schmerzvoll und renke dir den Kiefer aus!“ Und als Andrew seiner Anweisung Folge leistete, befreite Dr. Brown seinerseits sein bestes Stück aus seiner Hose und schob es dem Gefesselten in den Mund. Er hielt dabei mit solcher Kraft seinen Kopf fest, als wolle er ihn gleich zerquetschen. Andrews Hände verkrallten sich ins Bettlaken und er versuchte einen Würgreiz zu unterdrücken. „Du weißt, wenn ich deine Zähne spüre, dann ziehe ich sie dir nacheinander raus!“ Er packte ihn noch grober am Kopf und bewegte ihn mit solcher Gewalt, dass Andrew schon fast fürchtete, ihm würden gleich die Haare ausgerissen werden. Wenn er die Willenskraft aufgebracht hätte, dann hätte er definitiv zugebissen, doch er konnte es nicht. Seine Widerstandskraft war schon vor langer Zeit gewichen und er wusste, dass ihm nur noch Schlimmeres bevorstand, wenn er aufmuckte. Also ließ er es über sich ergehen und versuchte es irgendwie zu ertragen. „Streng dich mal ein bisschen mehr an, Andrew. Normalerweise legst du etwas mehr Engagement an den Tag.“ Warum machst du das mit mir? Bist du so sauer auf mich, dass du so grausam zu mir bist? Es tut mir leid, es tut mir so leid, dass ich dich wütend gemacht habe. Ich will es nie wieder tun und meine Fehler wiedergutmachen, aber bitte sei nicht so grausam zu mir. Bitte… „Na also… geht doch…“ Dr. Browns Atem wurde zu einem leisen Keuchen und dann, als er kam und sein bestes Stück aus Andrews Mund befreite, hielt er ihm Mund und Nase zu. „Und jetzt schön schlucken, ja?“ Andrew warf den Kopf umher und wollte sich irgendwie befreien und sich von diesem widerlichen bitteren Geschmack befreien, doch Dr. Brown hielt ihm unerbittlich Mund und Nase zu und ließ ihm keine andere Wahl. Und als Andrew alles geschluckt hatte, ließ er von ihm ab und sofort schnappte der 25-jährige nach Luft und hustete. „Na siehst du? War doch gar nicht so schwer. Und zur Belohnung gebe ich dir jetzt etwas viel Besseres als den Vibrator.“ Andrew, der immer noch nicht zu Atem gekommen war, lag keuchend auf dem Bett und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen und seinen Peiniger damit nicht noch mehr zu provozieren. Schließlich zog Dr. Brown den Vibrator heraus und legte ihn beiseite. „So, inzwischen müsste dein Arsch genug gedehnt sein. Dann lass mal schauen, wie es da unten aussieht.“ Damit winkelte er ihm die Beine an und musterte ihn gründlich. Andrew versuchte sich zusammenzureißen und seine Scham zu verbergen. Mit Mühe schaffte er es, halbwegs vernünftig zu sprechen, ohne dass seine Stimme zitterte. „James, bitte es tut mir leid. Ich werde dich nie wieder wütend machen, aber ich kann nicht mehr.“

„Strafe muss sein, das weißt du doch. Und jetzt hör auf, dich so anzustellen. Du hast doch inzwischen genug Übung darin.“ Damit drang er nun selbst in Andrew ein und hielt ihn dabei fest an den Hüften gepackt. Der 25-jährige sagte nichts, er brachte nicht einmal einen einzigen Ton hervor und biss die Zähne zusammen. Es tat immer noch irrsinnig weh und der brennende Schmerz, der für einen kurzen Moment gewichen war, kehrte nun mit aller Macht wieder zurück und er versuchte nicht daran zu denken, was da gerade passierte. „Du siehst schön hin!“ forderte Dr. Brown mit strengem und mahnendem Ton auf. Und obwohl es Andrew lieber nicht getan hätte, sah er hin und hätte am liebsten geschrieen. Zu sehen, dass Dr. Brown in ihn drin war, war für ihn in diesem Moment kaum zu ertragen. Er wollte schreien, sich seiner Verzweiflung entäußern und ihm sagen, dass er es nicht wollte, aber seine Angst vor der Strafe, die als Konsequenz folgen könnte, war größer. Unerbittlich drang der 35-jährige tiefer in ihn ein und Andrew spürte diese fremde Hitze und die Schmerzen, als sein Innerstes erneut auseinandergerissen wurde. Er sah in Dr. Browns Augen, die mal so liebevoll und sanft, aber dann auch wieder so unendlich kalt und grausam sein konnten. Schließlich, als er tief genug eingedrungen war, hielt Dr. Brown sein wehrloses Opfer fest und setzte sich in Bewegung. Andrews Hände verkrallten sich noch fester ins Bettlaken und Tränen ließen seine Sicht verschwimmen. Der Druck gegen seine inneren Wände war zu viel und es tat weh. Er biss sich auf die Unterlippe und hätte am liebsten weggeschaut, doch das ließ Dr. Brown nicht zu. „Ich hab dir doch gesagt, du sollst hinsehen. Sonst werde ich dir noch richtig wehtun müssen.“ Und so blieb Andrew keine andere Wahl. Wie hatte das alles nur so kommen können? Wie konnte es nur so kommen, dass ich hier so ende? Wäre ich doch besser tot geblieben, dann müsste ich das alles jetzt nicht durchmachen. Wirklich alles in meinem Leben ist ein einziges Desaster. Ich habe meinen besten Freund damals ausgenutzt und jetzt, wo ich endlich seine Gefühle erwidern kann, stößt er mich von sich und ich erfahre, dass es bereits einen anderen Menschen in seinem Leben gibt. Wen habe ich denn noch? Wo soll ich denn hin? Vielleicht ist das hier wirklich mein einziger Lebenszweck, zu dem ich noch existiere. Womöglich stimmt es ja wirklich und es ist mein Schicksal, bei Dr. Brown im Institut zu bleiben. Das alles hier passiert doch nur, weil ich seine Gefühle verletzt und ihn hintergangen habe. Er hat so viel für mich getan und mich ins Leben zurückgeholt und ich zwinge ihn mit meinem Verhalten zu diesen drastischen Maßnahmen. Es ist allein meine Schuld, dass das hier gerade mit mir passiert. Wenn ich ihn nicht hintergangen hätte, dann wäre er jetzt nicht so wütend auf mich. Andrews Kopf begann zu dröhnen, sein Sichtfeld verschwamm hinter Tränen und ihm wurde mit einem Male ganz benommen. Sein Kopf wurde bleischwer und jegliche Kraft wich aus seinem Körper. Selbst den entsetzlichen Schmerz nahm er kaum noch wahr und dann, als alles um ihn herum in eine weite Ferne zu rücken und hinter einem dichten Schleier zu verschwinden begann, da glaubte er, irgendwo eine Stimme zu hören.
 

„Andrew…"
 

Diese Stimme klang so vertraut und so angenehm warm und sanft. War das nicht Fredericas Stimme? Als seine Sicht komplett verschwamm, glaubte er tatsächlich, vor seinem geistigen Auge Frederica zu sehen. Sie wirkte schemenhaft und verschwommen, sodass sie ihm fast wie ein Geist oder wie ein Engel erschien.
 

Frederica… bist… bist du es wirklich?
 

„Komm her… ich werde dir helfen…“
 

Was hast du mit mir vor? Was passiert hier mit mir?
 

„Keine Angst. Ich werde dafür sorgen, dass du das hier nicht mehr miterleben musst. Das ist alles, was ich für dich tun kann. Komm einfach her…“
 

Sein Bewusstsein begann immer weiter zu schwinden und alles um ihn herum wurde dunkel. Sanft und unwiderstehlich zugleich zog Frederica ihn in die rettende Bewusstlosigkeit, die ihn von dieser Tortur erlöste und ihn in eine tiefe und erlösende Ohnmacht hüllte.

Rumikos Ratschlag

L war unruhig und konnte an nichts anderes denken als an die Tatsache, dass Beyond sich mit A traf. Zwar vertraute er ihm, aber es störte ihn trotzdem und er fühlte sich elend. Und je länger er alleine vor seinen Monitoren saß, desto schlimmer wurde es und so beschloss er, etwas gegen sein Gefühlschaos zu unternehmen und verabschiedete sich von Watari. Er ging direkt zu Rumiko und Jamie, die direkt im Haus nebenan wohnten. Statt Rumiko machte aber ihr Mann Jamie auf und dieser begrüßte ihn wie immer sehr herzlich mit einer Umarmung. Zugegeben, es war auch gar nicht mal so schlecht, mit Jamie zu sprechen. Zwar war dieser nicht gerade der Intelligenteste und auch geistig etwas zurückgeblieben, aber dennoch hatte er manchmal echt gute Ratschläge in Sachen Beziehung. Außerdem war er ein sehr unkompliziert denkender Mensch und sah viele Dinge ganz anders als L. „Hallo L! Wenn du Ruby suchst, die ist gerade noch einkaufen, sie kommt aber gleich zurück.“ Jamie führte ihn ins Wohnzimmer und bot ihm einen Tee an, den L natürlich nicht ablehnte. Wenig später kam der 24-jährige zurück und hatte ein Tablett dabei, welches er vorsichtig auf den Tisch abstellte, dann goss er L einen Tee ein, bevor er sich aufs Sofa setzte und ihn mit seinen großen und kindlich wirkenden Augen ansah. „Du siehst traurig aus, L. Hast du dich mit Beyond gestritten?“

„Nein, das ist es nicht.“ Der Detektiv begann, nach und nach Zucker in die Tasse zu geben, wobei er sich überlegte, wie er sein Problem so erklären konnte, dass Jamie es auch verstehen konnte. „Es ist so, dass Beyond sich mit jemanden trifft, den er früher sehr geliebt hat. Die beiden waren beste Freunde, aber sein bester Freund hat ihn nicht geliebt. Er… er starb schließlich vor Beyonds Augen und jetzt wurde er wieder zurückgeholt. Beyond trifft sich jetzt gerade mit ihm und das lässt mir keine Ruhe.“ Er wartete einen Moment, bevor er weitererzählte, da er Jamie die Zeit lassen wollte, es auch zu verstehen. Denn der Gute brauchte manchmal eine Weile, bis er so etwas auch ganz verarbeitet hatte. Manchmal musste man eben etwas Geduld mit ihm haben. „Wieso trifft sich Beyond mit ihm?“ „Um sich mit ihm auszusprechen. Das Problem ist aber, dass sein bester Freund damals in mich verliebt war und das Ganze ist für Beyond nicht einfach.“ Jamie dachte nach und schien wohl nicht ganz diese komplizierte Situation zu verstehen. Nun ja, L konnte es ihm auch nicht verdenken. Das Ganze war wirklich kompliziert und auch mehr als verrückt. „Und du bist traurig, weil du denkst, Beyond würde seinen besten Freund mehr lieben als dich?“

„So ungefähr ja. Zwar hat er mir gesagt, dass er sich für mich entscheiden wird, weil er mit mir glücklich ist, aber ich habe trotzdem Angst. Wenn es nach mir ginge, würde ich diesen Kontakt unterbinden und dafür sorgen, dass Beyond ihn nicht wieder sieht.“ Jamie dachte wieder nach und nickte dabei, dann aber schien er sich so ungefähr ein Bild gemacht zu haben und erklärte „Das darfst du aber nicht machen, L. Wenn du das tust, dann vertraust du ihm doch nicht.“ „Das weiß ich. Trotzdem fühle ich mich schlecht dabei.“

„Meine Mama hat mal gesagt: Wenn du etwas wirklich liebst, dann lass es frei. Wenn es zu dir zurückkommt, gehört es dir und wenn nicht, dann hat es dir nie gehört. Wenn Beyond zu dir zurückkommt, dann ist das doch ein Zeichen dafür, dass er dich mehr lieb hat und dann brauchst du auch keine Angst zu haben. Und wenn Beyond sagt, dass er bei dir bleiben will, dann meint er es auch so. Er sagt so etwas normalerweise nie, also ist das etwas ganz Besonderes!“ Aber trotzdem blieb das schlechte Gefühl und L wusste auch nicht, was er dagegen tun sollte. Schließlich aber wurde er wieder aus seinen Gedanken gerissen, als die Haustür geöffnet wurde und Rumiko mit den Einkäufen hereinkam. „Bin wieder da!“ rief sie und verschwand in die Küche. „Hallo Ruby!“ rief Jamie laut, damit seine zwei Jahre ältere Frau ihn auch hörte. „L ist hier zu Besuch!“ „Ich komm sofort.“ Wenig später, nachdem sie die Einkäufe ausgeräumt und einsortiert hatte, kam sie ins Wohnzimmer und grüßte L in ihrer üblich herzlichen Art und Weise. Hieß also, dass auch sie ihm eine Umarmung gab. „Was verschlägt dich denn ganz allein hierher? Ist Beyond gar nicht da, oder habt ihr euch gezankt? Oder hat er immer noch irgendwelche Schmerzen, nachdem die Couch gestern zusammengekracht ist?“ L verzog das Gesicht, als sie das erwähnte und sah sie mit einem strafenden Blick an. „Musst du das schon wieder erwähnen?“ „Entschuldige, aber du musst doch zugeben, dass es witzig ist. Ich hab jedenfalls noch nie gehört, dass zwei es so heftig getrieben haben, dass sie dabei die Couch zu Kleinholz verarbeitet haben.“

„Jetzt übertreib mal nicht gleich. Und nein, ich hab mich nicht gestritten.“ Er erklärte Rumiko noch mal in aller Ausführlichkeit die Situation, in der er sich gerade befand und wie es ihm dabei ging. Die schwangere Musiklehrerin betrachtete ihn eine Weile nachdenklich, nickte bedächtig und goss sich nun ihrerseits einen Tee ein. „Ich kann dich gut verstehen, L. Natürlich ist es eine echt beschissene Situation, wenn der Partner sich mit der ersten großen Liebe trifft, die er auf so tragische Weise verloren hat. Wenn die beiden sich wenigstens vernünftig getrennt hätten, dann bräuchte man sich ja eigentlich keine Sorgen zu machen, aber das ist ja nicht der Fall. Ich glaube, ich weiß schon, was du befürchtest. Beyond kam ja schon zu mir, um mich um Rat zu bitten. Es ging ja darum, dass er sich Sorgen machte und auch Angst hatte, dir vor den Kopf zu stoßen. Und du hast Angst, dass Beyond sich aus Mitleid für Andrew entscheiden könnte, weil dieser psychisch labil und schwer depressiv ist. So wie es sich anhörte, scheint sich Beyond damals sehr um ihn gekümmert zu haben und hat nun eben große Angst, seinen besten Freund erneut auf solch eine tragische Art und Weise zu verlieren.“ So ungefähr traf das den Nagel auf den Kopf. Manchmal schien es irgendwie so, als sei Rumiko besser eine Paartherapeutin geworden, statt Musiklehrerin an einer Grundschule. Aber sie hatte in Oxford Psychologie studiert und ihre Erfahrung mit schwulen Paaren kam ihr auch zugute, dass sie sich mit solchen Beziehungsproblemen hervorragend auskannte, auch wenn sie es selbst nicht erlebt hatte. Oder eben halt weil sie es bis jetzt noch nicht selbst erlebt hatte, war ihre Sichtweise oft anders und auch sachlicher. Sie hatte diese ganzen Beziehungsprobleme nie gehabt, weil Jamie ihre erste große Liebe war und er ihr nie einen Grund geliefert hatte, eifersüchtig zu werden. „Dass du diese Ängste hast, ist vollkommen normal, L. Das klingt verrückt, aber es ist der beste Beweis dafür, dass du Beyond liebst. Denn wenn es einen völlig kalt lässt, dass der Partner sich mit dem Ex trifft, dann ist es mit der Liebe auch nicht weit her. Und dass du dir insbesondere bei Beyond Sorgen machst, ist völlig verständlich. So wie ich ihn kenne, wird es ihm so oder so ziemlich schwer fallen, Andrew die Wahrheit zu sagen, weil er einfach so große Angst hat, ihn wieder zu verlieren. Freundschaft und Liebe sind zwei Sachen, die einfach nicht zusammenpassen. Wenn er diese Gefühle für Andrew nicht gehabt hätte und sie einfach nur Freunde wären, dann wäre es für dich ja erträglicher, weil du nicht befürchten müsstest, da könnte wieder etwas zwischen ihnen laufen. Aber… da Beyond ihn früher geliebt hat und nun als sein bester Freund da sein will, befürchtest du, dass es für ihn schwer sein wird, diese Grenze zwischen Freundschaft und Liebe zu ziehen und auch zu bewahren, nicht wahr? Schnell kann es passieren, dass man von freundschaftlicher Ebene auf die andere rutscht, ohne es zu merken und dann ist die Katastrophe da und genau der Fall trifft ein, den du eigentlich nicht haben willst. Nämlich, dass Beyond in Andrew nicht mehr einen Freund sieht, sondern den Menschen, den er liebt und dem er unbedingt helfen muss.“ Es war schon fast unheimlich, wie gut Rumiko ihn durchschauen konnte. Das war ja schon wirklich beängstigend. Aber sie hatte in allen Punkten Recht. Natürlich hatte er Angst, dass Beyond sich um Andrew kümmerte, um ihm mit seiner Depression zu helfen und er dann nicht mehr bloß freundschaftliche Gefühle empfand. Was, wenn er sich Andrew verpflichtet fühlte und sich deshalb für ihn entscheiden würde? Genau das war seine größte Angst und er wusste einfach nicht, was er tun sollte. Er konnte Beyond ja schlecht den Kontakt zu Andrew verbieten. Erstens hörte dieser eigensinnige Sturkopf ja sowieso nie auf ihn und zweitens würde es nur zum Streit zwischen ihnen führen und das wollte er auch nicht. Also was sollte er tun und wie sollte er sich verhalten? Rumiko fuhr sich mit ihren grazilen Fingern durch ihr langes goldblondes Haar und dachte nach. Die ganze Sache war wirklich kompliziert und sie wollte L schon gerne helfen. Immerhin ging es um ihren Bruder Beyond, dem sie schon damals nach Andrews Selbstmord beigestanden hatte und ihm auch wie eine Ersatzmutter war. Sie wusste, dass die beiden eigensinnige Dickköpfe waren und oft ihre Meinungsverschiedenheiten hatten. Sie waren eben etwas schwierig und deshalb brauchten sie jemanden, der ihnen Ratschläge geben konnte, denn sonst würde es entweder einen heftigen Streit, oder eine anderweitige Katastrophe zur Folge haben. Schließlich aber sagte sie „Wenn ich dir einen Ratschlag geben soll: du solltest das alles erst einmal nur beobachten. Vielleicht machst du dir nur unnötig Sorgen und Beyond schafft es, ganz klar zwischen Liebe und Freundschaft abzugrenzen und vor Andrew klare Verhältnisse zu schaffen. In dem Falle hat sich das Thema doch von selbst erledigt. Ich hab ihm auch schon gesagt, dass er Andrews bester Freund, aber nicht sein Betreuer oder Therapeut ist. Er muss auch lernen, sich abzugrenzen und ganz klar zu sagen, dass er als Freund für ihn da sein wird, sich aber nicht rund um die Uhr um ihn kümmern und ihn immerzu aufbauen kann. Früher oder später würde er selbst daran kaputt gehen und dieser Andrew muss auch lernen, sich selber Hilfe zu suchen, wenn er so sehr mit seinen Depressionen zu kämpfen hat. Die ganze Situation ist nicht einfach, da stimme ich dir zu, L. Aber warte doch erst einmal ab, wie das Treffen ausgeht. Wenn Beyond es geschafft hat, Andrew die Wahrheit zu sagen und klare Verhältnisse zu schaffen, dann brauchst du dir doch keine Sorgen zu machen. Dann hat sich alles geklärt und alles ist super.“

„Und was, wenn Beyond es nicht schafft und er sich wieder von A so vereinnahmen lässt?“ Genau das war seine größte Sorge und er wusste auch nicht, was er in dem Fall tun sollte. Eben deswegen hoffte er ja auch auf Rumikos Ratschlag. „Wenn das wirklich so kommen sollte, musst du derjenige sein, der klare Grenzen zieht, L. Es kann nicht angehen, dass Beyond zwischen den Stühlen hin und her wechselt, weil er nicht konsequent sein kann. In dem Fall muss er eben mit harten Bandagen angefasst werden. Sag ihm ganz klar, dass du das nicht willst und dass du das auch nicht so hinnehmen möchtest. Und wenn du willst, werde ich dann auch noch mal ein paar Worte mit meinem Bruder sprechen, um ihm den Kopf zu waschen. Ihr beide seid so ein süßes Paar, da kann ich doch nicht mit ansehen, wie der Dummkopf alles in den Sand setzt!“ Es tat wirklich gut, mit Rumiko zu sprechen. Sie wusste immer eine Lösung und irgendwie hörte sich alles bei ihr immer so einfach an. „Also das heißt, ich soll erst einmal warten und Beyond muss klar Position beziehen, auch vor A.“

„Genau. Für eine funktionierende Beziehung ist es sehr wichtig, dass man einander vertraut und klar zueinander steht, auch vor anderen. Nun gut, dass du das nicht kannst, das ist eine ganz andere Geschichte. Bei dir stehen immerhin dein Ruf und deine Glaubwürdigkeit auf dem Spiel, weil Beyond ein verurteilter Straftäter ist und er zudem in der Vergangenheit versucht hat, dich umzubringen. Aber das ist sowieso geklärt und Beyond versteht ja auch, wieso du öffentlich nicht zu ihm stehen kannst. Aber insbesondere er muss ganz klar zu dir stehen, eben weil er mit Andrew so eine schwierige Beziehung hatte und er ihn damals so sehr geliebt hat. Und wenn er das nicht kann, dann muss er es eben schnellstmöglich lernen, wenn er eure Beziehung nicht gefährden will. So sieht der Tatbestand nun mal aus.“ Damit atmete sie laut aus und lehnte sich zurück, wobei sie ihren Kopf auf der Lehne ablegte. „Mann, Mann, Mann… eure Beziehung ist aber auch wirklich total schwierig. Ohne Beziehungsratgeber wärt ihr sicher schon längst aufeinander losgegangen und hättet euch die Augen ausgekratzt.“

„Die Liebe ist eben nicht einfach, oder?“

„Kommt ganz auf die Menschen an, die zusammen sind. Bei mir und Jamie funktioniert alles wunderbar, weil er absolut unkompliziert und einfach gestrickt ist und ich von dem Rest der heterosexuellen Männer nichts wissen will, weil die sowieso nur alle schwanzgesteuerte Trottel sind, die entweder scharf auf mein Aussehen oder auf das Geld meiner Familie sind. Deswegen ist unsere Beziehung so einfach und problemlos, weil wir überhaupt keine Gründe hätten, einander zu misstrauen oder Sorgen zu haben. Aber bei euch beiden ist das ja was ganz anderes. Jeder einzelne von euch ist schon schwierig genug, aber zusammen wird das ja noch mal doppelt so schlimm. Dass ihr euch liebt und eure Rollen klar verteilt habt, ist ja schön und gut, so ist die Grundbasis für eine gute Beziehung geschaffen. Aber ihr seid vom Charakter her einfach schwierig. Keiner lässt sich gerne vom anderen unterbuttern oder herumkommandieren, ihr seid beide absolute Sturköpfe, kindisch und in manchen Sachen unverbesserlich. Tut mir leid, dass ich das jetzt sage aber ihr seid anstrengend. Und eure Beziehung wäre wesentlich unkomplizierter, wenn der andere viel ruhiger und gelassener wäre, um somit als ausgleichender Pol zu dienen. Doch das ist nicht der Fall. Ihr seid euch in der Hinsicht einfach viel zu ähnlich und das kann oft ein Problem werden. Eure Beziehung ist mit einem Doppelmagneten vergleichbar. Der äußere Teil ist verschieden gepolt. Du bist das Plus, Beyond das Minus. Deshalb zieht ihr beide euch an. Aber der innere Teil, nämlich der Kern des Magneten ist gleichgepolt, also entweder zweimal Plus, oder zweimal Minus. Das sorgt dafür, dass ihr euch anzieht, aber wenn ihr dann zusammen kommt, reagieren diese zwei gleichen Pole und sorgen dafür, dass ihr euch gegenseitig wieder abstoßt. Bei Jamie und mir ist es hingegen so, dass wir jeweils nur einen einzigen Pol haben, nämlich Plus und Minus und deshalb passen wir problemlos zusammen. Ihr beide seid schwierige Menschen und ihr macht euch vieles manchmal komplizierter, als es eigentlich ist und das ist das Kernproblem eurer Beziehung. Und da kann man auch nichts daran ändern, denn dann müsstet ihr euch von Grund auf ändern und das will keiner von euch. Deshalb wird es immer wieder Schwierigkeiten in eurer Beziehung geben. Aber daran wird eure Beziehung auch weiter wachsen. Denn ihr beide habt bis jetzt doch jede Krise gemeistert. Du hast es geschafft, Beyonds Herz zu öffnen und als Sam und Clear Beyond gefoltert und vergewaltigt haben, da seid ihr auch näher zusammengekommen. Und selbst als du gedacht hattest, ich hätte ein Verhältnis mit Beyond, da habt ihr euch auch wieder zusammengerauft und gelernt, ehrlich zueinander zu sein und euch gegenseitig zu vertrauen. Jede Krise, die auf euch zukommt, ist natürlich eine Herausforderung. Aber sie ist für euch auch eine Chance, für die Zukunft dazuzulernen, dass ihr die gleichen Fehler nicht mehr wiederholt.“ Es war wirklich eine gute Entscheidung gewesen, Rumiko um Rat zu bitten. Sie besaß das Talent, genau das auszusprechen, was andere so beschäftigte und sie fand dann immer eine Lösung für das Problem. Schließlich machte die Lehrerin eine kurze Pause und trank ihren Tee aus, dann verschwand sie in die Küche. „Verdammte Heißhungerattacken“, rief sie und man hörte, wie sie in den Schränken herumkramte. Wenig später kam sie mit einer Chipstüte zurück und tauchte die einzelnen Chips in Schokoladensoße. „Manchmal frage ich mich echt, was diese kleinen Satansbraten mit mir anstellen, dass ich einen Moment lang die ganze Zeit Salzstangen futtere und dann auch schon wieder Hunger auf Vanillepudding bekomme. Erst letztens war ich total verrückt nach sauren Gurken und hab kurz darauf einen Zuckerwürfel nach dem anderen gelutscht. Und dabei hab ich immer wieder gedacht, dass das so ein total schwachsinniger Schwangerschaftsmythos ist. Dafür kann ich seit gestern plötzlich keinen Kaffee mehr trinken, ohne dass mir schlecht wird. Und allein vom Fischgeruch wird mir anders. Als würden die Kleinen mir schon auf der Nase herumtanzen, bevor sie überhaupt geboren sind.“ Damit begann sie ihre Chips mit Schokoladensoße zu essen. Jamie sah das alles mit mehr Humor und lachte. „Ich finde es irgendwie lustig, dass Ruby so komische Heißhungerattacken kriegt.“

„Haha, sehr witzig“, gab sie genervt zurück. „Ich frag mich echt, wie ich das wieder runterkriegen soll, wenn das so weitergeht.“

„Dein Bauch wird doch eh größer werden, oder etwa nicht?“

„Ja dankeschön, dass du mich daran erinnerst, wie aufgequollen ich in ein paar Monaten aussehen werde. Sag doch gleich, dass ich wie ein fettes Walross aussehe. Na los doch! Ihr denkt doch alle, dass ich fett bin.“ Und damit brach sie in Tränen aus und begann heftig zu schluchzen. L sah sie ungläubig an und wusste gar nicht, was denn mit ihr los war und wieso sie auf einmal so am heulen war. Gerade war sie noch ganz normal gewesen. Jamie erklärte die Situation. „Das sind die Hormone. Ruby hat manchmal solche Gefühlsausbrüche. Dann ist sie manchmal total fröhlich und kann nicht aufhören zu lachen, dann ist sie plötzlich ganz böse und wird schnell sauer und dann ist sie total traurig und hört nicht auf zu weinen. Das geht gleich vorbei.“

„Ich weiß, ich bin anstrengend“, schluchzte sie und schob sich einen weiteren Schokochip in den Mund. „Es tut mir so leid, L.“

„Sch-schon in Ordnung. Es sind ja nur die Hormone.“

„Nur die Hormone? Denkst du etwa, ich bin eine hormongesteuerte Zicke, oder was?! Nur damit eines klar steht: nur weil du aussiehst wie so ein knuffiges Pandabärchen, hast du noch lange nicht das Recht, so mit mir zu reden. Ihr seid alle so gemein. Ich hasse euch!“ Und damit erhob sich Rumiko laut schluchzend, verließ das Wohnzimmer und schloss sich im Badezimmer ein. L blieb sprachlos sitzen und wandte sich an Jamie, der sich aber nicht sonderlich daran zu stören schien, was gerade passiert war. „Ist… ist sie öfter so?“ „Hin und wieder mal. Letztens hat sie eine Kassiererin angeschrieen, weil sie dachte, die Kassiererin würde sie schief angucken. Das legt sich aber schnell wieder. Manchmal frage ich mich, ob meine Mama auch so war, als sie schwanger war.“ Gute Frage. Insgeheim fragte sich L in diesem Moment auch, ob seine Mutter vielleicht auch so schräg drauf gewesen war. Na wenigstens brauchte er sich keine Sorgen zu machen, dass Beyond irgendwann mal so drauf sein könnte. Wäre ja was neues, wenn Männer schwanger werden könnten. Schließlich aber kam Rumiko nach ein paar Minuten wieder zurück. Inzwischen hatte sie sich wieder beruhigt und sie wischte sich mit einem Taschentuch die Tränen weg. „Tut mir leid wegen meinem Gefühlsausbruch. So was passiert mir hin und wieder mal.“

„Schon gut, du kannst nichts dafür.“ Trotzdem nahm L es ihr ein klein wenig übel, dass sie ihn ein „knuffiges Pandabärchen“ genannt hatte. Schlimm genug, wenn sich Beyond die Frechheit herausnahm, ihn so zu nennen. Jetzt fing auch schon Rumiko damit an. Warum zum Teufel verglichen ihn alle immer mit einem Pandabär? Lag es vielleicht an seinen Augen? Tja, das war ihm wirklich ein Rätsel. Er bedankte sich schließlich für das Gespräch und verabschiedete sich von Rumiko und Jamie. Die schwangere Musiklehrerin begleitete ihn noch zur Tür und legte eine Hand auf seine Schulter. „Fall nicht direkt mit der Tür ins Haus, wenn er wieder zurückkommt, ja? Geh es langsam und vorsichtig an und dann wird er schon sagen, was los ist.“

„Okay, danke für den Ratschlag. Ich werde ihn beherzigen.“

Eine beunruhigende Entdeckung

Beyond kehrte mit gemischten Gefühlen zurück und musste sich erst einmal setzen. L entging durchaus nicht, wie die Stimmung gerade war und so ging er direkt zu ihm hin. „Wie ist es gelaufen?“ fragte er und ahnte, dass einiges passiert sein musste. Denn allein an Beyonds Gesicht war abzulesen, dass es nicht glatt gelaufen war. „Beschissen“, murmelte der Serienmörder niedergeschlagen und ließ sich erst einmal von Watari einen Kaffee bringen, dann setzte er sich mit L in die Küche, da das Wohnzimmer noch keine neue Couch hatte, nachdem diese unter ihren leidenschaftlichen Sexaktivitäten zusammengebrochen war. „Zuerst haben wir ja noch ganz locker miteinander geredet und zwischendurch ging es ihm deutlich besser, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, als würde da etwas nicht mit ihm stimmen. Er hatte eine Verletzung im Gesicht und irgendwie schien er Schmerzen zu haben. Und dann, als wir am Hafen waren, da… da hat er mich geküsst.“ L sah ihn mit einem unbestimmten Blick an und sagte nichts, doch ihm war trotzdem anzumerken, dass dieses Geständnis ihm überhaupt nicht gefiel. Dass Andrew Beyond geküsst hatte, konnte nur zwei Dinge bedeuten. Erstens: der Kerl war dabei, ihn wieder als Ersatz für seine große Liebe zu benutzen, oder zweitens: er hatte Gefühle für Beyond entwickelt. Und beides gefiel ihm überhaupt nicht. „Und… wie hast du darauf reagiert?“ Beyond gab niedergeschlagen einen Zuckerwürfel nach dem anderen in die Tasse und verrührte alles zu einer sirupartigen Masse. „Ich hab ihm klar gemacht, dass das nicht geht und ich jemand anderen liebe. Er war völlig am Boden zerstört und wollte wissen, mit wem ich zusammen bin. Aber… ich konnte ihm einfach nicht die Wahrheit sagen. Es war schon schlimm genug für ihn, dass ich ihm eine Abfuhr erteilt habe, da konnte ich ihm doch nicht sagen, dass ich mit dir zusammen bin. Und er sah so fertig aus, dass ich echt Angst hatte, er würde wieder Selbstmord begehen.“

„Und was hast du dann gemacht?“

„Ihn zurück ins Institut begleitet. Ich wollte einfach sichergehen, dass er keine Dummheit macht. Und dann habe ich kurz den Institutsleiter getroffen, diesen Dr. Brown. Der war so ein widerlicher Kerl und irgendwie habe ich das Gefühl, dass der nicht ganz koscher ist. Halte mich ruhig für paranoid, aber ich glaube, dass dieser Doktor Andrew misshandelt.“ L sah ihn mit gemischten Gefühlen an und sagte erst einmal nichts. Er war sich nicht ganz sicher, was er davon halten sollte, denn es konnte auch gut möglich sein, dass Beyond ein schlechtes Gewissen gegenüber Andrew hatte und irgendetwas hineininterpretierte und sich einbildete. Aber andererseits wäre das doch gar nicht Beyonds Art. Er musste näher nachhaken. „Wie kommst du denn darauf?“

„Wie schon gesagt: Andrew war im Gesicht verletzt und hatte Schmerzen, das habe ich deutlich gesehen. Und als ich ihn angesprochen habe, da hat er gesagt, dass er einen handfesten Streit mit Dr. Brown hatte und gleich darauf hat er alles heruntergespielt und verharmlost. Aber als ich diesen Kerl da gesehen habe, ist mir ganz anders geworden. Man hat deutlich gesehen, dass Andrew Angst vor ihm hat und mich würde es nicht wundern, wenn der Kerl ein gewalttätiger manipulierender Psychopath ist. Nicht so krass wie Clear, aber trotzdem gefährlich.“

„Und was willst du tun?“

„Herausfinden, ob dieser Dr. Brown Dreck am Stecken hat. Ich hab mich bis jetzt immer auf mein Gefühl verlassen können, was gefährliche Menschen betrifft, aber ich will Gewissheit haben und wissen, was zwischen Dr. Brown und Andrew abläuft. Ich will ihm als sein bester Freund helfen und dafür sorgen, dass er von diesem Doktor wegkommt, wenn der ihn wirklich verprügelt hat.“ Zwar war L nicht wirklich wohl dabei und wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er Beyond nahe gelegt, sich mehr von Andrew zu distanzieren, aber andererseits… wenn es wirklich stimmte und der Institutsleiter misshandelte Andrew, dann konnte er in seiner Position als L auch nicht einfach so wegschauen. In dem Falle mussten sie helfen, das stimmte. Und es war auch Fakt, dass Beyond ein besonderes Gespür für Individuen hatte, die zu einer kranken Natur neigten. Also nickte er und sagte „Okay, wenn es wirklich stimmen sollte und Dr. Brown tut A irgendwelche Dinge an, dann werde ich dir helfen.“

„L… das musst du doch nicht tun.“

„Doch. Als Detektiv kann ich nicht wegschauen, wenn sich ein Verbrechen vor meiner Nase zuträgt und deshalb werde ich dir helfen.“

„Danke, L. Damit hilfst du mir wirklich.“ Nachdem er seinen Zuckerkaffee ausgetrunken hatte, gingen sie gemeinsam in L’s Arbeitszimmer und begannen mit der Recherche. Doch schnell stellte es sich heraus, dass es selbst mit Beyonds Shinigami-Augenlicht nicht wirklich einfach war, den richtigen Dr. Brown zu finden, denn leider war dies nicht gerade ein seltener Name. Nach knapp einer halben Stunde hatten sie schließlich den gesuchten Dr. Brown gefunden und L las sich aufmerksam die Daten durch. „Dr. James Brown ist Humanbiologe und Neurologe. Bereits sein Vater Prof. Dr. Joseph Brown hatte sich auf diesem Gebiet spezialisiert, ist aber verstorben.“

„Woran denn?“

„Offiziell Herzversagen, aber es gibt da einige Ungereimtheiten. Ich werde…“ L sprach nicht weiter, denn da färbten sich plötzlich sämtliche Bildschirme weiß und der Computer reagierte auf rein gar nichts mehr. Und schließlich erschien ein altenglisches „O“ in schwarzer Schrift. Beyond runzelte die Stirn und fragte „Was ist denn jetzt wieder kaputt?“ L seufzte und sah ein wenig genervt aus. „Es ist O alias „The Operator“. Der wohl gefährlichste Cyberterrorist der Welt. Er hilft ab und zu mal und hat auch dieses System hier eingerichtet. Hauptsächlich konzentriert er seine Ermittlungen auf Cyberkriminalität, wie zum Beispiel das Aufspüren von Hackern oder Kinderpornoringen. Aber allem Anschein nach hat er jetzt mal wieder Redebedarf.“ Damit schaltete L die Lautsprecher ein und sofort ertönte eine gut gelaunte elektrisch verzerrte Stimme. „Moin L, altes Haus! Sorry, dass ich gerade so reinschneie, aber ich sah gerade, dass du dich offenbar mit Dr. James Brown beschäftigst.“

„Spionierst du mich etwa aus, O?“

„Nein, aber ich habe nur zufällig deine IP-Adresse gesehen, als ich selbst Daten gesammelt habe. Wie es scheint, suchen wir offenbar denselben Mann.“

„Ach echt? Und wieso suchst du nach ihm?“

„Puh, das ist eine echt knallharte Story. Aber ich geb dir die Kurzfassung: Dr. Brown hat für eine Weile für Vention gearbeitet. Einen Technologiekonzern, bei dem ich auch unter einer Scheinidentität arbeite. Vention entwickelt nicht nur neue Alltagstechnologien, sondern beschäftigt sich auch mit der Entwicklung von medizinischen Geräten wie zum Beispiel Prothesen, die über das Nervensystem gesteuert und somit wie eigene Gliedmaßen bewegt werden können. Und auch schon sein Vater Joseph hat gemeinsam mit einer gewissen Dr. Nastasja Kasakowa vor zwanzig Jahren Erforschungen am menschlichen Gehirn durchgeführt und die Gedankenschaltkreisforschung begonnen. Man ging davon aus, dass die so genannte Seele eine Art biologischer Schalter ist, der unseren Körper erst wirklich in Gang setzt und ihn am Leben erhält. Da man davon ausgeht, dass dieser Lebenskern im Gehirn sitzt, vermutet man, dass dieser Gedankenschaltkreis irgendwo im Gehirn sitzen muss und dass das Gehirn lediglich der Rezeptor der Seele ist. Dr. Kasakowa hatte damals die wohl meiste Arbeit abgeliefert und ihre Entdeckungen und Theorien waren damals bahnbrechend gewesen. Immerhin war sie die erste Wissenschaftlerin gewesen, die der Überzeugung gewesen war, dass die Seele eines Menschen biologischen Ursprungs ist. Aber dann wurde sie mitsamt ihrem Mann tot aufgefunden, ihr Kind ist bis heute spurlos verschwunden und man geht davon aus, dass das Kind tot ist. Jedenfalls sind die Pläne seitdem verschwunden und kurz danach verschwand Dr. Brown Senior. Er wurde schließlich tot aufgefunden von seinen Mitarbeitern und obwohl es offiziell im Totenschein hieß, er wäre an Herzversagen gestorben, habe ich so einige Gerüchte gehört. Die Leiche soll angeblich in einem so katastrophalen Zustand gefunden worden sein, dass man nur noch durch einen Daumenabdruck bestimmen konnte, dass es sich um Joseph Brown handelte. Seine Leiche soll regelrecht zerfetzt worden sein und von seinem Kopf blieb nichts mehr übrig. Als wäre sein Hirn einfach explodiert. Jedenfalls hat sich sein Sohn kurz danach immer weiter zurückgezogen und die Forschungen zum elektrischen Gedankenschaltkreis wieder aufgenommen. Vention hatte bereits zu dem Zeitpunkt mehrere Millionen in dieses Projekt investiert, doch James Brown ist mit dem Geld untergetaucht und als ich mich in den Computer gehackt habe, konnte ich tatsächlich in Erfahrung bringen, dass er sich im Besitz dieser Pläne befindet und diese sogar vervollständigt worden waren. Allerdings tragen diese Pläne nicht seine Handschrift, sondern zwei verschiedene, nämlich die von Dr. Kasakowa und von niemand anderem als A, der damals bei uns im Waisenhaus war und vom Dach gesprungen ist. Kannst du dir schon so ungefähr denken, was das zu bedeuten hat?“ Natürlich konnte L das. Es klang deutlich danach, als wäre der Vater von James Brown für den Mord an Dr. Kasakowa und ihrer Familie verantwortlich und wäre mit den Plänen verschwunden. Aber dann wurde er ermordet und die Pläne landeten irgendwann in Wammys House, wo man versuchte, die unvollständigen Konstruktionspläne von Dr. Kasakowa zu ergänzen, aber das war niemandem außer A gelungen. Und dieser beging schließlich Selbstmord. Aber was hatte es mit dem Tod von Dr. Joseph Brown auf sich? Hatte sein Sohn ihn vielleicht töten lassen, um als Einziger den Ruhm zu ernten, dass er den Gedankenschaltkreis hatte bauen können? Aber warum war dann die Leiche in einem solchen Zustand, dass sie kaum noch zu identifizieren war? Das war schon merkwürdig. Schließlich aber fragte Beyond „Wieso interessierst du dich überhaupt dafür, O?“

„Hey, wenn das mal nicht der gute alte B ist. Schön, dich mal nach all den Jahren wiederzuhören. Dann stimmen die Gerüchte also mit dir und L?“ Erst jetzt bemerkte Beyond seinen Fehler und klatschte sich die Hand an die Stirn dafür, dass er total vergessen hatte, dass sie doch eigentlich ihre Beziehung vor den anderen geheim halten wollten, weil es sonst L’s Glaubwürdigkeit gefährdet hätte. Doch dann hörten sie O lachen, wobei es durch die elektronische Verzerrung irgendwie gruselig klang. „Keine Bange, ich sag schon nichts. Ist mir sowieso piepegal, wer es mit wem macht. Was sich liebt, das liebt sich eben halt und mit den anderen Buchstaben habe ich sowieso nicht so viel am Hut. Aber zu deiner Frage: klar ist das eigentlich nicht gerade mein Gebiet, weil ich mich auf Cyberkriminalität spezialisiert habe, aber ich arbeite für Vention und ich wurde von denen beauftragt, herauszufinden, was mit Dr. Brown los ist und was er so treibt. Immerhin geht es hier um ein Projekt, in welches sie rund zehn Millionen Dollar investiert haben. Und wenn es wirklich stimmt und der Gedankenschaltkreis konnte erfolgreich gebaut und getestet werden, muss ich im Interesse des Konzerns tätig werden. Außerdem steht zum einen Dr. Brown Senior im Tatverdacht, Dr. Kasakowa und ihre Familie ermordet zu haben, oder zumindest die Tötung veranlasst zu haben, indem er einen Killer geschickt hat. Da er tot ist, muss ich mich auf den Sohnemann konzentrieren und bei dem gibt es diverse Ungereimtheiten. Denn mir ist aufgefallen, dass A’s Leiche niemals aufgetaucht ist und es auch kein Grab gibt. Als wäre sein Leichnam gemopst worden, bevor dieser überhaupt in der Leichenhalle ankommen konnte. Nun frage ich mich also: wieso haut der gute Doktor ab und hat plötzlich die Pläne im Besitz, die A vor seinem Tod vervollständigt hat und wieso ist A’s Leiche verschwunden? Ich glaube, wenn man eins und eins zusammenzählt, dann kann man sich denken, was passiert ist: er hat A’s Leiche zu Versuchszwecken gestohlen, um herauszufinden, ob es tatsächlich möglich ist, mit einem elektrischen Gedankenschaltkreis Menschen wieder zum Leben zu erwecken.“ Es war schon unheimlich, wie viel O herausgefunden hatte. Und es stimmte ja auch. Andrew war von Dr. Brown zurückgeholt worden, weil dieser ihm den Schaltkreis im Gehirn eingesetzt hatte. Beyond schaute zu L und sein fragender Blick sagte genug. Sollten sie O in ihren Wissensstand einweihen und ihm sagen, was Sache war? Als L stumm nickte, erklärte Beyond die Sache. „Es stimmt tatsächlich, dass A damals zurückgeholt werden konnte. Allerdings hat der Schaltkreis noch nicht hundertprozentig funktioniert und durch den Sturz vom Dach hat sich alles ebenfalls verzögert. Ich habe A erst gestern wiedergetroffen und er hat mir berichtet, dass Dr. Brown ihm den Schaltkreis eingesetzt hat.“

„Dann haben wir es also tatsächlich mit einem medizinischen Wunder zu tun. Dann hat A wirklich das Unmögliche möglich gemacht und den Konstruktionsplan wirklich fertig gestellt. Ich glaub’s nicht. Und wieso wollt ihr zwei Hübschen denn mehr über Dr. Brown herausfinden?“

„Wir vermuten, dass der Kerl A im Institut einsperrt und ihn psychisch und physisch misshandelt. Und da Dr. Brown für seine medizinische Betreuung verantwortlich ist, ist A ihm ausgeliefert und nun wollen wir herausfinden, ob der Kerl unlautere Dinge von ihm will.“ Eine Weile schwieg O am anderen Ende der Leitung und schien nachzudenken. Es fiel Beyond nicht sonderlich leicht, ihn genau einzuschätzen. Im Waisenhaus war O sehr verschlossen und depressiv gewesen, da er nie draußen spielen konnte, weil er ein schwaches Herz und schon zwei Herzinfarkte erlitten hatte. Aber kurz vor seinem Abgang aus dem Waisenhaus hatte er sich völlig verändert und war mit seiner ziemlich lockeren und sorglosen Lebenseinstellung nicht gerade einfach. Er hielt sich selten an Regeln und war nicht immer der Zuverlässigste, auch wenn er enormes Talent hatte, was die technische Arbeit betraf. Als Hacker war er von aller Welt als „The Operator“ gefürchtet und könnte quasi sämtliche Satelliten steuern und die ganze Welt ins Chaos stürzen. Natürlich wusste L, dass O so etwas nie tun würde, aber er war trotzdem ein unberechenbarer Mensch, der außerdem den Ruf weg hatte, nur dann zu arbeiten, wenn er Lust dazu verspürte. Und er machte auch wirklich nur das, was ihn interessierte. Er zählte also nicht gerade zu den fleißigsten Abgängern aus dem Waisenhaus und war auch der schlechteste Schüler von allen gewesen, weil er jedes Mal, wenn ihn das Thema nicht interessierte, nicht lernte und nicht einmal die Fragen in den Prüfungen beantwortete. Eine Einstellung, die L nicht gerade gefiel und deshalb hatte er so manchmal seine Meinungsverschiedenheiten mit O. Auch deshalb, weil dieser einen nicht immer höflichen Umgangston an den Tag legte und nicht immer Respekt zeigte. „Nun, zuzutrauen wäre es ihm. Ich überwache seine Internetaktivität schon seit einiger Zeit und auf welchen Seiten der sich herumtreibt, lässt jedenfalls erahnen, wie der Kerl gestrickt ist. In A’s Haut möchte ich jedenfalls nicht drin stecken, wenn der wirklich so drauf ist.“

„Könntest du dich etwas deutlicher ausdrücken?“ Das Symbol verschwand und zuerst glaubte Beyond, die Verbindung wäre abgebrochen, aber dann sahen sie, wie sich mehrere Internetseiten öffneten. O hatte einfach mal eben L’s Computer übernommen und steuerte ihn von seinem eigenen PC aus. Und die Seiten, die er öffnete, hatten es in sich. Es waren mehrere SM-Seiten und es gab auch diverse Vergewaltigungsvideos. Allesamt Sexvideos mit Männern und O hatte nicht übertrieben. Teilweise waren wirklich Sachen dabei, die sehr grenzwertig waren. Beyond wurde schlecht, als er das sah und schüttelte fassungslos den Kopf. Auch L begann so langsam zu verstehen, was O damit andeuten wollte. „Ich überwache solche Seiten schon seit längerer Zeit, weil da auch wirklich Vergewaltigungsvideos dabei sind und da unterstütze ich auch hin und wieder mal die Polizei, um die Uploader aufzuspüren. Jedenfalls ist Dr. Brown schon seit Jahren fleißig dabei, solche Schwulenvergewaltigungsvideos zu downloaden und sich reinzuziehen. Eine Zeit lang habe ich sogar befürchtet, er würde auch auf Kinderpornos stehen, aber der Verdacht hat sich zum Glück nicht bestätigt. Aber die Tatsache, dass er sich ausschließlich auf solchen Seiten herumtreibt, lässt zumindest dafür sprechen, dass er eine echt kranke Fantasie haben muss.“

„Aber das allein ist noch kein Beweis dafür, dass er tatsächlich so gefährlich ist. Allein der Besitz der Videos hat noch nichts zu bedeuten.“

„L“, rief Beyond fassungslos, als er das hörte und konnte es nicht glauben. Wie konnte der denn so etwas nur so dermaßen nüchtern dahersagen, wenn es doch offensichtlich war, dass dieser Dr. Brown seine perversen und sadistischen Fantasien an A ausließ? Aber im Grunde musste O dem Meisterdetektiv Recht geben. „L hat Recht. Allein der Besitz von SM-Videos ist kein Verbrechen und lässt nicht automatisch auf eine Straftat schließen. Lediglich bei Kinderpornografie versteht man keinen Spaß und das hat auch seine Gründe. Nur weil Dr. Brown sich ausschließlich auf solchen Seiten herumtreibt, bedeutet noch lange nicht, dass er selbst jemanden vergewaltigt und foltert. Das sind lediglich Indizien, aber keine Beweise. Aber wir haben deine Beobachtung, Beyond. Du hast gesehen, dass A verletzt war und offensichtlich misshandelt wurde. Und er selbst hat ausgesagt, dass er von Dr. Brown geschlagen wurde. Dann könnte man viel eher davon ausgehen, dass mehr dahinterstecken könnte. Und außerdem kommt ja auch noch die Tatsache hinzu, dass A von ihm abhängig ist, weil Dr. Brown derzeit der Einzige ist, der die Reparatur und Wartung des Gedankenschaltkreises durchführen kann. Dann könnte man sich schon denken, dass der Kerl das zu seinem Vorteil ausnutzt, um A gefügig zu machen.“

„Dieser elende Bastard. Wenn ich den in die Finger kriege, ziehe ich ihm die Haut ab und nähe einen Lampenschirm daraus!“ Beyond war auf 180 und das konnte L ihm nicht verübeln. Er selbst war von diesem psychopathischen Sadisten Clear brutal vergewaltigt und gefoltert worden und deshalb waren solche Menschen ein absolut rotes Tuch für ihn. Und mit Sicherheit hätte er seine Drohung auch wahr gemacht, wenn er diesen Dr. Brown in die Finger bekommen hätte. Nicht nur, dass der Kerl solche perversen Fantasien hatte, es ging auch noch um seinen besten Freund, der in einer so ausweglosen und verzweifelten Lage war und dringend Hilfe brauchte. L seinerseits war überzeugt, dass an Beyonds Verdacht was dran war und auch tatsächlich Gefahr bestand, dass Dr. Brown Andrew etwas antun könnte, wenn er es nicht schon längst getan hatte. „Hätte ich schon vorher gewusst, was das für ein kranker Psycho ist, dann hätte ich nicht zugelassen, dass Andrew wieder zu ihm zurückkehrt. Ich kapier echt nicht, wieso er überhaupt bei diesem Bastard bleibt. Selbst wenn Dr. Brown die Wartungen am Schaltkreis durchführt und ihn medizinisch betreut, Andrew hätte doch mit mir reden können.“

„Vielleicht hat er sich einfach nicht getraut, oder er schämt sich. Fakt ist, dass wir uns etwas einfallen lassen müssen, wie wir A da rausholen, ohne sein Leben in Gefahr zu bringen, sollte Dr. Brown etwas in der Hinterhand haben.“ Eine Zeit lang herrschte nachdenkliches Schweigen, aber dann wurden die Bildschirme wieder weiß und das altenglische „O“ kehrte zurück. „Wenn ich einen Vorschlag einbringen dürfte“, ertönte wieder die elektronisch verzerrte Stimme. „Ich habe bereits die Pläne von Dr. Browns Festplatte kopiert und genauestens studiert. Da ich sowieso bei Vention arbeite, könnte ich es organisieren, dass ich oder einer von Vention sich um A’s Untersuchungen kümmern wird und wir seine Sicherheit gewährleisten. Wenn er tatsächlich durch diesen Gedankenschaltkreis zurückgeholt wurde, liegt es sowieso im Interesse des Konzerns, dass A wohlbehalten aus dem Institut rausgeholt wird. Ich bin mit der Konzernleitung ganz gut befreundet und die schulden mir sowieso noch was, weil ich den Laden schon mehrmals vor der Insolvenz gerettet habe. Ich denke, die werden sofort bereit sein, sich um A zu kümmern.“

„Und können wir darauf vertrauen, dass Vention ihn nicht genauso wie ein Versuchskaninchen behandelt?“ fragte Beyond misstrauisch, denn ihm war nicht hundertprozentig wohl bei dem Gedanken, Andrew bei einem so mächtigen Technologiekonzern zu lassen und dabei die Sorge haben zu müssen, dass es ihm dort nicht besser ergehen würde. Doch O konnte ihm die Sorge nehmen. „Ich werde mich persönlich darum kümmern, dass es A gut gehen und er nicht zum Versuchskarnickel wird. Versprochen! Also gut, jetzt müssen wir uns nur noch gut überlegen, wie wir A da rausholen, ohne sein Leben zu gefährden und Dr. Brown schnellstmöglich dingfest zu machen. Aber wenn A es tatsächlich schon seit zwei Wochen immer wieder geschafft hat, das Institut problemlos zu verlassen, dann könnte man die Tatsache nutzen, wenn Beyond ein Treffen mit ihm arrangiert und in der Zwischenzeit werden L und ich dafür sorgen, dass Dr. Brown festgenommen wird.“ Der Plan hörte sich wirklich gut an. Blieb nur zu hoffen, dass Andrew da auch wirklich mitspielte. Nachdem, was vorhin passiert war, konnte es gut möglich sein, dass er sich nicht mehr mit Beyond treffen wollte. Aber sie mussten es auf einen Versuch ankommen lassen. Wichtig war es jetzt, ihn so schnell wie möglich aus dem Institut rauszuholen und dafür zu sorgen, dass jemand anderes seine medizinische Betreuung übernahm, sollte der Gedankenschaltkreis nicht richtig funktionieren. Und außerdem musste Dr. Brown unbedingt festgenommen werden.

Flucht aus dem Institut

Andrews Kopf war bleischwer und er wusste zuerst nicht mehr genau, was passiert war und als er die Augen öffnete, lag er in seinem Bett. Ja richtig, dachte er und erinnerte sich langsam wieder. Frederica hatte zu ihm gesprochen und dann war er ohnmächtig geworden. Er wollte aufstehen, doch sein ganzer Körper tat so fürchterlich weh, dass er es kaum schaffte. Insbesondere sein Rücken und seine untere Körperhälfte wurden von entsetzlichen Schmerzen gepeinigt. Wie lange war er denn weggetreten gewesen? Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass er fast den ganzen Tag bewusstlos gewesen war. Na zumindest hatte er den Rest nicht mehr miterleben müssen, was Dr. Brown mit ihm gemacht hatte. Dafür hatte Frederica gesorgt gehabt. Nur mit Mühe schaffte er es, sich irgendwie aufzusetzen und fand dabei auf dem Nachtschränkchen neben seinem Bett eine Zeitung und dazu eine Notiz. Wozu lag denn eine Zeitung hier? Auf der Notiz stand in Dr. Browns Handschrift geschrieben Du solltest besser aufpassen, mit wem du dich einlässt, Andrew. Er ist gefährlich! Nun war er noch verwirrter und verstand nicht so wirklich, wen Dr. Brown denn damit meinte. Nun, um das herauszufinden, musste er den Zeitungsartikel lesen. Mit großer Anstrengung gelang es ihm, seine müden Augen dazu zu bringen, die kleinen Buchstaben zu entziffern und selbst als er den Artikel las, brauchte er eine ganze Weile, um zu registrieren, worum es da ging. „FBI-Agentin schnappt im Alleingang gefährlichen Serienmörder. BB-Mörder endlich gefasst.“ BB-Mörder? Was war das denn für eine schräge Bezeichnung für einen Serienmörder? Andrew las sich den Artikel weiter durch und als er den Namen las, der ihm so vertraut war, durchfuhr ihn ein leiser Schreck und er war wie erstarrt. Er konnte und wollte nicht glauben, was da in der Zeitung geschrieben stand, aber es konnte sich unmöglich um einen Tippfehler handeln. Und eine Verwechslung konnte auch nicht vorliegen, denn wie viele Menschen auf der Welt hießen denn schon Beyond Birthday? Und es stand eindeutig drin, dass er sich Rue Ryuzaki genannt hatte. Andrew konnte es nicht fassen und ließ die Zeitung sinken. Beyond war ein Serienmörder geworden? Aber… er hatte doch dafür gesorgt, dass „Rue Ryuzaki“ seine destruktive Seite unter Kontrolle hat und er sich somit beherrschen konnte. Aber wenn er sich wirklich Ryuzaki genannt hatte, dann ließ das nur den Schluss zu, dass er bei Verstand gewesen war, als er diese Leute umgebracht hatte. Das konnte doch nicht wahr sein, oder? Was sollte denn noch alles über ihn hereinbrechen? Erst dieses ganze Gefühlsdrama und die Sache mit Dr. Brown und jetzt erfuhr er, dass sein bester Freund ein Serienmörder war und sogar ein 13-jähriges Mädchen brutal ermordet hatte. Er konnte es einfach nicht fassen und wusste nicht, was er davon halten sollte. Warum nur hatte Beyond das getan? Wie konnte er nur so etwas Furchtbares tun und…
 

„Andrew…“
 

Er hörte wieder Fredericas Stimme. Offenbar wollte sie mit ihm reden. Aber in dieser Situation wusste er nicht, ob er es überhaupt schaffte und jetzt im Moment hatte er auch keinen Kopf dafür. Doch andererseits hatte Frederica ihm immer beigestanden und ihm geholfen, selbst in ihrer mehr als katastrophalen Verfassung. Also verschob er die Sache mit Beyond fürs Erste, nahm zwei Schmerztabletten ein und wartete, bis diese anfingen zu wirken, damit er sich wenigstens vernünftig bewegen konnte. Trotzdem hatte er das Gefühl, als wäre sein ganzer Körper unter eine Dampfwalze geraten. Er zog sich an und machte sich auf dem Weg ins Untergeschoss in die Sicherheitszelle, wo Frederica lag. Sie sah heute noch schlimmer aus als die Tage davor. Ihr Gesicht wirkte wie ausgezehrt und sie hatte deutlich abgebaut. Wahrscheinlich, weil sie sich wieder überanstrengt hatte, um ihm zu helfen. Oder wahrscheinlich hatte sie schon wieder eine OP gehabt. Fast täglich wurde an ihr herumgeschnitten und an ihrem Gehirn untersucht. Ihre roten Augen waren trüb und glasig und sie so zu sehen, tat ihm schon weh. Nur seinetwegen hatte sie wieder ihre Kraft eingesetzt und war daraufhin von diesen entsetzlichen Schmerzen gepeinigt worden, welchen diese schreckliche Maschine sie aussetzte. Und doch kehrte ein kleiner Glanz in ihre ausdruckslosen Augen zurück, als sie Andrew sah. „Du wolltest mich sprechen?“ Sie antwortete zuerst nicht, sondern starrte wieder zur Decke. So wie sie es immer tat, wenn sie alleine war. Dann aber bemerkte sie „Du siehst wirklich furchtbar aus, Andrew. Tut mir Leid, dass ich dir nicht viel früher helfen konnte. Aber… sie haben mir schon wieder was rausgenommen und da habe ich es nicht gleich geschafft.“

„Du kannst doch nichts dafür. Was haben sie dir denn nun rausgenommen?“

„Eine Niere und einen Teil der Leber. Meine Gebärmutter, meine Eierstöcke und ein paar andere Sachen bin ich ja auch schon losgeworden und Knochenmark haben sie mir gleich auch entnommen. Die übliche Prozedur also. Irgendwann gewöhnt man sich daran. Aber ich will jetzt auch nicht herumjammern. Nicht, wenn es dir so bescheiden geht. Du hör mal, ich wollte dir sagen, dass du noch ein Mal das Institut verlassen musst.“ Andrew sah sie entgeistert an und hatte zuerst den Eindruck, sie wolle ihn verarschen. Das konnte sie doch nicht wirklich von ihm verlangen nachdem, was gestern geschehen war. Was würde denn als Nächstes passieren, wenn er Dr. Brown wieder wütend machte? „Das… das kann ich nicht tun, Frederica. James war schon so sauer gewesen, weil ich wieder abgehauen bin. Was glaubst du wohl, macht er beim nächsten Mal mit mir? Ich kann das nicht tun!“

„Du musst es aber“, entgegnete sie und ihr Blick traf wieder den seinen. Der goldene Ring in der Iris ihres linken Auges funkelte beinahe magisch. „Vertrau mir. Das alles hier wird endlich vorbei sein, wenn du noch einmal gehst. Und keine Angst, ich werde nicht zulassen, dass er dir wieder so wehtut, Andrew. Sollte er es wagen, dann werde ich ihn töten.“

„Und wie willst du das anstellen? Selbst wenn, du würdest selber dabei draufgehen.“

„Ich kenne genug Wege, um Menschen zu töten. Ich habe damals schon seinen Vater umgebracht, weil er Nastasja und Henry ermordet hat, weil diese mich beschützen wollten. Ich töte normalerweise keine Menschen. Aber auch schon beim Nowgorod-Massaker haben sie mir keine Wahl gelassen. Immerhin haben sie meine Familie vor meinen Augen abgeschlachtet. Und ich dachte, schlimmere Menschen als Iwan und die Opritschnina würde es nicht geben. Aber… jeder Mensch besitzt eine grausame Seite, das liegt leider in ihrer Natur. Das ist eine Wahrheit, die wir akzeptieren müssen. Immerhin hatte Beyond auch damit zu kämpfen. Er hat immerhin seinen besten Freund damals verloren und wurde von seiner eigenen Mutter fast getötet.“ Also wusste sie es. Sie wusste das mit dem Zeitungsartikel und hatte es ihm einfach verschwiegen. Andrews Hände ballten sich zu Fäusten. „Wieso hast du mir das nicht gesagt? Warum verschweigst du mir, dass Beyond ein Mörder ist?“ „Ich will ihm nicht das Recht nehmen, seine Taten selber zu erklären. Du weißt nicht, wie es ihm in den letzten zehn Jahren ergangen ist und was er dir zuliebe verschwiegen hat, damit es dir nicht noch schlechter geht.“ Trotzdem war Andrew wütend, dass Frederica ihm so etwas verheimlicht hatte. Was bezweckte sie nur mit ihrer Geheimnistuerei und wieso wollte sie von ihm, dass er schon wieder das Institut verließ, wenn er doch sowieso Dr. Brown wütend machen würde? Und das wollte er nicht. Er wollte den Menschen, der ihn ins Leben zurückgeholt hatte, nie wieder so sehr enttäuschen. Fredericas glasige Augen betrachteten ihn eine Weile und es war unmöglich festzustellen, was sie gerade dachte oder fühlte. So oder so war etwas Derartiges schwer zu sagen, da sie vollkommen starr da lag und sie nicht ein Mal lächelte oder überhaupt einen Muskel bewegte. Und würde sie nicht blinzeln, sähe sie gänzlich wie tot aus. „Andrew, es tut mir wirklich leid, aber ich halte es einfach für das Beste, wenn du mit ihm darüber sprichst und die Sache klärst. Er hatte seine Gründe, auch wenn sie schwer nachzuvollziehen sind. Aber er hat sehr gelitten in all der Zeit, als du nicht da warst und er hat sich völlig in seinem Hass verloren. Deshalb hat er Dinge getan, die unverzeihlich sind, weil sich sein Hass gegen alles und jeden richtete.“

„Und du willst allen Ernstes, dass ich schon wieder rausgehe und damit riskiere, dass James schon wieder sauer wird? Ich kann das nicht tun, Frederica. Ich hab ihn so oft schon enttäuscht, obwohl er mir das Leben zurückgegeben hat.“

„Du bist ihm keinerlei Rechenschaft schuldig und du schuldest ihm weder Dank oder sonst irgendetwas“, unterbrach sie ihn und ihr Ton klang schon fast aufgebracht. Obwohl ihr Gesicht starr und ausdruckslos war, so klang sie dennoch furchtbar aufgewühlt und klang so, als würde sie gleich an die Decke gehen. Und so hatte Andrew sie noch nie in den letzten zehn Jahren erlebt, in denen er sie kannte. „Er hat dir so wehgetan und dich grün und blau geschlagen. Das kannst du doch nicht wollen, Andrew. Du hast etwas Besseres verdient.“

„Das sagst du so einfach, aber du müsstest doch selbst wissen, wie schwer es ist, endgültig von hier wegzukommen. Ich habe nirgendwo einen Ort, wo ich hingehen kann und James ist der Einzige, der sich um mich kümmert. Ich kann das nicht.“

„Das sagst du nur, weil er dir das eingeredet hat. Und wir beide sind doch gar nicht miteinander zu vergleichen. Ich bleibe hier, weil ich auf den richtigen Augenblick warte, an dem ich endlich hier fortgehen kann. Bis dahin ertrage ich diese ganzen Prozeduren freiwillig, weil ich etwas Wichtiges zu tun habe. Und bis es soweit ist, werde ich nicht zulassen, dass James dich weiterhin so sehr quält. Andrew, bitte geh und besuch Beyond noch ein einziges Mal, ja? Tu es für mich und ich verspreche dir, dass alles besser werden wird.“ Es war deutlich zu hören, wie wichtig Frederica die ganze Sache offenbar war und nachdem sie ihm schon so oft geholfen und ihm beigestanden hatte, konnte er ihr diese Bitte doch wohl schlecht abschlagen. Aber er hatte schon Angst. Angst davor, was für eine grausame Strafe folgen würde, wenn er schon wieder sein Wort brach. Was würde James ihm als nächstes antun? Doch wenn Frederica sich so sicher war, dass ihm nichts passieren würde, dann musste er ihr wohl oder übel vertrauen. „Warum machst du das alles eigentlich für mich?“

„Na weil wir beide Freunde sind, oder etwa nicht? Und ich kann einfach nicht mit ansehen, wenn James die Lage von Menschen wie dich ausnutzt, um sich wie Gott aufzuführen. Niemand hat das Recht, Macht über andere Menschen auszuüben und ihre Lage schamlos auszunutzen. Weder James, noch ich oder sonst irgendjemand. Und deshalb will ich sehen, was ich tun kann, um dir zu helfen.“

„Aber… wenn ich gehe, bin ich ganz alleine. Ich habe niemanden und ich kann nirgendwo hin.“ Unglücklich ließ er den Kopf sinken und seufzte niedergeschlagen. Er sank auf einem Stuhl nieder und hatte das Gefühl, gleich zusammenzubrechen. Frederica schwieg eine Weile, aber dann hörte er eine Melodie. Es war ein vertrauter und beruhigender Klang, der ihm so bekannt vorkam. Es war Fredericas Lied, das sie immer zu singen pflegte, um jemanden zu trösten und auch Andrew Kraft zu geben. Es war eine Sprache, die er noch nie zuvor gehört hatte und die auch so fremd klang. Und obwohl er nicht verstand, was diese Worte bedeuteten, so hatte er das Gefühl, als würde diese Melodie ihm seinen Seelenfrieden geben.
 

„Sonoyo lomi lo

Kaya shaka lu kiya ba mali malo

Ehdra maki e sulu haiteh

Graiya mi eshi eshi e

Ka thaliaka sa ak'goloha

Ehvi liu ma dra u

Prehshti ka u

Toteh saju kimi va lei lei lu
 

Olo dragu olo dragu Eva

No luneh vali usa
 

Nevu usa mali

Noleh sulu baleh sulu baleh Eva

No lu nehvali usa

Nevu usa mali malo...
 

Hanannai hanannai ya...

Hanannai hanannai ya…

Hanannai hanannai ya…“
 

Es war verrückt, aber dieses Lied wirkte so beruhigend auf ihn, dass er mit einem Male sogar glaubte, seine Schmerzen seien fort und er fühlte sich wirklich erleichtert in diesem Moment, als wäre eine schwere Last von ihm genommen worden. So erging es ihm immer, wenn Frederica dieses Lied sang. „Was ist das eigentlich für ein Lied?“ „Das habe ich aus meiner Heimat, bevor ich nach Russland kam. Ich kann mich ehrlich gesagt nicht mehr erinnern, wer es mich damals gelehrt hat, aber ich habe es immer gesungen, wenn jemand in meiner Nähe traurig war. Und es hat die Leute glücklicher gemacht. Ich denke, es hängt damit zusammen, weil mein Gedankenschaltkreis, also meine biologische Seele mit jedem Menschen auf dieser Welt harmoniert und ich damit mit jedem auf dieser Welt synchronisieren kann. Dadurch kann ich mit dir kommunizieren und weiß deshalb auch, was die Leute um mich herum denken und fühlen, oder wo sie sich aufhalten. Aber da ich an dieser Maschine angeschlossen bin, kann ich kaum noch Einfluss ausüben. Deshalb kann ich mit meinem Lied nur jenen helfen, die hier sind. Ich hoffe, es hat dich wenigstens ein bisschen trösten können.“ Andrew lächelte schwach, dann stand er auf, beugte sich zu dem kränklich wirkenden Albinomädchen rüber und küsste sie auf die Stirn. „Was wäre ich nur ohne dich, Frederica? Wahrscheinlich wäre ich ohne dich schon längst zusammengebrochen.“ Hier kehrte ein klein wenig Leben in sie zurück und tatsächlich schaffte sie es, ganz schwach zu lächeln. Es war nur ein schwaches Lächeln, aber Andrew stand kurz davor, in Tränen auszubrechen, als er sie sah und vor allem die Tränen in ihren Augenwinkeln. „Ich bin immer für dich da, Andrew. Deshalb wirst du niemals alleine sein. Glaub mir, du wirst dein Glück in dieser Welt finden und dann werde ich auch eines Tages endlich wieder nach Hause zu meiner Familie zurückkehren können.“

„Du vermisst sie sehr, oder?“

„Ja. Aber ich weiß, dass es ihnen gut geht, auch ohne mich und das ist das Wichtigste für mich. Solange alle anderen sicher sind, geht das hier schon in Ordnung und ich hatte sowieso vor, hierzubleiben weil ich noch etwas sehr Wichtiges zu tun habe. Weißt du, ich muss einige meiner Fehler wieder gut machen. Allein meinetwegen hat Nastasjas Kind seine Familie verloren und ich mache mir bis heute noch Vorwürfe deswegen. Deshalb will ich auch nicht, dass du versuchst, mich hier rauszuholen, klar? Geh und triff dich mit Beyond und rede mit ihm. Um mich mach dir mal keine Gedanken, ich komm schon klar.“

„Trotzdem werde ich dich ziemlich vermissen, Frederica. In all den Jahren warst du die einzige Freundin, die ich hatte. Die Einzige, mit der ich reden konnte, selbst als ich im Koma lag. Werden… werden wir uns eines Tages wieder sehen?“

„Natürlich werden wir das, das verspreche ich dir!“ Andrew gab ihr noch einen Kuss zum Abschied, dann verließ er die Zelle und fühlte sich nicht gerade sonderlich wohl dabei, einfach zu gehen und sie zurückzulassen. Immerhin musste sie teilweise noch mehr leiden als er. Sie wurde unerträglichen Schmerzen ausgesetzt und ihr Körper hatte bereits so schwere Schäden davongetragen, dass sie sich wahrscheinlich nie wieder bewegen konnte. Schlimmstenfalls würde sie für immer ans Bett gefesselt bleiben für den Rest ihres Lebens. Und obwohl es ihr so viel schlechter ging, kam er immer wieder zu ihr und weinte sich bei ihr aus. Und anstatt, dass sie sich über ihr eigenes Los beklagte, hörte sie ihm aufmerksam zu, spendete ihm Kraft und Trost und war für ihn da. Und er ließ sie einfach so zurück… Was war er denn für ein mieser Freund? Schon wieder ließ er einen Freund einfach im Stich, genauso wie vor zehn Jahren. Aber… was hatte er denn für eine Wahl? Frederica wollte unbedingt, dass er ging und er konnte ihr diese Bitte nicht abschlagen, wenn das ihr Wunsch war. Und er hatte nicht die Möglichkeit, sie mitzunehmen. Ohne die lebenserhaltenden Maschinen würde sie binnen weniger Minuten sterben und bewegen konnte sie sich auch nicht. Er musste sie zurücklassen, das wussten sie beide. Wenn sie schon nicht das Institut verlassen konnte, dann wenigstens er, das war ihr Wunsch. Andrew ging noch ein letztes Mal zurück in sein Zimmer, zog sich seine Jacke an und nahm noch zwei von den Schmerztabletten ein, die restlichen nahm er mit. Wenn er ehrlich war, wusste er nicht, was er denn überhaupt machen sollte, wenn er draußen war. Beyond hatte doch schon jemanden, der ihm wichtig war und an ihn konnte er sich doch wohl kaum wenden. Außer ihm hatte er doch niemanden außerhalb des Instituts, wie stellte sich Frederica das denn eigentlich vor, wie das funktionieren sollte? Sein Platz war im Institut an James Brown’s Seite, so sah die Realität nun mal aus. Es gab sonst keinen Platz in dieser Welt, wo er hingehörte. Und was wollte Beyond denn bitteschön tun, wenn er das mit Dr. Brown erfuhr? Wollte er ihn etwa auch umbringen? Das durfte einfach nicht passieren. Er durfte nicht zulassen, dass Beyond ihm etwas antat.

Ein stechender Schmerz durchfuhr seine Schulter, als er die Jacke anzog und er biss sich auf die Unterlippe. Sein gesamter Rücken tat weh und er konnte die Arme kaum heben. Nun wollte er natürlich wissen, wie schlimm es denn nun aussah und legte erst einmal die Jacke beiseite und zog seinen Pullover aus. Und als er die unzähligen blauen Flecke auf seinem Rücken, an seinen Armen und auf seiner Brust sah, wurde ihm schlecht. Dass es so schlimm aussah, hätte selbst er nicht gedacht. Das war seine Strafe gewesen, weil er sein Wort gebrochen hatte. Kaum auszudenken, was folgen würde, wenn er es schon wieder tat. Womöglich würde Dr. Brown ihm vielleicht noch den Kiefer oder ein paar Knochen brechen. Die bis dahin schlimmste Strafe war Andrew ereilt, als er sich kurz vor seinem Treffen mit Beyond rausgeschlichen hatte. Da hatte Dr. Brown ihn fast zwei Tage in eine kleine Kiste eingesperrt, in der er sich nicht mal einen Millimeter hatte bewegen können, bis er das Bewusstsein verloren hatte, als er in Panik verfallen war. Und noch viele andere Dinge hatte er ihm angetan, weil er ihn bestrafen musste. Trotzdem tue ich es immer wieder, dachte Andrew und verstand sich im Moment selbst nicht. Wieso laufe ich eigentlich noch davon? Das ist doch kompletter Schwachsinn. Ich müsste doch eigentlich längst kapiert haben, dass ich es endlich bleiben lassen sollte. Mein Platz ist an James’ Seite, das ist doch nun mal Fakt. Da Beyond mich nicht mehr liebt, habe ich keinen Grund mehr, das Institut zu verlassen und James kümmert sich gut um mich. Er ist der einzige Mensch, der so jemanden wie mich lieben kann. Und dennoch… dennoch ist Frederica der festen Überzeugung, dass ich da draußen glücklich werden könnte. Woher will sie das denn wissen? So jemanden wie mich kann man doch nicht lieben.

Mit Mühe gelang es Andrew, seinen Pullover und seine Jacke anzuziehen und war schon dabei, das Zimmer zu verlassen, da stand Dr. Brown im Türrahmen und sah ihn mit diesem Blick an, welchen der 25-jährige besonders fürchtete. „Du gehst weg? Hast du etwa deine Lektion nicht gelernt, Andrew?“ Instinktiv wich er zurück und brauchte eine Weile, um überhaupt Worte zu finden. „Ich… ich wollte mich nur mit Beyond treffen und ihn zu dieser Sache in der Zeitung befragen.“

„Lüg mich nicht an“, entgegnete der Neurologe und packte ihn am Arm, was besonders schmerzte, da auch dieser von blauen Flecken übersät war. „Du willst zu diesem Psychopathen, weil du mich töten lassen willst, ist es das? Ich schenke dir das Leben und du willst mich umbringen.“ „Nein James, das ist es nicht. Lass los, du tust mir weh.“ Doch da schlug Dr. Brown auch zu und traf ihn ins Gesicht. Andrew fiel zu Boden und schrie vor Schmerz auf, da er auf den Rücken fiel. Sogleich kam sein Peiniger auf ihn zu und löste schon seinen Gürtel, da blieb er plötzlich abrupt stehen, verzog das Gesicht vor Schmerz und presste eine Hand gegen die Schläfe. Er stöhnte gequält und sank in die Knie, während ihm ein Blutrinnsal aus der Nase lief. Andrew war wie erstarrt und sah, wie Dr. Brown zusammenbrach und das Bewusstsein verlor. Dann hörte er plötzlich eine vertraute Stimme.
 

„Los doch, Andrew. Lauf endlich weg!“
 

Frederica… Sofort kam er auf die Beine und rannte davon. Er ließ den bewusstlosen Dr. Brown da liegen und lief, so schnell er konnte. Keiner machte Anstalten, ihn aufzuhalten. Lediglich das Wachpersonal wurde aufmerksam und wollte ihn festhalten, doch dann brachen auch diese genauso zusammen wie Dr. Brown und so gelang Andrew mit knapper Not die Flucht aus dem Institut. Nun gab es kein Zurück mehr für ihn…

Der Zusammenbruch

Beyond hatte bereits versucht gehabt, Andrew zu erreichen, aber dieser ging einfach nicht an sein Handy. Dann aber hatte er überraschenderweise eine Nachricht von ihm bekommen, dass er sich mit ihm treffen wollte. Also hatte er L Bescheid gegeben, der sich in der Zwischenzeit mit V besprach. Dieser hatte seine Unterstützung zugesagt, um das Institut zu stürmen und Dr. Brown umgehend festzunehmen. L konzentrierte sein Augenmerk auf Dr. Brown und Beyond sollte sich derweil um Andrew kümmern. Hoffentlich ging auch alles gut, denn es stand zur Befürchtung, dass dieser von Dr. Brown manipuliert wurde und wahrscheinlich nicht gerade kooperativ sein würde. In dem Falle müsste er sich irgendetwas überlegen, denn er wollte Andrew nicht wehtun oder ihn mit Gewalt von diesem Kerl wegholen. Ungeduldig wartete er an der Stelle, wo er sich zuletzt von ihm verabschiedet und wo dieser ihn geküsst hatte. Falls es dazu kommen sollte, dass Andrew weglief, würde O bereit stehen, der inzwischen schon längst eingetroffen war und im Hintergrund blieb. Sie waren also auf alles Erdenkliche vorbereitet und hoffentlich lief auch alles glatt. Beyond wollte nur ungern Gewalt anwenden, um Andrew von diesem Dr. Brown wegzuholen, aber wenn dieser auf stur schaltete und nicht mit sich reden ließ, dann musste er ihn dazu zwingen. „Beyond!“ Der Serienmörder wandte sich nach links und sah tatsächlich Andrew auf ihn zukommen. Er lächelte und winkte ihm zu, aber man sah schon von weitem, dass etwas passiert sein musste. Offenbar konnte er sich nur mit Mühe bewegen und er hatte eine Verletzung im Gesicht. Wahrscheinlich war er schon wieder geschlagen worden. Auch sonst sah er fürchterlich aus. Sein Gesicht war fast leichenblass und eingefallen, außerdem hatte er Augenringe und sah aus wie eine lebende Leiche. Es schockierte Beyond, ihn so zu sehen und er wollte sich lieber nicht vorstellen, was sein bester Freund hatte durchmachen müssen, nachdem er schon von O erfahren hatte, welch kranke und perverse Fantasien dieser Dr. Brown hatte. Trotzdem ließ er sich erst mal nichts anmerken und ging zu ihm hin und grüßte ihn. „Hey Andy, wie schaut’s aus?“ „Ganz gut soweit, ich kann mich nicht beklagen.“ Ein guter Schauspieler war er ja schon immer gewesen, dachte Beyond und beobachtete ihn genau. Aber selbst ein Blinder sieht, dass du lügst. Warum nur tust du so, als wäre nichts gewesen? Wieso nimmst du diesen Kerl in Schutz, Andrew? Warum? Sag es mir! „Sorry, dass ich mich nicht schon früher melden konnte, aber ich musste noch einige Untersuchungen hinter mich bringen und die haben eben etwas gedauert. Und bei dir alles in Ordnung?“

„Wie man’s nimmt. Ich hatte mir ehrlich gesagt wirklich große Sorgen um dich gemacht, nach der Sache gestern.“

„Ach was, schon okay! Ich freue mich wirklich für dich, dass du glücklich bist.“ Andrew setzte sich auf die Bank und Beyond nahm ebenfalls Platz. Er betrachtete seinen besten Freund besorgt. Was tat ihm dieser Psychopath nur an, dass er sich kaum bewegen konnte, ohne Schmerzen zu haben? Und wie lange hatte Andrew das schon ertragen müssen? „Du sag mal Andy“, begann er schließlich nach einigem Zögern und sah ihn ernst an. „Willst du wirklich bei diesem Dr. Brown im Institut bleiben?“ „Wieso fragst du?“ Der Rothaarige war verwirrt über diese Frage und schien nicht recht zu verstehen, wieso Beyond so etwas wissen wollte. Dieser erklärte es ihm. „Ich habe mich über diesen Kerl schlau gemacht und ehrlich gesagt hab ich echt Angst um dich. Allein sein Vater hat zwei Menschen ermorden lassen, um an die Pläne für den elektrischen Gedankenschaltkreis zu kommen und er selbst scheint auch einigen Dreck am Stecken zu haben. Ich sehe doch, dass du dich vor Schmerzen kaum bewegen kannst und ich weiß, dass der Kerl eine kranke Fantasie hat und auf so etwas abfährt. Durch Recherchen konnte O herausfinden, dass der feine Dr. Brown eine krankhafte Vorliebe für Gewalt und Vergewaltigungsvideos hat.“ Eigentlich wollte er nicht direkt mit der Tür ins Haus fallen, aber seinen besten Freund so zu sehen, ließ ihn sein Vorhaben vergessen und leider half das nicht gerade. Andrew ging sofort auf Distanz und blockte ab. „So ein Quatsch. James ist zwar manchmal etwas cholerisch, aber er ist nicht so. Er ist gut zu mir und dass er mal die Beherrschung verloren hat, war sowieso meine Schuld, weil ich mich nicht an die Vorschriften gehalten habe.“ Fassungslos schüttelte Beyond den Kopf und packte Andrew am Arm, woraufhin dieser vor Schmerz das Gesicht verzerrte. „Verdammt noch mal, Andy! Hörst du dich überhaupt selbst reden? Du kannst dich kaum bewegen und woher soll das denn sonst kommen? Dieser Kerl misshandelt dich doch und wer weiß, was er dir noch alles antut. Ich will dich vor ihm beschützen, okay? Ich will dir helfen, von diesem Dr. Brown wegzukommen, damit er dir nichts mehr antun kann.“

Doch Andrew riss sich los, stand auf und machte einen Schritt zurück. Er schüttelte den Kopf und sein Lächeln war längst gewichen. Stattdessen wirkte er wütend und aufgebracht. „Wie kannst du nur so etwas über James sagen? Er hat mir das Leben zurückgegeben und mir bei der Reha geholfen. Ich brauche keine Hilfe, kapiert? Besonders nicht von einem Killer!“ Beyond erstarrte, als er das hörte. Andrew wusste also von seiner Vergangenheit als BB-Mörder? Ob dieser Dr. Brown etwa damit zu tun hatte? „Hat dir das dein feiner Herr Doktor erzählt?“

„Jetzt lenk nicht vom Thema ab, klar? Ich erfahre heute erst durch einen alten Zeitungsartikel, dass du drei Menschen umgebracht hast und dich dabei Rue Ryuzaki genannt hast. Also komm mir nicht erst damit, dass du einen Rückfall hattest, ich kenne deine andere Seite genau und weiß, dass diese nicht so eiskalt und berechnend vorgeht. Wieso hast du das getan, Beyond? Warum bringst du ein kleines Mädchen um?“ Beyond seufzte und kratzte sich am Hinterkopf. Irgendwie verlief alles nicht gerade wie geplant und so aufgebracht, wie Andrew gerade war, würde das hier noch echt schwierig werden. „Das ist nicht so einfach zu erklären.“ „Ach ja? Dann versuch es. Ich bin echt gespannt, was dich dazu bringt, so etwas zu tun. Dass du die Menschen hasst, das weiß ich selbst, aber ich hätte nie gedacht, dass du so etwas tust.“ Irgendwie hatte Beyond den Eindruck, als versuche Andrew mit dieser Geschichte mit aller Macht von Dr. Brown abzulenken und ihn dadurch in Schutz zu nehmen, indem er auf seinen besten Freund so dermaßen einschoss. Wieso nur tat er das? Der Kerl hatte sie doch nicht mehr alle. „Ich habe die BB-Mordserie begangen, weil ich mich an L rächen wollte, weil ich ihm die Schuld gab, dass du dich damals vom Dach gestürzt hast. Und ich wollte das letzte Opfer dieser Mordserie sein, weil ich nicht mehr leben wollte. Ich habe mich so verloren gefühlt und wollte L dadurch zu Boden stürzen, indem ich ihm einen unlösbaren Fall gebe und dass er mit der Schuld leben muss, dass aufgrund seiner Unfähigkeit Blut an seinen Händen klebt. Aber dann kam diese FBI-Agentin und hat meinen Tod noch verhindert. Hast du es jetzt kapiert? Ich habe diese Mordserie begangen, weil ich L nicht verzeihen konnte, weil er der Grund war, dass du immer so unglücklich warst und ich dachte immer, er sei der Grund, wieso du Selbstmord begangen hattest. Er hatte mir den Menschen genommen, den ich liebte und er hat mir darüber hinaus meinen besten Freund genommen und dafür wollte ich ihn vernichten und ihn sogar töten.“ Andrew ließ unglücklich den Kopf sinken, als er das hörte und wirkte so bemitleidenswert und hoffnungslos in diesem Moment, dass es Beyond fast das Herz brach, ihn so zu sehen. „Ich… ich hatte keine Ahnung, dass du wegen mir so leiden musstest. Dabei dachte ich, dass es dir besser geht, wenn ich endlich tot bin und dass du dann glücklich wirst ohne mich. Aber… stattdessen tue ich immer nur allen weh und enttäusche sie nur. Egal wer es auch ist. Ich kann es einfach nie richtig machen.“ Er zwang sich wieder zum Lächeln, doch er konnte nicht verhindern, dass ihm die Tränen flossen. So hatte er das letzte Mal kurz vor seinem Selbstmord ausgesehen. „Ich bin wirklich das Letzte. Ich spiele zuerst mit deinen Gefühlen und wegen mir hast du so sehr gelitten und bist sogar zum Mörder geworden.“

„Red doch keinen Quatsch. Dass ich diese Menschen getötet habe, war allein meine Entscheidung und du konntest nichts dafür. Und glaub mir, ich würde nie wieder diesen Fehler machen. Ich bin nicht stolz darauf, was ich getan habe und ich muss nun mal mit dem leben, was ich getan habe. Aber… das alles ändert nichts an der Tatsache, dass ich dein bester Freund bin und dir helfen will.“ Er wollte wieder einen Versuch machen, sich ihm anzunähern, doch sofort reagierte Andrew wieder abweisend und nahm wieder Abstand von ihm. „Kapier es doch endlich, Beyond. Ich brauche keine Hilfe. Es ist alles in Ordnung mit mir und überhaupt: was kümmert es dich denn, wenn du doch schon jemand anderen in deinem Leben hast. Da ist doch sowieso kein Platz für mich. Also hör auf, dich in meine Angelegenheiten einzumischen.“ Irgendwie kam Beyond diese Szene bekannt vor. Ja genau, er hatte damals ebenso gedacht, als er bei Rumiko und Jamie gelebt hatte. Die beiden waren glücklich zusammen und er hatte sich wie das fünfte Rad am Wagen gefühlt und geglaubt, für ihn gäbe es keinen Platz mehr bei ihnen. Und außerdem hatte er Angst gehabt, Rumiko wieder etwas anzutun, nachdem er ihr ein Messer in den Bauch gerammt hatte, als er einen Rückfall in seine manische Seite erlitten hatte. Doch er hatte sich geirrt. Rumiko würde immer für ihn da sein und ihm helfen, selbst nachdem sie mit Jamie verheiratet war und bald Mutter werden würde. Und nun musste er Andrew davon überzeugen, dass er nicht alleine war. „Das ist doch Quatsch. Nur weil ich jetzt in einer Beziehung bin, heißt das noch lange nicht, dass ich nicht für dich da sein werde. Und hätte ich gewusst, was dieser Bastard dir antut, hätte ich dich da schon viel früher weggeholt.“

„Es ist aber niemand gekommen! Niemand wusste, dass ich lebe und selbst wenn, dann hätte es doch sowieso niemanden gekümmert. Was passiert ist, das ist passiert und James ist nur deshalb so ausfallend geworden, weil er enttäuscht von mir war und ich bin nur deswegen hergekommen, weil ich es jemandem versprochen habe und weil ich wissen wollte, wieso du zu einem Mörder geworden bist. Du hast nicht das Recht, dich in mein Leben einzumischen oder Entscheidungen zu fällen, was das Beste für mich wäre. Also hör auf damit, so über James herzuziehen und über mein Leben zu bestimmen.“

„Warum nimmst du den Kerl überhaupt in Schutz, wenn er dich grün und blau schlägt? Bist du so verzweifelt, dass du allen Ernstes denkst, du müsstest bei ihm bleiben?“ Andrew wurde das alles zu viel. Er wollte das nicht mit anhören. Wenn Beyond seine Gefühle zurückwies, dann hatte der sich gefälligst nicht in sein Leben einzumischen. Er hatte sein eigenes Leben gelebt und jetzt, nachdem sie sich nach zehn Jahren wiedersahen, musste er nicht meinen, er könnte bestimmen, was das Beste wäre. Und obwohl Andrew wusste, dass sein bester Freund mit seinen Vorwürfen gegen Dr. Brown Recht hatte, wollte er es nicht wahrhaben. Immer noch war der Gedanke so präsent, dass er außer Dr. Brown und dem Institut sonst nichts hatte und deshalb auf ihn angewiesen war. Deshalb konnte er nicht zulassen, dass Beyond so sehr über seinen Wohltäter herzog. „Du hast doch keine Ahnung, Beyond. James hat sich immer um mich gekümmert und mir das Leben geschenkt und ich bin ihm dafür sehr dankbar.“

„Jetzt wach doch mal auf, Andy. Dieser Kerl manipuliert dich doch nur und das mit dem Zeitungsartikel war doch nur ein Versuch, einen Keil zwischen uns beide zu treiben. Für ihn bist du nichts Weiteres als ein Versuchskaninchen oder ein Spielzeug. Glaub mir, ich habe am eigenen Leib erfahren müssen, wie solche Typen ticken! Für mich war das auch die Hölle gewesen und ich wäre am liebsten gestorben, aber ich hab es rausgeschafft und ich will dir auch helfen. Noch ist es nicht zu spät, Andy. Ich kenne jemanden, der bereit ist, die Wartung des Gedankenschaltkreises zu übernehmen, wenn es das ist, was dich davon abhält.“ Doch Andrew stand auf und wollte gehen. Er schüttelte den Kopf und wollte nur noch weg. In dem Moment konnte er einfach nicht mehr an sein Versprechen denken, das er Frederica gegeben hatte. Weder Beyond noch sonst irgendjemand hatte das Recht, sich in sein Leben einzumischen und zu bestimmen, mit wem er sich abgeben sollte oder nicht. Der BB-Mörder hielt ihn am Arm zurück und wollte gerade etwas sagen, doch da durchfuhr ein rasender Schmerz seinen Kopf und er hörte plötzlich nichts mehr um sich herum. Ein heftiges Dröhnen übertönte wirklich alles, sodass er Beyonds Worte nicht verstand. Was war denn jetzt los? Hatte der Schaltkreis etwa eine Störung? Andrew presste eine Hand gegen seinen Kopf und verzog das Gesicht. Es tat so weh und vor seinen Augen begann es zu flimmern.
 

„Nein Andrew, ich lasse nicht zu, dass du zurückgehst! Es tut mir leid, aber du zwingst mich leider dazu.“
 

Was zum Teufel machte Frederica da nur mit ihm? Warum nur tat ihm auf einmal der Kopf so weh und was passierte da gerade überhaupt mit ihm? Alles um ihn herum begann sich zu drehen, ihm wurde schwarz vor Augen und das letzte, was er spürte war, wie Beyond ihn festhielt, als er bewusstlos zusammenbrach.

Der Serienmörder hielt den Bewusstlosen im Arm und versuchte noch irgendwie, ein Lebenszeichen von ihm zu bekommen. Zwar verrieten ihm seine Shinigami-Augen, dass er noch lebte, aber trotzdem hätte sein Herz beinahe einen Schlag ausgesetzt, als Andrew einfach so zusammengebrochen war. Und als keine Reaktion von ihm kam, begann er nach Oliver zu rufen, welcher in der Nähe geblieben war. Dieser kam gleich schon herbeigeeilt. „Ach du Scheiße“, bemerkte er, wobei er aber bei weitem gefasster blieb und eher den Eindruck machte, als wäre Andrews Zusammenbruch nicht die Welle. „Was ist denn mit ihm passiert?“ „Keine Ahnung. Er hat sich plötzlich an den Kopf gefasst und ist ohnmächtig geworden. Ich fürchte, da stimmt was nicht mit dem Schaltkreis.“ Beyond legte Andrew vorsichtig auf die Bank, damit sich Oliver selbst ein Bild machen konnte. Der schien wirklich die Ruhe selbst zu sein und ließ diesen Vorfall wie eine harmlose Kleinigkeit erscheinen. Seelenruhig holte er ein Gerät heraus, gab irgendetwas ein und drückte es Andrew vorsichtig gegen den Hinterkopf. Oliver war ungefähr so groß wie Beyond und sein schwarzes Haar hatte er zu einem Zopf gebunden. Er war durch rein gar nichts aus der Ruhe zu bringen und legte nicht selten einen eigenartigen Humor an den Tag und konnte mit seiner sorglosen und lockeren Art hin und wieder mal seine Mitmenschen auf die Palme bringen. Doch dass er in dieser Situation so ruhig blieb, machte es einfacher, Andrews Zustand genau zu bestimmen und richtig zu handeln. „Alles Bestens“, sagte er schließlich und steckte das Gerät wieder ein. „Der GSK funktioniert einwandfrei, es ist wahrscheinlich nur die Erschöpfung oder der Stress. Kein Grund, sich ins Höschen zu machen. Na komm, bringen wir Dornröschen erst mal weg, bevor er sich noch eine Erkältung holt.“ Damit brachten sie Andrew ins Auto und wurden natürlich von einigen Fußgängern dumm angestarrt. Wirklich verdenken konnte man es ihnen ja nicht. Sie sahen ja auch irgendwie danach aus, als wollten sie gerade jemanden kidnappen. „Mensch, du bist ja auch wirklich einer. Bei dir fallen die Männer wohl scharenweise in Ohnmacht, oder?“ Leider war Oliver in mancher Hinsicht genauso frech wie Beyond und das vertrug sich leider überhaupt nicht! „Sehr witzig“, grummelte der Serienmörder und legte den bewusstlosen Andrew vorsichtig auf den Rücksitz von Olivers Auto. „Deine dummen Kommentare kannst du dir sparen.“

„Ja, schon gut. Nur nicht gleich aus der Haut fahren, Prinzesschen. Also, was sollen wir jetzt mit ihm machen?“

„Wir bringen ihn zu meiner Schwester. Sie kennt sich mit psychologischen Sachen besser aus als ich und hat für so etwas auch ein ruhigeres Händchen. Sie wird schon wissen, was zu tun ist.“ Nachdem Oliver sich hinters Steuer gesetzt hatte, fuhren sie los. Oliver pfiff die meiste Zeit die Melodie der Songs nach, die im Radio gespielt wurden, doch ihm entging nicht, dass Beyond ziemlich bedrückt war. Irgendwann hörte er mit dem Pfeifen auf und sagte „Wenn ich eines nicht mag, dann sind das lange Gesichter. Also sag schon, was liegt dir quer im Magen?“ Beyond schwieg und sah zu Andrew, der wirklich furchtbar aussah. „Ich verstehe einfach nicht, wieso er diesen Doktor in Schutz nimmt und sich gar nicht helfen lassen will. Dabei hat er allein schon höllische Schmerzen, wenn man ihn nur am Arm anfasst.“

„Das menschliche Gehirn war mir sowieso schon immer ein Rätsel, selbst als ich mal sechs Monate in der Pathologie war und genug Gehirne in der Hand und auch auseinandergeschnibbelt hatte. Aber irgendwie kann ich das schon verstehen. Der gute A war alleine und ist auf den Doc angewiesen. Da entsteht eben ein Abhängigkeitsverhältnis und er glaubt dann eben halt, dass er dort bleiben muss. Eigentlich verhält er sich wie jede Ehefrau, die regelmäßig vom Ehemann verdroschen wird. Erst gibt’s Prügel, dann kommt die große Entschuldigungsnummer und die Liebesbeteuerungen. Zuckerbrot und Peitsche eben. Man kann’s erst wirklich verstehen, wenn man selbst in der Situation war.“

„Aber als ich in Clears Gewalt war, ist mir das nicht passiert.“

„Bei dir waren es ja auch nur ein paar Stunden, aber A ist schon seit zehn Jahren bei diesem Doc und es sind andere Umstände. Deshalb lassen wir ihn mal von deiner hübschen Schwester durchchecken um zu sehen, was in seiner Rübe kaputt ist.“

„Okay, aber in ihrer Gegenwart bist du lieber still. Sie kann Männer nicht ausstehen, vor allem nicht jene, die an Frauen interessiert sind und so vorlaut sind wie du.“ Doch Oliver grinste nur amüsiert darüber und erklärte „Kein Problem, ich bin zweigepolt, hab aber in der letzten Zeit genug Frauengeschichten gehabt und erst mal genug von denen.“ Das half leider auch nicht wirklich weiter und Beyond befürchtete, dass es noch ziemlich Krach zwischen Oliver und Rumiko geben würde. Und in ihrer Schwangerschaft konnte sie das nicht wirklich vertragen. „Du sag mal Oliver, wieso engagierst du dich plötzlich so für Andrew? Normalerweise sind dir die anderen doch egal und du arbeitest für gewöhnlich nur, wenn du Lust dazu hast.“

„Ich war früher genauso wie er, wenn du dich noch erinnerst. Damals hatte ich auch gedacht, das Leben sei nicht lebenswert. Aber… als ich damals Elijah getroffen habe, da hat er mir gezeigt, dass man das Leben leben sollte, wie man es will und solange man es kann. Und das Leben ist viel zu kurz, um immer nur traurig zu sein. Er hat mir meinen Lebensmut zurückgegeben und mir das Leben gerettet. Deshalb will ich auch A’s Leben retten. Weißt du, es gibt zwei verschiedene Arten, ein Menschenleben zu retten: vor dem Tod an sich und vor dem inneren Tod. Und Elijah hat mich damals vor beidem gerettet, bevor er gestorben ist. Und ich will A vor seinem inneren Tod retten und ich glaube, dass ich der Einzige bin, der von euch dazu in der Lage ist, weil ich in fast der gleichen Situation war. Deshalb weiß ich auch, wie ich ihn am besten anzupacken habe. Du willst ihn ja nur in Luftpolsterfolie und Watte einwickeln, L ist nicht der Typ für so etwas und H hat genug um die Ohren. Ich werde mich sowieso noch mit L besprechen, dass ich A’s Betreuung gänzlich übernehmen und ihn bei mir zuhause einquartieren werde. Ich weiß schon, wie ich ihn wieder auf die Beine kriege.“ Na hoffentlich konnte man Oliver auch vertrauen. Denn bei seinem Verhalten machte er nicht gerade den Eindruck, als wäre er wirklich vertrauenswürdig. Und er war auch nicht gerade dafür bekannt, dass er zuverlässig war. Es war das Beste, er besprach sich mit L, wie sie weiter verfahren sollten. „Hoffentlich ist es V und seinen Leuten gelungen, diesen Bastard festzunehmen. Wenn ich den in die Finger kriege, hack ich ihm eigenhändig die Hände ab, damit er Andrew nie wieder schlagen kann.“

Ein Recht zum Leben

Andrew hörte eine vertraute Melodie, als sein Bewusstsein langsam wieder zurückkehrte. Ein Lied in einer Sprache, die er nicht kannte, doch genauestens zuordnen konnte. Es war Fredericas Lied. War er etwa wieder zurück im Institut, oder hatte er das alles nur geträumt? Nein, das war nicht Fredericas Stimme, die da sang. Sie war etwas älter, wenn auch sie nicht weniger wunderschön klang. Was ihm zudem noch auffiel war, dass er in einem Bett lag. Langsam öffnete er die Augen und spürte plötzlich eine Hand auf seiner Stirn. Eine bildschöne blonde Frau beugte sich über ihn und sah ihn mit Augen an, die genauso rot waren wie Beyonds. Feine asiatische Gesichtszüge machten dieses Bild nur noch schöner und Andrew blieb zuerst die Sprache weg. Wer war diese Frau? „Hey, alles in Ordnung. Du bist zusammengebrochen und Beyond hat dich hierher gebracht. Mein Name ist Rumiko, ich bin seine Schwester. Nun ja, Adoptivschwester trifft es eher.“ Sie war es also, die Fredericas Lied gesungen hatte? Aber… woher kannte sie dieses Lied? Und was wollte diese Frau von ihm? „Was… was willst du von mir?“ „Keine Sorge, ich beiße nicht. Nur, wenn du frech wirst. Beyond hat mir von eurem Streit erzählt und er bat mich, ein wenig zu helfen. Weißt du, er geht viele Dinge nicht gerade auf die sanfteste Art an und macht es einem nicht sonderlich einfach, ganz normal zu reden. Und besonders bei solchen Themen reagiert er sehr heftig, weil er selbst sehr schlimme Dinge durchleben musste. Er ist von einem alten Bekannten aus dem Waisenhaus, der sich Clear nennt, entführt, gefoltert und vergewaltigt worden. Deshalb hat er vorhin überreagiert und ich dachte, es ist das Beste, wenn ich als außenstehende Person mit dir darüber rede. Ich bin zwar bloß Musiklehrerin, aber auch studierte Psychologin und deshalb sehe ich so einige Sachen anders und kann Beyond helfen, dich besser zu verstehen.“ Diese Frau war Beyonds Adoptivschwester? Nun gut, damals hatte er schon gehört, dass sie ziemlich hübsch und klug sei, aber dass sie so umwerfend aussah, hätte er nicht gedacht. Und irgendwie hatte sie so eine sanfte und beruhigende Art und ihre Stimme hatte etwas Vertrautes an sich. Er konnte nicht erklären, wieso das so war. Irgendwie erschien sie ihm wie eine liebevolle Mutter, dabei war sie gerade mal ein Jahr älter als er. Sie reichte ihm schließlich ein Glas Wasser und eine Tablette. „Hier, die ist gegen die Kopfschmerzen. Und keine Sorge, ich möchte dich zu rein gar nichts drängen. Ich möchte nur helfen, dass es dir besser geht und dass Beyond dich besser versteht, das ist alles.“
 

L und Beyond hatten sich im Wohnzimmer hingesetzt und besprachen sich miteinander, während Oliver noch ein paar Dinge zu klären hatte. Die Stimmung war sehr bedrückt und das zu Recht. Denn so wie V am Telefon berichtet hatte, war das Institut bereits verlassen gewesen. Es war vollkommen leergeräumt und selbst L war es ein Rätsel, wie Dr. Brown das alles in so kurzer Zeit schaffen konnte und wie es ihm gelungen war, komplett unterzutauchen. Sie hatten wirklich gehofft gehabt, dass dieser Dr. Brown endlich gefasst werden konnte, doch nun war er einfach verschwunden und keiner konnte sich so wirklich erklären, wie er die Lunte gerochen haben konnte. Beyond hatte den Verdacht, dass sich der feine Neurologe schon so seinen Teil gedacht hatte, als Andrew abgehauen war und sich mit seinem besten Freund treffen wollte, der ein gefährlicher Serienmörder war. Da musste er es eben mit der Angst zu tun bekommen haben. Auch L hielt das für nicht ganz so abwegig, allerdings konnten sie sich nicht ganz so sicher sein. Wenigstens war es ein Teilerfolg, dass es ihnen gelungen war, Andrew in Sicherheit zu bringen. Doch Beyond ging es nicht wirklich gut, denn er hatte die unzähligen Verletzungen auf Andrews Körper gesehen. Die blauen Flecke, die Spuren von Fesseln und einige andere alte Narben. Er war in einer wirklich miserablen Verfassung und eigentlich war es ein Wunder, dass er sich so hatte bewegen können. „So eine verdammte Scheiße“, murmelte der BB-Mörder und aß ein wenig Erdbeermarmelade, um das alles irgendwie besser verdauen zu können. „Wenn ich den Kerl finde, werde ich ihm den Arsch mit einer Kettensäge aufreißen. So viel steht fest. Der wird es bitter bereuen, dass er Andrew so etwas angetan hat.“ L schwieg, denn auch er ärgerte sich, dass es ihm nicht gelungen war, Dr. Brown festnehmen zu lassen und er rätselte immer noch, wie es ihm binnen so kurzer Zeit gelungen war, das Institut zu verlassen, ohne auch nur Spuren zu hinterlassen. Immerhin war das gesamte Gebäude komplett leergeräumt und das war eigentlich vollkommen unmöglich gewesen, denn immerhin war es eindeutig dasselbe Institut gewesen, zu welchem Beyond Andrew zuvor begleitet hatte. Irgendwie lief das alles nicht mit rechten Dingen zu und bis er diesen Dr. Brown gefunden hatte, musste Andrews Sicherheit gewährleistet werden. „Glaubst du, dass Rumiko etwas finden wird?“

„Mit Sicherheit. Immerhin kriegt sie uns doch auch jedes Mal wieder auf die Spur. Geben wir ihr einfach etwas Zeit, dann wird sie es schon schaffen. Aber was hat denn O noch so dringend zu besprechen?“

„Er muss dem Vorsitzenden des Vention-Konzerns Bericht erstatten und ihn über die neuesten Entwicklungen in Kenntnis setzen. Außerdem muss ja noch geklärt werden, was mit Andrew geschehen soll. Immerhin muss jemand die Wartungen des Gedankenschaltkreises durchführen und seinen gesundheitlichen Zustand im Auge behalten. Er will dafür sorgen, dass er mit der Aufgabe betraut wird, damit Andrew zur Ruhe kommt und nicht schon wieder in einer Einrichtung landet.“

„Wenigstens etwas. Aber ich frage mich, wie Andrew wohl reagieren wird, wenn er erfährt, dass Dr. Brown abgehauen ist und ihn einfach zurückgelassen hat. Das wird er wahrscheinlich nicht verkraften. Und außerdem müssen wir dich gleich irgendwie verstecken. Was Andrew jetzt überhaupt nicht gebrauchen kann, ist noch eine Hiobsbotschaft nach der ganzen Scheiße, die er durchgemacht hat. Sonst wird alles nur noch schlimmer.“ L nickte und trank einen Schluck Tee mit extra viel Zucker. Irgendwie war diese ganze Situation mehr als frustrierend und da ging es ihm nicht anders als Beyond. Dass Dr. Brown entkommen war, stellte in seinen Augen eine Niederlage dar und er war eben ein schlechter Verlierer in der Hinsicht. Aber so schnell würde er sich nicht geschlagen geben. Er würde diesen Kerl schon finden. Der konnte sich doch nicht innerhalb von zwei Stunden komplett in Luft aufgelöst haben. Schließlich nahm Beyond seine Hand und betrachtete ihn nachdenklich. „Wir werden das schon alles hinkriegen, L. Aber ich möchte dir trotzdem für die Hilfe bedanken. Ich weiß, dass das alles nicht einfach für dich ist, vor allem wegen Andrew.“ Doch L schüttelte nur den Kopf und entgegnete „Ich sagte doch, dass es meine Pflicht ist, dass ich einschreite, wenn sich ein Verbrechen vor meinen Augen zuträgt.“

„Trotzdem finde ich das wirklich bewundernswert, dass du Andrew hilfst. Dafür bin ich dir wirklich dankbar.“ Und damit gab Beyond ihm einen kurzen, aber dennoch liebevollen Kuss. „Und wenn das hier alles vorbei ist, dann werde ich dich schön überraschen.“ Beyonds Grinsen war wieder zurück und L schüttelte den Kopf, dann drückte er den Kopf seines Lovers erst einmal weg. „Ich ahne nichts Gutes bei deinem perversen Grinsen und ich sage dir jetzt schon: nein, ich mache es nicht in der Küche mit dir, vom Auto ganz zu schweigen.“ „Du bist aber auch verdammt hartnäckig, mein Lieber. Na gut, wir verschieben diese Idee fürs Erste. Ich hab noch genügend andere Sachen, mit denen ich dich ärgern kann.“ Ich hab’s geahnt, dachte L und seufzte kopfschüttelnd. Dieser Knallkopf konnte aber auch wirklich nur an denselben Blödsinn denken. „War ja klar, dass dieser Kommentar von dir kommen muss.“

„Ach komm schon, L. Ich hab dich doch nur ein kleines bisschen ärgern wollen, das ist alles. Sag mal, beschäftigt dich die Sache mit Andrew eigentlich immer noch?“ Tatsächlich machte L das Ganze noch zu schaffen, besonders, nachdem er erfahren hatte, dass Andrew Gefühle für Beyond hatte. Da war es kein Wunder, dass er nicht wirklich begeistert war, wenn Beyond sich so für seinen besten Freund und seine ehemals große Liebe einsetzte. „Es ist nicht so, dass ich dir irgendetwas anhängen will, Beyond. Dir vertraue ich ja, das haben wir geklärt. Aber ich vertraue ihm nicht. Das ist alles.“ Als der Serienmörder das hörte, legte er einen Arm um L. Zwar hatten sie sich oft genug ausgesprochen, aber dennoch blieben da diese kleinen Restzweifel bei L und eigentlich war das ja auch natürlich. Immerhin war Andrew Beyonds erste große Liebe und er engagierte sich sehr für ihn, da konnte man L nicht verdenken, dass er nicht gerade begeistert war. „Kopf hoch, L. Sobald es Andrew besser geht und Oliver sich um ihn kümmert, werde ich wieder genug Zeit für dich haben.“ Schließlich wurde die Tür geöffnet und Rumiko kam herein. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war sie bereits zu einem Ergebnis gekommen. Sie ließ sich von Watari eine heiße Milch mit Honig bringen und sammelte sich erst einmal. „Und?“ fragte Beyond schließlich. „Was ist mit ihm?“ „Nun, Oliver führt noch eine Untersuchung mit ihm durch. Aber was sein Verhalten angeht, ist der Fall eindeutig: Andrew leidet am Stockholm-Syndrom. Er weist wirklich alle Anzeichen auf und es ist auch die einzig logische Erklärung dafür, dass er diesen Dr. Brown so energisch in Schutz nimmt und die Gewaltausbrüche entschuldigt. Zwar hat er mir nicht viel gesagt, aber ich konnte aus seinem Verhalten genug schließen. Wenn ich das so richtig verstanden habe, hat sich dieser feine Neurologe eine echt gute Masche zurechtgelegt. Er hat Andrew absichtlich aus dem Institut gehen lassen und immer, wenn dieser zurückkam, hat er ihn bestraft für sein Fehlverhalten. Und dabei muss er ihm auch eingeredet haben, dass sein Platz einzig und allein im Institut ist. Andrew begann irgendwann die Denkweise zu entwickeln, dass Dr. Brown nur Gutes für ihn will und selbst gar nicht diese Maßnahmen ergreifen will und er ihn mit seinem Fehlverhalten dazu zwingt. Und dieses Denken führte dazu, dass Andrew glaubte, dieser Doktor will ihn beschützen und würde ihn als einziger Mensch wirklich lieben können. Also sah Andrew diese grausamen Misshandlungen als seine eigene Schuld an und entwickelte den Wunsch, Dr. Brown zufrieden zu stellen und ihn nicht mehr zu verärgern. Aber ich glaube, dass er tief in seinem Herzen immer noch von diesem Kerl weg will und auch Angst vor ihm hat. Er ist in einem inneren Konflikt gefangen und es wird nicht einfach werden, ihm zu helfen. Ich würde vorschlagen, dass ein Traumapsychologe herangezogen wird. Meiner Einschätzung nach wird Andrew therapeutische Hilfe benötigen, um das alles zu verarbeiten und aus diesem Abhängigkeitsdenken herauszukommen. Alleine wird er das garantiert nicht schaffen und es gibt vieles, was er aufzuarbeiten hat. Und Traumapsychologen sind für solche speziellen Fälle besser geschult.“ Das Stockholm-Syndrom. Dieser Begriff war ihnen bestens bekannt und L hatte etwas in der Art schon befürchtet. Das passte einfach zu gut zusammen. „Und wie wirkte er sonst auf dich?“

„Sehr verunsichert, depressiv und er scheint so gut wie gar kein Selbstwertgefühl zu besitzen. Das wird noch ziemlich viel Arbeit werden, ihn wieder aufzubauen. Er ist eben der Typ Mensch, der denkt, er müsse es immer allen recht machen und wenn er das nicht kann, ist er für die Gesellschaft nicht von Wert. Damit setzt er sich selbst enorm unter Druck und ist dadurch sehr verunsichert und hat große Angst vor dem Versagen, oder andere zu enttäuschen. Das wird noch viel Fingerspitzengefühl erfordern. Und ihr meint wirklich, dass dieser Oliver das tatsächlich packt?“ Rumiko hatte ihn nur kurz getroffen, konnte ihn aber nicht sonderlich leiden, vor allem nicht wegen seines Charakters. Denn schon als sie sich das erste Mal begegnet waren, musste Oliver einen ziemlich miesen Anmachspruch vom Stapel lassen und hatte es sich damit augenblicklich bei ihr verscherzt. Das ließ sie ihn auch deutlich spüren, aber das kümmerte den Cyberterroristen überhaupt nicht. Er zuckte nur gelassen mit den Schultern und sagte nichts Weiteres dazu. Schließlich fragte Rumiko „War er schon im Waisenhaus so gewesen?“ „Ja, aber so schlimm wie jetzt war es damals nicht.“ Die Musiklehrerin nickte bedächtig und dachte nach. „Ich vermute, dass der Grund für seinen depressiven und labilen Charakter weiter in der Kindheit zurückliegt. Vermutlich hängt es mit dem Tod seiner Eltern zusammen, oder aber es ist dieses eine Erlebnis, worüber er nicht gerne sprechen will.“

„Welches Erlebnis?“ fragte L und war neugierig geworden. Doch Rumiko konnte nicht viel darüber sagen, da war Beyond der bessere Ansprechpartner und dieser erklärte es ihm. „Bevor Andrew in unser Waisenhaus kam, ist er in einem anderen aufgewachsen. In einer Nacht wurden sämtliche Kinder getötet, danach brannte das Heim nieder und Andrew war der Einzige, der dies überlebt hatte. Man hat bis heute nicht herausfinden können, wer der Mörder war und Andrew spricht auch nicht gerne darüber.“

„Ich vermute, dass wahrscheinlich das der Auslöser für seine argen Selbstzweifel ist“, erklärte Rumiko und trank noch einen Schluck von ihrer heißen Milch, bevor sie fortfuhr. „Wenn er mit angesehen hat, dass all die Kinder getötet wurden, während er sich verstecken konnte, muss er sich Vorwürfe machen, dass er damals unfähig gewesen war, die anderen zu retten. Und im Laufe der Zeit begann sich dieses Denken immer weiter bei ihm zu verstärken, sodass er sich wirklich für alles die Schuld gibt, was falsch läuft und mit ihm zu tun hat. Er glaubt, dass er es nicht verdient hat, dass er damals als Einziger überlebt hat und deshalb versucht er mit allen Mitteln, eine Bestätigung für seine Daseinsberechtigung zu finden. Das war zuerst, dass er dein Nachfolger wird, L. Als das gescheitert ist, sah er seine Existenzberechtigung darin, dass er an Beyonds Seite bleibt, doch wegen dieser Vorgeschichte glaubte er, auch darin gescheitert zu sein und damit steigerte er sich in den Glauben hinein, dass er kein Recht mehr zum Leben hat. Daraufhin brachte er sich um. Nun kommt Dr. James Brown ins Spiel: er holt Andrew zurück, gibt ihm die gewünschte Aufmerksamkeit und Zuwendung und vor allem gibt er ihm einen Grund, überhaupt am Leben bleiben zu dürfen: nämlich an seiner Seite zu sein und ihm zu gehorchen. Andrew kann nicht damit leben, dass seine Existenz für andere ein Problem darstellt und dieser heftige Wunsch, eine Aufgabe in dieser Welt zu haben, damit er weiterleben darf, hat ihn zu dem gemacht, was er jetzt ist. Wenn er für sich keinen Grund sieht, warum er für andere von Wert ist, hat er keine Daseinsberechtigung und darf deshalb nicht leben. Versteht ihr?“ L nickte bedächtig und begann an seiner Daumenkuppe zu kauen, während er grübelte. Er verstand zwar, warum Andrew so war und wieso er so depressiv und unsicher war, aber er konnte dieses Denken nicht wirklich nachvollziehen, dass man unbedingt eine Existenzberechtigung brauchte, um am Leben bleiben zu dürfen. Das war ihm einfach ein Rätsel. Selbst wenn es mit dem Massaker in diesem Heim zu tun hatte, war es doch nicht Andrews Schuld. Er hatte großes Glück gehabt, dass er das überhaupt überlebt hatte, da durfte er sein Leben doch nicht einfach so wegwerfen. Oder lag etwa darin sein Hauptproblem? Etwa weil er wusste, dass er als Einziger überlebt hatte und deshalb sein Leben nicht leichtsinnig vergeuden durfte? Womöglich sah er sich in der Pflicht darin, dass er der ganzen Welt einen Grund liefern musste, dass er weiterleben durfte, weil er in diesem Denken gefangen war, dass er es nicht verdient hatte, als Einziger überlebt zu haben. Wenn man es aus diesem Blickwinkel betrachtete, konnte man gut verstehen, wieso er so war wie er war. „Und du meinst, eine Traumatherapie wäre das Richtige für ihn?“ „Auf jeden Fall“, antwortete die Halbjapanerin entschieden. „Ich würde ja selber gerne helfen, aber in dem Fall braucht es einen speziell ausgebildeten Traumapsychologen und ich hab leider selber genug um die Ohren, weil ich demnächst noch Vertretungsunterricht für eine Kollegin machen muss. Aber ich denke, dass man ihm gut helfen kann, wenn er mit seiner Vergangenheit abschließt. So wie ich die Sache einschätze, ist diese Horrornacht im Heim sein momentan größtes Problem. Gleich danach folgen alle anderen. Wenn er mit dieser Heimgeschichte abschließen kann, wird es ihm leichter fallen, mit seinen anderen Problemen besser umzugehen. Das ist zumindest meine Ansicht. Aber er braucht jetzt sowieso erst einmal Ruhe. So wie er aussieht, muss er wirklich die Hölle durchgemacht haben. Ich muss jetzt aber auch langsam wieder nach drüben. Jamie wartet schon mit dem Abendessen auf mich.“ Damit verabschiedete sich die schwangere Musiklehrerin und versprach, demnächst wieder vorbeizuschauen. L und Beyond bedankten sich für die Hilfe und begleiteten sie noch zur Tür. „Wenn ich euch beiden noch einen Rat geben darf“, sagte sie noch an der Türschwelle und sah insbesondere Beyond dabei an. „Bringt ihm die Wahrheit bitte schonend bei und auch nicht gleich sofort. Er ist mit den Nerven völlig am Ende und das Letzte, was er braucht, ist noch mehr Aufregung. Ich habe ihm erst einmal etwas gesungen, damit er zur Ruhe kommt. Sollte aber etwas sein, sagt mir einfach Bescheid, ja?“ Sie versprachen es und damit ging Rumiko schließlich. Beyond und L gingen schließlich zurück ins Wohnzimmer und überlegten, was nun zu tun war. Die ganze Situation war nicht gerade einfach und sie mussten auch noch mit Oliver sprechen, ob er es auch wirklich schaffte mit Andrew. „Ich werde gleich mit O reden und fragen, was bei seinem Gespräch mit Vention herausgekommen ist. Außerdem werde ich mich mit dem FBI in Kontakt setzen, um diesen Dr. Brown zu finden.“

„Ist ja super. Wenn du Naomi Misora beauftragen willst, dann grüß sie schön von mir.“

„Den Teufel werde ich tun. Du hast versucht, ihr hinterrücks den Schädel einzuschlagen.“

„Immer musst du diese alten Kamellen aufwärmen. Die Gute lebt ja noch, also mach dir mal nicht gleich ins Hemd, Pandabärchen.“

„Und ich entsinne mich, dir schon mehrmals gesagt zu haben, du sollst mir keine Kosenamen geben.“ Damit kniff L ihn zur Strafe in die Nase, doch Beyond nahm das Ganze mit Humor. Zwar war das gerade nicht wirklich der beste Zeitpunkt dafür, aber er wollte L wenigstens ein bisschen aufmuntern und ihn von seinem Ärger ablenken. Es reichte schon, wenn er selbst mit der ganzen Geschichte zu kämpfen hatte, da sollte sich nicht auch noch L so dermaßen ärgern. Und das schien der Meisterdetektiv wohl zu merken, denn er lächelte und schüttelte den Kopf. „Du bist wirklich ein Knallkopf. Genauso wie deine Schwester manchmal.“

„Aber genau dafür liebst du mich doch.“ Damit gab Beyond ihm einen Kuss und umarmte ihn. „Weißt du was? Wenn ich mich um Andrew gekümmert habe, werde ich allein dir meine ganze Aufmerksamkeit widmen, L. Ich werde mal bei ihm nach dem Rechten schauen gehen und mal sehen, wie wir das alles regeln sollen und ob du entweder solange bei Rumiko unterkommen willst, oder ob ich Andrew woanders einquartiert kriege, damit er von uns nichts merkt.“ Damit wollten sie wieder ins Wohnzimmer gehen, doch als sie sich umdrehten, erstarrten sie beide sogleich, als sie Andrew sahen, der vor ihnen stand und vollkommen leichenblass war. Fassungslos sah der die beiden an und er sah aus, als hätte er einen Geist gesehen. Erst jetzt wurde Beyond klar, dass sein bester Freund alles gesehen haben musste und nun über alles Bescheid wusste. „Andy… ich… ich kann das…“

„Ich glaub es nicht“, brachte der Rothaarige hervor und ballte die Hände zu Fäusten. „Du bist allen Ernstes mit L zusammen?“

Harte Worte

Das war wirklich das Schlimmste, was ihnen in dieser Situation hatte passieren können. Sie hatten nicht aufgepasst und jetzt hatte Andrew sie gesehen. Und da er wirklich alles mitgekriegt hatte, konnten sie sich unmöglich herausreden. Andrew, der sowieso schon völlig angeschlagen und zudem emotional genug aufgewühlt war, hätte so etwas in dieser Situation unmöglich gebrauchen können. Beyond löste sich sofort von L und versuchte, das Ganze irgendwie zu retten. „Andy, bitte lass mich das in Ruhe erklären, ja? Ich wollte dich nicht belügen. Ich…“ „Du verdammter Mistkerl!“ Zum allerersten Mal nach zehn Jahren verlor der sonst immer so schüchterne und introvertierte Andrew, der sich sonst niemals seine wahren Gefühle anmerken ließ, völlig die Fassung und schlug Beyond ins Gesicht. Der Schlag hatte es in sich und benommen taumelte der BB-Mörder zurück und prallte mit dem Rücken gegen die Tür. Noch nie war Andrew so wütend geworden, dass er sogar zuschlug. Es schien so, als wäre endgültig die Obergrenze erreicht, was er noch stillschweigend ertragen konnte. Er konnte das alles nicht mehr mit einem Lächeln hinnehmen und einfach sagen, dass es okay sei. Nun war es einfach zu viel für ihn und all die aufgestauten Emotionen brachen hervor. Er zitterte am ganzen Körper und konnte die Tränen nicht zurückhalten. Aufgebracht hielt er Beyond am Kragen fest und drückte ihn gegen die Wand. „Wie konntest du mir das nur antun, Beyond? Ich dachte, wir sind Freunde und ich könnte dir vertrauen, stattdessen hast du dich einfach hinter meinem Rücken an den Menschen herangemacht, von dem du wusstest, dass ich ihn liebe. Und du lügst mir einfach so ins Gesicht.“ Andrew schaffte es nicht mehr, sich zurückzuhalten. All der Schmerz und all der Kummer brachen hervor und schluchzend ließ er den Kopf sinken, während er immer noch Beyond am Kragen festhielt. „In all den Jahren habe ich gedacht, wir wären Freunde und du warst der einzige Gedanke, der mich diese ganze Tortur durchhalten ließ. Während ich Ängste und Schmerzen ausgestanden habe, dachte ich immer daran, dass es besser werden wird, wenn wir uns wieder sehen und zusammen glücklich werden können. Und ich dachte, du warst immer ehrlich zu mir. Stattdessen machst du dich einfach so an L heran und lügst mir schamlos ins Gesicht.“

„Andy…“

„Hör auf damit! Ich will nichts mehr hören, was du mir zu sagen hast. Bei dir ist doch sowieso jedes einzelne Wort gelogen. Ich bin dir doch genauso egal wie all die anderen Menschen auf dieser Welt.“ Beyond schwieg und warf L einen stummen Blick zu und dieser sah, wie unglücklich der Serienmörder mit dieser Situation war. Das alles war wirklich ungünstig verlaufen und nun standen sie vor dem Scherbenhaufen. Andrew wusste nicht, was in den letzten zehn Jahren passiert war und was sein bester Freund hatte alles durchmachen müssen. Und er kannte die Umstände nicht, wie Beyond und L überhaupt zusammengekommen waren. „Andy, beruhige dich bitte. Es ist nicht so, wie du denkst.“ „Und wie ist es dann bitteschön? Ich hab doch Augen im Kopf und du hast doch gesagt gehabt, du würdest L hassen und hättest ihn am liebsten getötet. Aber das sah mir gerade nicht danach aus! Ich hab genug, ich kann das nicht mehr. Ich will auch nichts mehr hören, lasst mich in Ruhe!“ Andrew steigerte sich immer weiter in seine Emotionen rein und stand kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Beyond versuchte noch, ihn irgendwie zur Ruhe zu bringen, doch Andrew schlug seine Hand weg und rief aufgebracht „Fass mich nicht an!“ und wurde aggressiv. Es half alles nichts, sie mussten ihn schnellstmöglich beruhigen, bevor es noch schlimmer wurde und irgendetwas passierte. Oliver kam schließlich hinzu und hielt den aufgebrachten Andrew fest, während Beyond ihm ein Beruhigungsmittel verabreichte. Kurz darauf sank er zusammen und wurde ohnmächtig. Der Hacker hievte ihn hoch und trug ihn ins Wohnzimmer, woraufhin er ihn vorsichtig auf die Couch legte. „Oh Mann, das war ja gerade ein Theater. Und was jetzt?“ Beyond sah ein, dass er nicht drum rum kam, offen und ehrlich mit Andrew über alles zu reden, wenn er wieder bei Bewusstsein war. Jetzt war die Katze eben aus dem Sack, also musste er die Dinge in Ordnung bringen und versuchen, alles zu erklären. Auch L war nicht gerade glücklich mit dieser Situation und nur Oliver schien sich nicht großartig darum zu kümmern. „Ich hab übrigens mit dem Vorstand gesprochen. Sie vertrauen mir die Betreuung und die Wartungsarbeiten an, wenn ich regelmäßig meine Berichte hinschicke. Und ich dachte mir, dass es das Beste wäre, wenn wir Andrew bei mir zuhause einquartieren. Dort kann er zur Ruhe kommen, ich kann mich um ihn kümmern und gleichzeitig würde Dr. Brown ihn nicht so schnell finden, wenn er ihn suchen sollte. Hier kann er nicht bleiben, das ist ja wohl glasklar. Das wird ihn nur noch mehr fertig machen. Der Gute braucht erst mal Abstand und muss dann sein Leben in Ordnung bringen, sonst wird das nichts.“ Das stimmte ja alles, aber so ganz war Beyond noch nicht überzeugt, ob Andrew wirklich so gut bei Oliver aufgehoben war. Denn er hatte schon im Hinterkopf, dass der wohl unberechenbarste Abgänger aus Wammys House nur so lange etwas machte, wie es ihn auch interessierte. „Und woher wollen wir wissen, dass dein Interesse an Andrew nicht bloß eines deiner kurzweiligen Hobbys ist?“ Der Hacker lächelte gelassen und erklärte „Es gibt Unterschiede zwischen Hobby und Leidenschaft. Meine Hobbys wechsle ich am laufenden Band, weil es für mich einfach zu langweilig ist, immer nur bei einem zu bleiben, wenn es doch so viel auf der Welt gibt, was man als Hobby entdecken könnte. Aber meine Leidenschaften verliere ich nie aus den Augen. Und dazu gehört nicht nur meine Hackerleidenschaft. Überlegt es euch ruhig, ich lasse euch zwei Turteltäubchen mal die Sache hier klären, ich würde sowieso nur stören.“ Damit verabschiedete er sich mit seiner typischen gelassenen Art und seiner guten Laune. Kopfschüttelnd sah Beyond ihm nach. „Der Kerl ist mir einfach nicht geheuer.“

„Er weiß schon, was er tut“, erklärte L und schien bereits seine Entscheidung gefällt zu haben. „Was die Arbeit betrifft, ist er nicht gerade zuverlässig, das stimmt. Aber er hat verschiedene Gesichter und er hat ein großes Herz, auch wenn man es ihm nicht ansieht. Ich denke, dass Andrew gut bei ihm aufgehoben sein wird.“

Sie warteten, bis dieser wieder bei Bewusstsein und auch einigermaßen ansprechbar war. Da die Beruhigungsmittel noch nachwirkten, war er noch recht benommen und konnte sich dementsprechend auch nicht ganz so stark aufregen. Trotzdem sah er elend aus und die Enttäuschung und der Schmerz standen ihn ins Gesicht geschrieben. „Andy“, begann Beyond schließlich nach einigem Zögern. „Es tut mir alles so leid. Ich wollte nicht, dass du es so erfahren musst. Bitte lass mich die Sache erklären.“

„Wozu?“ fragte der Rothaarige mit hoffnungsloser Stimme und starrte mit trüben Augen ins Leere. „Was soll es schon an den Tatsachen ändern? Du hast mich einfach so hintergangen und mich schamlos angelogen, obwohl ich dir vertraut habe…“

„Beyond hat dich nicht hintergangen“, schaltete sich nun L ein, der offenbar helfen wollte, die Sache wieder geradezubiegen, denn immerhin betraf es auch ihn und er wollte Beyond in der Situation nicht alleine lassen. „Im Gegenteil, er hat jahrelang seine eigenen Gefühle verleugnet, weil er dir nicht in den Rücken fallen wollte. Stattdessen hat er begonnen, mich zu hassen, weil ich in seinen Augen der Grund für sein Unglück und für deinen Selbstmord war. Er wollte diese Gefühle nicht zulassen, weil er wusste, wie du fühlst und selbst nach deinem Tod konnte er sich nicht dazu überwinden. Ich war es gewesen, der verantwortlich war. Ich wollte Beyond helfen, mit seinem inneren Chaos fertig zu werden und wieder die Kontrolle über sich selbst zurückzubekommen, nachdem er in seine wahnsinnige Seite verfallen war.“ L erzählte die ganze Geschichte im Detail. Wie er Beyond gefunden hatte und wie sie sich immer wieder gestritten hatten. Auch ließ er die Geschichte mit der Isolationshaft nicht aus und wie sie zueinander gefunden hatten. Andrew schwieg und machte einen sehr apathischen Eindruck. Als L zu Ende erzählt hatte, verging einige Zeit, bis er schließlich eine Frage an Beyond stellte. „Und wieso hast du mir nicht von Anfang an die Wahrheit gesagt?“

„Wie hätte ich das denn machen sollen?“ erwiderte der Serienmörder. „Ich hatte Angst, dass du wieder Selbstmord begehen wirst, wenn du die Wahrheit erfährst. So wie du auf mich gewirkt hast, sahst du wirklich danach aus, als würdest du wieder an Selbstmord denken und ich wollte dich nicht schon wieder verlieren. Du bist mein bester Freund und ich könnte es nicht ertragen, dich noch einmal sterben zu sehen und zu wissen, dass es auch meine Schuld ist. Deshalb habe ich dir das verheimlicht.“ Andrew sagte nichts dazu. Er starrte ins Leere und schaffte es einfach nicht mehr, zu lächeln. Stattdessen ließ er nach all der Zeit endlich seinem Schmerz freien Lauf, um sich von dieser inneren Last zu befreien, die ihn nach und nach zu erdrücken begann und ihn in ein tiefes Loch der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit hinabzog. Schließlich lehnte er sich zurück und starrte zur Zimmerdecke hinauf. „Was soll ich bloß machen?“ fragte er mit kraftloser Stimme und eine Träne floss seine blassen Wangen hinunter. „Wofür habe ich all die Jahre ausgehalten? Wofür denn? James ist fort und ich weiß nicht, wo er ist und mein bester Freund ist mit meiner ersten großen Liebe zusammen. Was soll ich denn jetzt machen? Ich habe nichts mehr, rein gar nichts. Warum bin ich damals nicht einfach tot geblieben? Wieso musste ausgerechnet mir dieser verdammte Chip eingesetzt werden, wenn ich mein Leben doch sowieso nur von einer Katastrophe in die nächste steuere? Ich kann nicht mehr, ich bin müde und ich will das alles nicht mehr.“

„Sag so etwas doch nicht, Andy. Wir wollen dir helfen und wir werden dich nicht alleine lassen. Wir werden dafür sorgen, dass du nie wieder zu Dr. Brown zurückgehen musst und Oliver hat sich bereit erklärt, die Wartungen am Gedankenschaltkreis zu übernehmen und dafür Verantwortung zu tragen, dass du nie wieder in irgendeine Einrichtung gesperrt wirst.“

„Wofür soll ich das denn alles tun? Wofür soll ich bitteschön weiterleben, wenn ich doch eh nichts habe, wofür es sich zu leben lohnt?“

„Wenn man keinen Grund zum leben hat, muss man sich einen suchen“, erklärte L kurzerhand und wirkte bei weitem gefasster als Beyond, dem die trostlosen Worte seines besten Freundes wirklich an die Nieren gingen, weil Andrew zum ersten Mal endlich das aussprach, was ihn seit Jahren wirklich beschäftigte und was ihn so quälte. „Wenn man ganz unten angekommen ist, dann gibt es nur noch den Weg nach oben, aber dazu muss man auch gewillt sein, es nach oben zu schaffen. Sein Leben wegzuwerfen ist ein bequemer Ausweg und auch eine gewaltige Dummheit. Du hast die Chance bekommen, noch einmal dein Leben zu leben und es besser zu machen als damals. Du solltest es dir wirklich überlegen, ob du noch mal dein Leben wegwerfen willst, so wie damals, oder ob du dir Hilfe suchst und dein Leben in den Griff bekommst. Dann wirst du auch in der Lage sein, einen neuen Lebenssinn zu finden. Selbstmord bedeutet, vor dem eigenen Leben davonzulaufen und auch vor seinen eigenen Problemen. Es ist ein Akt der Feigheit und sonst nichts. Jeder auf dieser Welt hat sein Päckchen zu tragen und mit Problemen zu kämpfen. Auch für Beyond war es nicht leicht und er hat auch sehr gelitten und sich den Tod gewünscht, weil er den Verlust seines besten Freundes nicht verkraften konnte. Aber er hat nicht einfach so aufgegeben, sondern hat stattdessen das Beste aus der Situation gemacht und seine Vergangenheit hinter sich gelassen, um nach vorne zu sehen. Das Leben ist zu kurz, um nur in der Vergangenheit zu bleiben. Das gilt für jeden von uns. Wenn du meinst, dass du unbedingt Selbstmord begehen musst, dann mach es ruhig. Aber damit machst du nur wieder denselben Fehler wie damals und beweist nur, dass du ein unbelehrbarer Feigling bist.“

„L!“ rief Beyond aufgebracht, als er das hörte und packte ihn am Arm. „Das reicht jetzt. Andrew geht es schon schlecht genug, da braucht er nicht auch noch irgendwelche Vorwürfe zu hören.“

„Nein Beyond, er muss das jetzt hören. Ihn immer nur mit Samthandschuhen anzufassen wird auch nichts ändern. Sein Verhalten ist absolut egoistisch und rücksichtslos, weil er denkt, er würde der Welt einen großen Gefallen tun, wenn er stirbt und das geht mir auf die Nerven. Er denkt überhaupt nicht an die Gefühle jener, denen er wichtig ist und er hat nicht einen einzigen Gedanken daran verschwendet, wie schlecht es dir in all den Jahren ging, weil du wegen seinem Tod gelitten hast.“

„Das… das stimmt doch gar nicht“, erwiderte Andrew, doch es war nicht abzustreiten, dass er völlig verunsichert war und dass L’s Worte ihn sehr erschüttert hatten. „Ich weiß, dass ich Beyond verletzt habe und es tut mir auch Leid…“

„Wenn du gewusst hast, dass du Beyond verletzt hast, dann hättest du dich damals nicht direkt vor seinen Augen in den Tod gestürzt. Du denkst einfach nicht darüber nach, was du anderen mit deinem Verhalten antust, wenn du immerzu in deinem Denken gefangen bist, du müsstest sterben, weil du mit deinem Leben andere unglücklich machst. Mit deinem Tod machst du sie nur noch unglücklicher, aber das siehst du nicht, weil du die ganze Zeit nur auf dich selbst und dein Elend fixiert bist. Du bist so sehr in deinem Selbstmitleid gefangen, dass du nicht einmal die Motivation aufbringst, dir helfen zu lassen und dein Leben zu ändern, damit es dir besser geht. Und das geht mir auf die Nerven. Wenn du dich unbedingt umbringen willst, dann tu es, aber mach es dann, ohne andere Menschen mit hineinzuziehen, die rein gar nichts dafür können.“

„Jetzt reicht es aber wirklich“, rief Beyond und packte L am Kragen. Er ließ ihn ja für gewöhnlich so einiges durchgehen, aber dass er so auf Andrew eintorpedierte, war zu viel für ihn und er war stinksauer. Natürlich wusste er, dass der Meisterdetektiv nicht gerade gut auf Andrew zu sprechen war, aber dass er ihn in dieser Verfassung mit solchen Sachen kam und ihm dermaßen schwere Vorwürfe machte, war endgültig zu viel. „Sag das nicht noch einmal, dass er sich umbringen soll, L. Auch bei mir gibt es Grenzen und du solltest besser aufpassen, was du sagst!“ Beyonds Augen funkelten eiskalt und bedrohlich. Es war Rue Ryuzaki, oder besser gesagt die menschenfeindliche Seite von Ryuzaki. Und vor der sollte man sich besser in Acht nehmen. Gerade wollte Beyond noch einen nachsetzen, doch dann ging Andrew dazwischen. „Beyond, hör auf! Er hat doch Recht!“

„Nein, hat er nicht. Er redet mal wieder absoluten Scheiß!“

„Das stimmt nicht. Ich… ich hab mich damals nicht eine Sekunde lang gefragt, wie es dir dabei ging, als ich mit deinen Gefühlen gespielt habe und ich habe auch nicht daran gedacht, wie es dir dabei ging, als ich vom Dach gesprungen bin. Du warst immer für mich da und ich habe es nie gesehen und auch nie zu schätzen gewusst. Ich war ein wirklich mieser Freund in all der Zeit, da hat L vollkommen Recht. Und anstatt, dass ich etwas dagegen tue, jammere ich immer nur herum.“ Andrew schwieg einen Moment und sah L mit seinen matten Augen an, dann aber lächelte er traurig. „Ich sehe schon, wieso du mit ihm zusammen bist, Beyond. L kümmert sich sehr um dich und du bist ihm wirklich sehr wichtig. Er muss dich sehr lieben. Vielleicht… vielleicht wird mich auch mal jemand eines Tages so sehr lieben. Tut mir leid, dass ich immer so viele Probleme mache. Du hast Recht, L. ich sollte nicht bedauern, was nicht zu ändern ist, sondern das ändern, was zu bedauern ist. Und vom Herumjammern wird es auch nicht besser. Im Grunde stimmt es ja und es kann eigentlich nur noch besser werden. Aber dafür muss ich auch an mir arbeiten und versuchen, etwas gegen meine Depressionen zu tun.“ „Andy…“ Es waren plötzlich ganz neue Töne und Beyond konnte noch nicht so wirklich glauben, was er da gerade hörte. Unfassbar, aber L’s harte Worte zeigten tatsächlich Wirkung. Als wäre das wie eine Art Weckruf gewesen. Der BB-Mörder war sprachlos und sah seinen besten Freund überrascht an. „A-Andy… alles okay bei dir?“

„Nein. Aber ich glaube, ich habe endlich verstanden, was ich tun muss. Nun gut, dass du mit L zusammen bist, das ist für mich echt hart und es tut mir auch sehr weh. Aber du bist glücklich und das ist das Wichtigste bei der ganzen Sache. Zwar kann ich meine Gefühle für dich nicht einfach so abstellen und es ist nun mal Tatsache, dass ich dich immer noch liebe, aber ich will, dass wir eines Tages wieder Freunde sein können, wenn eine Beziehung zwischen uns beiden schon unmöglich ist. Du warst immer für mich da und ich will dich auch nicht als Freund verlieren.“ Eine Zeit lang schwieg er und faltete die Hände wie zum Gebet. Er wirkte müde und erschöpft. Schließlich, nach einer Weile sagte L „Es ist bereits alles arrangiert. Du wirst bei O unterkommen und er wird sich um die Wartung des Gedankenschaltkreises kümmern und dafür sorgen, dass du nicht mehr an Dr. Brown gerätst. Und sowohl er als auch wir werden dich unterstützen, wenn du Hilfe brauchen solltest.“ Wieder lächelte er müde und nickte. „Ich weiß, ich sollte glücklich darüber sein, aber irgendwie fällt mir der Gedanke schwer. Ich meine… ich werde James wahrscheinlich nie wieder sehen. Und obwohl er oft so brutal und grausam zu mir war, hatte er auch seine liebevollen und fürsorglichen Seiten. Eigentlich sollte ich froh sein, dass ich von ihm weg bin, aber am liebsten würde ich einfach nur heulen.“ Es war ein sehr harter Weg, den Andrew da hinter sich hatte und dass er völlig verunsichert war, konnte man ihm nicht verdenken. Und auch, dass er dem Leben mit Dr. Brown nachtrauerte, war nachvollziehbar nach alledem, was Rumiko ihnen erzählt hatte. Aber da musste er jetzt durch, denn es war ganz klar, dass er nie wieder zu diesem Kerl zurückkehren würde und wenn er dazu gezwungen werden musste. So wie es jetzt war, war es am besten und das musste er erst einmal realisieren, auch wenn es noch eine ganze Weile brauchen würde, bis er es auch selbst verstanden hatte. Schließlich erhob er sich und entschuldigte sich. „Ich fühl mich gerade nicht gut. Entschuldigt mich bitte, aber ich glaube, es ist das Beste, wenn ich mich ein wenig hinlege.“ „Okay, aber wenn etwas ist, dann sag es uns.“ Andrew versprach es und Beyond begleitete ihn ins Zimmer, wo sie ihn einquartiert hatten. Nach der ganzen Aufregung konnte man es ihm nicht verdenken, dass er völlig erschöpft war. Beyond begleitete ihn noch und als er zurückkam, sah er nicht weniger unglücklich aus. „Du hör mal, L. Sorry wegen meiner Reaktion vorhin. Ich hätte wissen müssen, dass du ihm nur helfen wolltest.“

„Schon okay. Ich kann dich ja auch verstehen. Aber da muss er jetzt durch. Glaub mir ruhig, es ist das Beste für ihn. Wenn er immer nur mit Samthandschuhen angefasst und bemitleidet wird, kommt er nie aus seinem Tief heraus und wird niemals lernen, der Realität ins Auge zu sehen, anstatt immer nur wegzulaufen. Dass er sich umbringt, wollte ich ja auch nicht.“

„Und wieso hast du es dann gesagt?“

„Deine Schwester gab mir den Ratschlag, weil sie wusste, dass ich die Sache ganz anders angehe als du. Dich hätte sie ja nie dazu gekriegt, so etwas zu sagen. Also habe ich einfach mal, wie man so umgangssprachlich sagt, auf den Tisch gehauen und ganz klar gesagt, was Sache ist. Er musste einfach mal mit der harten Realität konfrontiert werden, auch wenn das für ihn unangenehm ist. Aber es hat ja hervorragend funktioniert, oder etwa nicht? Zumindest scheint er jetzt endlich die Kraft und Motivation gefunden zu haben, sein Leben zu ändern.“ Beyond setzte sich zu L und legte einen Arm um ihn. Unglaublich, dass Rumiko hinter seinem Rücken solche Aktionen machte. Aber das passte ja auch wieder zu ihr. Immerhin wusste sie ja, dass er dazu neigte, Andrew zu beschützen, weil er Angst hatte, dass dieser wieder Selbstmord begehen würde. Da hatte sie eben L mit der Aufgabe betraut, mal Tacheles zu reden. „Rumi ist echt eine Klasse für sich.“

„In der Hinsicht seid ihr beide gleich.“

Beyond musste schmunzeln und schloss ihn in den Arm. „Ich kann es nicht oft genug sagen, L. Ich liebe dich wirklich…“

Endlich wieder alleine

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Ein letztes Gespräch

Knapp zwei Tage vergingen, bis Oliver zurückkehrte und wie immer gute Laune mitbrachte. Er kam knapp zwei Stunden zu spät zur verabredeten Zeit und brachte nicht einmal eine Erklärung mit, wieso er sich so dermaßen verspätet hatte. Als L ihn fragte, sagte er nur „Ich hatte da noch etwas Wichtiges zu erledigen.“ Und so fragte der Detektiv nicht weiter nach. Andrew, der noch ziemlich blass war und nicht gerade den glücklichsten Eindruck machte, kam in Begleitung von Jamie, da Rumiko arbeiten musste und keine Zeit hatte. Aber so schlecht war das nicht, denn so liefen sie nicht Gefahr, dass sich die Halbjapanerin mit Oliver in die Haare kriegte, mit dem sie sich nach seiner Anbaggerungsaktion überhaupt nicht verstand. Und Jamie war nicht wirklich fähig dazu, jemanden richtig zu hassen. Sie unterhielten sich und besprachen die Lage. Dass es L nicht gelungen war, Dr. Brown zu finden, erstaunte sie alle und auch Oliver stand vor einem Rätsel, wie es diesem Kerl bloß gelungen war, so schnell spurlos zu verschwinden und dann auch noch das gesamte Institut leerzuräumen. „Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich fast sagen, der Typ hat sich mitsamt der Einrichtung weggebeamt. Na was soll’s. Spätestens, wenn er wieder ins Netz geht, werde ich ihn schon finden. Dann kann er sich auf was gefasst machen.“ Andrew sagte nichts dazu, aber man sah ihm an, dass er immer noch innerlich kämpfte. Er war hin und her gerissen von seinem Wunsch, zu Dr. Brown zurückzukehren und so weit wie möglich von ihm wegzukommen, damit dieser ihn niemals finden würde. Zudem wirkte er ziemlich erschöpft und übermüdet und so wie Jamie erzählte, hatte er so gut wie gar nicht geschlafen und auch unter heftigen Alpträumen gelitten. Zwar versuchte er wie immer, sich nichts anmerken zu lassen und niemandem zur Last zu fallen, aber es machte leider allzu deutlich, dass er nicht nur körperliche Verletzungen davongetragen hatte. Und es würde noch eine lange Zeit brauchen, bis er wieder einigermaßen in Ordnung war. Nun, zumindest war Oliver optimistisch, dass er es schaffen würde, Andrew aufzumuntern und ihn wieder auf die richtige Spur zu bringen. Und auch L schien wenig Bedenken zu haben. Andrew selbst sah etwas unruhig in die Runde und wirkte sehr verkrampft. Verdenken konnte man es ihm nicht. Es wurde immerhin besprochen, was mit ihm passieren und wie seine Zukunft aussehen sollte. Und außerdem lag ihm noch die Tatsache schwer im Magen, dass L und Beyond ein Paar waren. Er würde noch eine ganze Weile brauchen, um das zu bearbeiten, auch wenn Rumiko wirklich viel Arbeit geleistet hatte, um ihn halbwegs wieder aufzubauen. Die meiste Zeit, wenn er nicht gerade im Bett gelegen und sich von seinen Verletzungen erholt hatte, vertraute er ihr sein ganzes Leid an und konnte somit endlich seinen aufgestauten Gefühlen freien Lauf lassen, was ihm nach zehn Jahren des Leidens wirklich half. Schließlich wollten Beyond und L wissen, wie Oliver es sich vorgestellt hatte, wie es mit der Wartung des Gedankenschaltkreises funktionieren sollte. „Nun, was das betrifft, habe ich mir eine ganz bequeme Lösung einfallen lassen, um die ganze Sache schnell und unkompliziert zu machen. Ich hab meinen Laptop aufgerüstet und über ein Funksignal über kurze Distanz ist es mir möglich, von dort aus die Einstellungen am GSK durchzuführen und wenn die Einstellung erst einmal steht, werde ich noch ein mobiles Gerät zusammenbasteln, über welches ich sofort eine Meldung bekomme, sollte ein Defekt auftreten. Damit sollte es möglich sein, dass Andrew sich problemlos draußen aufhalten kann, ohne sich Sorgen machen zu müssen. Und sollte er nicht mehr in der Lage sein, sich zu melden, kann ich ihn notfalls über ein von mir eigens entwickeltes Trackingprogramm orten. Somit wäre für den Fall der Fälle vorgesorgt und Andrew wäre in seinem Alltag nicht allzu sehr eingeschränkt.“

„Und wie oft müssen die Kontrollen durchgeführt werden?“

„Je nachdem, ob der Schaltkreis Zicken macht. Wenn alles reibungslos abläuft, reicht es, wenn ich den ersten Monat ein Mal die Woche meine Kontrollen mache. Danach wird nur noch ein Mal alle vier Wochen nötig sein. Die Untersuchung selbst würde nicht länger als fünf bis zehn Minuten betragen, wenn alles glatt läuft. Ich will den guten Andrew ja nicht allzu sehr beanspruchen und diese lästige Prozedur mehr als nötig in die Länge ziehen. Das würde uns beiden nur auf die Nerven gehen.“ So wie sich herausgestellt hatte, war Oliver wirklich bestens vorbereitet und demnach gab es eigentlich nichts mehr, was noch dagegen sprechen könnte, dass Andrew bei Oliver untergebracht werden konnte. Er selbst wurde auch noch mal gefragt, ob es denn in Ordnung war, oder ob er nicht vielleicht doch lieber eine andere Alternative vorschlagen wollte, doch dieser schüttelte nur den Kopf, lächelte und sagte, es sei schon so okay. Insgeheim war er ja froh, dass er nicht alleine wohnen musste, denn immerhin war er die letzten zehn Jahre im Institut gewesen und er brauchte besonders jetzt jemanden, damit er nicht ganz so alleine war und dann noch mehr vor die Hunde ging. Oliver sagte schließlich ganz klar „Um es mal klarzustellen: ich werde hier nicht den Betreuer spielen, so wie der saubere Dr. Brown und dir rund um die Uhr hinterher rennen und einen auf überbesorgte Mutti machen. Das ist eh nicht mein Stil und mir würde es selber absolut auf den Senkel gehen. Aber wenn du mal was auf dem Herzen hast, bin ich natürlich gerne da und helfe natürlich auch gerne. Ich hab auch schon so ein paar Pläne, was ich alles mit dir anstellen werde.“ Dieses Wort anstellen klang in Beyonds Ohren mehr als verdächtig und wahrscheinlich hatte Oliver diese verräterische Zweideutigkeit beabsichtigt, um Beyond ein wenig zu provozieren. „Wie meinst du das?“ fragte der Serienmörder, funkelte ihn misstrauisch an und verschränkte die Arme. Der Hacker kicherte amüsiert über diese Reaktion und erklärte „Keine Sorge, ich stell schon nichts mit ihm an. Ich hab mir nur ein paar nette Sachen überlegt, die ich ihm gerne zeigen will, damit er endlich mal auf andere Gedanken kommt. Ich glaube, ich habe auch schon ein paar gute Ideen. Bei mir wird es garantiert nicht langweilig werden.“ Andrew sagte nichts dazu. Er wirkte in diesem Moment wie ein kleiner Junge in einer Runde von Erwachsenen, die über den Rest seines Lebens bestimmten, während er nicht den Mut aufbrachte, selbst etwas dazu zu sagen und er insgeheim auch fürchtete, was mit ihm denn nun passieren würde. Beyond klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter, als er ihn so sah. „Keine Bange, Andy. Wenn Oliver es übertreiben sollte, sag mir einfach Bescheid und ich kümmere mich drum.“

„Kümmern klingt aus deinem Munde irgendwie verdächtig.“

„Hey, ich bin in den letzten Monaten ganz brav gewesen. L kann das bezeugen.“

„Ich will mich lieber nicht dazu äußern… ich hab ja auch schon so meine Erfahrungen mit dir gemacht…“ Zur Strafe verpasste der Serienmörder ihm einen Seitenhieb und warf ihm einen strafenden Blick zu. Dass dieser Kommentar noch Konsequenzen für den Detektiv haben würde, stand jetzt schon fest. Oliver lachte amüsiert darüber und legte dann breit grinsend einen Arm um Andrews Schultern. „Keine Sorge Andy, ich werde dich schon nicht so hart rannehmen. Auch wenn ich nicht so aussehe, ich kann auch ganz lieb sein. Problem ist nur, dass ich ein Chaot bin und meine Hobbys recht schnell wechsle.“

„Und er geht ihnen so sehr nach, dass es schon wie eine Obsession ist und er macht eben nur das, wonach ihm gerade ist. Für alles andere hat er kein Interesse.“

„Das stimmt so nicht. Ich hab es leider dann nicht mit der Konzentration und wenn ich zu irgendetwas gezwungen werde, wofür ich kein Interesse habe, da hab ich auch überhaupt keine Motivation für. So war ich schon immer gewesen und so werde ich auch immer bleiben. Aber dafür hat es den Vorteil, dass ich dadurch immer wieder etwas Neues erlebe. Wer weiß, vielleicht kann ich dich für das Eine oder Andere begeistern, Andy.“ Doch dieser war erst mal völlig erschlagen von dem ganzen Gespräch und fühlte sich in dem Moment auch ein wenig überfordert. Also ließen sie das erst mal und sprachen über andere Themen. Oliver erzählte von einer Reise nach Afrika, wo er für knapp vier Monate bei einem Stamm von Ureinwohnern gelebt hatte und tatsächlich zum Schamanen ernannt worden war. Eine Zeit lang war er sogar Voodoo-Priester. Er hatte unglaublich viel zu erzählen und alle staunten nicht schlecht darüber, was er erlebt hatte. Beyond war sprachlos und fragte „Wie zum Teufel kommt man denn auf solche Ideen, einfach mal für ein paar Monate bei Ureinwohnern zu leben und dann auch noch Schamane und Voodoo-Priester zu werden?“

„Ich habe da ein ganz tolles Motto, welches eigentlich fast meine gesamte Lebensphilosophie darstellt: „Just Do It!“ Wenn dir etwas Spaß macht, dann mach es einfach, ganz egal, was die anderen sagen. Das und mein Leitfaden „Der Tod kommt später, gelebt wird jetzt“ sind die beiden Dinge, worauf ich mein Leben aufbaue. Mir ist es vollkommen egal, ob anderen meine Art zu leben gefällt, ich bin glücklich damit und mir macht es auch Spaß, andere daran teilhaben zu lassen. Und wenn man zehn Jahre lang nicht draußen war, wird es eben Zeit, dass einiges nachgeholt wird. Aber keine Bange, Andy. Wir gehen das ganz entspannt und ruhig an. Ich werde dich schon nicht allzu sehr überfordern.“ Schließlich aber machten sie sich langsam abreisefertig. Andrew nahm Abschied von L und Beyond und bedankte sich noch mal für die Hilfe. Aber der Serienmörder ließ ihn nicht gehen, bevor er seinem besten Freund nicht das Versprechen abgenommen hatte, dass dieser sich sofort meldete, sollte irgendetwas sein. Damit nahmen die beiden alten Freunde voneinander Abschied und so trennten sich ihre Wege. Beyond würde weiter an L’s Seite bleiben und Andrew würde von nun an bei Oliver leben. Ob es wirklich eine gute Entscheidung war und ob es Andrew tatsächlich schaffen würde, sein Leben auf die Reihe zu bekommen, würde sich noch zeigen. Aber er wollte nicht so schnell aufgeben, sondern an sich arbeiten und damit endlich seine jahrelange Depression und Hoffnungslosigkeit zu bekämpfen. Natürlich würde das noch dauern und so von jetzt und gleich würden auch die Gefühle für Beyond nicht verschwinden. Doch Andrew wollte seinen besten Freund nicht verlieren und er wusste, dass dieser glücklich an L’s Seite war. Deshalb musste er sich jetzt endlich mal darauf konzentrieren, selbst sein Glück zu finden, genauso wie Frederica es ihm nahe gelegt hatte.
 

Das EKG gab ein monotones rhythmisches Piepen von sich und die Beatmungsmaschine sorgte zusätzlich für unschöne Geräusche. Dr. Brown sah hasserfüllt auf diese schneeweiße mädchenhafte Gestalt und ballte die Hände zu Fäusten. Wie sehr er diese Hexe doch hasste. Sie hatte ihn eiskalt betrogen und nur wegen ihr hatte er seinen Andrew verloren. Das hatte dieses Miststück doch von Anfang an beabsichtigt. „Was ist los mit dir, James?“ fragte diese Stimme, die er in seinem Kopf hörte und welche Frederica gehörte. „Wieso denn so sauer? Ich hab dir doch geholfen, aus dem Institut zu verschwinden, damit man dich nicht findet und deine Schandtaten nicht aufdecken kann. Der Deal war ganz klar: ich helfe dir und dafür lässt du Andrew in Frieden.“

„Das wirst du noch bereuen, du falsche Schlange. So leicht lasse ich mir nicht auf der Nase herumtanzen und wenn ich dir deine verdammten Nervenstränge einzeln abtrenne. Wozu machst du das überhaupt? Du hast deine Familie verloren, deine Freunde sind alle tot und es wird niemand kommen, um dich zu retten. Und wenn du mir nicht endlich den Schlüssel für den universalen Gedankenschaltkreis gibst, werde ich dich für immer in diesem Zustand lassen.“

„Den Teufel wirst du tun. Ich lebe schon eine ganze Zeit, da sind zwanzig Jahre nichts für mich. Und ich werde nicht zulassen, dass du an den Universalschaltkreis kommst und dich wie Gott aufführst und hilflose und verzweifelte Menschen wie Andrew benutzt und quälst. Glaub mir, der Tag wird kommen, an dem ich dich genauso töten werde wie deinen Vater und dann auch Rache für den armen Andrew nehmen werde.“ Verächtlich lachte er und packte Frederica grob an den Haaren, wohl wissend, dass es das Schlimmste war, was man ihr antun konnte und dass es für sie eine entsetzliche Höllenqual war. Denn ihr Haar war kein solches, sondern bestand aus hochsensiblen Nervensträngen. Er wollte, dass sie litt und endlich kapierte, wer hier das Sagen hatte. Doch selbst sein Vater hatte sie nicht brechen können. Egal wie viel sie ihr noch herausschnitten und egal wie schlimm die Schmerzen auch waren, denen sie ausgesetzt wurde, sie blieb stark und verlor nicht für eine Sekunde ihren Willen. Welches Ziel verfolgte sie und warum hatte sie nicht schon längst aufgegeben? „Und du vergisst eines, James. Ich bin mit jedem Menschen auf dieser Welt verbunden und alle sind es mit mir. Darum solltest du mich niemals unterschätzen, selbst wenn mein Körper völlig zerstört ist. Denn ich bin es, die Leben, Tod und die Zeit in Händen hält.“

„Ja ich weiß. Den Namen Frederica hat dir doch Nastasja gegeben, nicht wahr? Wie nannte man dich sonst noch? Die unvergängliche Eva? Der weiße Tod, der den Gedankenschaltkreis der Welt in sich trägt? Pah! Egal was du auch tust, ich werde mir das holen, was mir gehört, verlass dich drauf. Was kümmert mich Andrew denn schon? Ich hol mir einfach einen Ersatz und soll der doch verrecken. Mir egal. Einen wie ihn finde ich alle Male und er war allerhöchstens ein Prototyp. Die nächste Version wird fehlerfrei laufen und dann werde ich alle Male einen Besseren finden als Andrew. Und du kannst meinetwegen weiterhin hier liegen und dein jämmerliches Dasein bedauern, weil du damals deine Freunde hast sterben lassen.“ Damit riss er ihr noch fester an den Haaren und Fredericas Gesicht verzog sich vor Schmerzen und ihr kamen sogar die Tränen. Sie dachte wieder an ihre Familie und ihre Freunde. Es stimmte ja leider. Sie war ganz alleine im Moment. Aber das war kein Grund für sie, einfach so aufgegeben. Wenn sie das tat, dann waren Nastasja und Henry umsonst gestorben. Egal was auch geschah, sie durfte nicht zulassen, dass James Brown an ihren Gedankenschaltkreis kam und damit die neben dem Death Note wohl gefährlichste Waffe der Welt besitzen würde. Doch dann sah sie ihn mit einem entschlossenen Blick an, der solch eine Kraft ausstrahlte, dass er für einen Moment den Mut verlor und der goldene Ring in ihrer linken Iris leuchtete hell. „Wenn die Stunde kommt, werde ich wieder frei sein und dann werde ich dir zeigen, was ich mit den Mördern meiner Familie gemacht habe. Dann werde ich ein allerletztes Mal ein Blutbad anrichten und diesen Wahnsinn endlich beenden, bevor er überhaupt wirklich beginnen konnte!“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Die Idee mit dem Gedankenschaltkreis kam mir, als ich den Manga "Naru Taru" gelesen habe und wo es unter anderem auch um den Ursprung der Seele ging. Gegen Ende des Mangas nannte man die Seele einfach einen Gedankenschaltkreis und das Gehirn den Rezeptor der Seele. Und so kam ich auf den Gedanken, dass es möglich sein müsste, einen Menschen wieder zurückzuholen, wenn das Gehirn der Ursprung des Lebens und eines eigenständigen Bewusstseins ist. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich finde es immer wieder unglaublich, wie sehr sich Beyond durch die Beziehung mit L verändert hat. Vorher ein verschlossener und extrem feindseliger Einzelgänger und jetzt kommt er mit solchen Liebesbeweisen. Zumindest ist es schön zu hören, dass er an der Beziehung zu L festhalten will, aber ich fürchte, dass das mit dem guten A noch ziemlich schwierig werden könnte… Aber erst mal gibt’s im nächsten Kapitel wieder Yaoi-Fanservice vom feinsten! Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Frederica ist ein von mir entwickelter Charakter, der eigentlich für eine Creepypasta gedacht war. Sie sollte mit einem Zeitschleifenphänomen in Verbindung stehen, bei welchem mehrere Menschen betroffen sind, die damals beim Nowgorod-Massaker dabei gewesen waren und mit Frederica in Verbindung stehen. Aber so ganz habe ich die Geschichte nicht zu Papier bringen können und als mir die Idee mit dem Gedankenschaltkreis kam, habe ich dann kurzerhand Frederica in diese Geschichte eingebaut. Wer wissen will, wie alt Frederica eigentlich ist, der sollte mal das Nowgorod-Massaker in Russland googeln. Ihr werdet überrascht sein, wie alt sie eigentlich schon ist xD

Frederica ist ein Albino und durch diverse Hirnmutationen anders als normale Menschen. Sie kann aufgrund ihrer diversen Fähigkeiten extrem gefährlich werden, allerdings ist sie vom Charakter her sehr sanftmütig und mitfühlend. Auch wenn sie von ihren Mitmenschen immer wie ein Monster behandelt wurde, ist sie immer für die Ausgestoßenen und die Hilfsbedürftigen da und versucht, ihnen beizustehen. Vorab will ich aber noch hinweisen, dass Frederica in dieser Geschichte noch keine besonders große Rolle spielen wird. Erst im sechsten Teil wird sie wirklich zum Einsatz kommen und dann erfährt man auch die Hintergrundgeschichte. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Andrew tut mir wirklich leid. Da wird er von diesem Widerling Dr. Brown systematisch abhängig gemacht und manipuliert und dann bricht Beyond ihm auch noch das Herz. Nun gut, dass dieser Beyond liebt, lässt sich schwer sagen. In seinem instabilen Zustand ist es auch möglich, dass er sich bloß einredet, Beyond zu lieben, weil dieser in all den Jahren der einzige Mensch war, der ihm die Kraft zum Weiterleben gegeben hat, nachdem er durch den Schaltkreis zurückgeholt wurde. Bleibt nur zu hoffen, dass Beyond und L ihn schnellstmöglich aus den Fängen des Doktors befreit! Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Für Andrew und Oliver habe ich übrigens eine eigene Fortsetzung geplant, da ich dem armen Andy die Chance geben wollte, endlich sein großes Glück im Leben zu finden, nachdem er immer nur Pech hatte. Verdient hätte er es alle Male, findet ihr nicht auch? Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, Ende gut alles gut kann ich ja nicht so wirklich sagen, denn das ist ja kein richtiges Ende. Allein schon der Dialog zwischen Frederica und Dr. Brown zeigt deutlich, dass die ganze Sache noch nicht vorbei ist. Und tatsächlich stehen noch zwei weitere Fortsetzungen aus, bevor „Last Desire“ endet. Es macht mir wirklich Spaß, endlich mal was Neues zu schreiben, da ich es sonst immer vermieden habe, über Liebesbeziehungen zu schreiben. Aber da ich sowieso ein Fan von Yaoi bin und schon immer so schade fand, dass es kaum L x BB Yaois gibt, fiel es mir umso einfacher, was in der Richtung zu schreiben.

Aber damit sich niemand beklagen kann „B ist glücklich aber den armen A lässt du in seinem Unglück versauern und der kriegt kein Happy End. Das ist echt fies von dir“ werde ich, bevor ich den fünften Teil von „Last Desire“ rausbringe, Andrews Geschichte weitererzählen unter dem Titel „Last Desire 4.5 – Another Desire“ schreiben. Keine Bange, ich mach es auch nicht allzu lange. Ich will nur bloß nicht, dass der eigentliche Hauptstrang von Last Desire zu schnell endet und alle dann ganz traurig sind, weil es plötzlich schon zu Ende ist. Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (21)
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Von:  San-Jul
2014-09-20T10:11:01+00:00 20.09.2014 12:11
Mal wieder echt genial.
Ich freu mich auf die Forsetzung.
Lg
Von: abgemeldet
2014-09-19T19:01:00+00:00 19.09.2014 21:01
Eine Hammer geile, unglaubliche und großartige Story *-* Ich habe das FF sehr gerne gelesen. ^-^ Ich freue mich schon sehr auf das neue FF. *freu*

LG^^
Von: abgemeldet
2014-09-19T15:10:53+00:00 19.09.2014 17:10
Kannst du mir vielleicht das 15. Kapitel per ENS schicken. Das wäre super. Thx^^
Von: abgemeldet
2014-09-17T11:10:51+00:00 17.09.2014 13:10
Ein cooles Kapitel^^
Von: abgemeldet
2014-09-17T07:14:01+00:00 17.09.2014 09:14
Ein wunderbares Kapitel^^
Von: abgemeldet
2014-09-16T07:13:05+00:00 16.09.2014 09:13
Ein hammer geiles Kapitel^^ *-* Natürlich hat A mal Glück verdient. *FREU* Schreib bitte schnell weiter.
Von: abgemeldet
2014-09-14T17:54:00+00:00 14.09.2014 19:54
Ein hammer geiles Kapitel. Hoffe für A wird nun alles besser. Viel Glück. Freue mich schon wenn es weiter geht. ^-*
Von: abgemeldet
2014-09-14T14:00:03+00:00 14.09.2014 16:00
Ein starkes Kapitel *-*
Bon schon gespannt wie es weiter geht. *freu*
Von: abgemeldet
2014-09-10T19:52:50+00:00 10.09.2014 21:52
Ein echt wundervolles Kapitel^^^^
Ich freue mich schon sehr auf das nächste Kapitel. *-*
Von: abgemeldet
2014-09-08T19:41:08+00:00 08.09.2014 21:41
Ein knallhates Kapitel. Armer Andrew :'(
Schreib bitte schnell weiter. *-*
Antwort von:  Sky-
08.09.2014 22:06
Nächstes Kapitel wird gerade hochgeladen. Problem ist nur, dass mein PC Schrott ist und ich noch nicht so schnell an meine Word-Datei komme, wo meine bisherige Arbeit gespeichert ist. Ich hoffe, ich kann das irgendwie retten, ansonsten muss ich noch mal alles neu schreiben. Glücklicherweise ist das nur ein Kapitel, welches ich noch mal komplett neu schreiben müsste. Zum Glück ist mein Bruder Nerd und mein Vater ein PC-Experte.


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