Zum Inhalt der Seite

Still alive...

...but I need someone to help me breathing
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

-1-

Hilflos und so schnell wie nie rannte der junge Mann durch die Straßen. Er musste das Krankenhaus so schnell wie nur irgendwie möglich erreichen. Er musste herausfinden, was passiert war.

Es war der 8. Dezember. Vor vielleicht zehn Minuten hatte er den erschreckenden Anruf bekommen und war danach direkt aus der Wohnung gerannt. Was seine Nachbarin ihm hinterher gerufen hatte, war egal gewesen, ebenso wie die Frage seiner Mutter, wo er den hinwollte. So ziemlich alles war ihm egal, aber er nicht.

Diese Person, die ihm nicht egal war, war für ihn wie sein Leben. Und er wusste nicht, was passiert war, aber sein Leben war dabei zu zerbrechen.

Die kalte Luft brannte in seinen Lungen, sorgte so dafür, dass er nicht mehr richtig atmen konnte, aber er zwang sich, weiterzulaufen. Es konnte eigentlich auch nicht mehr weit sein. Vielleicht würde man ihm dort ja auch erklären, dass der Mensch, den er über alles liebte, wieder ganz gesund werden würde. Vielleicht war das alles nur ein blöder Scherz gewesen. Aber vielleicht musste er das Leben auch so nehmen, wie es war. Und der Tod gehörte dazu.

Ohne die Tür oder die Menschen wirklich zu beachten, stürmte er in das Krankenhaus. Zweiter Stock, Zimmer 238, das hatte er bei dem kurzen Telefonat erfahren. Der Fahrstuhl war zu langsam, also rannte er die Stufen herauf, stolperte einmal und stürzte dabei fast, fing sich aber gerade noch rechtzeitig wieder und lief weiter. Es kam ihm vor wie eine Ewigkeit, bis er das Zimmer erreichte und vor der Tür stehenblieb, um ein wenig zu Atem zu kommen.

Plötzlich zweifelte er aber. Was erwartete ihn hinter dieser Tür? Die Wahrheit, ja, aber er war sich nicht mehr sicher, ob er diese überhaupt wissen wollte. Fast vier Jahre seines Lebens, in denen er glücklich gewesen war, könnten sich in schmerzhafte Erinnerungen verwandeln. Aber hatte er eine Wahl?

Unsicher drückte er die Türklinke hinab und betrat den Raum. „Shou!“ Mit wenigen Schritten stand er neben dem Bett und strich seinem Freund über die Wange.

„Ich bin froh, dass du da bist, Saga“, meinte Angesprochener traurig lächelnd.

Der Schwarzhaarige zog sich einen Stuhl heran und ließ sich darauf sinken, wandte aber keine Sekunde den Blick von dem Älteren ab, wobei er die Schläuche ausblendete. „Shou, was...“, begann er, brachte den Satz aber nicht zu Ende, sondern nahm eine Hand seines Freundes in seine. „Was geht hier vor?“, fragte er letztendlich doch.

„Es tut mir leid“, erwiderte Shou nur reumütig. „Ich... Ich wusste, dass dieser Tag kommen würde, aber... Saga, es tut mir so unendlich leid.“ Eine Träne lief über seine Wange.

Behutsam strich der Kleinere diese weg. „Was tut dir leid?“, fragte er flüsternd.

„Ich... Warum ist das so schwer?“ Ein leises Schluchzen schüttelte den schlanken Körper, gefolgt von einem leichten Husten.

Beruhigend küsste Saga seinen Freund, streichelte danach dessen Hand, während er auf die Erklärung wartete.

„Ich... bin krank. Bestimmt schon seit 15 Jahren. Niemand weiß genau, was es ist, und niemand weiß, was dagegen hilft.“ Wieder schluchzte der Liegende. „Es hat mich nie eingeschränkt, und ich weiß, dass man es mir nicht angemerkt hat, aber... seit ich von der Krankheit weiß, weiß ich auch, dass ich daran sterben werde.“

Saga schüttelte heftig den Kopf. Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. Und trotzdem spürte er, dass es die Wahrheit war, so wie er spürte, dass etwas in ihm zerbrach und etwas Feuchtes über seine Wange lief. „Lüg mich nicht an, Shou“, bat er und atmete tief durch.

„Ich würde mir wünschen, dass ich lügen würde, aber es ist wahr. Damals meinten die Ärzte, dass ich auf gar keinen Fall älter als 25 werden würde, und dass es schon an ein Wunder grenzen würde, wenn ich 21 würde. Ich bin 22, meine Zeit ist eigentlich seit eineinhalb Jahren abgelaufen und... Verdammt, teilweise habe ich selbst vergessen, dass ich diese Krankheit habe!“

Wieder schüttelte Saga nur den Kopf. Das konnte nicht mehr als ein böser Albtraum sein. Am Morgen würde er aufwachen und Shou würde vielleicht sogar neben ihm liegen. Sie würde frühstücken und einfach tun, was sie wollten.

„Die letzten Jahre... mit dir waren die schönsten überhaupt. Es tut mir wirklich so leid, dass ich es dir nicht früher erzählt habe, aber ich wollte dich nicht verlieren!“, erklärte der Ältere nachdrücklich und biss sich auf die Unterlippe.

Wie in Trance saß der Schwarzhaarige neben dem Bett und sah aus dem Fenster. Sein Verstand war nicht dazu in der Lage, die Situation so schnell zu erfassen wie sein Herz es getan hatte. Er würde Shou verlieren, für immer, das war, was es ihm zu vermitteln versuchte. „Du... Shou, verflucht, du darfst nicht gehen! Du darfst mich nicht allein lassen! Was soll ich denn ohne dich machen?!“, brach es plötzlich aus ihm heraus. Er weinte nicht, fühlte sich dazu gar nicht in der Lage, aber die Verzweiflung sprach aus ihm.

„Ich will doch auch nicht sterben, ich will dich nicht allein hierlassen, ich liebe dich doch auch! Aber niemand kann etwas daran ändern...“

„Du hättest mit mir reden können“, flüsterte Saga und legte seine Stirn an seine Hände, die noch immer Shous hielten. „Ich hätte dich doch nicht verlassen. Wir hätten einen Weg gefunden, ganz sicher.“ Angestrengt atmete er gleichmäßig ein und aus, bemühte sich gleichzeitig seine Gefühle im Zaum zu halten.

„Es gibt keine Lösung“, flüsterte Shou zurück und strich Saga über den Kopf. „Mit jedem Tag, der vergangen ist, bin ich ein bisschen mehr gestorben. Sogar jede Stunde bringt mich, seit ich diese Krankheit habe, näher an meinen Tod. Und niemand außer mir und meinen Eltern wusste davon.“

„Warum?“ Hilfesuchend sah Saga den Größeren an. „Du weißt, dass ich dich liebe. Erkläre mir, weshalb ich davon nichts wissen sollte.“

Gefragter sah an die Zimmerdecke. „Ich wollte nicht, dass du mich anders behandelst. Es war immer gut so gewesen wie es war, und ich habe jede Sekunde genossen. Saga, ich habe nicht eine Sekunde meines Lebens verschwendet“, ernst wandte er sich wieder seinem Freund zu, „und ich bereue nichts. Sicher haben wir viel Mist gebaut, aber ich will nicht einen Moment vergessen und nicht eine Bestrafung vermeiden. Ich würde sogar behaupten, dass ich eben wegen meiner Krankheit jeden Tag nur umso mehr genossen habe, und jeden Morgen habe ich mich gefreut, dass ich aufgewacht bin und einen Tag mehr mit dir hatte.“

„Shou, hör auf! Ich heule gleich, wenn du so weitermachst!“ So fest wie möglich sah Saga seinen Freund an, der ihm lächelnd über die Wange strich.

„Dann heulen wir zusammen, weil wir die Zeit nicht zurück haben können. Ich danke dir, Schatz, dass du die letzten Jahre bei mir warst, aber das ist vorbei.“

„Wie lange?“, fragte der Jüngere fast tonlos.

„Das weiß niemand so genau. Durch die Krankheit werde ich müde, und so lange ich mich wach halten kann, bleibe ich am Leben. Ich werde gar nichts merken, mach dir keine Sorgen.“

„Das ist nicht fair!“ Hoffnungslos senkte Saga den Blick. „Warum du? Einer der besten, hübschesten, klügsten und hilfsbereitesten Menschen, die ich kenne? Und warum jetzt? Was wird aus unseren Träumen? Ich verstehe das nicht...“

„Es gibt Vieles, das man nicht versteht. Und hätte es mich nicht getroffen, dann einen anderen, das wäre auch nicht besser gewesen. Jeder Mensch hat jemanden, der ihn liebt. Was glaubst du, wie viele ihren Geliebten verlieren? Und unsere Träume... Darf ich dich um etwas bitten?“

Der Schwarzhaarige nickte. „Alles“, flüsterte er knapp und sah seinen Freund an.

„Okay. Also: Ich will, dass du weiterlebst. Du wirst jemanden finden, der mich vielleicht nicht ersetzen kann, der aber meinen Platz in deinem Leben und deinem Herzen einnehmen wird. Ich werde von dort, wo ich hinkomme, als Schutzengel über dich wachen. Und ich will, dass du unsere Träume wahr werden lässt.“

Heftig schüttelte Saga den Kopf. „Selbst wenn ich weitermache, niemand wird deinen Platz einnehmen, zumindest wirst du immer einen Platz in meinem Herzen haben.“

„Mach es uns nicht noch schwerer“, bat Shou und schloss die Augen kurz, atmete zittrig ein und aus. „Und... Versprichst du mir, jetzt bei mir zu bleiben, bis es vorbei ist?“

„Bis zum Ende“, schwor der Jüngere und küsste ihn auf die Stirn. „Ich weiß, dass ich es dir nicht oft genug gesagt habe, weil ich einfach nicht gut darin bin, aber... Ich liebe dich, Shou. Und wenn du es willst, werde ich weitermachen.“

Der Braunhaarige nickte. „Das ist gut. Meine Eltern waren auch schon hier, aber sie waren mir keine Hilfe. Meine Mutter ist nur am Weinen und mein Vater tröstet sie. Und dabei ist diese letzte Etappe meines Lebens schon so schwer genug. Saga, bitte, trauere nicht zu sehr um mich, aber vergiss mich nie. Wir werden uns wiedersehen.“

Der Jüngere schloss die Augen und atmete tief durch, während er den Worten seines Freundes lauschte. Es hatte etwas Beruhigendes, aber gleichzeitig tat es einfach nur weh.

„Ich werde, wenn deine Zeit abgelaufen ist“, fuhr der Brünette fort, „dabei sein und dir Halt geben. Ganz sicher.“

„Ich glaube dir und ich zähle darauf. Und ich schwöre, dass ich dich niemals vergessen werde.“ Entschlossen sah Saga seinen Freund an. Er würde Shou nicht vergessen, weil er sicher war, dass er nie wieder jemanden so sehr lieben könnte. Und auch, wenn er nicht zu sehr trauern sollte, etwas in seinem Leben war nach Shous Tod zerstört. Aber er wollte nicht daran denken. „Kannst du dich noch daran erinnern, wie wir damals auf dieser kleinen Brücke im Park standen, der Wind die Kirschblüten um uns herum geweht hat und du mir gesagt hast, dass du mich liebst?“, lenkte er ab.

„Klar. Mein Herz hat geklopft wie verrückt“, beantwortete Shou die Frage und lächelte ihn liebevoll an. „Das war einer der aufregendsten Tage überhaupt. Und als du mich geküsst hast, hatte ich das Gefühl mein Herz wollte aus meiner Brust springen. Aber es war so ein schöner Tag. Wenn wir uns gestritten hatten, habe ich immer wieder an diesen Tag gedacht. Ich denke aber, dass es solche Tage sind, die ein Mensch nie vergisst.“

„Und weißt du noch, als es mir so dreckig ging und du für mich gesungen hast? Nur dadurch hast du alles wieder gut gemacht und mich aufgefangen.“

Der Größere nickte und strich ihm über die Wange. „Deswegen habe ich meinen Eltern auch schon ein Geschenk für dich gegeben, damit du dich immer daran erinnern kannst. Versprich mir, dass du es in den nächsten Tagen bei ihnen abholst.“

„Hoch und heilig versprochen. Denkst du, du könntest jetzt noch für mich singen?“, fragte Saga vorsichtig nach. Er war sich nicht sicher, wie weit Shous Kraft noch reichte, aber dem fröhlichen Glitzern in dessen Augen nach zu urteilen, war sie noch da. „Schließ die Augen!“, forderte der Liegende, und Saga gehorchte.
 

Nagareochiru kioku

Erinnerungen, die hinab fließen

Yagate kawa ni nari umi e

Sie werden bald zu einem Fluss zum Meer
 

Keiseishiteyuku youso

Die Elemente, die Formen annehmen

Ikutsu mo no ai kotoba

Die vielen Worte der Liebe

Ikutsu mo no kizu gisei

Die vielen Opfer und Wunden
 

I'm falling down to the dark but I can't say goodbye to you

Ich falle in die Dunkelheit, aber ich kann dir nicht Lebewohl sagen,

Searching for own pieces

Auf der Suche nach eigenen Stücken
 

Suroo ni utsuru katei

Der Prozess, der langsam widerspiegelt

Tsumikasanaru ishi kibou

Bestimmtheit und Hoffnung sammeln sich an
 

Eranda no wo michi jyanaku

Was wir auswählen, ist nicht der Weg

Oshietekureta tomo to

Mit den Freunden, die uns belehren

Mirai wo negau chikai

Wir hoffen auf die Zukunft und den Schwur
 

I'm falling down to the dark but I can't say goodbye to you

Ich falle in die Dunkelheit, aber ich kann dir nicht Lebewohl sagen,

Searching for own pieces

Auf der Suche nach eigenen Stücken
 

Namida ochiyuku toki nuguenakatta mono wa yasuragi ni mo nita iroasenai ao no hibi

Wenn Tränen vergossen werden, sind die Dinge, die nicht weggewischt werden können, die blauen Tage, ähnliche Ruhe, die nicht verschwindet

Dakara, boku wa boku no mama de kimi to ikiyou. Itanamu kizu wa nai tosugita ano sora e

Das ist, weshalb ich mit dir lebe, wie ich bin. Es gibt keine Wunden, die nicht schmerzen auf dem Weg zum Himmel, der zu weit weg war.
 

I'll be with you, kimi ga nozomu towa no saki made

Ich werde bei dir sein, bis über die Ewigkeit, die du dir wünschst hinaus
 

Boku wa umareshiki no owari wo shiru

Ich wurde geboren, und am Ende der vier Jahreszeiten kenne ich

Gareki no naka kara saku hana

Die Blume inmitten des Gerölls
 

Mawari meguru aoki hoshi no katasumi de ochiteyuku shizuku dare ni mo shirarezu ni

An der Ecke der rotierenden blauen Sterne fallen Scherben, ohne von jemandem erkannt zu werden

Dakara, boku wa boku no mama de kimi to ikiyou. Utsukushiku moeta namida ga kawaku made.

Das ist, weshalb ich mit dir lebe, wie ich bin. Bis die Tränen, die auf schöne Weise gebrannt haben, vertrocknen
 

Hitori, ushuu to iu orugooru ga naiteru

Allein die Box spricht aus, dass das Universum weint

Dakara, boku wa boku no mama de kimi to ikiyou

Das ist, weshalb ich mit dir lebe wie ich bin
 

I'll be with you, kimi ga nozomu towa no seki made

Ich werde bei dir sein, bis über die Ewigkeit, die du dir wünschst, hinaus
 

„Shou... Danke.“ Saga öffnete die Augen wieder und wischte sich öglichst unauffällig darüber. „Danke für alles, was du für mich getan und mir gezeigt hast. Und für alles, was du mir gegeben hast.“

Der Ältere nickte. „Das kann ich nur zurückgeben. Danke für die beste Zeit meines Lebens, auch wenn sie kurz war.“

Der Schwarzhaarige seufzte traurig und musterte seinen Freund, der zwar glücklich aber schon sehr erschöpft wirkte. Automatisch musste er schlucken. Wenn Shou die Augen schloss, um zu schlafen, würde er nie wieder aufwachen.

„Saga, weine nicht, weil es vorbei ist, sondern lächle, weil es so schön war. Ich muss sterben und trotzdem kann ich lächeln“, versuchte der Größere ihn etwas aufzuheitern. „Es ist nicht zu wenig Zeit, die wir haben, sondern zu viel Zeit, die wir nicht nutzen. Ich habe jeden Augenblick genutzt.“ Er konnte ein Gähnen nicht mehr unterdrücken.

Wieder schluckte Saga. „Du bist müde, Shou. Dann... schlafe.“

„Du weißt, was du da forderst. Ich will so lange wach bleiben, wie ich kann“, erwiderte der Braunhaarige.

„Du kannst es eh nicht verhindern, und ich will nicht, dass du dich quältst.“

„Das geht schon noch. Zwar schwächt die Krankheit sehr, aber mindestens eine halbe Stunde will ich noch durchhalten.“ Entschlossen sah der Ältere ihn an.

„Wieso? Das ist streng genommen Schwachsinn.“

„Nicht für mich. In einer halben Stunde ist morgen. Das heißt, ich habe wieder einen Tag mehr gelebt.“

Verständnisvoll nickte Saga und begann, Shou mit einer Hand durch die Haare zu streichen, hielt die andere weiter mit dessen verschränkt. Das monotone Piepen, dass den Herzschlag des Größeren anzeigte, war neben ihren Atemzügen und dem Ticken der Uhr das einzige Geräusch.

Saga wusste, dass er nur noch dort sein durfte, weil alle wussten, dass Shou den nächsten Morgen nicht mehr erleben würde. Er musste gegen seine Gefühlte ankämpfen und stark sein, zumindest noch, denn die Uhrzeiger näherten sich der Zwölf. Am Liebsten hätte er sie zurückgestellt, aber er spürte, wie die Kraft aus dem schlanken Körper wich.

Als der leise Gong der Uhr ertönte, schloss er hoffnungslos die Augen. Der nächste Tag hatte begonnen.

„Saga“, murmelte Shou, „küss mich bitte noch ein Mal.“

Der Schwarzhaarige nickte und legte seine Lippen sanft auf die seines Freundes. Es war nur kurz, weil Shou am Ende seiner Kraft war, aber es reichte, damit dass Piepen sich beschleunigte.

Als Saga sich von dem Älteren löste, schien dieser friedlich lächelnd zu schlafen. Nur der durchgehende Piepton verriet, dass Saga gerade alles verloren hatte, das ihm wirklich wichtig gewesen war.
 

_________________________________________________________________________________
 

*schnief*

*selber beim Schreiben geheult hat*

*beim Abtippen wieder fast geheult hat*

Entweder bin ich überemotional oder das Kapitel an sich ist viel zu dramatisch geworden. T^T
 

Wie dem auch sei, viel zu sagen bleibt mir erstmal nicht, zumindest nicht zu dem Kapitel, und ehrlich... Ich bin froh, dass ich das Ende kenne.

Der vorkommende Song... Wie dem fleißigen Alice Nine-Hörer vielleicht auffällt, gehört der zu 'Waterfall': http://www.youtube.com/watch?v=q1uaNK7G2PY

Bei der Übersetzung auf Deutsch lasse ich mich gern eines besseren belehren. Ich kann zwar eigentlich recht gutes Englisch (und ich hab's mit einer englischen Übersetzung gemacht), aber es können Fehler enthalten sein. Die englische Übersetzung findet man hier: http://wareta.net/akatsuki/a9/lyrics/71.html
 

Diese Fanfic war die Erste, die ich für den Wettbewerb einreichen wollte, und ursprünglich sollte sie meine einzige werden, bis ich mich dann entschieden habe, noch eine zweite, kürzere einzuschieben.

Da es eine Begrenzung von 4000 Wörtern pro Kapitel gibt, kann es durchaus sein, dass ich mal kein Platz mehr für ein Vor- oder Nachwort habe.

Die Idee hierzu... ist beim 'King of the Road' zocken gekommen. So richtig schönes LKW-Spiel, das mein Papa mir früher mal geschenkt hatte und auf das ich da mal wieder richtig Bock hatte, und dann diese Idee. An dem Nachmittag habe ich noch... vier Stunden damit verbracht, dieses Kapitel zu schreiben.

Ja, meine Ideen kommen in den unmöglichsten Situationen.
 

Die nächsten Kapitel kommen in den Herbstferien, d.h., dass dieses Kapitel nur als kleine Einstimmung gedacht ist. Und um die Wartezeit etwas zu versüßen.
 

Und für die, die Pirate's Dream kennen: Seit ich diese Fanfic abgeschlossen habe, schreibe ich am zweiten Teil dazu. Streng genommen war diese Fanfic Schuld, dass es sich verzögert hat, aber auch nur zwei Wochen, also... Schwamm drüber.
 

Bis zum nächsten Kapitel!
 

Hikari

-2-

Ich weiß, es hat gedauert, aber ab jetzt wird es schneller vorangehen. Hoffe ich. Nein, weiß ich.
 

Ein großes DANKE an meine Kommischreiber. Ich weiß zwar bei einigen nicht unbedingt, was ich dazu schreiben soll. Nur vielen lieben Dank. 8 Kommentare auf ein Kapitel sind eine Menge. *-* *alle anherz* Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, das ist Bestleistung bisher. xD

Und ich freue mich, dass ich nicht als einzige Probleme mit dem Kapitel hatte. Beim Schreiben saß ich mit einem Taschentuch in der Hand. Und ich dachte, ich wäre eventuell nur überemotional. D:
 

Na ja, zu diesem Kapitel. Es schließt eben Mitte April 2011 an, die Zeit dazwischen wird, wenn überhaupt, immer nur grob geschildert. Und es sind eigentlich alle... na ja, fast alle unten genannten Charaktere bisher dabei. Abgesehen von Yuhma, aber der kommt noch.^^'

Was mir beim Abtippen aufgefallen ist, waren verdammt viele Absätze. o_o Woher auch immer die kommen, aber ich hatte mir vorgenommen, so viel wie möglich in ein Kapitel zu packen. Und na ja, dann kam das eben so. *hust*
 

Viel Spaß bei diesem Kapitel! Ich denke, es wird nicht mehr ganz so einen traurigen Faktor haben. Finde ich zumindest. *hust*
 

Bis zum nächsten!
 

Hikari
 

P.S. Auch hier nochmal eine kleine Werbung zu meinem bisher einzigen Fanart. Ich hoffe zumindest auf ein kurzes Feedback. ^.~ http://animexx.onlinewelten.com/fanart/zeichner/557609/1924717/
 

_________________________________________________________________________________
 

Still stand der Schwarzhaarige auf der kleinen Brücke und sah in das Wasser. Es war Mitte April geworden, eigentlich eine schöne Zeit, aber das Land war vor einem Monat von schrecklichen Ereignissen erschüttert worden, und auch einige seiner Verwandten waren dort gewesen, zwei von ihnen sogar tot beziehungsweise verschwunden, aber es ließ ihn kalt. Er lebte nicht mehr wirklich, er war eine Hülle, ein Körper, der nicht mehr in der Lage war, glücklich zu sein. Seit vier Monaten.

So lange existierte Saga nur noch. Es war kein richtiges Leben, aber er bemühte sich, Shous Wunsch zu erfüllen. Seine Familie, seine Freunde und seine Mitstudenten machten sich Sorgen, aber er beteuerte immer, dass alles gut wäre.

Nur war nichts gut. Die Woche direkt nach dem Tod seines Freundes hatte er nur im Bett gelegen und vor sich hingestarrt. Die Fassungslosigkeit war zu groß gewesen, er hatte sein Zimmer nur verlassen, wenn es unbedingt hatte sein müssen.

Auch auf der Beerdigung war er nur körperlich anwesend gewesen. Und danach war der große Zusammenbruch gekommen. Tagelang hatte er abwechselnd geweint und geschlafen, essen hatte er nicht gekonnt, ohne sich danach übergeben zu müssen. Das hatte vielleicht fünf oder sechs Tage angehalten, und danach war er in den Alltag zurückgekehrt. Nur emotional war es immer weiter bergab gegangen.

Schweigend sah er den Kirschblüten zu, wie sie durch die Luft wirbelten und auf der Wasseroberfläche Muster bildeten.
 

Der Schüler seufzte und beobachtete den jungen Mann auf der Brücke. Wie schon seit Wochen oder Monaten. Und von Tag zu Tag wirkte dieser unglücklicher.

Shin wusste nicht, was diesem Mann passiert war, aber er hatte das dringende Bedürfnis, ihm zu helfen. Er half gern, aber was ihn bei genau dieser Person noch mehr antrieb als normalerweise, wusste er nicht.

Seit Wochen kämpfte er mit sich, endlich mit dem Fremden zu reden, aber er hatte sich bisher doch nie getraut. Aber dieses Mal musste er es schaffen, er spürte die Not förmlich, und mit jedem Tag, der ins Land strich, wurde sein einschreiten notwendiger. Nur wusste er nicht, wie er das Thema angehen sollte.

Unsicher stand er auf, seine Tasche immer noch umgehängt. Erst dann fand er den Mut, sich dem anderen zu nähern. Es war zum Verrücktwerden, wie nervös er war, und er wusste nicht einmal, warum genau. Ihm würde schon nicht der Kopf abgerissen werden, weil er helfen wollte. Tief atmete er durch. „Kann ich dir helfen?“ Sein Herz raste, als der andere ihn ansah. Einen Moment schien der Fremde erschrocken zu sein, find sich dann aber wieder. „Sehe ich so aus?“

„Ehrlich gesagt schon. Reden soll helfen.“

Der Schwarzhaarige seufzte. „Warum sollte ich mit einem Fremden reden?“

„Weil ein Fremder die Situation neutraler betrachten kann. Ich heiße Shin“, antwortete er sofort und strich sich nervös durch die Haare. „Du?“

„Saga.“ Der Größere sah wieder auf das Wasser. „Reden macht Tote nicht wieder lebendig.“ Traurig lächelte er vor sich hin.

„Ist jemand bei der Katastrophe gestorben?“, riet Shin, auch wenn das zeitlich nicht ganz passte.

„Auch“, gab der Schwarzhaarige zu. „Wie alt bist du?“

Auch wenn die plötzliche Frage ihn verwirrte, antwortete er: „17.“

„Ich denke nicht, dass du es dann verstehen kannst.“

Shin legte seine Hand auf die des anderen. „Ich will es aber zumindest versuchen. Vielleicht kann ich dir helfen.“

„Vor vier Monaten ist mein Freund gestorben“, erklärte er und schloss die Augen. „Wir waren fast vier Jahre zusammen. Ich habe ihn über alles geliebt, und selbst die Beschreibung ist noch zu schwach. Er war alles für mich.“ Der letzte Satz war nur noch ein schwaches Flüstern.

Betreten sah der Schüler in das Wasser unter der Brücke. „Das tut mir wirklich leid. Und ich glaube, wenn ich Tote wieder lebendig machen könnte, würde ich es tun.“

„Ich lebe, weil er es wollte. Aber richtig leben kann man das nicht nennen. Ich würde lieber sterben.“

Der Braunhaarige nickte. „Es ist vielleicht kein guter Vergleich, aber ich habe vor fast zehn Jahren meinen Vater verloren. Ich kann mir zumindest zum Teil vorstellen, wie du dich fühlst.“

„Zum Teil, ja. Du bist ihm sehr ähnlich.“

Verwirrt sah Shin den Älteren an. Der war noch zu jung, um seinen Vater gekannt zu haben.

„Meinem Freund. Oder eher Ex-Freund“, meinte Saga mit einem traurigen Lächeln.

„Wie denn?“ Plötzlich war der Kleinere verdammt neugierig.

„Rein äußerlich schon etwas. Und du scheinst ein guter Mensch und unheimlich hilfsbereit zu sein. Du kannst auf Fremde zugehen und du zeigst deine Gefühle. Das sind gute Eigenschaften.“

Der Brünette lächelte schüchtern. „Danke. Nur finden einige mich nervig.“

Saga schüttelte den Kopf. „Das ist nichts Schlechtes. Lass dir das nicht einreden. Du bist sicher ein guter Freund.“

„Ich tue, was ich kann“, murmelte er. „Hast du ein Handy?“, fragte er dann lauter.

„Klar. Wieso?“

„Gib mal her.“ Lächelnd nahm Shin das ihm hingehaltene Telefon und speicherte seine Nummer ein. „Du kannst mich gern anrufen, wenn du reden willst oder Unterstützung brauchst. Es kann nur sein, dass ich es in der Schule nicht höre.“

„In Ordnung.“ Zart strich er dem Kleineren durch die weichen, braunen Haare. „Vielleicht ist es gerade das, was ich am Meisten brauche.“

Aufmunternd lächelte Shin den Schwarzhaarigen an. Er hatte zwar keine genaue Ahnung, was er tun konnte, aber er musste diesem jungen Mann helfen, Wahrscheinlich könnte er sich eh erschließen, was zu tun war, wenn Saga ihn konkret um Hilfe bat. Vorher würde er aber auf jeden Fall mit seiner Mutter reden, was ihr geholfen hatte, den Tod seines Vaters zu verarbeiten. Nur musste er noch arbeiten.

„Ich muss los“, erklärte er also leise. „Ich muss noch meine Sachen wegbringen und dann zur Arbeit.“

„Schon okay“, meinte Saga und sah ihn an. „Jeder hat seine Pflichten.“

„Nicht, weil der Vater Schulden gemacht hat und man selber zwei Jahre kellnern muss, um diese abzuarbeiten.“ Er lächelte traurig, rief sich dann aber wieder zur Ordnung. Saga war schlimmer dran als er. „Aber es sind nur noch zwei Tage.“ Spontan umarmte er den Älteren kurz. „Und denk daran, dass du mich wirklich immer anrufen kannst, meinetwegen auch nachts. Ich kann mir ruhig einige Fehltage und -stunden erlauben.“

Er wandte sich zum Gehen, als er Sagas Stimme hörte. „Shin?“

„Ja?“

„Danke. Ich weiß, dass das nicht selbstverständlich ist.“

Sanft lächelte er den Schwarzhaarigen an. „Nicht für jeden, aber für mich schon. Wenn jemand dringend Hilfe braucht, bin ich für diesen da. Alles andere könnte ich nicht vor mir selbst rechtfertigen. Und du kannst nicht sagen, dass es dir gut geht.“
 

Saga sah dem Schüler einen Moment nach, bevor er seinen Blick wieder nach unten wandte. Shin machte einen netten und offenen Eindruck. Er erinnerte an Shou, der selbe Glanz lag in seinen Augen. Saga hätte schwören können, dass Shin im Grunde genommen eine jüngere Version von Shou war. Nur war jeder Mensch einzigartig und Shou war tot. Auch wenn Shin einiges mit ihm gemeinsam zu haben schien, waren sie immer noch zwei Personen. Und es wäre unfair, Shin als Ersatz für Shou zu sehen. Beiden gegenüber.

Er verstand nicht, weshalb Shin ihm unbedingt helfen wollte, aber er war dem Kleinen dankbar dafür, auch wenn er diesen zu ihrer beider Sicherheit auf Abstand halten musste.

Sollte er es auch für Shou nicht schaffen, weiterzuleben, wollte er nicht noch jemanden mit reinziehen. Es genügte, dass seine Familie und seine Freunde trauern würden. Er wollte nicht, dass Shin sich danach noch verantwortlich fühlte. Das wäre nicht gut für diesen, und es wäre nicht gerecht. Shin würde wahrscheinlich daran zerbrechen.

Die Vernunft zwang Saga momentan, alle Menschen auf Abstand zu halten. Er wusste nicht, ob er sich wieder fangen würde. Vielleicht könnte Shin ihm tatsächlich helfen, schlimmer konnte es sowieso nicht mehr werden, aber wenn nicht, sollte es für die anderen nicht völlig unvorbereitet kommen.

Langsam strich er sich durch die Haare. Ausgerechnet an diesem Ort und an diesem Tag tauchte Shin auf. Nachdem er vor genau vier Jahren hier mit Shou zusammen gekommen war.
 

Saga blieb nicht mehr lange an diesem Ort, wo viel zu viele Erinnerungen versammelt waren. Lieber ging er nach Hause, ignorierte seine Mutter und legte sich auf sein Bett. Nach Shous Tod waren sie umgezogen, um zumindest einige Erinnerungen zu lösen, aber es gelang nur bedingt. Per Fernbedienung schaltete er die Anlage an und lauschte dem Klavierintro. Shous letztes Geschenk. Eine CD mit Songs von diesem selbst geschrieben und gesungen. Es hatte etwas Vertrautes und Beruhigendes, auch wenn es ihm wehtat. Es war ein perfektes Geschenk, eine der schönsten Erinnerungen überhaupt. Nur, wenn er diese Songs hörte, fühlte er sich Shou noch wirklich nah.

Er konnte sich nur zu gut daran erinnern, wie gern Shou für ihn gesungen hatte, und er hatte es geliebt, einfach zuzuhören.

Er konnte nicht verhindern, dass seine Augen zufielen. Zufrieden rollte er sich zusammen, auch wenn sich Tränen in seinen Augen sammelten. Trotzdem lag er friedlich auf der Decke. Bis er einschlief.
 

„Ja, doch!“, fuhr Shin gestresst auf. Zum Glück hatte er gleich Feierabend und konnte dann endlich ins Bett. Es war einer dieser Tage gewesen, an denen er eigentlich hätte im Bett bleiben sollen. Nur die Entwicklung mit Saga war positiv, aber sonst?

„Du kommst heute Abend mit zu mir“, beschloss sein Chef plötzlich, ließ ihn so aufhorchen.

„Ich habe morgen Schule“, protestierte er, aber ihm war klar, dass es keinen Sinn hatte.

„Mir egal. Jammer nicht rum.“

Müde rieb Shin sich über die Augen, nickte aber. Alles andere hatte eh keinen Sinn, und je schneller er es hinter sich hatte, desto besser war es für ihn. Und umso früher kam er in sein eigenes Bett.

Noch bevor er weiter darüber nachdenken konnte, wurde er am Arm gepackt und zur Tür gezogen. Er wehrte sich auch nicht dagegen wie er es anfangs noch getan hatte, und ließ sich seine Tasche geben. Beiläufig sah er auf sein Handy. Er wusste, dass er es nachher ausmachen musste, aber das war immer so. Er musste nur noch ein paar Tage durchhalten, aber in diesen Tagen würde er wahrscheinlich häufiger als normal herhalten müssen.

Ruhig ließ er sich auf den Beifahrersitz fallen und lehnte sich zurück. Eine Weile konnte er sich jetzt zumindest noch ausruhen.
 

Müde betrat er die Wohnung, in der er mit seiner Mutter lebte, und ging erst einmal duschen. Danach machte er sich eine Kleinigkeit zu essen und verzog sich in sein Zimmer, wo er förmlich auf sein Bett fiel und erschöpft die Augen schloss. Trotzdem klopfte sein Herz unruhig und er konnte nicht einschlafen. Er hasste seinen Chef, aber er zwang sich selbst durchzuhalten.

Wieder sah er auf sein Handy. Keine SMS und kein Anruf in Abwesenheit. Ob Saga sich wohl überhaupt bei ihm melden würde? Der Ältere schien seine Hilfe auch annehmen zu wollen, aber vielleicht war er auch einfach zu unsicher. Und Shin zu ungeduldig.

Dieser Gedanke war der, mit dem er sich unter die Decke kuschelte und einschlief.
 

Für Saga war es einer der beschissensten Tage der letzten Zeit gewesen. Das Treffen mit Shin war zwei Tage her, und heute war in seinem Kurs natürlich eine Diskussion über Tod und Sterbehilfe entstanden. Er hatte dem Schüler zwar von den Ereignissen erzählt, aber das hatte ihn nur wieder anfälliger gemacht. Und diese Diskussion hatte ihn an den Rand seiner Selbstbeherrschung getrieben, bis er den Raum einfach verlassen hatte. Es war ihm einfach zu viel geworden, und es war ihm egal, was seine Mitstudenten über ihn dachten. Natürlich hatte es die Runde gemacht, schon ein paar Tage nach Shous Tod hatte die ganze Uni Bescheid gewusst.

Seufzend schloss er die Augen und lehnte sich an die Mauer hinter ihm, bemühte sich, ruhiger zu atmen. Es war der letzte Tag der Woche, Freitag, und den musste er verdammt nochmal überstehen, egal wie. Irgendwie würde er es schon schaffen, es war immerhin schon Nachmittag. Er würde das schon schaffen.

„Hey.“

Er brauchte die Augen nicht zu öffnen, um zu wissen, wer sich da zu ihm gesellt hatte. Tora war ein guter Freund von Shou gewesen und immer noch sein bester, und der Ältere half ihm, wo er konnte.

„Ich habe dem Professor erklärt, was mit dir los ist.“

„Soll ich mich jetzt bei dir bedanken?“, erwiderte Saga tonlos. Die Situation änderte sich dadurch auch nicht.

„Nein, du sollst dir helfen lassen“, forderte der Ältere. „Das versuche ich dir seit Monaten zu erzählen. Allein kommst du mit Shous Tod nicht zurecht, also brauchst du Hilfe. Und wenn du noch lange so weitermachst, schleife ich dich höchstpersönlich zu einem Psychologen!“

Der Kleinere lachte trocken auf. „Du kannst mich zu nichts zwingen. Ich bin volljährig und kann tun, was ich will.“

„Aber du kannst gegen deinen Willen in eine Klinik gesteckt werden, wenn du eine Gefahr für dich selbst bist“, erklärte Tora. „Jeder sieht, wie beschissen es dir geht, und wenn ich will, gehe ich mit Zeugen zu einem Psychologen, der dich gegen deinen Willen einweisen lassen kann.“

Der Jüngere knurrte leise. Dass das nicht so einfach war, war ihm auch klar, aber er wusste, dass es möglich war. Und dass Tora es eigentlich nur gut meinte und ihm helfen wollte, wieder ein normales Leben zu führen.

„Ich weiß, dass das nicht leicht ist“, fuhr der Größere fort, „aber ich will dir nur helfen. Nimm es doch einfach an.“

Er schüttelte nur den Kopf. Vielleicht würde er es schaffen, aber vielleicht auch nicht. Aber es gab da jemanden, der ihm helfen wollte und es eventuell auch konnte. Wahrscheinlich besser als jeder Psychologe.

„Saga, verdammt! Wie kann man nur so stur sein?!“, fuhr der Ältere ihn an. „Wir wollen alle doch nur, dass es dir wieder gut geht, also lass den Scheiß! Shou wollte doch nicht, dass du zu sehr um ihn trauerst, also…“

„Lass Shou aus dem Spiel!“, zischte er und funkelte den anderen an. „Ich weiß, was er von mir verlangt hat. Glaubst du, ich wäre sonst noch hier?“

„Dann lass ihn los und kümmere dich um deine Zukunft! Du bist zwar jetzt in der Hinsicht allein, aber mach eure Träume wahr!“

„Das kann ich nicht, eben weil es auch Shous Träume waren.“

Tora seufzte. „Ich verstehe dich ja, aber du kannst nicht dein Leben wegschmeißen!“

„Wieso denn nicht?“, flüsterte der Kleinere leise und sah in den blauen Himmel. „Mein Leben ist ein einziger Scherbenhaufen, und Scherben wirft man weg.“

„Oder man klebt sie wieder zusammen. Natürlich ist das dann nicht ganz so stabil, aber es hält. Wahrscheinlich würde eine neue Liebe das Ganze dann noch festigen.“

Der Schwarzhaarige schüttelte schwach lächelnd den Kopf. „Wie soll ich mich wieder verlieben?

„Indem du jemanden findest, den du gern hast und der dich so akzeptiert, wie du jetzt bist.“

Langsam stand Saga auf. „Vergiss es. Nie wieder. Du weißt nicht, wie weh es tut, den Menschen, den du über alles liebst, aufzugeben.“ Zögernd zog er sein Handy aus der Tasche und spielte damit herum.

„Nein, das weiß ich wirklich nicht, aber Shou ist tot und du lebst, also lebe gefälligst!“

Kurz entschlossen tippte Saga eine SMS und schickte sie ab. „Stimmt. Und vielleicht stimmt es auch, dass ich Hilfe brauche. Ich werde aber noch abwarten.“ Versichernd sah er den anderen an. Er musste zumindest beweisen, dass er wusste, was er tat.

„Wie du festgestellt hast, kann ich dir nichts vorschreiben, aber verlass dich drauf, dass ich dich im Auge behalte. Wenn du nicht bald wieder halbwegs normal wirst, schleife ich dich wirklich in das nächste psychiatrische Krankenhaus. Klar?“

Saga nickte leicht. Welche Wahl hatte er denn großartig? Er lächelte, als sein Handy in seiner Hand vibrierte. Schnell öffnete er die Nachricht. Damit war der Samstag dann gerettet. In Rekordzeit tippte er die Antwort, drehte sich dann um und stand direkt vor Tora, der ihm über die Schulter gesehen hatte. „Sollte ich Shin kennen?“, fragte der Größere skeptisch.

„Nein, eigentlich nicht. Vielleicht siehst du ihn irgendwann einmal, und glaub mir, du wirst ihn dann erkennen. Sagen wir kurz, er kümmert sich um mich.“

Tora nickte. „Das ist nett von ihm, aber wir können später darüber reden. Und so lange er dir gut tut, soll es mir egal sein.“

Entschlossen machte Saga sich auf den Weg zurück in den Saal. Er konnte nicht einfach noch mehr Vorlesungen wegfallen lassen. Im letzten Dezember hatte er lang genug gefehlt, wenn auch gut begründet und von allen verstanden. Selbst die Leitung der Universität hatte es als ‚emotionale Ausnahmesituation‘ abgetan, aber er wollte sein Studium auch endlich zu Ende bringen.
 

Unmotiviert schlenderte Saga durch die Stadt nach Hause. Es dämmerte bereits, aber er war noch nicht müde und er wollte noch eine Kleinigkeit zu essen mitnehmen und sich dann vor den Fernseher setzen. Er holte sich schnell eine Pizza und betrat kurze Zeit später das Haus, das er mit seiner Mutter bezogen hatte. Er wusste, dass sie abends meist in ihrem Schlafzimmer war und ging deshalb direkt in das schöne Wohnzimmer, machte es sich dort auf dem Sofa bequem. Fernsehen konnte ihn ganz gut ablenken, genau wie lernen, aber er hatte momentan nichts zu lernen. Und so konnte der Tag immerhin friedlich ausklingen, auch wenn er zum Einschlafen mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit wieder Musik hören würde.

-3-

It's mee~~
 

Ehrlich, ich habe keine Ahnung, weshalb ich das Kapitel jetzt hochschicke. Ich bin müde und habe eigentlich gar keine Lust mehr, weil ich wieder stundenlang Englischlektüre lesen durfte, aber ich habe das jetzt einfach mal beschlossen.

Auch gehe ich davon aus, dass die Kapitel ab nächster Woche jeden Freitag kommen werden. Bis Ende des Jahres müsste ich also locker durch sein.

Mehr zu diesem Chapter gibt's im hoffentlich kurzen Nachwort.^^
 

_________________________________________________________________________________
 

Als Shin die Augen öffnete, tat ihm erst alles weh. Aber er hatte seinen letzten Arbeitstag hinter sich, und gerade das erleichterte ihn, aber der vorige Abend mit seinem – jetzt ehemaligen – Chef war nicht allzu schön gewesen. Er freute sich nur, dass er den Tag bei Saga verbringen würde. Er hatte sich am vorigen Tag in der Bahn zusammenreißen müssen, um nicht aufzuspringen und loszujubeln.

Er konnte sich nicht erklären, warum, aber er hatte darauf gewartet, dass der Ältere sich meldete. Er hatte dessen Stimme einfach hören wollen, und jetzt wollte der ihn gleich sehen. Und irgendwie machte ihn das verdammt nervös, auch wenn er auch dafür den Grund nicht kannte.

Der Schüler war noch immer nicht sicher, wie er mit Saga umgehen sollte, er war noch nicht dazu gekommen, mit seiner Mutter zu sprechen, aber er würde es schon schaffen.

Eilig stand er auf und zog sich um, ging dann in die Küche. Seine Mutter war schon wieder zur Arbeit gegangen, aber er war es gewohnt, allein zu sein.

Er frühstückte eine Kleinigkeit und ging dann dazu über, in der Wohnung herumzulaufen. Er hatte keine Zeit mit dem Größeren ausgemacht, aber er wollte auch nicht zu früh zu der Adresse fahren. Und trotzdem hielt er es nicht mehr lange aus und machte sich auf den Weg.
 

„Hey, Kleiner. Komm rein.“ Mit einem schwachen Lächeln ließ Saga den Braunhaarigen, der sich neugierig umsah, in das Haus. „Ich bin froh, dass du Zeit hast.“

„Immer doch. Du weißt, dass ich dir helfen will, und so lange du mich nicht zum Kampfsport herausforderst, sollte alles gehen.“ Aufgeregt zog Shin sich seine Schuhe aus.

„Ich hatte nicht vor mit dir zu boxen. Höchstens an der Playstation, aber das schaffst du wohl.“

Shin nickte und umarmte den Größeren, der die kleine Geste nach kurzem Zögern erwiderte. Einen Moment genoss der Jüngere die ungewohnte Nähe, löste sich dann aber widerwillig von dem anderen. „Also, du wolltest mit mir reden“, begann er leise und sah diesen ernst an.

„Ich will nur teilweise, aber ich muss. Nur nicht hier im Flur.“ Leicht nahm Saga die Hand des Kleineren und führte ihn hinter sich her in sein Zimmer, ließ diesen erst dort wieder los, schloss die Zimmertür und setzte sich auf sein Bett. „Du darfst dich ruhig setzen“, meinte er und beobachtete den Schüler, der sich neben ihn sinken ließ.

„Was ist denn los?“, fragte der Brünette und sah ihn geduldig an.

„Gestern ist in der Uni eine Diskussion über Tod und Sterbehilfe entstanden, auch um Krankheiten, die tödlich enden, und ob es nicht besser wäre, Betroffene zu töten.“ Gedankenverloren sah Saga auf ein Foto. „Ich weiß nicht, ob ich es dir erzählt habe, aber Shou war krank. Er wusste zwar davon, aber es hat ihn nicht eingeschränkt. Er sollte eigentlich keine 20 Jahre alt werden, aber er hat es mir nie gesagt. Bis zu dem Tag, an dem ich ins Krankenhaus gerufen wurde.“

Mitfühlend legte Shin ihm eine Hand auf die Schulter. „Deswegen hast du dich auch gestern bei mir gemeldet.“

Saga nickte. „Das war mir einfach alles zu viel. Alle wussten von Shous Tod, und trotzdem mussten sie diese Diskussion anschneiden.“

„Darf ich?“ Zögernd streckte Shin seine Hand nach dem Foto aus und betrachtete es, als Saga es ihm gab. „Er war hübsch“, bemerkte er. „Und ich muss zugeben, dass wirklich eine gewissen äußerliche Ähnlichkeit vorhanden ist.“

„Ihr beide seid schöne Menschen. Beziehungsweise Shou war es.“ Ein trauriges Lächeln legte sich auf sein Gesicht. „Ihr beide seid euch auch charakterlich wirklich ähnlich. Shou fehlt mir. Und ich bin froh, dich jetzt zu kennen.“

Der Kleinere nickte und sah weiter auf das Foto. „Wann war das?“

„Letztes Jahr im Oktober“, antwortete Saga und beobachtete den Kleineren.

„Ihr seht glücklich aus. Darf ich dich fragen, was du gedacht hast, als du den Anruf bekommen hast?“

Der Schwarzhaarige seufzte. „Man hat mir gesagt, dass er im Krankenhaus ist und mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit sterben wird. Im ersten Moment konnte ich es nicht glauben, aber dann bin ich nur gerannt. Zu dem Zeitpunkt haben wir noch in einer kleinen, überteuerten Wohnung gelebt und ich habe nur zehn Minuten gebraucht. Shou hat mir alles gestanden, wir haben uns etwas über die Vergangenheit unterhalten. Über unsere Wünsche und Träume. Er hat für mich gesungen.“ Der Schwarzhaarige schluckte und schloss die Augen. „Ich habe seine Hand gehalten und ihn geküsst. Ich war bei ihm, als er gestorben ist“, flüsterte er und nahm dankbar Shins Hand.

„Das muss schwer gewesen sein“, murmelte Shin. „Den Freund zu verlieren, ist schon schlimm genug, aber dabei zu sein…“

„… ist besser als ihn allein zu lassen, wenn es sowieso schon schwer genug für ihn ist.“ Saga lächelte traurig und sah ihn dann an. „Ich hätte alles für ihn getan“, flüsterte er rau und ignorierte die Träne, die über seine Wange lief.

Überfordert sah Shin sich um, legte das Foto dann auf den Nachttisch und zog den Älteren an sich, strich diesem beruhigend über den Rücken. „Du musst ihn wirklich sehr geliebt haben. Ich wünschte, jemand würde mich so lieben. Und ich wünschte, ich könnte ihn zurückholen.“

„Du bist süß“, flüsterte der andere gegen seine Haut.

Langsam ließ Shin sich auf die Matratze drücken. Er wusste nicht genau, was das jetzt werden sollte, aber es war seltsam, den Schwarzhaarigen zu beobachten und nicht zu wissen, was dieser vorhatte.

„Keine Angst, ich will dich nicht flachlegen.“ Schwach lächelnd strich Saga dem Kleineren durch die Haare, ließ sich dann neben diesen sinken und schmiegte sich an den warmen, schlanken Körper, lauschte dem nervösen Herzschlag. „Ganz ruhig. Ich tu dir schon nichts, es tut einfach nur gut, so bei dir zu sein.“

Shin nickte unsicher und legte seine Arme um den Älteren. Was plötzlich mit ihm los war, wusste er nicht, aber sein Herz schlug schneller und unregelmäßiger als normal. Er wusste, dass er mit der plötzlichen Nähe zusammenhängen musste, aber im Prinzip wusste er nichts über den genauen Grund.

„Du weißt nicht, wie sehr ich dich gerade jetzt brauche“, flüsterte der Größere, woraufhin sein Herzschlag noch einmal schneller wurde. Was passierte hier nur gerade mit ihm, und warum genoss er es so sehr, Saga im Arm zu halten und von diesem gebraucht zu werden?

Langsam schloss Shin die Augen und atmete tief durch, begann, durch die dunklen Haare zu streichen. So wurde er irgendwie ruhiger, auch wenn seine Gefühle in ihm tobten. Er wollte sich keine Gedanken darüber machen, was das alles zu bedeuten hatte.

„Irgendwann wird dich jemand so sehr lieben, wie du es dir wünschst“, meinte Saga leise und strich ihm über den Arm. „Du bist viel zu gut für diese Welt. Du verdienst alles, was du dir von ganzem Herzen wünschst.“

„Das kannst du jetzt schon sagen? Und wer sagt dir, dass ich mir nur Dinge für mich wünsche?“ Der Schüler hielt kurz inne, strich dann aber weiter durch die weichen, schwarzen Haare.

„Ich habe ein Gefühl, dass mir hilft, Menschen einzuschätzen. Und was du dir wünschst, musst du mir sagen. Ich weiß nur, dass du so sehr geliebt werden willst, wie ich Shou geliebt habe, aber ich glaube, das wünscht sich jeder.“

„In allererster Linie wünsche ich mir, dir zu helfen“, gab Shin zu. „Wunden können heilen, wenn man jemanden findet, der es schafft, sie nicht nur zu verschließen, sondern auch ausheilen zu lassen.“

„Denkst du, du kannst es schaffen?“, flüsterte der Schwarzhaarige und sah zu ihm auf.

„Das kann ich nicht sagen.“ Shin zuckte mit den Schultern und erwiderte den Blick ruhig. „Sag du es mir.“

„Wieso ich?“

„Weil nur du in erster Linie entscheiden kannst, was ich ausrichten kann. Wenn du es zulässt, kann ich etwas tun. Aber nur dann.“

Verstehend nickte Saga. „Ich gebe mir Mühe. Es kann mir nicht wirklich schaden.“

Shin lächelte zufrieden und schloss dann wieder die Augen. Das war doch schon ein sehr gutes Zeichen. So konnte es eventuell sogar wirklich klappen. Wenn Saga sich von ihm helfen lassen wollte, würde er es schon irgendwie schaffen. Auch wenn er nicht daran glaubte, dass sein anderer Wunsch in Erfüllung gehen würde.

Es mochte ja sein, dass er es verdiente, so sehr geliebt zu werden, aber das würde nicht passieren. Er war tatsächlich zu gut, und besonders zu gutgläubig. Gerade das wurde aber leider viel zu oft ausgenutzt. Viele, viel zu viele, Menschen dachten immer nur an ihren eigenen Vorteil, an niemanden sonst, und erst recht nicht daran, dass echte Gefühle im Spiel sein könnten.

Das kannte er nur zu gut, und auch, wenn er darüber hinweg war, wollte er das nicht noch einmal durchmachen müssen. Seine Hilfsbereitschaft und Gutgläubigkeit waren ausgenutzt worden, und dann wäre er fast angezeigt worden, weil er eine Tasche von seinem Freund bei sich gelagert hatte, ohne zu wissen, dass darin Diebesgut war. Er war einfach zu naiv, und das nicht nur etwas. Seine Freunde zogen ihn damit auf, dass er anscheinend jemanden brauchte, der ihn vor der bösen Welt beschützte. Aber wo fand man schon so einen Beschützer, der es auch wirklich ernst mit einem meinte? So leicht war das nämlich leider nicht, und Shin wusste, dass er wahrscheinlich wieder bei irgendeinem Arschloch landen würde, wenn er denjenigen nicht schon gut genug kannte.

„Alles okay, Shin?“ Besorgt sah Saga ihn an.

„Passt schon. Ich freue mich nur, dass du Shou so ehrlich geliebt hast. Er konnte froh sein“, erklärte der Schüler seine Gedanken, wich dabei aber trotzdem etwas vom Thema ab. Er konnte nur hoffen, dass der andere das nicht bemerkte.

„War er auch. Er war für andere so leicht zu manipulieren, dass er wirklich dankbar war, dass ich ihm nichts vorgemacht habe. Das war seine größte Schwäche. Er hat immer an das Gute im Menschen geglaubt.“

Shin lächelte schwach und sah den Schwarzhaarigen an. „Das kenne ich nur zu gut. Es ist eine große Schwäche, die einem nicht nur wehtut, sondern auch so Ärger einbrocken kann.“ Er biss sich kurz auf die Unterlippe. „Saga… Würdest du mir etwas versprechen?“

„Was denn?“

„Lüg mich nicht an und nutz mich nicht aus“, bat Shin und schloss die Augen wieder. „Ich weiß genau, wie das ist. Auch, wenn wir nur befreundet sind, will ich nicht angelogen oder benutzt werden. Das fühlt sich einfach nur scheiße an, wenn man nur ein Mittel zum Zweck ist.“

Saga lächelte ihn leicht an. „Versprochen. Ich hätte auch nichts davon. Ich meine, was würde es mir bringen, dich zu benutzen? Streng genommen doch gar nichts. Und ich mag dich wirklich.“

Der Braunhaarige nickte, sah den anderen aber nicht an. Auch wenn er nicht wusste, wie weit er diesem tatsächlich vertrauen konnte, er hatte keine wirkliche andere Wahl. Man musste Menschen immerhin vertrauen, um eine gewisse Bindung zuzulassen. „Denkst du, du wirst dich wieder verlieben?“, fragte der Jüngere leise.

„Nein. Ich will mich nie wieder verlieben. Ich will nicht wieder jemanden so sehr lieben, um ihn dann zu verlieren.“

Shin schüttelte den Kopf. „Du kannst das nicht beeinflussen. Leben bedeutet lieben, lieben bedeutet leiden. Wenn du nicht leiden willst, darfst du nicht lieben, aber wofür lebst du dann?“

„Für Shou. Auch wenn er wollen würde, dass ich mich wieder verliebe. Es geht nicht. Ich kann gar nicht beschreiben, wie schlimm es war, ihn zu verlieren.“

Der Kleinere seufzte. „Das mag ja stimmen, und ich gehe auch davon aus, dass es so ist, aber du kannst das nicht kontrollieren. Das kann niemand, dafür sind Gefühle zu unberechenbar.“

„Da werden wir uns nicht einig.“ Langsam setzte der Schwarzhaarige sich auf und zog Shin hoch. „Ich muss mich ablenken. Gehen wir zocken?“

Shin grinste. „An was dachtest du?“

„Mario Kart. Aber nur, wenn du verlieren kannst.“ Frech piekste Saga dem Kleineren in die Rippen.

„Vergiss es. Da mache ich dich fertig.“

„Das schaffst du nicht, auch wenn ich dir nur die Hälfte meiner Aufmerksamkeit schenke!“

„Das werden wir ja sehen, aber ich will deine ganze Aufmerksamkeit.“

„Werde ja nicht größenwahnsinnig!“

„Du bist dran! Das ist kein Größenwahnsinn, das ist Siegessicherheit!“

„Die Playstation wird entscheiden…“
 

Müde lehnte Shin an Sagas Schulter. Es war schon nach elf Uhr, sie hatten geredet und gezockt, zwischendurch etwas gegessen und dann weiter gezockt. Eigentlich gar kein Grund, so müde zu sein.

„Nicht einschlafen, Shin.“ Sanft strich der Ältere ihm durch die Haare. „Du kannst im Gästezimmer schlafen. Ich gebe dir Sachen von mir.“

Dankbar nickte Shin, gähnte dann, bewegte sich aber kein Stück. Er fühlte sich mittlerweile ziemlich schwer. Es war auch zu angenehm, an dem Älteren zu lehnen.

„Dafür musst du aber aufstehen.“

Müde schüttelte Shin den Kopf. „Trägst du mich?“

„Und dann? Soll ich dich auch noch umziehen?“

Schwach schüttelte Shin wieder den Kopf. Das würde er schon gerade noch allein schaffen. Er mochte es nicht, wenn andere ihn auszogen, egal zu welchem Zweck. Sicher hatte das Gründe, aber davon mussten andere nichts wissen.

Vorsichtig wurde er hochgehoben und durch den Flur transportiert.

„Bleib wach, wenn du nicht willst, dass ich dich umziehe.“

„Ich bin wach“, nuschelte Shin, drückte sich aber instinktiv näher an den Älteren. Wer brauchte schon eine Heizung?

Er merkte, wie er langsam auf etwas Weichem abgelegt wurde und sich der warme Körper von ihm entfernte. Es kostete ihn schon etwas Kraft, sich aufzusetzen, aber er musste sich selbst umziehen, wenn er nicht durchdrehen wollte.

„Das könnte dir etwas zu groß sein, aber das ist nicht schlimm. Du siehst eh aus, als würdest du jeden Moment einfach einschlafen.“

Shin lächelte schwach und nahm die Sachen. „Ich kann ja auch gleich schlafen.“

„Und du bist sicher, dass ich dir nicht helfen soll?“

Der Jüngere nickte und zog sein Shirt aus. Er schaffte das ganz sicher, auch wenn er ziemlich fertig war. Und wenn nicht, würde er eben in Jeans schlafen.

Saga beugte sich langsam zu ihm herab und küsste ihn auf die Wange. „Schlaf gut. Du kannst morgen ruhig ausschlafen.“

„Danke.“ Der Schüler gähnte. „Ich denke, ich werde darauf zurückkommen.“

„Ist doch kein Problem. Ich kann dich doch nicht nachts durch halb Tokyo schicken.“ Saga lächelte ihn ruhig an und verließ den Raum.

Der Braunhaarige zog sich noch die Jogginghose an und kuschelte sich dann unter die Decke. Es war nicht dieses Gefühl, nicht in seinem eigenen Bett zu liegen, das ihn dieses Mal beschlich. Er fühlte sich an diesem Ort wohl, und er konnte etwas anderes tun als rumsitzen oder lernen. Er fühlte sich nicht wie ein nutzloses, Geld kostendes Anhängsel, wie er es bei seiner Mutter war. Er hatte hier eine Aufgabe, mit der er zwar kein Geld verdiente, die aber trotzdem wichtig war. Er hatte die Aufgabe, einem wunderbaren Menschen zu helfen, und das bedeutete ihm mehr als Geld. Viel mehr.
 

Saga wachte am Morgen früh auf, so wie fast jeden Morgen seit Dezember. Und eigentlich hoffte er jeden Morgen aufs Neue, dass alles nur ein böser Traum gewesen war. Nur an diesem Morgen nicht. Er wusste nicht genau, weshalb, aber er vermutete, dass es mit dem Gast, der im Nebenzimmer schlief, zusammenhing.

Obwohl Shin der Jüngere war, schien dieser ihn tatsächlich zu therapieren. Und es zeigte erste Wirkungen, aber das könnte auch daran liegen, dass Shins Wesen Shous so ähnlich war. Hätten die beiden sich gekannt, wären sie sicher gute Freunde geworden. Die Therapiemethoden des Kleineren waren zwar etwas anders als die von eigentlichen Psychologen, aber keine Methode könnte individueller und wirksamer sein. Shin lenkte ihn ab oder hörte ihm zu, je nachdem, was er gerade brauchte. Und wenn er Nähe brauchte, kümmerte sich sein Privattherapeut auch darum.

Aber irgendwie tat es ihm leid, dem Schüler das alles nicht richtig danken zu können. Im Prinzip nutzte er Shin aus, damit er sich besser fühlte. Und fair war das nicht, der Kleinere verdiente wirklich Vieles, das er sich wünschte.

Saga seufzte frustriert. Das, was Shin sich am Meisten wünschte, konnte er ihm einfach nicht geben, dafür waren die Wunden einfach zu tief. Er konnte, beziehungsweise wollte, nie wieder so lieben, nicht einmal Shin. Vielleicht, weil der ihm manchmal verdrängte Erinnerungen an Shou zurückbrachte und ihm doch klar machte, dass Shou und Shin zwei verschiedene Personen waren, auch wenn es gewisse Ähnlichkeiten gab.

Langsam stand er auf und schlich auf den Flur. Alles war noch verdunkelt, und es war fast totenstill. So lautlos wie möglich bewegte Saga sich zur Tür des Gästezimmers und schlüpfte hinein, ging zum Bett und ließ sich daneben auf den Boden sinken. Der Anblick, wie Shin in der Decke eingerollt dort lag, war wahnsinnig süß. Und der Kleinere schien gar kein Problem damit zu haben, in einem fremden Bett zu schlafen. Er schien sich ganz im Gegenteil sehr wohl zu fühlen. Shou hatte es gehasst, in fremden Betten zu übernachten. Aber Shin war eben doch etwas anderes als eine jüngere Ausgabe von Shou. Shin war nicht Shou. So weh es auch tat.

Wieder seufzte der Student und strich dem anderen behutsam eine der braunen Haarsträhnen aus der Stirn. Er sollte allein der Fairness wegen aufhören, Shin immer nur in Verbindung mit Shou zu sehen. Der Jüngere hatte das Recht, als eigenständige Person gesehen und akzeptiert zu werden, und zumindest den Gefallen wollte Saga ihm tun.

Er war fest davon überzeugt, dass der Kleinere wirklich jemanden finden würde. Er war noch jung, und auch, wenn ihn etwas zu belasten schien, würde für ihn ganz bestimmt alles gut werden.

Still betrachtete Saga das friedliche Gesicht des Schlafenden und lauschte auf die leisen, tiefen Atemzüge. Manche Menschen waren einfach nur hübsch und allgemein… niedlich? Ja, so konnte man es nennen. Und die Bemühungen des Kleineren, ihm zu helfen, passten sehr gut zu dem niedlichen Gesamtbild. Vielleicht würde es ja Wirkung zeigen und er würde lernen, mit der Gesamtsituation klarzukommen.

Es wäre schön, wenn er irgendwann wieder ausgeglichener wäre und auch ohne Shin oder einen seiner Freunde in seiner Nähe ehrlich lächeln und glücklich sein könnte, aber es lag noch Arbeit vor ihm. Er musste an sich selbst arbeiten und eventuell wirklich zu einem Psychologen gehen, wenn Shin ihm nicht mehr helfen konnte. Der Jüngere musste sich immerhin auf seinen Abschluss konzentrieren und danach einen guten Studienplatz bekommen, um die besten Chancen im beruflichen und finanziellen Bereich zu haben. Und Saga wollte dem nicht im Weg stehen.
 

„Shin, bist du sicher, dass du mir helfen willst?“ Forschend sah Saga über den gedeckten Frühstückstisch zu dem Schüler.

„Wäre ich es nicht, wäre ich wohl kaum hier.“ Sanft lächelnd legte Shin seine Hand auf die des Älteren. „Warum fragst du nach?“

„Du verheimlichst etwas, und genau das bedrückt dich. Du kannst es mir ruhig erzählen, wenn du willst.“

„Mir geht’s gut. Mach dir keine Sorgen, es ist alles in bester Ordnung.“ Shin versuchte, den Älteren mit einem kleinen Lächeln zu beruhigen, aber er wusste, dass es misslang, als dieser ihn immer noch besorgt betrachtete. „Okay“, gab er zu, „es gibt da schon etwas, das niemand weiß, aber das ist vorbei und mir geht’s wirklich gut. Du musst mir schon vertrauen.“

Saga nickte. „Du mir aber auch.“ Es beunruhigte ihn irgendwie, dass Shin ihm so wenig zu vertrauern schien, aber er beschloss einfach, abzuwarten. Wenn Shin ziemlich oft ausgenutzt worden war, war es sogar verständlich, dass er Misstrauen zeigte. Wahrscheinlich würde sich das noch legen, je mehr Zeit sie miteinander verbrachten und je mehr er das Vertrauen des Jüngeren gewann. Immerhin meinte er es ehrlich, und Menschen spürten so etwas meistens. Und selbst wenn Shin nicht spürte, wem er vertrauen konnte und wem nicht, Saga war sich sicher, dass der andere ihm bald vertrauen würde.
 

_________________________________________________________________________________
 

Nicht ganz so viel wie im letzten Kapitel.^^'

Was bleibt zu sagen? Shin und Saga kommen sich recht schnell näher, aber wer weiß, wie lange das so geht?

Und immer wieder taucht der Vergleich zwischen Shin und Shou auf. Ob und wie lange das wohl gut gehen wird...?

Und ob Shin sich Saga doch noch irgendwann anvertrauen wird?
 

Das nächste Kapitel wie gesagt vermutlich nächste Woche Freitag. ^.~
 

Bis dahin!
 

Hikari

-4-

Wieder waren zwei Wochen vergangen, und auch wenn nicht viel passiert war, hatte sich etwas ganz entscheidend verändert. Saga hatte sich verändert. Sein kleiner Privattherapeut war oft bei ihm und langsam wurden seine Gefühle ausgeglichener. Wenn er an Shou dachte, war da nicht mehr nur Schmerz, weil er diesen verloren hatte. Er reagierte auf das Thema Tod auch nicht mehr so empfindlich, selbst wenn es immer noch einen bitteren Beigeschmack hatte. Wie die schönen Erinnerungen, aber auch damit konnte er inzwischen leben.

Er genoss es, Shin in seiner Nähe zu haben, auch wenn dieser oft nicht viel Zeit hatte, weil er für die Schule lernen musste und lange Unterricht hatte. Der Schwarzhaarige bemühte sich sogar ehrlich, dem anderen beim Lernen zu helfen, wenn der nicht weiter wusste, weil er die Aufgabenstellung nicht verstand.

Auch seine Mutter hatte Shin kurz nach dem gemeinsamen Samstag zu Gesicht bekommen und bemutterte diesen regelrecht, wenn er zu Besuch war, wobei man kaum noch von Besuch reden konnte. Der Jüngere verbrachte mittlerweile eigentlich mehr Zeit bei ihm und seiner Mutter als Zuhause, schlief auch in der Schulwoche schon manchmal in dem Gästezimmer, auch wenn so der Weg zu seiner Schule weiter war.

Es gab nur wenige Tage, die Shin komplett bei sich daheim verbrachte, und das eigentlich nur, weil er seine Aufgaben im Haushalt erledigen musste, aber an solchen Tagen flogen die SMS durch die Gegend, auch wenn das teuer war. Wenn sie gut drauf waren, kamen sie auf 80 bis 100 SMS an solchen Tagen.

Shin wusste nicht viel über die Situation seiner Gefühle, aber er war so oft bei Saga, dass er keine drei Tage ohne ein Lebenszeichen des Älteren auskam. Auch wenn es diesem immer besser zu gehen schien, machte er sich immer noch Sorgen, ob Saga ihm nicht einfach etwas vorspielte, um ihn zu beruhigen. Die Freundschaft war zwar echt, aber Shin wusste nicht, was er davon halten sollte. Sie waren so verschieden, und wenn er ehrlich zu sich selbst war, wusste er auch nicht, ob seine Gefühle sich noch im freundschaftlichen Raum bewegten.
 

Seufzend stellte Shin den Staubsauger weg und pustete sich eine Haarsträhne aus der Stirn. War es vor zwei Wochen noch verhältnismäßig kühl gewesen, war es jetzt schon relativ warm. Eigentlich zu warm, um die Hausarbeit zu erledigen, aber er hatte keine großartige Wahl. Und je länger er arbeitete, desto wärmer und sonniger wurde es. Er wünschte sich einfach, jetzt zu Saga zu können, aber das ging nicht. Wenn er seine Mutter schon nur etwas entlasten konnte, war er doch irgendwie dazu verpflichtet.

Erschrocken sah er auf die Uhr, als es an der Tür klingelte. Seine Mutter arbeitete noch, und selbst wenn sie nach Hause käme, sie hatte einen Schlüssel, und seine Freunde wussten, dass er eigentlich nicht wenig zu tun hatte. Aber es könnte jemand Wichtiges sein. Also machte er sich auf den Weg zur Tür, und öffnete diese.

Überrascht sah er den Blonden an. „Yuhma?“ Was tat sein bester Freund denn jetzt hier?

„Hey, Hübscher. Wenn du keine Zeit mehr für deinen besten Freund hast, muss ich eben vorbeikommen.“ Der Ältere lächelte ihn leicht an und wuschelte ihm freundschaftlich durch die Haare.

Natürlich hatte er seine Freunde in letzter Zeit etwas vernachlässigt, das war ihm bewusst gewesen, aber es zu hören, versetzte ihm einen kleinen Stich. „Tut mir leid“, flüsterte er und sah auf den Boden. „Es ist nur so, dass ich im Moment nicht so viel Zeit habe.“

„Normalerweise machst du ein bis zwei Mal in der Woche den Haushalt, die restliche Zeit hast du frei“, erwiderte der andere und drängte sich an ihm vorbei, sah auf eine Kommode, auf der sich schon eine dickere Staubschicht angesammelt hatte. „Du kannst mir nicht erzählen, dass du nur putzt und lernst.“

Shin seufzte und ging ins Wohnzimmer, ließ sich dort auf das Sofa fallen und legte den Kopf in den Nacken. „Das ist im Moment alles nicht so einfach“, erklärte er und schloss die Augen.

„Wir sind Freunde, Shin. Da kann man miteinander reden, und du weißt, dass ich dir immer zuhöre.“

„Ich wie, aber…“

„Kein ‚aber‘.“ Yuhma ließ sich neben ihn fallen und legte ihm einen Arm um die Schultern. „Ich bin für dich da. Und ich will dich öfter sehen als nur in der Schule. Und wenn ich deswegen mit dir zusammen lernen muss, dann können wir das machen, aber ich will auch Zeit mit dir verbringen.“

Wieder seufzte der Braunhaarige. Das hatte irgendwie gesessen. War er wirklich so ein schlechter bester Freund? Aber mit Yuhma lernen konnte er auch nicht, immerhin war er auch da bei Saga. Also musste er seinem besten Freund die ganze Situation erklären. „Ich habe da jemanden kennengelernt“, fing er also an. „Lass mich bitte ausreden“, setzte er hinzu, als der Blonde Anstalten machte, ihn zu unterbrechen. „Er ist 21 und heißt Saga. Ich habe ihn angesprochen, weil er so… verletzt und verzweifelt gewirkt hat. Sein Freund ist letztes Jahr im Dezember verstorben, und ich versuche jetzt seit eben zwei Woche, Saga zu helfen und aufzumuntern. Ich bin so gut wie immer bei ihm. Ich habe ihn wirklich sehr gern, und ich will bei ihm sein, am Liebsten immer. Ich mache mir Sorgen um ihn.“

„Dass sein Freund letzten Dezember gestorben ist, ist sicherlich nichts, das man einfach so wegsteckt, aber du kannst ihm nicht helfen. Und dass du ihn magst, ist ja schön und gut, aber kannst du dir deine Zeit nicht irgendwie einteilen? Du magst mich doch auch“, sagte Yuhma und strich ihm durch die Haare. „Ich bin auch noch Teil deines Lebens und möchte Aufmerksamkeit.“

Leicht schüttelte der Jüngere den Kopf. „Ich helfe ihm, das merke ich, aber ich will nicht, dass er wieder in diese… Gleichgültigkeit und Hoffnungslosigkeit und Trauer oder was auch immer zurückfällt. Ich will nicht, dass er sich etwas antut.“

„Verdammt noch mal, Shin! Du bist nicht für ihn verantwortlich!“, fuhr der andere ihn an, woraufhin er erschrocken zusammenfuhr.

„Aber ich will ihn nicht verlieren“, flüsterte er und sah seinen besten Freund an. „Er ist mir zu wichtig und ich hänge zu sehr an ihm. Ich weiß nicht genau, was es ist, aber vielleicht… Vielleicht liebe ich ihn.“

„Shin, hör auf. Du weißt doch, was passiert. Glaubst du wirklich, er wird sich auf dich einlassen und dich wirklich lieben? Er muss das mit seinem Freund doch erst verarbeiten.“

„Wie soll ich meine Gefühle verfälschen oder ändern?“, erwiderte Shin und verschränkte die Arme vor der Brust. „Und wenn es mich unglücklich macht, ist das immer noch meine Sache. Außerdem bin ich mir ja gar nicht sicher, ob ich ihn überhaupt liebe!“

Yuhma schnaubte. „Shin, wir sind Freunde, und wenn dich etwas unglücklich macht, geht mich das sehr viel an! Ich will dich beschützen! Solltet ihr tatsächlich zusammen kommen, wärst du für ihn doch nur ein junger, hübscher Ersatz! Du bist zu schnell! Außerdem kannst du nicht nach zwei Wochen schon sagen, dass du ihn liebst! So schnell entwickelt Liebe sich nicht!“

„Was bist du plötzlich so zickig?“, erwiderte Shin und musterte den Blonden skeptisch. „Nur, weil ich gesagt habe, dass ich ihn vielleicht liebe, spielst du plötzlich so verrückt.“

Yuhma schloss einen Moment die Augen und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. „Du hast recht, tut mir leid. Über etwas wie Liebe sollte man aber nicht sprechen, wenn man sich nicht sicher ist. Ich will doch nur, dass du den Richtigen findest, der dich wirklich über alles liebt.“

„Ich weiß.“ Aufmunternd lächelte Shin seinen besten Freund an, sah dann aber auf die Uhr. „Trotzdem solltest du jetzt besser gehen, ich habe hier noch einiges zu erledigen.“
 

„Saga, können wir jetzt wieder einmal Klartext reden, wo wie beste Freunde es normalerweise tun?“ Satt und zufrieden lehnte Tora sich zurück und kickte den Pizzakarton auf den Fußboden.

„Das können wir immer. Also, worüber wollen wir Klartext reden?“ Abwartend trommelte Saga mit seinen Händen auf seinen Knien.

„Bist du verliebt?“

Sprachlos sah er den Älteren einen Moment an und lachte dann. „Wie kommst du denn darauf?“ Wobei er selbst einsehen musste, dass die Idee gar nicht so abwegig war.

„Du hast mir von Shin erzählt und davon, dass er sich um dich kümmert“, erklärte Tora ruhig. „Seitdem geht es dir anscheinend immer besser. Der Kleine tut dir mehr als gut, die Vermutung liegt also nah.“

Saga schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin nicht in Shin verliebt. Wir sind mittlerweile ziemlich eng befreundet, aber das ist alles.“ Wie von selbst wanderte sein Blick zu dem Foto, das erst seit drei Tagen neben Shous Bild auf seinem Nachttisch stand. Er war mit Shin im Park gewesen und sie hatten ein wenig herumgealbert. Dabei war dieses Bild von dem Schüler entstanden, auf dem dieser auch noch sein schönes Lächeln zeigte. Weshalb das Bild auf seinem Nachttisch gelandet war, wusste Saga nicht so genau, aber er hatte es dort haben wollen.

Der Ältere folgte seinem Blick und nahm das Bild. „Das ist Shin?“, fragte er skeptisch.

Saga nickte. „Er ist hübsch, nicht?“

„Das auf jeden Fall, aber… Bist du dir sicher, dass du wirklich ihn magst? Als Shou in dem Alter war, sah er fast genauso aus.“

Wieder nickte der Kleinere. „Ich weiß. Die Ähnlichkeit, auch charakterlich, kann ich nicht bestreiten, aber ich mag Shin eben, weil er so ist. Die gleichen Eigenschaften, die ich an Shou geliebt habe, sind bei Shin nur anders ausgeprägt vorhanden. Aber es gibt auch einige Punkte, in denen sich die beiden grundlegend unterscheiden.“

Forschend betrachtete der andere ihn. „Dir ist schon klar, dass Shin keine Kopie von Shou ist?“

„Ja. Tora, was ist los mit dir? Nur weil der Grund dafür, dass es mir immer besser geht, große Ähnlichkeit mit dem Grund, wegen dem es mir schlecht ging, hat, brauchst du dir keine Sorgen zu machen.“

„Was denkst du wird passieren, wenn ihr zusammen kommt? Selbst wenn du wirklich ihn liebst, glaubst du nicht auch, dass er sich irgendwann wie Shous Ersatz fühlen wird?“

Nachdenklich schüttelte Saga den Kopf. „So weh es auch tut, Shou ist… meine Vergangenheit. Ich will erst keine Beziehung mehr, und ich denke nicht, dass ich irgendwann wieder jemanden so lieben kann, einfach, weil ich diesen Schmerz kenne, der mit dem Verlust zusammenhängt. Ich kann nicht wissen, was in fünf Jahren sein wird. Ich weiß nur ganz sicher, Shin ist Shin und Shou ist Shou. Shin ist mein Privattherapeut und ein guter Freund, Shou ist der Mann, den ich immer irgendwo lieben werde. Du siehst, ich kann ganz gut zwischen den beiden unterscheiden.“

Fest sah Tora ihn an. „Dir liegt viel an deinem kleinen Therapeuten. Warum beziehst du deine Gefühle nicht mit ein? Was sagt dir, dass du dich nicht in Shin verlieben wirst oder es schon tust?“

„Ich will es nicht“, beantwortete Saga die Frage leise und sah auf seine Hände. „Es ist besser für uns beide, wenn wir nur Freunde bleiben. Für ihn, weil er schon zu oft benutzt wurde und sich nicht so fühlen soll, wie du es befürchtest. Und für mich, weil er mich irgendwie zu sehr an den Verlust erinnert.“

„Was würdest du tun, wenn irgendetwas passiert, das ihn psychisch an seine Grenzen treibt? Zum Beispiel gerät er in einen Banküberfall und sieht, wie reihenweise Menschen erschossen werden.“

„Ich würde für ihn da sein“, erwiderte Saga, ohne großartig darüber nachgedacht zu haben. „Ich würde mich um ihn kümmern, damit es ihm besser geht. So, wie er es für mich auch tut.“
 

Fröhlich kam Shin nach dem Einkaufen nach Hause, räumte die Nahrungsmittel noch weg und sah dann auf die Uhr. Es war ein kalter und stürmischer Tag, und gerade deshalb wunderte es ihn, dass Saga sich noch nicht gemeldet hatte. Trotzdem beschloss er, dem Älteren noch etwas Zeit zu lassen, sich zu melden, während er sich unter der Dusche aufwärmte. Aber auch danach hatte er noch keine SMS und keinen Anruf bekommen. Also war es wohl an ihm, die Initiative zu ergreifen.

„Ja?“, kam es nach kurzem Klingeln von Sagas Mutter, da Shin auf dem Festnetzanschluss angerufen hatte.

„Hallo, hier ist Shin. Ist Saga da?“, fragte er höflich und sah auf die Uhr. Es war Samstag, wo sollte Saga schon Samstagnachmittag sein?

„Nein, er wollte zu den Klippen. Ich weiß zwar nicht genau, weshalb, aber ich kann schon froh sein, dass er mir so was noch erzählt.“

Shin spürte, wie sein Herz einen Schlag aussetzte. Saga war zwar ausgeglichener, aber alles andere als psychisch stabil, so schätzte er die Situation zumindest ein, und dann Klippen…

„Ist alles in Ordnung, Shin?“

„Alles Bestens“, meinte er nach kurzem Zögern. „Vielen Dank! Ich versuche ihn anders zu erreichen. Tschüss!“

Eilig legte er auf und lief in den Flur, zog sich dort seine Schuhe und Jacke an. Er wusste aus Erzählungen des Studenten, wo diese Klippen lagen und wie es dort aussah. Um dorthin zu kommen, wären Bus und Bahn zu langsam und die dazugehörigen Stationen zu weit weg.

Einen Moment zögerte er. Sollte er…? Würde er erwischt werden, hätte er riesigen Ärger am Hals. Aber das war eine Ausnahmesituation. „Ach, zum Teufel mit den Konsequenzen!“, fluchte er und schnappte sich die Autoschlüssel, raste dann förmlich aus der Wohnung und schließlich aus dem Treppenhaus zum Auto. Zum Glück konnte er fahren, auch wenn er es eigentlich nicht durfte, nur war ihm das gerade ziemlich egal.

Viel schlimmer war der Stadtverkehr, aber dank Missachtung sämtlicher Verkehrsregeln und etwas Geschick schaffte er es ziemlich schnell auf die richtige Straße, die ihn aus der Stadt führte, und raste diese entlang. Sein Herz schlug wie verrückt, während er das Gaspedal folterte. Jede Sekunde konnte entscheidend sein. Je näher er dem Ziel kam, desto unruhiger wurde er. Der Wagen sprang förmlich auf dem unebenen Pfad, auf den er gebogen war, um sein Ziel zu erreichen, hin und her. Zu allem Überfluss hatte es auch noch angefangen zu regnen, was ihm die Sicht erschwerte. Und trotzdem konnte er Sagas Auto schon von Weitem ausmachen, aber ohne den Fahrer.

In blinder Panik stellte er den Wagen seiner Mutter neben dem anderen ab und rannte weiter. Er blieb erst kurz vor dem Abgrund stehen und schwankte einen Moment, weil er diesen viel zu spät bemerkt und daher auch zu spät abgebremst hatte. Das Regenwasser lief ihm in die Augen, es regnete immer heftiger und der Wind heulte immer lauter. „Saga!“, schrie er gegen den Sturm, so gut er konnte, sah sich noch einmal um, konnte aber niemanden entdecken. Verzweifelt stolperte er ein paar Schritte zurück und wischte sich über das Gesicht. Er fühlte sich in allererster Linie nass und durchgefroren, aber er wollte nicht in das warme, trockene Auto. Er durfte nicht aufgeben. Stattdessen wandte er sich in die eine Richtung der Klippen und rannte den schmalen Trampelpfad entlang, rief immer wieder nach dem Gesuchten, bis er erschöpft auf die Knie sank. Er gönnte seinen brennenden Lungen einen Moment Ruhe, zwang sich dann aber wieder hoch und lief weiter. Nach ein paar Metern blieb er stehen und fixierte etwas Dunkles in der Ferne. Stand da jemand?

„Saga!“, schrie er wieder mit aller Kraft gegen den tosenden Sturm an, und tatsächlich regte sich die Gestalt. So schnell es seine Beine noch zuließen rannte er auf die Person zu, erkannte seinen Freund ein paar Schritte, bevor er diesem um den Hals fiel.

„Shin? Was zum… Du bist ja eiskalt.“ Besorgt strich Saga durch die nassen, braunen Haare und zog den Kleineren mit unter den unauffälligen Unterstand.

„Endlich habe ich dich gefunden.“ Unkontrolliert zitternd klammerte Shin sich an den anderen.

„Anscheinend ja. Ruh dich einen Moment aus, wir müssen noch wieder zum Auto zurück. Und es ist sicher nicht gut, wenn du pitschnass noch länger hier draußen stehst.“

Widerspruchslos nickte der Schüler. Er fror, aber das war ihm verhältnismäßig egal. Er hatte Saga gefunden, unbeschadet, und das war für ihn das Wichtigste.

„Wie bist du überhaupt hergekommen?“, fragte der Ältere und rieb wärmend über seine Arme.

„Ich habe mir das Auto meiner Mutter geliehen.“

„Durftest du das?“ Misstrauisch sah Saga zu ihm hinab.

„Ja.“

„Sieht die Polizei das genauso?“

„Nein.“ Betreten sah Shin zu Boden.

„Dann lassen wir das Auto deiner Mutter erst einmal hier und ich nehme dich mit.“ Sanft strich Saga dem Kleineren über die Wange und drückte den zitternden Körper an sich.
 

________________________________________________________________________________
 

Meine Fresse, habe ich hier viele Zeitsprünge drin. >.< Aber besser als zu behaupten, die ganze Entwicklung würde nur ein paar Tage dauern.
 

Zu diesem Kapitel konkret...

Yuhma. Shins bester Freund und ein bisschen sehr aufbrausend. Aber jetzt kann man natürlich Vermutungen anstellen, weshalb ich der Meinung bin, dass er relativ wichtig ist.

Und die letzte Situation kommt mir relativ bekannt vor, aus folgendem Grund:

>Hr. Ehlers: "Durften Sie diesen Cocktail trinken?"

Müscher: "Ja, klar."

Hr. Ehlers: "Auch gesetzlich?"

Müscher: "Ähm, nein... eigentlich nicht." <

Ja, ja, wie Gesetz und eigene Meinung (oder die der Eltern) doch teilweise durcheinander gehen. xD
 

Nächstes Kapitel kommt nächsten Freitag und- ja. Kommentare sind gern gesehen, und ich bringe dafür wirklich niemanden um. ;D (Sonst wäre klene-Nachtelfe schon laaaange tot.)
 

lG Hikari

-5-

Still betrachtete Saga den Jüngeren auf dem Beifahrersitz. Sie waren förmlich zum Auto gesprintet, und trotzdem war auch er nass angekommen. Dann hatte er noch darauf bestanden, dem anderen eine der Wolldecken aus dem Kofferraum zu geben. Der hatte zwar zu Anfang protestiert, es dann aber doch aufgegeben und sich dankbar in den wärmenden Stoff gekuschelt.

Die ganze bisherige Fahrt über hatten sie geschwiegen, aber da waren Fragen, die er sich stellte. Warum hatte Shin ihn gesucht? Woher hatte dieser gewusst, wo er sich aufhielt? Weshalb war der Kleinere nicht einfach im Wagen geblieben und hatte auf ihn gewartet? Und wieso war Shin so panisch gewesen, als er ihn gefunden hatte?

Obwohl Saga sich die Antworten denken konnte, wollte er sie hören, und das nach Möglichkeit begründet.

„Saga… Bist du sauer auf mich?“, fragte der Schüler nach einer weiteren Weile des Schweigens leise.

„Nein“, erwiderte er überrascht. „Sollte ich?“

„Nein, aber… weil ich dich gesucht habe? Ich meine…“

Saga seufzte. „Du sollst nicht meinen. Bei mir Zuhause sollst du mir Rede und Antwort stehen, ohne meine Mutter, aber vorher ziehen wir uns um und wickeln uns in Decken ein.“ Aus dem Augenwinkel sah er das leichte Nicken des anderen und konzentrierte sich dann wieder auf die Straße. Wenigstens würde er wieder seine Antworten bekommen.
 

„Komm her.“ Sanft zog Saga den Kleineren enger an sich. Sie trugen inzwischen wieder trockene Sachen und hatten schon zwei Decken um sich liegen, und trotzdem zitterte der andere noch. Der schlanke Körper war noch durch den Stoff eiskalt. Es war unglaublich, wie durchgefroren Shin war, und irgendwie fühlte Saga sich dafür verantwortlich und demnach auch dafür zuständig, diesen wieder irgendwie zu wärmen. Und es fühlte sich nicht schlecht an, wie der Jüngere sich an ihn schmiegte.

„Hier ist euer Tee“, sagte seine Mutter ruhig und stellte die dampfenden Getränke auf den Nachttisch. „Braucht ihr noch etwas oder soll ich euch einfach in Ruhe lassen?“

„Es wäre gut, wenn du noch eine Decke holen könntest“, antwortete Saga und strich dem Schüler durch die Haare. „Und es wäre gut, wenn du bei Shins Mutter anrufen und ihr sagen könntest, wo ihr Sohn und ihr Auto sind.“

Sie nickte und holte schnell eine Decke, legte diese dann noch um sie und ließ sie dann allein.

Der Schwarzhaarige gab dem anderen den Tee und nahm dann seinen eigenen Becher. Dank der Decken wurde es immer wärmer, aber Shins Zittern ließ nur langsam nach. So langsam, dass Saga diesen besorgt betrachtete.

Vorsichtig nippte Shin an seinem Tee und lehnte sich an den Älteren. Er wusste, dass das Frage-Antwort-Spiel noch kommen würde, und er war auch bereit, mitzuspielen. Er hätte auch keine andere Wahl, also war es prinzipiell egal.

„Ist alles klar?“, hörte er die leise Stimme an seinem Ohr und erschauderte, als der warme Atem seine Haut streifte.

„Ich denke schon.“ Unsicher lächelte er den Größeren an. „Das war vorhin nur verdammt kalt und nass.“ Er seufzte leise und kuschelte sich an den anderen.

„Also, Süßer, warum hast du mich gesucht?“

Sanft wurde ihm durch die Haare gestrichen, während er in seinen Tee sah. „Ich habe mir Sorgen um dich gemacht“, gestand er flüsternd. „Wenn ich an Klippen denke, verbinde ich damit Gefahr, und ich weiß nicht, wie sehr du noch an deinem Leben hängst und wie gut oder schlecht es dir wirklich geht. Also dachte ich…“

„…dass ich mich umbringen will?“, schlussfolgerte Saga und erntete ein Nicken. „Glaub mir, Shin, das würde ich nicht tun. Ich war am Boden, als du mir deine Hilfe angeboten hast, aber es geht mir wirklich besser. Und jemand muss doch auf dich aufpassen.“

„Bitte, Saga, ich meine es ernst.“

„Ich auch.“

Shin seufzte leise. „Ich komm schon klar. Ich brauche keinen Babysitter.“

„Ich bin nicht dein Babysitter und das will ich auch nicht sein. Du bist mir wichtig und ich will für dich da sein.“

Schnell gab er dem Älteren den leeren Becher und sah diesem ruhig in die Augen, nachdem beide Becher weiter auf den Nachttisch gewandert waren. „Ich bin dir wichtig, ja? Aber wie willst du für mich da sein, wenn du selbst genug mit dir beschäftigt bist? Wie kannst du behaupten, dass ich dir wichtig bin, wenn du noch immer an deiner Vergangenheit hängst und nicht immer ehrlich zu mir bist?“, flüsterte Shin verletzt. „Wie groß ist meine Rolle in deinem Leben wirklich? Bin ich einer deiner Freunde oder nur dein Privattherapeut?“

Shin zuckte leicht zusammen, als die warme Hand sich an seine Wange legte. Trotzdem hielt er dem Blick der warmen, braunen Augen so gut wie möglich stand. Langsam näherte Saga sich seinem Gesicht, hielt erst inne, als nur noch ein paar Zentimeter Distanz zwischen ihnen waren.

Der Schüler spürte, wie sein Herz einen Schlag aussetzte und dann schneller weiterschlug. Ein leichtes Zittern lief durch seinen Körper, als sich die weichen Lippen an seine schmiegten. Seine Augen drifteten wie von selbst zu und seine Hände schlichen sich auf den warmen, fremden Körper. Nur zögernd erhöhte sich der Druck auf seine Lippen, während sie sich forschend gegen die des Schwarzhaarigen bewegten. Er konnte nicht genau sagen, weshalb er auf den Kuss einging. Er wusste, dass es falsch war, aber sein Denken hatte scheinbar ausgesetzt und auch nicht so schnell vor, sich wieder einzuschalten, er genoss den Kuss einfach. Er hatte vorher viel über das Gespräch mit Yuhma nachgedacht. Er war sich nicht sicher gewesen, ob er in den Größeren verliebt war, aber das Kribbeln in seinem Bauch und sein wie verrückt schlagendes Herz gaben ihm gerade eine ziemlich eindeutige Antwort.

Nur widerwillig löste Saga den Kuss und strich dem Schüler über die Wange. „Deine Rolle ist im Moment eine der Größten in meinem Leben. Du bist momentan der wichtigste Mensch für mich.“

Shin nickte und lehnte seinen Kopf an Sagas Schulter. So gut es sich auch angefühlt hatte, den anderen zu küssen, umso unsicherer fühlte er sich jetzt. Auch wenn er sich sicher war, dass dem anderen wirklich viel an ihm lag, es war doch so nicht richtig, oder? Immerhin hing Saga noch immer an Shou und er wollte nicht einfach nur ein Ersatz sein. Auch wenn der Student ihm immer sagte, dass er kein Ersatz war, war das leider nicht so leicht zu glauben.
 

„Ich glaube, wir sollte sie noch schlafen lassen“, meinte Shins Mutter leise und sah auf das Deckenbündel, in dem Saga und der Braunhaarige eng aneinander gekuschelt schliefen.

„Sollten wir“, bestätigte Sagas Mutter. „Die beiden sind wirklich süß zusammen, und mit jedem Tag, den Saga mit Shin verbringt, geht es meinem Sohn wieder besser.“

„Kein Wunder. Shin ist ein kleiner Schatz. Und er kann jedem Menschen helfen. Ihm scheint viel an Ihrem Sohn zu liegen, auch wenn er mir nicht oft von ihm erzählen konnte.“

„Sie arbeiten viel, das habe ich gehört. Das Leben ist nicht leicht, wenn man mit einem Kind allein ist.“ Leise schloss sie die Tür und machte sich auf den Weg in die Küche.

„Die Familie meines verstorbenen Mannes unterstützt Shin etwas, aber ich will, dass er, wenn er studiert, nicht arbeiten muss, um die Gebühren abzudecken. Und Shin hat bis vor Kurzem gearbeitet, um Schulden seines Vaters zu bezahlen. Aber darf ich fragen, was mit Sagas Vater ist?“

„Sicher. Er arbeitet in verschiedenen Städten als Architekt und kommt deswegen nur selten her, aber rein finanziell geht es uns nicht schlecht. Und auch so sind wir eigentlich ganz gut zurecht gekommen, bis Sagas Freund im Dezember überraschend verstarb.“ Still sah die Mutter des Schwarzhaarigen auf den Tisch. „Er ist mit der Situation nicht klargekommen, ich dachte eine Zeit lang wirklich, dass er nicht mehr weiterleben will. Und es beruhigt mich zu sehen, dass er nicht allein ist und Shin auch an sich heranlässt.“
 

Langsam öffnete Saga die Augen. Er fühlte sich wie in einer Sauna, und außerdem behinderte ihn noch etwas beziehungsweise jemand anderes als die Decken in seinen Bewegungen. Shin schien ihn anscheinend als bequem genug zu befinden, um halb über ihm zu liegen und ganz friedlich zu schlafen.

Vorsichtig strich er durch die braunen Haare, ließ dabei aber einen Arm um den schlanken Körper liegen. So gern er Shin auch bei sich hatte und so ungern er diesen verletzen wollte, ein wenig Abstand würde ihm sicherlich gut tun. Er wusste nicht, weshalb er den Jüngeren geküsst hatte. Der Moment hatte gepasst und er hatte die Hoffnung gehabt, seine aufgewühlten Gefühle so wieder unter Kontrolle zu bekommen, nur war aus irgendwelchen Gründen das genaue Gegenteil passiert.

Jetzt herrschte erst richtig Chaos in ihm. Es hatte sich gut und richtig angefühlt, den Jüngeren zu küssen, und genauso fühlte es sich auch an, den warmen Körper so nah bei sich zu haben. Und Shin hatte sich Sorgen gemacht, was ihn irgendwie auch freute.

Im Prinzip wusste er genau, was los war, aber er wollte das nicht. Und vielleicht konnte ein bisschen Abstand noch verhindern, was hier vor sich ging, auch wenn er ahnte, dass es zu spät war. Es ging nicht mehr nur um ihn, er hatte den Schüler mit reingezogen, ohne wirklich darüber nachzudenken, was für Konsequenzen es nach sich ziehen könnte. Er hätte Shin eigentlich nie zu seinem Privattherapeuten werden lassen sollen, und selbst wenn er das noch zugelassen hätte, sie hätten sich niemals so nah kommen dürfen.

Streng genommen störte es ihn nicht einmal, aber er war sich ganz sicher, dass Shin früher oder später darunter leiden würde. Weil er immer noch an Shou hing und so unentschlossen war. Und er wollte Shin nicht leiden lassen.

„Verdammt, Kleiner, was machst du nur mit mir?“, murmelte er und strich dem Kleineren über die Wange. „Ich wollte das doch nicht mehr.“

Trotzdem bekam er keine Antwort, bezweifelte sogar, dass der Schüler ihn überhaupt gehört hatte, auch wenn dieser im Traum seufzte und sich enger an ihn kuschelte. Shin hatte ihm gesagt, dass er nur jemanden an sich heranlassen musste, der seine Wunden heilte, und das geschah nun nach und nach.

„Saga?“ Verschlafen sah der Schüler zu ihm auf, schloss dann aber wieder die Augen und kuschelte sich zumindest bei halbem Bewusstsein noch enger an ihn.

„Es ist alles gut. Schlaf ruhig noch ein bisschen.“

Leicht schüttelte der Jüngere den Kopf, machte aber keine Anstalten, den Platz zu räumen. Für ein ernstes Gespräch war es eine völlig unpassende Situation, aber das Thema musste angesprochen werden.

„Shin… Denkst du, wir können nach dem Frühstück über etwas Wichtiges reden?“ In Gedanken schlug der Schwarzhaarige seinen Kopf gegen eine Wand. Warum sagte er nicht einfach, was er sagen wollte? Früher oder später musste er mit der Sprache herausrücken. Aber der Augenblick war zu liebevoll und unschuldig. Er wollte es noch genießen, dem anderen so nah zu sein, auch wenn es auf der anderen Seite schmerzte.

Er fühlte sich, als würde er Shou betrügen, auch wenn er wusste, dass es niemals so weit gekommen wäre, wenn der Ältere noch leben würde. Sein Verstand versuchte auch, ihm das klarzumachen, aber sein Herz wollte das nicht so ganz begreifen. Es war schon schmerzhaft genug gewesen, mit Shous Tod umzugehen, aber zu wissen, dass sie nicht getrennt wären, wäre diese seltsame Krankheit nicht gewesen, machte es ihm schwer, seinen Freund loszulassen.

„Wir können über alles reden, das weißt du doch.“ Aufmerksam und plötzlich hellwach sah der Kleinere ihn an. „Du solltest nicht zu viel nachdenken.“

„Und wenn es nicht anders geht?“, fragte er leise und wandte den Blick ab. „Egal, was ich tue, es wird einerseits richtig und andererseits falsch sein. Ich muss nachdenken, um eine Lösung zu finden, die für uns am Besten ist.“

„Glücklich ist der Dumme, glücklich der Nichtdenkende“, meinte Shin ruhig. „Halt mich nicht für dumm. Ich kann mir ungefähr denken, worum es geht, aber ich kann dir nichts vorschreiben.“ Der Jüngere seufzte leise. „Tu, was dein Herz dir sagt und was du für das Richtige hältst. So lange muss und werde ich alles akzeptieren.“

Vorsichtig richtete Shin sich etwas auf und machte sich mit der Hilfe des Studenten daran, sich aus den Decken zu schälen. Danach setzte er sich auf diese und sah den Älteren an. „Worüber willst du mit mir reden? Auch wenn ich glaube, es zu wissen, keine Ausreden.“

Saga setzte sich unsicher neben den Jüngeren und lehnte sich an die Wand. Er war sich nicht sicher, wie er anfangen sollte, aber er musste einen Beginn finden. „Ich weiß nicht, was ich will“, meinte er nach einer Weile vorsichtig. Das Beste wäre wohl, es kurz und schmerzlos hinter sich zu bringen, aber auch das wäre nicht so schmerzlos, wie er es für Shin gern hätte. „Du bist mir wichtig, sehr sogar. Ich fühle mich gut, wenn du da bist, aber ich weiß nicht, ob das richtig ist. Meine Gefühle sind mir selbst ein Rätsel, und ich brauche Zeit, um sie zu entschlüsseln. Zeit, in der ich nicht beeinflusst werde.“

Der Braunhaarige schloss einen Moment die Augen. Das war schon irgendwie klar gewesen, aber es schmerzte trotzdem. Er konnte den Älteren ja auch irgendwo verstehen, aber er war nicht dazu in der Lage, die Gesamtsituation neutral genug zu betrachten. Er selbst war zu sehr darin involviert und er hatte seine Wünsche. „Bereust du den Kuss?“ Seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. Er war sich nicht ganz sicher, warum, aber er hatte Angst vor der Antwort.

„Das habe ich nie gesagt und so war es auch ganz sicher nicht gemeint. Wenn ich den Kuss bereuen würde, wüsstest du es“, antwortete der Größere ruhig. „Was ich meine, ist, dass es vielleicht besser wäre, wenn wir ein paar Tage keinen Kontakt haben.“ Zögernd nahm er Shins Hand und sah diesen an. „Ich muss für mich selbst die beste Lösung finden, und letztendlich auch für dich. Und unsere Beziehung, welcher Natur sie auch ist.“

Unruhig erwiderte Shin den Blick des anderen und versuchte so, etwas über dessen Gefühle herauszufinden. Nur blieb es dabei, dass dieser Mann ihm unbegreiflich war. Er wollte nicht, dass er zurückgewiesen wurde, viel zu viel hatte er schon zugelassen, obwohl er sich beim Spiel mit der Liebe und dem Feuer schon öfter verbrannt hatte.

Langsam stand er auf. Er brauchte nicht lange, um sich seine inzwischen getrockneten Sachen anzuziehen. Danach wandte er sich wieder an den Studenten. „Lass dir so viel Zeit, wie du brauchst, um herauszufinden, was du willst, aber gib mit Bescheid, wenn du dich entschieden hast. Das wäre nur fair. Und ich denke, ich verdiene so viel Fairness.“ Zart küsste er den Älteren auf die Wange und verließ den Raum, während Saga sich zurückfallen ließ und sich die Decke über den Kopf zog. „Warum immer ich? Was habe ich nur getan?“, nuschelte er in den Stoff, ignorierte dabei das Gefühl des Verlustes in sich und tastete nach seinem Handy, wählte wie auswendig gelernt die Nummer und hielt sich das Gerät ans Ohr. „Tora? Ich glaube, ich habe gerade ziemliche Scheiße gebaut…“
 

_________________________________________________________________________________
 

Saga, Saga. v_v

Ob 'ziemliche Scheiße gebaut' es wirklich trifft?

Ich finde ja immer noch, dass das zu nett ausgedrückt ist.

Shin tut mir irgendwie leid. Sagas Entscheidungsprobleme und die dazu führende Vorgeschichte in allen Ehren, aber Shin hat jetzt darunter zu leiden.

Am Liebsten würde ich ihn in den Arm nehmen und trösten, und Saga einen gewaltigen Arschtritt verpassen, aber na ja.
 

Kommentare sind wie immer gern gesehen, scheinen hier auf Animexx allgemein richtige Raritäten zu sein, aber ich kann immer noch niemanden zwingen.

Obwohl... Nein, geht nicht. Alle zu weit weg, Erpressung hat keinen Sinn.
 

Das nächste Kapitel kommt - große Überraschung - nächsten Freitag.
 

Hikari

-6-

„Du bist so ein Idiot“, meinte Tora trocken und ging ungerührt weiter den Fußweg entlang. „Warum gibst du Shin und dir nicht eine gottverdammte Chance? Es könnte schief gehen, aber du wirst es nie wissen, wenn du es nicht probierst. Du liebst ihn doch!“

„Tora, hör auf! Ich habe nur gesagt, dass ich Zeit brauche. Okay, das ist zehn Tage her, aber ich weiß nicht, was ich will.“

„Du willst deinen kleinen Schüler, und wehe dir, du bestreitest das jetzt!“

Saga seufzte und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. So ging das seit fast einer Woche, und jedes Mal erzählte sein bester Freund ihm das Gleiche. Im Prinzip waren Toras Argumente die Wahrheit, das wusste der Jüngere auch, aber das machte nichts besser. Es spielte keine Rolle, wie fest er sich auch vornahm, eine Entscheidung zu treffen, er kam einfach nicht weiter. Und die Distanz zwischen Shin und ihm tat ihm alles andere als gut, viel eher fiel er in seine alten Verhaltensmuster zurück und wurde wieder verschlossener. Auch wenn er es sich nur ungern eingestand, er vermisste den Schüler und hatte schon öfter daran gedacht, diesen anzurufen, nur um zu wissen, wie es diesem ging.

„Saga! Wo bist du schon wieder mit deinen Gedanken?!“, fuhr Tora ihn an. „Was hast du jetzt vor?“

Der Kleinere zuckte mit den Schultern. „Ich weiß, dass es dich nervt, aber mein Plan hat sich seit gestern nicht geändert. Ich warte ab.“

„Das kann nicht…“

„Halt einmal die Klappe, ja?“, meinte Saga zu dem anderen und zog sein vibrierendes Handy aus der Tasche. Verwirrt sah er auf die Nummer. Sie kam ihm zwar bekannt vor, aber er konnte sie nirgends einordnen. „Ja?“, meldete er sich vorsichtig.

„Guten Tag. Sie sind Saga?“

„Ja. Mit wem spreche ich?“ Unruhig trommelte er mit seinen Fingern auf seinem Gürtel.

„Dr. Yatsuo vom Krankenhaus. Bei uns wurden zwei Personen eingeliefert und bei dem jungen Mann haben wir ihre Nummer gefunden. Shin…“

„Shin?! Ach du… Warten Sie bitte einen Moment, ich muss jetzt erst überlegen, wie ich am Schnellsten zu Ihnen komme. Was ist denn passiert?“

„Ich würde es bevorzugen, persönlich mit Ihnen zu sprechen.“

Gestresst schloss Saga die Augen. „Ich bin in höchstens… 15 Minuten bei Ihnen.“ Damit unterbrach er die Verbindung. „Scheiße!“ Eilig drehte er sich herum und ging in die Richtung, aus der sie gekommen waren.

„Was ist los?“ Kurz darauf erschien Tora neben ihm und hielt fast mühelos mit ihm Schritt.

„Shin ist im Krankenhaus, vermutlich mit seiner Mutter, sonst wäre ich nicht die erste Kontaktstelle“, erklärte der Jüngere.

„Und weshalb…“

„Ich habe keine Ahnung!“, brauste Saga auf. „Der Arzt möchte lieber persönlich mit mir reden.“

„Jetzt bleib mal ruhig und mach dir nicht so große Sorgen. Er wird schon noch leben.“

„Hör auf, damit Scherze zu machen!“

„Okay, ich glaube, das ist der Punkt, an dem ich mich verabschieden sollte, damit wir uns nicht zerfleischen. Wir sehen uns wahrscheinlich morgen in der Uni.“

Saga seufzte. „Wahrscheinlich. Wenn nicht, hörst du von mir.“

„Alles klar. Bis dann.“
 

„Dr. Yatsuo?“ Abwartend sah Saga den Älteren an, der nickte. „Wir haben telefoniert, nehme ich an?“

„Ja.“ Der Student nickte bestätigend und holte einen Moment tief Luft. „Was ist mit Shin?“

„Das wissen wir noch nicht so genau. Jemand ist in die Wohnung, in der er mit seiner Mutter lebt, eingedrungen und hat sie niedergestochen. Es ist noch nicht klar, ob sie überleben wird. Was Shin betrifft… Er war dabei, leidet aber anscheinend an einer retrograden Amnesie. Er kann sich weder an das Geschehene erinnern noch daran, wie er hergekommen ist. Wir vermuten aber anhand der Verletzungen, dass er vergewaltigt wurde, auch wenn die Ergebnisse noch nicht feststehen. Auf jeden Fall ist er wach und ansprechbar, und abgesehen von der Unsicherheit sowohl psychisch als auch körperlich bester Gesundheit.“

Seufzend fuhr Saga sich mit der Hand durch die Haare. „Wird er sich irgendwann wieder erinnern und weiß er, was mit seiner Mutter ist?“

„Vermutlich wird seine Erinnerung in ein paar Tagen oder Wochen vollständig zurückkehren. Niemand hat mit ihm über seine Mutter gesprochen, da er nach Ihnen verlangt hat und wir es für besser hielten, wenn jemand mit ihm spricht, dem er vertraut.“

Nachdenklich nickte er. „Ich werde versuchen, mit ihm zu reden. Kann ich…?“

„Natürlich. Dieses Zimmer.“ Der Arzt zeigte auf eine Tür, zu der Saga sich sofort begab und den Raum betrat. Er musste zu Shin.

Der Jüngere sah auch wirklich relativ gesund aus, nur schien er sich zu langweilen und gleichzeitig krampfhaft nachzudenken.

„Hey, Kleiner.“ Langsam ging Saga auf das Bett zu und setzte sich neben den anderen, der scheinbar nur zur Überwachung an einen Monitor angeschlossen war, der seine Herzfrequenz überprüfte. „Wie fühlst du dich?“ Sanft strich er dem Liegenden über die Wange, der ihn freudig anlächelte. „Ich bin froh, dass du da bist. Es ist komisch, wenn man sich an etwas, von dem man weiß, dass es wichtig ist, nicht erinnert.“

„Das kann ich mir sehr gut vorstellen.“ Gequält seufzte Saga und nahm die Hand des Jüngeren. Er wollte diesem nicht wehtun, aber seine Möglichkeiten waren ziemlich begrenzt. „Ich… muss dir etwas sagen. Und nein, es geht nicht um uns, bevor du dir deswegen noch Sorgen machst.“

Abwartend sah der Schüler ihn an und setzte sich auf, strich sich eine Strähne aus der Stirn.

„Es geht um deine Mutter“, begann Saga schweren Herzens und strich beruhigend über den Handrücken des Kleineren. „Ich weiß, dass du dich nicht erinnerst, aber bei dem, was passiert ist… wurde sie niedergestochen. Die Ärzte können nicht sagen, ob sie durchkommen wird. Es tut mir wirklich leid.“

Fassungslos schüttelte Shin den Kopf. Er konnte die Tränen, die ihm in die Augen traten, nicht vermeiden. „Nein“, flüsterte er und schloss die Augen, fand sich im nächsten Moment in der Halt gebenden Umarmung des Studenten wieder. „Das… Ich… Warum kann ich mich denn nicht daran erinnern?“ Hilfesuchend sah er zu dem anderen auf, der ihm die warmen Tränen von der Wange strich. „Hör mir zu, Shin. Du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen, weil du dich an nichts erinnerst. Das ist einfach eine Schutzmaßnahme des Gehirns, wenn zu viel passiert, das du nicht verkraften kannst. Das wird wieder, ganz sicher.“

Beruhigend strich Saga dem Kleineren durch die Haare und küsste ihn sanft auf die Stirn. Er war sich nicht sicher, wie er mit der Situation umgehen sollte. Sicher, auch Shou war manchmal am Ende gewesen und er hatte diesen trösten müssen, aber Shin war anders als Shou, wenn auch nicht grundlegend. Und so gab es zum Beispiel kein immer geltendes Rezept, um jemanden wieder aufzubauen. Shou hatte es immer geholfen, wenn man mit ihm gesprochen hatte, Shin schien es aber lieber zu haben, nur gehalten zu werden.

Der Schwarzhaarige zuckte leicht zusammen, als er die Tür hörte, aber ein Blick zeigte ihm, dass es nur der Arzt war. „Geht es Ihnen besser?“, fragte der Shin ruhig. „Sie wirken nicht mehr so berührungsscheu.“

„Es geht schon“, sagte der Schüler leise und schmiegte sich enger an den warmen Körper. „Haben Sie… das Ergebnis?“ Er schluckte merklich und schloss die Augen.

„Leider ja. Unsere Befürchtungen haben sich bewahrheitet. Wir haben eindeutige Verletzungsspuren gefunden, aber leider nichts, dass den Täter hätte überführen können. Die Polizei ist bereits informiert.“

Verzweifelt krallte Shin sich in das Shirt des Studenten. „Warum ich? Warum meine Mutter? Wo soll ich denn hin und…“

„Sie sollten einen Psychologen aufsuchen, spätestens, wenn Ihre Erinnerung zurückgekehrt ist“, riet der Arzt. „Und bis dahin können Sie hierbleiben oder zu jemandem ziehen, der sich um Sie kümmern würde und dem Sie vertrauen.“

Behutsam strich Saga dem Kleineren über den Rücken. „Du kannst mit zu mir kommen. Meine Mutter ist auch noch da, und sollten wir beide auch einmal weg müssen, kannst du bestimmt zu unseren Nachbarn, zumindest kurzzeitig.“

Leicht schüttelte Shin den Kopf. „Das Angebot ist verlockend, aber ich kann es nicht annehmen. Du musst doch regelmäßig zur Uni und ich will euch keine Umstände machen.“

Ein genervtes Seufzen entkam dem Studenten. „Nach dem, was du für mich getan hast, macht mir das sicherlich keine Umstände. Außerdem will ich dir helfen. Also erkläre dich schon damit einverstanden.“

Ergeben seufzte der Brünette und nickte leicht, woraufhin Saga ihm durch die Haare wuschelte. „Doktor, haben Sie noch kurz Zeit?“, meinte der Größere. „Ich würde Sie gern noch etwas fragen.“

Der Arzt nickte, woraufhin er sich von dem Kleineren löste und mit einem „Ich bin gleich wieder bei dir“, dem Arzt folgend den Raum verließ.

„Was möchten Sie wissen?“

„Sie meinten, Shin wäre berührungsscheu gewesen. Kann es sein, dass sein Körper sich an das Geschehene erinnert?“

Nachdenklich nickte der Mediziner. „Rein theoretisch ist das durchaus möglich, es gab schon öfter solche Fälle. Dadurch könnte es natürlich sein, dass er so empfindlich auf die Berührungen Fremder reagiert.“

Der Student sah einen Moment an die Wand. „Wie würde sein Körper wohl reagieren, wenn er auf den Täter trifft?“, überlegte er laut. „Könnte es nicht möglich sein, diesen… Typen ausfindig zu machen?“

„Auch das ist rein theoretisch möglich, und da ich von der Polizei weiß, dass der Täter in die Wohnung gelassen wurde, müsste er aus dem engeren Umfeld kommen. Allerdings lässt sich nicht vorhersagen, wie sein Körper reagieren wird, daher könnte man es vor Gericht nicht verwerten.“

„Mir geht es auch erst mal nur darum, diesen Dreckskerl von Shin fernzuhalten“, meinte Saga leise. „Ich frage mich sogar, ob es für ihn nicht besser wäre, wenn seine Erinnerungen nicht zurückkommen. Um ihm die Details zu ersparen.“

„Es ist möglich, dass er sich nie mehr daran erinnern wird, aber ob das nicht eventuell belastender ist? Unwissenheit ist auch schwerer zu verkraften, besonders, wenn er seine Mutter jetzt verlieren sollte und ihm bewusst ist, dass er den Täter im Prinzip kennt.“

Nachdenklich nickte Saga. „Wir müssen eh abwarten. Vielen Dank, aber ich will jetzt zu Shin zurück. Ich fühle mich nicht wohl dabei, ihn zu lange allein zu lassen.“ Höflich verabschiedete er sich von dem Arzt, blieb dann aber noch vor der Zimmertür stehen. Er hasste diese Situation schon jetzt, eben weil nichts leicht war. Er war gern für Shin da, aber dass es ausgerechnet so eine Situation sein musste? Eine Vergewaltigung wäre an sich schon schlimm genug gewesen, ebenso der mögliche Verlust, aber beides gleichzeitig war doch etwas zu viel, vor allem, weil er auch nicht wusste, wie er damit umgehen sollte. Dass Menschen starben, die einem wichtig waren, war nichts Seltenes, die Situation kannte er selbst ja nur zu gut, aber er wusste nicht wirklich, wie man mit Opfern einer Vergewaltigung umgehen musste.

Aber er würde es lernen, so wie er auch lernen würde, mit Shin umzugehen. Er war dazu verpflichtet, auch wenn sie nur gute Freunde waren.

Wobei das ein weiterer, erschwerender Punkt war. Er wusste eben immer noch nicht, was er wollte, und aus dem Grund durfte er dem Schüler eigentlich keine Hoffnungen machen. Sollte dann doch mehr von ihm erwartet werden und er einen Rückzieher machen, könnte das für Shin schwerwiegende Folgen haben.

Seufzend öffnete er die Tür und gesellte sich zu dem Jüngeren, nahm diesen auch sofort wieder in den Arm, als dieser Anstalten machte, sich an ihn zu kuscheln.

„Und für dich ist es auch wirklich okay, wenn ich zu euch ziehe?“, fragte der Kleinere noch einmal nach. „Ich meine…“

„Shin, wäre es nicht okay für mich, hätte ich es dir nicht vorgeschlagen.“ Lächelnd strich Saga dem anderen über die Wange. „Ich will dich sogar bei mir haben, um dich zu beschützen und dir zu helfen.“

Der Schüler nickte, schien aber etwas sagen zu wollen, das er nicht so leicht aussprechen konnte. Geduldig wartete Saga und strich diesem über den Rücken. Es war nichts Verwerfliches daran, einem Freund zu helfen. Oder?

„Hast du dich entschieden?“, flüsterte Shin schließlich, ohne ihn anzusehen.

„Nein“, gestand er leise. „Das ändert aber nichts daran, dass du mir unheimlich viel bedeutest. Nur ist es leider nicht so einfach, wenn einem jemand das Leben schwer macht. Und wenn dieser jemand das eigene Gewissen ist, kann man ihn nicht austricksen.“

„Hältst du es dann wirklich für eine gute Idee, wenn wir in einem Haus leben?“

Genervt stieß Saga die Luft aus. „Shin, du hast mir gefehlt, klar? Ich habe dich gern in meiner Nähe, und im Augenblick brauchst du meine Unterstützung. Wie du dir jetzt vielleicht denken kannst, bin ich einerseits ziemlich egoistisch und andererseits wirklich auf deiner Seite. Im Ernst, was ist daran so schwer zu verstehen?“

„Gar nichts.“ Mit Hundeblick sah Shin zu ihm auf, kuschelte sich dann an ihn und seufzte zufrieden. „Ich denke, du weißt, was du für mich bist“, meinte er leise.

„Ich habe eine Vermutung“, gab Saga zu. „Es tut mir wirklich leid, wenn ich dir wehtue, und wenn du mich nicht mehr in deiner Nähe haben willst, reicht ein Satz.“

„Ich will, dass du mich nie allein lässt“, murmelte Shin. Er war nicht müde oder schläfrig, aber es war kein Zeitpunkt für eine großartige Diskussion. Er fühlte sich nicht unbedingt gut, auch wenn der Student ihn beruhigte. Es war einfach ein ganz schrecklicher Tag gewesen. Einer der Tage, die man am Liebsten im Bett verbrachte, wenn man voraussehen konnte, wie schlecht sie verlaufen würden. Aber wenigstens hatte er Saga wieder bei sich. „Ich habe dich übrigens auch vermisst“, sagte er laut genug, um sicher zu gehen, dass der Ältere ihn hörte. „Rein menschlich.“
 

„Shin! Ich habe gehört, was passiert ist und bin gleich nach der Schule hergekommen!“

Misstrauisch betrachtete Saga den Blonden und lauschte auf den deutlich beschleunigten Herzschlag Shins.

„Keine Angst, Yuhma. Mir geht’s gut“, erwiderte Shin leicht lächelnd. „Saga, das ist mein bester Freund Yuhma“, stellte er den Blonden vor. „Und Yuhma, du weißt, wer Saga ist.“

„Sicher.“ Gespielt freundlich lächelte Yuhma ihn an, brachte ihn so schon zum Brodeln. Demnach, wie Shin auf seinen ‚besten Freund‘ reagierte, war der an der ganzen Situation nicht unbeteiligt. Aber würde jemand seinem besten Freund so etwas antun? Das war doch gegen alle Logik, die der Welt bisher bekannt war. Wer würde einen engen Vertrauten leiden lassen wollen?

„Und, Shin, wo bleibst du, wenn du wieder raus darfst?“, fragte Yuhma und legte seine Tasche zur Seite.

„Erst bei Saga, und dann ist es ja auch nicht mehr lange, bis ich mir eine eigene Wohnung suchen kann.“

Skeptisch beobachtete Saga, wie der Blonde die Hand zur Faust ballte, sich aber alle Mühe gab, zumindest ruhig zu wirken. „Können wir kurz auf dem Flur sprechen?“, wandte er sich an den älteren Schüler. So langsam hatte er eine Ahnung, um was es bei der Sache ging, und das gefiel ihm gar nicht.

Der andere nickte knapp und machte sich auf den Weg zur Tür, Saga folgte ihm angespannt.

„Worüber sollen wir reden?“, fragte Yuhma ruhig und strich sich durch die Haare, als Saga die Tür hinter sich geschlossen hatte.

„Vielleicht darüber, dass du für die Situation verantwortlich bist“, zischte Saga. „Er weiß zwar nichts mehr, aber sein Körper spricht eine eigene Sprache. Warum? Was hat er dir getan?“

Der Schüler schüttelte gelangweilt den Kopf. „Du kannst mir nichts beweisen und Shin weiß gar nichts mehr. Was tust du, wenn ich es dir gegenüber zugebe, aber der Polizei erzähle, dass du es warst? Aber meinetwegen, leugnen hat wohl dir gegenüber keinen Sinn. Ja, ich war’s. Er hat mir eigentlich nichts getan, und der Grund… Rate doch mal.“

„Ich will es von dir hören!“, knurrte Saga.

„Ich liebe ihn. Du solltest wissen, wie einfach das ist. Er ist hübsch und immer gut gelaunt, höflich, nett, klug, einfach ein Sonnenschein. Ich will ihn von dir weg haben, um ihn zu beschützen und ihn vielleicht endlich für mich zu haben. Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt, das solltest du wissen. Normalerweise hätte ich zuerst angerufen werden sollen. Er hätte nach mir verlangen sollen!“

„Das ist krank“, meinte Saga leise. „Das ist keine Liebe mehr, das ist Besessenheit! Normalerweise tut man dem Menschen, den man wirklich liebt, so etwas nicht an, im Gegenteil, man ist bereit, jeglichen Schmerz zu ertragen, um denjenigen glücklich zu sehen! Aber warum hast du auch noch seine Mutter niedergestochen?“

„Eigentlich wäre sie arbeiten gewesen, so war sie eine unnötige Zeugin. So leid es mir auch tut, Shin ist ohne sie besser dran. Genauso wie er ohne dich besser dran wäre!“

Wütend packte Saga den Kleineren am Kragen, zog ihn zu sich und funkelte ihn bedrohlich an. „Du hast keine Ahnung. Du weißt nicht genug über Shin und mich, um das beurteilen zu können. Ich möchte dir nur einen gut gemeinten Rat geben: Halt dich von Shin fern, wenn du nicht willst, dass der Rest deines jämmerlichen Daseins zu deinem schlimmsten Albtraum wird“, knurrte er angriffslustig und ließ den Jüngeren dann los. „Glaubst du, er würde dich lieben, wenn er sich daran erinnern könnte, dass du ihn vergewaltigt und seine Mutter fast umgebracht hast?! Er wird dir eh nie verzeihen, wenn seine Erinnerung wiederkommt. Und glaubst du wirklich, er wird dich vor dem Gesetz schützen? So dumm kannst selbst du nicht sein.“

Yuhma schüttelte den Kopf. „Wenn er weiß, warum, wird er dich wegschicken. Du wirst ihn niemals so lieben können, wie er es sich wünscht. Oder glaubst du wirklich, er ist so dumm, sich auf dich einzulassen, wenn er doch weiß, dass ein Teil von dir immer an deinem toten Freund hängen wird?“

„Lass Shou da raus!“, fuhr er den Schüler an. „Du weißt nicht, wie es ist, den Menschen, den du so sehr liebst, wie du nur kannst, für immer zu verlieren! Du weißt gar nicht, worum es geht! Shin weiß von Shou und er kennt meine Gefühlssituation, das heißt aber nicht, dass ich ihn nicht über alles lieben kann! Es ist immerhin nur ein Teil, der Shou immer gehört!“

„Ich werde verhindern, dass du ihm das antust“, gab der Blonde trocken zurück.

„Yuhma, halte dich an meinen Rat und bleib von Shin weg! Er kann dich in seiner Nähe nicht gebrauchen. Sein Körper zeigt ihm doch, dass etwas nicht stimmt. Was denkst du denn, wie lange es dauern wird, bis er dich nicht mehr an sich heranlässt? Und wenn er jetzt noch engen Kontakt zu dir hat, wird es für ihn nur schlimmer, wenn er sich erinnert und dadurch weiß, dass du ihm das angetan hast. Es wird für ihn so schon ein Spaziergang durch die Hölle. Er muss jemandem vertrauen, und wenn du sein Vertrauen so missbrauchst, wird er sich niemals davon erholen. Ich kann dir nicht verbieten, ihn zu sehen, aber ich verbiete dir ganz offiziell, mein Haus zu betreten. Ich werde alles daran setzen, Shin zu beschützen!“, meinte der Student leise. „Ich mache dir das Leben zur Hölle, wenn er nur deinetwegen noch mehr leiden muss. Da kannst du ganz sicher sein.“

„Soll das eine Drohung sein?“, erwiderte der Kleinere überlegen und zog eine Augenbraue hoch, während sich ein ruhiges Lächeln auf sein Gesicht legte.

„Nein“, beantwortete Saga die Frage ruhig. „Es ist ein Versprechen, auf das du dich verlassen kannst. Ich halte meine Versprechen für gewöhnlich.“
 

_________________________________________________________________________________
 

Yuhma... Damit wäre das Thema auch geklärt. Und nein, Saga ist nicht sauer auf ihn. >_> Das täuscht.
 

Nein, ehrlich jetzt. Einmal hat Tora Saga tatsächlich den Kopf gewaschen, aber letztendlich war die Sorge um Shin größer als sämtliche Zweifel. Ob die beiden ihre Beziehung aber doch noch wieder in den Griff bekommen, steht in den Sternen. Auf jeden Fall zieht Shin jetzt zu Saga. Und ob das wirklich ganz ohne Probleme ablaufen wird... Und was passiert wohl, wenn Shin sich wieder erinnert?
 

Und sinnloses Endgelaber:

Danke für die Kommentare!

abgemeldet Ob mit Eisbecher Schnulzen gucken wirklich Shins Stil ist? Auf jeden Fall hätte er in der Zeit viel Eis essen können. ö.ö

Haidogirl Danke, freut mich, dass es dir gefällt. Aber man muss Saga auch verstehen. Er ist eben noch ziemlich fertig.

-ladylike- Saga hat ja gar keine andere Wahl, als sich damit zu beschäftigen. Er hat Shin ja auch vermisst. Mal gucken, ob er aber doch noch alles wieder hinbiegt. Und zu meinem Schreibstil, danke für das Kompliment!^^ Ich schreibe einfach so, wie ich denke, und das ist eben... manchmal etwas sehr literarisch. xD

klene-Nachtelfe Ab jetzt sind sie ja wieder zusammen, aber es ist schön, dass du Verständnis für ihn zeigst. Nur gibt es jetzt wieder neue Probleme.
 

Das nächste Kapitel kommt nächsten Freitag hoffentlich wieder früher, aber ich war eben viel beschäftigt und muss gleich auch schon wieder los. -_-
 

Bis dahin!

-7-

„Fühl dich wie Zuhause“, meinte Saga und stellte Shins Koffer im Flur ab.

Nach der kleinen Diskussion mit Yuhma hatte der Braunhaarige selbstverständlich gemerkt, dass etwas sich verändert hatte, aber Saga hatte sich geweigert, etwas dazu zu sagen. Er war inzwischen der festen Überzeugung, dass es besser war, wenn Shin so wenig wie möglich wusste. Für den Schüler wäre es eine Katastrophe, auch noch zu wissen, dass sein bester Freund Schuld an der ganzen Situation war. Vielleicht würde seine Mutter sterben, und dann auch noch den besten Freund zu verlieren… Das würde Shin an das Ende seiner Kraft bringen.

„Saga, bitte. Du musst das nicht für mich tun.“ Unsicher folgte der Kleinere ihm in das Gästezimmer, in dem das Bett schon frisch bezogen war.

„Ich weiß. Aber ich will es für dich tun. Shin, ich habe dich verdammt gern und ich will einfach nur bei dir sein und auf dich aufpassen. Solltest du dich irgendwann wieder an alles erinnern, wird das schlimm genug für dich sein. Und ich will dir helfen, wie du mir geholfen hast. Du weißt doch, dass ich dir nichts Böses will.“ Ohne auf den Protest einzugehen drückte er den Schüler auf das kleine Sofa und holte den Koffer, schmiss diesen dann auf das Bett. Leicht setzte er sich neben Shin und legte einen Arm um den schlanken Körper. „Alles wird wieder gut, da bin ich mir ganz sicher. Ich weiß noch nicht genau wie, aber wir kriegen das wieder hin. Auch wenn es mit harter Arbeit verbunden sein sollte, wir schaffen das. Und ich bin immer bei dir, wenn du mich brauchst.“

„Und du findest mich nicht widerlich oder so was?“ Verunsichert sah der Jüngere zu ihm auf, schmiegte sich aber willig an ihn.

„Sollte ich?“ Behutsam strich er dem anderen durch die Haare. „Es ist doch nicht deine Schuld, dass es schlechte Menschen gibt und dass dir so etwas passiert ist.“

„Und wenn doch?“ Unruhig wich Shin dem Blick des Älteren aus. Eigentlich wollte er nicht darüber reden, und das musste der andere auch merken, immerhin sendete sein Körper ziemlich eindeutige Signale.

„Jetzt sag schon, Süßer. Das ist doch das, was dich schon die ganze Zeit über bedrückt“, half Saga nach und drückte den Brünetten etwas an sich.

„Na ja… Mein Ex-Chef hat mich…“ Nervös biss Shin sich auf die Unterlippe und atmete tief durch. „Anfangs hat er mich gezwungen, mit ihm zu schlafen, weil ich sonst meinen Job verloren hätte, und ich habe des Geld so dringend gebraucht. Und dann meinte er irgendwann, dass ich knapp 10.000 Yen pro Nacht bekommen würde, und dass ich das Geld anlegen könnte für mein Studium, wenn ich nicht immer so ein armseliges Leben führen wollte. Für ihn war meine Kündigung natürlich ein doppelter Verlust. Was, wenn er dahinter steckt?“

Tröstend hielt Saga den Kleineren im Arm und hauchte ihm einen Kuss auf die Stirn. „Ich glaube nicht. 10.000 Yen pro Nacht sind nicht wenig, es gibt sicher Viele, die das freiwillig machen würden. Warum sollte er sich dann strafbar machen?“

„Was weiß ich?“ Traurig seufzte der Jüngere. „Und du findest das auch überhaupt nicht schlimm?“

„Ich finde es auch nicht gut“, erklärte der Schwarzhaarige, „aber ich weiß, wofür du es getan hast. Und der Zweck heiligt bekanntlich die Mittel.“

Shin nickte schwach und kuschelte sich erleichtert an den anderen. Mit so einer ruhigen Reaktion hatte er nicht gerechnet, aber im Endeffekt war es richtig. Auch wenn der Zweck nicht immer alle Mittel heiligte, aber er hatte niemandem außer sich selbst Schaden zugefügt. Und mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit hatte der Größere recht, an der Vergewaltigung hatte er keine Schuld. Daran war nur dieses Arschloch Schuld, dass ihm das angetan hatte.

Eine Weile saßen sie einfach nur dort, wobei Saga ihm durch die Haare strich, bis Shin sich vorsichtig losmachte und zu seinem Koffer ging. „Ich denke, ich sollte auspacken“, meinte er leise und zog den Reißverschluss auf. Im nächsten Moment zuckte er zusammen, als sich von hinten zwei Arme um seinen Körper legten. „Ist schon gut. Ich gehe in mein Zimmer“, flüsterte Saga ihm zu. „Du kannst jeder Zeit zu mir kommen, wenn etwas ist oder wenn du Hilfe brauchst.“

Ruckartig drehte Shin sich um, als er die Schritte des Älteren zur Tür hörte. „Saga…“

„Ja?“ Abwartend sah der Schwarzhaarige ihn an.

„Danke. Du hast etwas gut bei mir.“

„Das ist doch selbstverständlich. Du hast schon mehr als genug für mich getan.“
 

Leise seufzte Shin, als die Tür zugefallen war, und öffnete seinen Koffer ganz. Und während er sich an das Auspacken machte, versuchte er krampfhaft sich an etwas zu erinnern. Auch wenn er keine Erinnerungen mehr daran hatte, er wusste von den Ärzten, dass er vergewaltigt worden war, aber er wollte wissen von wem. Ohne seine Aussage und seine Erinnerungen konnte die Polizei nichts machen, und so lange konnte er eigentlich niemandem außer Saga trauen. Und er konnte diesem auch nur vertrauen, weil der gar nicht so weit gehen müsste. Er hätte freiwillig mit dem Studenten geschlafen, da wäre es doch unlogisch gewesen, wenn dieser ihn quälte.

Aber wer war das gewesen? Warum hatte dieser Mensch seine Mutter dann auch noch fast erstochen? Das ergab doch alles keinen Sinn. Und was, wenn Saga doch etwas damit zu tun hatte? Und er nur mit in diesem Haus leben sollte, damit er leichter umzubringen war?

Wem konnte er überhaupt noch vertrauen, wenn er sich selbst und seinen Erinnerungen keinen Glauben schenken konnte? Wie sollte er in dem Zustand, mit der Unsicherheit und der Angst, jemals wieder ein normales Leben unter Menschen führen?

Entschlossen schob er seinen leeren Koffer unter das Bett und biss sich fest auf die Unterlippe, während sein Blick aus dem Fenster auf die Straße fiel. Er würde und musste es schaffen, in erster Linie für sich selbst, aber auch für seine Freunde und besonders für Saga. Er wusste, dass der Student es nicht ertragen würde, noch einen Menschen, der ihm so nahe stand, zu verlieren. Und er wusste, dass er auf dessen Hilfe vertrauen konnte, aber andererseits waren da noch die Zweifel, wem er überhaupt vertrauen konnte.

Kraftlos sank er auf die Knie und legte das Gesicht in die Hände. Warum musste er so leiden? Warum gab es überhaupt Menschen, die andere so quälten? Waren das überhaupt noch Menschen oder schon wieder Tiere, die ihren Instinkten verfallen waren?

Aber er musste den Täter kennen, immerhin hatten er oder seine Mutter diesen laut Polizei in die Wohnung gelassen. Er kannte aber niemanden, dem er das zugetraut hätte, aber doch war es passiert.

„Shin?“

Er hörte die Sorge in Sagas Stimme, aber ihm fehlte die Kraft zu reagieren, während warme Tränen über sein Gesicht liefen. Auch als er sanft an den Älteren gezogen wurde, zeigte er keine wirkliche Regung, klammerte sich aber schutzsuchend an den Schwarzhaarigen. Saga hatte mit dem, was ihm passiert war, nichts zu tun. Sein Gefühl sagte ihm immer wieder, dass es mindestens einen Menschen gab, dem er vertrauen konnte.

„Shht… Alles wird wieder gut. Wir schaffen das.“

Wie gern hätte er den beruhigenden Worten geglaubt, aber nichts würde wieder so werden wie vorher. Aber bedeutete das wirklich, dass alles schlecht bleiben würde? Hoffnung half im Leben oft genug. Aber war Hoffnung nicht nur eine Illusion, die ausweglose Situationen besser machen sollte? Was, wenn er wirklich niemandem mehr vertrauen könnte und deswegen die Menschen komplett meiden müsste?

„Was kann ich tun?“, fragte der Ältere ihn leise.

Er schüttelte nur den Kopf und drückte sich enger an den warmen Körper, konnte aber nichts gegen das Zittern tun. Er wusste auch, dass der andere nichts tun konnte außer auf ihn aufzupassen, aber das würde nicht alles besser machen, wenn es überhaupt etwas brachte. Das war einfach alles zu viel gewesen.

„Wenn du umziehen willst, sag es mir. Ich gehe mit dir, wohin du willst. So lange es dir dadurch besser geht, ist es mir egal.“

Wieder schüttelte er den Kopf und versteckte sich fast schon an dem Schwarzhaarigen. Es würde alles nichts bringen, erst recht nicht, solange er sich an nichts erinnerte. Erst, wenn er wieder wusste, was passiert war, könnte er langsam das Geschehene verarbeiten. Und auch, wenn er nicht zum Psychologen wollte, er würde es tun, wenn Saga ihn darum bat. „Wir schaffen das“, bestätigte er leise und schloss die Augen. So komisch es auch war, er zwang sich selbst daran zu glauben. Und es war leichter, als er es für möglich gehalten hätte.
 

Genervt seufzte Shin und sah an die Zimmerdecke. Er war verflucht müde, immerhin war viel passiert und es war zwei Uhr morgens, aber er konnte nicht einschlafen, auch wenn er sich alle Mühe gab. Er war einfach zu unruhig, und er versuchte immer noch sich an ein einziges Detail des verschwundenen Zeitraums zu erinnern, aber es brachte nichts.

Zudem beschäftigte ihn der Zustand seiner Mutter. Wenn sie nicht überleben sollte, hatte er so gut wie niemanden mehr. Sicher, Saga war bei ihm, aber war das genug? Und Yuhma… Yuhma war sein bester Freund, aber er war in dessen Nähe so unruhig gewesen und er konnte sich nicht erklären, warum. Er schob es allgemein darauf, dass er sich in der Nähe fremder Menschen unwohl fühlte. Nur war es bei Yuhma irgendwie anders. Er kannte den Blonden seit Jahren und sie waren eigentlich beste Freunde, und er fühlte sich ausgerechnet in dessen Nähe unwohl. Unwohler als bei Ärzten. Er verstand auch nicht genau, was zwischen Saga und Yuhma vorgefallen war, aber die beiden schienen sich nicht besonders zu mögen. Sonst hätte der Blonde sich nach dem Gespräch mit Saga wohl kaum so schnell verabschiedet.

Zwar wollte Shin gern wissen, was Sache war, aber andererseits ging es ihn vielleicht nichts an, was für ein Problem Saga und Yuhma miteinander hatten, und wäre es wichtig für ihn, glaubte er daran, dass der Student mit ihm reden würde. Aber es war komisch, dass der Schwarzhaarige sich konsequent weigerte, ihm zu erzählen, worum es ging.

Grummelnd drehte er sich auf die Seite und schloss die Augen. Er kam momentan einfach nicht weiter, also brachte ihm das Grübeln auch nichts außer weniger Schlaf. Wobei er genau wie Saga ausschlafen konnte. Sie beide waren für ganz genau eine Woche freigestellt worden, weil er krank war und zumindest der Sicherheit halber nicht belastet werden durfte, und Saga, weil der sich um ihn kümmerte. Und wenn es ihm nicht besser ging, würden die Freistellungen verlängert werden, immer um eine Woche, bis er wieder normal belastbar war. Wenn es überhaupt jemals wieder so werden würde.
 

Besorgt beobachtete Saga den Schüler. Es waren erst zwei Tage vergangen und Shin spielte fröhlich mit den Nachbarskindern, auf die er aufpassen sollte. Allgemein war die Situation nicht schlimm, eher im Gegenteil, aber es machte ihn misstrauisch, wie Shin sich verhielt.

Niemand steckte so etwas so einfach weg, erst recht nicht jemand, der so verletzlich war wie Shin. Und wenn er daran dachte, wie sich der Jüngere vor zwei Tagen noch zitternd und weinend an ihn geklammert hatte, war er davon überzeugt, dass dieser ihm nur etwas vorspielte.

Von Shins Mutter gab es immer noch keine Neuigkeiten. Saga telefonierte morgens und abends mit dem Krankenhaus, weil Shin ihn darum gebeten hatte, aber es brachte nie viel. Der behandelnde Arzt hatte ihm nur zu verstehen gegeben, dass er Shin keine allzu große Hoffnung machen sollte. Aber auch, wenn er dem Kleineren alles von den Gesprächen erzählte, Shin klammerte sich an der Hoffnung fest. Saga war sich dabei nur nicht sicher, ob das gut war.

Seufzend trank er einen Schluck Kaffee und setzte sich auf das Sofa. Irgendwann würde er es schon erfahren, so wie er auch erfahren würde, wie es Shin wirklich ging. Die Fassade war zwar ein Schutz, aber sie würde kaputt gehen. Niemand konnte lange eine Rolle perfekt spielen, wenn er sich komplett gegensätzlich fühlte. Die Zeit spielte in gewisser Weise gegen Shin.

Es klingelte an der Tür, und bevor er überhaupt großartig reagieren konnte, waren Shin und die beiden Kindern schon aus dem Raum zur Haustür gestürmt. Ein Blick auf die Uhr verriet Saga, dass die beiden Kleinen wohl abgeholt werden sollten, auch wenn sie bestimmt noch länger bleiben wollten. Eines stand fest, sie mochten Shin, und der spielte anscheinend auch gern mit ihnen.

Seufzend ging Saga zum Telefon, als dieses klingelte und sah auf die nur zu bekannte Nummer. Mittlerweile konnte er sie auswendig aufsagen, wenn es gefordert war, weil er normalerweise anrief. Wenn es umgekehrt war, musste etwas passiert sein.

Während er mit dem Krankenhaus telefonierte, kehrte Shin mit einem Glas Orangensaft in den Raum zurück und räumte die Spiele ein, bevor er sich auf das Sofa fallen ließ und ihn neugierig ansah.

Saga fühlte sich gerade gar nicht wohl, aber dieses Telefonat war vorhersehbar gewesen, er hatte im Grunde genommen nur noch darauf gewartet, auch wenn er etwas anderes gehofft hatte. Er bedankte sich noch kurz für den Anruf und beendete dann das Telefonat, fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und setzte sich zu dem Schüler, der sich leicht an ihn lehnte. „Ist alles okay?“, fragte der Jüngere.

Langsam schüttelte Saga den Kopf und legte einen Arm um den schlanken Körper. „Das könnte ich dich auch fragen.“

„Mir geht’s prima, wirklich.“ Aufmunternd strahlte der Schüler ihn an.

„So leid es mir tut, Shin, ich glaube dir nicht. Niemandem würde es zwei Tage nach solchen Ereignissen ‚prima‘ gehen. Hör gefälligst auf, mir etwas vorspielen zu wollen!“

Ergeben seufzte der Kleinere und kuschelte sich enger an ihn. „Ich versuche, mit der Situation zu leben und mit mir selbst wieder ins Reine zu kommen. Vielleicht ist die Art noch nicht perfekt und es hilft auch noch nicht wirklich, aber es ist besser, als in Depressionen zu verfallen.“

„Ich will dir helfen, Kleiner, aber das geht nicht, wenn ich nicht weiß, wie es in dir wirklich aussieht.“ Sanft strich er durch die braunen Haare. „Das eben war das Krankenhaus“, meinte er leise. „Ich bin mir nicht ganz sicher, wieso ich dir solche Botschaften immer überbringen darf, aber… Deine Mutter hat es nicht geschafft. Es tut mir wirklich leid.“

Er spürte, wie der andere sich förmlich an ihm festkrallte und Schutz suchte. Tröstend zog er diesen auf seinen Schoß und drückte ihn an sich. Er spürte deutlich, wie der schlanke Körper von stummen Schluchzern geschüttelt wurde.

Er wollte etwas tun, um den Schüler zu trösten, er wollte ihm sagen, dass alles wieder gut werden würde, aber es hätte nichts gebracht. Er hasste Yuhma für das, was Shin wegen dessen ‚Liebe‘ durchstehen musste, und er hätte Shin gern erzählt, dass der Blonde Schuld an allem war, aber das ging nicht. Yuhma und er waren für den Braunhaarigen die einzigen Menschen, die ihm noch aus seinem engsten Umfeld geblieben waren. Es wäre schon katastrophal genug, wenn Shins Erinnerung irgendwann zurückkehrte und er dann alles verlieren würde. Und der Student wünschte sich wirklich, dass es niemals so weit kam, oder zumindest erst, wenn Shin wieder halbwegs gefestigt war.

Der Jüngere hatte keine Eltern mehr, und sobald er seine Erinnerungen zurück hatte nur noch ihn, und es tat ihm wirklich leid für diesen. Die gesamte Situation war auch schon vor dem heutigen Anruf schlimm genug gewesen, aber das war jetzt wirklich ein bisschen zu viel des Unglücks für den Schüler.

Und der Schwarzhaarige wusste noch immer nicht, was genau er wollte. Er hatte in den letzten Tagen auch nicht weiter darüber nachgedacht, eben weil er sich um den Brünetten gekümmert hatte, aber langsam wurde es Zeit für eine Entscheidung. Und wenn er ehrlich zu sich selbst war, hatte er keine großartige Wahl. Was da in Gang gesetzt worden war, ließ sich nicht mehr stoppen. Und vielleicht wollte er das auch gar nicht mehr. Vielleicht war es dafür zu gut.
 

_________________________________________________________________________________
 

Saga vs. himself.

Shin hat wirklich zu leiden. Und ich bin mir immer noch nicht ganz sicher, ob es besser für ihn wäre, wenn er sich erinnern würde oder nicht. Unwissenheit belastet, aber andererseits... Was denkt ihr darüber?
 

Es ist 00:12 Uhr, ich komme vom the fool-Konzert (*__*) und bin tierisch müde. Ich hab noch einmal drübergelesen, aber es kann sein, dass mir ein zwei Fehler entgangen sind. Davon wird aber niemand sterben.
 

Ich geh mich jetzt zuende abschminken und dann ins Bett. Langer Tag. >_>
 

lG
 

Hikari

-8-

Verträumt sah Saga in den Himmel und lehnte sich an das Brückengeländer. Wieder war eine Woche ins Land gestrichen, aber es war keine ruhige Woche gewesen. Shin hatte zwar alle Rechte, sich komisch zu benehmen, aber der Umgang mit ihm war anstrengend, und das fing damit an, dass er mit keinem Fremden allein in einem Raum sein wollte und endete damit, dass er sich allein nicht mehr aus dem Haus traute, da sein Peiniger hinter jeder Ecke warten könnte und er ihn nicht erkennen würde.

So sehr Saga den Schüler auch verstand, er brauchte auch die Auszeit an diesem Tag, und die hatte er auch nur bekommen, weil Tora unbedingt mit ihm reden wollte. Abends fiel er förmlich ins Bett und schlief meistens sofort ein, denn es war doch anstrengender, sich um Shin zu kümmern, als er erwartet hatte.

„Hey, Saga.“

Ruhig wandte er dem Größeren den Blick zu und lächelte ihn an. „Hey. Wie war die letzte Woche Uni?“

„Anstrengend. Ich musste nebenbei packen, und deshalb wollte ich auch mit dir reden. Aber erst einmal, wie geht’s Shin und dir?“

Der Jüngere zuckte mit den Schultern. „Shin ist etwas zwischen ängstlich und leicht paranoid, aber ich habe mit einem Psychologen gesprochen, der meinte, das würde sich von allein wieder legen, sobald Shin sich wieder an alles erinnern kann. Und mir geht’s so weit gut, ich mache mir nur Sorgen und bin etwas erledigt.“

„Wegen Shin bin ich auch nicht einfach zu dir gekommen. Ich wollte nicht, dass er Angst bekommt.“ Fest sah der Ältere ihn an. „Saga, ich bin froh, dass du ihn hast, weil wir uns für ein Jahr wohl nicht sehen werden.“

Fassungslos sah Saga zu dem anderen auf. „Wie jetzt? Ich meine, warum…“

„Ich fliege morgen nach New York und werde ein Jahr dort weiterstudieren.“

Ungläubig schnappte er nach Luft. „Warum? Und seit wann steht das überhaupt fest? Seit gestern wohl kaum. Warum hast du mir denn nicht schon längst davon erzählt?“

„Mir wurde im Februar ein Stipendium angeboten. Weißt du, was das für eine Chance für mich ist? Es wäre dumm gewesen, es nicht anzunehmen, aber ich konnte es dir nicht erzählen. Du warst noch so fertig, weil du Shou verloren hattest, und ich wollte vermeiden, dass du auch noch das Gefühl hast, mich zu verlieren. Als es dir dank Shin immer besser ging, habe ich mir jeden Tag geschworen, mit dir zu reden, aber ich hab es irgendwie nicht geschafft, weil ich dich nicht wieder runterreißen wollte. Tut mir leid.“

„Es tut dir leid?!“, fuhr er den anderen an. „Glaubst du, dass ich mich jetzt nicht verraten fühle?! Tickst du eigentlich noch richtig?! Ich meine, klar, ich kann dich verstehen, aber ich habe jetzt mehr als genug um die Ohren! Shin braucht verdammt viel Aufmerksamkeit, und so, wie es jetzt aussieht, wird das noch über Wochen so weitergehen! Ich bin zwar von der Uni freigestellt, aber denkst du nicht, dass ich auch Rückhalt brauche?! Wer außer dir weiß denn genug, um mich zu unterstützen?! Du glaubst doch wohl genauso wenig wie ich, dass Hiroto die Situation ernst genug nimmt!“

„Jetzt reg dich bitte nicht so auf. Ich weiß, dass es unfair war, nicht mit dir zu reden, aber was soll ich jetzt tun? Außerdem bin ich nicht aus der Welt, es gibt Facebook, Skype und MSN. Mach dir mal keine Sorgen, ich stehe weiterhin hinter dir. Und es ist ja auch nur ein Jahr.“

„Ich rege mich aber auf! Was heißt hier ‚nur ein Jahr‘? Das ist eine verflucht lange Zeit! Es ist das Beste für dich, das weiß ich auch, und es gibt Möglichkeiten, aber das ist nicht dasselbe, das weißt du genau! Und berechne die Zeitverschiebung!“

Tora seufzte genervt und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Ich will nicht bei unserem vorerst letzten Treffen mit dir streiten, okay? Ich weiß, dass du willst, dass ich bleibe, aber jetzt ist es so und wir müssen damit leben. Übrigens haben wir einen neuen Mitstudenten, der sich nach dir erkundigt hat. Er macht einen netten Eindruck, vielleicht wirst du dich ja mit ihm anfreunden und mit ihm über so etwas reden können. Wenn du mich gar nicht mehr sehen willst, auch okay, dann muss ich das respektieren. Aber nur, damit das klar ist: Ich will weiterhin mit dir befreundet sein.“

„Das ist nicht der Punkt, Tora“, sagte der Kleinere und sah auf den Boden. „Es ist nur so, dass ich meinen besten Freund gerade jetzt mehr hier gebrauchen kann als je zuvor. Ich weiß, wie wichtig Shin mir geworden ist und dass es kein Zurück mehr gibt, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich das akzeptieren kann. Und ich weiß nicht, ob ich Shin nach all dem, was geschehen ist, helfen kann. Weißt du, wie fertig mich das macht?“

Langsam nickte der Gefragte. „Ich kann es mir sehr gut vorstellen. Wie sehr magst du Shin? Wie wichtig ist er dir?“

„Das weißt du.“

„Dann vertrau darauf, dass er es spürt, das wird ihm ganz sicher mehr helfen als alles, was du sagen kannst. Und sonst kannst du nur für ihn da sein und ihm helfen, wenn er dich darum bittet. Solltest du Hilfe brauchen, kannst du mich meinetwegen jederzeit anrufen, auch wenn das aus Kostengründen eher im Notfall sein sollte. Ich helfe dir und du hilfst Shin. Wenn es nicht anders funktioniert, muss es eben so gehen.“

„Dann heißt das jetzt vorerst Abschied nehmen?“, meinte der Jüngere leise und sah zu dem anderen. Er wusste nicht, welches Gefühl in ihm überwog, aber er war irgendwie traurig und auch wütend. Obwohl er selbst wahrscheinlich nicht anders gehandelt hätte, immerhin machten sich zwei Semester an einer amerikanischen Universität gut im Lebenslauf.

„Wohl oder übel“, erwiderte der Größere und lächelte ihn schwach an, umarmte ihn dann. „Wir treffen uns in genau einem Jahr wieder hier, dann habe ich meine zwei Semester rum und bin auch wieder hier.“

„Alles klar“, stimmte der Kleinere zu und löste sich von dem anderen. Zum Glück gab es Internet.

Eine Weile sah er dem Älteren noch nach, wandte sich dann aber auch zum Gehen. Die süßeste seiner Verpflichtungen wartete auf ihn, und irgendwie wollte er auch zu dieser zurück. Oder die kleine, süße Verpflichtung zu sich kommen lassen.

Lächelnd wählte er die Nummer des Haustelefons, wo seine Mutter sich meldete.

„Hey. Kann ich mit Shin sprechen?“

„Der ist nicht da“, beantwortete seine Mutter die Frage, woraufhin er verwundert eine Augenbraue hochzog. „Wo ist er denn?“

„Er meinte, er könnte sich an alles erinnern und er müsste etwas beenden. Er wollte wissen, wo du bist, aber wo er hin ist, kann ich dir nicht sagen.“

„Was?!“ Entsetzt setzte Saga sich in Bewegung. „Bist du bescheuert?! Du kannst ihn doch nach so einer Aussage nicht weglassen!“

„Er ist kein kleines Kind mehr. Aber wenn er etwas Wichtiges beenden will, wird er einen für sich wichtigen Ort wählen. Glaubst du wirklich, dass er sich etwas antun will?“

Die Sorge seiner Mutter war ihm zwar aufgefallen, aber er könnte in dem Zusammenhang eh nicht lügen. „Ich weiß es nicht. Wenn er sich wirklich an alles erinnern kann, halte ich ihn für labil genug, um so weit zu gehen oder irgendetwas anderes Dummes zu machen. Aber ich glaube, ich weiß, wo ich ihn finde. Ich mache mich sofort auf den Weg.“
 

Eilig stoppte Saga den Wagen und sprang heraus, rannte die restlichen 200 Meter zu dem Felsen. Der Wind pfiff ihm um die Ohren, aber viel mehr Sorgen machte ihm die schlanke Gestalt, die gefährlich nah am Abgrund stand. „Shin!“ Es war irgendwie logisch gewesen, dass der Jüngere zu den Klippen gefahren war. Sicherheitshalber hielt Saga aber einige Meter zwischen ihnen, um den Schüler nicht zu verschrecken.

„Verschwinde! Geh weg, Saga!“ Zitternd wischte Shin sich über die Augen.

Entschieden schüttelte der Student den Kopf. Sein Herz schlug fast schon schmerzhaft in seiner Brust. Er musste den anderen auf jeden Fall von dessen Plan abbringen. „Warum? Shin, komm zu mir, wir können doch über alles reden. Ich lasse dich nicht allein, das weißt du.“

„Das hat doch auch nichts mit dir zu tun! Im Gegenteil, du bist der einzige Mensch, den ich noch habe! Ich weiß alles! Wie konnte Yuhma…“ Der Satz endete in einem hilflosen Schluchzen.

„Bitte, Shin. Du kannst Yuhma zusammenschlagen, wenn du willst, oder ich mache das für dich, aber komm zu mir. Du kannst mich nicht allein lassen. Ich brauche dich.“ Zögernd streckte er seine Hand nach dem Jüngeren aus.

„Du brauchst mich nicht! Wenn mein Tod Shou wieder lebendig machen würde, würdest du mich eigenhändig umbringen! Und es hilft mir nicht mehr, wenn Yuhma leidet! Ich hasse ihn! Ich dachte, er wäre mein bester Freund! Und dann ersticht er meine Mutter und vergewaltigt mich! Wem kann ich denn noch trauen? Wer sagt mir, dass du nicht der Nächste bist, der mir nur Leid zufügen will?“

Der Student seufzte leise. „Du kennst mich doch mittlerweile gut genug. Ich will dir nichts Böses. Wie oft hätte ich dir etwas antun können und habe es nicht getan? Und zum Thema Shou… Er fehlt mir immer noch, ja, leugnen hätte keinen Zweck, aber ich kann damit umgehen. Shin, vor einem Monat wäre meine Wahl vielleicht noch auf Shous Leben und deinen Tod gefallen, aber mittlerweile bin ich mir sicher, dass ich dich will. Shou ist tot und du lebst, und das ist meiner Meinung nach auch gut so. Wenn du jetzt springst, kannst du darauf wetten, dass ich dir folge.“

„Du willst mich doch nur von meinem Plan abhalten!“

Unruhig beobachtete Saga den Braunhaarigen. Es war zu sehen, dass er an seinem Plan zweifelte, aber so nah, wie er am Abgrund stand, könnte eine noch so kleine Unaufmerksamkeit zu einem Sturz führen, und ein solcher wäre hier tödlich. „Ja, das will ich. Bitte, Shin, komm her. Wir kriegen das wieder hin, ich halte zu dir.“

„In einem Punkt hatte Yuhma immer recht“, brachte Angesprochener hervor und wischte sich über das Gesicht. „Ich liebe dich zwar mehr als alles andere, aber du wirst mich nie lieben! Ich kann dich nicht dazu zwingen, also lass mich gehen! Du liebst mich nicht!“

Saga schüttelte lächelnd den Kopf. „Du hast doch keine Ahnung. Und was machst du, wenn ich dir sage, dass ich dich auch liebe?“

„Hör auf, mich anzulügen!“, fuhr der Brünette ihn an.

„Verdammt, Shin, ich lüge nicht! Ich liebe dich genug, um dich Shou vorzuziehen! Wenn ich die Wahl hätte, wer von auch beiden tot und wer lebendig sein soll, würde ich es so lassen. Sicher wünsche ich mir, dass Shou lebt, aber eher so, wie es vor unserer Beziehung war. Ich wünsche ihn mir als guten Freund zurück. Shin, ich liebe dich!“

Ungläubig schüttelte der Schüler den Kopf, schien sich aber ein kleines Stück von dem Abgrund entfernen zu wollen. „Hör auf, nur mit mir zu spielen! Meine Gefühle sind echt!“

Vorsichtig machte Saga einen Schritt auf den Jüngeren zu. „Ich schwöre dir, ich spiele nicht mit dir und das hatte ich auch nie vor. Es tut mir ehrlich leid, wenn es sich für dich so angefühlt hat, das lag nie in meiner Absicht, aber du weißt, dass ich solche Gefühle erst einmal nicht zulassen wollte. Ich wollte den Abstand von dir, um herauszufinden, was ich will und ob ich nicht eventuell noch etwas gegen diese Gefühle tun kann, aber da war es schon zu spät. Ich liebe dich, und du solltest eigentlich wissen, dass ich mit Gefühlen keine Scherze mache.“

Der Himmel am Horizont war von dunklen Wolken verhangen und der Wind wurde immer stärker, während ein schwacher Nieselregen eingesetzt hatte. Es war offensichtlich, dass ein Sturm heraufzog, aber Saga kümmerte sich nicht weiter darum. Zwar wäre es gefährlich, noch hier zu sein, wenn der Sturm losbrach, aber es war immer noch besser als Shin einfach seinen Selbstmordplan durchziehen zu lassen.

„Hast du dir jemals Gedanken darüber gemacht, wie ich mich gefühlt habe? Ich bin durch die Hölle gegangen, als du mich nicht mehr sehen wolltest, auch wenn es nur zeitweise war! Ich habe mich jeden verdammten Tag bei Yuhma ausgeheult, aber er konnte mir nicht helfen! Er hat dich immer nur schlecht gemacht, und ich habe dich trotz allem verteidigt!“

„Zu Recht! Du weißt, dass ich kein schlechter Mensch bin. Und du weißt auch, was vorher passiert ist. Shous Tod hat mich fertig gemacht, aber es geht mir besser, Shin, und das ist dein Verdienst. Komm her. Ich bitte dich.“

Shin schüttelte den Kopf und sah über seine Schulter, wandte sich dann wieder dem Schwarzhaarigen zu. „Wie kann ich dir glauben?“

„Tu es einfach“, beantwortete Saga die Frage.

Erschrocken schrie Shin auf, als ein heftiger Windstoß ihn direkt traf und zurücktaumeln ließ, er daraufhin den Halt verlor. Einen Moment hatte er das Gefühl zu fallen, wurde aber im nächsten heftig auf den festen Boden gezogen.

Mit rasendem Herzen zog Saga den Kleineren noch etwas weiter in Sicherheit und ließ sich mit dem zitternden Körper in seinen Armen auf den Boden sinken. Beruhigend strich er Shin durch die Haare und versuchte, diesen so gut wie möglich warm zu halten. Er fühlte, wie der Schüler weinte, aber ihm fiel nichts ein, was er hätte sagen können. Die Erleichterung, den Kleineren gerettet zu haben, war zu groß. „Ich liebe dich“, flüsterte er dem anderen nur zu und hauchte diesem einen Kuss auf das Haar. „Wenn du Yuhma anzeigen willst, gehen wir morgen zur Polizei. Nur sollte dir klar sein, dass die Anzeige, wenn du nicht aussagst, weiter gegen Unbekannt laufen wird und er dann ungestraft davonkommt.“

Er spürte, wie der Braunhaarige leicht nickte und dann zu ihm aufsah. Der immer stärker fallende Regen und der scharfe Wind sorgten dafür, dass ihm langsam wirklich kalt wurde, aber er erwiderte den Blick des anderen ruhig und strich diesem über die Wange. „Wir kriegen das alles wieder in den Griff“, meinte er leise und wischte die mit Regenwasser vermischten Tränen von dessen Wangen. „Wir müssen nur zusammenhalten, egal, was auf uns zukommt.“

„Würdest du mich küssen?“, fragte Shin unsicher, was er mit einem Nicken und einem liebevollen Lächeln beantwortete, bevor er seine Lippen sanft auf Shins legte. Trotz der außen herrschenden Kälte, breitete sich ein angenehmes, warmes Kribbeln in ihm aus. Es tat wahnsinnig gut, den Jüngeren zu küssen, wenn auch nur vorsichtig, weil er diesen nicht verschrecken wollte. Auch hielt der Kuss nicht lange an, aber es war trotzdem schön.

„Bringst du mich hier weg?“, fragte der Kleinere nach einer Weile fröstelnd.

Ohne eine Antwort zu geben zog Saga ihn hoch und hielt ihn auch während dem kurzen Weg zum Auto so fest wie möglich an sich gedrückt. Erst, als sie den Wagen erreicht hatten und einstiegen, ließ er Shin los. Sobald er saß, stellte er die Heizung hoch und lehnte sich zurück. Sein Blick wanderte zu Shin, dessen Hand er auch fast sofort nahm.

„Wir gehen morgen zur Polizei“, beschloss der leise. „Yuhma muss für seine Fehler geradestehen, auch wenn das nichts wieder gut macht. Ich will endlich wieder zur Ruhe kommen. Versprichst du mir etwas, Saga?“

„Was denn?“

„Du lässt mir noch etwas Zeit, aber wenn ich es will, schläfst du mit mir. Sagen wir nämlich, dass ich, wenn es nach mir und nicht nach meinem Chef gegangen wäre, noch Jungfrau wäre.“

„Das Versprechen bekommst du.“ Langsam beugte er sich zu dem anderen und küsste ihn kurz. „Yuhma wird dir nie wieder zu nah kommen, und dein Chef auch nicht.“
 

Unsicher kuschelte Shin sich an den Älteren. Mittlerweile waren sie beide wieder getrocknet und hatten es sich dann auf dem Bett mit Wolldecken und Kaffee gemütlich gemacht. Sie sprachen so gut wie gar nicht miteinander, und irgendwie beunruhigte das den Schüler.

„Bist du sauer auf mich?“, fragte er nach einer Weile leise.

„Nein. Es war zwar dumm, direkt zu den Klippen zu fahren, aber du bist noch jung und die Gesamtsituation entschuldigt es. In erster Linie bin ich sauer auf Yuhma, dicht gefolgt von deinem ehemaligen Chef. Dem sollten wir übrigens auch die Polizei auf den Hals hetzen.“

Beruhigt nickte er. „Und ich kann auf dich zählen?“

„Jederzeit. Wir zwei haben so viel zusammen durchgestanden. Glaubst du nicht, dass das irgendwie verbindet?“

Ein leises Seufzen entwich dem Schüler. „Also… Du liebst mich und ich liebe dich. Das heißt, wir sind jetzt zusammen?“

„Wenn du das auch willst, ja.“ Sanft küsste Saga den Jüngeren auf die Stirn. Er spürte, wie der andere sich enger an ihn schmiegte und ihn anlächelte. Es war unfassbar, wie der Kleinere ihn verzauberte, aber trotzdem war es real. Und es tat ihm gut, genauso wie er Shin gut tat.

„Das heißt doch eigentlich auch, dass ich heute Nacht bei dir bleiben darf, oder?“

Zart strich er dem Kleineren über die Wange. „Muss ich dich daran erinnern, dass wir schon eine Nacht zusammen in diesem Bett verbracht haben? Von mir aus kannst du mit in dieses Zimmer ziehen und jede Nacht bei mir schlafen.“

„Ich will nur nicht allein sein. Es reicht, wenn ich mich schon von fast allen im Stich gelassen fühle, ich will dann doch zumindest dich bei mir haben.“

Saga nickte verstehend. „Ich passe in Zukunft besser auf dich auf. Und ich unterstütze dich, so gut ich kann. Vergiss Yuhma und deine vorigen festen Freunde. Du wirst gute neue Freunde finden, die dir nicht in den Rücken fallen, und du hast mich.“
 

Zufrieden rückte Shin an seine Heizung. Er war alles andere als richtig wach, und er wollte auch gar nicht aufwachen, geschweige denn seinen Platz verlassen.

„Guten Morgen, mein Hübscher.“

„Morgen“, nuschelte er lächelnd zurück. Jemand strich ihm durch die Haare und schien ihn so weiter aufwecken zu wollen. Nicht, dass er nicht wusste, wer ihn da aus seinem Traumland holen wollte. Trotzdem wollte er irgendwie noch ein wenig weiterschlafen.

„Weißt du, es ist nicht mehr wirklich früh, und wir sollten noch frühstücken, bevor wir zur Polizei gehen.“

„Nur noch fünf Minuten. Oder auch zehn“, murmelte er zurück.

Der andere lachte leise. „Nein, das kann ich dir leider nicht durchgehen lassen. Die Sache bei der Polizei kann eine Weile dauern, und ich bin der Meinung, dass du genug geschlafen hast. So süß du dabei auch aussiehst, jetzt stehen wir erst einmal auf.“

Brummend setzte er sich auf und strich sich durch die Haare. „Bekomme ich dann wenigstens einen Kuss?“

Lächelnd setzte Saga sich ebenfalls auf und erfüllte ihm diesen Wunsch, umarmte ihn dann kurz, stand danach aber auf und zog ihn gleich mit vom Bett. „Umziehen, fertig machen, zum Frühstück erscheinen!“
 

Zitternd lehnte Shin an dem Studenten, der einen Arm um ihn gelegt hatte und beruhigend seine Hand hielt. Sie saßen bei der Polizei und warteten darauf, dass er die Aussage gegen Yuhma und die Anzeige gegen seinen Chef unterschreiben konnte. Er wollte nur noch weg.

Die Aussage hatte ihn einiges an Nerven gekostet, und ohne Saga hätte er es vermutlich nicht geschafft, auch wenn er wusste, dass dieser Yuhma nur zu gern umbringen würde, nachdem er die Details kannte.

„Welch Überraschung euch hier zu sehen.“

Wie aus dem Nichts stand der Blonde vor ihm und lächelte ihn freundschaftlich an. Shin spürte, wie Saga sich anspannte, und setzte sich wieder richtig hin.

„Geht es dir besser, Shin? Ich habe mir Sorgen um dich gemacht“, fuhr Yuhma fort.

Langsam stand Shin auf und funkelte ihn an. „Du mieses Arschloch“, zischte er und drängte den anderen etwas zurück. „Ohne dich wäre es mir doch gar nicht so beschissen gegangen!“, schrie er den Blonden an und stieß ihn gegen die Wand. „Warum?! Ich dachte, wir wären Freunde!“

„Das dachte ich auch! Du hättest nach mir fragen sollen, als du im Krankenhaus warst! Ich liebe dich und ich wollte dich für mich! Okay, dass deine Mutter dabei draufgegangen ist, war so nicht beabsichtigt, aber du solltest dich zu mir flüchten!“

Fassungslos schüttelte Shin den Kopf. Er versuchte gar nicht erst zu verhindern, dass Tränen über seine Wangen liefen. Plötzlich ergab so Vieles einen Sinn.

Bevor er es überhaupt richtig realisierte, hatte Saga ihn an sich gezogen und hielt ihn tröstend an sich gedrückt. „Ganz ruhig, Shin. Ich bin bei dir, er wird dir nie wieder wehtun“, flüsterte der Student ihm zu und strich ihm über den Rücken. Er nickte als Antwort, krallte sich aber trotzdem an den anderen. Das Geschehen im Hintergrund blendete er fast vollständig aus, er bekam nur am Rande mit, wie Yuhma zum Verhör gebracht wurde, weil es ihn auch nicht unbedingt interessierte. Viel eher lauschte er auf Sagas Herzschlag und betete, dass er bei der Gerichtsverhandlung nicht aussagen musste. Und dass er bald mit Saga nach Hause konnte, um sich nur noch unter der Bettdecke zu verkriechen.
 

_________________________________________________________________________________
 

Okay, es passiert viel. Aber das ist ja nicht unbedingt schlecht.

Und trotzdem tut mir Shin leid. Aber immerhin hat er Saga endlich bei sich.
 

Wie auch immer, ich habe nicht viel Zeit und muss jetzt auch schon los. D:
 

Bis zum nächsten (letzten) Kapitel und äh... ja. xD

-9-

Gelangweilt starrte Shin auf die Tafel. Es war Juli geworden und er saß in seiner letzten Stunde vor den Sommerferien.

So viel auch passiert war, seit er Saga kannte, er ging eigentlich immer noch gern zur Schule, und er war ein guter Schüler. Nur konnte er es kaum erwarten, bis der Tag vorbei war. Jeden Tag wurde er von Saga persönlich abgeholt, und er genoss die Blicke seiner Mitschüler irgendwie. Nur kam heute noch dazu, dass es in die Ferien ging, und da Saga auch Semesterferien hatte, freute er sich darauf, jeden Tag mit dem Älteren aufwachen zu können.

Die letzten eineinhalb Monate waren turbulent gewesen. Das Verfahren gegen Yuhma war ziemlich schnell eingeleitet worden und er hatte bei der Verhandlung zwar eine Aussage machen müssen, aber man hatte nicht von ihm verlangt, dass er alles noch einmal so genau wie möglich schilderte. Es war okay gewesen, und mit dem Urteil war er einverstanden, im Gegensatz zu Saga, der dem Blonden sämtliche ihm bekannten Krankheiten an den Hals wünschte. Natürlich konnte Shin seinen Freund verstehen, aber er hatte diesen auch schon zweimal ausgebremst. Das eine Mal war gewesen, als er dem Blonden AIDS oder etwas anderes Tödliches an den Hals gewünscht hatte. Manchmal fragte Shin sich, wie er es geschafft hatte, Saga wieder auf den Boden zu holen, aber er vermutete, dass die Erwähnung Shous gereicht hatte, und dass jeder Mensch jemanden hatte, dem er wichtig war.

Das andere Mal hatte Saga Yuhma gewünscht, dass dieser dasselbe durchmachen musste wie Shin, denn es kamen immer wieder Gerüchte auf, dass es in Gefängnissen zu Vergewaltigungen kam und die einfach nur totgeschwiegen wurden. Und auch, wenn Shin die Gerechtigkeit in Sagas Wunsch gesehen hatte, er wusste, wie es sich anfühlte, so etwas zu erleben. Das verdiente einfach niemand, und damit hatte der Student auch von dem Thema abgelassen.

Außerdem ging es Shin immer besser. So ungern er auch über die Erinnerungen sprach, er konnte damit leben, auch wenn es schmerzte. Was noch geblieben war, war seine Scheu fremden Menschen gegenüber, aber laut dem Psychologen, zu dem Saga ihn wegen seiner ganzen Fragen geschliffen hatte, würde sich das auch wieder geben. Mittlerweile konnte er immerhin schon wieder zur Schule gehen und allein das Haus verlassen, und auch der Kontakt zu seinen Klassenkameraden half ein wenig, zumindest nachdem sie begriffen hatten, dass er auf feste Umarmungen und Griffe immer noch etwas überempfindlich reagierte.

Ganz allgemein betrachtet ging es ihm wieder ganz gut, und er wusste, wem er das verdankte. Aber auch, dass dieser Jemand dafür keine Gegenleistung verlangen würde. Saga hatte alles, was die Sache mit Yuhma betraf, von ihm ferngehalten und sich permanent um ihn gekümmert. Liebe…

Liebe war seltsam, das auf jeden Fall, aber Shin war sich noch immer nicht ganz sicher, was Sagas Gefühle für ihn jetzt wirklich waren. Einerseits vertraute er dem Älteren, aber andererseits wusste er, dass dieser Shous Tod noch immer nicht ganz verwunden hatte. Sonst würde er sich wohl kaum weigern, dessen Grab zu besuchen.

Erschrocken fuhr er zusammen, als es zum Stundenende klingelte. Endlich war der Tag geschafft und sechs Wochen Ferien lagen vor ihm. Sechs Wochen, in denen die Wunden weiter verheilen würden. Sechs Wochen, nach denen es ihm besser gehen würde, wenn es weiter so bergauf ging wie bisher.

Schnell packte er seine Sachen zusammen und verließ das Gebäude. Wenn er so darüber nachdachte, hatte er sich schon ziemlich verändert. Man hatte ihm vor etwas mehr als einem Monat noch verboten, zur Beerdigung seiner Mutter zu gehen, weil das seinen Zustand hätte verschlimmern können, und jetzt war er schon zwei Mal an ihrem Grab gewesen. Auch wenn sie ihm fehlte, er war irgendwie… glücklich. So viel er auch durchgemacht hatte, es hatte ihn weitergebracht. Er wusste nicht, wieso, aber er konnte sich über Kleinigkeiten freuen, die ihm vorher nie so aufgefallen waren. Vielleicht war es so, dass man erst alles verlieren musste, um wirklich zu begreifen, wie viel Glück man eigentlich gehabt hatte.

Träumerisch seufzte er, als er Saga am Schultor sehen sah. Sein ganz persönlicher Abholdienst.

Lächelnd zog der Schwarzhaarige ihn an sich und küsste ihn sanft. „Hey, Schatz. Wie war die Schule?“

„Langweilig. Ich konnte wieder viel zu viel nachdenken.“ Zufrieden kuschelte er sich an den Studenten und schloss die Augen. „Wir machen nach den Ferien wohl einen dreitägigen Ausflug nach Osaka, aber ich denke nicht, dass ich mitfahren werde.“

„Worüber hast du nachgedacht und warum willst du nicht mit?“ Interessiert sah Saga den Jüngeren an und strich ihm durch die Haare.

„Über die letzten Wochen und Monate. Und kannst du dir nicht denken, weshalb ich nicht mit will?“

„Doch. Weil du mich nach ein paar Stunden vermissen würdest und ihr vermutlich in einer Jugendherberge in Mehrbettzimmern übernachten würdet.“ Verständnisvoll küsste er den Kleineren auf die Stirn und nahm dann dessen Hand. Sanft zog er den Schüler mit sich. „Es ist letztendlich deine Entscheidung, und ich denke nicht, dass es dir jemand übel nimmt, wenn du dich dagegen entscheidest.“

„Weißt du, ich kann es mir einfach nicht vorstellen, mit den anderen in einem Zimmer zu schlafen.“ Betrübt sah der Schüler auf ihre Hände.

„Ich verstehe dich, das weißt du. Aber willst du später auch Studienfahrten wegfallen lassen? Je früher du über deinen Schatten springst, desto besser ist es für dich.“

Ratlos zuckte der Schüler mit den Schultern. „Ich überlege es mir. Aber jetzt zu dir. Warum gehen wir heute zu Fuß?“

Der Größere lachte leise. „Das Wetter ist schön und ich dachte mir, dass wir unterwegs etwas essen können und du mir endlich erzählst, was du dir zum Geburtstag wünschst.“

„Ich wünsche mir immer noch nichts. Ich bin glücklich mit dir, und das einzige, was ich mir wünschen würde, wäre, dass alles Schlechte, was in den letzten Monaten passiert ist, ungeschehen wird, aber dafür kannst du nicht sorgen.“

„Das heißt übersetzt so viel wie: ‚Alter, lass dir was einfallen.‘“

Lachend schüttelte Shin den Kopf. „So war das nicht gemeint.“

Der Schwarzhaarige nickte, sagte aber nichts dazu. Er schien etwas oder jemanden vor ihnen entdeckt zu haben. „Scheiße“, murmelte er.

Interessiert folgte Shin dem Blick des anderen, entdeckte aber nur einige Menschen, die er nicht kannte. „Was ist los?“

„Da vorne sind Shous Eltern.“

Unsicher sah Shin Saga an, der aber nur etwas ratlos mit den Schultern zuckte. „Sie haben mich entdeckt, also können wir ihnen entgegen gehen oder hier warten.“

„Wissen Sie, dass du einen neuen Freund hast?“

Schweigend schüttelte der Schwarzhaarige den Kopf und legte einen Arm um Shin. Shous Eltern würden ihm sicherlich nicht den Kopf abreißen, weil er nicht ewig um Shou trauern wollte. Viel mehr Sorgen machte er sich darum, was passieren würde, wenn sie Shin und Shou miteinander verglichen. Sie waren immer noch Shous Eltern und natürlich würde ihnen die äußere Ähnlichkeit auffallen.

„Saga, schön dich wiederzusehen.“ Freundlich lächelte Shous Mutter ihn an. „Wie geht es dir?“

„Mittlerweile wieder gut, danke. Und euch?“ Beruhigend strich er Shin über den Rücken.

„Das freut mich. Als wir uns das letzte Mal getroffen haben, warst du noch immer ziemlich fertig. Das war im… März, nicht?“

Bestätigend nickte er. Ende März. Ziemlich genau zwei Wochen, bevor Shin ihn angesprochen hatte. Er war mehr tot als lebendig gewesen, da hatte es wohl auch nicht geholfen, jedem zu erzählen, dass es ihm gut ging.

„Wir… waren in einer Familientherapie, mittlerweile geht es. Aber im Gegensatz zu dir waren wir auf Shous Tod vorbereitet gewesen. Warst du seit der Beerdigung einmal an seinem Grab?“

Langsam schüttelte Saga den Kopf. „Das schaffe ich nicht, das weiß ich. Auch wenn ich wollen würde.“

„Vielleicht nicht allein, aber…“ Ihr Blick wanderte zu Shin, der sich spürbar unwohl fühlte. „Wer ist das?“

„Shin. In gewisser Weise Shous Nachfolger. Zwar erst seit ein paar Wochen, aber das ist nicht unbedingt wichtig.“

Warm lächelte sie ihn an. „Ein hübscher Nachfolger. Weißt du, Saga, Shou würde sich für dich freuen. Er hatte nie gewollt, dass du seinetwegen leidest.“

Der Student nickte. „Er wollte Vieles nicht, erst recht nicht, dass sein Tod mein Leben auch fast beendet. Er wollte immer das Beste für alle, aber das ist Vergangenheit. Und ich habe mein Leben mit ein wenig Hilfe wieder sortiert.“

„Wir haben einen Termin“, erinnerte Shous Vater seine Frau. „Kommt doch einmal zum Kaffee vorbei. Ich wüsste gern etwas mehr über Shin.“

Verschreckt sah der Kleinere zu dem älteren Mann, der daraufhin gütig lächelte. „Keine Angst, ich will dich nicht fressen. Und so lange ihr glücklich seid, geht es mich nichts an.“

„Wir kommen vorbei, wenn wir Zeit haben“, meinte Saga. Auch wenn er nicht wusste, ob Shin damit einverstanden war, aber Shous Eltern waren wirklich nette Menschen. Und sie schienen Shin zumindest nicht abzulehnen.
 

„Schon irgendwie unrealistisch“, sagte Shin leise und lehnte sich an das Geländer der Brücke. Die Sonne schien noch immer, auch wenn sich langsam die Dämmerung ankündigte.

„Was meinst du?“ Vorsichtig legte Saga seine Arme um den Schüler und schmiegte sich an dessen Rücken. Er war auch der einzige, der das tun konnte, ohne dem anderen Angst einzujagen.

„Dieser Ort. Zwei Mal hat hier etwas Bedeutendes für dich stattgefunden und beide Male hat sich dein Leben entscheidend verändert.“

Sanft küsste er den Kleineren auf die Wange. „Schon richtig, aber so unrealistisch ist das nicht. Jeder Mensch hat Orte, die ihm viel bedeuten und an die er gern zurückkehrt. Oder die er meiden will, aber an die er immer wieder zurückgetrieben wird. Wie die Klippen oder das Krankenhaus.“

Der Jüngere seufzte und schmiegte sich an den warmen Körper. „Ist es nicht eher so, dass man an diese Orte zurückkehrt, weil Erinnerungen dort besonders lebendig sind? So wie deine Erinnerungen an Shou?“

„Vielleicht“, stimmte der Schwarzhaarige zu, „aber es sind neuere Erinnerungen dazu gekommen, die die alten überlagern. Dir ist hoffentlich klar, dass ich Shou niemals vergessen kann, aber ich akzeptiere seinen Tod und kann nur deswegen für dich da sein.“

Shin nickte leicht und sah auf die bewegte Wasseroberfläche. „Fragst du dich manchmal auch, wie es jetzt wäre, wenn irgendwas anders gelaufen wäre?“, fragte er leise. „Wenn Yuhma mir nicht so was angetan hätte? Oder wenn Shou noch leben würde? Wenn meine Erinnerungen nicht zurückgekommen wären?“

„Nicht nur manchmal. Wäre Shou nicht gestorben, wäre vermutlich alles anders gelaufen.“ Nachdenklich legte er sein Kinn auf die Schulter des Kleineren. Ja, es wäre fast alles in den letzten Monaten anders gelaufen. Er wäre nie so nah am Boden gewesen und der andere hätte ihn nicht angesprochen. Sie wären sich niemals so nahe gekommen und hätten nicht so viel zusammen durchgemacht.

Auch wenn er es so nicht beabsichtigte, musste Saga sich eingestehen, dass er viel zu oft darüber nachdachte, was gewesen wäre, wenn Yuhma Shin nicht vergewaltigt hätte. Es hätte noch Wochen dauern können, bis er sich bei diesem gemeldet hätte.

Er merkte, wie der schlanke Körper in seinen Armen in einem Windstoß erzitterte. Es war zwar eigentlich nicht kalt, aber die Luft kühlte doch deutlich ab, je weiter die Sonne sich dem Horizont näherte. „Wollen wir nach Hause?“, flüsterte er dem Schüler zu, der leicht nickte. „So schön es hier auch ist, auf dem Sofa daheim mit Kaffee ist es auf jeden Fall noch schöner.“
 

„Das ist eine blöde Idee, Shin. Lass uns wieder zurückgehen.“

Genervt seufzte Angesprochener. Sie hatten in den vier Tagen seit dem Beginn der Ferien so oft über dieses elendige Thema diskutieren müssen, bis Saga endlich zugestimmt hatte, Shous Grab zu besuchen, nachdem Shin stundenlang auf ihn auf eingeredet hatte. Natürlich war ihm aufgefallen, wie schwer es dem Schwarzhaarigen gefallen war, ihm diesen Wunsch zu erfüllen beziehungsweise es nur in Erwägung zu ziehen, und umso mehr bedeutete es ihm, diesen überhaupt schon vor das Friedhofstor gebracht zu haben. Er würde jetzt ganz sicher nicht aufgeben, dafür waren sie schon zu weit. „Saga, es muss sein. Glaub mir, das erste Mal ist auch immer das schwierigste, aber ich bin doch bei dir.“ Aufmunternd küsste er den Schwarzhaarigen auf die Wange.

„Darum geht es doch gar nicht. Ich schaffe das nicht, aber das hat nichts mit dir zu tun.“

„Du schaffst das.“ Ermutigend lächelte er den Studenten an und drückte dessen Hand. „Wir kriegen das schon hin. Außerdem kannst du es nicht ewig verhindern.“

„Nicht? Nein, okay, Schatz, ich weiß, was du meinst, aber ich kann das nicht. Du weißt doch, warum.“

Genervt verdrehte der Kleinere die Augen. „Jetzt komm. Wir sind hier und wir ziehen das jetzt durch. Also, wo müssen wir hin?“ Ohne auf eine Antwort zu warten, zog er den Älteren durch das Tor. Er war die Diskussionen einfach leid. Die Wegbeschreibung war so leise, dass er sie fast nicht verstand, aber eben nur fast. Er fühlte, wie der Widerstand des Größeren zunahm, als er auf einen der Wege bog, bis Saga plötzlich ganz stehenblieb und geradeaus sah. „Da vorne ist es“, hörte Shin ihn flüstern und legte einen Arm um ihn. „Dann komm. Wir schaffen das.“

Abwesend schüttelte der andere den Kopf und sah geradeaus. Shin wusste, dass er nur noch etwas Zeit brauchte, aber er wollte nicht warten, nur um dann wieder mit Saga zu diskutieren. Schulterzuckend küsste er diesen auf die Wange und ging dann voraus, hockte sich vor dem Grab hin und sah auf die liebevoll gepflegten Blumen.

„Shou… Ich weiß, dass das vielleicht albern ist, aber man hat mir einmal gesagt, dass man am Grab eines Menschen mit diesem sprechen soll und dass der das hört, also… Ich denke, ich sollte dir von den letzten Monaten erzählen, aber vielleicht sollte ich erst erklären, wer ich bin“, meinte er leise. „Ich bin Shin. Und in einer Weise dein Nachfolger. Ich weiß nicht, ob du dich erinnerst, ich habe auch gebraucht, bis ich mich daran erinnert habe, aber wir sind uns einmal in der Stadt begegnet. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich gegen dich gelaufen bin. Na ja, und seit Mitte April kümmere ich mich um Saga, erst als guter Freund und seit sechs Wochen als sein neuer Freund. Weißt du, es ist seltsam zu wissen, dass ich ihn irgendwie immer noch mit dir teilen muss, aber es ist okay für mich.“ Möglichst kurz fasste Shin die wichtigsten Ereignisse zusammen, konnte sich aber hier und da ein Lächeln nicht verkneifen. „Wie du siehst, hat sich viel ereignet“, beendete er seine Erzählung und stand auf. „Ich wünschte, ich hätte dich wirklich kennengelernt. Wir hätten uns bestimmt gut verstanden. Aber ich will, dass du weißt, dass ich gut auf Saga aufpasse. Er wird keine Dummheiten machen, allein schon um mir nicht wehzutun. Er liebt mich und ich liebe ihn.“

„Richtig“, meinte der Student und legte einen Arm um ihn. „Es ist alles ins Gleichgewicht zurückgekommen, auch wenn mir etwas doch noch irgendwie fehlt, seit Tora auch noch weg ist.“

Zufrieden schmiegte Shin sich in die wärmende Umarmung und lächelte den anderen an. „Tora kommt wieder und wir kommen doch auch so ganz gut klar.“

Saga nickte bestätigend und beugte sich zu ihm hinab, hielt ihn so davon ab, noch Weiteres zu sagen. Es war nur ein kurzer, unschuldiger Kuss, aber trotzdem betrachtete Shin danach die fröhlich durch die Luft tanzenden Blütenblätter, von denen auch einige in seinen Haaren und auf seiner Kleidung landeten. „Was zum…?“, murmelte er und sah den Studenten an, der mit den Schultern zuckte und seine Hand nahm. „Lass uns gleich nach Hause gehen. Auch wenn die Szene mit den Blütenblättern schön ist, ich mag Friedhöfe nicht.“

„Aber wir kommen ab und zu her, ja?“ Shin strahlte den anderen, der leicht nickte, an. „Ab und zu heißt aber nicht jedes Wochenende“, stellte dieser fest und strich ihm durch die Haare.

Langsam gingen sie den Weg zurück und Shin steckte seine freie Hand in die Tasche seiner Sweatjacke. Verwundert blieb er stehen und zog Blütenblätter und mit ihnen ein schmales, goldenes Kettchen mit Anhänger hervor. „Wo kommt die denn her?“, wandte er sich überrascht an Saga, der die Kette ungläubig an sich nahm und den Anhänger immer fassungsloser betrachtete. Lächelnd legte er dem Schüler das Kettchen um und nahm seine Hand. „Komm. Ich muss dir Zuhause etwas zeigen.“
 

„Hier.“ Vorsichtig nahm Shin das Lederband mit dem goldenen Löwenanhänger entgegen. Auf der Rückseite war Sagas Name eingraviert. „Der sieht aus…“, begann er, wurde jedoch unterbrochen.

„Er ist wie deiner, nur trägt deiner deinen Namen.“ Sanft strich er dem Schüler über die Wange. „Es ist eine Spezialanfertigung. Es gibt eigentlich zwei dieser Anhänger, einer gehört Shou, und den habe ich ihm mitgegeben. Ich habe beide Anhänger zu unserem ersten Jahrestag machen lassen. Auf dem zweiten stand Shous Name.“

Irritiert sah Shin ihn an. „Und woher kommt dann meiner?“

Saga schüttelte den Kopf. „Ich kann es mir eigentlich nicht erklären, aber ich habe eine Theorie. Im Prinzip ist es mir egal. Lass uns die Anhänger einfach so tragen, wie sie ursprünglich gedacht waren.“

„Und das wäre?“, fragte Shin neugierig und verknotete Sagas Lederband. Das Ganze war schon seltsam.

„Als Zeichen, das wir zusammengehören und gemeinsam verdammt stark sein können. Stärker als Löwen.“

„Verrätst du mir deine Theorie irgendwann?“

Der Student lächelte ihn sanft an. „Vielleicht irgendwann, aber es ist… abgedreht.“
 

THE END.

_________________________________________________________________________________
 

Nach 9 Kapiteln mit einem sehr dramatischen Beginn ist das Ende geschaffen.

An dieser Stelle bleibt nicht allzu viel zu sagen. Höhen, Tiefen, und letztendlich doch ein Happy End. Ich muss zugeben, ich gönne es den beiden so sehr. Beide haben viel verloren und verdienen Glück. Ob es dauerhaft so bleiben wird, kann sich jeder selbst überlegen.
 

Zum Thema Wettbewerb: Ich hoffe es gefällt den beiden Jurorinnen. Hier steckt unwahrscheinlich viel drin, das ganz typisch ich ist, und auch wenn es von der Anzahl der Kommentare und Favos nicht an mein Herzstück heranreicht, ist es doch für eine verhältnismäßig kurze Geschichte ganz gut dabei.
 

Zum Thema eventuelle Fortsetzung, wie es das ja manchmal bei mir gibt: Ich möchte niemandem wirklich Hoffnungen machen. Es könnte sein, dass eventuell – wenn ich Zeit und Lust habe – noch etwas zu Tora kommt, genau genommen zu der Zeit, in der er wieder in Tokyo ist. Und da wird sich dann vielleicht auch die Rolle des neuen Studenten klären, wer weiß. Aber ich möchte niemandem zu viel Hoffnung machen.

Ich arbeite am zweiten Teil von ‚Pirate’s Dream‘, habe danach die Fortsetzung zu ‚Ein Herz für Tiger‘ vor mir, dicht gefolgt von dem dritten ‚Pirate’s Dream‘ Teil. Dazu habe ich ja noch mit der Ikiteru-Reihe eine Reihe unabhängiger, unterschiedlich langer Geschichten, von denen noch… 22 über sind? Und einige können sehr lang werden.

Es ist lediglich nicht unmöglich, dass irgendwann mal eine kurze Fortsetzung kommt.
 

Und jetzt möchte ich noch einmal meinen Kommentatoren und Favonehmern danken, denn wie schon so oft gesagt: Ein Autor, dessen Geschichten niemand liest, kann sich niemals als richtigen Autor ansehen und der wird auch niemals so viel Motivation zum Schreiben haben, da er sich dann auf den Erfolg versteift.
 

Wie dem auch sei, wir werden sehen, was mit dieser FF wird, nachdem sie ja eigentlich abgeschlossen ist. Vielleicht schaffe ich es bei dem Wettbewerb auf einen der vorderen Plätze, vielleicht schreibe ich irgendwann eine Fortsetzung, vielleicht kommen noch einige Favos dazu… Wer kann schon sagen, was die Zukunft bringt?

Ich hoffe nur, dass man sich irgendwann mal wieder liest/schreibt.^^
 

Bis vielleicht irgendwann dahin,
 

Hikari



Fanfic-Anzeigeoptionen
Blättern mit der linken / rechten Pfeiltaste möglich
Kommentare zu dieser Fanfic (26)
[1] [2] [3]
/ 3

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  ChiChii
2012-06-12T15:09:15+00:00 12.06.2012 17:09
Mal wieder eine Geschichte von dir, die ich total gern hab!
Beim ersten Kapitel dachte ich noch "Was?! Wieso lässt du Shou sterben?!", aber im Lauf der Geschichte hab ich mich immer mehr darauf gefreut, dass Shin und Saga zusammen kommen~ ^^
Auch wenn das mit Yuhma ziemlich krass war...
Aber einfach eine tolle Geschichte und tolles Ende ^^
Hey, aber das Band ist von Shou, oder? :3
LG~
Von: abgemeldet
2011-12-02T16:59:04+00:00 02.12.2011 17:59
:)

das mit der kette am schluss... is süß... ^-^
Von:  klene-Nachtelfe
2011-12-02T13:33:35+00:00 02.12.2011 14:33
Oha...dieses Ende ist....genial!!!
Einfach unglaublich stimmig und sehr berührend!!!
Wirklich klasse!!!
LG -^.^-
Von:  klene-Nachtelfe
2011-11-27T14:11:16+00:00 27.11.2011 15:11
Phu das war ne knappe sache!!!
Zum glück ist alles gut gegangen!
Hoffentlich geht es jetzt endgültig weiter berg auf!!!
LG -^.^-
Von: abgemeldet
2011-11-25T15:23:15+00:00 25.11.2011 16:23
ein glück, dass Saga rechtzeitig gewesen ist... ~__~
und es jetzt wirklich mit den beiden bergauf gehen kann...

aber Yuhma... FJDFIGFXHÖL;!!

aso... und was hat es mit diesem neuen studenten da auf sich??? o_O
Von:  Haidogirl
2011-11-25T14:49:06+00:00 25.11.2011 15:49
*-*

Ich mag dieses Kapi besonders gern! ~~

Schade dass schon das Ende in Sicht ist!
Von:  klene-Nachtelfe
2011-11-18T21:34:01+00:00 18.11.2011 22:34
Oh man Shin kann einem einfach nur leid tun!
So viel Pech hat er nicht verdient!
Hoffentlich entscheidet Saga sich für ihn!!!
Klasse Kappi!!!
WEITER SO!!!
LG -^.^-
Von: abgemeldet
2011-11-18T15:30:35+00:00 18.11.2011 16:30
nach konzerten bin ich meistens total überdreht xDDD

...
aber... dieses kapitel is ja leider... ~___~
hab ichs doch kommen sehen... ~___~

ganz ehrlich?
mit etwas, was er weiß, wird ihm der boden unter den füßen weggerissen, alles in sich zusammenstürzen, etc.

..aber wenn er sich gar nicht erinnert, wird ihn die ungewissheit langsam schritt für schritt kaputt machen... und das unwiderruflich...

wohingegen er nach gewisser zeit, wenn er weiß, was geschehen ist, das ganze zumindest versuchen kann abzuschließen
wie heißt dieses sprichwort?
lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende
...so in der richtung meine ich das...

und saga wird für ihn da sein >___<
denn der hat sich ja jetz eigentlich auch entschieden, er muss es nur noch selbst akzeptieren...
Von:  Haidogirl
2011-11-15T07:21:41+00:00 15.11.2011 08:21
0.o
Man, was für eine Wendung!
Wenn Shin sich erinnert, wird´s schrecklich!
Aber bitt lass seine Mutter am Leben!

Und ja, jetzt mag ich Saga wieder ^^
Von:  klene-Nachtelfe
2011-11-13T07:02:46+00:00 13.11.2011 08:02
Armer Shin!
Das ist echgt ne beschissene Situation!
Hoffentlich passt Saga jetzt wirklich gut auf ihn auf!
Der arme Kerl....wirklich sehr viel aufeinmal!
Klasse Pitelchen!
LG -^.^-


Zurück