Zum Inhalt der Seite

Alice im Wunderland - Die bescheuertste Interpretation ever

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kapitel 4 - Falsches Spiel

Eine Schlange...?, dachte Alice und blickte das sich windende Tier im Gebüsch fassungslos an. War es überhaupt möglich, dass ein Tier derart humane Laute von sich gab? Er hatte in seinem Leben schon einige Bekanntschaften mit verschiedensten Schlangen gemacht, aber niemals hatte er ein Exemplar dermaßen röcheln hören.
 

„Hsssssssss...! Ssssso eine... verflixxxxte... Grützzzzze...!!“, ächzte das Tier zornig, was seine Fassungslosigkeit noch einmal um das Doppelte steigerte. „Hey, Sssssie da...! Sssstehen Ssssie da nicht ssso rum... Helfen Ssssie mir...!“
 

„Klar. Eine sprechende Schlange. Eigentlich nichts Besonderes in einem Land, in dem bärtige Blumen 'San Francisco' singen“, murmelte er, während er näher an das keuchende Etwas herantrat und sich zu ihm herunterbeugte. Es hörte gar nicht auf zu husten. Schrecklich klang es. Als würde es versuchen, irgendetwas auszuwürgen, das ihm im Halse steckengeblieben war - sofern man hier von so etwas wie einem Hals sprechen konnte.
 

„Ssssie... Gut, dassssss Ssssie da sssind“, zischte die Schlange schwerfällig. „Ich habe... mich verschhhhluckt... an einem Vogel... und ich kriege dasss verflixxxxte Viech einfach... nicht mehr raussss...! Bitte tun Ssssie etwasss!“
 

„An einem Vogel verschluckt? Oh“, gab Alice mitleidig zurück. Er konnte es nicht ertragen, eine Schlange leiden zu sehen. Es stand fest, dass er ihr zur Hand gehen musste - oder was auch immer. „Was soll ich tun?“
 

„Bringen Ssssie... mich zzzum... Lachen...!“
 

Okay. Damit hatte er nicht gerechnet.
 

„Ich soll... ähm... ja. Einen Moment!“, sagte er, fest entschlossen, das arme Geschöpf irgendwie zu retten, und überlegte einige Sekunden lang, ehe er sich seinem am Boden liegenden Gegenüber wieder zuwandte. „ Also... Was sagt die eine Kerze zur anderen?“
 

„Ich... weissssss nicht...“
 

„'Wollen wir zusammen ausgehen?'“
 

Erwartungsvoll starrte die Schlange ihn an, so als würde sie noch auf die Pointe warten.
 

„... Wiessssso?“, fragte sie verständnislos, noch immer reichlich besorgniserregend keuchend.
 

„Äh... ach, nur so. Macht nichts. Vielleicht einen anderen“, sagte er nachdenklich, bemüht, sich so schnell wie möglich etwas einfallen zu lassen. Aber es war nicht gerade ein leichtes Unterfangen. Er hatte sich noch nie in der Lage befunden, einer erstickenden Schlange einen Witz erzählen zu müssen. „Oh Mann... Ähm... Kommt 'ne Frau beim Arzt...? Ach nein, ihr kennt ja hier keine Frauen...“
 

„Wassss für ein Unfug...! Sssselbssstverssständlich weissss ich... wasss eine Frau issst... Und jeder andere hier... wahrschhhheinlich auch...!“, presste das Tier zwischen seinen fürchterlichen Hustenanfällen hervor.
 

„Aha? Aus Erzählungen?“, entgegnete Alice und dachte daran zurück, was der Hutmacher ihm über das Wunderland und das Verschwinden einer möglicherweise erfundenen Mary erzählt hatte. Die Aussagen der einzelnen Freaks schienen sich erstaunlich häufig zu widersprechen. „Ehrlich gesagt... finde ich das alles ja sehr kurios. Was macht ihr hier eigentlich ohne Frauen? Wo kommt ihr dann überhaupt her? Oh, lass mich raten... Ihr wurdet von den Bäumen geboren! Nein, warte, noch besser: Die Herzkönigin hat euch alle der Reihe nach... ausgespuckt!“
 

„Hsssss... Ausssgessspuckt...? Dasss... issst einfach... hihihi... zzzu komischhh!“
 

„Ich wette, sie ist hier die große Mutter der Nation“, grinste er amüsiert. „Wobei ich es mir schwierig vorstelle, sich um so viele gestörte Kinder zu kümmern. Besonders der Weiße Ritter war sicher sehr schwer erziehbar.“
 

„Oh jaaa... Hihihiii... Besssstimmt...!“, kicherte die Schlange ungehalten, seine Meinung über gewisse kopflose Personen offenbar teilend. „Hehehe... Ich kann nicht mehr... Hahahahaha... GRÖARGH!“
 

Seinen Augen kaum trauend musterte Alice die kleine Taube, die mit einem Mal zum Vorschein gekommen war und sich völlig perplex in der Gegend umblickte. Erstaunlicherweise schien sie unversehrt - im Gegensatz zu ihrem geschuppten Jäger, der jetzt mit Sicherheit ganz heiser geworden war -, und im nächsten Moment hatte sie auch schon ihre Flügel ausgebreitet und sich aus dem Staub gemacht.
 

„Wie unhöflich! Nur wegen meiner Hilfe konnte sie jetzt wegfliegen, und ich bekomme kein einziges Wort des Dankes.“
 

„Hssss, mein Herr... Haben Ssssie etwa schhhhon mal eine sssprechende Taube gesssehen?“, fragte die Schlange, so als würde sie mit einem Verrückten reden.
 

„... Nein. Habe ich noch nie. Wie absurd wäre das denn auch bitte? Sprechende Tauben, haha, witzig!“, lachte er, innerlich hoffend, es hier herauszuschaffen, solange er noch normal war. Wer wusste schon, wie schnell man inmitten dieser knallbunten Gesellschaft den Verstand verlor? Wahrscheinlich schneller als ihm lieb war. Um einiges schneller.
 

„Übrigensss... Vielen Dank, Fremder!“, zischte die Schlange, inzwischen deutlich lebhafter. „Dürfte ich erfahren, wer mir dassss Leben gerettet hat?“
 

„Ich bin Alice. Auch bekannt als... der Auserwählte“, antwortete er dezent ironisch.
 

„Der Aussserwählte? Sssossso...“
 

Eine Weile des Schweigens verging, bis sein äußerst ungewöhnlicher Gesprächspartner irgendwann wieder das Wort ergriff.
 

„Würde esss dem Aussserwählten etwasss ausssmachen, mir zzzu sssagen, wohin er eigentlich vorhat zzzu gehen?“
 

„Ich bin auf dem Weg zur Herzkönigin... wenn man so will“, sagte er. „Aber ich glaube, bevor ich endlich zu ihr gelassen werde, muss ich noch einen Haufen Prüfungen bestehen, Aufgaben lösen, dies und das tun... Momentan bin ich noch damit beschäftigt, nach den liebenswürdigen Zwillingen Fidelbums und Fideltäterä zu suchen... oder wie die hießen.“
 

„Oh, interessssant. Lassss mich dir einen Vorschhhlag machen“, begann die Schlange mit Geschäftsstimme. „Ich tue mein Bessstesss, dir bei deiner Sssuche zzzu helfen, und im Gegenzzzug nimmssst du mich mit und bringssst mich der Herzzzkönigin zzzurück! Ihr gehöre ich nämlich, weisssst du? Ssseit Ssstunden bin ich schhhon auf dem Heimweg, aber ich habe peinlicherweissse die Orientierung verloren. Sssie vermisssst mich sssicher schhhon...“
 

„Wenn es sonst nichts ist... kein Problem“, antwortete er lächelnd, bevor er die Schlange, die aus dankbaren, gelben Augen zu ihm aufschaute, vorsichtig hochhob und sie sich mit einem nur allzu vertrauten Gefühl um die Schultern hängte. Ihre weinrote Farbe wirkte in der Tat ziemlich majestätisch. Eine echte Königsnatter sozusagen.
 

„Ich heisssse übrigensss Chhharlie“, sagte sein neuer Begleiter und schlängelte sich in eine Position, von der aus er einen besseren Überblick hatte.
 

„Charlie? Das ist... ein niedlicher Name für eine Schlange.“
 

Alice schaute sich flüchtig um, überlegte kurz, aus welcher Richtung er gekommen war, entschied sich dann jedoch, einfach seinem unfehlbaren Instinkt zu folgen und weiter geradeaus zu laufen. Irgendwo würde er schon auskommen.
 

„Na dann... Lass uns aufbrechen, Charlie!“
 

Einige hundert Meter später, während der die gesamte Landschaft um ihn herum zunehmend exotischer geworden war, fand er sich schließlich in einem Teil des Wunderlandes wieder, der an Skurrilität kaum zu überbieten war. Nicht nur die Bäume schienen beinahe bis in die Wolken ragen, auch sämtliche, verschiedenfarbige Gewächse, die am Rande des Weges wucherten, sowie die Pilze und sogar Insekten, die zwischen den Blüten umherflogen, waren unnatürlich groß. Hätte er nicht gewusst, dass er sich an einem magischen Ort befand, an dem ohnehin kein Fleck wie der andere war, hätte er angenommen, in einer anderen Dimension gelandet zu sein.
 

Doch was ihn endgültig aus der Bahn warf war das Bild, das sich ihm bot, nachdem er zwei riesige Blätter beiseitegeschoben hatte, die zwei dicht beieinander wachsenden Pflanzen angehörten und ihm die Sicht versperrten. Eigentlich gab es nach allem, was er inzwischen hier erlebt hatte, bei Weitem keinen Grund mehr, überrascht zu sein. Aber wie es aussah konnte er sich einfach nicht an diese Art grotesker Begegnungen gewöhnen.
 

Umringt von diversem, tropisch anmutendem Gestrüpp saß auf einem besonders hochgewachsenen, leuchtend-blauen Pilz ganz entspannt ein Kerl mit einer Wasserpfeife. Und - wie hätte es anders sein können? - war es nicht irgendein Kerl.
 

Es war Slash. Der Slash mit der Sonnenbrille, der explodierten Frisur und dem Zylinder.
 

„Aaah, wer bist'n du?“, hörte er ihn mit rauer Stimme fragen und sah, wie er sich langsam ein kleines Stück auf seinem Pilz vorlehnte - wohl, um ihn besser erkennen zu können, obwohl die minimale Bewegung bei der Entfernung mit Sicherheit keinen Unterschied machte. „Nein, sag nichts! Ich rate, wer du bist...! Ein... Ein Englein, das gekommen ist, um mir Gesellschaft zu leisten? Hmm... Nein, vielleicht auch nicht. Du siehst nicht aus wie ein Englein.“
 

„Ähm...“
 

„Wenn ich so drüber nachdenke komms'te mir irgendwie bekannt vor... Ja, jetzt weiß ich! Eine meiner Ex-Freundinnen...! Wie hieß die noch... Die eine da... Oder hab' ich die nur geträumt?“
 

Mit einem vernehmlichen Räuspern machte Alice den in seine Überlegungen vertieften Slash auf sich aufmerksam. Verträumt grinsend starrte dieser ihn an.
 

„Sorry, aber ich bin weder ein Englein noch deine Ex-Freundin. Und... Angie bin ich auch nicht.“
 

„Das wäre meine nächste Vermutung gewesen!“
 

„Unfassbar“, seufzte er. „Ich weiß ja, dass ich hübsch bin... Aber so hübsch, dass ich für eine Frau gehalten werde?“
 

Alice warf seinem neuen Gefährten einen fragenden Blick zu.
 

„Was meinst du dazu, Charlie?“
 

Die Schlange zischte aufmunternd.
 

„Mach dir nichtsss drausss“, sagte sie. „Der Typ issst offensssichtlich ganzzz schhhhön high.“
 

„Ja, da hast du Recht“, entgegnete er, wandte sich dann wieder Slash zu und ging einige Schritte in seine Richtung. „Du, ähm... Wie darf ich dich eigentlich nennen?“
 

„Ich bin die Raupe“, antwortete Slash, nahm einen Zug von seiner Pfeife und paffte ein rosafarbenes Wölkchen in Form eines Schmetterlings. Wie auch immer er das anstellte.
 

„Die Raupe... Natürlich“, sagte Alice, mit einer gewissen Faszination die Rauchwolke betrachtend. „Jedenfalls... hätte ich da mal eine Frage. Ich bin hier, weil ich versuche, Fideldum und Fideldei zu fangen, die von Fairplay offenbar nicht viel verstehen. Du hast sie nicht zufällig vorbeikommen sehen?“
 

„Weeen?“, fragte 'die Raupe' langgezogen.
 

„... Die Zwillinge. Die beiden schwarz-weißen Typen, die eine Vorliebe für bescheuerte Reime haben.“
 

„Ach, die meins'te...! Kann mir die Namen nie merken. Ich nenn' die immer Sterni und Spacy, deshalb wusste ich nicht, von wem du redest“, sagte 'die Raupe' abwesend nickend. Eines musste man ihm lassen: Er hatte ein bemerkenswertes Gespür für Spitznamen.
 

„Ja, und was ist jetzt? Hast du sie gesehen?“, fragte Alice erneut.
 

„Nee, sorry, die hab' ich nich' gesehen. Aber 'ne coole Schlange has'te da“, sagte der Kerl, als gäbe es irgendeinen Zusammenhang. „Irgendwie kenne ich die. Gehört die nicht der Alten?“
 

„Der ehrwürdigen Herzzzkönigin, wenn ich bitten darf!“, zischte Charlie hörbar empört dazwischen, woraufhin die Raupe beschwichtigend eine rote Wolke in Herzform ausatmete.
 

„Is' ja gut“, lächelte sie. „Wollt ihr nicht zu mir hochkommen? Is' doch anstrengend, die ganze Zeit nach oben zu gucken, oder?“
 

Alice besah sich den Pilz etwas genauer, hatte jedoch nicht das Gefühl, dass zwei oder mehr Personen darauf Platz finden würden. Selbst dann nicht, wenn man die recht ausladende Wasserpfeife beiseite stellen würde.
 

„Das ist sehr nett, aber ich glaube nicht, dass Charlie und ich da noch hinpassen“, sagte er. „Da ist nicht so viel Sitzfläche, wie du vielleicht... wahrnimmst.“
 

„Quatsch nich' rum“, lachte die Raupe und zeigte auf die gigantische Pflanze rechts von sich. „Ihr könnt euch auf das große Blatt hier setzen, da is' genug Platz. Auf meinen Pilz lasse ich eh nur schöne Frauen. Leider war schon lange keine mehr bei mir... Is' bestimmt schon 'ne Woche her. Hm, nee, könnten auch zwei sein. Oder... vielleicht auch'n Jahr?“
 

„Ich habe auch kein Zeitgefühl mehr seit ich hier bin“, bemerkte Alice und stellte sich eine Frau vor, die sich an eine übergroße, behaarte Raupe kuschelt.
 

„Bei ihm hat esss vermutlich etwasss andere Gründe“, meinte Charlie mit einem skeptischen Seitenblick auf den abwesend vor sich hin starrenden Slash. „Sssollen wir unsss auf dem Blatt einrichten, während er versssucht zzzu rechnen?“
 

„Von mir aus. Ein bisschen Ruhe könnte nicht schaden“, antwortete er, obwohl er leichte Schwierigkeiten damit hatte, zu glauben, dass ein Blatt - egal, von welcher Größe - dem Gewicht eines Menschen und einer Schlange standhalten konnte.
 

Unsicher näherte er sich dem tropischen Riesengestrüpp, ehe er sich daran machte, hinaufzuklettern, und es mit einiger Mühe fertiggebracht hatte, es sich auf dem offenbar stabilen, dicht an den Pilz grenzenden Blatt gemütlich zu machen. Es gab tatsächlich kaum nach. Grinsend sah die Raupe zu ihm herüber und nahm genüsslich einen weiteren Zug aus der Pfeife.
 

„Siehs'te? Alles easy“, sagte sie, nachdem sie ein perfekt-rundes CND-Symbol ausgehaucht hatte. „Auch mal?“
 

„Nein, danke“, erwiderte Alice schnell und rückte sich seine gar nicht mal so unbequeme Ruhestelle zurecht. „Die komischen Plätzchen von Steven Ty- ich meine, vom Hutmacher haben mir gereicht.“
 

Die Raupe lachte amüsiert.
 

„Ach, der Hutmacher weiß doch überhaupt nich', was gut ist... Sonst hieße er ja auch 'Der Gutmacher'...!“, kicherte sie ungehalten, scheinbar zutiefst belustigt von ihrem eigenen Scherz. Alice hielt es für besser, sich nicht dazu zu äußern. Nicht zuletzt, weil er sich selbst nicht sicher war, ob er das flache Gesülze witzig fand oder nicht.
 

„Aber is' ja auch eigentlich kein Wunder, dass die olle Schrulle einen an'ner Klatsche hat“, redete Herr Raupe unbeirrt weiter. „Wenn man auch dauernd mit so 'nem Hasen abhängt, der voll daneben um einen rumspringt... Is' der Märzhase eigentlich immer noch ständig so irre am trompeten?“
 

„Also... Mal abgesehen davon, dass es keine Trompete sondern eine Flöte ist, mit der er seine Mitbewohner terrorisiert... Ja.“
 

Schon seltsam. Wahrscheinlich war er nicht einmal seit einem vollen Tag hier - zumindest hatte er bisher keinerlei Sonnenuntergänge oder Ähnliches beobachten können -, und er unterhielt sich bereits mit einem Kollegen, der sich für eine Raupe hielt, über ihre verrückten Mitmenschen, als wäre es das Normalste der Welt. Wie rasch man sich doch an das Leben in einem Land voll umnachteter Hippies gewöhnen konnte.
 

Charlie war inzwischen von ihm heruntergekrochen und hatte sich ein wenig schläfrig neben ihm auf dem Blatt ausgebreitet. Verständlich. Dieses Örtchen hatte etwas wirklich Heimeliges an sich. So kam es, dass er kurz darauf entschied, wenigstens für einen Moment keinen einzigen Gedanken mehr an die Zwillinge, die Königin und seine dämlichen Aufgaben zu verschwenden und sich ebenfalls ein wenig hinzulegen. Der Blick in den dämmrigen Himmel, dessen Farben eigenartig harmonisch ineinander verliefen, war derart beruhigend, dass er sich bemühen musste, nicht einzuschlafen. Nach einem solch anstrengenden Tag war das gewissermaßen eine Herausforderung.
 

„Weiß'te... Das Teil, das ich da auf'm Kopf trage...“, sagte die Slash-Raupe und zeigte auf ihren Zylinder, „... das hab' ich auch vom Hutmacher.“
 

„Mhhm...“, machte Alice, vertieft in den unwirklich schönen Ausblick über sich. „Ich dachte, der Hutmacher wüsste nicht, was gut ist?“
 

Slash lachte heiter.
 

„So ist es“, gab er zurück. „Der Typ hat absolut keinen Durchblick... Der is' echt vernebelt.“
 

„Dann nehme ich an, du trägst den Hut, um dem ganzen Land preiszugeben, wie wenig der vernebelte Typ von seinem Handwerk versteht, was?“
 

„Ganz genau!“ Die Hütchenraupe nickte lächelnd. „Voll cool. Wir verstehen uns, Kumpel...!“
 

Offensichtlich zufrieden rauchte der Kerl seine Pfeife weiter und pustete dabei allerhand buntes Zeug aus, während Alice sich wieder zurücklehnte und merkte, wie die Zeit und die Prüfungen, die er bestehen sollte, ihm mehr und mehr egal wurden. All das konnte warten. Wozu also sollte er sich hetzen, wenn es hier doch eigentlich gar nicht einmal so übel war?
 

Am Rande nahm er wahr, wie rote, blaue und gelbe Wölkchen in diversen Tierformen über ihn hinwegzogen - erst ein Hase, dann eine Katze mit einem verschlagenen Grinsen gefolgt von einem kleinen Hund und einer Maus -, und dann hörte er Slash vage etwas sagen wie „Pass auf, ich zeig' dir mal was!“, bevor kurz darauf eine gewaltige Rauchwolke in Form einer Pistole am Himmel entlangwaberte. Eigentlich bereits zu müde, um sich zu fragen, was das werden sollte, staunte er doch nicht schlecht, als gleichzeitig mit einem von Slash gezischten „POW!“ die Pistole losging und täuschend echt aussehende Blütenblätter aus ihr herausgewirbelt wurden. Rosenblüten, wie er feststellte. Ganz langsam schwebten sie durch die Luft, regneten auf ihn herab und verflüchtigten sich wieder, bevor sie aufkommen konnten. Es wirkte regelrecht magisch.
 

„Woah... Echt jetzt... Das ist voll schön“, murmelte er und fühlte sich mit einem Mal seltsam glücklich. Wie harmonisch das Leben doch sein konnte...
 

„Hehe... Du darfst dich geehrt fühlen“, wisperte die Raupe. „Das haben bisher nur meine Ex-Freundinnen zu Gesicht bekommen.“
 

„So? Okay...“
 

Ohne wirklich darauf zu achten, was das Räupchen Spannendes erzählte, betrachtete Alice voller Ausgeglichenheit, was sich dort oben am farbenprächtigen Firmament abspielte. Zwischen all den sanften Farben erkannte er doch tatsächlich leicht abgehoben vom Rest einen Regenbogen.
 

Ein Regenbogen?, ging es ihm verschwommen durch den Kopf. Das müsste doch bedeuten, dass es hier irgendwo... regnet?
 

Kaum hatte er den Gedanken zu Ende gedacht registrierte er vereinzelt kühle Tropfen, die, wie auf Kommando, von oben auf ihn und sein Blatt herabfielen. Aus irgendeinem Grund war ihm bisher nie die Idee gekommen, dass es im Wunderland auch Dinge wie Regen und Unwetter geben könnte. Vielleicht war es hier gar nicht so viel anders als in der Welt, aus der er ursprünglich gekommen war?
 

„Lass mich raten“, sagte er und grinste zu der Kopie des Guns'n'Roses-Gitarristen hinüber. „Das ist November-Regen?“
 

„November? Nee... sowas gibt's hier nich'“, antwortete Räupchen und fixierte die Tropfen als wären sie etwas ganz Außergewöhnliches.
 

„Nicht? Naja, eigentlich nicht weiter erstaunlich. Gibt es hier überhaupt so etwas wie ein Datum...?“
 

„Natürlich gibt's das!“, gab der Slash-Verschnitt überschwänglich zurück. „Heute ist... warte, ich komm' gleich drauf... ach ja: Hanftag, der achtunddreißigste Maigustember. Genau der richtige Tag, um entspannt auf 'nem Pilz zu sitzen und 'nen netten Plausch zu führen!“ Einen Augenblick lang schien er nachdenklich, dann ergänzte er: „Aber... eigentlich is' Regen in dieser Jahreszeit ziemlich strange.“
 

Völlig unerwartet hörte Alice auf einmal ein bedrohliches Zischeln neben sich. Charlie war anscheinend durch irgendetwas aufgeschreckt worden - nur durch was?
 

Durch den Regen?
 

„Warte mal“, sagte er, als er Räupchens Worte vollständig verarbeitet hatte. „Soll das heißen, es ist irgendwie... unnormal, dass es jetzt regnet?“
 

Ein wenig beunruhigt erinnerte er sich schwach an ein Gespräch, das er irgendwann einmal mit dem weißen Kaninchen geführt hatte und das in irgendeiner Weise etwas in der Richtung beinhaltet hatte, dass er, als Auserwählter, das Wunderland vor dem Bösen retten sollte.
 

Was, wenn die Fröhlichkeit, all die bunten Blümchen und Tierchen nur Fassade waren und in Wirklichkeit die Apokalypse bevorstand? Und dieser so untypische Regen möglicherweise der Anfang vom Ende war?
 

„Gütiger Drecksmist...!“, stieß Alice hervor, als der Regen stärker wurde und es plötzlich begann, wie aus Eimern zu gießen. Sogar ein Donnern, genauso leise wie diabolisch, war aus der Ferne zu vernehmen.
 

„Bleib geschmeidig“, sagte die Raupe ruhig, wahrscheinlich den Ernst der Lage nicht erkennend, und lehnte sich ein Stück zu ihm vor. „Wir können uns doch unter den Pilz setzen. Dann warten wir bisses vorbeigeht, und alles is' gut.“
 

„Ja... aber...“ Kurz überlegte er, bis er zu dem Schluss kam, dass Raupis Vorschlag besser war als nichts zu tun. „Na gut, du hast Recht.“
 

Mit einem Griff hatte er sich Charlie erneut um die Schultern gehängt und es relativ schnell - er wusste selbst nicht genau, wie er das angestellt hatte - wieder von der überirdischen Pflanze heruntergeschafft, ehe er Raupis Beispiel folgte und im Schatten des riesigen Pilzes das heftige Unwetter begutachtete. Bereits ein oder zwei Minuten später wurde die auf einen Schlag stark verdunkelte Umgebung in regelmäßigen Abständen von grellem Blitzlicht erleuchtet, begleitet von dem dröhnenden Grollen des Donners, das in beträchtlich kurzer Zeit eine enorme Lautstärke erreicht hatte.
 

Das Spektakel von einem warmen und sicheren Zimmer aus durch das Fenster zu beobachten wäre vermutlich ganz nett gewesen. Ob dieser Pilz allerdings den nötigen Schutz vor solch einem Gewitter bot war fraglich.
 

„Ähm... Herr Raupe?“
 

„Hmmm?“, machte Slash, noch immer den Anschein erweckend, die Ruhe in Person zu sein.
 

„Sich hier unten zu verstecken... Ist das nicht ungefähr genauso sinnvoll als würden wir uns unter einen Baum stellen?“
 

„Wir können uns auch unter 'nen Baum stellen, wenn dir das lieber is'.“
 

„Nein! Das wollte ich damit nicht sagen!“
 

Alice seufzte schwer. Das Gewitter schien überhaupt kein Ende zu nehmen. Charlie war, wie es aussah, ebenfalls alles andere als begeistert und wand sich aufgeregt von einer Seite zur anderen, was sich ein wenig unkomfortabel anfühlte aufgrund der Tatsache, dass das Tier ein nicht von der Hand zu weisendes Gewicht besaß.
 

„Hssssssss... Dasss issst... definitiv kein gewöhnlichesss Gewitter“, flüsterte sein Begleiter mit ernster Stimme.
 

„Die Schlange hat Recht“, fügte Slash hinzu, das Schauspiel wie hypnotisiert betrachtend. Dann lächelte er, als wäre diese Feststellung in irgendeiner Weise erfreulich. „Irgendwas stimmt hier ganz und gar nich'.“
 

„Und was ist daran so witzig?“, fragte Alice vollkommen verständnislos. „Wir sind praktisch dem Untergang geweiht, wenn ich das richtig deute... und du sitzt hier rum und grinst dir einen ab! Oh ja, wenn ich so drüber nachdenke finde ich die Vorstellung, durch irgendeine sich langsam ausbreitende böse Macht hier zugrundezugehen, auch prima! Zum Brüllen komisch!“
 

„Mach dich locker“, gab die Raupe gelassen zurück, während der Regen unaufhörlich auf den Pilz prasselte. „Es gibt gar keinen Grund zur Sorge. Der Auserwählte wird kommen und den ganzen Kram regeln...!“
 

„Der-“
 

Er stockte. Diesen Gedanken fortzuführen war zu beängstigend. Auch wenn er mittlerweile aus unerfindlichen Gründen eine Menge für die Bewohner des Wunderlandes getan und einige seltsame Erfahrungen gemacht hatte - was seine eigentliche Aufgabe als 'Auserwählter' anging war er noch immer nicht schlauer. Und wenn die Raupe und die anderen Freaks sich voll und ganz auf ihn verließen, dann bedeutete das...
 

Sie alle waren verloren.
 

„Verdammt... Das kann nicht wahr sein. Verdammt, verdammt, verdammt!!“
 

„Hey, was hast'n du auf einmal?“
 

„... Nichts. Gar nichts.“ Alice schloss die Augen und atmete einmal tief durch, ehe er den Entschluss fasste, dass er dringend etwas unternehmen musste - egal was. „Ich... kann hier nicht länger tatenlos rumstehen. Erst recht nicht, wenn jeden Moment ein Blitz hier einschlagen und deinen Pilz zu Asche verarbeiten könnte. Ich werde gehen und nach irgendeinem Unterschlupf suchen bis das endlich aufgehört hat... und dann schaue ich weiter. Kommst du mit?“
 

„Tut mir leid, ich kann hier nich' weg. Dieser Bereich is' mein Zuhause. Ich hoffe, du verstehst das“, sagte die Raupe in einem entschuldigenden Tonfall. „Aber wenn du gehen willst, werde ich dich nich' aufhalten. Viel Glück! Und komm mich mal wieder besuchen, Kumpel!“
 

„Das werde ich“, antwortete Alice leise und wandte sich zum Gehen. „... Falls ich das Ganze hier lebend überstehe.“
 

Er wusste nicht, wie lange er bereits gelaufen war, und auch nicht, aus welcher Richtung er ursprünglich gekommen war, als er irgendwann eine Art Lichtung erreichte, die im Vergleich zu der Stelle, an der er sich zuvor aufgehalten hatte, recht kahl, trist und irgendwie abgeschieden vom Rest wirkte. Vermutlich trug der noch immer strömende Regen seinen Teil zu diesem Eindruck bei. Trotzdem - etwas war befremdlich an diesem Ort. Es kam ihm beinahe so vor, als würde dort etwas lauern, das ihn absichtlich den verworrenen, weiten Weg bis hierher gelockt hatte, nur um... Um was eigentlich?
 

„Nein. Bloß nicht paranoid werden“, sagte er abwesend zu sich selbst und drehte sich nach allen Seiten um, um sich zu vergewissern, dass seine Wahnvorstellungen auch wirklich nichts als Wahnvorstellungen waren. Dann blickte er an sich herunter. Der Regen hatte seine gesamte Kleidung völlig durchnässt und es sah nicht danach aus, als würde das Unwetter in absehbarer Zeit ein Ende nehmen. Wobei wenigstens das Blitzen und Donnern inzwischen deutlich nachgelassen hatte. Eigentlich war es nur noch nass und kalt. Und düster.
 

„Aliccce?“, zischte Charlie aus heiterem Himmel.
 

„... Was denn?“, entgegnete er und klang dabei resignierter als er es wollte.
 

„Dein Kajal issst ganzzz verlaufen.“
 

Toll. Wirklich großartig. Hätte er nicht im Moment ganz andere Probleme gehabt - beispielsweise die Tatsache, dass er einsam und allein an einem verlassenen Ort festsaß, an dem es nicht einmal eine Wäscheleine oder einen Trockner gab -, hätte er sich vermutlich gefragt, woher eine Schlange einen Begriff wie 'Kajal' kannte. Aber vielleicht sah er die Sache auch einfach zu pessimistisch. Wahrscheinlich konnte er froh sein, dass zumindest Charlie ihn begleitete und er nicht vollkommen auf sich allein gestellt war in dieser verrückten, grausamen Welt. Laut seufzend stapfte er wahllos ein paar Schritte schräg geradeaus, während er überlegte, wie sehr genau es ihn auf einer Skala von eins bis zehn frustrierte, dass er noch immer keine Spur von den Zwillingen gefunden hatte und mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit unter unwürdigsten Umständen mitten im Nirvana verenden würde, wenn nicht bald, passend zu der albernen Bezeichnung dieses Landes, ein Wunder geschah, und blieb dann abrupt vor einem mit Regenwasser gefüllten Graben stehen. Leicht irritiert beugte er sich zu der übergroßen Pfütze herunter und betrachtete darin eine Weile lang sein trübes Spiegelbild. Charlie hatte Recht. Sein Kajal war wirklich verlaufen. Aber damit nicht genug:
 

Es war entgegen jeglicher Logik auch noch derart vom Regen verschmiert, dass es den Eindruck machte, als hätte er mit voller Absicht versucht, seine Erscheinung besonders grotesk wirken zu lassen. Möglicherweise lag es auch zum Teil an den Wellen, die das Wasser durch die noch immer herabplätschernden Tropfen schlug, oder an seinem Geisteszustand - aber er konnte nicht leugnen, dass er nun gewissermaßen aussah wie Steven. Nicht zuletzt wegen des schon fast verstörend niedergeschlagenen Ausdrucks, mit dem er sich selbst gerade ansah.
 

„Na, klasse... Willkommen zu meinem Albtraum“, murmelte er mit einem verzweifelten Fünkchen Selbstironie, als er sich wieder von dem faszinierenden Anblick löste. „Fehlt nur noch, dass irgendeine unheimliche Stimme andauernd meinen Namen ruft.“
 

„Aaaaaliiiiiceeeee...!“
 

„... Das ist jetzt nicht wahr, oder?“
 

Murrend erhob er sich, in Erwartung irgendeines neuartigen Freaks die Augen offenhaltend.
 

Und dann sah er es.
 

Ganz plötzlich war es dort und schien darauf zu warten, dass er zu ihm kam - das phantomartige Geschöpf, das ihn zuletzt in Anwesenheit des Hutmachers und dessen verkorksten Genossen in seiner Vision heimgesucht hatte. Vincent Price. Mit dem einzigen Unterschied, dass seine Gestalt dieses Mal mehr als real wirkte und nicht wie das Hirngespinst einer eigenartigen Halluzination. Lächelnd stand er da, als wäre er nur ein gewöhnlicher Bestandteil der Umgebung, in der einen Hand mit festem Griff die Schnüre dreier bunter Ballons haltend, die andere einladend zur Seite ausgestreckt.
 

„Tritt näher!“, sagte er freundlich, und Alice konnte nicht anders als seiner Aufforderung zu folgen, obwohl er selbst nicht die leiseste Ahnung hatte, weshalb. Der Regen schien langsam nachzulassen, doch aus irgendeinem Grund interessierte es ihn kaum noch, dass er mit dem Aussehen eines begossenen Pudels in der Pampa feststeckte. Die plötzliche Anwesenheit seiner Traumerscheinung zog seine ungeteilte Aufmerksamkeit auf sich, und er kam nicht umhin sich zu fragen, was genau ihm bei ihrer letzten, surrealen Begegung solches Unbehagen bereitet hatte. Schließlich war es eben nur ein Traum gewesen. Das hier hatte nichts damit zu tun.
 

„Na, Alice? Hast du dich verlaufen?“ Mit sanftmütiger Miene schaute der Andere ihn an, während er von sich aus einen Schritt auf ihn zu machte. „Hast du etwa... deinen Pfad verloren?“
 

Bevor er irgendetwas darauf erwidern konnte gab Charlie augenblicklich ein gefährliches Fauchen von sich, so giftig, dass er die Schlange mühevoll zurückhalten musste, damit sie sein Gegenüber nicht anfiel. Er hatte Glück, dass er gerade noch rechtzeitig reagiert hatte, bevor sie etwas Schlimmeres hatte anrichten können.
 

„Spinnst du...? Was sollte denn das?“, wies er das Tier zurecht, ehe er sich wieder dem netten Mann mit den Ballons zuwandte. „Entschuldigen Sie... Das wird nicht wieder vorkommen. Charlie ist manchmal... misstrauisch gegenüber Fremden.“
 

„Ach... Das ist doch überhaupt kein Problem“, gab der Andere verständnisvoll zurück und bedachte die Schlange um seinen Hals mit einem flüchtigen Lächeln. „Zweifellos gibt es viel zu viele Menschen, denen man nicht leichtfertig sein Vertrauen schenken sollte... nicht wahr, Charlie?“
 

Charlie schien irgendetwas Unverständliches zu flüstern, bevor der mysteriöse Fremde nach einer kurzen Pause wieder das Wort ergriff.
 

„Nun gut, Alice... Ich sehe, du hast einiges auf dich genommen, bist den weiten Weg bis hierher gekommen, und jetzt... hast du mich gefunden. Hast du eine Ahnung, wer ich bin?“
 

„Ich... also... ich bin nicht sicher...“
 

Alice überlegte einen Moment und zuckte die Schultern, als er zu keinem wirklichen Schluss kam. Sein Gegenüber lächelte noch immer, und er konnte beobachten, wie sich die Gewitterwolken über ihnen nun vollständig verzogen, um den warmen Sonnenstrahlen wieder Platz zu machen. In derselben Sekunde waren an der Seite des Fremden auf wundersame Weise zwei weitere Gestalten erschienen.
 

„Deine Unsicherheit, mein Junge, rührt daher, dass meine Existenz seit jeher umstritten ist. Doch wenn du ehrlich zu dir selbst bist, dann weißt du, wer ich bin“, sagte er und reichte ihm einen gelben Ballon, den Alice wie in Trance entgegennahm. „Ich bin die Verkörperung des Friedens. Der Inbegriff von Glück. Verstehst du, Alice? Ich bin hier, um dir zu helfen. Die Erfüllung deiner Wünsche, die Pforte zur ewigen Freiheit - all das bin ich. Ich bin... der Showmaster.
 

„... Der Showmaster?“
 

„Ganz recht“, antwortete er, den anderen zweien, die jeweils links und rechts von ihm aufgetaucht waren, auffordernd zunickend. „Los, meine treuen... Freunde! Erklärt es ihm!“
 

„Es ist ganz einfach“, begann einer der beiden - eine androgyne Gestalt, deren feuerrote Haarsträhnen ihr vereinzelt wild ins Gesicht fielen, jedoch nicht das seltsame, kreisrunde Zeichen auf ihrer Stirn verdecken konnten. „Überall dort, wo es Probleme gibt und jemand nicht mehr weiter weiß, ist der große Showmaster nicht fern. Er hilft dir in der Not, wenn du denkst, dass das Glück dich endgültig verlassen hat.“
 

„Und nicht nur das“, ergänzte der Zweite, dessen wuchtige schwarze Mähne, die schwarzweiße Gesichtsbemalung und die ebenso schwarze gestachelte Ledertracht einen eher finsteren Gesamteindruck ergaben, mit einem offenherzigen Grinsen. „Er kennt Orte, die niemand zuvor je gesehen hat. Orte, die deine Vorstellungskraft bei Weitem übersteigen...!“
 

„Wirklich...?“
 

„Ja, Alice, genauso ist es“, schaltete sich der Showmaster wieder dazwischen. „Komm mit uns, und du wirst erfahren, was es bedeutet, restlos glücklich zu sein. Wir machen dich zu dem reichsten und mächtigsten Geschöpf der Galaxie, wenn du es wünschst!“
 

„Aliccce!“, hörte er Charlie plötzlich tonlos zischen. „Hör nicht auf sssie! Dasss issst allesss gelogen...!“
 

Mit einem irritierten Ausdruck in seinen Augen musterte er die Schlange, dann glitt sein Blick zu der schwarzhaarigen Erscheinung, die nicht weit von ihm stand und ihn fortwährend mit herausgestreckter Zunge fixierte.
 

„Sei ruhig, Charlie!“, gab er scharf zurück, bevor er sich hoffnungsvoll lächelnd der skurrilen Figur zuwandte, deren auffällige Kleidung er sich von oben bis unten besah, nachdem er sich ihr bis auf wenige Zentimeter genähert hatte - und tatsächlich machte er dabei eine nützliche Entdeckung. „Ihr könnt mich also... von hier wegbringen?“
 

„Selbstverständlich“, entgegnete die schwarzweiß-geschminkte Gestalt zwinkernd. „Und das ist nur ein winziger Bruchteil von dem, was wir können...!“
 

Entschlossen erwiderte Alice das spielerische Zwinkern seines Gegenübers, ehe er sich noch ein Stückchen weiter zu ihm vorlehnte.
 

„Ich muss sagen, das klingt wirklich verlockend“, säuselte er, während er, ohne den Blickkontakt zu seinem Gesprächspartner abzubrechen, dessen sich kaum vom Rest des engen Oberteils abhebende Brusttasche abtastete und kurzerhand die Karte, die glänzend daraus hervorragte, herauszog, als er sie zu fassen bekommen hatte. „Aber trotzdem muss ich das Angebot wohl höflich ablehnen. Ich habe hier noch was zu tun.“
 

„... Er hat uns reingelegt!“, rief der rothaarige Typ empört. „Was für ein gemeiner, hinterhältiger Trick!“
 

„Tja. So ein Pech“, quittierte er knapp, ließ seinen geschenkten Ballon achtlos davonschweben und sah mit einem leicht unwohlen Gefühl den anderen der beiden Typen an, der scheinbar nicht daran dachte, aufzugeben oder sich auch nur einen Milimeter von ihm zu entfernen.
 

„Bist du sicher, dass du dich uns nicht anschließen willst? Du weißt nicht, was du verpasst...“
 

„Meine Mutter hat mir beigebracht, nicht mit Fremden mitzugehen“, sagte Alice, während er nebenbei die schwarze Karte, auf der ein kunstvolles weißes 'I' prangte, in seiner eigenen Jackentasche verschwinden ließ. „Also versuche es gar nicht erst weiter. Und nimm deine verdammte Zunge aus meinem Gesicht...!“
 

Widerwillig ließ der Freak von ihm ab, und auch der Andere drehte sich beleidigt zur Seite um. Der Showmaster unterdessen machte eine nachdenkliche Miene, dann jedoch warf er ihm erneut ein freundliches Lächeln zu.
 

„Wenn es dein Wunsch ist, hierzubleiben, muss ich das wohl akzeptieren. Schade...“, sagte er, seine beiden hauseigenen Verrückten wieder zu sich zurückpfeifend wie zwei Schoßhunde. „Nun denn, Alice. Wir werden uns wiedersehen! Und bis dahin... lebe wohl.“
 

Nur ein einziges Mal hatte er geblinzelt, und schon waren die drei, die eben noch direkt vor ihm gestanden hatten, spurlos verschwunden - als wären sie nie da gewesen. Bloß eine verlassene, kahle Lichtung, die im Licht der Sonne beinahe noch unheimlicher wirkte als zuvor, hatten sie zurückgelassen. Alice seufzte tief, als er realisierte, wie knapp er wahrscheinlich einer verflucht listigen Falle entgangen war.
 

„Nicht schhhlecht“, gab Charlie anerkennend zu. „Du verstehssst esss wirklich, dich zzzu verkaufen.“
 

„Pah... Zu irgendwas muss mein überragender Charme ja wohl gut sein“, erwiderte er, Ausschau nach einer möglicherweise versteckten Abzweigung haltend, die ihn hoffentlich endlich weiterführen würde. „Ich lasse mich doch von Gene Simmons und Ziggy Stardust nicht dermaßen schamlos auf den Arm nehmen! Manchmal ist es eben unausweichlich, sagen wir... alternative Methoden zu ergreifen.“
 

„Alternative Methoden? Sssossso“, zischte Charlie scheinbar amüsiert. „Und wie sssieht esss mit einer armen, einsssamen Schhhlange ausss? Oder bissst du dir dafür zzzu schhhade?“
 

„Hey...! Willst du damit sagen, dass du...“
 

„Keine Sssorge! Dasss war nur ein Scherzzz. Ich kann auch witzzzig sssein.“
 

„Aha. Na gut, du Witzbold“, gab er ein wenig skeptisch zurück und entschied sich schließlich, den einzigen vorhandenen Weg durch das angrenzende, dicht von Tannen bewachsene Waldstück entlangzugehen, den er in der Umgebung ausmachen konnte.
 

Dass sein so 'gemeiner und hinterhältiger Trick' um ein Haar danebengegangen wäre und er den Worten des zwielichtigen Showmasters anfangs tatsächlich aus Gründen, die er selbst nicht kannte, Glauben geschenkt hatte, erwähnte er lieber nicht. Aber einer Sache war er sich mittlerweile mehr als nur sicher:
 

Die Raupe hatte absolut Recht mit dem, was sie im Regen zu ihm gesagt hatte. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Es blieb ihm nur noch herausfinden, was es war.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Sky-
2016-05-01T07:19:00+00:00 01.05.2016 09:19
Je weiter ich dieser Geschichte folge, desto verrückter wirkt das alles hier. Allmählich komme ich mir echt vor wie auf einem Drogentrip...
Antwort von:  Drachenprinz
01.05.2016 15:36
XDD Danke mal wieder für deine Kommentare! Ja, dass man sich beim Lesen vorkommt, als stünde man unter Drogeneinfluss, war mehr oder weniger meine Absicht. Allerdings bin ich manchmal, wenn ich mir das im Nachhinein nochmal so ansehe, selbst erschlagen davon. :'D Ich gebe aber zu, dass die Raupe im vierten Kapitel recht krass war!
'Chihiros Reise ins Zauberland' ist tatsächlich einer meiner Lieblingsfilme, aber beim Schreiben habe ich eigentlich gar nicht daran gedacht... Jetzt, wo du es so sagst. Hmm.

Liebe Grüße nochmals, und cool, dass du dranbleibst! ^.^


Zurück