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Alice im Wunderland - Die bescheuertste Interpretation ever

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Kapitel 3 - Ritterspiele

Auf seinem Weg zurück zu dem Baum, bei dem die Grinsekatze ihm die drei Abzweigungen erklärt hatte, musste er etwas Erfreuliches und etwas weniger Erfreuliches feststellen:
 

Die Umgebung hatte sich dieses Mal nicht verändert - zumindest war es ihm bisher in keinster Weise aufgefallen, sodass es keine Komplikationen damit gegeben hatte, hierher zurückzufinden.
 

Weniger ein Grund zur Freude war allerdings der Baum. Er war leer. Die Grinsekatze saß nicht, wie er es erwartet hatte, auf dem Ast, um ihm einen weiteren Rat zu geben, jetzt, wo er die eine mögliche Abzweigung untersucht hatte... und sie erschien auch nicht, egal, wie lange er dort stand und wartete.
 

„Toll“, fluchte er leise. „Auf wen ist hier eigentlich Verlass?“
 

Noch einmal zu dem verdammten Topsy Turvy-Haus zurückzugehen kam nicht in Frage. Es hatte nicht den Eindruck gemacht, als gäbe es dort noch irgendetwas anderes als wirre Flötenmusik, Tee und ein paar Irre. Aber wo konnten die drei, nach denen er suchte, sich dann aufhalten?
 

„Wirklich lustig. Warum muss ich mich eigentlich um diesen ganzen Mist kümmern? 'Der Auserwählte'... na klar...“
 

„Gibt es ein Problem?“
 

Von der plötzlichen Frage überrascht drehte er sich um und machte beinahe einen Satz nach hinten, als er der Person, die ihn angesprochen hatte, in die Augen blickte - oder zumindest dorthin, wo ihre Augen von der runden Sonnenbrille verdeckt wurden.
 

Worüber wundere ich mich hier überhaupt so?, dachte Alice, sein Gegenüber unauffällig musternd. Ist doch nur Ozzy Osbourne.
 

Abgesehen von der schwarzen Ritterrüstung, die er trug, und dem prächtigen, ebenfalls schwarzen Schwein, auf dem er ritt, sah er aus wie immer.
 

„Ist alles in Ordnung mit dir, Fremder?“, fragte Ozzy. „Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.“
 

„Vielleicht habe ich das auch...“, murmelte Alice und dachte an die beängstigenden Bilder zurück, die ihn im Haus des Hutmachers heimgesucht hatten. Nein, es waren nicht nur Bilder gewesen. Er hatte seine Anwesenheit gespürt und deutlich seine Stimme gehört. Die Stimme des Geistes... oder was auch immer er war...
 

„Hm“, machte der Ritter, beugte sich von seinem Schwein aus ein Stück zu ihm vor und schnitt aus heiterem Himmel eine ziemlich bescheuerte Grimasse.
 

„Was zum... Was wird das?“, fragte Alice jeglichen Verständnisses entbehrt. Der Ozzy-Verschnitt lächelte heiter.
 

„Ich habe dich aufgemuntert. Und jetzt habe ich was gut bei dir!“, antwortete er wie selbstverständlich.
 

„... Mich aufgemuntert?“
 

Was in aller Welt war mit den Bewohnern dieses Ortes bloß verkehrt gelaufen?!
 

„Fremder... Würdest du mir wohl einen Gefallen tun?“
 

Erwartungsvoll sah er ihn an, dann schlug er sich plötzlich lachend eine Hand vor den Kopf.
 

„Verzeih meine Unhöflichkeit... Ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt! Ich bin der Schwarze Ritter. Im ganzen Land bekannt für meine unvergleichliche Kampfkunst... und meinen ebenso unvergleichlichen Charme“, sagte er und deutete nun auf seinen Gefährten. „Und das ist Black Beauty, mein Kriegs-Schwein und treuer Begleiter.“
 

Das Schwein grunzte bestätigend und starrte aus unschuldigen, schwarzen Kulleraugen in die Gegend.
 

„Ah... ähm... ja, schön“, entgegnete Alice und konnte seinen Blick nur schwerlich von dem 'treuen Begleiter' abwenden. Er war sich nicht sicher, ob der Name des Tieres oder die Bezeichnung 'Kriegs-Schwein' ihm mehr zu denken gab.
 

Eine Weile lang herrschte Schweigen, bis Alice wieder das Wort ergriff, bemüht, sich nicht konstant von dem alle paar Sekunden schnaufenden und im Gras scharrenden Schwein ablenken zu lassen.
 

„Nun gut, Schwarzer Ritter... Da ich ein so gutmütiger Mensch bin werde ich versuchen, Euch zu helfen, wenn ich kann. Was ist Euer Anliegen?“
 

Der Schwarze Ritter seufzte schwer, bevor er sich mit einem verschlagenen Grinsen umschaute.
 

„Ich bin auf der Suche nach dem Weißen Ritter“, sagte er. „Dieser Feigling ist einfach abgehauen, obwohl er sich mit mir noch ein wichtiges Duell zu liefern hat. Nicht das erste Mal, dass er sich davor drückt. Du hast ihn hier nicht zufällig irgendwo gesehen?“
 

„Der Weiße Ritter...?“
 

Unweigerlich musste er daran denken, wie der aufbrausende Jon Bon Jovi-Klon zutiefst bestürzt und übereilt von der Bildfläche verschwunden war, nachdem er ihm, hartherzig wie er war, die Wahrheit über Schwarz und Weiß erklärt hatte.
 

„Wo er jetzt ist weiß ich nicht. Aber vorhin war er im Garten des weißen Kaninchens und hat rumgejammert, von wegen 'Nicht-Farben' und 'Respektlosigkeit gegenüber der Königin' oder so.“
 

„Tatsächlich?“, gab Ozzy zurück. „Das sieht ihm ähnlich. Der Schleimer kriecht vor der Herzkönigin wie ein jämmerlicher Wurm. Dabei hat er in Wirklichkeit nur Angst davor, für jeden falschen Schritt, den er macht, von ihr bestraft zu werden... Dieses Weichei.“
 

„So? Eure Herzkönigin scheint ja nicht gerade eine sonderlich gnädige Person zu sein.“
 

„Oh, so schrecklich ist sie nun auch wieder nicht“, lachte der Schwarze Ritter. „Das heißt... Es kommt ganz darauf an, ob sie dich mag oder nicht. Falls nicht... Nun ja, reden wir nicht darüber. Aber die Chance, dass sie dich kein bisschen mag, ist ohnehin sehr gering. Eigentlich findet sie an jedem ihrer Untergebenen etwas, worüber sie sich amüsieren kann. Zumindest eine Zeit lang.“
 

„... Sehr beruhigend“, antwortete Alice. „Ich nehme an, ich werde früher oder später auch das... Glück haben, sie kennenzulernen, nicht wahr?“
 

Nach allem, was er inzwischen von ihr gehört hatte, fragte er sich wirklich, was für ein Mensch diese ominöse Herzkönigin wohl sein musste - wenn sie überhaupt ein Mensch war. Das konnte man hier schließlich nie sicher wissen.
 

„Ja, das wirst du bestimmt. Es wundert mich, dass du bisher noch nicht ihre Bekanntschaft gemacht hast. Aber ehrlich gesagt habe ich dich auch noch nie zuvor hier gesehen“, sagte der Ritter mit skeptischem Blick und fuhr fort, bevor er sich dazu äußern konnte. „Aber was soll's. Wir sollten versuchen, den Weißen Ritter zu finden. Ich wette, er versteckt sich wieder nur irgendwo, weil er fürchtet, gegen mich zu verlieren. Der Verlierer ist nämlich heute dafür zuständig, ihre Hoheit glücklich zu machen, weißt du.“
 

Von einer akuten Fassungslosigkeit gepackt starrte Alice ihn an.
 

„Erst diese Tier-Rollenspiele, und jetzt das... Was ist das hier? Ein Bordell?“
 

„Wovon redest du...? Ein Bordell? Im Wunderland? Das wäre ja zu schön, um wahr zu sein.“
 

„Aber Ihr habt doch gerade gesagt, dass... der Verlierer...“
 

„Oh, ich glaube, da hast du etwas missverstanden“, kicherte der Schwarze Ritter scheinbar belustigt. „Die Aufgabe des Verlierers ist es, ihrer Majestät heute den restlichen Tag über zu dienen und ihr jeden Wunsch von den Lippen abzulesen. Von Obszönitäten war nie die Rede.“
 

„... Dann rate ich Euch, Euch etwas klarer auszudrücken“, sagte Alice. „Außerdem... will ich gar nicht wissen, welche Art Wünsche Ihre brutale Majestät wohl hegt...“
 

Ritterchen Schwarz schien sich offenbar köstlich über ihre Unterhaltung zu amüsieren. Black Beauty schnaubte zufrieden.
 

„Also dann“, sagte er gut gelaunt. „Würdest du mir helfen, den kleinen Feigling zu finden? Wir könnten uns aufteilen und getrennt nach ihm suchen.“
 

„Von mir aus. Vielleicht sollten wir als erstes in der Nähe der Hütte des weißen Kaninchens nachsehen“, schlug Alice vor. „Allerdings... wäre es mir lieber, wenn wir auf dem Weg dorthin zu zweit bleiben würden. Nicht, weil ich befürchte, ich könnte mich verlaufen, falls Ihr das denkt... sondern... einfach so.“
 

Wie es aussah war sein Gegenüber damit einverstanden, und so kam es, dass sie kurz darauf gemeinsam ein erneutes Mal Hasis Gärtchen aufsuchten. Wenn er ihm behilflich war... Möglicherweise würde er ihm danach ja auch helfen, was seine drei noch zu findenden Personen betraf. Wenn er sie erst ausfindig gemacht und somit den Schlüssel zum Schlossgarten erhalten hatte, würde er der Herzkönigin begegnen; und sie wiederum war aller Wahrscheinlichkeit nach der Schlüssel, der ihn wieder aus diesem Ort hinausführen und die ganze Sache beenden würde. Im übertragenen Sinne zumindest.
 

„Da wären wir“, verkündete Ritter Osbourne und schwang sich elegant von seinem Schwein, vermutlich um sich heimlicher fortbewegen zu können, wenn er versuchte, seinen Rivalen zu überrumpeln. „Ich schlage vor, du suchst erst einmal die Gegend links der Hütte ab, und ich suche rechts. So wie ich den Kerl kenne war er nie besonders kreativ mit seinen Verstecken. Obwohl das Wunderland so groß ist und theoretisch an jeder zweiten Ecke einen Unterschlupf bietet, in den man sich verkrümeln könnte. Aber nein - er wählt meist die simpelsten Gegebenheiten, um vor mir abzuhauen.“
 

Warum sucht Ihr ihn dann nicht alleine, wenn es so einfach ist, dachte Alice, sparte sich den Kommentar jedoch. Mit einem Bewohner dieses Psycholandes zu diskutieren war wahrscheinlich genauso sinnvoll wie einen Waldorfschüler darum zu bitten, seinen Namen zu buchstabieren.
 

„Gut, ich werde mich auf der linken Seite umsehen“, sagte er schließlich, lief in besagte Richtung und fügte hinzu: „Viel Erfolg dann mal da drüben... und passt auf, dass niemand Euer Schwein klaut!“
 

Ein letztes Mal nickte der Ritter ihm lächelnd zu, bevor er auf der anderen Seite verschwand und ihn alleine zurückließ.
 

Kopfschüttelnd betrachtete Alice die unendlich weit scheinende Kulisse vor sich, ehe er damit anfing, von einem möglichen schlechten Versteck zum nächsten zu laufen. Mittlerweile glaubte er, seinen Beruf verfehlt zu haben. Er hätte Kindergärtner werden sollen. Dann würde er vermutlich die gleichen Dinge tun, nur wäre es wesentlich weniger absurd, nach ein paar kleinen Kindern zu suchen als sich mit den fragwürdigen Problemen irgendwelcher Ritter in Gestalt irgendwelcher Sänger zu befassen.
 

Nach ungefähr zwei Minuten unglaublich spaßigen Hin-und-Her-Laufens war er sich sicher, dass es schlimmer nicht mehr werden konnte, als er unerwartet eine flüchtige Bewegung hinter einem Baum wahrnahm, der nur wenige Meter entfernt von ihm wuchs. Hoffnungsvoll näherte er sich dem Baum, dessen rot-violett-gemusterte Blätter ihm inzwischen schon gar nicht mehr sonderlich auffielen, und tatsächlich - die Zielperson stand allen Ernstes dort, scheinbar der Meinung, ein freundliches „So sieht man sich wieder...!“ würde ihre Situation weniger peinlich machen.
 

„'So sieht man sich wieder'?“, wiederholte Alice spöttisch. „Ehrlich jetzt? Ich nehme an, du weißt ziemlich gut, warum ich hier bin. Und mal unter uns: Sich hinter einem Baum zu verstecken ist nicht sehr originell, findest du nicht?“
 

Ritterchen Weiß grummelte beleidigt.
 

„Ich muss doch sehr bitten...! Was erlaubst du dir eigentlich? Und überhaupt... Einem edlen Ritter gegenüber hat man sich respektvoll zu verhalten! Ganz besonders ein niederes Wesen wie du!!“
 

„Ach ja? Warum hat denn der edle Ritter eigentlich kein edles Ross? Gehört das nicht irgendwie dazu?“
 

„Tja, weißt du...“, begann er niedergeschlagen. „Einst besaß ich ein wunderschönes und anmutiges Ross, meiner eigenen Schönheit beinahe gleichkommend... bis der Schwarze Ritter meinte, sich einen grotesken Scherz mit mir erlauben zu müssen - und dann hat die dumme Sau es einfach mit Haut und Mähne verschlungen!“
 

„Ozzy- ich meine, der Schwarze Ritter hat Euer Pferd gefressen? Ich dachte immer, ihm wären Fledermäuse lieber...“
 

„Nicht der Schwarze Ritter! Sein vermaledeites Schwein!“, rief Ritterchen Weiß verärgert und warf sich danach schnell eine Hand vor sein edles Mundwerk, offenbar über seine eigene unkontrollierte Lautstärke schockiert.
 

„Apropos Schwarzer Ritter...“, sagte Alice subtil. „Eure anmutige Ritterlichkeit hat sicher nicht vergessen, dass da draußen noch ein wichtiges Duell wartet, nicht wahr?“
 

Der Bon Jovi-Verschnitt seufzte hörbar genervt, beugte sich kurz hinter dem Baum hervor, wohl um die nähere Umgebung auf unerwünschte Beobachter zu untersuchen, und wandte sich ihm dann wieder mit ernster Miene zu.
 

„Ich kann mich nicht duellieren. Ich habe noch eine Verabredung... mit Tommy und Gina.“
 

„Wer sind Tommy und Gina?“
 

„... Das tut nichts zur Sache!“, knurrte er gereizt. „Ach, weißt du was? Machen wir es doch ganz einfach so...“
 

Interessiert beobachtete Alice, wie der Andere sich bückte und einen recht großen, runden Stein von der Wiese aufhob, auf den er mit einem roten Filzstift - wo auch immer er den plötzlich hergenommen hatte - etwas Undefinierbares kritzelte. Etwa fünf Sekunden später drückte er ihm den Stein in die Hand, mit den Worten „Hier! Das zeigst du dem Schwarzen Ritter und sagst ihm, die Herzkönigin hätte mich geköpft. Dann muss ich mir zwar ein langfristigeres Versteck einfallen lassen, aber wenigstens habe ich dann endlich meine Ruhe...!“.
 

Alice wusste nicht, ob er lachen oder einfach nur staunen sollte, als er sich den Stein von Nahem besah. Zwei nebeneinander liegende Kreuze, die wohl tote Augen darstellen sollten, und darunter ein nach unten gezogener Mund waren mit viel Fantasie darauf zu erkennen. Eingehend betrachtete er das Gesicht des Weißen Ritters, während er den bemalten Stein daneben in die Luft hielt.
 

„Ja... Die Ähnlichkeit ist unverkennbar.“
 

„Wirklich?“, stieß sein Gegenüber freudig hervor. „Hah! Ich habe schon immer geahnt, dass ein talentierter Künstler in mir steckt. Wahrlich, ich bin immer wieder beeindruckend!“
 

„Mhhmm... Echt toll.“
 

Und schon sah er sich in seiner Vermutung bestätigt. Das hier war wirklich ein Kindergarten.
 

„Na, los! Worauf wartest du? Geh schon und überbringe dem Schwarzen Rabauken die vernichtende Nachricht! Ach, und... sorge dafür, dass er nicht zu diesem Baum kommt!“
 

Tu dies, tu das, dachte Alice. Wenn er so darüber nachdachte, konnte das Wunderland dringend so etwas wie ein Dienstmädchen gebrauchen.
 

„Bin schon weg“, sagte er geduldig. „Bis dann, Eure Selbstverliebtheit!“
 

Bereits nach kurzer Zeit hatte er Ritter Osbourne wiedergefunden. Allerdings war er auch schwer zu übersehen. Er stand direkt bei seinem Schwein, das er vor der Hütte des weißen Kaninchens geparkt hatte und das anscheinend gut genug abgerichtet war, um brav auf ihn zu warten.
 

„Wie ich sehe seid Ihr noch immer tatkräftig am Suchen“, sagte er sarkastisch, als er ihm nahe genug gekommen war, dass er ihn hören konnte.
 

„Oh, also... ja, ich habe die Gegend in der Tat sehr genau unter die Lupe genommen, konnte den Kerl aber auf die Schnelle nirgends entdecken. Und dann habe ich gehört, wie Black Beauty nach mir gerufen hat. Da musste ich natürlich sofort herbeieilen!“, erklärte Ritterchen Schwarz, während er seine Pferde fressende Bestie zwischen den Ohren kraulte. „Und wie sieht es bei dir aus? Hast du irgendetwas in Erfahrung gebracht?“
 

„Und ob ich das habe.“ Alice streckte ihm den kunstvoll bemalten Stein entgegen. „Das hier.“
 

„... Was ist das?“, fragte der Schweinebändiger mit ratloser Miene.
 

„Der Kopf des Weißen Ritters“, entgegnete er knapp.
 

Ritterchen Schwarz sah ihn entgeistert an.
 

„Ehrlich?!“, entkam es ihm schockiert. „Wo hast du den her?“
 

„Der Weiße Ritter hat ihn mir gegeben.“
 

Es war herrlich, wie sein Gesichtsausdruck sich im Bruchteil einer Sekunde von purer Fassungslosigkeit in absolute Verwirrung verwandelte - trotz der Sonnenbrille eindeutig erkennbar.
 

„Also... Wenn er ihn dir gegeben hat... Das heißt... Er lebt noch?“, fragte er zögerlich, auf sein bejahendes Nicken hin plötzlich wieder ganz entschlossen. „Dann kann er sich auch mit mir duellieren. Mit faulen Ausreden kann ja jeder kommen!“
 

„So sieht's aus.“
 

„Hoffentlich ist er mir ohne Kopf überhaupt noch ebenbürtig... Obwohl ich seine ritterliche Rübe ja irgendwie etwas anders in Erinnerung hatte. Nicht so grau und... steinig“, murmelte er leise.
 

Wenn das wirklich deren Ernst war, dann war den Typen echt nicht mehr zu helfen. Aber gut. Wahrscheinlich hatten sie andere Qualitäten. Irgendwo verborgen.
 

„WEIßER RITTER!!!“, brüllte der Ozzy-Verschnitt aus heiterem Himmel mit einer ohrenbetäubenden Inbrunst. „ICH WEIß, DASS IHR HIER IRGENDWO KOPFLOS IN DER GEGEND RUMSTEHT, ALSO KOMMT RAUS AUS EUREM VERSTECK UND STELLT EUCH EURER PFLICHT!!!“
 

„Gütiger Mist, lauter ging es nicht, oder...?“
 

„Hehe, tut mir leid. Aber schließlich soll er mich ja auch ohne Birne gut hören können“, erklärte er, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. „Gleich wird er kommen und sich seinem Schicksal stellen... und dann wird er sich von mir gnadenlos in die Flucht schlagen lassen, wie immer! Hey, willst du nicht noch einen Moment bleiben und dir unser Duell ansehen? Ich verspreche, es wird dich umhauen!“
 

„Nein, danke. Vielleicht ein andermal“, lehnte er höflich ab und wandte sich kurz in die Richtung, aus der er gekommen war, um zu prüfen, ob er noch einigermaßen den Überblick behalten hatte. „Ich habe noch einiges zu tun. ... Ach! Bevor ich es vergesse... Ihr könnt mir nicht zufällig sagen, wo ich hier drei schwarz-weiß-geschminkte Typen finde, die der Grinsekatze ähneln?“
 

„Der Grinsekatze? Drei Typen? Lass mich kurz überlegen... Nein, ich fürchte, darüber weiß ich nichts.“
 

„Überhaupt nichts? Das gibt es ja nicht... Na gut. Da kann man wohl nichts machen“, gab er langsam aber sicher ein wenig frustriert zurück. „Also dann... Viel Spaß bei eurem Kampf. Man sieht sich... vielleicht.“
 

Möglichst rasch verließ Alice die potentielle Arena, bevor der Weiße Ritter, das Schwein oder sonst wer noch auf die Idee kommen konnten, ihn in irgendeiner Art und Weise in ihre Streitigkeiten einzubeziehen. Das musste nun wirklich nicht sein. Allerdings interessierte es ihn jetzt doch, ob der vermeintlich kopflose Weiße Ritter überhaupt den Mumm hatte, dort aufzukreuzen.
 

Zu seiner Überraschung stellte er, als er sich noch einmal umdrehte, fest, dass seine anmutige Ritterlichkeit tatsächlich vor Ort erschienen war. Er konnte beobachten, wie Ozzy scheinbar völlig irritiert gestikulierte - vermutlich, weil seinem Gegner entgegen seiner Erwartung nichts fehlte -, Bon Jovi anscheinend irgendetwas zu seiner Verteidigung vorbrachte und sie schließlich ehrenhaft aufeinander zutraten. Von dem, was sie sagten, konnte er nichts verstehen, dafür stand er zu weit weg. Stattdessen sah er, wie beide gleichzeitig anfingen, wie bei einem seltsamen Tanz mit den Armen zu fuchteln, bevor sie jeweils eine zu verschiedenen Symbolen verformte Hand von sich streckten. Es dauerte ein wenig, bis ihm dämmerte, was die beiden Witzfiguren da veranstalteten.
 

Das ist ihr wichtiges, spektakuläres Duell? Sie spielen 'Papier, Stein, Schere'?“, murmelte er und beobachtete halb fasziniert halb verstört, wie der Weiße Ritter plötzlich voller Euphorie die Fäuste in die Höhe riss und schwungvoll um seinen Rivalen herumtänzelte. Offenbar hatte er gewonnen. Ozzy schien seine Niederlage jedoch gelassen zu sehen. Er machte nicht den Eindruck, als wäre das Ganze für ihn eine große Sache. Warum auch? Mit ihm kam die dubiose Herzkönigin ja anscheinend wunderbar aus. Wie gut genau wollte er sich lieber nicht allzu lebhaft vorstellen.
 

Ohne ein konkretes Ziel vor Augen lief Alice durch die idyllisch-verquere Landschaft, mit jedem Schritt, den er machte, dem beklemmenden Gefühl der Hoffnungslosigkeit wieder etwas näher.
 

Warum war er eigentlich hier? Welchen Zweck erfüllte seine Anwesenheit zwischen all diesen Verrückten? Und wie lange war er überhaupt inzwischen in dieser verdrehten Irrenanstalt gefangen? Wenn er so darüber nachdachte, hätte er es um keinen Preis sagen können. Es konnten Stunden, aber auch Tage oder Wochen sein, die mittlerweile wie unstete Rauchwolken an ihm vorübergezogen waren. Er hatte keine Ahnung. Die einzige Sache, derer er sich sicher war, war, dass er hier nie wieder herauskam.
 

Beinahe hätte er laut losgelacht über die skurrile Situation, in die er sich da manövriert hatte - wäre es nicht so tragisch gewesen. So entfleuchte ihm nur ein leises, verzweifeltes Kichern, das ihn sich wundern ließ, ob er sich allmählich der Umgebung anpasste und selbst zu einem Wahnsinnigen wurde.
 

„Was ist denn so lustig, Sir?“, hörte er jemanden fragen, der, der Stimme nach zu urteilen, direkt hätte vor ihm stehen müssen. Aber da war niemand. Drehte er jetzt komplett durch?
 

Hinter ihm war ebenfalls keiner zu sehen, der irgendetwas zu ihm hätte gesagt haben können. Was, um alles in der Welt, ging hier-
 

„Ach, du heilige...!“
 

„Haben wir Sie erschreckt?“, grinsten die beiden Gestalten, die ihm - wie auch immer sie das gemacht hatten! - plötzlich gegenüberstanden, als er gerade hatte weitergehen wollen. Dann hatte er es sich also doch nicht eingebildet. Beruhigend.
 

„Ein bisschen vielleicht“, sagte er betont abgeklärt. „Wobei normalerweise eher ich derjenige bin, vor dem sich andere erschrecken.“
 

„Ehrlich? Na sowas...“
 

„Moment mal!“, entfuhr es ihm, als ihm etwas verspätet klar wurde, wen oder was er da eigentlich vor sich hatte. „Ihr seid...“
 

Kein Zweifel. Das waren zwei der drei verdammten Freaks, nach denen er suchen sollte! Diese Outfits und das Make up waren unverkennbar.
 

„Ja, ganz richtig“, sagten sie beide gleichzeitig mit beinahe unerträglich fröhlicher Stimme. „Wir sind Fideldum und Fideldei, die lustigen Zwillinge! Auch bekannt als 'The Starchild' und 'The Spaceman', hahaha!“
 

„Ich kann euch sagen, was ihr seid. Ihr seid Paul Stanley und Ace Frehley. Und außerdem seid ihr... bekloppt.“
 

„Ace... Das reimt sich auf... Space! Huhuhu!“, kicherte einer der beiden auf eine mehr als bedenkliche Art. Hier kam eindeutig jede Hilfe zu spät.
 

„Ihr gehört doch zur Grinsekatze, oder?“, fragte Alice, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten. Es stand ohnehin fest, dass die Zwei die Richtigen waren. „Ich hatte schon fast die Hoffnung aufgegeben, euch zu finden... und jetzt lauft ihr mir einfach so über den Weg. Anscheinend habe ich heute wohl doch noch ein bisschen Glück.“
 

„Glück? Gutes Stichwort, Sir!“, rief Fideldum oder Fideldei - wer auch immer jetzt wer war -, jedenfalls der mit dem aufgeschminkten Stern über dem Auge. „Kennen Sie die Geschichte von dem einsamen Astronauten, der sein Glück auf dem Zirkus-Planeten suchte?“
 

„Nein... und ich will sie auch gar nicht kenn-“
 

„Das war nämlich sooo, wissen Sie“, sprach der Kerl munter weiter, ohne ihn zu Wort kommen zu lassen. „Es gab einen traurigen Astronauten, den niemand liebte und der immer alleine war. Sein Name war Major Tom. Doch eines Tages beschloss Major Tom, die Erde zu verlassen und da draußen nach der Liebe zu suchen. Nicht wahr, Fideldei?“
 

„So ist es, Fideldum!“, gab der Andere übertrieben gut gelaunt zurück. „Major Tom begab sich auf eine lange Reise; er flog hinaus ins All. Alle sagten ihm, er hätte 'ne Meise, doch das war ihm ganz egal!“
 

Toller Reim, dachte Alice. Bin beeindruckt.
 

„Oh nein!!“, rief The Starchild plötzlich mit unheilvoller Stimme. „Hätte er bloß auf die anderen gehört... Denn auch dort oben wurden seine Wünsche nicht erhört! Ein Zirkus war es, den er dort fand, voll düsterer Gesellen - wie ein Albtraumland!“
 

„Gefühllose Monster - Kreaturen der Nacht - lebten unerkannt dort und strebten nach Macht“, erzählte The Spaceman weiter. „Sie heuchelten Liebe, doch brachten nur Schmerz und stahlen dem Major sein einsames Herz!“
 

„Er kehrte zurück als veränderter Mann... und niemand weiß nun, ob er je sich besann“, fügte Fidel-Sternchen hinzu, seinem angeblichen Bruder betroffen zunickend.
 

„Großartig“, sagte Alice kaum merklich sarkastisch. „Rührende Geschichte. Dürfte ich jetzt vielleicht mal kurz-“
 

„Haaalt! Nein, nein, Sir! Die Geschichte war keinesfalls schon zu Ende!“
 

„Sie sollten sie sich bis zum Schluss anhören, Sir! Es könnte wichtig sein... für Sie... und uns!“
 

„Ich kann mir kaum vorstellen, dass es für mich wichtig ist, welcher außerirdische Tand sich unerkannt in irgendeinem Zirkus-Land befand. Alles, was ich wissen will, ist, wie ich es in diesem Leben noch schaffe, zur Herzkönigin zu gelangen!“, sagte er mit einem langsam aufkommenden Anflug von Ungeduld. Warum war verflucht nochmal kein einziger Bewohner dieses Ortes dazu in der Lage, ihm schlicht und einfach eine klare Antwort zu geben?
 

„Zur Herzkönigin wollen Sie?“, fragte The Spaceman als wäre es irgendwie abwegig. „Dazu brauchen Sie unsere Karten, Sir!“
 

„Eure Karten? Verstehe... Von der Grinsekatze habe ich auch so eine komische Karte bekommen“, murmelte er und zog das Stück, auf dem ein verschnörkeltes 'K' abgebildet war, aus seiner Jackentasche. „Ihr habt also auch sowas? Und wozu ist das gut?“
 

„Das werdet Ihr noch früh genug herausfinden, Auserwählter“, entgegnete The Starchild auf einmal ganz demütig. Woher wusste der Kerl jetzt schon wieder von dieser 'Der-große-Auserwählte'-Sache?
 

„Ähm... okay. Schön. Dann lasst mal rüberwachsen“, sagte Alice leicht verunsichert.
 

„Das werden wir! Aber zuerst...“, grinsten die beiden Freaks und nickten sich verschwörerisch zu, „... müssen Sie uns fangen!“
 

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren waren die ach so lustigen Zwillinge mit einem Mal verschwunden. Einfach so. Aufgelöst im Nichts. Eben waren sie noch da, und nun ließen sie ihn von einem Moment auf den anderen völlig ratlos zurück, wahrscheinlich innerlich darüber lachend, dem Auserwählten einen richtig witzigen Streich gespielt zu haben. Richtig, richtig witzig.
 

„... Das gibt es nicht! Mir war gleich klar, dass das Ganze irgendeinen Haken hat!“
 

Mit wachsamem Blick machte er ein paar Schritte auf die Stelle zu, an der Fideldum und Fideldei bis eben noch gestanden hatten, schaute nach links und rechts und langte neben sich nach der Luft. Leider offenbar ein Fehlgriff.
 

„Das habt ihr euch so gedacht, wie? Aber ihr unterschätzt mich!“, rief er von einem plötzlichen Ehrgeiz gepackt. „Mir ist es egal, ob ihr unsichtbar seid... Ich kriege euch trotzdem!“
 

Ständig Ausschau nach einer Bewegung oder Ähnlichem haltend untersuchte er jeden kleinsten Winkel und graste jeden noch so abgelegenen Fleck des Wunderlandes ab, lief erneut an den singenden Hippie-Blumen vorbei und wieder zurück, immer konzentriert darauf achtend, bloß nichts zu übersehen. Irgendwann, nach einem bisher erfolglosen Fangspiel ohne auch nur den geringsten Hinweis, doch ein wenig entmutigt lehnte er sich gegen einen kahlen Baum inmitten eines dunklen Waldes. Er brauchte einen Augenblick Pause.
 

Wohin konnten die beiden sich zurückgezogen haben? Oder waren sie etwa die ganze Zeit in seiner Nähe und beobachteten ihn, während er vergeblich versuchte, sie zu finden?
 

Kurz sah er sich um. Vermutlich hatte er sich selbst überschätzt. Jemanden zu fangen, der sich ohne Weiteres unsichtbar machen konnte, war nahezu... unmöglich.
 

„Ich schwöre euch... Falls ich euch jemals kriegen sollte, könnt ihr euch darauf gefasst machen, dass ich euch eigenhändig auseinandernehme und mit euren Gedärmen meine Outfits schmücke. Oh, aber vielleicht... würden sie sich auch gut als Bühnen-Utensilien eignen“, überlegte er leise, ehe ihm etwas auffiel, das ihm bis jetzt wahrscheinlich aufgrund völliger Übermüdung entgangen war. Der Baum, an dem er lehnte... Es war der Baum, auf dem The Catman gesessen hatte, bevor er dem verrückten Hutmacher und seinen noch verrückteren Freunden einen Besuch abgestattet hatte. Aber etwas war anders. Die Abzweigung, die er bisher nicht hatte einschlagen können, weil es dort angeblich nicht weiterging - sie sah nicht mehr so aus wie beim letzten Mal, das er hier war.
 

„Interessant“, sagte er zu sich selbst, als er auf den zuvor nicht existenten Pfad zuschritt. „Scheint so, als wäre diese Richtung jetzt passierbar.“
 

Mit noch immer geschärften Sinnen ging er den neu hinzugekommenen Weg entlang, der ihm ein gewissermaßen bedrohlich wirkendes, von allerlei merkwürdigen Pflanzen bewachsenes Waldstück offenbarte, das sicherlich für jeden gruseligen Abenteuerfilm der perfekte Drehort gewesen wäre. Eines konnte man über das Wunderland definitiv sagen: Es hätte sich prima als Urlaubsziel für entdeckungsfreudige Menschen gemacht - wäre da nicht der Nachteil, dass es kein Rückfahrticket gab.
 

„Alice...!“, vernahm er schwach eine bekannte Stimme, und einen winzigen Augenblick lang, in dem er absolut nicht damit gerechnet hatte, erkannte er einige Meter vor sich die beiden, die er die ganze Zeit über zu fangen versuchte. Jedoch waren sie so schnell wieder verschwunden, dass er keine Chance gehabt hätte, sie zu erwischen, selbst wenn er sofort reagiert hätte und ihnen hinterhergerannt wäre.
 

„Mist! Die finden das echt zum Totlachen, was? Saftsäcke...!“
 

Wenigstens wusste er jetzt, dass er hier richtig war und sie nicht vollständig aus den Augen verloren hatte... nun ja, wie auch immer man das sehen wollte.
 

Gemächlich besah er sich seine Umgebung genauer - schließlich eilte es ihn ja nicht - und blickte sich irritiert nach allen Seiten um, als er glaubte, ein leises Röcheln aus der Ferne zu hören. Ob es da wohl einer armen Kreatur so erging wie ihm, die deshalb gerade aus lauter Frust jemand Dahergelaufenen erdrosselte?
 

Neugierig, woher die erstickten Laute kamen, folgte Alice den Geräuschen, bis sie immer lauter wurden. Und was er dann fand, nachdem er sich eine Weile lang durch das dichte Geäst geschlagen hatte, war ganz und gar nicht das, was er erwartet hatte. Dort war kein Mörder, der gerade sein Opfer strangulierte. Es war nicht einmal ein Mensch geschweige denn mehrere, die er dort im hohen Gras kriechend vorfand.
 

Sondern eine Schlange.



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Von:  Sky-
2016-05-01T06:56:07+00:00 01.05.2016 08:56
Ozzy Osbourne auf einem Schwein, der zusammen mit Bon Jovi Schere, Stein, Papier spielt... Jep, jetzt hab ich wirklich alles erlebt. Das ist nicht das Wunderland, sondern definitiv eine geschlossene Anstalt inmitten eines Paralleluniversum.


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