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Mallory

von

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Die Augen eines Monsters

Mallory lief blindlings weiter, wusste nicht wohin und konnte kaum Luft holen, da ihre Kehle immer noch wie zugeschnürt war. Sie hörte, wie Josephine nach ihr rief, aber sie konnte nicht umkehren oder stehen bleiben. Die Angst um ihr Leben hatte ihren Verstand komplett ausgeschaltet und sie hatte auch somit die Tatsache ausgeblendet, dass sie eigentlich aus dem Grund hierher gekommen war, weil sie Josephine und Anna sprechen wollte. Aber die Begegnung mit diesem Monster war einfach zu viel gewesen. Hätte Josephine es nicht mit dieser Machete erschlagen, dann wäre das ihr Tod gewesen. Und Mallory wollte lieber nicht herausfinden, was erst Josephine mit ihr vorhatte.

Keuchend stolperte sie vorwärts, stützte sich an den Spiegelwänden ab und Tränen vermischten sich mit Blut. Sie wollte einfach nur hier raus und das so schnell wie möglich. Länger hielt sie es in dieser Hölle nicht aus. Obwohl die gesichtslose Frau ihr nicht mehr folgte, glaubte Mallory dennoch, ihre eiskalten Hände im Nacken zu spüren und ihre Stimme zu hören, wie sie ihren Namen rief. Bei ihrer Flucht stieß sie gegen einen weiteren Spiegel und stolperte kurz nach hinten. Ihre Beine gaben nach und sie stürzte und da ihre Hände schweißnass waren, konnte sie sich auch nirgendwo festhalten. Bitte lieber Gott, hol mich endlich aus dieser Hölle raus. Ich stehe das keine Minute mehr durch. Das waren die einzigen Gedanken, die Mallory noch zu fassen vermochte. Es gelang ihr, wieder auf die Beine zu kommen und wieder hörte sie nicht weit entfernt Schritte und die Stimme von Josephine. Die Angst trieb sie mehr voran als hundert Peitschenhiebe und obwohl sich ihre Beine wie Gummi anfühlten, schaffte sie es trotzdem, weiterzulaufen. Der Weg führte sie zwei Male nach rechts, dann folgte sie einem Gang nach links, da bot sich nicht weit von ihr entfernt ein schrecklicher Anblick: Sie sah Dean auf dem Boden liegen in einer Blutlache. Schon wieder Blut… Alles in ihrem Verstand drehte sich nur noch um Blut und wieder tauchten unzählige Bilder vor ihr auf. Sie sah nichts anderes mehr als blutüberströmte Leichen, hörte nichts außer Schreie der Todesagonie und der Angst. Sie sah Lewis in einer Blutlache und wie er glücklich lächelnd auf dem Boden lag, den Blick zum Himmel gerichtet. Aber dieses Mal war es nicht Lewis, der da ein einer Blutlache lag, sondern Dean. „Dean!“ rief Mallory und stürzte zu ihm, fiel auf die Knie und drehte ihn auf den Rücken. Entsetzt sah sie, dass in seinem rechten Auge, welches schon zuvor gefehlt hatte, ein Loch klaffte und Blut floss. Es sah aus, als hätte man ihm in den Kopf geschossen. Aber wie war das möglich? Anna war doch als Einzige bei ihm gewesen… „D-Dean?“ brachte sie hervor und mit zitternden Händen versuchte sie, ein Lebenszeichen von ihm zu bekommen. Doch es war vergebens. Er lebte bereits nicht mehr. „Oh Gott… bitte nicht…“ Schon wieder war jemand gestorben, den sie kannte. Zuerst Lewis und dann auch noch ein kleiner 10-jähriger Junge. Warum nur? Warum das alles? Wieso musste ausgerechnet Dean sterben? Er hatte doch vorhin noch gelebt, als sie das Labyrinth betreten hatten.

Schritte hinter ihr ertönten. Es war Josephine, die sie nun eingeholt hatte. „Verdammt“, murmelte sie und blieb einige Schritte hinter Mallory stehen. „Der liegt ja noch da.“ Mallory sah Josephine an, die immer noch ihre Augenbinde trug und in ihr wuchs der unbändige Zorn. Dieses Mädchen da redete so gleichgültig über den Tod dieses kleinen Jungen, als wäre es ihr vollkommen egal und mit Sicherheit hatte sie genauso viel mit seinem Tod zu tun wie Anna. „Ihr…“, brachte Mallory mit Mühe hervor und hätte am liebsten auf das Mädchen eingeprügelt, so wütend war sie in dem Moment. „Ihr habt ihn umgebracht! Ihr habt ihn getötet, genauso wie ihr Lewis auf dem Gewissen habt, ihr Monster!!!“ Josephine reagierte nicht auf Mallorys blindem Zorn, sie war nicht mal erschrocken über die heftige Reaktion. Sie seufzte nur und erklärte „Tut mir Leid, den Anblick wollte ich dir gerne ersparen. Und dass es mit der Tussi vorhin so aus dem Ruder läuft, hätte selbst ich nicht geahnt.“

„Warum habt ihr ihn umgebracht? Ich dachte, Dean ist euer Freund!“

„Natürlich war er das“, sagte Josephine aber ihr Ton klang dabei so unfassbar gleichgültig, als würde es sich bei Deans Tod um eine Lappalie handeln. „Und es ist schade, aber getötet habe ich ihn nicht und Anna ebenso wenig.“

„Hör auf, mich für dumm zu verkaufen. Er ist doch nicht einfach so tot umgefallen, er ist erschossen worden. Und als ich dieses verdammte Labyrinth betreten habe, hat er noch gelebt und Anna war die Einzige, die bei ihm war!“ Nun war Josephine ruhig und sie hatte auch ihre leicht herablassende und verächtliche Art abgelegt. Nein, in diesem Moment wirkte sie nicht mehr so furchteinflößend und unheimlich wie sonst. Mallory selbst verlor hingegen völlig die Beherrschung. Sie stürzte sich auf Josephine und riss sie zu Boden, wobei sie ihre Hände um den Hals des Mädchens legte. „Warum nur tut ihr das? Wieso haltet ihr uns gefangen und warum habt ihr Lewis und Dean umgebracht? Und wieso hast du damals all diese Menschen getötet?“

Ihre Hände schlossen sich immer fester um Josephines Hals, doch diese wehrte sich noch nicht einmal. Stattdessen packte jemand Mallory von hinten und zerrte sie von dem Mädchen herunter. Es war der Butler Roth. Josephine kam wieder auf die Beine und klopfte sich den Dreck von ihrem Kleid. „Ich sage es dir noch mal: Ich habe weder Lewis noch Dean getötet. Es war allein ihre Schuld, auch wenn das für dich vielleicht grausam klingt. Lewis ist doch selbst vom Dach gesprungen und Dean hat einfach zu viel gewusst und dafür hat er sterben müssen. All das hätte nicht passieren müssen, wenn du nicht so viele Fragen gestellt und alles in Gefahr gebracht hättest. Wir haben dich ja noch extra gewarnt, aber stattdessen musstest du ja unbedingt hierher kommen. Du warst schon damals ein Dummkopf und das wirst du immer bleiben, Mallory! Du weißt einfach nie, wann es Zeit ist, endlich aufzuhören und manche Dinge einfach bleiben zu lassen.“ Mallory versuchte sich loszureißen, doch Roth hielt sie mit einer unglaublichen Kraft fest. Selbst Fußtritte brachten nichts. „Deine Hartnäckigkeit geht mir allmählich auf die Nerven und meine Geduld ist langsam am Ende. Aber ich mache dir ein Angebot, Mallory: Anna und ich lassen dich gehen und dafür verlässt du Dark Creek auf der Stelle. Du wirst nie wieder hierher zurückkehren und die anderen bleiben hier.“

„Vergiss es“, rief Mallory und kämpfte immer noch wie eine Wilde. „Ihr könnt doch nicht einfach so Menschen zu eurem eigenen Vergnügen hier gefangen halten. Und außerdem will ich endlich wissen, was vor 17 Jahren passiert ist und was aus Laura und meinen Eltern wurde. Ich will endlich die Wahrheit wissen!“

„Die Wahrheit? Sei doch mal ehrlich, die willst du doch gar nicht wissen. Sonst würdest du ja nicht vor deinen schlimmsten Ängsten davonlaufen, genauso wie die anderen. Hör auf, dich selbst zu quälen und geh wieder zurück zu deiner Familie. Und was deine Eltern und die anderen betrifft… sie sind selbst Schuld, dass sie sterben mussten. Hätten sie damals Anna nicht umgebracht, dann hätte das alles nicht eskalieren müssen.“ Mallory hörte auf zu kämpfen, als sie hörte, was Josephine da gesagt hatte. Hatte sie da gerade richtig gehört? Anna war ermordet worden? Aber… sie hatte sie doch selbst gesehen. „Das… das ist doch ein Scherz, oder? Ich habe Anna doch selbst gesehen.“

„Natürlich, weil wir beide keine Menschen sind. Wir sehen euch zum Verwechseln ähnlich, wir kopieren euer Verhalten, euer Aussehen und eure Gewohnheiten, aber wir sind selbst niemals wirklich welche gewesen. Deswegen war es Anna auch möglich, wieder zu erwachen. Aber die Menschen mussten trotzdem dafür büßen. Sie haben uns alles kaputt gemacht und sogar unsere Freunde in Gefahr gebracht. All die Jahre bin ich gnädig gewesen mit den Bewohnern, solange sie es bloß nicht wagten, Anna und unseren Freunden auch nur ein Haar zu krümmen. Was sie mit mir machten, war mir egal. Und ich bin schon so oft gestorben in all den Jahrzehnten und Jahrhunderten, in denen ich gelebt habe. Ich wurde erschlagen, erstochen, vergiftet, erwürgt, auf dem Scheiterhaufen als Hexe verbrannt, ertränkt, geköpft, gerädert, vergast, erhängt, erschossen und ich wurde sogar schon mal in ein Säurebad geworfen. Ich habe die Menschen von ihrer grausamsten Seite gesehen und weiß, was sie wirklich sind: mordlüsternde, gierige und selbstsüchtige Bestien. Selbst Tiere haben mehr Würde, denn sie töten wenigstens aus einem Überlebenstrieb heraus. An dem Tag, als sie mir die Augen mit glühendem Eisen ausgebrannt und mich in diesem Zustand im Keller eines Klosters eingemauert haben, wurde mir klar, dass die Menschen allesamt verachtenswertes Vieh sind!“ Josephine, die sich regelrecht in Rage geredet hatte und all ihrem Hass freien Lauf ließ, riss sich die Augenbinde ab und öffnete ihre Augen. Mallory hatte geglaubt, dass allein schon der Anblick dieser gesichtslosen Frau schlimm genug war, aber Josephine ohne diese Augenbinde zu sehen, raubte ihr den Atem. Noch nie in ihrem Leben hatte sie solche Augen gesehen, nicht mal bei einem Tier. Die Pupillen waren Schlitze wie die einer Katze, die Iris von einem stechenden gelb und der Rest war ein dunkles Blutrot. Ein Höllenfeuer schien in diesen monströsen Augen zu lodern, die mehr denen eines Dämons glichen als jenen eines Lebewesens. Ein dünnes Blutrinnsal floss aus den Augen wie Tränen und ein breites Grinsen zog sich über Josephines Lippen. In diesem Moment wirkten ihre Zähne wie die eines Raubtieres. „Na, wie gefällt dir der Anblick meiner Seele? Sie haben mich unzählige Male als Hexe verbrannt und versucht, meine Seele zu retten. Aber sie waren es, die meine Seele erst so verdorben haben! Sie haben mich zu dem gemacht, was ich jetzt bin. Die da haben mich zu einem Monster gemacht, kapiert? Und wenn mich das Leben etwas gelehrt hat, dann, dass man sich einfach das nehmen sollte, was man will. Die Welt ist egoistisch, also bin ich es auch und das lasse ich mir von niemandem kaputt machen. Weder von dir, noch von irgendjemand anderem. Und solltest du es wagen, mir noch ein Mal in die Quere zu kommen, dann werde ich dir die wahre Hölle zeigen!“ Roth ließ sie auf ein Nicken von Josephine hin los und in dem Moment ergriff Mallory die Flucht. Sie stolperte durch weitere Gänge und gelangte schließlich nach draußen. Ihre Beine gaben den Geist auf, woraufhin sie stürzte und sie schaffte es nicht mehr, wieder aufzustehen. Ihr ganzer Körper gehorchte ihr einfach nicht mehr. Es stimmte also doch. Josephine hatte vor 17 Jahren all diese Menschen umgebracht. Und sie hatte auch ihre Familie auf dem Gewissen, weil Anna getötet worden war. Josephine war ein Monster, das vor rein gar nichts zurückschreckte. Weder vor Mord, noch vor Terror. Sie quälte die Menschen mit ihren schlimmsten Ängsten und manipulierte sie nach ihrem Willen. Indem sie das tat, hatte sie die vollständige Kontrolle über Dark Creek und hielt Menschen aus einem perversen Vergnügen heraus gefangen. Und wer es wagte, dies zu hinterfragen, wurde kaltblütig getötet. Wenn nicht durch sie, dann durch ihren Butler, damit sie sich selbst nicht die Hände schmutzig machen musste. Es gab keinen Ausweg… niemand konnte Dark Creek lebend verlassen. Jeder, der die Wahrheit herausfand, der musste sterben. War es das gewesen, was Lewis vor ihnen verschwiegen hatte? Bestand die einzige Flucht von hier darin, zu sterben? Das konnte doch unmöglich sein. Das musste ein Irrtum sein.

Mallory fühlte sich völlig hilflos und wusste nicht mehr weiter. Alles schien über sie hereinzubrechen und sie zu erschlagen. Lewis’ Selbstmord, Deans Tod, ihre ausweglose Lage, ihre blutige Vergangenheit… Und sie konnte die anderen nicht retten. Josephine war bereit, sie gehen zu lassen, aber nicht die anderen. Und wenn Ilias und Finnian zu fliehen versuchten, würden sie umgebracht werden. Warum nur musste das alles passieren? Die Tränen flossen wie Sturzbäche und nur mit Mühe gelang es ihr, sich wieder auf die Beine zu quälen und zurück zu den anderen zu laufen. Doch was sollte sie ihnen sagen? Wie konnte sie ihnen überhaupt noch unter die Augen treten? Ilias hatte den Kleinen wie seinen eigenen Bruder geliebt und Finnian würde noch jemanden verlieren, der so alt war wie Keenan. Er würde einen erneuten Anfall bekommen und dieses Mal würde Lewis nicht kommen und ihn retten. Was sollte sie nur tun? Wie konnten diese Zwillinge nur derart grausam sein und einen kleinen Jungen umbringen, mit dem sie sogar befreundet waren? Es war, wie Josephine sagte: Sie war ein Monster! Mallory war völlig am Ende und wollte einfach nur raus aus diesem Alptraum.

Sie bog nach links ab, wohin sie zur Achterbahn gelangte und sah Anna auf einer Bank sitzen. Ihr Blick war starr ins Leere gerichtet und keine Emotionen waren in diesem puppenhaften Gesicht abzulesen. Doch als sie näher trat, erkannte sie, dass Anna weinte. Tränen glitzerten auf ihrem blassen Gesicht, das seit 17 Jahren nicht mehr lächelte, lachte, oder Wut und Trauer zeigte. Und doch glänzte es von Tränen, die sie für Dean vergossen hatte. Als Anna Mallory bemerkte, stand sie auf und wandte sich zum Gehen. „Bleib stehen“, rief Mallory, doch es klang mehr wie ein ersticktes Krächzen und tatsächlich blieb die jüngere Zwillingsschwester stehen, versuchte aber trotzdem Abstand zu halten. „Was willst du?“ fragte sie in einem kalten und verärgert klingenden Ton. „Verschwinde von hier, Mallory! Geh zurück nach Hause.“

„Ich will wissen, warum ihr das getan habt. Wieso musste Dean sterben? Stimmt es, was Josephine gesagt hat? Habt ihr meine Eltern getötet? Habt ihr auch Laura umgebracht?“ Mit einem Male bröckelte die äußerliche Fassade und Leben kehrte in dieses puppenhafte Gesicht zurück. Anna wich ihrem Blick aus und wirkte mit einem Male unendlich traurig. „Manche Dinge passieren eben, die man nicht ändern kann.“

„Und wieso habt ihr mich damals am Leben gelassen und dafür meine Familie getötet? Wieso?“

„Weil du unsere Freundin warst.“ In dem Moment drehte Anna sich um und lief davon. Mallory eilte ihr hinterher und versuchte, sie am Arm zu fassen zu bekommen. Hatte sie da gerade richtig gehört? Sie war vor 17 Jahren mit den beiden befreundet gewesen und war nur deshalb verschont worden, während dafür ihre Eltern und ihre jüngere Schwester umgebracht worden waren? Das konnte doch unmöglich sein. Wenn das wirklich stimmte, warum bedrohten Anna und Josephine sie und wollten unbedingt, dass sie Dark Creek verließ? „Warte Anna!“ rief sie und hätte die Klein beinahe am Arm zu fassen gekriegt, da schoss hinter einer Mülltonne Amducias hervor und stellte sich ihr in den Weg. Er fauchte angriffslustig und machte einen Buckel, wobei sich sein Fell sträubte. Anna sah zurück und ihr starrer Blick nahm etwas Bedrohliches an. „Fass mich nicht an, hörst du? Wenn du mich auch nur ein Mal anrührst, dann bist du tot.“ Wieso nur kam diese Szene ihr so vertraut vor? Vielleicht, weil sie das alles schon mal erlebt hatte? Ja, vor 17 Jahren hatte Anna ihr das schon einmal gesagt, aber da war sie nicht so wütend gewesen wie jetzt. Sie hatte Angst gehabt. Angst davor, dass man sie berührte. Wieder kehrte dieser stechende Kopfschmerz wieder zurück und Mallory presste sich eine Hand gegen die Schläfe. Nicht schon wieder. Warum musste das ausgerechnet in so einem Moment passieren?

Ein neues Bild tauchte vor ihr auf. Vor ihrem geistigen Auge tauchte Laura auf, die ihre Spieluhr vor sich auf den Boden liegen hatte und davor saß. Und sie war nicht allein. Josephine und Anna saßen bei ihr. Und Anna lag in den Armen ihrer älteren Schwester und weinte, während Josephine sie zu trösten versuchte. Mallory erinnerte sich, dass sie irgendetwas zu Anna gesagt hatte, woraufhin sie aufgehört hatte zu weinen. Aber was hatte sie damals zu ihr gesagt und warum nur reagierten sowohl sie als auch Josephine jetzt nach 17 Jahren so aggressiv auf sie? „Habe ich irgendetwas falsch gemacht, dass ihr mich so abgrundtief hasst?“ Annas Augen weiteten sich und sie wich zurück, wobei sie ihre Hände zu Fäusten ballte. Sie hatte Angst, das sah man sofort. Aber sie hatte keine Angst vor Mallory, sondern davor, ihr die Wahrheit zu sagen. „Du… du hast nichts falsch gemacht. Niemand von uns hat etwas falsch gemacht.“

„Wieso musste sogar meine Schwester sterben? Sie war erst sieben Jahre alt! Warum hat Josephine das getan? Wieso hat sie Laura umgebracht?“

„Josephine hat sie nicht getötet. Lauras Tod war ein furchtbarer Unfall. Und jetzt verschwinde endlich, du hast hier nichts verloren. Amducias, halt sie auf.“ Anna wandte sich um und lief davon. Mallory wollte ihr folgen, doch der Kater stellte sich ihr in den Weg und schlug angriffslustig seine Klauen nach ihr. „Aus dem Weg du Mistvieh“, rief sie und versuchte an dem pechschwarzen Kater vorbeizugehen, doch schon sprang er sie an und versenkte seine Klauen in ihre Hand. Eine tiefe Kratzwunde zog sich über ihre Hand, welche schließlich zu bluten begann. Um bei diesem Anblick nicht wieder in Panik zu geraten, wickelte sich Mallory schnell ein Taschentuch um ihre Hand und lief einen anderen Weg. An diesem wild gewordenen Kater kam sie sicher nicht vorbei, also musste sie einen anderen Weg gehen. Aber irgendwie verstand sie das alles nicht mehr. Josephine hatte vor 17 Jahren ein schreckliches Massaker angerichtet, weil die Bewohner von Dark Creek Anna getötet hatten. Da die Zwillinge keine Menschen waren, konnte Anna zurückkehren, doch trotzdem hatte Josephine grausame Rache gefordert. Dabei starb auch Laura, aber die beiden ließen sie, Mallory, am Leben. Ihr gelang es, Dark Creek zu verlassen und aufgrund des schweren Traumas verlor sie ihr Gedächtnis. Anna und Josephine blieben trotz allem in Dark Creek und lockten Menschen dorthin, die sie manipulierten und dann gefangen hielten. Und jeder, der die Wahrheit aufdeckte, musste sterben. Zuerst Lewis und dann Dean.

Mallory ging nach links und erreichte nach einer Weile schließlich die Achterbahn, wo sie Ilias und Finnian zurückgelassen hatte. Doch da waren die beiden nicht mehr, stattdessen lagen überall Trümmern der Statuen herum, die Finnian und Ilias gemeinsam zerschlagen hatten. Wie es schien, waren die beiden fertig geworden, oder aber ihnen war etwas passiert. „Finny? Ilias? Wo seid ihr?“ Mallorys Brust schnürte sich zusammen und sie bekam furchtbare Angst, als ihr ein schrecklicher Gedanke kam. Was, wenn sie zu spät war und es für die beiden auch keine Rettung mehr gab. Was, wenn Josephine und dieser schmierige Butler ihnen irgendetwas angetan hatten? Das durfte nicht passieren. Wenn jetzt auch noch Ilias und Finnian sterben würden, was sollte sie dann noch tun? Dann war sie wieder ganz alleine, genauso wie vor 17 Jahren. Das durfte sie nie und nimmer noch einmal geschehen lassen. „Ilias!“ rief sie und sah sich nach allen Seiten um in der Hoffnung, ihn oder Finnian irgendwo entdecken zu können. „Wo seid ihr?“ Sie blieb stehen und versuchte etwas zu hören. Bitte lass es noch nicht zu spät für sie sein, dachte sie und lief weiter, um ihre Freunde zu finden. Bitte lass mich noch rechtzeitig da sein, um sie zu retten.

„Finny! Ilias, bitte sagt doch etwas!“

Wieder nur Stille. Es war so, als wäre der Park mit einem Male verlassen und sie ganz alleine. Mallory hatte entsetzliche Angst, als sie so ganz alleine war und auf ihre Rufe niemand antwortete. Genauso wie damals, als sie völlig verstört durch die Straßen geirrt war und an ihren Händen und an ihrer ganzen Kleidung Blut klebte. Auch damals hatte sie verzweifelt nach jemandem gesucht und furchtbare Angst gehabt. Das alles war nichts anderes als ein alptraumhaftes Deja-vu und sie wünschte sich in diesem Moment, sie hätte nicht an diesen schrecklichen Ort kommen müssen. Dann wäre vielleicht Dean nicht gestorben. Sie hatte gehofft, hier Antworten zu finden, aber stattdessen wurden sie alle von ihren schlimmsten Alpträumen gejagt und angegriffen. Was war das überhaupt nur für ein Ort? Wieso stand hier Lewis’ Haus und warum versuchten Josephine und Anna, sie mit aller Macht zu vertreiben? Konnte es etwa sein, dass dieser Vergnügungspark nichts anderes war, als eine Tarnung? Waren hier all ihre verlorenen Erinnerungen versammelt, die sie selbst mit aller Macht verdrängt hatten und waren deshalb ihre schlimmsten Alpträume und Ängste hinter ihnen her? Wenn dem so war, dann würde es auch erklären, wieso Lewis hierher gekommen war und wieso er sagte, dass sie alle die Wahrheit kannten, sie aber nicht sehen wollten. Sie hatte es die ganze Zeit vor Augen gehabt: Der Grund, wieso niemand Dark Creek verlassen konnte, war einfach der, dass sie alle ein bestimmtes Trauma verdrängt hatten und ihre Erinnerungen nicht annehmen konnten. Und solange ihnen die Erinnerung fehlte, waren sie hier gefangen. Und Josephine und Anna hatten diese im Vergnügungspark versteckt. Im Grunde war dieser Park nichts anderes als der Spiegel ihrer eigenen Angst und solange sie vor ihren schlimmsten Ängsten davonliefen, würden sie niemals die Wahrheit annehmen können. Lewis hatte seine Angst überwunden und es akzeptiert, deshalb konnte er trotz allem mit einem Lächeln sterben und hatte es geschafft, seine Erinnerungen zurückzuholen. Doch der Preis dafür war sein Leben gewesen. Und Dean hatte sie unbewusst herausgefunden. Er hatte nicht gezielt danach gesucht, sondern konnte sich aus eigener Kraft wieder erinnern, weshalb er kurz darauf auch sterben musste. Aber wieso starb denn jeder, der die Wahrheit herausfand und was versuchten Anna und Josephine vor ihr geheim zu halten?

Ein lauter Schrei riss sie aus ihren Gedanken und sie blieb sofort stehen. Sie musste ein wenig genauer hinhören, aber dann erkannte sie, dass es Finnian war, der so laut schrie. Sofort eilte Mallory hin in der Hoffnung, dass sie noch nicht zu spät war.



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