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Seeking

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von

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Prolog

Schwarz lag die Nacht über dem Ausgrabungslager im Schatten der großen Pyramiden von Gizeh. Über dem ganzen Gebiet lagen starke Illusionszauber, die den Muggeln nicht nur vorgaukelten, bei dem Ausgrabungslager handle es sich lediglich um eine der üblichen Karawanen, sondern auch neben den drei berühmten Steinbauten zahlreiche kleinere Pyramiden und pyramidenähnliche Gebäude als harmlose Sanddünen erscheinen ließen. Hätten die Muggel gewusst, wie viele der spitzen Grabmähler die Wüste beherbergte, wären sie wohl aus dem Staunen kaum mehr herausgekommen. Auch wenn sie das Staunen nicht daran gehindert hätte, wie Heuschrecken über das Land herzufallen, um alles wissenschaftlich zu untersuchen.

Nach dem ersten derartigen Forschungsandrang im 19. Jahrhundert hatte die ägyptische Regierung auf Anraten des damaligen ägyptischen Zaubereiministers beschlossen, die Untersuchung der alten Grabstätten lieber in geordneten Bahnen verlaufen zu lassen, die zudem sicherstellten, dass Ägypten nicht um seinen Anteil an den Schätzen betrogen wurde. Nan würde die Ausgrabungen nur noch den zugelassenen Zauberteams überlassen, allen voran den Experten der weltweit tätigen Gringotts-Bank. Von Stund an war es für Muggel nur noch in jahrelangem, zähem Behördenkampf möglich, Grabungs- und Forschungsgenehmigungen zu erhalten und selbst diese waren an strenge Auflagen geknüpft.

So aber wusste kaum jemand außerhalb der magischen Gemeinschaft etwas von den Lagern in Luxor, Assuan, Gizeh und weiteren Stätten der ägyptischen Geschichte, nichts störte die nächtliche Ruhe. Und niemand sah den Schatten, der sich lautlos zwischen den Zelten des Gizeh-Lagers bewegte…

I

Der 26. März versprach ein klarer, sonniger Tag zu werden. Nun, eigentlich war dies keine Überraschung, waren doch die meisten Tage in Ägypten von der Sonne beherrscht. Und langsam gewann sie auch wieder ihre mörderische Kraft, die in wenigen Monaten dafür sorgen würde, dass Heerscharen von Touristen unter der Hitze und reihenweise unter den Folgen von Selbstüberschätzung litten.

Dennoch waren alle Mitarbeiter der Gringotts-Bank in diesem Land froh, dass sich nicht ausgerechnet für diesen Tag ein Sandsturm oder ähnliches ankündigte. Es war der 1078. Gründungstag des Stammhauses der Bank und einer der wenigen Feiertage, den die Kobolde begingen. Und wenn diese geschäftstüchtigen Kreaturen schon einmal feierten, dann in großem Stil. Dazu gehörte bei der Zweigstelle in dem antiken afrikanischen Land nicht nur ein großes Fest mit üppigen Speisen und magischem Feuerwerk am Abend, sondern auch das mit Spannung erwartete Quidditch-Spiel der Werksmannschaft gegen das Team eines international spielenden Profi-Quidditch-Vereins. Das besondere an diesen Begegnungen war nicht nur, dass jedes Jahr gegen einen anderen Verein gespielt wurde, sondern auch dass es die einzige Begegnung war, bei der die Mannschaften nicht ausschließlich aus Zauberern und Hexen bestanden, sondern auch die Kobolde diesem Sport frönten. So würde in diesem Jahr Smitebit, der Vorarbeiter des Assuan-Lagers für die Bank als Treiber spielen. Tatsächlich war es wohl so, dass die Kobolde die Werksmannschaft überwiegend als Koboldmannschaft betrachteten und nur wirklich außergewöhnlich talentierten Menschen gestatteten, sie in diesem Spiel zu unterstützen. Allerdings waren die wenigsten Kobolde ernsthaft darauf erpicht, in der Mannschaft zu spielen, viel mehr lag ihnen daran, Wetten über den Spielausgang abzuschließen, und die Spieler waren prinzipiell vom Wettgeschehen ausgeschlossen, damit sie nicht in Versuchung gerieten, das Spiel zugunsten der eigenen Wetten zu beeinflussen. Und so war Smitebit der einzige Kobold, der dieses Jahr für Gringotts spielte.

Wie jeden Morgen war Bill Weasley bei Sonnenaufgang aufgestanden, denn obgleich er als Zauberer über die Möglichkeit von Kühlungszaubern für die heißesten Stunden des Tages verfügte, hatte sich sein Körper an den Muggeltagesablauf, der von den Temperaturen diktiert wurde, gewöhnt. Mit einem vorfreudigen Grinsen trat er aus dem weißen Zelt, das ihm im als Unterkunft diente, hinaus in das Gizeh-Lager und streckte sich. Der Tag würde sicher fantastisch werden! Denn die Tatsache, dass es dem Team am Vortag gelungen war, endlich in die Schatzkammer eines bislang ungeöffneten Priestergrabes vorzudringen und diverse Gegenstände bereits zur Schätzung nach oben hatten bringen können, hatte den Vorarbeiter Gobhood dazu veranlasst ungewöhnlich großzügig zu verkünden, jedem aus dem Lager für jedes Tor, das die Werksmannschaft schoss, am Abend einen Feuerwhiskey auszugeben.

Der hochgewachsene junge Mann mit dem feuerroten Haar blickte zu dem mit schweren Sicherungszaubern versehenen Zelt, in dem die wertvollen Artefakte lagerten. Wie er seinen Vorgesetzten kannte, hatte dieser noch die halbe Nacht damit verbracht, den tatsächlichen Wert der einzelnen Gegenstände zu bestimmen, um heute bei dem Fest vor seinen Koboldkollegen mit dem neusten Erfolg des Lagers angeben zu können. Bill grinste, doch er musste sich eingestehen, dass auch er auf die Zahlen neugierig war. Weniger um sich mit den Kollegen zu messen, sondern mehr um eine Vorstellung zu bekommen, was noch in dem Grab lagerte und mit welchen Schwierigkeiten sie noch zu rechnen hatten. Denn bloß, weil sie es geschafft hatten, in die Schatzkammer vorzudringen, hieß das noch nicht, dass sie auch alle Fallen gefunden und deaktiviert hatten. Auch wuchs mit steigendem Wert eines Grabes die Gefahr von Grabräubern und es war nicht auszuschließen, dass sich unter das feiernde Volk der Bankangestellten heute auch zwielichtige Gestalten mischten, in der Hoffnung auf ein paar nützliche Informationen. Wenn diese dann mangels fundiertem Wissen eine Falle auslösten, sorgte das jedes Mal für eine ziemliche Sauerei, die zu beseitigen alles andere als ein Vergnügen war.

Schließlich siegte die Neugier und Bill durchmaß mit wenigen Schritten das Lager und betrat gleich darauf das Zelt. Er spürte, wie die Sicherheitszauber auf seine Anwesenheit reagierten, ihn erkannten und passieren ließen. Als Teamleiter der zuständigen Fluchbrecher war er über seine magische Signatur autorisiert bestimmte Bereiche zu betreten, die anderen Grabungsmitarbeitern verwehrt blieben, darunter das Schätzzelt. Das Innere des Zeltes war dämmerig, doch Bill war daran gewöhnt, so dass ihm die Bruchteile von Sekunden, die seine Augen brauchten, um sich an die veränderten Lichtverhältnisse anzupassen, gar nicht mehr wirklich auffielen. Vielmehr suchte sein Blick sofort das große Buch in dem Gobhood die Schätzungen eintrug. Wie erwartet lag es auf dem großen Tisch, darum herum sortiert nach Schrift- und Goldartefakten die Gegenstände aus dem Grab. Alles schien in üblicher Koboldmanier angeordnet, und doch hatte Bill für einen Moment den Eindruck als stimmte etwas auf dem Tisch nicht. Doch erst als er langsam die Sauklaue Gobhoods im Buch entzifferte, erkannte er, was ihn stutzig gemacht hatte. Es war eine kleine goldene Katzenstatue, die ihm am Vortag ins Auge gefallen war, als sie die ersten Stichproben aus der Schatzkammer ausgewählt hatten, und die auch in dem großen Buch entsprechend verzeichnet war. Nun aber fehlte die Statuette. Hatte der Vorarbeiter sie vielleicht mit in sein eigenes Zelt genommen, um mit ihr vor seinen Kollegen heute ein wenig zu prahlen? Denn obgleich Kobolde generell alles schätzten, was Geld brachte, hatten sie einen besonderen Faible für schön gearbeitete Kunstgegenstände, insbesondere jene aus Gold. Und die kleine Katzendarstellung war ein Musterbeispiel für die hochentwickelte altägyptische Handwerkskunst. Andererseits hätte Gobhood dann einen entsprechenden Hinweis im Buch hinterlassen und Bill konnte kein derartiges Zeichen zwischen all dem Gekritzel entdecken. Irgendwie merkwürdig.

Er sah gerade unter dem Tisch nach, um sicher zu gehen, dass das Artefakt nicht vielleicht einfach nur herunter gefallen war, als er hörte, wie die Zeltklappen sich öffneten.

„Ah, Weasley, mal wieder neugierig am schnüffeln?“, hörte er gleich darauf die knurrige Stimme seines Vorgesetzten.

Bill richtete sich auf und lächelte. Längst hatte er sich an das mürrische Gebaren der Kobolde gewöhnt und gelernt die feinen Nuancen zu unterscheiden, die einem zeigten, ob sie einen ablehnten oder sehr schätzten. Bei Gobhood wusste er, dass dieser ihn und seine Arbeit sehr wohl schätzte und ihn mit der Begrüßung keineswegs hatte zurechtweisen wollen, sondern vielmehr einen Scherz gemacht hatte. „Guten Morgen, Sir“, antwortete er deswegen nur, beschloss dann aber, seinen Chef einfach zu fragen, ob dieser etwas über den Verbleib der Katzenstatue wusste. Doch noch ehe er etwas in dieser Richtung äußern konnte, rief von draußen eine Stimme: „Bill? Steckst du da drin? Es wird Zeit, in einer halben Stunde habt ihr Abschlussbesprechung.“

Der Kobold grinste seinen Teamleiter an. „Auf Weasley, worauf warten Sie noch… Ohne unseren Sucher können wir unmöglich die Wigtown Wanderers schlagen!“ Und er hielt dem Fluchbrecher auffordernd die Zeltklappe auf.

Dergestalt abgelenkt, vergaß Bill vorübergehend die Sache mit der Statuette und folgte seinem Vorgesetzten nach draußen.

II

Geld bedeutete Macht. Mit Geld konnte man fast alles auf dieser Welt kaufen. Mittlerweile sogar Gesundheit. Talent, echtes Talent aber ließ sich nicht kaufen.

Draco Malfoy wusste, dass er Talent für Quidditch hatte. Denn egal was die Gerüchte in Hogwarts seinerzeit besagt hatten, hatte er seinen Platz in der Slytherinmannschaft nicht dem großzügigen Geschenk von neuen Rennbesen für die gesamte Mannschaft zu verdanken gehabt, sondern seinem Talent als Sucher. Die Besen hatten ihm lediglich geholfen, seine Position, seinen Einfluss innerhalb des Teams zu festigen, wäre er doch sonst als jüngstes Mitglied auch für so niedere Aufgaben wie die Ausrüstungspflege missbraucht worden. Es war abermals sein Talent gewesen, das ihm einen Platz als Ersatzsucher bei den Wigtown Wanderers verschafft hatte, allerdings hatte es des Geldes bedurft, die Talentsucher auf ihn aufmerksam zu machen und die Vereine zu einem Probespiel zu bewegen. Denn nach dem Krieg war der Name Malfoy häufig mehr ein Hindernis gewesen denn ein Vorteil, was vielleicht einer der Gründe war, weshalb Draco sich entschlossen hatte, nicht in die geschäftlichen Fußstapfen seines Vaters zu steigen, sondern seinen eigenen Weg zu gehen. Geld aber kannte keine Namen, Geld ergriff keine Partei und so öffnete ihm das Geld seiner Familie wenigstens die notwendigen Türen.

Im Profi-Quidditch gab es eine einfache Regel: Der Beste wurde Stammspieler, der Zweitbeste Ersatzspieler und jeder andere konnte sich einen anderen, weniger hochklassigen Verein suchen. Was angesichts der wenigen zugelassenen Profi-Quidditch-Vereine für die meisten Bewerber die Amateurliga bedeutete. Verträge wurden generell nur für ein Jahr geschlossen, so dass ein Aufstieg oder Rauswurf beinahe jederzeit erfolgen konnte. Um einen der begehrten Mannschaftsplätze zu bekommen, musste man zuerst den Ersatzspieler der entsprechenden Position bei drei Testspielen besiegen und wollte man in die Stammmannschaft aufsteigen, musste man den bisherigen Stammspieler ebenfalls besiegen. Für Neuzugänge gab es einmal im Jahr Testspiele, zu denen die Vereine vielversprechende Kandidaten einluden, Ersatzspieler aber konnten auch während der Saison zum Stammspieler aufsteigen, wenn sie sich im Training als überlegen erwiesen. Durch diese ständige Konkurrenz und die Tatsache, dass Verträge immer nur für ein Jahr abgeschlossen wurden, waren alle Spieler stets mit vollem Eifer beim Training. Außerdem konnte so niemand mit minderem Talent auf Dauer sich einen Mannschaftsplatz erkaufen. Man mochte zwar einem Spieler so viel Geld zahlen, dass dieser sich freiwillig bei den Testspielen besiegen ließ, aber das musste ersten sehr, sehr viel Geld sein und zum zweiten würde der betreffende Neuzugang seinen Platz schon beim nächsten Test gegen einen talentierteren Neuling wieder verlieren. Und ein Spieler, der sich dergestalt kaufen ließ, wurde, wenn dies publik wurde, sofort vom professionellen Quidditch-Sport ausgeschlossen, konnte sich also auch nicht mehr bei einem anderen Verein bewerben. Da war es weitaus lukrativer für die Spieler, darauf zu hoffen, dass ein anderer Verein sie zu Testspielen einlud und mit einem höher dotierten Vertrag auf diese Weise versuchte, sie abzuwerben.

Zunächst waren sowohl der Manager als auch der Trainer der Wigtown Wanderers mehr als skeptisch bezüglich des jungen Mannes aus reichem Hause mit Todesservergangenheit gewesen, doch Draco hatte damals schnell dafür gesorgt, dass sie es nicht bereut hatten, ihn zu dem Testspiel eingeladen zu haben. Bei allen drei Testspielen schlug er den damaligen Ersatzspieler um Besenlänge. Und auch in den darauffolgenden Jahren hatte er sich immer wieder gegen aufstrebende Neulinge durchsetzen können. Den Stammspieler Osmund Donohue zu schlagen war ihm jedoch nie vergönnt. Sechs Jahre spielte er nun schon für die Wigtown Wanderers und noch kein einziges Mal war es Draco gelungen den Schnatz vor dem hochgewachsenen Iren zu fangen. Ein Umstand, der ihn nicht wenig wurmte und ihn regelrecht verbissen an jedes Training herangehen ließ.

Um so erfreuter war er, als Donohue sich eine Woche vor dem Ägyptenspiel bei seiner kleinen Tochter mit Zaubermasern ansteckte. Und obgleich die moderne Medimedizin in der Lage war, den Ausschlag binnen drei Tagen zu heilen, war dies eine der wenigen Krankheiten, bei der Infizierte für zwei Wochen unter Quarantäne standen. Eine Auslandsreise war also nicht möglich und Draco würde endlich einmal als regulärer Sucher spielen können.

Es war gewiss nicht das erste Mal, dass er bei einem offiziellen Spiel aufgestellt worden war, aber es kam selten genug vor, um Draco nervös zu machen. Insbesondere weil man anders als bei den Ligaspielen nie wusste, wie sich die Gringotts-Mannschaft zusammensetzte. Im Vorfeld eine Strategie entwickeln zu wollen war also vollkommen unmöglich. Es galt nur möglichst viele Tore zu machen und möglichst schnell den Schnatz zu fangen. Eine andere Taktik gab es in der Regel nicht.

Den ersten Schock bekam Draco, als er erkannte, wer der gegnerische Sucher war. Denn auch wenn er nie etwas in Punkto Quidditch über den ältesten Weasley-Spross gehört hatte, schien dieser Familie der beliebteste Sport der Zaubererwelt einfach im Blut zu liegen. Er würde also gut daran tun, Weasley nicht zu unterschätzen.

Der zweite Schock war, als er erkannte, dass Bill Weasley in seinen Augen, trotz der noch immer sichtbaren Narben von der Begegnung mit Fenrir Greyback in jener verfluchten Nacht, verdammt gut aussah. Dass er einen Mann attraktiv fand, war für Draco nichts neues, er wusste seit seinem dreizehnten Lebensjahr, dass Frauen nichts für ihn waren und das nicht etwa, weil Pansy ihn ein für alle mal für das weibliche Geschlecht verdorben hatte. Aber dass er auf einen Weasley stehen sollte…

Der Pfiff des Schiedsrichters riss Draco aus seinen Gedanken. Das Spiel war freigegeben und sofort entbrannte ein erbitterter Kampf um den Quaffel. Schnell erkannte Draco, dass die Gringotts-Mannschaft alles andere als untalentiert war, doch in dieser Saison hatten die Wigtown Wanderers ein nahezu unschlagbares Jägertrio, das seinem Ruf einmal mehr gerecht wurde. Schon wenige Minuten nach Spielbeginn gelang es ihnen zu punkten und nach einer Viertelstunde führten die Wanderers mit fünfzig Punkten. Es war kurz nachdem der linke Jäger das sechste Tor für die Wanderers geschossen hatte, als Draco das erste Mal den Schnatz sichtete. Der kleine, geflügelte Goldball schien beinahe reglos direkt hinter Weasleys Rücken zu verharren. Binnen dem Bruchteil einer Sekunde fällte Draco seine Entscheidung. Würde er jetzt in dem Versuch den Schnatz zu fangen, zu dem Gringotts-Sucher hinüber fliegen, würde dieser das merken, sich umdrehen und ihm den Schnatz vor der Nase wegschnappen. Dann wäre das Spiel vorbei und die Wigtown Wanderers hätten verloren. So aber wie die Jäger ihres Teams spielten, hatten sie durchaus eine realistische Chance einen Vorsprung von mehr als 150 Punkten herauszuspielen. Vorausgesetzt, das Spiel dauerte lange genug. Dann wäre der Schnatz nicht mehr Spiel entscheidend und sie würden gewinnen, selbst wenn er den kleinen Flatterball nicht fing.

Augenblicklich riss Draco seinen Besen herum und tauchte, gut sichtbar für Publikum und – weit wichtiger – Bill Weasley in atemberaubendem Tempo unter den übrigen Spielern hindurch als hätte er auf der anderen Seite des Spielfeldes den Schnatz gesichtet. Ein Treiber seiner eigenen Mannschaft wollte ihm, als er dicht an ihm vorbeischoss, bedeuten, dass der Goldball doch in der anderen Richtung lag, doch Draco rief nur ein rasches ‚Regenbogen’ zurück. Nun mochte man im ersten Moment bei Regenbogen an den Topf voll Gold denken, der sich der Legende nach am anderen Ende befand und diesen Topf auf den Schnatz beziehen, doch bei den Wigtown Wanderers war es das Codewort für die irische Strategie, die auf den Sieg der irischen Nationalmannschaft über das Team aus Bulgarien bei dem Weltmeisterschaftsendspiel von 1994 zurückging. Galt nur zu hoffen, dass die Taktik aufging und Weasley seinem Manöver Glauben schenkte und ihm folgte.

Draco erlaubte sich einen kurzen Blick über die Schulter. Tatsächlich sauste nur weniger als einen Meter hinter ihm der Gringotts-Sucher heran. Dann aber konzentrierte er seinen Blick wieder nach vorne und flog knapp über dem Boden eine elegante Schleife um den mittleren Torpfosten, ehe er wieder langsamer wurde und sich scheinbar verwirrt nach dem nun tatsächlich wieder verschwundenen Schnatz umsah. Schließlich sah er zu seinem Gegner hinüber und zuckte mit den Schultern, während durch die Zuschauerränge ein enttäuschtes Stöhnen ging, als der Stadionsprecher verkündete, dass man den Schnatz offenbar doch nicht gesehen hatte. Der Kobold, der das Spiel kommentierte, konnte sich natürlich nicht verkneifen, eine kleine Spitze hinsichtlich der mangelnden Sehfähigkeit gewisser Zauberer anzubringen, aber Draco überhörte diese gelassen. Schließlich hatten währenddessen die Jäger der Wigtown Wanderers mit einem neuerlichen Treffer den Vorsprung weiter ausgebaut.

Es dauerte weitere siebzig nervenzermürbende Minuten, ehe sich der Schnatz das nächste Mal blicken ließ. Aber es waren zugleich siebzig spannende Minuten, in denen sich die Gringotts-Mannschaft wacker schlug, aber dennoch nicht verhindern konnte, dass die Wigtown Wanderers schließlich mit 190 Punkten Vorsprung führten, als Draco Malfoy und Bill Weasley abermals dem kleinen goldenen Ball nachsetzten. Allerdings war es sehr zu Dracos Verdruss Weasley, der als erster die Hand um den wendigen Flatterball schloss.

III

Draco hatte sich ein wenig von seinen feiernden Mannschaftskameraden abgesetzt. Sechs Jahre und doch... In der Luft, während des Trainings oder während eines Spiels waren sie ein Team, jeder stand hinter jedem. Aber auf dem Boden, nach dem Abpfiff, war die unsichtbare Mauer wieder da. Der Argwohn, mit dem seine Teamkameraden ihn ob seiner Familie und seiner Vergangenheit betrachteten. Seine leicht arrogante Haltung, die suggerierte, dass er ein anderes, ein weitaus höheres Niveau gewöhnt war, die er nicht ablegen konnte. Man ließ eben nicht einfach so seine Erziehung hinter sich, auch wenn man sich öffentlich von einigen der Familienidealen abgewandt hatte. Außerdem waren einige eben nicht alle, denn es war ja nicht so, dass Draco nicht stolz war, ein Malfoy zu sein und es gab durchaus einige Vorfahren, derer er sich gerne bewusst war. Allerdings waren das alles eher Geschäftsleute und keine Lebemänner oder gar Politiker.

In den wenigen Augenblicken, in denen Draco ehrlich sich selbst gegenüber war, erkannte er, dass er als Quidditch-Spieler von den nachfolgenden Generationen eher zu den Lebemännern gezählt werden würde und dieser Gedanke hinterließ bei ihm einen schalen Nachgeschmack. Aber Politiker, wie sein Vater, wollte er um keinen Preis der Welt werden. Überhaupt hatten alle Vorfahren, die sich mit Politik beschäftigt hatten, früher oder später dem Ruf der Familie eher geschadet denn genutzt. Doch nach dem Krieg und den anschließenden Justizrangeleien hatte Draco nicht gewusst, was er mit seinem Leben anfangen wollte, wie er dem Namen Malfoy wieder zu altem Glanz verhelfen sollte, und so hatte er sich auf das einzige besonnen, das er außer ein reiches Arschloch zu sein konnte: Quidditch. Er hatte ja noch die Hoffnung, dass er eines Tages einen Geistesblitz haben und dann endlich etwas Angeseheneres als Profisportler werden würde. Aber bis dahin...

Draco seufzte leise und spielte gedankenverloren seinem halbvollem Glas Feuerwhiskey. Irgendwie war ihm, trotz der ausgelassenen Stimmung um ihn herum, die wahlweise auf den Sieg oder die allgemeinen Gringotts-Festivitäten zurückzuführen waren, nicht nach feiern zumute.

Plötzlich schob sich ein Schatten in sein Blickfeld und als er aufsah, erkannte Draco zu seiner Überraschung Bill Weasley, der sich nach einem kurzen, fragenden Kopfnicken neben ihm an den Tisch setzte. Nach einem Moment des Schweigens, sagte der Rotschopf: „Nettes Täuschungsmanöver, das du da heute hingelegt hast.“

Draco grinste ein wenig spöttisch. „Es ging um den Sieg. Und der wird, entgegen dessen, was Potter in Hogwarts getrieben hat, nicht immer vom Sucher entschieden.“ Das war eine der schwierigsten Lektionen gewesen, die Draco bei den Wigtown Wanderer hatte lernen müssen. Die Mannschaft war der Star, die Mannschaft siegte. Nicht der einzelne Spieler.

Bill lachte leise und Draco musste zu seiner wachsenden Verzweiflung feststellen, dass dieses Lachen nicht nur angenehm war, sondern ihm auch einen warmen Schauder über den Rücken laufen ließ. „Ich weiß jetzt nicht, ob du mit dieser Aussage Harry Narzissmus unterstellst oder der übrigen Gryffindormannschaft Unfähigkeit bescheinigst.“

„Beides?“ Herausfordernd zog Draco eine der elegant geschwungenen Augenbrauen hoch. Er war sich bewusst, dass er mit dieser Aussage nicht wenige Familienmitglieder des Gringotts-Suchers ansprach.

Doch offenbar war Weasley an diesem Tag zu gut gelaunt, als dass er darauf ansprang und deswegen einen Streit begonnen hätte. Ein weiterer Punkt, der für den ältesten Spross der Familie sprach. Andere, allen voran Harry Potters getreues Anhängsel, hätten ihm schon längst wüste Beschimpfungen oder gar Flüche an den Kopf geworfen. Stattdessen sagte der Feuerschopf nur trocken: „Wie schön, dass Sucher von der Unfähigkeit ausgenommen sind und du den Narzissmus nur auf meinen Schwager bezogen hast. Also darf ich mich als nicht eingebildeten, fähigen Sucher betrachten.“ Dabei blickte Bill Weasley dermaßen selbstzufrieden drein, dass er seine eigenen Worte bezüglich der Bescheidenheit seiner Selbst Lügen strafte.

Doch obgleich offensichtlich war, dass der Fluchbrecher nur einen Scherz hatte machen wollen, konnte er Draco damit kein Lächeln entlocken. Stattdessen verdüsterte sich dessen Miene, als er wieder daran erinnert wurde, dass er als Sucher von einem Amateur geschlagen worden war. Und es blieb die Frage: War das nur Zufall gewesen oder verlor er langsam sein herausragendes Reaktionsvermögen? Musste er sich eventuell darauf einstellen, in absehbarer Zeit von einem Neuling geschlagen zu werden und seinen Platz in der Mannschaft zu verlieren? Alles in ihm schrie förmlich danach, den Feuerwhiskey vor ihm hinabzustürzen und sich dann seinen Besen zu schnappen, um sich zu beweisen, dass mit ihm noch alles in Ordnung war, dass Weasley an diesem Tag einfach nur Glück gehabt hatte. Aber die Höflichkeit gebot es, mit den Gastgebern zu feiern. Außerdem, hatte er nicht mit seinem taktischen Spiel seiner Mannschaft den Sieg beschert? Aber, verdammt, die Art wie Weasley sich durch die übrigen Spieler geschlängelt hatte, instinktiv zu ahnen schien, wo der nächste Besen auftauchen würde, und rechtzeitig auswich, ohne das Tempo zu verringern, war etwas, das von Können zeugte. Ein Können, von dem Draco sich eingestehen musste, dass er selbst es nicht beherrschte. Allerdings, wenn dieser Weasley hier so gut war, wieso sprach dann alle Welt von dem Talent des zweiten Weasley-Sohnes, Clive oder wie er hieß? Der, der angeblich sogar für die englische Nationalmannschaft hätte spielen können, aber den Drachen den Vorzug gegeben hatte.

Draco nippte an seinem Whiskey und beschloss dann, dass er genauso gut seiner Neugier nachgeben konnte. „Sag mal, wieso spricht alle Welt von deinem Bruder als dem Quidditchspieler schlechthin, während ich von dir bis heute noch nicht einmal wusste, dass du dich sicher auf einem Besen halten kannst?“, stellte er die Frage, die ihn beschäftigte.

„Vielen Dank für das Kompliment, auch wenn du es, ganz Slytherin, geschafft hast, es hinter einer halben Beleidigung zu verstecken“, erwiderte sein Gesprächspartner schmunzelnd und trank seinerseits einen Schluck der goldgelben Flüssigkeit in seinem Glas. „Aber Charlie war früher deutlich besser als ich. Tatsächlich habe ich es während meiner Schulzeit nicht in die Hausmannschaft geschafft. Mittlerweile aber hat Charlie nicht mehr so leichtes Spiel. Ich würde sogar soweit gehen, zu behaupten, dass wir inzwischen nahezu gleich gut fliegen. Denn wo Charlie es gewöhnt ist, den freien Himmel zu haben, um einem wütenden Drachen auszuweichen, musste ich hier lernen, in den engen Gängen der Grabkammern der alten Ägypter zu navigieren. Interessant wird es dann auch noch, wenn man damit rechnen muss, jederzeit eine bislang unentdeckte Falle auszulösen.“

Überrascht zog Draco beide Augenbrauen hoch. Weasley trainierte in den Grabkammern? „Ich dachte, ihr geht immer zu Fuß in die Gräber und löst dort gewissenhaft einen Fluch nach dem anderen, bis ihr an die Schätze kommt, auf welche die Kobolde scharf sind.“

Erneut lachte der Gringotts-Sucher. „Normalerweise stimmt das“, bestätigte er. „Aber wir gehen nicht ohne Notfallausrüstung in ein bislang ungesichertes Grab. Denn mitunter kommt es vor, dass der Ausgrabungstunnel, den wir angelegt haben, einstürzt, weil er an dieser Stelle nicht mit der magischen Stabilität der Kammer harmoniert, oder beim Brechen eines Fluches etwas schief geht. Apparieren geht innerhalb der Gräber nicht, denn die Kobolde errichten gleich nach der Entdeckung eines ihrer Erdbindungsfelder, um Grabräuber daran zu hindern einfach so die Totenkammern zu plündern. Dann sind Besen die schnellste Fluchtmöglichkeit und gehören deshalb zu besagter Notfallausrüstung.“

„Und lass mich raten: Manchmal ist der Weg zurück versperrt und es bleibt nur der Weg durch die engen Schächte durch welche die Seele des Verstorbenen einst in den Himmel aufsteigen sollte?“

Weasley nickte, offenbar beeindruckt, dass Draco über diesen Aspekt der antiken Grabanlagen Bescheid wusste. Und dass, wo Binns in Hogwarts nie ein Wort über die alten magischen Hochkulturen verlor, sondern sich stattdessen in ganzer Breite über sämtliche Koboldkriege ausließ. Niemand, der mit Kobolden zusammenarbeitete, konnte abstreiten, dass es sich dabei um wichtige historische Begebenheiten handelte, die nicht in Vergessenheit geraten durften, aber genauso sträflich war es, anderes dafür im Geschichtsunterricht unbehandelt zu lassen und nur darauf zu vertrauen, dass die Schüler schon neugierig genug sein würden, sich selbst darüber zu informieren.

Draco erlaubte sich ein leicht arrogantes Grinsen, als er Weasleys erstaunten Gesichtsausdruck bemerkte. „Privattutor“, sagte er schlicht. „Ein Malfoy kann schließlich nicht durchs Leben gehen und mit nur lückenhaftem Wissen glänzen, bloß weil die angeblich beste Lehranstalt für Magie es nicht schafft, kompetente Lehrer einzustellen.“

„Wieso überrascht mich das eigentlich?“, gab der Rotschopf kopfschüttelnd zurück und machte es sich auf der Bank etwas bequemer, womit er wiederum Draco überraschte, der nicht damit gerechnet hatte, dass ausgerechnet Weasley an seiner Gegenwart interessiert war. Auch wenn ein kleines Stimmchen in ihm nichts besseres zu tun hatte, als ihn wissen zu lassen, dass er ja eigentlich nichts dagegen hatte.

IV

Der Tag nach der Gründungsfeier begann für die meisten Mitarbeiter, egal ob Kobold oder Mensch, reichlich ungemütlich. Zu viel Essen, zu viel Feuerwhiskey, Nubischer Dattelwein und andere Alkoholika und nicht zuletzt zu wenig Schlaf sorgten für kollektives Stöhnen, heftiges Augenblinzeln und vorsichtiges Halten von schmerzenden Köpfen Nil auf- und abwärts. Nie zuvor hatte die Sonne so unnachgiebig grell gewirkt, der Sand so laut im Wind geflüstert.

Bill Weasley grinste, als er die übernächtigten Gesichter seiner Kollegen sah. Er selbst hatte den ganzen Abend über Apfeltee getrunken. Da dieses traditionelle Getränk in diesen Breiten in den gleichen Gläsern serviert wurde wie Feuerwhiskey, hatte kaum jemand den Unterschied bemerkt. Tatsächlich war es ein beliebter Trick auf dem magischen Basar, wenn man bei größeren Geschäften mit langwierigen Verhandlungen seinen ahnungslosen, ausländischen Geschäftspartner übers Ohr hauen wollte. Bill war schon zu lange in Ägypten, um nicht darüber Bescheid zu wissen und schon zu lange bei Gringotts, um nicht um die unvermeidlichen Folgen des Festes zu wissen. Aber er wusste auch, dass jeder selbst für sich entscheiden musste, ob er am nächsten Tag mit einem Kater aufwachen wollte oder nicht.

Auf dem Weg zum Verpflegungszelt bemerkte er schmunzelnd die ersten Tapferen, die sich vorsichtig in Richtung des Lazarett-Zeltes bewegten, um dort einen Anti-Kater-Trank oder ein Mittel gegen Magenverstimmung zu holen. Das Lazarett war aber fest in Koboldhand und wurde nach den allgemeinen Gesetzmäßigkeiten des Marktes betrieben. Daher galt für Heiltränke, die nicht aufgrund eines Arbeitsunfalls benötigt und somit von der Gringotts-Krankenversicherung übernommen wurden sondern aus eigener Tasche bezahlt werden mussten, das Prinzip von Angebot und Nachfrage. Und an Tagen wie diesem, verlangte der zuständige Medikobold einen unverschämt hohen Preis für den Anti-Kater-Trank. Aber auch das war Teil der Gringotts-Politik, kam doch auf diese Weise wieder ein Gutteil der Kosten für das zugegeben grandiose Feuerwerk des Vortages in die Kassen.

Nachdem Bill in seinem ersten Jahr in Ägypten diese leidvolle Erfahrung gemacht hatte und dabei über die Hälfte des Geldes, das er eigentlich für einen Besuch bei seiner Familie zurück gelegt hatte, für Heiltränke hatte investieren müssen, hatte er sich geschworen, es nie wieder so weit kommen zu lassen. Das war ihm keine Betriebsfeier wert. Und dank des Apfelteetricks konnte er gefahrlos jeden Toast mithalten.

Als er das Verpflegungszelt betrat, wo ein emsiger Hauself den wenigen Anwesenden Frühstück servierte, fiel sein Blick auf Gobhood, der soeben einen Teller Haferbrei mit viel Zucker und Zimt löffelte. Sofort war die Erinnerung an die verschwundene Katzenstatuette wieder da und Bill beschloss, keine weitere Zeit mehr zu verlieren, sondern seinen Vorgesetzten gleich darauf anzusprechen.

„Die kleine, goldene Katze? Natürlich erinnere ich mich an dieses Schmuckstück“, erwiderte Gobhood knurrig. Er mochte es gar nicht, beim Essen gestört zu werden. Dennoch bedeutete er Bill, ihm gegenüber Platz zu nehmen.

„Gestern morgen, als ich mir die Aufstellung der Stücke, die wir aus dem Priestergrab geholt hatten, angesehen habe, habe ich festgestellt, dass die Katze fehlte“, meinte Bill nachdenklich und dankte geistesabwesend dem Hauself, der ihm Toast und Obst gebracht hatte.

„Blödsinn!“, empörte sich der Kobold sofort. „Ich weiß genau, dass ich die Katze in das Inventar eingetragen habe.“

Beschwichtigend hob Bill die Hände. „So habe ich das auch gar nicht gemeint. Ich weiß, dass die Statue im Inventar aufgeführt wird. Aber sie war nicht bei den übrigen Sachen auf dem Tisch. Und auch nirgendwo sonst im Zelt…“ Hier machte er eine Pause, um dem Vorgesetzten die Gelegenheit zu geben, aufklärend einzuwerfen, er habe die Statue in seinem Besitz, weil er sie den Kollegen aus den anderen Lagern habe zeigen wollen. Doch nichts dergleichen geschah.

Stattdessen würgte sein Gegenüber ein erschrockenes „Wie bitte?“ hervor und ließ klirrend den Löffel auf den Tisch fallen. Augenblicklich war Gobhood aufgesprungen. „Sagten Sie gerade, dass die Katzenstatuette verschwunden ist?“

Bill nickte ein wenig beklommen. Offenbar verhielt es sich mit der Sache nicht so einfach wie er gehofft, sondern vielmehr so schwerwiegend wie er befürchtet hatte.

„Verdammt!“ Diesem Ausspruch folgte eine rasche Wortfolge, die man auch als Mensch, der des Koboldogack nicht mächtig war, problemlos als Ansammlung wüstester Flüche verstehen konnte. Dann setzte sich der Kobold in Bewegung, warf aber noch einen stechenden Blick über die Schulter zurück. „Worauf warten Sie, Weasley? Kommen Sie mit!“

Bill seufzte und griff sich noch rasch ein Toast, ehe er seinem Vorgesetzten folgte. In was für ein Wespennest hatte er mit seiner Frage bloß gestoßen?
 

Wenig später saß Bill in dem überraschend karg eingerichteten Zelt Gobhoods. Er hatte immer angenommen, dass die Kobolde, bei denen Reichtum Macht und soziale Anerkennung bedeuteten, entsprechend zur Schau stellten, was sie hatten. Aber, so überlegte Bill weiter, vielleicht hatte Gobhood auch noch irgendwo ein Haus, wo er allen Luxus entsprechend in Szene setzte und sah wenig Sinn darin, die Sachen mit ins Lager zu nehmen, wo sie ständig den Widrigkeiten der Wüste ausgesetzt waren. Denn Magie hin oder her, kein Schutzzauber schaffte es dauerhaft all die feinen Sandkörner aus den Zelten fernzuhalten.

„Mr. Weasley, was ich Ihnen jetzt sage, geschieht vertraulich. Ich schätze Sie als einen Zauberer ein, der gewisse Dinge für sich behalten kann.“

Überrascht konnte Bill nicht anders als instinktiv zu nicken.

„Die goldene Katze… Nun, es ist nicht das erste Mal, dass Gegenstände von einer Ausgrabungsstätte verschwinden“, fuhr Gobhood fort. „Nie so viele Gegenstände, dass es für jedermann offenkundig wurde, oft genug sogar so geschickt, dass der Diebstahl geschah, ehe der entsprechende Gegenstand in das Inventar eingetragen werden konnte und wir es nur bemerkten, weil wir zuhörten und Teammitglieder einander fragten, ob in der Grabkammer nicht der ein oder andere Gegenstand gewesen war. Nun ist das menschliche Gehirn im Gegensatz zu dem Gehirn eines Kobolds nur höchst selten mit einem eidetischen Erinnerungsvermögen gesegnet, so dass derlei Bemerkungen meist mit einem Schulterzucken abgetan wurden. Aber Tatsache ist: seit etwa zwei Jahren wissen wir mit Sicherheit, dass wir einen Dieb in unseren Reihen haben. Und immer sind es kleine, aber überaus wertvolle Stücke, die verschwinden.“

„Nur hier im Gizeh-Lager?“

Gobhood schnaubte. „Natürlich nicht. Auch wenn mein Rang innerhalb der Bank mir nur Einblicke in die Geschehnisse in diesem Land gestatten, weiß ich doch aus zuverlässiger Quelle, dass sich derlei Vorkommnisse nicht nur auf Ägypten beschränken. Und selbst hier werden Mitarbeiter mit besonderen Qualifikationen häufig unter den einzelnen Lagern ausgeliehen, so dass eine Eingrenzung nahezu unmöglich ist. Allerdings haben sich hier die Diebstähle in den letzten Jahren merklich gehäuft, so dass es nicht länger als der gelegentliche Verlust durch landestypische Grabräuber abgetan werden konnte.“

Bill konnte den Ausführungen Gobhoods bezüglich der erschwerten Eingrenzungsmöglichkeiten nur zustimmen. Er selbst war schon in verschiedenen Lagern stationiert gewesen und hatte in noch mehr als Fluchbrecher ausgeholfen. Allerdings war das Gizeh-Lager sein Favorit. Aber dass es seit zwei Jahren in ihren Reihen einen Dieb geben sollte und die Kobolde bislang nicht in der Lage gewesen waren, etwas gegen diesen zu unternehmen, war schwer zu glauben. Als er diese Gedanken äußerte, funkelte Gobhood ihn verächtlich an.

„Glauben Sie, wir seien untätig gewesen?“ In seinen nicht vorhandenen Bart murmelte er etwas, das verdächtig nach ‚einfältiger Mensch’ klang. „Wir haben diverse Gegenstände auf dem Schwarzmarkt entdecken können und darüber herausgefunden, dass hinter den Diebstählen eine Organisation steckt, die sich Sternorchidee nennt. Den Namen haben wir zufällig von einem Hehler erfahren, aber offenbar ist mit diesem Namen eine Gedächtnisblockade verbunden, so dass wir darüber hinaus nichts herausbekommen konnten, was wir nicht auch so schon wussten. Die Sternorchidee handelt ausschließlich mit Kunst- und Sammlerstücken, aber sind nicht auf eine Kultur beschränkt. Deswegen hat der Gringotts-Vorstand beschlossen, dass es nichts bringt, wenn wir den Dieb in Ägypten stellen, der Organisation damit aber nur temporär Schaden zufügen können. Denn dann sind weltweit alle Diebe der Sternorchidee gewarnt.“

„Man will also die Organisation zerschlagen“, schlussfolgerte Bill und Gobhood nickte.

„Wir haben durch sorgfältiges Protokollieren der Tätigkeiten jedes einzelnen Teams hier in Ägypten den Täter weitestgehend einkreisen können. Es ist entweder ein Mitglied des Teams von Imogen Merryweather im Luxor-Lager oder ein Mitglied Ihres Teams, Weasley.“

Geschockt starrte der Zauberer den Kobold an. Ein Mitglied seines Teams? Seine Mannschaft umfasste neben ihm noch fünf weitere Fluchbrecher, jeder mit einem anderen Spezialgebiet. Und bis gerade eben hätte Bill noch Stein und Bein geschworen, dass diese fünf unter keinen Umständen als Diebe in Frage kamen. Aber er kannte auch Imogen Merryweather und wusste, dass sie ähnlich für ihr Team die Hand ins Feuer legen würde. Tatsächlich hatte er einst, während seiner ersten Jahre, zu ihrem Team gehört, ehe er selbst zum Teamleiter befördert worden war. Er hatte viel von ihr gelernt und sie stets für ihre gute Menschenkenntnis bewundert. Wie geschickt musste also diese mysteriöse Organisation sein, wenn es ihnen gelang sich unbemerkt in solche Teams einzuschleichen? Der Gedanke, dass Cat, Rick, Ziad, Aurelia oder Angel heimlich Ausgrabungsgegenstände stahlen, hinterließ einen bitteren Nachgeschmack bei Bill.

„Wie ist das, werde ich auch verdächtigt?“ Er glaubte dies zwar nicht wirklich, denn sonst hätte Gobhood ihm nicht all das erzählt, aber er wollte zumindest signalisieren, dass er es seinem Vorgesetzten nicht übelnahm, wenn dieser nun erklärte, dass man die Möglichkeit zumindest in Erwägung gezogen hatte.

Hier lächelte Gobhood eines der wenig vertrauenerweckenden Koboldlächeln. „Wir hätten Sie verdächtigt, hätte nicht der Eid, den Sie bei der letzten Beförderung geleistet hätten, eine kleine Besonderheit enthalten. Denn nicht nur, dass Sie durch den Eid die Zutrittsberechtigung zu bislang für Sie als Sperrgebiet klassifizierten Lagerbereichen erhalten haben, haben Sie gleichzeitig auch geschworen, der Bank ein Erstkaufrecht für alles, was sich in Ihrem Besitz befindet, einzuräumen. Sie wären also nicht in der Lage gewesen, das Diebesgut zu verkaufen, ohne es nicht automatisch Gringotts zuerst anzubieten. Auch wenn Sie die Gegenstände unentgeltlich an die Organisation weitergeleitet hätten, hätten diese aus für sie dann unerfindlichen Gründen ein unbezwingbares Bedürfnis gehabt, der Bank diese Stücke zuerst anzubieten.“

Bill wusste nicht, ob er sich bei dieser Erklärung erleichtert oder beklommen fühlen sollte. Der Gedanke, dass er selbst, wenn er so etwas Harmloses wie einen Flohmarkt veranstalten wollte, um alten Krempel loszuwerden, Gringotts die Sachen zuerst vorlegen musste, war so lächerlich, dass es schon wieder bedrückend war. Andererseits hätte er vermutlich eh einen der Kobolde gebeten, die Dinge vorher einmal durchzusehen, um sicher zu sein, dass sich unter all dem Trödel nicht vielleicht doch eine Kostbarkeit verbarg, die er sonst vielleicht unter Wert verkaufte. Zwar würden die geschäftstüchtigen Kobolde versuchen, ihn mit einem zu niedrigen Angebot zu überzeugen, aber sie wussten genau wie er, dass er zu lange schon für die Bank arbeitete, um nicht zumindest dieses erste, halbherzige Angebot zu durchschauen. Am Ende würde man sich vermutlich auf einen Preis einigen, der immer noch unter dem tatsächlichen Wert des Gegenstandes lag, aber dem doch so nahe kam, dass keine Partei das Gefühl hatte, von der anderen über den Tisch gezogen worden zu sein. „Warum bindet die Bank nicht einfach alle Mitarbeiter über einen solchen Eid an sich und gibt Dieben so erst gar keine Chance?“, wollte er jetzt wissen.

„Das Statut zur gegenseitigen Anerkennung zwischen Kobolden und magisch befähigten Menschen von 1827 verbietet derlei einseitig bindende Verträge. Für einen derartige Eingriff in die Entscheidungsfreiheit eines Menschen muss eine adäquate Gegenleistung erbracht werden, was bei Ihnen, Weasley, durch die höhere Autorisierungsstufe gegeben ist. Aber Sie werden sicher verstehen, dass wir nicht jedem einfachen Sandschaufler die Erlaubnis erteilen könnten, überall im Lager sein Unwesen zu treiben“, erklärte Gobhood und seine ganze Mimik und Gestik zeigte deutlich, dass sein Kontingent für Erklärungen mit diesen Worten erschöpft war und er Bill an diesem Tag keine weiteren Fragen über die Gringotts- oder Koboldpolitik beantworten würde. Bill musste vermutlich schon dankbar sein, dass Gobhood ihm überhaupt so viele Fragen beantwortet hatte. Und er war auf jeden Fall dankbar für das Vertrauen, das ihm damit entgegen gebracht wurde. Dennoch konnte er es sich nicht verkneifen noch eine letzte Frage zu stellen: „Wieso hat man nicht versucht, der Organisation eine Falle zu stellen? Ein fingiertes Fundstück, das man zu jeder Zeit orten kann?“

Widerwillig knurrte Gobhood: „Das hat man versucht. Aber bei allen Stücken, die mit einem Verfolgungszauber präpariert wurden, egal welcher Art und Kultur, sowohl den Gegenstand als auch den Zauber betreffend, wurden die Zauber gebrochen. Nicht ungewöhnlich für einen Fluchbrecher, meinen Sie nicht, Weasley?“

Die hochgezogenen Augenbrauen sagten deutlich, dass der Kobold eigentlich soviel logisches Denken eigentlich von seinem Mitarbeiter erwartet hätte. Bill aber konnte nur schmunzeln. „Zu magisch gedacht“, sagte er nur. Wie die meisten Magier vertrauten auch die Kobolde fast ausschließlich auf Magie und dies war ihnen hier zum Verhängnis geworden. Dank der Leidenschaft seines Vaters für alles, das mit Muggeln zusammenhing aber hatte Bill einen etwas weiteren Horizont als die meisten Zauberer und im Gegensatz zu seinem Vater, der höchstens die Hälfte dessen verstand, was seine Schwägerin Hermione ihm über Muggeltechnologie erklärte, hatte Bill schnell begriffen, dass es für fast jeden Zauber etwas gab, dass die Muggel ‚technische Lösung’ nannten. Diese war zwar mitunter komplizierter als ein Zauberspruch oder –trank oder auch weniger gründlich, konnten hier aber von Nutzen sein.

Abwartend sah Gobhood Bill an. „Was meinen Sie mit zu magisch?“

„Sir, Sie wissen, dass ein Großteil der Menschen sich ohne Magie zurechtfinden muss. Und auch bei den Muggeln kommt es zu wiederholten Diebstählen, die gelegentlich mittels einer Falle aufgeklärt werden können. So werden heutzutage fast immer bei Geldtransporten bestimmte Scheinbündel mit einem unauffälligen Sender versehen, so dass das Geld jederzeit über einen Satelliten geortet werden kann“, wählte Bill ein Beispiel aus dem Bankgewerbe, dass dem Kobold vertraut war.

Gobhood verstand sofort. „Und Sie meinen, man könnte so etwas hier auch verwenden? Aber Sie vergessen, dass die meisten Muggeltechnologien in magischer Umgebung ihre Dienste versagen.“

„Weil die Energiequellen der Muggel im Verhältnis zur Magie zu schwach sind. Andererseits gibt es natürliche Energiequellen, die Magie negieren können. Die Muggel hantieren mit ihnen, aber es sind gefährliche Stoffe, die schnell die Gesundheit zerstören. Man nennt es Radioaktivität. Wenn man es also genau betrachtet, kommt es immer nur auf die Energiequelle an“, erklärte Bill. Da er als einer der wenigen in seiner Familie Arithmantik in der Schule belegt hatte, hatte Hermione mit ihm häufiger über die mathematischen Grundprinzipien der Magie diskutiert. Doch dies war das erste Mal, dass Bill die Faszination seiner Schwägerin für dieses Thema anhand einer praktischen Anwendung verstehen konnte. „Wenn wir also einen Muggelsender nehmen würden, der als solcher keinerlei magische Signatur aufweist und lediglich die Energie magisch verstärkten, damit er funktionsfähig bleibt... Man könnte eine magische Energiequelle so in dem Gegenstand unterbringen, dass es den Anschein eines kultischen Ritualbestandteils hat. Als Energiequelle würde es auch von einer Standard-Fluchbrechprozedur nicht betroffen sein.“

„Und wenn wir etwas Glück haben, denkt die Sternorchidee ähnlich magisch wie wir bislang und kommt nicht auf die Idee, wir könnten auf Muggeltechnologie zurückgreifen“, vervollständigte Gobhood den Grundgedanken, der hinter der ganzen Idee stand. „Ich werde Ihren Vorschlag an das Stammhaus in London weiterleiten. Wenn die Muggelbanken dieses System standardmäßig verwenden, wird unsere Partnerbank für Muggeldevisen dies sicherlich kennen. Jetzt aber wird es erst einmal Zeit für unsere Ausgrabungen. Denn wenn wir nichts Lukratives finden, wird unser Dieb vielleicht von hier verschwinden, ehe Ihr Plan zum Tragen kommt.“

Bill nickte und erhob sich. Kurz bevor er das Zelt verließ, wandte er sich noch einmal zu dem Kobold um. „Ach Chef?“

Gobhood gab etwas von sich, das man bestenfalls als freundliches Grunzen bezeichnen konnte.

„Ich würde heute Abend gern noch ein wenig mit… einem Freund trainieren. Das Spiel gegen die Wigtown Wanderers war zwar erst gestern, aber es ist nie zu früh, wieder mit dem Training anzufangen…“

Gobhood nickte nur abwesend. „Nummer 17452 ist vor drei Tagen freigegeben worden. Wachzauber 3716 Standardwerk. Sollte für Sie kein Problem sein.“

V

Draco fragte sich, welcher Hippogreif ihn geritten hatte, dass er Weasleys Vorschlag zugestimmt hatte. Andererseits war das Angebot aber auch zu verlockend gewesen. Wie oft bekam man schon die Möglichkeit geboten, das Innere einer Pyramide jenseits der üblichen Touristenführungen zu sehen? Noch dazu auf einem Besen fliegend? Denn nichts anderes hatte Weasley ihm am Ende des vergangenen Abends, während über ihnen kunstvolle Feuerwerksdrachen den nächtlichen Himmel erhellten, vorgeschlagen.

Merlin, für die Option dieser Trainingsmöglichkeit würde er sogar Potter-Weasley oder Regelpuper-Weasley ertragen! Von diesem Weasley hier ganz zu schweigen.

Bei diesem Weasley war er sogar so weit gegangen, ihn zu fragen, ob er ihm die Adresse einer vernünftigen Herberge nennen konnte. Und so stand er nun hier, in einem der Randbezirke Kairos, vor einem Gebäude, das man guten Gewissens als ‚heruntergekommen’ bezeichnen konnte. Er hätte es wissen müssen! Einmal ein Weasley, immer ein Weasley! Vermutlich fühlte sich ein Weasley beim Anblick einer solchen Bruchbude sofort heimisch. Nun ja, vielleicht täuschte das Äußere ja und die Fassade diente nur der Tarnung. Hoffen konnte man ja. Zudem kam ein Rückzieher jetzt nicht mehr in Frage. Nicht, nachdem er den Trainier der Wigtown Wanderers in einem fast sechzigminütigen Fernflohfeuergespräch förmlich bekniet hatte, ihn für ein vierzehntägiges Sondertraining hier in Ägypten freizustellen.

Draco straffte seine Schultern und setzte seine übliche, kühle Miene auf, dann betrat er das dämmrige Innere des einst makellos weiß verputzten Gebäudes.

Es dauerte einen Moment, ehe sich seine Augen an die geänderten Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, doch immerhin sah er auf den ersten Blick, dass die Herberge wenigstens den Eberkopf in Hogsmeade bezüglich Sauberkeit übertraf. Als sich der Herbergswirt jedoch als Kobold herausstellte, wurde Draco wieder von Zweifeln gepackt und fragte sich, ob es nicht vielleicht besser gewesen wäre, in einem der Standard-Zauberhotels abzusteigen. Auch wenn diese in diesem Land nicht gerade den besten Ruf genossen. Andererseits hatte er wenig Lust, den Großteil des Tages damit zu vergeuden ein Hotel nach dem anderen abzuklappern, bis er eines fand, das ihm zusagte. Dafür war er schlicht und ergreifend zu müde. Was konnte es schon schaden, wenn er sich die Zimmer hier ansah? Wenn es ihm nicht zusagte, konnte er immer noch eine andere Bleibe suchen.

„Guten Tag!“, sagte er zu dem Kobold, der ihn, ob seines arroganten Tonfalls, herablassend musterte. „Bill Weasley hat mir bei der Suche nach einer Herberge Ihr Haus empfohlen.“

„Weasley, he?“, brummte der Kobold. „Na dann…“ Er griff nach einem Schlüssel, der hinter ihm an der mit Haken versehenen Wand hing. „Nummer Elf ist frei. Eigenes Bad, aber Wasser über die tägliche Ration von fünf Litern hinaus kostet drei Sickel der Liter. Es steht Ihnen natürlich frei, jeder Zeit Wasser mit einem Aguamenti-Zauber herbeizurufen. Das Zimmer ist wochenweise im Voraus zu bezahlen. Zehn Galleonen.“ Und er hielt seine knorrige Hand auf.

Mit spöttisch hochgezogener Augenbraue wollte Draco schon bei dem Preis protestierten, dann aber fiel sein Blick auf die Preisliste an der Wand und ihm wurde bewusste, dass ihm die Erwähnung von Weasleys Namen ein Drittel Preisnachlass gebracht hatte. Zudem vermutete er, dass, wenn er Weasley erzählte, wie viel der Kobold verlangte, und der Preis immer noch unangemessen hoch war, der Fluchbrecher noch einmal für ihn nachverhandeln würde. So nickte Draco nur, überreichte dem Kobold das Geld und ging dann die kahle Stiege in den ersten Stock hinauf, wo sich den Wegweisern zufolge Zimmer Nummer Elf befand. An dem Zimmer selbst gab es eigentlich nichts auszusetzen. Es war solide und mit behaglichem Komfort ausgestattet, aber weit wichtiger: es verfügte über einen zuverlässigen Klimazauber. Auch schienen die Fenster mit einem Geruchszauber belegt zu sein, so dass die mitunter unangenehmen Ausdünstungen von der Straße nicht in das Zimmer wehten. Zufrieden setzte Draco seine Reisetasche auf dem Bett ab. Jetzt noch eine erfrischende Dusche oder Bad und ein wenig Ruhe und er wäre für das Training am Abend wieder fit.

Fünf Liter Wasser waren zu wenig für ein Bad, aber als fähiger Zauberer für Wasser zu bezahlen, noch dazu einen so exorbitant hohen Preis, kam für ihn natürlich nicht in Frage. Doch als Draco wenige Minuten später im Bad stand und auf das ärmliche Rinnsal blickte, das von seinem Zauberstab in die Wanne tröpfelte, wurde ihm klar, weshalb der Kobold diesen Preis verlangen konnte. Denn der Aguamenti-Zauber entzog der Umgebungsluft die Wassermoleküle, konzentrierte sie mittels Magie und ließ diese als Strahl dann durch den Zauberstab in das gewünschte Gefäß fließen. In einem niederschlagsreichen Land wie England, war die Luftfeuchtigkeit hoch genug, dass sogar Schüler einen ansehnlichen Strahl zustande brachten. Hier in Ägypten jedoch, betrug die Luftfeuchtigkeit in der Regel weniger als 40%, so dass einen Aguamenti-Zauber aufrecht zu erhalten einem körperlichen Kraftakt gleich kam. Sicher, Kairo hatte augrund der Nähe zum Nil eine etwas höhere Luftfeuchtigkeit aufzuweisen, doch half dies bezüglich der magischen Wasserbeschaffung nur minimal. Und natürlich hatte der Kobold den Wasserspeicher der Herberge mit Zaubern versehen, die verhinderten, dass ein Aguamenti-Zauber einfach das Wasser daraus bezog.

Kurz überschlug Draco anhand der bereits vorhandenen Pfütze die Anstrengung, die ihn das Füllen der Wanne kosten würde, und beschloss dann, dass eine Katzenwäsche jetzt auch genügte. Dann sank er auf das Bett und fiel in einen dankbaren Schlummer, war der Feuerwhiskey, den er am Vorabend getrunken hatte, doch nicht ganz spurlos an ihm vorbei gegangen.

VI

Das Innere des Zeltes war angenehm kühl nach der Anstrengung des Tages. Fluch um Fluch hatten sie brechen müssen, um für die weiteren Grabungsarbeiten die Kammer zu sichern. Und auch wenn Fluchbrechen auf den ersten Blick wie simples Zauberstabschwingen aussah, war es doch aufgrund des hohen Maßes an Konzentration reine Knochenarbeit. Aber schließlich war niemandem damit gedient, wenn sie nach Bergung der Hälfte der Schätze plötzlich einen Fluch aktivierten, eine Falle auslösten und die Kammer verschüttet wurde. Diese dann wieder freizulegen, war eine Arbeit, die man sich lieber ersparte.

Körperlich erschöpft, ließ er sich auf die Bettstatt sinken, nur um gleich darauf wieder aufzufahren, als der Zweiwegespiegel auf dem Waschtisch leise klingelnd ein eingehendes Gespräch ankündigte. Seufzend erhob er sich und aktivierte den Spiegel.

„Hereborth!“, grüßte ihn die strenge, aber gütig lächelnde Miene seines Vaters. „Ich habe dein neustes Kleinod erhalten. Ein wirkliches Schmuckstück, muss ich dir lassen. Du hast ein gutes Auge für so etwas. Ich nehme an, dass du noch mehr in dieser Richtung schicken wirst?“

Der Angesprochene nickte. „Ja, allerdings nicht heute und auch nicht morgen. Ich konnte heute zwar schon ein paar vielversprechende Objekte sehen, aber es nutzt niemandem etwas, wenn die Gegenstände noch mit nicht identifizierten Flüchen auf den Markt kommen. Damit würden wir uns strafbar machen.“ Das Grinsen, das diese Worte begleitete, sagte deutlich, dass sich Vater und Sohn sehr wohl bewusst waren, dass sie sich allein schon mit dem Diebstahl der Kunstgegenstände auf die falsche Seite des Gesetzes stellten. Aber schließlich hatten auch Diebe so etwas wie eine Berufsehre. Doch weit wichtiger: Versuchten sie verfluchte Gegenstände auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen, ohne ihre potenziellen Käufer über die möglichen Gefahren aufzuklären, würde bald niemand mehr etwas von ihnen kaufen.

„Kannst du wenigstens schon eine Andeutung machen, welcher Art die Gegenstände sind, die du vermutlich wirst stehlen können? Dann wäre ich in der Lage schon im Vorfeld die entsprechenden Kontakte herzustellen…“

Hereborth überlegte kurz. „Ich habe heute einen Dolch mit interessanten Gravierungen gesehen. Dieser dürfte klein genug sein, dass ich ihn unauffällig herausschmuggeln kann. Wenn du also einen Liebhaber antiker Waffen an der Hand hättest, könnte hier ein lohnendes Geschäft zustande kommen.“

Zufrieden nickte der ältere Herr jenseits des Spiegelglases. „Das trifft sich gut. Aethelward hat aus Yucatan auch etwas in dieser Richtung gemeldet, da könnten wir sogar mal wieder in den Genuss eines Wettbietens kommen.“

Mit einem leisen Lachen verabschiedeten sich die beiden Männer voneinander und gleich darauf zeigte der Spiegel nur noch das eigene, vergnügt dreinblickende Antlitz. Ein Wettbieten war eben immer etwas Besonders, das nur dann möglich wurde, wenn man mehrere Stücke ähnlicher Art und mehrere Interessenten hatte, die generell zum Beispiel an Waffen interessiert waren, aber vorwiegend nur Artefakte aus einem Kulturkreis sammelten. Dann bot man die betreffenden Stücke nur als Gesamtpaket an und in dem Versuch, an den fehlenden Kunstgegenstand für die eigene Sammlung zu kommen, bot man auf den anderen Gegenstand mit. Die Interessenten hofften natürlich hinterher den überzähligen Gegenstand selbst gewinnbringend an die andere Partei weiter zu verkaufen und schaukelten sich so gegenseitig hoch. Doch am Ende verdiente meist nur der ursprüngliche Verkäufer wirklich. Vor allem, da die Organisation der Sternorchidee sich durch Verschwiegenheit, was ihre Käufer betraf, ihren guten Ruf geschaffen hatte, weshalb man dann noch mal eine Vermittlungsgebühr verdienen konnte, wollte der Käufer der Gegenseite eine Offerte für den fraglichen Gegenstand unterbreiten.

VII

Sonnenuntergang. Wüstenromantik. Es grenzte fast schon an Ironie, dass sie diese Zeit für ihr Training verabredet hatten. Denn eine Qudditch-Verabredung hatte nun wirklich nichts Romantisches an sich.

Bill hatte ein wenig gezögert, ehe er Draco Malfoy am Morgen Gobhood gegenüber als Freund ausgegeben hatte. Tatsache war, dass er am gestrigen Abend neugierig gewesen war, was den Malfoy-Erben dazu gebracht hatte, seinen Lebensunterhalt mit so etwas eigentlich kindischem wie Profi-Quidditch zu verdienen, statt wie seine Vorfahren sich in die Finanz- und Hochpolitik zu mischen. Und er war überrascht gewesen, wie umgänglich Malfoy junior gewesen war. Bill war sich sicher, dass dies nicht bloß dem Feuerwhiskey, den dieser konsumiert hatte, zuzuschreiben gewesen war. Dafür war zu häufig die altbekannte Malfoy-Arroganz aufgeblitzt. Aber alles in allem war der Abend in Malfoys Gesellschaft weitaus angenehmer gewesen, als Bill für möglich gehalten hätte, weshalb er schließlich das Training vorgeschlagen hatte. Aber nicht nur das, irgendwas faszinierte ihn an diesem blassen Zauberaristokraten, hatte ihn dazu gebracht, ihn wiedersehen zu wollen. Dabei wusste Bill genau, dass es nichts mit dessen Reinblutherkunft oder Reichtum zu tun hatte, waren es doch zwei Dinge, auf die die Weasleys noch nie etwas gegeben hatten. Und auch die dunkle Vergangenheit konnte es nicht sein, denn Malfoy junior umgab nicht diese dunkle Aura, wie sie die meisten bekannten Todesser besaßen und die in nicht wenigen Fällen, so auch bei Malfoy senior, bei zarter besaiteten Gemütern eine Gänsehaut verursachen konnte.

Auf jeden Fall war er gespannt, wie der Abend sich entwickeln würde und auch, wie viel angeborenes Talent der junge Malfoy tatsächlich hatte.

Pünktlich auf die Minute hörte er das altbekannte Ploppen der Apparation.

„Ein Kobold, Weasley? Ein Kobold??“

Bill schmunzelte ob des leicht ungehaltenen Grußes, sofern man die Äußerung von Draco Malfoy als Gruß interpretieren wollte. Er wusste sofort, worauf der andere anspielte.

„Wieso? Wo ist das Problem? Die Herberge ist sauber, die Schutzzauber intakt und zuverlässig und solange du pünktlich bezahlst, wird der Wirt sich nicht für dich interessieren. Soll heißen, dass er weder in deinen Sachen herumschnüffelt, noch ständig wissen will, was für Pläne du für den jeweiligen Tag hast.“

„Wäre ja noch schöner“, schnaubte der andere.

„Glaub mir, hier in Ägypten wäre das nicht so ungewöhnlich. Das Land ist durchtränkt von Geschichte und Magie und die Regierung empfindet es als ihr Recht, sicher zu stellen, dass keine Kulturgüter illegal aus dem Land geschafft werden. Und gerade bei Zauberern kennt man wenig Skrupel, wenn es um die Überprüfung ihrer Habseligkeiten geht, wenn man auf die Weise Schmuggel unterbinden kann.“

„Super“, ätzte Malfoy. „Und ich dachte, sie wären scharf darauf, Touristen anzulocken.“

Bill lachte. „Sind sie auch. Bei den Muggeln wird ihnen die Kontrolle erleichtert, weil diese das Land über zentrale Punkte wie Flughäfen verlassen. Da reicht es, deren Gepäckstücke bei der Ausreise zu überprüfen. Zauberer hingegen können jederzeit ein paar hundert Kilometer weit apparieren und so die Landesgrenzen hinter sich lassen. Also werden sie häufiger überprüft. Die Koboldherbergen sind deswegen sicher, weil Kobolde in ihren Gebäuden eigene Schatz-Schutz-Zauber errichten. Ich glaube, es ist ein Jucken in ihren Nasen, das ihnen mitteilt, wenn ein Gast etwas entsprechendes bei sich führt. Dann verstärken sie die Zauber und erspüren so, um welche Art Schatz es sich handelt. Bei antiken ägyptischen Gegenständen werden sie einem dann beiläufig wünschen, dass man trotz der Papiere, die man sicherlich habe, keinen Ärger mit den Behörden bekommt. Aber alles in allem weit angenehmer, als wenn die ägyptischen Zauberministeriumsangestellten und ihre angeheuerten Hilfskräfte alles durchwühlen. Sie sind nicht gerade geschickt…“ Das verächtliche Kopfschütteln Bills zeigte deutlich, dass er dann doch lieber die unauffälligen Methoden der Kobolde bevorzugte.

Und auch Draco schien einzusehen, dass die Herberge, in der er untergekommen war, vielleicht gar nicht so übel war. Dennoch konnte er es sich nicht verkneifen, noch ein wenig über die Wassersituation zu jammern.

„Mit drei Sickeln pro Liter hat er dir noch einen wirklich guten Preis gemacht. Vielleicht ließe er sich auf zwei Sickel herabhandeln, aber das wäre letztlich vermutlich den Aufwand nicht wert“, erklärte Bill gelassen. „Wasser ist hierzulande eben ein knapper Rohstoff, der überwiegend zum Trinken verwendet wird.“

„Du kannst mir nicht erzählen, Weasley, dass die Ägypter sich nicht waschen. Oder dass ihr in den Ausgrabungslagern einfach mit Sand die oberste Dreckschicht abkratzt.“ Herausfordernd und mit typisch arrogant gehobener Augenbraue sah Draco Malfoy Bill an.

„Das mit dem Sand muss ich mir merken.“ Schalk blitzte in Bills Augen auf. „Aber nein, in den Lagern wird als allererstes ein magischer Brunnen gebohrt, so dass wir über genug Wasser verfügen. Allerdings in limitiertem Umfang, sprich eine Dusche pro Tag, ansonsten muss es ein Reinigungszauber tun. Und die Ägypter… nun, die meisten Häuser haben einen Wasserspeicher mit begrenztem Vorrat. Dir werden ja schließlich auch fünf Liter kostenlos pro Tag zugestanden. Ansonsten gibt es die Möglichkeit öffentliche Badehäuser, Hammams, zu besuchen. Eine Muggeleinrichtung, aber herrlich entspannend. Kann ich nur empfehlen.“ Er konnte sich ein amüsiertes Grinsen nicht verkneifen, als er Malfoys schockierten Gesichtsausdruck sah und er beschloss in diesem Moment, dass, sollte der andere länger als nur zwei oder drei Tage hier bleiben, er mit ihm in ein Hammam gehen würde. Doch für diesen Abend war erst einmal Fliegen angesagt. „Wie sieht es aus, hast du noch mehr Beschwerden über Land und Leute vorzubringen, oder wollen wir los?“, fragte er.

Draco schien einen Augenblick zu überlegen, ob Bill sich einen Scherz auf seine Kosten leistete, entschied dann aber, dass es der Mühe nicht wert war und er eh nur wegen des Quidditch-Trainings gekommen war. Als stummes Zeichen zum Aufbruch, hob er seinen Besen. Um so größer war die Überraschung, als er im nächsten Moment spürte, wie Bill Weasley seinen Arm um seine Schulter legte und er gleich darauf die vertraute, aber dennoch unangenehme Enge des Apparierens spürte.

„Ich hasse Seit-an-Seit-Apparation!“, murmelte er übellaunig, verstärkte das Apparieren gemeinsam mit einer anderen Person doch immer das Unwohlsein in seinem Magen um ein Vielfaches.

„Sorry“, sagte Bill und hatte zumindest den Anstand einen Anflug von Beschämtheit auf seinem Gesicht zu zeigen. „Aber diese Pyramide ist für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Seit-an-Seit-Apparation mit einem Eingeweihten ist die einzige Möglichkeit für Fremde hierher zu kommen.“

„Dennoch hättest du mich vorwarnen können, Weasley!“

Ein klein wenig schuldbewusst zuckte Bill mit den Schultern. Viel zu sehr waren seine Gedanken noch damit beschäftigt, wie unerwartet gut sich der schlanke Körper des jungen Mannes neben ihm in dem kurzen Moment vor dem Apparieren angefühlt hatte. „Hätte doch eh nichts daran geändert“, meinte er schließlich wegwerfend und schob alle anderen Gedanken beiseite. Wer durch die geheimen Gänge einer Pyramide fliegen wollte, konnte es sich nicht leisten, seine Gedanken nicht bei der Sache zu haben. Stattdessen holte er seinen Besen hervor und sagte: „Du hast die Wahl… entweder du fliegst mir exakt hinterher oder wir trainieren erst einmal hier draußen und sehen, wie weit den Gespür reicht.“

Irritiert sah Draco Bill an. „Wie meinst du das?“

„Beim Quidditch kommt vieles auf das richtige Gespür an. Ich bin mir sicher, dass du nach all den Jahren bereits im Unterbewusstsein wahrnimmst, wenn ein Klatscher auf dich zugerast kommt, egal ob der Ball sich nun in deinem Blickfeld oder deinem Rücken befindet.“

Draco nickte. Genau genommen waren es die Luftveränderungen, hervorgerufen durch die Schwere und Geschwindigkeit des Klatschers, die er spürte. Aber er musste sich nicht länger bewusst darauf konzentrieren, diese Veränderungen zu spüren.

„Es ist eine Gefahr, für die du sensibilisiert bist. Aber ein Klatscher fliegt immer gerade aus auf der Flugbahn, die ihm das Schlagholz vorgibt. Deine Mitspieler und Gegner sind in der Flugbahn weniger berechenbar, darin gleichen sie dem Schnatz. Aber anders als dem kleinen Ball willst du den Mitspielern nicht folgen, sondern ihnen ausweichen. Besonders wenn der direkte Weg zum Schnatz durch die Meute der Jäger führt.“

„Du willst mir weismachen, du könntest die Nähe eines Mitspielers genauso unbewusst wahrnehmen wie einen Klatscher?“ Spöttisch musterte Draco sein Gegenüber. Nicht einmal der derzeit weltbeste Sucher konnte das.

Bill aber lächelte nur ein klein wenig überlegen. Dann nickte er, wobei eine unausgesprochene Herausforderung in seinen Augen stand. „Du würdest mir vermutlich nicht glauben, wenn ich dir sagte, dass die wirklich guten Flieger nicht beim Profi-Quidditch zu finden sind und jeder einzelne von ihnen den aktuellen Weltspitzensucher schlagen könnte. Zumindest, solange es nur darum geht, den Schnatz als erster zu fangen. Denn strategisches Spiel, so wie du es gestern gezeigt hast, ist ihnen meist vollkommen fremd.“

„Du erzählst Blödsinn, Weasley!“, widersprach Draco. „Wenn sie wirklich so gute Flieger sind, wieso wurden sie dann nicht von den professionellen Quidditch-Teams rekrutiert?“

„Och, man hat es versucht. Um ehrlich zu sein, wurde mir mittlerweile auch schon ein oder zwei Mal das Angebot gemacht, bei ein paar Vereinen zu den Testspielen zu kommen. Aber alle diese guten Flieger haben etwas in ihrem Leben gefunden, das ihnen mehr bedeutet als die Jagd nach einem kleinen, geflügelten Ball. Ich übrigens auch, auch wenn ich mich nicht zu den wirklich guten Fliegern auf dieser Welt zähle. Du hättest mal Inu Popohumukana fliegen sehen sollen…“ Bill konnte einen schwärmenden Unterton nicht aus seiner Stimme heraushalten. Als er aber Dracos nicht wenig neugieriges Gesicht sah, fuhr er fort: „Sie hat das Fliegen in den Vulkanen von Hawaii gelernt. In meinem allerersten Jahr bei Gringotts hatte das Profi-Team aus Kasachstan, das eingeladen worden war, kurzfristig absagen müssen, weil die politische Lage sich gravierend geändert hatte. Die Änderungen im politischen Machtgefüge der Muggel hatten auch vor der Zaubererwelt dort nicht Halt gemacht und solange der zuständige Zaubereiminister nicht ausschließen konnte, dass es nicht vielleicht zu Kriegshandlungen kommt, weil irgendwelche unzufriedenen Parteien diese Gelegenheit nutzen wollten, hatte er ein allgemeines Ausreiseverbot verhängt. So schnell ließ sich natürlich kein anderes Team kriegen, das zu diesem Termin gekonnt hätte. Also hat man spontan die anderen Werksteams gefragt, ob sie nicht mal Ägypten besuchen möchten. Argentinien hat die Einladung angenommen, denn zufällig wäre ihr eigentlicher Gegner auch ein Team aus Kasachstan gewesen. Sie hatten also das gleiche Problem gehabt. Ehrlich, das war ein Spiel… Die Geschwindigkeit mit der Popohumukana durch die anderen Spieler hindurch geschossen ist, um die Verfolgung des Schnatzes aufzunehmen, kannst du dir nicht vorstellen. Sie hat ihren Besen an das Geschwindigkeitslimit getrieben. Hinterher konnte man sehen, dass sogar ein paar der Reisigzweige leicht verkohlt waren. Und mitten durch die anderen Spieler hindurch, ohne dass etwas passiert ist.“

Die Faszination in der Stimme, der träumerische Ausdruck in den Augen und die Entschlossenheit in Bills Haltung, machten deutlich, dass es sich hierbei keineswegs um ein Märchen handelte, das er Draco erzählte, um diesen ein wenig zu foppen. Und so schwieg dieser.

Es dauerte ein paar weitere Augenblicke, ehe Bill aus seinen Erinnerungen wieder in das Hier und Jetzt zurückfand. „Auf jeden Fall, was ich eigentlich sagen wollte: Es geht darum, dass man nicht nur für die Gefahr des Klatschers sensibilisiert wird, sondern für alle möglichen Gefahren. Die geringsten Veränderungen müssen unbewusst wahrgenommen werden. Vermutlich wäre es für jemanden mit einem absoluten Gespür dann sogar möglich, den Schnatz zu spüren, ohne ihn zu sehen.“

Wütend blitzten Dracos Augen bei diesen Worten auf. Er konnte nicht verhindern, dass die Erinnerungen an ein lange zurückliegendes Spiel wieder vor seinem geistigen Auge auftauchten. Damals, in Hogwarts, als er den Schnatz nicht gespürt hatte, obwohl er direkt neben seinem Kopf gewesen war. Das Slytherin-Team war damals zu Recht sauer auf ihn gewesen, hatte er sie doch den Sieg über die Gryffindors gekostet. Wenn es wirklich möglich war, zu lernen sogar den kleinen goldenen Ball zu spüren… Entschlossenheit verdrängte die alte Wut. „Zeig mir, wie das geht!“

Überrascht ob der Heftigkeit, die aus den Worten gesprochen hatte, sah Bill Draco kurz stumm an, dann nickte er. Nach einem Moment des Überlegens sagte er: „In Ordnung, dann fliegen wir erst einmal hier draußen. Keine Sorge, es gibt einen großzügigen Muggel-Ignorier-Zauber rund um das Gebiet, es wird uns also niemand sehen. Der Seelenschacht ist magisch getarnt. Ich kenne seine Position, du aber nicht. Wir werden jetzt also so lange um die Pyramide herumfliegen, bis du ihn gefunden hast.“ Damit stieg Bill auf seinen Besen und stieß sich vom Boden ab.

VIII

Draco war ausgelaugt, als er etliche Stunden später mehr tot als lebendig auf sein Bett sank. Das Training mit dem ältesten Weasley-Spross hatte ihn mehr gefordert als er für möglich gehalten hatte, wobei das stundenlange, krampfhaft gebeugte Sitzen auf dem Besen nur einen kleinen Teil der Erschöpfung ausmachte. Weit anstrengender war der Konzentrationsmarathon gewesen, den das Training ihm abverlangt hatte. Den Eingang zum Seelenschacht zu finden war wahrlich noch die leichteste Übung gewesen, da dieser mit einem modernen Zauber versiegelt worden war. Vermutlich von den Gringotts-Mitarbeitern, um zu verhindern, dass Muggel-Grabräuber diesen Zugang nutzten, falls sie zufällig die Pyramide entdeckten, Fallen auslösten und man hinterher die Schweinerei beseitigen musste. Draco hatte dennoch fast eine halbe Stunde gebraucht, seine Sinne soweit zu sensibilisieren, dass er den Eingang aufspüren konnte. Und dann erst die Fallen im Inneren der Pyramide. Weasley war vorweg geflogen, langsam, damit Draco jeden Schlenker, jede Bewegung nachahmen konnte. Dabei hatte der Rotschopf Draco immer wieder darauf aufmerksam gemacht, wenn sie sich einer Falle näherten. Aber die antike Magie der Fallen fühlte sich so anders an als die moderne Magie, war darüber hinaus in der Signatur im Laufe der Jahrtausende verblasst und mit dem Gestein verschmolzen, so dass Draco die Hälfte der Zeit nur hilflos hinterher geflogen war. Und doch hatte Weasley jedes Mal Recht gehabt, wenn er innehielt und ihm schließlich die Öffnungen zeigte oder auch die ein oder andere Falle aus sicherer Entfernung auslöste, um zu zeigen, dass sie wirklich existierte. Schließlich war er ein Stück vorausgeflogen und hatte Draco bedeutet zu warten. Es war einer der Hauptgänge der Pyramide gewesen, breit genug, um die Totenprozession in das Bauwerk einzulassen. Denn auch wenn hinterher nur eingeweihte Priester und auserwählte Slaven den Toten in seinem Sarkophag zur letzten Ruhe gebettet hatten und somit als einzige den Weg durch das Labyrinth kannten, das sich im Innern einer jeden Pyramide verbarg, wurde der Leichnam auf dem ersten Teil des Weges von einem vielzähligen Gefolge flankiert. Das Gefolge blieb dann am Eingang zum Labyrinth zurück und verließ die Pyramide wieder durch den Prunkgang. In diesem Abschnitt waren die Fallen erst nach der Grablegung eingebaut worden und daher, laut Weasley leichter zu detektieren. Dennoch hatte er sich erst vergewissern wollen, dass keine für Zauberer tödlichen Fallen noch aktiv waren. Erst dann hatte er Draco aufgefordert zu ihm zu fliegen und dabei seinen Weg durch die Fallen selbst zu erspüren. Draco hätte nicht geglaubt, dass ein Angehöriger des Hauses Gryffindor, die ja eigentlich als eher weichherzig galten, so hart sein könnte und ihm wirklich nicht die geringste Hilfestellung zukommen lassen würde. Stattdessen hatte Weasley geduldig am Ende des breiten Ganges auf ihn gewartet. Kurz war in Dracos Kopf die Frage aufgetaucht, warum er dem anderen glaubte, wenn dieser behauptete, die Fallen seien harmlos, aber er schob diesen Anflug von Paranoia auf die Tatsache, dass er sich eigentlich ungern auf unbestimmte Zeit in die Hände eines anderen und in eine Situation begab, wo er nicht sicher sein konnte, den Weg in die Freiheit wieder zu finden. Dann aber hatte er entschieden, dass es weitaus fruchtbarer war, sich auf die vor ihm liegende Aufgabe zu konzentrieren und seine Fähigkeiten zu schulen, so dass Weasley, falls dieser irgendwelche Pläne mit nicht ganz so harmlosen Fallen verfolgte, keinen Erfolg hatte.

Beinahe jede Besenlänge hatte er innehalten müssen, weil er glaubte etwas gespürt zu haben und sich nicht sicher war, ob es tatsächlich ein antiker Zauber war, den er entdeckt hatte, oder ob es bloß Einbildung gewesen war. Zu Fuß wäre er wahrscheinlich schneller gewesen, aber einen Kommentar in die Richtung hatte er sich verkniffen, hatte er doch geahnt, dass Weasley ihm dann nur gesagt hätte, dass es ihm nichts nutzte, etwas zu spüren, wenn er mit beiden Beinen fest auf dem Boden stand, wo er die Fähigkeit doch später auf dem Besen brauchte.

Andererseits war das Lächeln und der stolze Gesichtsausdruck, den Weasley getragen hatte, als er endlich bei diesem angekommen war, beinahe schon eine ausreichende Entschädigung gewesen. Aber immerhin hatte Draco auch keine einzige Falle ausgelöst.

„Wo war die letzte Falle?“, hatte der Gringotts-Sucher wissen wollen.

Mit nur geringem Zögern hatte Draco auf ein Abbild eines Skarabäus gezeigt, der die rote Sonnenscheibe vor sich her schob.

Bill Weasley hatte genickt und einen kleinen Magieimpuls auf das Sonnenbild gelenkt. Ein Teil des Bodens im Gang brach ein und offenbarte Steinspitzen, die in jeder Tropfsteinhöhle als äußerst spitze Stalagmiten bezeichnet worden wären, hier aber merkwürdig fehl am Platz und zugleich überaus angsteinflößend aussahen. „Nur damit du weißt, dass die Fallen durchaus aktiv waren und du keinen Trockenlauf hingelegt hast.“

Zugegeben, auf seinem Besen war Draco vor den Steinspitzen sicher gewesen, aber etwas mulmig war ihm dennoch bei dem Anblick geworden.

Ein Zauberstabschlenkern später hatte Weasley die Falle wieder in ihren ursprünglichen Zustand versetzt.

„So, und jetzt lass uns zurückfliegen. Wir sind hier nämlich schon seit etwas mehr als vier Stunden drin und ich muss morgen früh zur Arbeit. Am besten fliegst du mir wieder hinterher.“

Erst als sie wieder draußen, im Freien angekommen waren, war von Draco die extreme Anspannung abgefallen und er hatte gespürt, wie erschöpft er doch war. Dennoch hatte er es bedauert, dass damit der Abend sein Ende gefunden hatte, obgleich er einsehen musste, dass er nicht einmal mehr in der Verfassung war, für die Dauer eines Glases Kürbissaft ein angenehmer Gesellschafter zu sein. Aber es gab ja immer noch den nächsten Abend. Denn ehe er appariert war, hatte Weasley nur knapp gesagt: „Morgen, selber Ort, selbe Zeit?“, worauf Draco stumm genickt hatte.

Er wusste nicht, was er von dieser Situation halten sollte. Nicht nur, dass er Bill Weasley nach wie vor attraktiv fand, er vertraute diesem Weasley auch und fühlte sich in dessen Gegenwart wohl. Diese Kombination war ihm zuletzt in Hogwarts in Gestalt von Blaise Zabini begegnet und doch war es hier anders. Blaise gegenüber hatte er nie dieses Prickeln empfunden, nie das Bedürfnis gehabt, herauszufinden, wie sich dessen Haar anfühlte. Ein Weasley. Ausgerechnet ein Weasley. Und dann… war dieser Weasley nicht dieser Französin mit Veelablut verheiratet? Sonderbarerweise hatte er sie weder bei den gestrigen Festivitäten gesehen, noch hatte Weasley sie mit einer Silbe erwähnt.

IX

Es lag nicht in Dracos Natur, den Tag sinnlos zu vertrödeln, während er darauf wartete, dass es Abend wurde und Bill ihn am Quidditchfeld für das Training abholte. Er wusste selbst nicht, wann aus dem Rotschopf in seinen Gedanken Bill statt Weasley geworden war und doch fühlte es sich nicht verkehrt an, weshalb er sich nicht weiter den Kopf darüber zerbrach. Weit mehr beschäftigte Draco etwas, das Bill bei ihrem ersten Training gesagt hatte und das so treffend ein bestimmtes Gefühl der Leere in ihm beschrieb.

War er nur deswegen beim Quidditch hängen geblieben, weil er bislang nichts gefunden hatte, das ihm wirklich wichtig war? So wichtig, dass weder Ansehen noch Bezahlung von Bedeutung waren und lediglich der Wunsch, dieser Profession nachzugehen, diese Berufung zählte? Quidditch fand stets in den gleichen, bekannten Grenzen statt. Sogar die Herausforderung eines neuen Spielers in der Liga hielt sich in Grenzen. Und das alles füllte ihn nicht wirklich aus. Vielleicht hatte er es deshalb auch nicht geschafft, den Stammspieler zu schlagen. Denn vor diesem Hintergrund schien es die letzte Herausforderung zu sein, die dieser Sport noch für ihn bot. Danach erwartete ihn nur die Leere der Routine, eine Leere, die sein Unterbewusstsein offenbar mit allen Mitteln zu verhindern suchte. Denn mit jedem Training spürte Draco, wie er bis an seine Grenzen gefordert wurde und ihn dies mit einer Lebendigkeit erfüllte, die er erst einmal gespürt hatte: bei der Schlacht um Hogwarts. Nicht das Adrenalin, das durch seine Adern gepeitscht war, sondern die Herausforderung zu überleben. Und ohne zu leben, konnte man auch nicht überleben. Sein Leben. Nicht als Kopie oder Marionette. Der Mensch Draco. Der Mensch, den er eigentlich im Heranwachsen hätte finden müssen, wäre seine Schulzeit normal verlaufen. Aber sie war nun mal nicht normal verlaufen. Schon als er geboren worden war, hatten die Zeichen nicht auf Normalität gestanden. Und als er volljährig wurde, hatte der Ausnahmezustand geherrscht. Flüchtig dachte Draco daran, ob es den anderen, seinen Mitschülern aus Hogwarts, ähnlich ging. Voldemort hatte sie viel zu früh gezwungen, wie Erwachsene zu agieren, sie in Rollen gedrängt, die vielleicht gar nicht ihrer Bestimmung entsprachen. Ob auch die anderen nach ihrer Identität suchten oder war er einfach nur das pathetische Beispiel eines Menschen ohne Ziel? Oder hatten sie sich einfach mit der Rolle zufrieden gegeben, die das Schicksal ihnen aufgedrückt hatte? Hatte er sich bloß bislang damit zufrieden gegeben? War er beim Plan B der Natur verharrt? Wenn ja, wie sah Plan A aus?

Draco spürte mit jedem Tag, den er hier in Ägypten verbrachte, dass er seine Fähigkeiten bei Weitem noch nicht ausgeschöpft hatte. Sonst würde er nicht mit jedem Tag fühlen, wie seine Wahrnehmung sich schärfte.

Hatte am ersten Tag, wo er beinahe ziellos über den großen Muggelbasar von Kairo geschlendert war, nur der Schutzzauber auf seiner Geldbörse verhindert, dass er von geschickten Langfingern um sein Gold erleichtert wurde, konnte sich jetzt, nach zehn Tagen, kaum einer der kleinen Taschendiebe unbemerkt anschleichen. Und auch wenn er es nicht wusste, eilte ihm unter den Straßenkindern allmählich der Ruf des Unheimlichen Fremden, um den man besser einen Bogen machte, voraus. Auch die Händler nahmen dies zur Kenntnis und behandelten ihn daher, wenn auch nicht wie einen Einheimischen, so doch auch keineswegs wie den üblichen Touristen. Und so wagte er es schließlich an diesem Tag für seinen Sohn ein paar schön geschnitzte Steintiere zu erstehen.

Das Handeln, das angesichts der Anzahl Tiere, die Draco zu kaufen gedachte, auch zahlreiche Gläschen Apfeltee mit einschloss, hatte sich länger hingezogen, als er gedacht hatte, wie Draco mit einem erschrockenen Blick auf die Uhr feststellte, als er den Laden verließ. Es blieb ihm nicht mehr die Zeit, seine Einkäufe in die Herberge zu bringen und sich umzuziehen, wenn er nicht unhöflich spät zum Training erscheinen wollte. Und man mochte ja von ihm halten, was man wollte, aber unhöflich unpünktlich war er nie.

Rasch suchte er sich einen stillen Hinterhof, dann apparierte er direkt zum Gringotts-Quidditchfeld, das ihnen als Treffpunkt diente.

X

Verwundert, dass Draco nicht wie sonst schon vor ihm da war, sah Bill auf seine Armbanduhr, um sich zu vergewissern, dass er sich nicht in der Zeit geirrt hatte. Doch kaum hatte ihm das Ziffernblatt bestätigt, dass er vollkommen pünktlich war, als er hinter sich auch schon den vertrauten Klang des Apparierens vernahm. Grinsend wandte er sich um. Das Grinsen wurde sogar noch breiter, als er eine der wohlbekannten weißen Muggelplastiktüten in Dracos Hand sah. „Souvenirs?“

Draco nickte. „Geschnitzte Steintiere. Für meinen Sohn. Im Moment wird er zwar die Tiere vermutlich nur in den Mund stecken und daran lutschen, aber sie gefielen mir.“

Bill spürte einen feinen Stich bei der Erwähnung des Kindes. Während all der Tage, die sie nun schon gemeinsam trainierten, hatte der junge Malfoy nie erwähnt, dass er Frau und Kind hatte. Eher im Gegenteil, seine ganze Haltung hatte den Eindruck erweckt, er wäre, wie Bill, ungebunden. Nur deshalb hatte Bill es zugelassen, dass sich in den vergangenen Tagen zunehmend ein flirtender Unterton in seine Worte geschlichen hatte. Denn er konnte nicht länger leugnen, dass er sich zu Draco hingezogen fühlte. Er würde nicht soweit gehen davon zu sprechen, dass er sich in Draco verliebte, aber er genoss dessen Gegenwart, die Tatsache, dass dieser in der Lage war, eine intelligente Konversation aufrecht zu erhalten und er ertappte sich immer häufiger bei der Vorstellung, wie es wäre, mehr von der blassen Haut zu sehen, als die Roben preisgaben. Mehr noch, diese blasse Haut zu berühren.

Er hoffte, dass man seiner Stimme die Enttäuschung nicht anhörte, als er Draco lächelnd erwiderte: „Da wird sich deine Frau aber freuen, dass du an euren Sohn gedacht hast. Ich hoffe, du hast nicht zu viel gezahlt.“

Verwirrt sah ihn der andere einen Moment an. „Meine Frau? Ich bin nicht… Ah, du meinst die Mutter meines Kindes. Und nein, ich habe gewiss nicht zu viel dafür bezahlt. Ich hätte es gespürt, hätte der Händler etwas verbergen wollen.“

Jetzt war es an Bill ein irritiertes Gesicht zu machen. „Ist man nicht für gewöhnlich mit der Mutter seines Kindes verheiratet?“ Nebenbei registrierte er mit Genugtuung, dass ihr Training offenbar auch in anderen Lebensbereichen die Wahrnehmung des jungen Malfoy verbessert hatte.

„Nicht unbedingt.“ Draco konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Nicht in meinem Fall.“

Nun war Bill erst recht neugierig geworden. Im Bruchteil einer Sekunde traf er eine Entscheidung. „Das musst du mir, glaube ich, genauer erzählen“, sagte er. „Komm, ich hab eine Idee.“ Sein Grinsen war zurückgekehrt.

„Eine Idee?“ Draco sah ihn ein wenig skeptisch an.

„Wir werden heute nicht trainieren wie sonst, sondern uns entspannen. Es bringt ja nichts, jeden Tag zu trainieren und am Ende total verkrampft zu sein. Ich bin sicher, dass du dich bislang noch nicht in ein Hammam gewagt hast.“ Auffordernd sah Bill Draco an. „Ich könnte diese gründliche Reinigung dringend mal wieder gebrauchen. Ich habe bald den Eindruck, dass jede einzelne Hautpore, trotz der regelmäßigen Dusche, von Sand und Staub verstopft ist. Außerdem könnten wir uns dabei unterhalten, etwas, das, wie du sicher zugeben wirst, auf Besen fliegend, ziemlich umständlich sein kann.“

Kurz zögerte Draco noch, dann nickte er.
 

Wenig später fanden sie sich, nach einer ersten Waschung, nur mit dem traditionellen Hüfttuch bekleidet, auf dem Ruhestein des Heißraums wieder. Wohlig seufzend streckte sich Bill auf dem Stein aus. Die beiden Telleks, die Badewärter, hatten soeben die Massagen bei ihnen beendet und er fühlte sich einfach nur herrlich entspannt. Die Reinigung im Warmraum konnte noch ein wenig warten. Ein Blick zu Draco hinüber zeigte ihm, dass auch dieser es nicht eilig zu haben schien.

„So, und jetzt erzähl, wie es kommt, dass du einen Sohn aber keine Frau hast.“ Die Art, wie Draco vorhin den Begriff ‚Mutter meines Kindes’ gebraucht hatte, ließ Bill darauf schließen, dass die betreffende Dame nicht etwa bei der Geburt des Kindes gestorben war und Draco als alleinerziehenden Witwer zurückgelassen hatte.

„Nur wenn du mir im Gegenzug erzählst, wieso ich hier in Ägypten nirgendwo deine Frau gesehen habe und du sie auch mit keiner Silbe erwähnst“, konterte Draco nach einem kurzen Moment.

Ein kaum wahrnehmbarer Schatten der Trauer huschte über Bills Gesicht, aber er nickte. Es war nur fair und ein wenig schmeichelte es ihm auch, dass Draco wusste, dass er einst verheiratet gewesen war. „Fang an“, forderte er den anderen auf und schob erst einmal die Gedanken an Fleur beiseite.

Draco musste sich einen Moment sammeln. Erinnerungen strömten auf ihn ein, durch die Hitze des Hammams noch verstärkt. Beinahe glaubte er, wieder die sengende Hitze des Dämonfeuers zu spüren, das Vince entfacht hatte und sich durch den Raum der Wünsche fraß. Wie er sich plötzlich mit Potter auf einem Besen wiedergefunden hatte, Greg hinter sich herziehend, bis Weasley und Granger ihnen geholfen hatten. Die Erleichterung, als sie den Raum der Wünsche hinter sich gelassen hatten und die kühle Luft des Korridors sie empfangen hatte.

„Es war zu mächtig gewesen. Nie hätte ich für möglich gehalten, dass in Vince ein derartiges Talent für schwarze Magie steckt. Vielleicht, wenn dieses Fach an Hogwarts mit mehr Umsicht gelehrt worden wäre und nicht erst als die Todesser die Schule beherrschten… Man kann auch weiße Magie für schreckliche Dinge einsetzen und doch wird sie gelehrt. Es wird uns beigebracht, verantwortungsbewusst damit umzugehen, es zu kontrollieren. Hätte man die schwarze Magie nicht so kategorisch abgelehnt, sondern gleichberechtigt und verantwortungsbewusst gelehrt, hätte er es vielleicht besser kontrollieren können… Wir hatten Glück, es überhaupt aus dem Raum der Wünsche geschafft zu haben. Aber wir hatten Vincent zurücklassen müssen. Potter und seine beiden Gefährten sind sofort wieder losgestürmt.“ Man konnte Draco anhören, dass er wenig von diesem gryffindorschem Hang zur Selbstzerstörung hielt, zugleich aber nicht anders konnte, als ihnen widerwillig Respekt dafür zu zollen, dass sie nicht vor den vor ihnen liegenden Aufgaben zurückschreckten.

„Greg und ich standen noch etliche Minuten wie versteinert da, während um uns die Schlacht tobte. Es war wohl unser Glück, dass der Raum der Wünsche relativ abseits gelegen ist, sonst hätten wir keine Chance gehabt. Wir wären für jeden ein leichtes Ziel gewesen. Denn selbst wenn uns die Flüche sicherlich aus unserer Starre gerissen hätten, bezweifle ich, dass wir ihnen rechzeitig genug hätten ausweichen können. So aber war es ein einzelner, angsterfüllter, verzweifelter Schrei, nicht weit von uns entfernt, der mich wieder in die Realität zurückbrachte. Aus den Augenwinkeln sah ich gerade noch, wie zwei struppige Gestalten in schwarzen Umhängen am anderen Ende des Ganges ein Mädchen um die Ecke zerrten. Ich erkannte sie sofort. Es war Astoria Greengrass. Ebenfalls eine Slytherin. Ihre ältere Schwester Daphne war in meiner Klasse, von daher... Kurz fragte ich mich noch, wie es kam, dass sie nicht mit den anderen in Hogsmeade und damit in Sicherheit war, aber dann hatte ich mir auch schon einen der beiden Besen gegriffen, die Potter dankenswerterweise zurückgelassen hatte, und war losgeflogen. Ich kannte auch die beiden Männer, die Astoria verschleppt hatten. Sie waren Kampfgefährten von Greyback und wie dieser Werwölfe, legten es aber im Gegensatz zu Fenrir nicht darauf an, ihren Fluch möglichst häufig per Biss weiterzugeben. Diese beiden waren einfach nur blutrünstige Monster, die ihre Beute erst schändeten und dann töteten. In diesem Fall die kleine Greengrass.

Meine Kraft reichte nicht für den Todesfluch aus. Das hatte sie nie und jetzt, in dieser Situation war ein Stupor alles, was ich zustande brachte. Ein lächerlicher Fluch, wenn der Gegner ein Werwolf ist. Aber es reichte, um sie kurzzeitig zu verwirren. Sie ließen Astoria los und es gelang mir, sie zu mir auf den Besen zu ziehen und ihnen davon zu fliegen.“

Bill wusste zwar nicht ganz, weshalb Draco mit seiner Erzählung bei der Schlacht um Hogwarts angefangen hatte, hörte aber erst einmal nur wortlos zu, während er seine eigenen Erinnerungen an diesen Tag mühsam unterdrückte.

„Eine Lebensschuld… Man mag zwar vielleicht sagen, dass diese uralte Tradition während einer Schlacht außer Kraft gesetzt wird, aber letztlich rührt sie genau daher. Bei den alten Familien wird sie nach wie vor geachtet. Und wer je unfreiwilliger Zeuge des Getues, das deine Mutter um Potter immer macht, wurde, weiß, dass sie diese Verpflichtung ihrer Familie instinktiv auch spürt. Immerhin hat er ihre Tochter und ihren jüngsten Sohn gerettet.“

„Willst du damit sagen, dass Ron und Ginny Harry gegenüber eine Lebensschuld zu begleichen haben?“ Der Gedanke beunruhigte Bill nicht wenig.

Draco schüttelte leicht den Kopf. „Ich denke Weasley, pardon, Ronald, wird eine Möglichkeit gefunden haben, bei der Jagd nach den Horcruxen die Schuld hinreichend abzutragen. Und was Ginevra betrifft, so gibt es da immer noch eine andere Art der Schuldbegleichung. Denn wörtlich betrachtet, bedeutet es, dass man dem anderen ein Leben schuldet. Das kann das Leben das anderen im direkten Sinne sein, aber auch sein zukünftiges Leben in Form eines Kindes. Deine Schwester wird sich dessen nicht bewusst sein, aber indem sie Potter ein Kind geboren hat, ungeachtet der Tatsache, dass sie verheiratet sind, hat sie ihre Schuld abgetragen.“

Es dämmerte Bill. „Die Lebensschuld, die Astoria dir gegenüber hatte – sie hat sie beglichen, indem sie dir einen Erben geboren hat.“

Draco nickte. „Ihr Kind ist ein Malfoy, von Geburt an, auch wenn sie, als seine Mutter, nicht denselben Namen trägt. Das ist zwar ungewöhnlich, aber in unserer Familie nicht einzigartig. Gut, in der Vergangenheit wurde meist davon Gebrauch gemacht, wenn eine Ehe aus dynastischen Gründen geschlossen worden war, aber aus den sich daraus ergebenden genetischen Komplikationen kinderlos blieb.“

Bill musste ob dieser Verklausulierung von Ehen zwischen fast schon inzestuös nahen Verwandten schmunzeln. „Normalerweise… und bei dir?“, fragte er.

„Es wäre eine Ehe unter Vorspiegelung falscher Tatsachen gewesen. Denn bereits in dem Moment, wo ich das Gelöbnis gesprochen hätte, wäre mir bewusst gewesen, dass ich sie mein Leben lang betrügen würde. Aber nicht mit einer anderen Frau. Das hätte sie vielleicht sogar akzeptieren können. Aber wenn die Konkurrenz aus einem anderen Mann besteht… Als ich mit Astoria über die Optionen der Lebensschuld gesprochen habe, habe ich ihr reinen Wein eingeschenkt. Ich habe ihr angeboten, dass sie auch den Namen Malfoy bekommen könnte, da es ausgeschlossen ist, dass ich ihn je für eine andere Frau bräuchte. Sie hat es abgelehnt, denn sie hat klar erkannt, dass sie sich im Gegenzug für immer an mich binden würde, ohne die Möglichkeit eines Tages den Antrag eines anderen Mannes anzunehmen, der ihr mehr bietet als bloß den Namen.“

Bill nickte nachdenklich. Es war eine sinnvolle, wohlüberlegte Handlung gewesen. Vor allem aber eine ehrliche, und das gefiel ihm. Dennoch konnte er es sich nicht verkneifen zu fragen: „Und was hat dein Vater zu diesem Arrangement gesagt?“ Er konnte sich nicht vorstellen, dass Malfoy senior davon sonderlich begeistert gewesen war.

„Er musste es akzeptieren“, sagte Draco nur nonchalant. „Gewiss, er liegt mir nach wie vor in den Ohren, zu heiraten und einen ordentlichen Erben zu produzieren, aber in meinen Augen ist Scorpius ein ordentlicher Erbe und auch der einzige, den ich je haben werde. Aber jetzt bist du dran“, forderte er Bill auf.

„Einverstanden, aber lass uns in den Warmraum wechseln. Sonst sind wir hier bald verkocht.“ Mit diesen Worten erhob sich der Rotschopf und ging in den angrenzenden Raum, wo die Telleks schon darauf warteten, sie mit Seife und einem rauen Wildseidenhandschuh zu reinigen.

XI

Die Seifenreste waren fortgespült und Draco fühlte sich so sauber wie noch nie in seinem Leben zuvor. Noch nicht einmal das ausgiebigste Bad im Bad der Vertrauensschüler hatte je diesen Effekt auf ihn gehabt.

„Angenehm, oder?“, fragte Bill mit einem breiten Grinsen.

„Ja, aber du brauchst dir nicht einzubilden, ich hätte schon vergessen, dass du jetzt an der Reihe bist, mir etwas über die Nichtexistenz deiner Frau in deinem Leben zu erzählen“, gab Draco halb plänkelnd, halb ernst zurück.

„Schade“, sagte Bill leise lachend, ließ sich dann aber nicht lange bitten. „Wie bei dir fängt diese Geschichte bei der Schlacht von Hogwarts an. Ich weiß nicht, ob es dir bekannt ist, dass wir nicht ohne Todesfall in der Familie aus der Schlacht hervorgingen. Mein Bruder Fred, Georges Zwilling, ist in der Schlacht gefallen. Ich weiß nicht, für wen dieser Verlust schlimmer war – George oder meine Mutter. Aber während George sich einfach in die Arbeit gestürzt hat, fest entschlossen, das Andenken seines Bruders zu wahren, indem er Zonkos überflügelt, hat meine Mutter offenbar den Fortbestand der Familie durch diesen Verlust bedroht gesehen. Da war es ihr egal, dass auch wir anderen trauerten, hatten wir doch auch einen Bruder verloren. Für sie galt nur, dass wir tun sollten, was Fred nun auf ewig verwehrt bleiben würde… eine eigene Familie gründen und Kinder bekommen. Zu einem gewissen Grad kann ich ihre Haltung verstehen, aber du hast vorhin selbst anklingen lassen, dass meine Mutter in ihren Äußerungen und ihrem Verhalten sehr intensiv sein kann. Ron und Ginny taten das Richtige in ihren Augen, indem sie sich jeweils verlobten. Bei George hat wohl mein Vater dafür gesorgt, dass sie ihn nicht allzu sehr unter Druck setzte, auch wenn wenig diplomatisches Geschick zu erkennen war, als sie Angelina regelmäßig in ihre Sonntagsessenseinladungen mit einschloss, nachdem diese ein paar Mal bei George im Laden gesehen worden war. Percy hatte noch Schonfrist, war er doch gerade erst wieder in den Schoß der Familie zurückgekehrt und Charlie blieb klugerweise in Rumänien, weshalb er dem Ganzen entging. Nicht, dass meine Mutter nicht versucht hätte, ihn dazu zu überreden, sich doch in ein Drachenreservat in Wales versetzen zu lassen. Der größte Druck aber lastete auf Fleur und mir. Wir waren bereits verheiratet, also war es nur logisch, dass wir auch die ersten Kinder bekommen würden.“ Bill seufzte, dann fuhr er leise fort.

„Fleur litt zunehmend unter den ständigen Anspielungen. Sie war noch nicht bereit für ein Kind. Nicht, dass sie nicht irgendwann Kinder wollte, aber sie wollte den Zeitpunkt selbst bestimmen. Zu Hause war sie stets gereizt und ertrug es kaum, dass zumindest in der Küche im Kamin das Herdfeuer brannte, weil sie ständig befürchtete, meine Mutter könnte ‚nur auf ein Schwätzchen’ durch das Feuer spaziert kommen. Auch wenn sie nur zu einem Viertel Veelablut in sich trägt... Glaub mir, so schön sie sein kann, so schön sie andere erscheinen lassen kann, wenn sie glücklich ist, so furchterregend kann sie sein, wenn man sie zu sehr reizt. Doch als die Gereiztheit in Hysterie umschlug und sie sich darin so sehr hineinsteigerte, dass sie tatsächlich nicht mehr in der Lage war, mit mir sonntags zum Fuchsbau zu gehen, wie sie es zuvor schon etliche Male angedroht hatte, musste ich handeln. Die ganze Zeit über hatte ich mir noch eingeredet, dass es sich wieder geben würde, dass es von allein vorbeigehen würde. Wir haben also eine Familienauszeit genommen und sind nach Rumänien zu Charlie. Denn nach Frankreich, zu ihrer Familie, wollten wir auch nicht. Und uns war klar, dass wir trotz der Flucht, die wir antraten, irgendeinen Halt von außen brauchten.

In Rumänien ist mir klar geworden, wie viel ich einfach verdrängt hatte. Ich war nun mal schon immer der große Bruder gewesen, der starke, große Bruder, der keine Schwäche kannte. Es ist fast schon erschreckend, wie schnell man in diese alten Verhaltensmuster zurückfällt. Bei Charlie hingegen, konnte ich mir erlauben, diese Rolle ein Stück weit abzustreifen. Er kannte mich besser. Er hatte genug mit mir geteilt, einschließlich der Rolle des großen Bruders, um sich davon nicht täuschen zu lassen. Erst in Rumänien habe ich mir erlaubt, um Fred zu trauern. Und um all die anderen. Remus, Tonks, ihren Vater, sogar um Professor Snape. Aber weil ich immer der Starke hatte sein müssen, schaffte ich es auch jetzt nicht, meine Trauer mit jemandem zu teilen. Ich musste sie allein bewältigen. Ich tat es, indem ich stundenlange Spaziergänge allein durch die Wildnis unternahm. Fleur hat das nicht verstanden. Nicht nach all dem, was wir gemeinsam bereits überstanden hatten. Schließlich hatte uns die Nacht des Todesserangriffs auf Hogwarts erst in unserem Entschluss bestärkt, tatsächlich zu heiraten. Ohne Fenrirs Angriff auf mich... wer weiß, ob es Fleur gelungen wäre, meine Mutter noch vor der geplanten Hochzeit für sich zu gewinnen. Aber das Jahr, das darauf folgte, hatte uns alle geändert. Mich vielleicht mehr, als mir bewusst gewesen war. Ohne Charlie hätte ich vielleicht da bereits Fleur verloren.“ Bill stieß ein kleines, leicht spöttisches Lachen aus.

Irritiert sah Draco ihn an, beschloss aber, ähnlich wie Bill zuvor, zu schweigen, bis der Großteil der Geschichte erzählt war und sich ihm die Zusammenhänge erschlossen. Es überraschte ihn auch, wie normal der andere über den Angriff des Werwolfs sprach, aber unterbewusst fühlte er sich ein wenig erleichtert, denn schließlich wäre es ein Leichtes gewesen, ihm, Draco, die Schuld an diesen Narben zu geben.

„Charlie hat viel mit uns geredet. Zum Teil hat er so auch seine Trauer verarbeitet und die unterschwellige Wut, die noch immer in ihm gärte, weil Voldemort das Land abgeriegelt hatte und er nicht zu uns hatte kommen können, um uns zu helfen. Er konnte Fleur besser erklären, was in mir vorging, als ich es hätte tun können. Am Ende unseres Rumänien-Aufenthalts stand für uns fest, dass wir nicht nach England zurückkehren würden. Mir fehlte Ägypten und die Arbeit an den Gräbern mehr, als ich mir hatte eingestehen wollen und für Fleur war es eigentlich egal, wo wir wieder zu unserem Glück fanden, solange meine Mutter uns dabei nicht einengen konnte. Also beantragten wir beide bei Gringotts die Versetzung hierher, was auch problemlos gewährt wurde. Doch das Glück, das wir suchten unterschied sich wohl... Ich konnte förmlich spüren, wie ich in der Sonne hier aufblühte, gesundete, wenn man es so ausdrücken will. Ich ging vollkommen in meiner Arbeit auf. Sehr zu Fleurs Missfallen. Die romantische Zweisamkeit, die sie sich erhofft hatte, stellte sich nicht ein. Der Ausflug in die Wüste zum Sonnenuntergang, die gemeinsamen Einkaufstouren zum Basar, die romantische Flussfahrt auf einem der traditionellen Segelboote... Sie arbeitete hier in Kairo im Bankhaus und hatte dort geregelte Arbeitszeiten. Ich hingegen verbrachte die meiste Zeit in einem der Ausgrabungslager und auch wenn wir dort so etwas wie Richtzeiten haben, kommt es doch immer mal vor, dass man mitten in der Lösung eines komplizierten Fluchs steckt, und weiß, dass es noch zwei oder drei Stunden dauert, bis man ihn gebrochen hat, aber man weiß auch, dass, wenn man jetzt abbricht, man am nächsten Tag wieder von vorne beginnen muss und die bereits investierten sechs Stunden für die Katz wären. Zwar apparierte ich nach der Arbeit immer zurück nach Kairo zu Fleur, aber es änderte nichts daran, dass sie sich allein fühlte. Füge dem ganzen noch Eifersucht hinzu...“

„Eifersucht? Auf deine Kolleginnen? Weil sie den ganzen Tag mit dir im Staub wühlen dürfen?“, fragte Draco mit einem leicht anzüglichen Grinsen, das recht geschickt verbarg, dass er trotz des leichten Flirtens, das er zwischen ihnen wahrzunehmen meinte, nicht wusste, ob es einfach nur Bills Art war und er ausschließlich auf Frauen stand, oder ob es da vielleicht diese winzige, aberwitzige Chance auf mehr gab.

„Wie?“ Bill sah Draco kurz irritiert an. Während des Erzählens waren seine Gedanken abgeschweift und er hatte einen Moment gebraucht, um in das Hier und Jetzt zurück zu finden. „Nein, nicht meine Kolleginnen. Es ist wohl wie du sagst... mit der Konkurrenz anderer Frauen kann eine Frau umgehen. Noch dazu eine Frau wie Fleur, in deren Blut das Erbe der Veelas fließt. Es war ein Mann, der die Eifersucht in ihr heraufbeschworen hat. Jack. Na ja, eigentlich heißt er nicht Jack, aber als ich ihn hier kennen lernte, verstand ich nicht genug Arabisch, um seinen Namen auch nur ansatzweise von all dem anderen Kauderwelsch unterscheiden zu können. Und mein Sprachzauber, den ich damals noch häufig trug, hatte seinen Namen mit Jack übersetzt. Dabei ist es immer geblieben. Jack ist altmodischer Karawanenführer. Und zugleich das gerissenste Zauberschlitzohr, ein Hallodri, Tunichtgut und ein klasse Freund. Ich weiß auch nicht, wieso er damals beschlossen hatte, ausgerechnet einen Neuling wie mich zu seinem Freund auszuerkiesen. Obwohl nie etwas anderes zwischen uns war als Freundschaft, haben wir auch immer miteinander geflirtet. Es gehörte einfach dazu. Sicher, wir haben beide mal mit dem Gedanken gespielt, wie es wäre, den anderen zu küssen oder so, aber nie zur gleichen Zeit und so wurde nie was draus. Egal. Auf jeden Fall hatte Jack gehört, dass ich wieder im Lande sei und als seine Karawane das nächste Mal draußen in Gizeh war, hat er es sich nicht nehmen lassen, mich zu besuchen. Falls es ihn überraschte, mich verheiratet vorzufinden, ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken, zumal wir sofort wieder zu dem alten, herzlichen, lockeren, flirtenden Ton fanden, der immer zwischen uns geherrscht hatte. Und während ich jede Minute seines Besuchs aus vollsten Zügen genossen habe, hat Fleur innerlich vor Eifersucht gekocht. Denn auch wenn ich sie nie betrogen habe und sie Jack auch keine unlauteren Motive unterstellen, oder zumindest nicht beweisen konnte, hatte sie das Gefühl, dieser Mann würde mich ihr wegnehmen. Dass ich ihr zusehends mehr entgleite. Als Jack weg war, hatten wir einen riesigen Krach, während dem mir Fleur gestand, dass sie zurück nach England wollte. Dort wären wir schließlich glücklich gewesen und hier sei sie es jedenfalls nicht. Dass sie sogar bei Charlie, trotz meiner häufigen Abwesenheit, glücklicher gewesen wäre. Ein Wort gab das andere und schließlich schlug ich ihr wütend vor, dass sie doch nach Rumänien zu Charlie gehen sollte, wenn sie dort glücklicher gewesen wäre, ich aber würde hier bleiben, weil ich hier glücklich sei.“

„Heftig“, murmelte Draco.

Bill nickte. „Fleur ist tatsächlich Hals über Kopf und wutentbrannt aus Ägypten abgereist und zu Charlie nach Rumänien gegangen. Es hat eine Weile gedauert... aber schließlich haben wir eingesehen, dass es nicht England war, wohin sie zurück wollte, sie wollte in der Zeit zurück. Zurück zu dem Zeitpunkt, wo wir im Shell Cottage trotz des Vormarsches von Voldemort glücklich waren. Ehe Ron an unsere Tür klopfte. Ehe die Realität uns einholte. Ehe Fred fiel. Ehe der Krieg uns veränderte. Mich eingeschlossen. Charlie, der, obgleich er so anders aussieht, mir in vielem unglaublich ähnlich ist, erinnerte sie nun mehr an den Mann, in den sie sich verliebt und den sie geheiratet hatte, als ihr eigener Mann. Und als mir Charlie dann eines Tages zögernd gestand, dass er sich zu Fleur hingezogen fühlte, war es das einzig Richtige, sie freizugeben und unsere Ehe aufzulösen. Ich mein, wenn ich die vielleicht einzige Frau, die ich je auf diese Art lieben werde, schon einem anderen überlassen muss, damit sie glücklich wird, dann wenigstens dem Bruder, der mir am nächsten steht. Zwei Jahre nach dem endgültigen Tod Voldemorts kam übrigens ihr erstes Kind zur Welt. Genau am 2. Mai, weshalb sie es ‚die Siegreiche’ Victoire genannt haben. Es war schon fast komisch, wie sehr Charlie um den heißen Brei herum geredet hat, als er mich bat, der Pate von Victoire zu werden. Er konnte es wohl immer noch nicht glauben, dass ich ihm nicht vorwarf, mir die Frau ausgespannt zu haben oder ihm sonst in irgendeiner Weise grollte...“

„Du musst aber zugeben, dass eine solche Haltung wie deine auch eher ungewöhnlich ist, besonders wo Fleur doch mehr oder weniger sofort, nachdem sie dich verlassen hatte, schwanger wurde.“

„Ich glaube, die Schwangerschaft war nicht wirklich geplant... aber nachdem sie einmal in anderen Umständen war, brachte Fleur es auch nicht fertig, das ungeborene Kind zu töten. Was mich betraf, so war ich es leid, mich selbst zu belügen“, gab Bill achselzuckend zurück. „Fakt war, dass ich mich verändert hatte, und was wohl weit erschreckender war, war die Tatsache, wie wenig mir Fleur fehlte, während ich mich auch in England stets nach Ägypten gesehnt hatte. Vielleicht hätte es mit Fleur und mir gut gehen können, hätte sie diese Liebe zu diesem Land mit mir geteilt oder zumindest deren Ausmaß akzeptieren können. Aber so... Es ist besser, so wie es jetzt ist.“

Draco grinste. „So viel Weisheit hätte ich einem Gryffindor gar nicht zugetraut.“

„Ach ja?“, fragte Bill lachend zurück. „Wusstest du nicht, dass wir Gryffindors exakt zehn Jahre, nachdem wir mit Hogwarts fertig sind, die Möglichkeit bekommen unseren Mut gegen Weisheit einzutauschen? Ich mein, immerhin war Albus Dumbledore auch ein Gryffindor. Warte nur ab, in etwa zwanzig oder dreißig Jahren fange ich dann an, mir einen langen Bart wachsen zu lassen und wenn ich hundert bin, habe ich sicher auch dieses Funkeln gepaart mit dem gütigen Lächeln drauf. Allerdings glaube ich, ziehe ich die hiesigen Baklava Zitronendrops vor.“

Jetzt konnte auch Draco sich ein Lachen nicht verkneifen. „Und was dürfen Slytherins eintauschen? Damit ich weiß, vor welcher Wahl ich in zwei Jahren stehe...“

„Gar nichts“, erwiderte Bill schlicht. „Oder glaubst du ernsthaft, dass Salazar Slytherin sich für etwas anderes als perfekt gehalten hat? Folglich brauchen Slytherins keine Weisheit oder ähnliche, überflüssige Eigenschaften.“ Das Grinsen auf seinen Lippen ließ keinen Zweifel an dem Scherz, den er sich mit diesen Worten erlaubte.

„Ah, gut zu wissen. Denn wenn Salazar Slytherin perfekt war, heißt es, dass er nur perfekte Exemplare der Zauberergesellschaft in seinem Haus zugelassen hat. Und du weißt ja, was das für mich bedeutet...“

„Dass du den Sprechenden Hut bestochen hast, damit er dich nicht nach Hufflepuff steckt!“ Bill brachte sich rasch hinter einem der vorbeikommenden Telleks in Sicherheit.

Doch Draco fühlte sich viel zu gelassen, um sich von derlei verbalen Spitzen provozieren zu lassen. Zumal er ja wusste, dass der andere sie keineswegs ernst oder gar boshaft gemeint hatte. Außerdem wäre es eines Slytherins unwürdig, sofort Rache an seinem Gegner zu üben. Ein Slytherin wartete stets, bis sich sein Opfer in Sicherheit wähnte.

Schließlich wagte sich Bill wieder hinter dem Tellek hervor.

„Eines würde mich aber noch interessieren“, griff Draco noch einmal das eigentliche Gesprächsthema auf. „Wie hat deine Mutter auf all diese Wirrungen reagiert?“

„Sagen wir so, sollten die Weasleys und die Malfoys je ihre Differenzen überwinden können, würden dein Vater und meine Mutter bestimmt einen prima Grundstock für eine Elternselbsthilfegruppe bilden...“

XII

Das Klingeln des Zweiwegespiegels riss ihn aus dem Schlaf. Leise fluchend rappelte er sich von seiner Bettstatt auf und begab sich zu dem magischen Kommunikationsgerät.

„Hast du eine Ahnung, wie spät es ist?“, grummelte er, als das bekannte Gesicht im Glas erschien.

„Auch nicht später als hier“, erwiderte sein Gegenüber gelassen.

„Irrtum!“, widersprach der Mann gereizt. „Wir sind euch zwei Stunden voraus. Aber das habe ich dir heute nicht zum ersten Mal erklärt.“

„Hereborth, die paar Stunden, das fällt doch wirklich nicht ins Gewicht. Kein Grund sich gleich zu künstlich zu echauffieren.“ Die begütigende Art, wie der ältere Mann dies sagte, brachte den anderen fast dazu augenblicklich das Gespräch zu beenden, aber er wusste, dass sein Vater dann aus reiner Bosheit warten würde, bis er wieder eingeschlafen war, um ihn dann erneut zu kontaktieren. Und so verkniff sich der junge Mann in dem Zelt jeglichen Kommentar, zumal er sich der Tatsache bewusst war, dass es ihm im Verhältnis zu seinem kleinen Bruder in Mexiko bezüglich der Zeitverschiebung noch richtig gut ging.

„Weshalb ich mich melde: Der Dolch, den du geschickt hast, scheint ein Kultgegenstand zu sein…“

Abermals verdrehte Hereboarth innerlich die Augen. Natürlich war es ein Kultgegenstand. Die Waffe stammte schließlich aus einem Priestergrab.

„Jedenfalls sind die Interessenten von dem Warenangebot schon einmal sehr angetan“, fuhr der andere fort, „allerdings ließ mich einer wissen, dass er das Dreifache böte, wenn wir das Set komplettieren könnten. Offenbar gehört zu diesem Ritualdolch auch noch eine eher unscheinbare kupferne Schale. Häufig jedoch werden diese Ritualschalen mit den übrigen Hausratsbeigaben vermischt und verwechselt, so dass vollständige Sets überaus selten sind. Sieh zu, ob du die Schale auftreiben kannst!“

Eine Kupferschale. Wunderbar. Als ob das Grab nicht massig davon aufweisen würde. Ein leises Seufzen war zu hören. „Gibt es wenigstens irgendeinen Anhaltspunkt, wie ich diese Schale von den Hausratsgegenständen unterscheiden kann?“

„Meinem Kontaktmann zufolge müsste die Kultschale blau emaillierte Einlegearbeiten aufweisen.“

Blaue Einlegearbeiten. Immerhin etwas. „Ich werde es versuchen. Ich melde mich auf dem üblichen Weg, wenn ich Näheres weiß oder den Gegenstand habe. Gute Nacht!“ Damit beendete Hereborth das Gespräch.

In Nächten wie dieser fragte er sich einmal mehr, weshalb er überhaupt bei diesem Familiengeschäft mitmachte. Aber selbst im Dunkel des Zeltes, an der Schwelle zum Schlaf, kannte er die Antwort darauf nur zu gut:

Diese Unternehmung sicherte den Wohlstand der Familie, nachdem die vorangegangenen Generationen so leichtsinnig gewesen waren, das Vermögen ihrer Vorväter zu verspielen, sei es nun beim Glückspiel oder in der Politik. Als sein Großvater damals Familienoberhaupt wurde, war er nur ganz knapp der öffentlichen Bloßstellung entgangen, die der Familie bei einem Bankrott gedroht hätte. Und für eine alte, reinblütige Zauberfamilie gab es keine schlimmere Schande, als die öffentliche Zwangsauflösung sämtlicher Gringotts-Verliese und die Enteignung sämtlicher Besitztümer. Doch Not machte bekanntlich erfinderisch und der Zufall ließ das neue Familienoberhaupt erkennen, dass er ein nicht unerhebliches Talent als Dieb hatte. Ein Talent, das sich auch auf die Folgegenerationen vererbte. Es hatte zwar seine Zeit gebraucht, ehe die nach außen hin hochanständige Zauberfamilie die notwendigen Schwarzmarktkontakte geknüpft hatte, aber mittlerweile hatten sie ein weitreichendes Käufernetz. Und langsam erholten sich die Familienfinanzen, und der Wohlstand, der zuvor rein auf Repräsentation beschränkt gewesen war, hielt auch wieder im Privatleben Einzug. Auch er, Hereborth, profitierte davon, waren doch die Gegenstände, mit denen er sich umgab, angefangen bei der Kleidung bis hin zu dem Material des Bettzeugs auf seinem Schlaflager, von besserer Qualität als noch vor wenigen Jahren. Also würde er sich morgen gleich auf die Suche nach dieser Kupferschale machen. Gewissensbisse oder Skrupel deswegen hatte er eigentlich keine. Es war immer noch ein deutlich angenehmerer Weg, als zu versuchen durch lebenslanges Schuften und Buckeln es zu etwas zu bringen.

XIII

Draco war nervös, da biss der Niffler keinen Goldfaden ab. Den ganzen Tag über hatte er versucht, sich abzulenken, und doch waren seine Gedanken immer wieder zum gestrigen Abend zurückgekehrt. Ja, er hatte sich an Bill für den Hufflepuff-Kommentar gerächt und seine Rache hatte gar fürchterlich ausgesehen: Er hatte Bill geküsst. Lange, ausgiebig und genießend. Mit allem, was dazu gehörte. Und Bill hatte, nach einem kurzen Moment anfänglicher Überraschung, den Kuss erwidert. Mit lockender Nachgiebigkeit und berauschender Dominanz.

Nur, dass Draco jetzt nicht wusste, was dieser Kuss für den Rotschopf bedeutet hatte, ob sich dadurch die Dynamik zwischen ihnen geändert hatte und wenn ja, in welche Richtung? Wie sollte er Bill heute begegnen? So tun, als sei nichts gewesen? Das wäre gelogen und schließlich bereute er den Kuss kein bisschen. Auch hätte er nichts gegen eine Wiederholung einzuwenden. Aber er konnte nicht hellsehen oder Gedanken lesen und somit wusste er nicht, wie Bill dazu stand. Das würde er frühestens am Abend herausfinden, wenn sie sich zum Training trafen. Weshalb ihm bis dahin nichts anderes übrig blieb, als nervös zu sein und darauf zu warten, dass die Zeit verging.

Wie so oft, wenn man auf ein bestimmtes Ereignis mit einer gewissen Portion unbewusster Ungeduld wartete, schien die Zeit dahinzukriechen, doch Zeit an sich ist unbestechlich und vergeht Sekunde für Sekunde, so dass auch der längste Tag ein Ende findet. Umso größer war dann die Enttäuschung, als Draco dann am Quidditchfeld stand und weit und breit keine Spur von Bill war. Er wartete fünf Minuten, dann zehn und schließlich eine halbe Stunde, doch vergeblich.

Seine erste Regung war Verärgerung, doch schnell gewann der logische Teil seiner Selbst wieder die Oberhand. Bill war ein ehemaliger Gryffindor und als solcher hätte er bestimmt nicht den Weg eines Feiglings gewählt, einfach ohne Nachricht nicht zu einer Verabredung zu erscheinen. Weitaus typischer wäre gewesen, Draco direkt zu sagen, dass er kein derartiges Interesse an ihm habe und es daher für besser halte, wenn sie sich auch nicht mehr zum Training träfen. Und wenn ihm eine weitere Begegnung mit Draco dermaßen zuwider gewesen wäre, hätte er ihm zumindest einen kurzen Brief geschickt, um dem ganzen ein unmissverständliches Ende zu bereiten.

Je länger er darüber nachdachte, desto mehr schlug seine Verärgerung in Besorgnis um, so dass er schließlich beschloss, dem Ausgrabungslager, wo der Rotschopf arbeitete, einen Besuch abzustatten. Die genaue Position des Lagers kannte er zwar nicht, aber Bill hatte auf die Frage nach dem Anblick der großen Pyramiden von Gizeh beim Sonnenauf- oder -untergang belustigt erklärt, er könne diese Frage nicht beantworten, weil die Pyramiden im Norden lägen und somit nie vom Lager aus betrachtet in irgendeiner Weise spektakulär von der Sonne angestrahlt würden. Wenn er also von den weltberühmten Wahrzeichen auf dem Besen nach Süden flog, folgerte Draco, würde er früher oder später auf das Gringotts-Lager stoßen müssen. Kurz verzog er das Gesicht, als er einen höchst effektiven Unsichtbarkeitszauber über sich legte. Es war einer der Zauber, die er als Todesser gelernt hatte, aber er war nun mal wirksamer als der übliche Verschleierungszauber, der immer noch ein sichtbares Schimmern erkennen ließ. Dann apparierte er zu den Pyramiden und schwang sich auf seinen Besen.

Es dauerte fast eine viertel Stunde, ehe er das Ausgrabungslager erspähte. Und was er sah, stimmte ihn nicht gerade freudig. Um keine unliebsame Bekanntschaft mit dem ein oder anderen Zauberstab oder gar einem Koboldfluch zu machen, landete er etwas abseits und hob den Unsichtbarkeitszauber auf. Dann erst näherte er sich dem Lager. Dort herrschte hektische Betriebsamkeit, die deutlich von einem ungeplanten Vorfall zeugte. Vor allem aber schienen alle Mitarbeiter, egal ob Kobold oder Mensch, in ein und dieselbe Richtung zu eilen.

Instinktiv folgte Draco ihnen und holte schließlich eine junge Frau ein. „Wissen Sie wo ich Bill Weasley finde?“

Offenbar sprach die Frau kein Englisch, verstand aber den Namen und fing wild gestikulierend an, ihm etwas zu erklären. Als sie erkannte, dass ihr Gegenüber nicht begriff, was sie sagte, zerrte sie ihn einfach mit sich zu dem Pulk, der sich in der Lagermitte versammelt hatte.

Dort stand ein ziemlich grimmig dreinblickender Kobold auf einer Holzplattform, von wo aus er die versammelten Lagerbewohner überblicken konnte. Wind und Wüstensonne hatten seiner Haut das Aussehen von schlecht gegerbtem Leder verliehen und doch strahlte er die Autorität und Würde eines angesehenen Kobolds aus. Seine knorrige Hand hob sich und der Menschenpulk verstummte. Es waren ein paar Silben Koboldogack zu hören, dann spürte Draco, wie ein Zauber sich auf sie senkte und auf einmal konnte er den Kobold verstehen, obwohl er sicher war, dass dieser nach wie vor in der dieser höchst eigentümlichen Sprache seiner Rasse redete.

„Wir haben vor etwa zehn Minuten erfahren, dass es in Pyramide 2637a zu einem Einsturz gekommen ist. Das dort tätige Fluchbrecherteam ist in der Grabkammer eingeschlossen. Soviel steht jetzt schon fest: Es war Sabotage!“

Ein kollektives Keuchen und Erbleichen ging durch die Menge. Sabotage konnte alles mögliche bedeuten… Bewusste Aktivierung altertümlicher Fallen, Flüche oder auch nur physische Zerstörung. Da aber fuhr der Kobold schon fort: „Dank des Geschicks des Teamleiters gelang es, mit uns in Kontakt zu kommen. Eine der polierten Schalen dient derzeit ersatzweise als Zweiwegespiegel. Dennoch ist die Situation kritisch. Die Besen wurden gestohlen, so dass sie nicht über den Seelenschacht einen Versuch wagen könnten und die nächtliche Versieglung senkt sich in weniger als vier Stunden über die Pyramide. Die Sauerstoffvorräte werden nicht bis zum Morgen reichen. Die Frage ist jetzt: Wie schnell können wir einen zweiten Zugang zu der Grabkammer schaffen, um das Team zu retten?“

In Draco, der aufmerksam zugehört hatte, war mit jedem Wort des Kobolds und mit jedem Gesicht der Lagerbewohner, das er ansah und das sich nicht als das von Bill entpuppte, die Gewissheit gewachsen, dass es das Team des Gringotts-Suchers war, welches in der Pyramide verschüttet war. Und was hatte es mit dieser Versiegelung auf sich? Bill hatte so etwas nie erwähnt. Allerdings... ein neuer Zugangstunnel? Schon wurden um ihn herum Argumente laut, die von Statik, unbekannten Flüchen und überraschend auftretendem Felsgestein redeten. Auf seltsam distanzierte Weise fasziniert, hörte er den Reden der anderen zu und wunderte sich, weshalb man das Offensichtlichste übersah. Schließlich konnte er nicht länger an sich halten. „Weshalb fliegt nicht einfach jemand durch den Seelenschacht zu ihnen hinein und bringt dem Team neue Besen?“

Der strafende Blick des Kobolds schien deutlich zu sagen, dass er für derlei dumme Kommentare nun wirklich keine Zeit hatte. Und auch die anderen Ausgrabungsmitarbeiter sahen Draco an, als hätte er die dümmste Frage des Jahrtausends gestellt. Überhaupt schien ihnen erst jetzt aufzufallen, dass sich ein Fremder in ihrer Mitte befand. Doch Draco ließ sich nicht beirren. Er wusste, dass es möglich war. Schließlich hatte er seit fast zwei Wochen jeden Abend nichts anderes getan.

Als er Dracos hartnäckigen Gesichtsausdruck erkannte, erwiderte der Kobold nur barsch: „Wir haben keinen Flieger hier im Lager, der dies könnte. Aus einer Pyramide durch den Seelenschacht hinauszufliegen, ist eine Sache, dadurch hineinzufliegen eine ganz andere. Denn die Fallen im Seelenschacht sind alle nach außen gerichtet. Weasley wäre der einzige gewesen, der dazu in der Lage gewesen wäre. Und einen ähnlich qualifizierten Flieger zu finden, dazu haben wir nicht die Zeit.“

Noch ehe er den Gedanken bewusst gefasst hatte, hörte sich Draco sagen: „Ich könnte es!“ Er wusste nicht, woher er die Gewissheit nahm, doch er zweifelte keinen Moment daran, dass er es schaffen könnte.

Der Kobold musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen. „Sie sind nicht zufällig der Freund, mit dem Weasley zur Zeit jeden Abend bei den Pyramiden trainiert?“, fragte er schließlich.

Draco nickte überrascht und trat dann, auf ein Winken des Kobolds näher zu diesem an die Plattform.

„Und Sie glauben, dass Sie es tatsächlich schaffen könnten?“

Abermals nickte Draco. „Bill Weasley wäre vermutlich schneller als ich in der Grabkammer, aber ich weiß, worauf ich zu achten habe.“

Ein wenig umständlich kletterte der Kobold von der Plattform hinunter. „Ich bin Gobhood. Kommen Sie mit. Sie werden einen Vertrag unterschreiben und dann können Sie einen Versuch starten. Wenn ich allerdings binnen einer Stunde keine positive Antwort vom Team bekommen habe, dass Sie es in die Grabkammer geschafft haben, werden wir uns wohl einen zweiten Zugang sprengen müssen.“ Man sah dem Vorarbeiter an, dass ihm diese Option gar nicht gefiel, war doch bei einer Sprengung immer damit zu rechnen, dass Wertgegenstände zu schaden kamen und dadurch der Gewinn der Bank geschmälert wurde. Von der eigenen Provision ganz zu schweigen.

XIV

Bill verfluchte seine Müdigkeit. Wäre er nicht so müde gewesen, wäre ihm vielleicht Ricks gierig suchender Blick aufgefallen, der sich so deutlich von dem professionell suchenden Blick, der eventuellen Flüchen galt, unterschied. Dabei hatte er doch gewusst, dass sein Team unter Verdacht stand. Aber er hatte in dieser Nacht keine Zeit für ausgiebigen Schlaf gefunden.

Kaum, dass er am vergangenen Abend von dem Ausflug in das Hammam zurückgekehrt war, Dracos Kuss noch auf seinen Lippen spürend und ein kleines glückliches Lächeln seinen Mund umspielend, hatte Gobhood ihn abgefangen und ihm gesagt, dass die GPS-Sender eingetroffen seien. Die Sicherheitsabteilung des Stammhauses hatte sogar schon dafür gesorgt, dass ein Energiezauber auf den Sendern lag, so dass ihre Funktion auch in einem magischen Umfeld nicht beeinträchtigt wurde. Der Energiezauber würde sich mit dem Gegenstand, auf den der Sender aufgebracht würde, verbinden, so dass er nicht länger als eigenständiger Zauber erkennbar war. Manchmal fragte sich Bill schmunzelnd, was die Ministerien für Zauberei überall auf der Welt wohl für eine Zusammenarbeit gäben, wenn sie wüssten, wie versiert die Techniker der Gringotts-Sicherheitsabteilung waren.

So aber hatten Gobhood und er mit Hilfe des Schlüssels, der ihnen vom Stammhaus in London für diese Aktion zur Verfügung gestellt worden war, die nächtliche Versiegelung der Pyramide aufgehoben und in mühevoller Kleinarbeit jeden Gegenstand in der Grabkammer mit einem der kleinen Sender ausgestattet. Erst im Morgengrauen waren sie damit fertig geworden, hatten sie doch auch gleichzeitig die Artefakte auf Flüche untersuchen und sicherstellen müssen, dass sie keine verdächtigen Spuren in der Magie hinterließen. Und kaum hatten sie diese Arbeit erledigt, hatte Gobhood, verantwortungsvoller Kobold, der er war, den Siegelschlüssel umgehend mit einem speziellen Portschlüssel nach London zurückgeschickt. Bei dem Gedanken an den Schlüssel, wünschte sich Bill jetzt seufzend, Gobhood wäre nicht so überaus gewissenhaft gewesen. Hätte er getrödelt und diese Aufgabe bis in den Abend vor sich hergeschoben, Bill war sicher, der Vorarbeiter hätte nicht gezögert, dieses Werkzeug jetzt einzusetzen, um seinem Team die nötige Zeit zu verschaffen, bis die Bergungsmannschaft einen zweiten, sicheren Zugang zu der Grabkammer geschaffen hätte. So aber blieben ihnen nur wenige Stunden, bis sich das Nachtsiegel auf die Pyramide senkte und danach würde langsam aber sicher der Sauerstoff knapp werden. Zu knapp. Und den Schlüssel noch einmal anzufordern, war unmöglich, da der Herausgabe desselben immer eine, wörtlich zu nehmende, Tonne Papierkram vorausging. Kobolde waren in so etwas sehr gründlich.

Rick! Bill konnte es immer noch nicht fassen. Der junge Mann, Richard Bouleyn, drei Jahre jünger als er, war stets sehr umgänglich gewesen. Nie hatte er sich etwas darauf eingebildet, dass er von einer alten, reinblütigen Zaubererfamilie mit beachtlichem Ansehen und noch beachtlicherem Reichtum abstammte. Allerdings stellte sich jetzt die Frage, wie es um die Rechtmäßigkeit des Reichtums stand. Doch solche Gedanken waren müßig angesichts der misslichen Lage, in der sie sich befanden. Denn nicht nur, dass Rick den Zugangstunnel mit einem so gezielten Zauber zum Einsturz gebracht hatte, dass er selbst noch die Pyramide hatte verlassen können, seine Teamkameraden aber in der Grabkammer eingesperrt waren, er hatte auch die Besen mitgenommen.

Bill schaffte es nicht ganz ein Gähnen zu unterdrücken. Er war so müde... Wäre er wacher gewesen, wäre es ihm vielleicht gelungen, Rick daran zu hindern, die Besen mitzunehmen. Aber das konnte er jetzt nicht ungeschehen machen. Alles, was er jetzt noch tun konnte, war wach zu bleiben, um der Bergungsmannschaft vielleicht von dieser Seite aus zu helfen. Energisch straffte er seine Haltung, dann wandte er sich an seine verbliebenen Teammitglieder. „Also gut Leute, es bringt nichts, wenn wir hier einfach nur tatenlos herumsitzen. Ich bin mir sicher, dass Gobhood alles daran setzen wird, uns hier heraus zu holen. Am wahrscheinlichsten, wenngleich am kritischsten, ist ein neuer Zugang. Wir wissen aber nicht, von wo die Bergungsmannschaft einen Tunnel zu uns schlagen wird. Angesichts der Tatsache, dass sie nicht viel Zeit haben, werden sie nicht die übliche Sorgfalt hinsichtlich der Fluchüberwachung walten lassen können, auch wenn sie natürlich alles tun werden, um sich nicht auch noch selbst in Gefahr zu bringen. Am brenzligsten aber wird der letzte Durchbruch hier in diese Kammer sein. Die Wände sind getränkt von antiken Flüchen, die wir momentan nur überlagert haben, damit sie uns von dieser Seite aus nichts anhaben können. Die anderen kommen aber von der anderen Seite. Wir müssen daher also so viele Flüche aus dieser Kammer auflösen wie möglich, damit nicht in letzter Sekunde noch alles schief geht. Wenn wir die oberflächlichen Flüche beseitigt haben, wenden wir uns als Team mit gebündelter Magie den tieferliegenden Zaubern zu.“

Sowohl die beiden Frauen als auch die zwei Männer seines Teams nickten nur. Ihren Gesichtern war aber deutlich abzulesen, dass sie froh waren, von sich aus etwas zu ihrer Rettung beitragen zu können.

Bald waren alle so sehr in ihr Tun vertieft, dass sie beinahe nicht bemerkt hätten, wie der provisorische Zweiwegespiegel zu vibrieren begann.

„Bill!“, rief Cat, der als erste aktivierte Schale auffiel, aufgeregt. Es war Bill gewesen, der den Zweiwegezauber gewirkt hatte, daher reagiert die Schale nur auf seine magische Signatur ohne größere Verzerrungen.

Rasch war Bill zu seiner Kollegin getreten und verstärkte das Signal, so dass das ankommende Bild sichtbar wurde. Es war Gobhood.

„Wir schicken jemand zu euch rein“, waren seine weit entfernt klingenden Worte. Der Ton war schroff wie immer, doch in den Augen seines Vorgesetzten erkannte Bill gleichermaßen Besorgnis wie Hoffnung.

„Wie? Wen?“, fragte Bill, der wusste, dass der Kobold in einer solchen Situation jedes überflüssige Wort hasste.

„Mit dem Besen. Draco Malfoy.“

Hatte Bill bei den ersten Worten ob des Risikos noch erschrocken nach Luft geschnappt, breitete sich bei dem Namen, den Gobhood ihm nannte, ein Grinsen auf dem Gesicht aus. Er hatte zwar keine Ahnung, wieso Draco offenbar zum genau richtigen Zeitpunkt im Gizeh-Lager gewesen war, aber er wusste nun auch, dass sie eine echte Chance hatten, hier heil herauszukommen. Er vertraute dem anderen und dessen Talent, das ihn zu einem herausragenden Sucher werden lassen würde, voll und ganz.

Epilog

Ein ganzer Monat. Es hatte volle dreißig Tage nach dem Einsturz des Zugangstunnels und der geglückten Rettung gedauert, bis die Arbeiten an dem Priestergrab beendet waren. Nicht ganz so lang hatte es zum Glück gedauert, die Organisation der Sternorchidee zu zerschlagen. Im Grunde war es keine wirkliche Organisation, sondern mehr ein Familienunternehmen gewesen. Alle Diebe gehörten zu der Familie Bouleyn, deren Wappen in einer Ecke von einer Sternorchidee geziert wurde. Eine Familie, die übrigens, trotz des einen unterschiedlichen Buchstabens weitläufig mit der zweiten Gemahlin des ehemaligen Muggelkönigs Heinrich VIII verwandt waren. Kopf der Organisation war seit Generationen das jeweilige Familienoberhaupt, das auch dafür sorgte, dass die jüngeren Mitglieder entsprechend ihrer Talente gewinnbringende Berufe ergriffen. Dass sie dabei früher oder später einflussreichen Institutionen wie Gringotts auf die Füße treten würden, war abzusehen gewesen. Vermutlich hätten sie noch ewig so weitermachen können, hätte sich die Technologie der Muggel in den letzten Jahrzehnten nicht so sprunghaft weiterentwickelt und wären sie, ob ihrer Reinblütigkeit nicht so verblendet gewesen, davon auszugehen, dass ihre Gegner sich in diesem Kampf allein auf Magie beschränken würden.

Bill lag auf seinem Feldbett und wusste nicht, ob er traurig oder glücklich darüber sein sollte, dass die Arbeiten an dem Priestergrab zu Ende waren. Glücklich, weil es immer befriedigend war, die Arbeiten an einem Grab erfolgreich abzuschließen. In diesem Fall noch durch den Sabotageakt, der damit endgültig als überwunden zu betrachten war, verstärkt. Glücklich, weil er nun nicht mehr jeden Tag an die Stätte zurückkehren musste, die ihn so stark an Draco Malfoy erinnerte. Und zugleich traurig, verband er mit diesem Ort doch mit die stärksten Erinnerungen und Empfindungen für diesen Mann. Die unendliche Erleichterung, als dieser es wohlbehalten in die Grabkammer geschafft hatte. Die unbändige Freude des Wiedersehens, der Stolz, dass er es geschafft hatte... Traurig, weil nun Tage, vielleicht Wochen vergingen, bis das Gesteinsarbeitsteam einen Zugang zu einem neuen Grab geschaffen hatte, und ihm kaum etwas anderes zu tun blieb, als sich mit seinen Gedanken zu beschäftigen. Sicher, auf ihn warteten die üblichen Schreibarbeiten, das Dokumentieren verschiedener Flüche, das Katalogisieren von Zaubern, die bislang noch nicht in anderen Grabstätten gefunden worden waren, oder zumindest nicht in dieser Form. Aber all dies war nichts, was seinen Geist wirklich beschäftigen würde. Nicht in dem Maße, dass es ihn von der Tatsache ablenken würde, dass Draco Malfoy Ägypten verlassen hatte und nach England zurückgekehrt war.

Sicher, er hatte gewusst, dass der Quidditch-Spieler nur wegen des Trainings die Erlaubnis erhalten hatte, länger als nur für das Feiertagsspiel im Land zu bleiben und dass sein Vertrag bei den Wigtown Wanderers ihn an die Mannschaft band, ihn verpflichtete, nach England zurückzukehren. Aber nach dem, was zwischen ihnen geschehen war, der Kuss und diese intensiven Gefühle bei der Rettungsaktion, hatte Bill sich, wenn er ehrlich war, etwas mehr erhofft. Mehr als nur ein „Tja... ich muss dann mal wieder nach England zurück...“.

Ein Monat. Dabei sah es Bill eigentlich gar nicht ähnlich, sich wie ein Teenager mit Liebeskummer hängen zu lassen. Zuerst hatte er vermutet, dass das Gefühl des Verlustes daher rührte, dass er Draco gegenüber eine Lebensschuld hatte und diese von ihm unterschwellig verlangte, sich zumindest in die theoretische Reichweite seines Lebensretters zu begeben, um zur Stelle zu sein, sollte sich die Gelegenheit ergeben, die Schuld zu begleichen. Doch bei der Aufarbeitung des Tunneleinsturzes und des darauf folgenden Papierkriegs, hatte Bill erfahren, dass Gobhood dafür gesorgt hatte, dass Draco einen Standardvertrag für Aushilfskräfte, gültig nur für diesen einen Tag, unterschrieb. Die Standardverträge von Gringotts enthielten alle eine Klausel, wonach eine Tätigkeit, die im Rahmen dieses Vertrages ausgeführt wurde und darin resultierte, dass man einem anderen Gringotts-Angestellten das Leben rettete, keinerlei Lebensschuld nach sich zog. Denn die Bank konnte es nicht zulassen, dass ihre Mitarbeiter von einem undurchschaubaren Netz überzogen wurden, bei dem niemand mehr recht wusste, wer wem das Leben schuldete und wann diese Schuld vielleicht eingefordert wurde. Schließlich würde ohne eine solche Klausel schon das simple Beiseiteschubsen eines Kollegen, wenn eine Falle in einem Grab losging, auf eine Lebensschuld hinauslaufen, obwohl es lediglich einem angemessene Teamverhalten unter Fluchbrechern entsprach. Bill war Draco Malfoy also in keinster Weise mit dem Leben verpflichtet.

Vielleicht hätte er vorhin doch mit den anderen aus seinem Team nach Kairo apparieren sollen, um dort das erfolgreiche Ende der Arbeiten an dem Priestergrab zu feiern...

Das Kratzen des Einlassholzes an der Zeltplane riss Bill aus seinen Gedanken. Für einen winzigen Moment, dachte er, Zaid wäre vielleicht noch einmal zurückgekehrt, um ihn nun doch noch zu überreden, mit ihnen zu feiern. Dann aber verwarf er den Gedanken. Sein Team kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass ein solcher Versuch üblicherweise keinen Erfolg hatte. Gobhood, der ihm als nächster einfiel, schied ebenfalls aus, denn für gewöhnlich machte sich der Kobold gar nicht erst die Mühe, mit dem eigens dafür an der Zeltstange befestigten Holz über das Tuch zu streichen, um so um Einlass zu bitten. Er behauptete stets, dass Kobolde ein so feines Gehör hätten, dass sie immer schon im Vorfeld wüssten, ob sie störten oder nicht.

„Herein!“, rief er schließlich, des Rätselratens überdrüssig, aber zugleich nicht gewillt sich von seinem Bett zu erheben. Das änderte sich aber schlagartig, als er sah, wer da soeben sein Zelt betrat. „Draco!“, stieß er überrascht aus und setzte sich ruckartig auf. „Was machst du hier?“

Ein kleines Grinsen huschte über das Gesicht des anderen. „Hm, ich denke, man nennt es: Sich bei seinem neuen Nachbarn vorstellen.“

„Bei... neuer Nachbar... du...?“ Die Verwirrung war Bill mehr als nur deutlich anzusehen.

„Gobhood meinte, der Platz neben deinem Zelt sei noch frei und ich könnte meines dort aufstellen... und ich muss gestehen, dass mir dieses Arrangement durchaus zusagt.“ Draco trat ein paar Schritte näher.

In Bills Kopf begannen sich die Räder zu drehen und er versuchte, die wenigen Informationen zu verarbeiten. Im Lager wohnten nur Mitarbeiter von Gringotts. Wenn Draco also sein Zelt hier, innerhalb des Lagerbereichs aufstellte... „Du arbeitest für Gringotts?“

„So ähnlich. Meine Firma hat einen Kooperationsvertrag mit der Bank. Und im Rahmen dieses Vertrags, stehe ich mit meinen Fähigkeiten der Bank zur Verfügung“, beantwortete Draco die Frage.

Bill grummelte. Wieso nur neigten Slytherins dazu, mit einer durchaus wahrheitsgemäßen Antwort nur noch mehr Fragen aufzuwerfen? Andererseits, Kobolde waren diesbezüglich noch schlimmer als Slytherins, denn sie hatten nicht das angeborene Mitteilungsbedürfnis der Menschen. Und eigentlich war er an Kobolde ja gewöhnt. Was wiederum bedeutete, dass er vermutlich bei Draco einfach nur lange genug warten musste, und der Sucher würde ihm alles erzählen. Sein Grummeln wandelte sich in ein wissendes Grinsen und er erhob sich vollends vom Bett. „Wie ist es, wenn du schon mal hier bist, fliegen wir eine Runde?“ Bill ahnte, dass die Tatsache, dass er keine weiteren Fragen stellte, Draco noch mehr verwirren würde, als dessen plötzliches Auftauchen Bill selbst überrascht hatte. Und tatsächlich schien dieser für einen Moment wie angewurzelt dazustehen.

„Was ist? Hast du etwa deinen Besen nicht mitgebracht?“, fragte Bill mit einem leicht neckenden Unterton.

Das schien Draco aus seiner Starre zu holen. „Natürlich habe ich meinen Besen hier. Gehört schließlich zu meinem Handwerkszeuge.“

„Na, dann komm.“ Mit diesen Worte hatte Bill seinen eigenen Besen gegriffen und war zum Zelteingang gegangen.
 

Es tat gut zu fliegen. Und es tat gut zu wissen, dass Draco nur eine Besenlänge entfernt von ihm flog. Es war so vertraut, dass all die Schwermut der letzten Wochen von Bill abfiel. Spontan hatte er sich dagegen entschieden, wie sonst in Dracos Gegenwart einen der Seelenschächte einer nahegelegenen Pyramide anzufliegen, sondern genoss stattdessen den Flugwind, der an den Strähnen, die sich aus seinem Zopf gelöst hatten, zerrte, während er in aberwitzigen Manövern das antike Bauwerk umflog, die Spitze berührte und wieder hinabschoss.

Draco folgte zuerst jeder seiner Bewegungen, ohne groß zu fragen, schien sich dann aber seinem eigenen Rhythmus zu überlassen und vermutlich war es nur ihrer beider Talent zu verdanken, dass sie sich bei den Schleifen und Bögen, den schnellen Wenden und Schrauben nicht in der Luft rammten. Ihrem Talent und wohl auch ihrem gegenseitigen Vertrauen. Dem Wissen, dass der andere ausweichen würde und der Ahnung in welche Richtung er dies tun würde. Es ging schließlich nicht darum, einen potenziellen Gegner im Rahmen der Regeln zu foulen.

Es war schließlich die Dämmerung, die ihrem Treiben mit Nachdruck Einhalt gebot. Denn mit dem schwindenden Tageslicht hielt die nächtliche Wüstenkälte Einzug und diese forderte bekanntlich mehr Todesopfer als der Wassermangel. Sicher, als Zauberer verfügten sie immer über die Möglichkeit von Wärme- oder Feuerzaubern, aber die isolierten Zelte des Lagers waren da weit komfortabler.

„Du hattest übrigens Recht“, sagte Draco ganz unvermittelt, während sie in gemächlichen Tempo zu dem Ausgrabungslager zurückflogen.

„Womit?“, fragte Bill und ließ sich mit keiner Regung anmerken, das er die ganze Zeit darauf gewartet hatte, dass der andere anfing zu erzählen.

„Mit deiner Aussage, dass die wirklich guten Flieger alle etwas gefunden haben, das ihnen mehr bedeutet als Quidditch.“ Draco schwieg für einen Moment, dann sagte er, ohne übertriebenen Stolz oder unbotmäßige Bescheidenheit: „Ich habe Osmond Donohue, den Stammspieler der Wigtown Wanderers, geschlagen, als ich zurückkam. Bei allen drei Testläufen. Und dann habe ich gekündigt.“

Bill grinste. Dass Draco den anderen Spieler besiegt hatte, überraschte ihn nicht, aber er hatte nicht damit gerechnet, dass der junge Mann gleich darauf kündigen würde. „Ich glaube, mit dieser Aktion hast du dir einen Eintrag in die Annalen der Quidditch-Geschichte gesichert. Denn es wird wohl noch nie vorgekommen sein, dass jemand in dem Moment kündigt, wo er den Platz des Stammspielers errungen hat.“

Draco zuckte mit den Schultern. „Quidditch bot mit diesem Sieg über Donohue keine Herausforderung mehr für mich. Ägypten dagegen schon. Oder genauer, die Arbeit als Rettungsflieger. Kann sein, dass ich gelegentlich auch in Südamerika oder Ostasien eingesetzt werde. Aber erst mal Ägypten. Denn Gringotts hat nach dem Sabotageakt eingesehen, dass es weitaus kostengünstiger ist, einen versierten Rettungsflieger in Reichweite zu haben, als ein ganzes Lager von seiner Arbeit abzuziehen, damit diese beim Bergen eines verschütteten Teams helfen können. Von den eventuellen Schäden an Artefakten oder ähnlichem bei derlei Gewaltaktionen ganz zu schweigen. Und das trotz der, laut den Kobolden in London, schon regelrecht unverschämten Summe, die ich für meine Dienste verlange.“

„Du weißt schon, dass sich die Maya- und Mongolen-Magie von der hiesigen Magie unterscheidet?“, warf Bill ein, doch ihm war anzusehen, dass er Dracos Plan für gut und interessant hielt. Zwar nichts, für das er seinen Beruf als Fluchbrecher an den Nagel hängen würde, aber es schien zu Draco weit besser zu passen als Profi-Quidditchspieler. Es hatte den Reiz des Abenteuers, den Geruch von Geld und das Ansehen eines Monopolisten. Denn schließlich war Draco derzeit weltweit der einzige Rettungsflieger dieser Art.

„Ich weiß, deswegen werde ich wohl in absehbarer Zeit zwecks Schulung auf die anderen Kontinente müssen. Darüber hinaus habe ich aber vor, meine Kontakte innerhalb der Quidditch-Liga zu nutzen und anderen guten Sucher, die des Sports überdrüssig geworden sind und nach einer neuen Herausforderung lechzen, einen Vertrag in meiner Firma anzubieten. Ich hoffe schon nächstes Jahr genug Flieger beisammen zu haben, dass wir auf jedem Kontinent wenigstens einen Flugspezialisten haben. Wobei ich hoffe, dass die Gründung von Filialen leichter wird als die Gründung der Firma an sich.“ Draco schnaubte ein wenig ungehalten. „Weißt du, ich hatte gedacht, ich gehe nach England zurück, übertreffe Donohue, gründe die Firma und bin in längstens einer Woche wieder hier. Aber selbst mit all dem Einfluss, den mein Vater aufbieten konnte, um die Dinge zu beschleunigen, hat es einen Monat gedauert. Einen verdammten Monat!“

„Du hättest schreiben können“, erwiderte Bill überraschend ruhig.

„Vielleicht. Aber hättest du geschrieben, wenn du jeden Tag darauf hofftest, dass die Papiere unterzeichnet und genehmigt sind und du genauso gut selbst hättest kommen und fragen können: Na, hast du mich vermisst?“

„Hast du mich denn vermisst?“

„Hey, eigentlich sollte das meine Frage sein“, protestierte Draco mit einem Lachen.

Bill zuckte nur mit den Schultern. „Was macht das für einen Unterschied?“

Sie beide kannten die Antwort darauf: Keinen.

„Hör zu, ich weiß zwar nicht, ob ich Ägypten genauso lieben werde, wie du es tust, aber ich liebe zumindest die Herausforderung der Pyramiden. Und ich weiß, dass meine ungeregelten Arbeitszeiten es durchaus mit deinen werden aufnehmen können. Auch wenn ich hoffe, dass du nicht allzu häufig der Grund für diese ungeregelten Arbeitszeiten sein wirst. Also, was meinst du“, sagte Draco und sah Bill fragend an, „erträgst du es, wenn mein Zelt für eine Weile neben deinem steht?“

„Nur für eine Weile?“, fragte Bill und blickte abwartend zu Draco hinüber.

„Na ja, vielleicht auch für eine etwas längere Weile...“
 

ENDE



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Kommentare zu dieser Fanfic (9)

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Von:  kreative_vier
2010-05-03T11:43:01+00:00 03.05.2010 13:43
Deine story ist voll toll <3
Es ist eine schöne weitererzählung, wie es weitergehen würde.
Ich fand es spannend wie es in der famile der Weasley allg. so nach dem Kampf in Hogwarts ist. Wie sie mit Fred Tod umgingen.
Ich fands niedlich, wie Fred und Draco sich einwenig näherkamen imer nur ein bsichen ^^

lg Najiko
Von:  aku-chi
2010-03-09T14:17:33+00:00 09.03.2010 15:17
Gefällt mir richtig gut. Deine Art zu schreiben ist angenehm. Man wird im Lesefluss nicht durch unpassende Absätze oder fürchterliche Grammatik gestört. Die Idee der Story ist zudem ungewohnt und dadurch interessant.
Also insgesamt eine sehr Runde Sache. Glückwunsch

Von:  Geisterkatze
2010-03-03T18:41:37+00:00 03.03.2010 19:41
aha!
jetzt kennen wir schon mal den namen des diebes
und was er als nächstes klauen will
ob ihn das wohl geling?
ich bin gespannt
nach den namen her würde ich sagen das der Dieb ein Kobold ist o.o (?)
das kann ja was werden
wenn das alles raus kommt
ich bin auf die fortsetzung gespannt ^.^

MfG Geisterkatze =^.^=
Von:  Geisterkatze
2010-03-03T18:26:04+00:00 03.03.2010 19:26
Draco gemeinsam mit Bill in den Pyramiden~
das wird sicher spannend
hoffentlich lösen sie nicht eine noch nicht entdecke falle aus
nicht das noch was passiert
tja ja einmal ein weasley immer ein weasley - echt netter gedanke
aber wenigstens hat dieser weasley ihn ein preisnachlas eingebracht

das mit dem wasser zauber ist interessant, das es in Ägypten nicht so gut geht wie in England und Draco somit nicht Baden gehen kann
*lächel*

so jetzt wieder zum nächsten Kapitel~ ^.^

MfG Geisterkatze =^.^=
Von:  Geisterkatze
2010-03-03T18:04:56+00:00 03.03.2010 19:04
*lach*
da trinkt der Bill einfach Apfeltee um keinen Kater, sowie seine Kollegen zu bekommen - einfach raffiniert
Nun bin ich ja gespannt ob Draco einen Kater hat
*schmunzel*

so und weiter zum Kapitel..
das ist ja richtig detektivig (komisches wort) jedenfalls wie bei Sherlock Holmes
um den Dieb zu fassen muss eine falle her, jedoch keine magische sondern eine Muggelfalle und man will nicht nur ein Dieb fangen, nein gleich eine ganze organisation
boah
ich bin echt gespannt wie sich das weiter entwickelt
also auf zum nächsten Kapitel ^.^

MfG Geisterkatze =^.^=
Von:  Geisterkatze
2010-03-03T17:44:42+00:00 03.03.2010 18:44
ood Draco ganz alleine
aber zum glück kommt ja Bill
und leistet ihn gesellschaft~
schön das sie sich doch noch ein bisschen piesacken
sich aber anscheinend doch recht gut verstehen
Kapitel hat mir mal wieder sehr gefallen
einfach weil
Draco eben Malfoy haft bleibt, aber doch in seiner Art freundlich
und Bill bleibt eben Bill

leicht lachen musste ich ja als Draco nicht wusste wie Charlie hieß und ihn in seinen denken einfach mal Clive nannte *g*

dann mal auf zum nächsten Kapitel ^^

Mfg Geisterkatze =^.^=
Von:  Geisterkatze
2010-03-02T16:20:07+00:00 02.03.2010 17:20
Interessant
Malfoy als Qudditchspieler - vom beruf her
und dann auch noch gegen die Kobolde/Bill
ich finde das Spiel hast du gut beschrieben, und das Dracos Team ein Codewort benutzt hat, hatte die sache noch spannender gemacht
und dann fängt Bill doch noch den Schnatz..
aber wenn ich richtig gelesen habe
hat Dracos Mannschaft gewonnen um 40 Punkte - da können se ja feiern ^^
So.. ich bin neugierig wie es weiter geht
leider kann ich erstmal nicht weiter lesen
also werd ich brav auf das nächste Kapitel warten
dein Schreibstil find ich einfach klasse!

MfG Geisterkatze =^.^=
Von:  Geisterkatze
2010-03-02T16:04:19+00:00 02.03.2010 17:04
du hast echt nen Sinn zur Namens erfinung
besonders bei den Kobolden ^.^ ist echt super,
klingen wirklich wie kobold namen -> meiner Meinung

Hmm aber was ist mit der Katzenstatue, die kann ja nicht einfach weg sein und ich glaube nicht das der Kobold sie zum angeben mal so eben mitgenommen hat, aber wer kann sie dann haben o.o
das Zelt hat schließlich etliche Schutzzauber
könnte theoretisch nur einer von dem Team sein, oder ebenso ein Fluchbrecher wie Bill - oder eben ein guter Grabräuber
aber ein Grabräuber hätte sicher nicht nur eine Katzenstatue mitgenommen~
so viele fragen und ich bin neugierig *g*
also auf zum nächsten Kapitel~

MfG Geisterkatze =^.^=
Von:  Geisterkatze
2010-03-02T15:53:29+00:00 02.03.2010 16:53
erste^.^
der anfang bzw prolog klingt schon mal viel versprechend ^.^
ich mag Ägypten sehr, die Pyramiden faszinieren mich ^^

wer da wohl im Schatten rumgeistert?
ich werde gespannt weiter lesen ^^
wird also gleich ein Kommi folgen ^.-

MfG Geisterkatze =^.^=


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