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Meine Creepypastas

Paranormale (Horror) Geschichten
von

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Scarecrow Jack Teil 2: Hearse

Es war inzwischen eine Woche vergangen, seit Charles und ich den entsetzlichen Fund auf dem Feld der Cohans gemacht hatten. Um wen es sich bei der Leiche handelte, war noch nicht vollständig geklärt, aber nach Angaben der Polizei wurde sie erst vor kurzem als Vogelscheuche auf dem Feld aufgestellt. Denn um zu mumifizieren, müsste die Leiche an einem trockenen Ort liegen. Und das war auf freiem Felde nicht möglich, vor allem weil die Raben und Krähen die Leiche mit Sicherheit größtenteils gefressen hätten. Da es in den letzten Jahren immer häufiger Morde gab, vor allem an Kindern, vermutete man den gleichen Täter wie hier. Als ich hörte, dass Kinder in den letzten Jahren ermordet wurden, stieg Angst in mir hoch und ich besuchte Madison in ihrem Haus, um über diese Fälle zu reden. Doch wie sich herausstellte, weigerte sie sich, darüber zu sprechen und auch sonst schien jeder sich seltsam zu verhalten. Einzig der Pfarrer von Annatown schien gesprächsbereit zu sein. Pfarrer Maxwell kannte ich noch von meiner Jugend her, inzwischen war er alt, grauhaarig und er hing oft an der Flasche, wie in Annatown gemunkelt wurde. Er hatte viel erlebt, zu viel so wie er auf mich wirkte und er schien sehr erleichtert zu sein, mit mir über diese Morde reden zu können, da es ihm offenbar schwer auf der Seele lastete. Wir saßen im Pfarrhaus, wo er mir einen Tee servierte. „Die Sache hat uns alle sehr erschüttert“ begann er mit müden und zitternden Worten. „So etwas habe ich noch nie gesehen. Es geschah jedes Mal an Halloween. Die Kinder gingen verkleidet Süßigkeiten sammeln und kamen nicht nach Hause. Man fand sie tot auf, begraben auf dem Feld der Cohan Farm, wo die Vogelscheuche steht. Man fand sie aufgeschlitzt vor, die Eingeweide wurden ihnen entfernt und die Raben begannen sie bereits aufzufressen. Dafür hatte man die toten Kinder mit Süßigkeiten regelrecht ausgestopft. Ihre ausgehöhlten Bäuche, ihre Kehlen und Münder waren vollgestopft damit. Und sie hatten am ganzen Körper tiefe Schnittwunden, als hätte ein Tier mit langen, scharfen Krallen sie attackiert. Und manchmal treibt nachts die Vogelscheuche ihr Unwesen.“

„Aber Vater Maxwell, das ist doch völliger Quatsch. Vogelscheuchen wandeln doch nicht herum.“

„Das habe ich ja auch zunächst gesagt, bis ich es selber gesehen habe. Sie müssen wissen, ich hatte bis vor kurzem noch einen Hund, einen Schäferhund, der die Katzen und Ratten fernhalten sollte. Eines Nachts begann er fürchterlich laut zu bellen und ich glaubte zunächst, es wären Einbrecher. Ich schaltete die Taschenlampe ein und ging hinaus, um nachzusehen. Plötzlich hörte ich Jonathan winseln und als ich zu ihm eilte, sah ich die Vogelscheuche. Sie schlug ihre Klauen in Jonathan und zerfetzte ihn wie ein wildes Tier. Herr im Himmel, ich habe mich so erschrocken, dass ich die Taschenlampe fallen ließ. Sie drehte sich zu mir um und ich sah in der Dunkelheit nur ihre dämonischen Augen funkeln. Und dann begann sie zu lachen. Es war ein wahnsinniges und monströses Gelächter, als käme es aus dem siebten Kreise der Hölle.“ Der Pfarrer bekreuzigte sich bei diesen Worten und schrumpfte merklich zusammen. „Ich dachte, ich würde verrückt werden und ich wagte es nicht, der Polizei es zu sagen. Wenn ich ihnen sagen würde, dass eine wandelnde Vogelscheuche meinen Hund in Stücke gerissen hat, würden sie denken, ich hätte zu viel getrunken. Doch dann wurden Halloween desselben Jahres fünf Kinder auf der Cohan Farm ermordet und sie waren so entsetzlich zugerichtet. Man hat einem Kind sogar die Haare abrasiert, die Augen zerschnitten und die Nase entfernt. Und als wäre das nicht schon schrecklich genug, hatte jemand „Happy Halloween“ in die Stirn geschnitten.“ Mir wurde ganz anders, als ich davon hörte. „Seit wann geht das schon so?“

„Seit vier Jahren. Manchmal taucht die Vogelscheuche über Monate nicht in der Stadt auf, aber dann wieder gibt es Zeiten, in denen man sich kaum aus den Haus wagt, weil sie dort draußen ihr Unwesen treibt.“

„Aber Vogelscheuchen erwachen doch nicht einfach zum Leben. Es muss etwas anderes dahinter stecken. Vielleicht… vielleicht verkleidet sich ja jemand als „Scarecrow Jack“ und begeht diese Morde.“

„Nein, das IST jene Vogelscheuche, da bin ich mir sicher. Und überhaupt: Wer in der Stadt sollte sich denn als Vogelscheuche ausgeben und diese Morde begehen?“ Auf diese Frage konnte ich nur antworten „Ein kranker Psychopath!“ Pfarrer Maxwell seufzte niedergeschlagen und trank einen Schluck aus seinem Flachmann. „Das ist Ihre Antwort auf alles. Ich würde es eher Karma nennen. Irgendwann kommt alles verursachte Übel wieder auf einen zurück.“

„Was wollen Sie damit sagen?“

„Die Leute von Annatown haben ein dunkles Geheimnis und dieses holt uns alle wieder ein. Das ist es. Die Vogelscheuche ist unser Fluch… unser Verderben. Sie sollten von hier fliehen, solange Sie noch können. Vielleicht haben Sie und Ihre Familie noch eine Chance und können hier entkommen.“ Ich versuchte, diese unheimlichen Worte des Pfarrers damit zu erklären, dass er ein Säufer war, der sich zu sehr von dem Geschwätz der Leute verrückt machen ließ. Es gab keine Flüche und ich wollte auch nicht glauben, dass die Vogelscheuche tatsächlich lebendig war. Für alles musste es eine logische Erklärung geben, ich wollte mich einfach nicht von der Paranoia der Leute anstecken lassen. Auch wenn ich die Vogelscheuche selbst gesehen hatte, wollte ich daran glauben, dass es ein Mensch aus Fleisch und Blut war, der unter einem Kostüm steckte.

Es war bereits dunkel, als ich das Pfarrhaus verließ, aber wenigstens leuchteten die Laternen den Weg gut aus. Ich kam dabei an der Hundehütte vorbei, wo vor kurzem noch der Hund des Pfarrers geschlafen hatte, die jetzt aber verwaist war. Zwar hatte der Regen das Meiste fortgespült, jedoch konnte man an der Hütte alte Blutflecke erkennen. Da ich doch lieber nicht alleine nach Hause gehen wollte, wählte ich Charles’ Nummer und versuchte, ihn zu erreichen, damit er mich bald abholen kam. Es ging jedoch nur die Mailbox ran und ein wenig verärgert steckte ich das Handy wieder ein. Als ich den Blick umherschweifen ließ, blieb mir fast das Herz stehen, als ich jenen vertrauten Schatten wieder sah. Die Vogelscheuche stand unter eine der Straßenlaternen und die Stange, an der sie hing, war weg. Langsam hob sie eine Hand, die mit Klingen bestückt war und kratzte damit am Laternenpfahl, was ein entsetzliches Kreischen zur Folge hatte, woraufhin ich mir die Ohren zuhalten musste. Und dann begann sie zu singen. Ja, die Vogelscheuche begann zu singen. Es war das wohl schrecklichste und unheimlichste Lied, welches ich jemals gehört hatte:
 

Don't ever laugh as a hearse goes by,

For you may be the next to die.
 

They wrap you up in a big white sheet,

From your head down to your feet.

They put you in a big black box

And cover you up with dirt and rocks,

And all goes well for about a week,

And then your coffin begins to leak.
 

And the worms crawl in, the worms crawl out.

The worms play pinochle on your snout.

They eat your eyes, they eat your nose.

They eat the jelly between your toes.
 

A big green worm with rolling eyes

Crawls in your stomach and out your eyes.

Your stomach turns a slimy green,

And pus pours out like whipping cream.

You spread it on a slice of bread,

and that's what you eat when you are dead.
 

Und während dieses unheimlichen Gesangs kam die Vogelscheuche immer näher und kratzte mit ihren klingenbesetzten Fingern an der Hauswand entlang. Und mir wurde klar, dass ich bald genauso enden würde wie die Kinder, wenn ich nicht sofort weglief. Ich drehte mich um und rannte, so schnell ich nur konnte. Ich rannte und rannte, wurde beinahe von einem Auto erfasst und rief wie eine Verrückte um Hilfe. Doch die Vogelscheuche folgte mir gar nicht. Nein, stattdessen hörte ich mehrere Schüsse aus dem Pfarrhaus und mir wurde klar, was da vor sich ging. Durch die Schüsse wurden mehrere Nachbarn aufgeschreckt, eilten ihrerseits mit Gewehren heraus und fragten was los sei. Ich rief nur „Die Vogelscheuche!“ und schon stürmten mehrere Männer ins Pfarrhaus. Es wurde geschossen und Glas zersplitterte. Als ich nachsah, was geschehen war, sah ich die Nachbarn vor der Leiche des Pfarrers stehen. Er lag in einer riesigen Blutlache, sein Körper und sein Gesicht waren völlig zerfetzt, als hätte sich ein wildes Tier mit langen scharfen Krallen auf ihn gestürzt. Ich konnte nur mit Mühe einen Entsetzensschrei unterdrücken und fragte sofort, wo die Vogelscheuche sei. „Die ist durchs Fenster gestürmt. Verdammtes Ding. Wir haben ihr ein Dutzend Kugeln durch den Körper gejagt und es hat ihr rein gar nichts ausgemacht. Es ist also wirklich ein Fluch…“ Ich schüttelte heftig den Kopf und wollte nicht glauben, was ich da hörte. Das war kein Fluch, in der Vogelscheuche musste ein Mensch aus Fleisch und Blut stecken und vielleicht hat er nur deswegen nichts abgekriegt, weil er vielleicht eine Kugelsichere Weste unter dem Mantel getragen hatte.

Die Polizei traf fünfzehn Minuten später ein und während die Leiche des Pfarrers weggeschafft und der Tatort gesichert wurde, befragte der zuständige Officer mich und die Nachbarn. Ich betonte dabei immer wieder, dass ich jemanden gesehen hätte, der sich als Vogelscheuche verkleidet hatte. „Und er hat gesungen?“

„Ja. Er kam auf mich zu, hat mit seinen Klingenhänden an der Mauer entlanggekratzt und dieses Totengräberlied gesungen. Ich bin weggelaufen, aber der Killer hatte es gar nicht auf mich abgesehen sondern allem Anschein nach auf den Pfarrer.“

„Was wollten Sie so spät noch bei ihm?“

„Ich wollte mit ihm über die Morde der letzten vier Jahre sprechen. Wissen Sie, ich habe einen Sohn und ich habe Angst um ihn. In letzter Zeit scheint dieser Vogelscheuchenpsychopath immer wieder vor seinem Fenster zu stehen. Ich hab ihn auch schon gesehen.“ Der Officer sah mich mit einem Blick an, von dem ich zuerst dachte, dass er mich für verrückt hielt. Ich war verunsichert und fragte „Halten Sie mich etwa für verrückt?“

„Das nicht“, sagte der Officer und notierte sich die Aussage. „Aber Sie sind bisher die einzige Zeugin, die von einem Mann in einem Vogelscheuchenkostüm spricht.“

„Was meinen Sie damit?“

„Alle anderen sagen aus, es sei eine Vogelscheuche und sie waren sich alle sehr sicher, dass es kein Mann in einem Vogelscheuchenkostüm war. Kommen Sie nicht von hier?“

„Ich habe als Kind hier gelebt, bin aber weggezogen und erst vor kurzem wieder hierher zurückgekehrt. Da wusste ich aber nichts von diesem Vogelscheuchenmörder.“ Der Officer nickte und bot mir an, mich nach Hause zu fahren, falls ich mich nicht sicher fühlen würde. Ich nahm das Angebot dankend an und war froh, dass ich in der Dunkelheit nicht alleine nach Hause gehen musste. Officer Morgan, so stellte er sich mir vor, gab mir noch seine Karte und legte mir nahe, ihn sofort anzurufen, sollte ich den Scarecrow Killer wieder sehen. Zum Glück waren Charles und Lewis bereits wieder da und sogleich erklärte der Officer meinem Mann die Situation und erklärte, dass eine Ausgangssperre für alle Minderjährigen ab 21:00 Uhr verhängt wurde. Außerdem wurde uns dringend angeraten, nachts die Fenster und Türen zu verschließen. „Wie lange dauert es eigentlich noch, bis Sie dieses Arschloch geschnappt haben?“ fragte Charles schließlich und es klang vorwurfsvoll. Officer Morgan atmete leise durch die Nase aus und erklärte „Wir sind wirklich bemüht, den Serienmörder zu schnappen, jedoch ist er geschickter, als es den Anschein hat. Er schafft es immer wieder, still und heimlich in die Häuser einzubrechen oder nächtliche Passanten anzugreifen. Außerdem hinterlässt er niemals DNA-Spuren, geschweige denn Hautzellen oder Fingerabdrücke.“

Charles grummelte etwas vor sich hin und ich ahnte, dass es nichts Gutes über die Polizeiarbeit war. Ich sagte besser nichts dazu und bedankte mich beim Officer. Kaum war die Tür geschlossen, sackte ich in die Knie und merkte, wie ich am ganzen Körper zitterte. Charles half mir hoch und brachte mich schließlich ins Wohnzimmer, wo wir in aller Ruhe miteinander reden konnten. Lewis war schon im Bett, doch das beruhigte mich auch nicht besonders. „Was genau ist denn passiert und was wolltest du bei dem Pfarrer?“

„Ich habe mit ihm über diese Morde geredet und wollte mehr über die Vogelscheuche herausfinden. Und als ich gegangen bin, stand sie oder besser gesagt der Killer bereits unter der Straßenlaterne und kam auf mich zu. Doch anstatt mich zu jagen, hat er den Pfarrer umgebracht.“

„Und warum den Pfarrer?“

„Ich weiß es nicht. Er sagte, dass die ganze Stadt ein Geheimnis hat und deswegen die Vogelscheuche herumwandeln soll. Das Ganze soll ein Fluch sein.“

„Aber du glaubst doch wohl nicht an solch einen Unsinn.“ Ich öffnete eine Flasche Wein und schüttete mir und Charles ein Glas ein. Ich brauchte dringend etwas Alkoholisches, um diesen Schock zu verdauen. „Ich glaube, dass da mehr als ein Fluch dahinter steckt. Vielleicht will sich ja jemand rächen und verkleidet sich als Vogelscheuche.“

„Und wer sollte das tun?“

„Ich weiß es nicht. Der Einzige, der mir einfallen würde, ist Jackson Cohan, aber der ist vor zwanzig Jahren bei dem großen Feuer ums Leben gekommen. Nein, es muss jemand anderes sein.“

„Könnte es sein, dass sich ein Freund oder ein Verwandter des Jungen rächen will?“ An diese Idee hatte ich auch schon gedacht, aber diese war unwahrscheinlich. Jackson hatte keine Freunde gehabt und seine einzigen Verwandten waren seine Tante und sein Onkel. Und die waren verschwunden. Wenn schon, dann wäre es Jackson selbst gewesen. Vielleicht hatte er ja den Brand überlebt und sann auf Rache für die Schikanen während seiner Schulzeit. Ich beschloss, mit Officer Morgan über diesen Verdacht zu sprechen, vielleicht half das ja weiter. Schließlich fragte Charles „Wer war eigentlich dieser Jackson?“

„Er ging auf die gleiche Schule und war der Außenseiter. Meist saß er still da und hat gemalt oder geschrieben, er trug immer alte Kleidung und sein Haar war pechschwarz und lang, sodass man seine Augen nie sehen konnte. Viele haben ihn wegen seines Äußeren gehänselt und ihn „Vogelscheuche“ genannt. Deswegen dachte ich auch zunächst, es wäre Jackson, der sich hinter dem Scarecrow Killer verbirgt. Vielleicht hat er ja damals den Brand schwer verletzt überlebt und will nun Rache.“

„Das klingt wirklich überzeugend“, gab Charles zu und war insgeheim froh, dass ich noch nicht diesem Aberglauben von einer lebendigen Vogelscheuche verfallen war. Zwar hatte ich am Anfang geglaubt gehabt, eine Vogelscheuche gesehen zu haben, aber inzwischen konnte ich vernünftig genug über diese Sache nachdenken, um zu sagen, dass es ein Verrückter in einem Kostüm war. Das gab mir auch mehr Halt, denn vor einem Menschen aus Fleisch und Blut hatte man weniger Angst, als vor einer besessenen Vogelscheuche. Gleich am nächsten Tag besorgte sich Charles ein Jagdgewehr, auch wenn ich da so meine Einwände hatte. Man hörte ja immer wieder, dass Kinder die Waffen fanden, damit herumspielten und dann ein Unglück geschah. Doch Charles versicherte mir, dass er dafür sorgen würde, dass Lewis sie nicht in die Hände bekam. Das Gewehr sei nur für den Notfall gedacht, sollte der Vogelscheuchenmörder wieder ins Haus eindringen. Ich selbst fühlte mich an diesem Tag alles andere als gut. Das Wetter war sehr schwül und warm, was mir sehr zu schaffen machte, da sich mein Asthma verschlechterte. Also nahm ich den Inhalator vorsichtshalber immer mit und beschränkte mich beim Haushalt auf das Allerwichtigste, während Charles im Arbeitszimmer saß und an seinem Roman schrieb. Da ich merkte, dass nicht nur mein Asthma sondern auch mein Kreislauf sich verschlechterte, öffnete ich das Fenster ein wenig und legte mich auf die Couch. In der Stille bemerkte ich, dass mir dieses verdammte Lied von gestern nicht mehr aus dem Kopf ging, welches der Vogelscheuchenmörder gesungen hatte. Es hatte eine so einschlägige und simple Melodie, wenn nur der Inhalt nicht so abscheulich gewesen wäre. Aber mich ließ das Gefühl nicht los, als hätte der Killer sie aus einem bestimmten Grund gesungen. Mich überkam ein leiser Schauer, während mir diese Melodie durch den Kopf ging und ich fragte mich, wo ich sie schon mal gehört hatte. Nach einer Weile, während mir der Song immer und immer wieder durch den Kopf ging, begann ich ihn selbst zu singen. Dann aber fiel es mir wieder schlagartig ein: Jackson Cohan hatte das Lied immer in der Schule gesungen. Ja, ich erinnerte mich an eine Szene, in welcher er alleine auf der Schaukel gesessen hatte. Es war ein ziemlich bewölkter Herbsttag gewesen, auf dem Schaukelgestell hockten mehrere Raben und Krähen, die ein schreckliches Krächzen von sich gaben, während er leise dieses Lied vor sich hin sang. Langsam wurde das Bild immer deutlicher und ich konnte Jackson quasi vor mir sehen. Er war damals für sein Alter normal groß gewesen, lief aber immer geduckt wie ein geprügelter Hund und das schwarze Haar, das wie Stroh war, hing ihm so ins Gesicht, dass man seine Augen nicht sehen konnte. Normalerweise bekam man aus ihm keinen Ton heraus. Er antwortete nie auf Fragen, vermied jeden Blickkontakt und man hätte echt meinen können, er sei stumm. Alle fanden ihn unheimlich, ich war da keine Ausnahme, allerdings hatte ich ein Mal versucht, ihn anzusprechen. Ich war vorsichtig auf ihn zugekommen und hatte ihm vorgeschlagen, dass er mit mir reden könne. Doch er sagte nichts, er hob nur seinen Kopf und schaute mich durch seine langen schwarzen Haare hindurch an. Ich hatte mich unwohl gefühlt und war daraufhin gegangen. Er hatte mich nie angesprochen sondern mich genauso ignoriert wie all die anderen. Aber etwas war doch anders: Ich bekam eine richtige Gänsehaut, wenn ich in seine Nähe kam. Von ihm schien eine beinahe unmenschliche Kälte auszugehen. Konnte dieser Junge von damals tatsächlich überlebt haben? Dann wäre er ja inzwischen 29 Jahre alt. Konnte er es wirklich sein? Ich beschloss, Officer Morgan anzurufen und fragte ihn gleich, ob es schon neue Informationen zur Mumie gab. Von ihm erfuhr ich, dass es sich bei der Leiche um John Cohan handelte, dem Besitzer der Cohan Farm und damit auch Jacksons Onkel. „Dem Zustand der Leiche nach zu urteilen, ist sie bereits mehr als zehn Jahre alt.“

„Woran ist er denn verstorben?“

„An diversen Stichverletzungen im Bauch- und Brustbereich. Er ist verblutet. Das Besondere daran ist, dass die ersten Male das Messer von unten nach oben in den Körper gestoßen wurde. Das ist sehr ungewöhnlich, denn normalerweise stößt ein Mensch das Messer von oben herab ins Fleisch, weil somit der Kraftaufwand geringer ist. Wissen Sie, was das bedeutet?“

„Ja“, murmelte ich und spürte, wie sich mir der Magen zusammenkrampfte. „Der Mörder muss sehr klein gewesen sein. Vielleicht… vielleicht sogar ein Kind.“

„Sie vermuten, dass es der Neffe gewesen war?“

„Ich glaube schon. Sagen Sie, halten Sie es für möglich, dass Jackson damals gar nicht gestorben ist?“

„Das ist eine Frage, die ich noch nicht beantworten kann. Aber der Gedanke kam mir auch schon. Deswegen habe ich einen Antrag auf die Exhumierung des Toten gestellt. Sollte es sich tatsächlich um eine Verwechslung handeln, wird Jackson unser Hauptverdächtiger sein. Passen Sie gut auf sich auf und rufen Sie mich jederzeit an, wenn Sie etwas Verdächtiges sehen oder wichtige Hinweise für uns haben.“ Ich dachte noch länger über diesen Verdacht nach und fragte mich, was Jackson zu so etwas getrieben haben könnte, dass er sich als Vogelscheuche verkleidete und Leichen mit Süßigkeiten ausstopfte. So etwas konnte doch nur ein Verrückter tun. Die Kinder hatten ihn doch damals nur wegen seines verwahrlosten Erscheinungsbildes ausgelacht und ihn eine Vogelscheuche genannt. Das war doch kein Grund, so etwas Schreckliches zu tun. Aber Jackson war schon damals ziemlich unheimlich gewesen. Zuzutrauen wäre ihm so etwas. Da ich schlecht Luft bekam, schaltete ich die transportable Klimaanlage an und versuchte, langsamer und ruhiger zu atmen. Ich bekam Schweißausbrüche und kurzzeitig wurde mir schwindelig. So etwas passierte schon mal, wenn der Luftdruck sich rapide änderte oder das Wetter umschlug. Manchmal konnte ich so etwas ziemlich gut wegstecken, manchmal aber wurde es richtig unangenehm und ich musste mich besonders schonen. Ich nahm einen tiefen Zug von meinen Inhalator und ging zum Fenster, um es wieder zu schließen. Als ich es erreichte, hörte ich eine leise Stimme, die ein Lied sang… es war die zweite Hälfte des Totengräberliedes:
 

And the worms crawl out, the worms crawl in.

The worms that crawl in are lean and thin,

The ones that crawl out are fat and stout.

Your eyes fall in and your hair falls out.

Your brain comes tumbling down your snout.
 

And the worms crawl in, the worms crawl out,

They crawl all over your dirty snout.

Your chest caves in, your eyes pop out,

And your brain turns to sauerkraut.
 

They invite their friends and their friends too,

They all come down to chew on you.
 

And this is what it is to die,

I hope you had a nice goodbye.

Did you ever think as a hearse goes by,

That you may be the next to die?

And your eyes fall out, and your teeth decay,

And that is the end of a perfect day.
 

Mir schnürte sich die Brust zusammen, ich konnte nicht mehr atmen und ich versuchte um Hilfe zu rufen, als die Vogelscheuche direkt vor dem geöffneten Fenster stand und mir ihre Klingenhände entgegenhielt. Ich bekam keinen Ton raus, ich schnappte nach Luft, doch es kam kein Sauerstoff in die Lunge. Vor Schreck hatte ich einen Asthmaanfall bekommen. Voller Panik griff ich in die Hosentasche und holte den Inhalator heraus, doch da fiel er mir zu Boden und ich schaffte es nicht, ihn aufzuheben. Langsam stieg die Vogelscheuche durch das Fenster und kam mit einem breiten Grinsen auf mich zu. Ihre Zähne waren lang und scharf wie die Reißzähne eines Raubtieres und zwei gelbe monströse Augen rundeten das Gesamtbild des Grotesken ab. Ich fiel über den Hocker, während ich nach hinten stolperte und ich versuchte verzweifelt, Luft zu bekommen. Natürlich war das zwecklos und wenn mir nicht schnell etwas einfiel, würde ich als mit Bonbons ausgestopfte Leiche enden. Meine Lungen schrieen nach Luft, mir wurde schwindelig, trotzdem gelang es mir irgendwie, geistesgegenwärtig genug zu reagieren, um eine Vase nach der Vogelscheuche zu werfen. Sie riss die Arme hoch, in dem Moment griff ich den lebensrettenden Inhalator und nahm einen tiefen, befreienden Atemzug. Kaum bekam ich wieder Luft, rief ich laut um Hilfe. Sofort kam die Vogelscheuche auf mich zu und griff mit ihren Messerhänden nach mir. Schnell und instinktiv riss ich den Arm hoch und schrie vor Schmerz, als die Messer tiefe Wunden rissen. Endlich wurde die Wohnzimmertür geöffnet und Charles kam mit dem Gewehr herein. Er feuerte direkt auf die Vogelscheuche und traf sie mitten in die Brust. Die Wucht riss sie fast von den Füßen, doch sie fing sich sehr gut. Sie taumelte nur ein wenig zurück und brach in ein schallendes Gelächter aus. Charles feuerte daraufhin den zweiten Schuss ab, der sie dieses Mal in den Bauch traf. Dieser war wohl zu viel und so ergriff die Vogelscheuche die Flucht und sprang durch das offen stehende Fenster. „Schatz, geht es dir gut?“ fragte Charles und eilte zu mir. Mir ging es zum Glück gut, doch die vier Schnittwunden, die mir die Vogelscheuche mit den Messerhänden zugefügt hatte, waren tief und bluteten stark. Während mein Mann den Notarzt verständigte, presste ich mir provisorisch ein Taschentuch gegen die Wunde und versuchte, ruhig zu bleiben. Langsam machte ich meine Atemübungen und schaffte es, den Schmerz in meiner Brust abklingen zu lassen. Dann aber erschrak ich, als etwas Kaltes und Glitschiges über meinen Handrücken kroch, welchen ich auf dem Boden abstützte. Es war ein dicker und fetter Wurm. Und er war nicht der Einzige: Auf dem Boden lag überall Kriechgetier herum. Kakerlaken, Tausendfüßler, Spinnen und Asseln… Die waren vorher noch nicht da gewesen. Ob die Vogelscheuche sie hinterlassen hatte?



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  GodOfMischief
2013-10-30T20:39:32+00:00 30.10.2013 21:39
Dein Stil ist so toll und deine Ideen für diese Pastas auch. Sie wirken imm gut durchdacht und das merkt man jetzt auch bei Geschichten, die sich über mehrere Kapitel erstrecken. Wirklich spannend und binnen weniger Minuten in einem Rutsch weggelesen.
Ich finde die Vogelscheuche, die Szene vor dem Pfarrhaus und das Lied erinnern mich ein wenig an Nightmare on Elm Street.
Ich bin schon sehr gespannt auf den nächsten Teil :)

lg
Antwort von:  Sky-
30.10.2013 21:47
Dankeschön für dieses dicke Lob. Ja, ich wollte eine gewisse Verbindung zu Nightmare on Elm Street schaffen, weil ich den allerersten Teil (und damit meine ich den originalen und nicht das verkackte Remake) richtig gut. Diese alten Filme mit Jason und Freddy waren noch die Besten. Ich wollte Jackson auch zuerst Jason nennen, aber dann wären die Parallelen zu Freitag der 13. zu groß gewesen. Ich bin noch ein Fan der alten Schule, auch wenn die Effekte damals noch nicht so ganz ausgereift waren.


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