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Last Desire 10

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Der Brief

„Au! Mensch Beyond, nicht so fest. Du schnürst mir noch die Blutzufuhr ab.“

„Jetzt sei keine Mimose, L. Lass mich einfach mal machen, okay? Ich krieg das schon hin.“

„Du willst mich wohl umbringen!“

„Und schon wärmst du wieder die alten Geschichten auf…“ Irgendwie lief das alles gerade nicht geplant und so langsam fragte sich Beyond, was er denn falsch machte. Dabei hatte es so einfach ausgesehen und er wollte auch mal etwas anderes versuchen. Aber stattdessen lief es irgendwie gerade darauf hinaus, dass es in eine riesige Katastrophe zusteuerte. Und nun war L zwar verschnürt wie ein Weihnachtspaket, aber es sah nicht gerade so aus, wie Beyond es sich vorgestellt hatte. „Ich sagte doch: lies dir die Anleitung gründlicher durch, bevor du den Scheiß bei mir austestest.“

„Hab ich ja auch. Aber ich krieg den Knoten irgendwie nicht gelöst!“

„Du ziehst ihn auch immer fester, wenn du weiterhin versuchst, das da nach dahin zu ziehen. Ich schwöre dir: wenn das vorbei ist, erwürge ich dich noch eigenhändig.“ Gerade wollte Beyond den Knoten lösen, doch da hörten sie laute Schritte und Geschrei. Sofort hielt der Serienmörder inne und wunderte sich natürlich, was denn los war und was das Geschrei zu bedeuten hatte. Als aber die Schritte immer näher kamen, reagierte er sofort und zog sich und L die Decke über den Kopf und dann kam auch schon Sheol hereingestürmt. „Versteckt mich!“ rief er panisch und suchte hastig nach einer Möglichkeit, wo er Schutz suchen konnte. „Versteckt mich, sonst bin ich tot!“ „Du bist gleich tot, wenn du hier nicht rausgehst, du Pumuckel!“ entgegnete Beyond wütend und funkelte ihn verärgert mit seinen Shinigami-Augen an. „Falls du es noch nicht gemerkt hast du Zwerg, wir wollten ein bisschen Privatsphäre!“

„Ist mir doch egal, ob du L gerade wie einen Rollbraten verschnüren willst. Ich hab gleich das viel größere Problem, wenn sie mich findet.“ Zuerst überlegte Sheol, ob er sich nicht vielleicht im Schrank oder unterm Bett verstecken könnte, doch da war leider kein Platz für ihn und so versteckte er sich hinter den Vorhängen. „Bitte sagt nicht, dass ich hier bin. Beachtet nicht den Mann hinter dem Vorhang!“ Beyond seufzte genervt und begann nun damit, L von seinen Fesseln irgendwie zu befreien. Dabei hatte alles so schön angefangen. „Ich hätte neben dem „Bitte nicht stören“-Schild auch noch zusätzlich die Tür abschließen sollen.“ Also begann er das alles abzubrechen, denn die ganze Aktion hatte doch eh keinen Sinn mehr. Es hatte eben schwach angefangen und stark nachgelassen mit dieser ganzen Verknotungsgeschichte und Sheol hatte dem ganzen noch den Todesstoß verpasst. Die Luft war jetzt endgültig raus und es hatte keinen Sinn mehr, da noch irgendetwas retten zu wollen. Kurz darauf wurde die Tür geöffnet und Nastasja kam herein. Ihr Gesicht war glutrot vor Wut und sie wirkte wie ein Stier in der Arena, der gleich seinen Gegner auf die Hörner nehmen wollte. „Wo ist diese kleine Mistkröte?“ rief sie und ließ ihre Fingerknöchel knacken. „Dem ziehe ich die Ohren lang, dass er in Afrika eine Fliege pupsen hören kann. Na warte Freundchen, du kannst dich nicht vor mir verstecken!“

„Was ist denn jetzt schon wieder?“ fragte Beyond, der nun dabei war, L die restlichen Fesseln abzunehmen. Die 30-jährige Russin war richtig in Rage und das konnte nur bedeuten, dass Sheol wieder irgendetwas angestellt hatte. Doch sie antwortete nicht und sah sich um, dann hatte sie auch schon ihren Adoptivsohn gefunden und zerrte ihn hinter den Vorhängen hervor. „Was los ist? Der Junge hat sich ohne meine Erlaubnis Löcher stechen lassen. Seht euch das doch mal an.“ Nun schaute auch L unter der Bettdecke hervor und sah, was seine Mutter meinte. Sheol hatte sich die Unterlippe auf beiden Seiten piercen lassen. Das galt auch für seine Ohren und seine linke Braue. Offenbar hatte er sich ohne die Erlaubnis seiner Adoptivmutter piercen lassen und einfach behauptet, er wäre bereits volljährig. L schüttelte den Kopf angesichts dieser Kinderei, doch Beyond nickte nur und meinte „Zugegeben, so schlecht sieht’s nicht aus.“

„Spinnst du?“ fragte Nastasja und sofort bereute der BB-Mörder, dass er die Klappe nicht halten konnte. Denn direkt nach Sam Leens war Nastasja der einzige Mensch, vor dem er sich wirklich fürchtete. Insbesondere, wenn sie so wütend drauf war. „Noch hab ich hier das Sagen und ich habe eindeutig gesagt, er darf sich erst piercen und tätowieren, wenn er volljährig ist.“

„Aber streng genommen ist er doch so alt wie L und ich, wenn nicht sogar noch älter.“

„Er hat den Körper und den Verstand eines 16-jährigen und auf den Papieren ist er es auch. So junger Mann, jetzt ist Schluss mit lustig und zwar endgültig. Du hast Hausarrest und dein Taschengeld für die nächsten zwei Monate ist ebenfalls gestrichen. Und deine ganzen Zombie-Games sind ebenfalls konfisziert!“ Damit packte sie Sheol am Kragen und verließ mit ihm das Zimmer. So waren L und Beyond wieder allein, doch die Stimmung war endgültig hinüber und genervt seufzte der Serienmörder. Dabei hatte alles doch so viel versprechend angefangen. Sie waren nach England gekommen, um Watari zu begleiten, da dieser das Grab seiner Tochter besuchen wollte. L und Frederica wollten das Grab von Henry Lawliet besuchen und Beyond ging natürlich überall mit hin, wo auch L war. Jeremiel wollte bei der Gelegenheit auch mitkommen, Nastasja war auch sofort dabei gewesen. Immerhin war Henry ihr Ehemann und Alice ihre beste Freundin gewesen. Und da Sheol und Ezra unbedingt mitkommen wollten, hatte sie ihre Familie auch gleich mitgenommen. Es war allerdings nicht die ganze Familie mitgekommen, denn Andrew und Oliver arbeiteten an einem neuen Projekt und hatten deshalb keine Zeit. Rumiko blieb ebenfalls zuhause und musste sich ohnehin ein wenig schonen. Denn sie war zum zweiten Mal schwanger geworden und vertrug deshalb keine Flüge. Nachdem sie nämlich erfahren hatte, dass Oliver und Andrew schon ganz gerne ein Kind adoptieren wollten, da hatte sie die Idee gehabt, sich als Leihmutter anzubieten und für die beiden somit ein Kind auszutragen. Denn auf eine Adoption durfte man gut und gerne drei Jahre warten, wenn nicht sogar noch länger und auch wenn Boston demokratisch war und es dort auch gleichgeschlechtliche Ehen gab, so war es dennoch für die beiden äußerst schwierig gewesen. Zwar hatte Oliver sich nichts anmerken lassen, aber es hatte ihm doch schon etwas zu schaffen gemacht, insbesondere da er ja sehr kinderlieb war. Also hatten sich Rumiko und Jamie zusammengesetzt und sich besprochen. Und als Andrew und Oliver endlich geheiratet hatten, da hatte sie den beiden dieses mehr als außergewöhnliche Geschenk gemacht. Damit hatte sie bei der ganzen Familie für Sprachlosigkeit gesorgt, vor allem weil man ihr diese Idee nicht so wirklich zugetraut hätte. Doch sie hatte einfach erklärt „Ich bin mir sicher, dass die beiden gute Väter werden. Und wenn es Probleme geben sollte, bin ich ja auch noch da. Da ich ohnehin noch im Mutterschaftsurlaub bin, ist das für mich kein Problem. Ich mache es aber auch nur, wenn Oliver auch etwas mehr Zuverlässigkeit an den Tag legt.“ Das hatte der gebürtige Ire hoch und heilig versprochen und so hatten sie den Plan durchgezogen. Nun war Rumiko schon im fünften Monat und glücklicherweise waren ihre Gefühlsschwankungen nicht ganz so extrem stark wie beim ersten Mal. Es ging ihr hervorragend und so wie sie erfahren hatten, sprach alles dafür, dass es ein Mädchen werden würde. Sowohl Andrew als auch Oliver freuten sich wahnsinnig auf die Kleine und besuchten Rumiko regelmäßig. Und die nutzte dann natürlich auch die Gelegenheit, um ihnen Kurse in Sachen Babys zu geben. Traf sich ja ohnehin ganz gut, denn sie hatte ja ihre eigenen Kinder, die bei diesem Kurs als Testkinder herhalten durften. So konnte sie das Pärchen auf ihre bevorstehende Elternrolle vorbereiten und ihnen nützliche Ratschläge geben. Womöglich hätte auch Nastasja so einen Vorschlag gebracht und sich als Leihmutter angeboten, aber sie war nicht in der Lage, Kinder in die Welt zu setzen und Fredericas Körper war nicht menschlich und da war auch das Risiko groß, dass das Baby ähnliche Kräfte entwickelte wie sie und Elion. Also war Rumiko die Einzige in der Familie, die dazu in der Lage war. Ansonsten war nichts Besonderes in den fast sechs Monaten passiert. Ezra und Sheol gingen jetzt auf die High School und so wie man hörte, lief es dort hervorragend. Sheol half seinem Adoptivbruder tatkräftig dabei, Kontakte zu schließen und sich zurechtzufinden und Elion hatte auch endlich einen Platz an der Harvard Universität bekommen und studierte nun Sozialpädagogik, da er unbedingt Streetworker werden wollte. Jeremiel wohnte jetzt wieder bei Liam, kam aber hin und wieder zu Besuch und hatte sich in den Kopf gesetzt, ebenso wie sein Bruder Detektiv zu werden. Er hatte schon zwei Fälle gelöst, die L ihm vermittelt hatte und es lief auch immer besser bei ihm, nachdem er den Dreh raus hatte. Watari selbst hingegen ging es nicht sehr gut. Nachdem er schon vorher die Diagnose erhalten hatte, dass er herzkrank war, musste er sich mit dem Gedanken anfreunden, dass es nun an der Zeit war, sich zur Ruhe zu setzen. Für den alten Mann ging damit ein wichtiger Abschnitt seines Lebens zu Ende. Denn nach dem Tod seiner Tochter und der Ermordung des Ehepaares Lawliet vor zwanzig Jahren war seine Rolle als L’s Assistent eigentlich das Einzige, was sein Leben erfüllt hatte. Es war zu seinem Lebenswerk geworden und nun war auch das vorbei. Stattdessen würde nun Frederica seine Nachfolge antreten und er wusste, dass sie das auf jeden Fall schaffen würde. Er hatte auch schon ein offenes und ehrliches Gespräch mit allen geführt und den Wunsch geäußert, sich in England zur Ruhe zu setzen. Er hatte dort noch alte Freunde von früher, mit denen er sich zum Schachspielen treffen konnte. So wäre er auf seine alten Tage nicht allein. Einzig bei L und Beyond war es eigentlich beim Alten geblieben und würde es auch wahrscheinlich auch so bleiben. Und damit waren sie auch ganz zufrieden.

„Echt L, deine Mutter macht mir manchmal wirklich Angst“, sagte der BB-Mörder schließlich und erhob sich. Dem konnte der Detektiv auch nicht viel entgegensetzen und stand nun ebenfalls auf. „Sie kann schon recht unheimlich sein, wenn sie wütend ist. Du hör mal, ich geh eben duschen.“ „Okay, ich komm mit.“ Also gingen sie gemeinsam ins Bad und als L Beyonds nackten Oberkörper sah, fühlte er sich irgendwie komisch, genauso wie vorhin und auch die letzte Zeit schon, wenn er ihn so sah. Immerhin war dieser Anblick der Narben und Verletzungen für ihn schon so vertraut gewesen. Sowohl die Narben der Schussverletzungen, als auch die Rückstände der Hauttransplantationen. Nicht einmal die Narbe von seiner tödlichen Verletzung war noch zu sehen, nachdem Elion all diese ganzen Wunden und Narben zurückgesetzt hatte, die seinen Körper entstellt hatten. L hatte es nicht gekümmert, wie Beyond aussah und er liebte ihn so wie er war. Aber viele der Narben kannte er und sie hatten bei ihm schmerzliche Erinnerungen hinterlassen. Die Entführung und Folter durch Clear und Sam Leens, Beyonds Tod… Dinge, an die er sich lieber nicht erinnern wollte. Und nun waren diese Spuren allesamt fort. Als hätte es all diese Dinge und auch die BB-Mordserie nie gegeben. Vorsichtig strich L über Beyonds Brust, so als wollte er sich vergewissern, dass dies auch wirklich real war und lächelte. „Elion hat wirklich ganze Arbeit geleistet. Aber ehrlich gesagt wird es noch eine Weile brauchen, bis ich mich daran gewöhnt habe.“

„Das wird schon noch. Ich hab dem Jungen ja auch gesagt, dass er sich nicht die Mühe machen muss. Aber er hat drauf bestanden weil er wohl meinte, dass der Anblick dieser Narben bei uns nur schlimme Erinnerungen weckt und er unbedingt helfen will. Danach war er aber so kaputt gewesen, dass er den Rest des Tages nicht mehr aufstehen konnte und den nächsten Tag hat er nur gepennt. Muss ihn echt verausgabt haben, das für uns zu tun. Manchmal ist er ein wenig zu gutgläubig und erinnert mich ein wenig an Jamie mit seiner Predigt von Gewaltlosigkeit, aber er ist schon schwer in Ordnung. Und mit seinem Teddybärenfimmel ist er auch irgendwie niedlich.“

„Du bist doch auch danach ohnmächtig geworden und warst den ganzen Tag nicht mehr ansprechbar gewesen. Ich hab schon fast einen Schreck gekriegt, als du so da lagst. Und kaum, dass du unter der Dusche standest, hast du rumgeschrieen wie ein kleines Mädchen.“

„Hey, jetzt übertreib mal nicht!“ rief der Serienmörder und gab ihm einen leichten Stoß in die Seite. „Ich hatte seit zwei Jahren kein Gefühl mehr in meiner Haut und dann ist das heiße Wasser eben ungewohnt.“

„Und du nennst mich eine Mimose…“ Zur Strafe packte Beyond ihn an den Hintern, woraufhin L zusammenzuckte und sofort still war. Nach einer gemeinsamen Dusche gingen sie in den Wohnbereich ihrer Suite, wo bereits Frederica dabei war, Kaffee zu kochen. Sie war wie immer bester Laune und summte ein Lied vor sich hin. Seitdem sie durch Elion wiederbelebt worden war, blühte sie richtig auf und war die Lebensfreude in Person. Man hätte meinen können, dass allein ihr fröhliches Julia-Roberts-Lächeln selbst den größten Pessimisten zum Strahlen gebracht hätte. Sie ging auch mit Begeisterung an ihre Arbeit und half, wo sie nur konnte. Zudem kümmerte sie sich auch sehr liebevoll um Watari, dessen Gesundheit in der letzten Zeit deutlich abgebaut hatte. „Hallo ihr beiden. Heute gibt es selbst gemachte Ingwerplätzchen und Apfelkuchen. Kaffee ist bereits gesüßt, so wie ihr es mögt. Beyond, für dich hab ich Erdbeermarmelade besorgt.“

„Danke. Mensch L, Frederica ist wirklich nicht mit Gold aufzuwiegen. Ich meine, sie erledigt Wataris Job ziemlich gut und ich mag sie im Gegensatz zu dem alten Knacker.“ „Da hörst du es“, sagte L und wandte sich an das Albinomädchen. „Ein größeres Kompliment kann man von ihm nicht kriegen. Da kann man schon fast eifersüchtig werden.“ Als der Serienmörder das hörte, konnte er einfach nicht an sich halten. Er schloss den Detektiv in seine Arme und drückte ihm einen liebevollen Kuss auf die Wange. „Du hast doch keinen Grund zur Eifersucht, Schnuckelhäschen. Ich gehöre einzig und allein dir und das we…“ Er kam nicht weiter, denn da bekam er auch schon zur Strafe eins mit der Zeitung verpasst. Denn was L überhaupt nicht ausstehen konnte, waren dermaßen peinliche Kosenamen. Schlimmer noch war es, wenn dieser Mistkerl sie auch noch vor anderen verwendete. Frederica kicherte amüsiert darüber und bemerkte „Ihr zwei seid schon ein süßes Pärchen.“

„Da hörst du es, Hasenfürzchen. Also stell dich nicht so an. Kosenamen sind doch der beste Liebesbeweis, den man sich geben kann.“

„Ach was! Du machst das doch nur, weil du es einfach nicht lassen kannst, mich zu ärgern. Noch so ein dämlicher Kosename und es gibt wieder was mit der Zeitung.“

„Wie oft soll ich dir noch sagen, dass ich kein Hund bin?“

„Stimmt. Einen Hund kann man im Gegensatz zu dir erziehen. Sag mal Frederica, wo ist Watari?“ Das Albinomädchen kam mit dem Tablett und reichte L Kaffee und Gebäck, Beyond bekam seine heiß geliebte Erdbeermarmelade. „Er wollte einen kleinen Spaziergang machen. Übrigens lag das heute Morgen unter der Tür. Er ist nicht adressiert und ich weiß nicht, ob er vielleicht für dich ist.“ Damit reichte sie ihm einen roten Briefumschlag, wo tatsächlich kein Name drauf stand. L war etwas verwundert, denn wer sollte diesen Brief denn schon verschicken? Na, das würde L gleich schon herausfinden. Also öffnete er den Umschlag und stellte fest, dass diese Zeilen an Watari gerichtet waren.
 

„Watari,
 

wie viele Jahre ist es her, seit du in England warst? Sicherlich bist du hier, um Alices Grab zu besuchen, nicht wahr? Keine Sorge, ich hab mich während deiner langen Abwesenheit gut darum gekümmert. Dennoch hättest du vielleicht öfter zu ihrem Todestag vorbeischauen können, das hätte sie sicherlich gefreut. Nun, ich will auch keine Predigten halten. Du hattest mit Sicherheit gute Gründe gehabt. Aber vielleicht wird es dich interessieren, dass nun jemand Neues in die Harper Street 45 eingezogen ist, wo du und Alice früher gelebt habt. Er ist ein netter junger Mann und vielleicht möchtest du ihn ja näher kennen lernen. Ich hoffe, dein nächster Brief lässt nicht allzu lange auf sich warten und du beantwortest mir endlich die Frage, die ich dir schon seit Jahren stelle:
 

Glaubst du noch an Gott?
 

Mit den herzlichsten Grüßen
 

Lacie Dravis“
 

„Lacie Dravis?“ fragte L verwundert und konnte mit dem Namen nichts anfangen. „Frederica, weißt du wer das ist?“ Unsicher zuckte das Albinomädchen mit den Schultern und erklärte „Sie schrieb Watari mal vor langer Zeit einen Brief, pünktlich zu Alices Todestag. Und da fragte sie, ob er nach dem Verlust seiner Familie noch an Gott glaube. Diese Frage hatte er aber nie beantwortet. Und ich weiß auch nicht, wer diese Lacie Dravis ist. Vermutlich eine alte Freundin von Alice.“ Schon eine merkwürdige Frage, dachte sich Beyond und sah sich den Brief mal genauer an, der maschinell erstellt worden war und dezent nach Parfum roch. Eindeutig ein Frauenparfum. Er las sich den Text selbst noch mal durch und fand, dass er ein klein wenig kühl und unpersönlich geschrieben worden war. Zumindest legte diese Lacie Dravis viel Wert auf Höflichkeit und war womöglich eine von der etwas steifen Sorte, die schnell arrogant erschien. Nur eines verwunderte ihn doch. Woher wollte diese Frau wissen, dass Watari hier in England war? Das konnte doch nur der Fall sein, wenn dieser ihr geschrieben hatte. Aber hatte er ihr auch gleich geschrieben, in welches Hotel sie abgestiegen waren? Nun, eigentlich war Watari doch für gewöhnlich viel vorsichtiger und verriet seinen Aufenthaltsort nicht. Allein schon deswegen, weil er L vor der Familie Brown beschützen wollte. Also mussten sie ihn fragen, wenn er wieder zurück war von seinem Spaziergang. Schließlich hatte aber L eine Idee und sagte „Ich werde Mum gleich mal fragen, ob sie eine Ahnung hat. Immerhin hat sie bei den Wammys gewohnt und Alice war ihre beste Freundin.“ Nachdem er seinen Kaffee ausgetrunken hatte, verließ L die Suite und ging zu Nastasjas Zimmer. Sie und Frederica teilten sich ein Zimmer, während Sheol ein Einzelzimmer hatte (hauptsächlich deshalb, weil er furchtbar laut schnarchte) und Elion und Ezra gemeinsam ein Zimmer bewohnten. Auch Jeremiel bewohnte ein Einzelzimmer, da er schon seit Tagen starke Kopfschmerzen hatte und diese sich seit ihrer Ankunft in England eigentlich nur verschlimmert hatten. Sie fanden Nastasja in Sheols Zimmer, wo sie offenbar immer noch eine Standpauke hielt. „Hey Mum, hast du kurz Zeit?“ Die Russin unterbrach ihre Strafpredigt wandte sich L zu. „Was gibt’s?“ Er reichte ihr den Brief und nachdem sie sich den Inhalt durchgelesen hatte, kam er auch gleich zum Punkt. „Kennst du vielleicht eine gewisse Lacie Dravis?“ Doch auch sie war sich nicht zu hundert Prozent sicher und erklärte „Sie selbst habe ich nie gesehen. Ich weiß nur, dass sie nach Alices Tod oft Briefkontakt mit Watari gehalten hat. Manchmal waren es belanglose Dinge, aber hin und wieder auch ganz merkwürdige Dinge und man hat schon gesehen, dass diese Sachen Watari beschäftigt haben. Hin und wieder hatte ich irgendwie das Gefühl, diese Lacie versucht mehr über die Umstände von Alices Tod in Erfahrung zu bringen. Immerhin wurde der Fahrer, der sie geschnitten hat, nie gefunden und ihre Leiche konnte auch nie geborgen werden, da sie aufs offene Meer hinausgetrieben wurde. Jedenfalls gab es einige Diskussionen an der Uni und im Krankenhaus, was ihren Tod betrifft. Alice hatte wegen ihrer Intelligenz und ihrem guten Aussehen viele Neider, da kam eben auch der Verdacht auf, dass ihr Tod vielleicht kein Unfall war. Aber das sind nur Verschwörungstheorien. Ich meine, ich kenne niemanden, der einen Grund gehabt hätte, Alice zu töten. Aber diese Lacie stochert immer wieder in diesen alten Wunden rum und ich hab Watari damals abgeraten, weiterhin Briefkontakt mit ihr zu halten. Sie quält ihn nur mit diesen alten Geschichten und ich hab den Eindruck, als würde sie ihm indirekt Vorwürfe machen. Wer auch immer diese Lacie Dravis ist, sie ist eine verdammt penetrante Person, die offenbar selbst nach 27 Jahren nicht damit aufhören kann, nachzubohren und Watari mit diesen alten Geschichten zu verletzen. Ich verstehe auch echt nicht, was sie sich davon verspricht und wieso sie ihn seit Jahren diese Frage stellt, ob er noch an Gott glaubt.“ Damit faltete sie den Brief zusammen und gab ihn L zurück. „Auf jeden Fall muss ich mit Watari noch mal ein ernstes Wort reden. Und wenn ich Zeit hab, will ich auch noch mal in der alten Villa vorbeischauen. Einfach mal nur aus reiner Neugier um zu sehen, wer dort eingezogen ist und so. Immerhin habe ich dort eine ganze Zeit lang gewohnt, bis ich deinen Vater geheiratet habe. Ich komm eh gleich zu euch rüber. Vorher hab ich noch mit Sheol ein Hühnchen zu rupfen.“

„Ach jetzt nimm ihn doch nicht ganz so hart dran, Mum. Mag sein, dass er mal wieder über die Stränge geschlagen hat, aber so sind Teenager eben.“

„Mag sein, aber in seinem Alter habe ich bereits an der Universität unterrichtet und bevor ich nach England kam, habe ich in den Wäldern Sibiriens eigenhändig einen Bären erlegt und das mit nichts weiterem als einem Messer! Die Jugend von heute hat einfach keinen Respekt mehr und mit deinen laschen Einstellungen wirst du ohnehin niemals vernünftig Kinder erziehen können, junger Mann.“ Ach vergiss es, dachte L und beließ es dabei. Seine Mutter war eben herzlich, aber eben auch sehr streng und konsequent in der Erziehung. Eben weil sie auch sehr streng und konsequent mit sich selbst war. Da er also kaum nützliche Antworten von ihr bekommen konnte, blieb ihm also tatsächlich nichts anderes übrig, als darauf zu warten, dass Watari von seinem Spaziergang zurückkommen würde.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  pri_fairy
2014-12-27T22:15:30+00:00 27.12.2014 23:15
Super Kapitel :)
Von: abgemeldet
2014-12-27T16:32:37+00:00 27.12.2014 17:32
Ein echt klasse Kapitel^^


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