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Meine Creepypastas

Paranormale (Horror) Geschichten
von

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Scarecrow Jack Teil 1: Homecoming

Seit meiner Kindheit lebte ich in der ländlichen Stadt Annatown in der Nähe einer alten verlassenen Farm. Nach dem plötzlichen Tod meiner Eltern zog ich dort wieder ein, zusammen mit meinem Mann Charles und unserem Sohn Lewis. Aufgrund meines schweren Asthmas vertrage ich die Stadtluft nur sehr schlecht, weshalb mir das Leben auf dem Land doch sehr gelegen kommt. Und da mein Mann als Schriftsteller überall arbeiten kann, gaben wir das Haus in der Stadt auf und zogen hierher. Lewis fand zu meiner Erleichterung schnell Anschluss in der Schule und freundete sich mit den Kindern aus der Nachbarschaft an. Die meisten Eltern kannte ich noch selbst aus meiner Schulzeit und des Öfteren besuchte man sich ja auf eine Tasse Kaffee und bei der Gelegenheit kam Lewis immer mit, damit er jemanden zum Spielen hatte. Wir alle waren glücklich und zufrieden in unserem neuen Heim und sogar Charles’ Schreibblockade war vorbei. Allerdings gab es da etwas, was Lewis Unbehagen bereitete und was mich dazu veranlasste, sein Zimmer zu verlegen: Sein Bett war nämlich direkt neben dem Fenster, von wo aus man das Feld der verlassenen Farm sehen konnte. Denn dort stand noch eine alte Vogelscheuche, die ihm Angst machte. Schon in der ersten Nacht kam er zu uns ins Schlafzimmer gerannt und kroch völlig verängstigt ins Bett. „Hey Lewis, hast du schlecht geträumt?“

„Da ist eine Vogelscheuche vor meinem Fenster!“ flüsterte er und kuschelte sich fest an mich. „Die macht mir Angst.“ Ich ging mit ihm in sein Zimmer zurück und ließ mir die unheimliche Vogelscheuche zeigen, vor der er sich so erschrocken hatte. Dieses Ding stand da schon seit meiner Kindheit und ich hatte sie nur ein Mal aus der Nähe gesehen. Ich erinnerte mich noch gut, wie ich zu meinen Freunden gesagt hatte, dass es die wohl hässlichste Vogelscheuche auf der ganzen Welt war. Sie trug einen schwarzen Mantel mit langen Ärmeln, einen rotschwarz gestreiften Rollkragenpullover, einen Schal und eine alte zerschlissene Jeanshose, dazu schwarze Stiefel, die bis unterhalb der Knie reichten. Auf dem Kopf trug sie einen Lederhut, der einem zusammengefallenen Hexenhut schon fast nahe kam. Das Gesicht war rund und ich weiß noch genau, dass mich besonders das Gesicht erschreckt hatte. Es war ein bösartiges Grinsen und die Nase war ähnlich die einer Karottennase, wie sie bei Schneemännern zu finden waren. Der Mantel der Vogelscheuche reichte ihr bis zu den Füßen und über der Vogelscheuche hing ein altes Holzschild, auf dem „Happy Halloween“ stand. In der linken Hand trug die Vogelscheuche einen Beutel, der wie ein Halloweenkürbis aussah und alte, längst vergammelte Süßigkeiten lagen darin. Mein Vater hatte mir mal erzählt, dass die Vogelscheuche eine alte Halloweenrequisite war, dann aber ihren Weg aufs Feld gefunden hatte, um die Krähen zu verscheuchen. Wir hatten die Vogelscheuche immer „Scarecrow Jack“ genannt und es war ein Brauch in der Gegend, zu Halloween aufs Feld zu gehen, um sich einer Mutprobe zu unterziehen. Welches Kind sich nahe genug an die Vogelscheuche herantraute, durfte sich die Süßigkeiten aus seinem Beutel nehmen. „Du brauchst keine Angst zu haben mein Schatz. Die Vogelscheuche kann dir nichts tun, sie ist zu beschäftigt damit, die Krähen vom Feld zu vertreiben!“

„Aber Mommy…“

„Versuch zu schlafen, ich ziehe die Vorhänge zu, dann siehst du ihn auch nicht mehr.“ Doch auch in den darauf folgenden Nächten kam Lewis zu uns ins Bett, weil er Angst vor Scarecrow Jack hatte. Er bekam Alpträume und machte sogar ins Bett. Charles und ich waren beide der Meinung, dass es das Beste wäre, wenn Lewis woanders sein Zimmer hätte, wo er die Vogelscheuche nicht sehen musste. Dies schien die beste Lösung zu sein und auch Charles war der Meinung, dass dies das Beste wäre, wobei er mich aber beiläufig fragte, warum wir die verdammte Vogelscheuche nicht einfach entfernen könnten. Ich erklärte ihm, dass das nicht ginge, weil die Vogelscheuche auf Privateigentum stand. „Privateigentum?“ fragte er mich irritiert, weil er die ganze Geschichte nicht kannte. „Ich dachte, die Farm wäre längst verlassen.“

„Die Cohans, denen die Farm gehörte, sind über Nacht einfach weggezogen. Im Prinzip gehören ihnen das Grundstück und das Haus also noch. Und damit auch die Vogelscheuche.“

„Na großartig. Dabei ist das komplette Gelände völlig verwildert und die Felder sehen so aus, als könnte man nie wieder dort etwas anbauen. Würde mich nicht wundern, wenn das Haus auch schon total verfallen wäre.“

„Es ist doch alles gut. Lewis hat jetzt ein neues Zimmer und es ist sogar größer als das Alte. Er ist zufrieden und von nun an wird auch endlich Ruhe herrschen.“ Ich setzte mich schließlich auf die Veranda, von wo man aus die Vogelscheuche gut sehen konnte und ich dachte über damals nach. Charles setzte sich zu mir und begann Zeitung zu lesen. „Weißt du, wenn ich die Vogelscheuche so sehe, muss ich immer an damals denken, vor knapp zwanzig Jahren. Ich war zwölf und eines Tages kam ein Junge namens Jack zu uns. Er sah völlig verwildert aus mit seinem schwarzen Haar, weshalb wir ihn immer Scarecrow Jack nannten. Er hatte immer still in der Ecke gesessen und gemalt. Ich glaube, er kam gerade erst in die dritte Klasse.“

„Wie? Dann wurdet ihr alle gemeinsam unterrichtet?“

„Wir leben auf dem Land Liebling. Es gab nie genug Kinder, um sie auf zwei Schulen zu verteilen, deswegen hatten wir auch die Grundschüler bei uns.“ Charles blätterte in der Zeitung und gab ein leises Murmeln von sich, welches ich nicht verstehen konnte. Wahrscheinlich hatte er nur einen Artikel leise für sich kommentiert. Wir saßen eine ganze Weile da und beobachteten, wie der Wind in den Weiden wehte und dunkle Wolken aufzogen. Es würde wohl Gewitter geben. Der Wind nahm an Stärke zu und mir wurde es schließlich zu kalt. Ich ging wieder ins Haus zurück, Charles kam wenige Minuten später ebenfalls rein und vorsorglich wurden alle Fenster verschlossen. Am Abend hatte sich der Himmel bereits so stark verdüstert, dass wir die Lampen anschalten mussten, um überhaupt noch etwas sehen zu können. Mit einem ohrenbetäubenden Donnern, der sogar den Erdboden erzittern ließ, brach das Gewitter über unser kleines Städtchen Annatown herein. Der Regen glich einem einzigen Wolkenbruch, der Sturm schlug heftig gegen die Fensterläden und riss sogar ein paar Bäume heraus. In den Fugen pfiff der Wind wie Gespenstergeheul und Lewis bekam eine solche Angst, dass er bei uns im Bett schlafen wollte, bis das Gewitter vorbei war. Trotzdem schliefen er und sein Vater schnell ein, ich hingegen bekam kein Auge zu. Ich konnte bei diesem Lärm da draußen einfach keine Ruhe finden und ging schließlich ins Wohnzimmer, um ein wenig fernzusehen. Müde und lustlos zappte ich die Programme durch und lauschte dem Rauschen und Pfeifen des Sturmes und dem Regenprasseln. Irgendwann, es war vermutlich gegen drei Uhr morgens, wachte ich urplötzlich auf, als ich ein dumpfes Schlagen zu hören glaubte. Sofort schreckte ich auf und glaubte zuerst, da hätte jemand an der Tür geklopft. Sofort verwarf ich den Gedanken wieder, als ich merkte, dass der Sturm immer noch wütete. Das musste wahrscheinlich ein Fensterladen sein, der gegen die Scheiben schlug. Offenbar hatte sich einer von ihnen gelöst. Müde rieb ich mir die Augen und ging zum Fenster hin, um nachzusehen, doch da hörte ich wieder dieses Klopfen. Dieses Mal klang es aber nicht wie ein Schlagen der Fensterläden an der Hauswand sondern wie das Klopfen einer Hand an der Tür. Mich überkam ein Schauer und ich fuhr hoch. „Charles?“ rief ich und wandte mich der Tür zu, von der das Klopfen kam. Da keine Antwort kam, rief ich „Lewis?“ Immer noch keine Antwort. Es klopfte wieder, dieses Mal lauter als vorher. Ich bekam Angst und wich instinktiv von der Tür zurück. Wer oder was auch immer da klopfte, es waren weder Charles noch Lewis. Ich wartete noch eine Weile und da es still blieb, wagte ich es doch noch, an die Tür zu gehen und zu sehen, wer da war. Doch als ich sie öffnete, war da niemand, nur der dunkle Hausflur. Vielleicht war es nur der Wind… das musste es sein. Ich atmete erleichtert durch und entschloss, ins Bett zu gehen und noch ein wenig zu schlafen. Doch vorher wollte ich noch den Fernseher ausschalten, der immer noch lief. Also ging ich wieder ins Wohnzimmer zurück, nahm die Fernbedienung und schaltete ihn aus. Ein greller Blitz erleuchtete für einen kurzen Augenblick die Nacht und ein lautes Klopfen kam vom Fenster her. Ich drehte mich erschrocken um und sah die Vogelscheuche am Fenster stehen. Sie grinste mich breit mit raubtierhaften spitzen Zähnen an und winkte mir mit einer Hand zu, die mit langen, rasiermesserscharfen Klingen versehen war. Ich schrie vor Entsetzen laut auf und stolperte zurück. Dabei fiel ich über den kleinen Rolltisch und stürzte zu Boden. Charles kam im nächsten Moment ins Wohnzimmer gerannt und half mir hoch. „Liebling, warum hast du so geschrieen?“

„Die Vogelscheuche!“ rief ich hysterisch und hatte solch eine Angst, dass ich mich weinend an ihn klammerte. „Die Vogelscheuche stand am Fenster und hat mir zugewinkt.“ Charles sah zu dem Fenster, jedoch war die Vogelscheuche wieder verschwunden. Mein Mann versuchte mich zu beruhigen und sagte „Du hast bloß schlecht geträumt. Vielleicht hast du auch die Schatten der Bäume für eine Vogelscheuche gehalten.“

„Nein! Sie war es wirklich. Sie hat mich angegrinst und hatte Klingen an den Fingern wie Freddy Krueger.“

„Da ist aber keine und Vogelscheuchen klopfen nicht oder winken einem zu. Leg dich schlafen! Lewis habe ich auch schon in sein Bett gebracht.“ Es hatte keinen Sinn, mit Charles darüber zu diskutieren. Für ihn stand fest, dass ich das Ganze nur geträumt hatte und ich musste wohl oder übel zugeben, dass mein Gerede von einer lebendigen Vogelscheuche vollkommen abwegig und verrückt war. Also gab ich nach und folgte Charles ins Schlafzimmer und legte mich ins Bett. Allerdings konnte ich einfach nicht einschlafen, denn ich war mir hundertprozentig sicher, die Vogelscheuche am Fenster gesehen zu haben. Und solange ich wusste, dass dieses Ding vor unserem Haus sein könnte, würde ich keine Ruhe finden.
 

Gleich am nächsten Morgen sahen wir uns die Schäden des Sturms an und konnten von Glück reden, dass wir so glimpflich davongekommen waren. Lediglich ein paar Schindeln waren vom Dach gerissen worden, ein Blitz hatte den Stamm des Apfelbaums gespalten und der Zaun war kaputt. Aber am Haus schien alles in Ordnung zu sein. Das Einzige, was wir entdeckten, waren Kratzer an Lewis’ Fenster. Charles vermutete, dass herumfliegende Gegenstände die Ursache gewesen sein könnten, aber ich musste wieder an die Vogelscheuche denken. Ich spielte sogar schon mit dem Gedanken, Lewis zu fragen, ob dieses Ding ihm auch zugewinkt oder auch ans Fenster geklopft hatte. Aber ich beschloss, es lieber zu lassen. Ich wollte Lewis keine Angst machen und vielleicht hatte Charles Recht und ich hatte geträumt. Dann wäre dieser Traum aber sehr real gewesen. Als ich dabei zur alten Farm hinübersah, wurde mir ganz anders zumute, als ich die Vogelscheuche da stehen sah. Als hätte der Sturm ihr rein gar nichts angehabt und als wäre sie dort festgewachsen. Während Charles die Reparaturen durchführte, fuhr ich ins Städtchen, um Einkäufe zu tätigen. Da der Supermarkt erst später aufmachte, entschied ich mich, in den kleinen Krämerladen zu gehen, wo meist ein paar meiner alten Schulkameraden zu finden waren. Ich hatte Glück und traf Madison an, meine alte Schulfreundin und begrüßte sie herzlich. „Hey Süße, wie geht es dir denn? Mensch das war ja ein Sturm gestern. Ist bei euch wenigstens alles heil geblieben?“

„Nur ein paar abgerissene Schindeln und ein kaputter Zaun. Und den Apfelbaum hat es leider erwischt.“

„Na da habt ihr noch mal Glück gehabt. Jules ist die Eiche im Garten direkt ins Arbeitszimmer gekracht und hat alles verwüstet. Und bei den Feltons hat es hineingeregnet. Das war aber auch ein heftiger Sturm gewesen. Einfach unfassbar.“

„Stimmt, aber als ich hierhergefahren bin, hab ich gesehen, dass die Vogelscheuche der Cohans noch da steht.“

„Wie? Das kann doch wohl nicht sein. Uns reißt es überall die Bäume raus und schleudert die Autos in die Gräben und ausgerechnet die alte Vogelscheuche bleibt stehen. Jemand muss sie wieder aufgestellt haben, wenn du mich fragst.“

„Das muss wohl so sein. Aber gestern hatte ich echt geglaubt, sie würde vor meinem Fenster stehen und ans Fenster klopfen.“ Als Madison das hörte, ließ sie vor Schreck ihre Tasche fallen und sah mich erschrocken an. Ich war über diese Reaktion sehr überrascht, besonders, als mich alle im Laden mit dem gleichen Blick ansahen. „Habe ich etwas Falsches gesagt?“ Die Leute wichen meinem Blick aus und Madison sah nicht danach aus, als würde sie gerne darüber sprechen. Schließlich aber führte sie mich nach draußen und sah sich um. „Madison, was soll das Theater? Erklär mir das mal.“

„Das war gerade ein echt schlechter Ort, um über so etwas zu sprechen. Aber du kannst es ja nicht wissen, da du ja die letzten Jahre außerhalb von Annatown gelebt hast. Weißt du, es sind schreckliche Dinge geschehen. In den letzten Jahren gab es einige Mordfälle, die bis jetzt noch nicht aufgeklärt werden konnten. Und die Leichen wurden allesamt auf dem Feld vergraben, wo die Vogelscheuche steht.“

„Was willst du mir damit sagen?“

„Ich weiß es auch nicht. Aber es gibt hier einige, die fest davon überzeugt sind, dass die Vogelscheuche hier herumschleiche. Mit der Zeit hat sich hier so ein gewisser Aberglaube breit gemacht.“ Mir wurde ganz anders, als Madison mir das erzählte und obwohl ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, konnte ich meine Verunsicherung kaum verbergen. „Aber… das ist doch unmöglich. Ich meine, Vogelscheuchen können doch nicht zum Leben erwachen.“ Madison zuckte mit den Achseln und sah unsicher zur Seite, um meinem Blick auszuweichen. „Du hast es ja nicht miterlebt. Zuerst dachte ich ja auch, dass es das Hirngespinst eines Säufers ist, aber sogar Thomas hat sie gesehen. Der Pfarrer spielt auch schon verrückt.“ Wir schwiegen eine Weile und ich spürte, dass da noch etwas auf Madisons Seele lastete. Doch sie schien nicht darüber sprechen zu wollen, weshalb ich auch nicht weiter nachfragte. Da wir noch ein wenig miteinander reden wollten, gingen wir ein Stück gemeinsam und ich erzählte von meiner Zeit, als ich Annatown verlassen hatte. Wir machten schließlich einen Spaziergang und gingen eine steile Anhöhe hinauf, von welcher ich aus den Wald sehen konnte. Seit dem Brand vor zwanzig Jahren war er eigentlich nur noch eine traurig kahle Einöde, in der nichts mehr wuchs. Dabei hatten wir früher gerne dort gespielt. „Erinnerst du dich noch an den Abend, als der Brand ausgebrochen war?“

„Oh ja, das war schon ziemlich schlimm. Die ganze Stadt musste evakuiert werden und es gab ein fürchterliches Chaos. Zum Glück war niemand zu Schaden gekommen.“

„Nun ja, niemand außer Scarecrow Jack.“ Madison zuckte bei diesem Namen zusammen und sah mich erschrocken an. Ich verstand diese Reaktion nicht und erklärte „Na erinnerst du dich nicht an diesen unheimlichen Jungen, der immer so seltsame Sachen in der Schule gemalt hat? Er war doch im Wald, als es passierte.“ „Ach ja, stimmt. Den hatte ich ja beinahe vergessen. Scarecrow Jack… hieß der nicht eigentlich Jackson Cohan?“ Der Name kam mir vertraut vor, allerdings konnte ich mich beim besten Willen nicht daran erinnern, dass die Cohans jemals Kinder hatten. „War er etwa der Sohn der Cohans?“

„Nein, der Neffe. Das Jugendamt hatte ihn dort untergebracht. Ich fand ihn immer schon etwas unheimlich. Er hat ja auch immer wie eine Vogelscheuche ausgesehen mit diesem langen schwarzen Haar und den alten Klamotten.“ Wir gingen schließlich weiter und erledigten im Supermarkt die Einkäufe. Anschließend kehrte ich nach Hause zurück, wo Charles mit Lewis beschäftigt war, den Zaun zu reparieren. Mein Blick wandte sich zum alten Feld der Cohans, wo diese unheilvolle Vogelscheuche stand. Sie bewegte sich im Wind ein wenig hin und her, grinste mich an und hielt in der einen Hand diesen Halloweenkürbisbeutel mit den Süßigkeiten drin. Auch das Schild, auf dem mit roter Farbe „Happy Halloween“ geschrieben stand, war vom Unwetter verschont geblieben. Mir wurde ganz anders, als ich dieses hässliche Ding sah und ging einfach weiter. Die Vogelscheuche drehte ihren Kopf ganz langsam in meine Richtung. Als ich das sah, ergriff ich die Flucht und traute mich den Rest des Tages nicht mehr aus dem Haus. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass mich die Vogelscheuche beobachtete und mich böse angrinste. Zum Glück blieben wir von einem erneuten Gewitter verschont, sodass Lewis in seinem eigenen Bett schlafen konnte. Charles und ich lagen eng aneinandergekuschelt und ich spürte, wie müde ich eigentlich war. Langsam fielen mir die Augen zu und in den Armen des Mannes, den ich liebte und den ich kurz vor Lewis’ Geburt geheiratet hatte, fühlte ich mich sicher. Irgendwann in der Nacht jedoch hörte ich, wie leise die Zimmertür geöffnet wurde und Lewis auf Socken hereinkam. „Dad“ sagte er leise und ich hörte, dass er etwas unruhig war. „Die Vogelscheuche ist an meinem Fenster und ich habe Angst!“ Normalerweise wäre ich sofort aufgestanden, aber ich fühlte mich einfach viel zu müde und erschöpft, als dass ich hätte aufstehen können. Also stand stattdessen Charles auf und sah nach. Da die Tür offen stand, konnte ich deutlich hören, wie er beruhigend auf seinen Sohn einredete und ihm erklärte, dass da gar keine Vogelscheuche stand und Lewis wahrscheinlich nur die Schatten der Äste gesehen hätte. Schließlich wurde die Zimmertür geschlossen, aber Charles Schritte verschwanden in Richtung Bad. Ich drehte mich müde zur Seite und war nach kurzer Zeit eingeschlafen.

Ein lauter Schrei riss mich schließlich aus dem Schlaf und Charles und ich eilten beide zu Lewis, da wir glaubten, es sei etwas Schlimmes passiert. Unser Sohn saß aufrecht im Bett, die Augen vor Angst geweitet und er zitterte am ganzen Körper. Ich eilte direkt zu ihm, nahm ihn in den Arm und versuchte, ihn zu beruhigen. „Mommy“ rief Lewis ganz aufgeregt. „Die Vogelscheuche stand an meinem Bett!“

„Jetzt reicht es aber langsam“, sagte Charles schließlich und schaltete das Licht an. „Morgen früh kommt das verdammte Ding weg, ganz egal wem sie gehört.“ Lewis weigerte sich, in dieser Nacht alleine zu schlafen und so gingen wir zusammen mit unserem Sohn ins Schlafzimmer. Als ich mich ins Bett legen wollte, bemerkte ich, dass meine Fußsohlen ganz schmutzig waren und sogar ein wenig Erde daran klebte. Ich wies Charles per Gestik an, mit mir auf den Flur zu gehen und gemeinsam ging ich mit ihm in Lewis’ Zimmer zurück. Als wir uns den Boden genauer ansahen, bemerkten wir, dass da tatsächlich etwas Dreck war. Instinktiv ergriff ich seinen Arm und sah ihn angsterfüllt an. „Schatz, da war jemand in Lewis’ Zimmer! Jemand schleicht hier durchs Haus!“ Während ich bei unserem Sohn bleiben sollte, ging Charles durchs Haus und suchte nach Hinweisen darauf, dass jemand eingebrochen war. Doch Türen und Fenster waren verschlossen und es befand sich auch niemand mehr im Haus. Aber wie sonst konnte die Vogelscheuche hereingekommen sein? Wurde ich langsam verrückt und stammte der Dreck gar nicht von einem Einbrecher sondern von uns? Vielleicht hatte Lewis vergessen, die Schuhe auszuziehen und ich hatte das nicht bemerkt. Das war auch gut möglich. Wurde ich langsam paranoid? Ich versuchte, mir einzureden, dass das alles völliger Unsinn war. Es gab keine Vogelscheuchen, die plötzlich lebendig wurden. Wir lebten doch nicht mehr im finstersten Mittelalter, wo man vielleicht an so etwas wie Teufelswerk geglaubt hätte, aber wir leben im Zeitalter der Wissenschaft und so etwas wie paranomale Aktivitäten war völlig an den Haaren herbeigezogen. Trotzdem hatte ich jedes Mal furchtbare Angst, wenn ich die Vogelscheuche sah.

Am darauf folgenden Tag beschloss Charles, seine Drohung wahr zu machen und er ging zur verlassenen Cohan Farm, mit dem Ziel, die Vogelscheuche endlich loszuwerden. Lewis war in der Schule, also ging ich mit, um auch selbst Gewissheit zu haben. Wir kletterten über den völlig maroden Zaun und sahen, wie die Vogelscheuche sich langsam im Winde hin und her bewegte. Noch nie in meinem Leben hatte ich solch ein unheimliches und zugleich so abscheuliches Ding gesehen. Früher hatte ich sie nicht so schlimm in Erinnerung gehabt aber jetzt sah sie aus, als sei sie aus den Tiefen der Hölle emporgestiegen. Charles war das Ding ebenfalls nicht ganz geheuer, trotzdem ging er näher hin und sah sie sich genauer an. Schließlich begutachtete er den Süßigkeitenbeutel, der stets gefüllt war. In diesem Moment erschien es mir nicht mehr ein harmloser Halloweenbrauch oder eine Mutprobe zu sein. Die Vogelscheuche mit den Süßigkeiten zu sehen, erinnerte mich irgendwie an einen Kinderschänder, der seine Opfer mit Bonbons in ihr Verderben lockte. Ich erschauderte bei dem Gedanken und sagte zu Charles „Mach bitte schnell“. Charles packte die Vogelscheuche an den Stangen und zog sie aus dem Boden heraus. Dabei schaukelte sie so heftig hin und her, dass ihr der Kopf abfiel, auf den verdorrten Feldboden fiel und mir vor die Füße rollte. Vorsichtig und mit der wilden Fantasie im Hinterkopf, der Kopf könnte zum Leben erwachen und mir die Hand abbeißen, hob ich das Ding hoch und schrie entsetzt auf, als aus dem Stoffkopf ein verrotteter menschlicher Kopf fiel. Charles wurde leichenblass und sah sich den Rest der Vogelscheuche genauer an. Auch er schrie auf, als er den Rest der Leiche fand. Sie war völlig vertrocknet und schon fast mumifiziert. Lediglich die Kleider und die Stangen hatten das verrottete Ding zusammengehalten. Irgendjemand hatte eine Leiche als Vogelscheuche getarnt. Wir riefen sofort die Polizei, die unsere Aussagen aufnahmen und die Leiche zur Autopsie brachten. Zwar konnten sie noch nichts Genaues sagen, aber nach ihren Aussagen musste die Leiche schon mehr als zwanzig alt sein. Was aber in meinen Augen noch mehr Anlass zur Beunruhigung gab, war die Tatsache, dass die Süßigkeiten in dem Beutel nicht älter als zwei Tage sein konnten. Denn sie waren noch ganz frisch und waren auch nicht durch das Regenwasser des Sturms verklebt. Irgendjemand musste die Süßigkeiten in den Beutel getan haben. Vielleicht… vielleicht war es ja auch die Vogelscheuche selbst?


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hier ist als kleiner Einstieg schon mal der erste Teil meines Halloween Specials. Wer belesen ist, wird schnell merken, dass hier sehr viele Anspielungen auf Edgar Allan Poes Gedicht "Der Rabe" zu finden sind (Der Wind, die Fensterläden, das Klopfen an der Tür). Das geschah eigentlich eher unbewusst und erst später hab ich die Gemeinsamkeiten festgestellt. Aber ehrlich gesagt, stört mich das nicht im Geringsten. Ich finde "Der Rabe" klasse, so wie auch alle anderen Werke von Poe. So, ich hoffe, ihr habt viel Spaß beim Lesen, der Rest folgt ab dem 31. Oktober! Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Fearless15
2013-10-21T14:37:09+00:00 21.10.2013 16:37
Oh mein Gott... Das ist richtig gruselig. In der Nähe unserer Grundschule ist ein Bauernhof. Dort steht auch so eine Vogelscheuche aber die sieht Gott sei dank nicht so creepy aus.
Von:  Lyrael_White
2013-10-21T14:31:03+00:00 21.10.2013 16:31
Brrr....mir läuft es jetzt schon kalt den Rücken herunter. Der Wind, die Fensterläden und das Klopfen sind generel denke ich ein beliebtes Mittel um Atmosphäre aufzubauen (nichts ist so unheimlich wie diese Geräusche, die scheinbar keinen Ursprunge haben, weil da niemand ist, was ich am eigenen Leib feststellen durfte)und bei dem gestreiften Pullover musste direkt ich an Herrn Krueger denken, der ja später auch noch erwähnt wurde. Ich bin sehr gespannt auf den zweiten Teil und besonders interessiert mich wer der arme Tropf ist, der da in die Scheuche gepackt wurde.

Was mir aufgefallen ist, im ersten Absatz verwendest du in zwei Sätzen hintereinander das Wort „nämlich“, das ist an sich nicht schlimm, liest sich aber für mich etwas unbeholfen. Später in einem anderen Satz ist nochmal dasselbe mit „Fenster“ (da allerdings zweimal in einem Satz), an der Stelle könnte man das aber sehr gut umformulieren, zum Beispiel mit "daran".
Antwort von:  Sky-
21.10.2013 17:37
Danke für den Tipp, wurde sofort korrigiert. Zwar hab ich schon mal Korrektur gelesen, aber man sagt ja, vier Augen sehen mehr als zwei!


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