Zum Inhalt der Seite

Johto no Densetsu

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Die Legende Johtos

Jede Region hat ihre eigenen Geschichten, wie jedes Lebewesen, das auf der Erde wandelt. Eine Legende, die so alt ist wie die Welt selbst, wird in allen Ländern erzählt. Und doch unterscheidet sie sich…

So lasst mich über diese Geschichte vom Beginn unserer bekannten Welt berichten:
 

Bevor die Welt existierte, war sie in die düsteren Schatten des Chaos gehüllt. Es herrschte tiefste Dunkelheit, in der es weder Leben, Fröhlichkeit, Freude und Glück noch Tod, Traurigkeit, Leid und Pech gab, sondern bloß ein ewiges Nichts. Kein Licht vermochte das Chaos zu durchdringen und doch brachte jene Finsternis eine Kreatur hervor. Arceus, so pflegten die Menschen unserer Vorfahren jenes göttliche Wesen, dessen gleißender Schein das Nichts vertrieben hatte, zu nennen.

Aus dem Ei, welches Arceus erschuf, entsprangen Palkia und Dialga. Sogleich vermochten sich Raum und Zeit auszudehnen, als ihre Herzen begannen zu schlagen.

Durch dieses Werk aber schwanden die Kräfte der obersten Gottheit und aus seinem schwindenden Licht wurde Mew geboren.

Die Gottesmutter und zugleich die Göttin des Lichts und der Fruchtbarkeit begutachtete das unfertige Werk, das noch immer von einem Schleier der immerwährenden Dunkelheit bedeckt war.

So sandte sie Cresselia und Darkrai. Es war die Geburtstunde von Licht und Finsternis, denn dort, wo es Licht gab, herrschten auch die Schatten, und wo Schatten lebendig waren, wurden sie von Licht durchdrungen.

Ja… So gegensätzlich Cresselia und Darkrai auch sein mochten, ihre Schicksale sollten bis in die Ewigkeiten aneinander gebunden sein.

Noch immer war die Erde wirr und wüst und so erweckte Mew die Titanen des Himmels, der Erde und des Meeres.

Rayquaza schied die Bläue der Welt in den weiten Himmel und die tiefen Gewässer. So wurde die unendliche Weite des Himmels geboren.

Nun sammelte Kyogre das Wasser an einem Ort und das Land erstreckte sich durch Groudons Macht.

Bereits in jener Zeit herrschte eine Fehde zwischen den göttlichen Kreaturen, so überliefern es zahlreiche aus Hoenn stammende, heilige Schriften. Dieser jahrelange Kampf erzürnte das sanfte Gemüt Mews und so verbannte sie die Kämpfenden auf den Grund des Meeres und ins Herz eines Vulkans. Ein Siegel eines jahrtausendlangen Schlafes sollte ihre Mächte vom Antlitz dieser Welt tilgen.

Obhut über Land und Meer wurden nun Ho-oh und Lugia zugetragen, die Mew entsandte, um über das Werk der in Schlummer gefallenen Titanen zu wachen.

Anschließend wurden die niederen Pokémon geschaffen, die Wiesen, Wälder, Berge, Höhlen, Wüsten, Steppen, Seen und Flüsse, sowie den Ozean und den Himmel besiedelten.

So kehrte in den Herzen der Menschen und der Pokémon, die zu Freunden und Gefährten wurden, Frieden ein.

Und obwohl keine Zwietracht die Herzen der Geschöpfe durchzog, schufen die obersten Gottheiten die Halbgötter:

Lavados, der Hüter des Feuers und des Werk Ho-ohs.

Zapdos, der Gebieter über Blitz und Donner.

Arktos, die Herrin über Schnee und Eis.

Entei, der König der Pokémon.

Raikou, der Herr über Donner und Blitz, gleichsam mit Zapdos.

Suicune, die Tochter der Nordwinde und Beschützerin der Flüsse und Seen.

Selfe, die Verkörperung des Wissens.

Vesprit, die schöne Seele der Gefühle.

Tobutz, der gesunde Geist des Willens.

Regigigas, welches aus Magma, einem Eisberg und einem Felsen drei weitere Pokémon erschuf, genannt: Registeel, Regice und Regirock. Gemeinsam sind die Vier die Behüter alter Reliquien.

Nicht zu vergessen ist die Schöpfung unserer Gattung. Zuletzt wurde die Existenz des Menschen ins Leben gerufen.
 

Dank dem Wissen der Götter blühte die ihnen zugeordnete Welt rasch auf. Die Pokémon, die Freundschaft mit den Menschen schlossen und jene zu ihren Gefährten wählten, halfen ihnen die Schönheit der Natur zu entdecken, sodass sie Leben in ihr zu finden vermochten.

Im Laufe der Jahre entwickelten sich Dynastien und Hochkulturen. Die Menschen strebten nach Macht und doch vermochten die alten Legenden niemals in Vergessenheit zu geraten, denn jede dieser Sagen lebte in den Herzen der Menschen weiter.

Um den Göttern ihren Dank zu zeigen, erschufen die alten Völker prachtvolle Heiligstätten und die Legenden wurden stets weitererzählt. Alle Welt sollte wissen, wie der Kreislauf des Lebens begonnen hatte.

Gewiss aber brachte jedes Land seine eigenen Geschichten hervor und jedes Land sollte andere Götter lobpreisen. So erbaute das Volk Hoenns prächtige Schreine, um dem Sonnengott Groudon und dem Meeresgott Kyogre zu danken, den Göttern von Zeit und Raum, Dialga und Palkia, erschufen die Menschen des heiligen Landes Shinou prachtvolle Tempel, und das Johto’sche Volk errichtete zu Ehren des göttlichen Phoenix Ho-oh, der Wärme und Leben schenkte, den Zinnturm und den Bronzeturm, um Lugia zu huldigen.
 

Doch dieser Frieden war bloß ein Trugbild der Wirklichkeit. So schön wie diese Harmonie auch war, sollte sie schon bald zerstört werden. So gegensächlich Feuer und Wasser sein mochten, standen sich Raum und Zeit in einer ewigen Blutsfehde gegenüber. Dieser Krieg, der aus dem Herzen Shinous entsprang, streckte schon bald seine gierigen Krallen nach der Welt aus und sollte das Schicksal aller Menschen und Pokémon verändern.
 

Die unerbittliche Schlacht der lichteren Hohepriester, die Dialga und Palkia dienten, dehnte sich auf die Menschheit aus.

Hass schürte sich unter den Menschen und Neid keimte auf. Tief bohrte sich die Zwietracht in die Herzen der Menschen, nistete sich dort ein und ließ sie zu willenlosen Marionetten ihres eigenen Verstandes werden.

Ja, dieser Krieg vermochte eine unüberwindbare Kluft zwischen den Menschen zu reißen. Ob jung oder alt, Frauen oder Männer, griffen sie zu den Waffen und bekämpften sich.

Doch der Krieg, den sie zu führen gedachten, führte sie, wuchs vor ihnen aus den tiefsten Spalten der Schluchten auf. Wie ein Nebel, ja wie ein graues Gespenst rüttelte er am Glauben der Menschen.

Jene dunkle Schlacht nährte sich aus negativen Gefühlen, labte sich an Angst, Hass und Leid, welche fortan regierten.

Und aus der Asche jener zerstörten Welt erhoben sich Dialga und Palkia, begannen sich bis aufs Blut zu bekämpfen. Doch es war keine Schlacht, die endete, wenn der Schwächere sich unterwarf. Nein, es war eine Schlacht um Leben und Tod.

Das lang gehegte, Jahrtausende alte Gleichgewicht der Mächte war durch das Erwachen jener Gottheiten gestört. Stünden sich Raum und Zeit im Kampfe gegenüber, so würde Chaos die Welt regieren, bis nur noch Asche zurück blieb.

So stand es geschrieben.
 

Wer vermochte dem Zorn eines Gottes zu widerstehen?

Niemand vermochte dies zu tun. Menschen und Pokémon hauchten in dieser Schlacht ihr Leben aus.

Wie lange sollte dieser Wahnsinn noch andauern?

Aber darauf hatten bloß die Götter eine Antwort, die unberührt, wohl mit einem höhnischen Lachen, der vollkommenen Vernichtung der Welt beiwohnten.
 

Als selbst der letzte Hoffnungsfunke zu erlöschen drohte, stießen die Menschen ein Stoßgebet zum Himmel empor. Und als alle Zuversicht aus den Herzen der Menschen entwichen war und die Erde im Chaos zu versinken drohte, erstrahlte zartes Licht vom Himmelsfirmament herab und kündigte das Jüngste Gericht der Gottesmutter Mew an.

Ins Leben gerufen war jene Kreatur, die heute als Todesgott verschrien war. Giratina. Ihm war die Last auferlegt worden Raum und Zeit Harmonie zu bringen.

Doch auch Giratina wusste keinen Ausweg.

Und so versammelten sich, hoch über den Wolken und weit entfernt vom Anblick des blutigen Krieges, vier Gottheiten:

Giratina, der Herrscher über das Zwielicht und Bewahrer des Gleichgewichts.

Rayquaza, der König des Himmels.

Ho-oh, der Gott des Feuers und des Lebens.

Lugia, die Hüterin des Meeres und der Winde.

Vereint vermochten sie nicht gegen Dialga und Palkia zu gewinnen, doch beschlossen sie ein Abkommen.

Sie erwählten vier Menschen. Die Wächter.

Zu beschützen und zu dienen war ihre Aufgabe. Und ihnen war die Bürde auferlegt worden, dem Werk, welches die Vier Vereinten nicht zu vollenden wussten, den Frieden zurück zu bringen.
 

In einer anschließenden Schlacht, als Palkias und Dialgas Kräfte nachzulassen schienen, wurden sie letztlich bezwungen und ihre zerstörerische Macht wurde dank Giratinas Kräfte vom Antlitz der Welt verbannt.

Und trotz der Euphorie des Sieges hatte jener seinen hohen Preis. Giratinas Kräfte schwanden, sein Herz schlug immer schwächer… So ließ die Wirkung des Siegels nach und brach.

Und Giratina hauchte sein Leben aus, verschwand im Exil des Nichts, des Zwielichts.
 

Tragödien spielten sich in der Welt ab. Unzählige Menschen und Pokémon gaben ihr Leben in einem Krieg, dem niemand Einhalt zu gebieten vermochte. Welchen Preis mussten die Menschen für ihr nie enden wollendes Streben nach Macht zahlen?

Macht schmälerte das Urteilsvermögen, ließ sie anfällig und verletzlich werden.

Doch sie opferten ihre Familie, ihre engsten Gefährten und ihr eigenes Leben für diese Ideale.
 

So geschah es, dass der Krieg selbst die Zwietracht im Herzen der Hohepriester Ho-oh und Lugia zum Keimen brachte. Eine Schlacht, die niemals mit der zwischen Dialga und Palkia verglichen werden durfte, begann und forderte ihren blutigen Tribut.

In einer mondlosen Nacht trafen die Fronten aufeinander und ein Feuer brach aus, welches gierig nach dem Bronzeturm lechzte. In ein loderndes Flammenmeer wurde der heilige Turm gehüllt. Markerschütternde Schreie durchfluteten die Finsternis, brachten selbst die Stimmen der Schlacht zum Schweigen. Und niemand vermochte zu sagen, von wem diese Schreie stammten.

Doch als sie bei den ersten Sonnenstrahlen den niedergebrannten Bronzeturm betraten, fanden sie die leblosen Körper dreier Pokémon und den eines unschuldigen Kindes, die von den Flammen vollkommen entstellt waren. Jener Anblick fürchtete die Menschen so sehr, dass sie ihre Waffen niederlegten und Frieden schlossen. Gemeinsam erwiesen die Menschen den verstorbenen Pokémon die letzte Ehre, bevor sie ihnen den Rücken kehrten.

So kam dem Himmelsreich Ho-oh herab, auf siebenfarbigen Schwingen gleitend. Sein grelles, heiliges Licht wärmte die leblosen, kalten Leiber der Pokémon, und vertrieb die schleierhaften Schatten des Todes. Da ihre Leiber durch die Flammen verbrannt und vollends ihrer Schönheit beraubt worden waren, schenkte der himmlische Phoenix, durch den Willen Arceus, neue Körper.

So begannen ihre Herzen erneut im Rhythmus des Lebens zu schlagen, während ihren Lippen ein stockender Atemhauch entströmte.

Und obwohl die Menschen Sünden begangen hatten, vergab Ho-oh jene niederträchtigen Taten und gewährte dem Kind auf dieser Welt wandeln zu dürfen.
 

Fähigkeiten, die in den Adern jedes, von einem Gott berührten Kind ruhten, sollten sich in Bälde entfalten, ja sollten die eiskalten Ketten aus Stahl sprengen.

Eines Leuchtfeuers gleich brachten die erwachten Wächter Licht ins Dunkle, durchdrangen gar mit ihren lichteren Kräften die finstersten Schatten.

Ihnen waren der Glaube und der Mut geschenkt worden, jenem grausamen Töten und dem sinnlosen Kampf zwischen Palkia und Dialga ein Ende zu setzen, denn dieser Krieg hatte von Menschen und Pokémon seinen blutigen Tribut gefordert. Die Pfade, die beschritten worden waren, waren gesäumt mit Leichen. Gewiss, es war die Natur des Menschen, die ihm so in die Wiege gelegt worden war, seine Wege mit Toten zu pflastern. Und doch erweichten die Gebete die Herzen der Götter.

Und so woben sie im Gleichklang der Stimmen jener Wächter einen uralten Zauber, der, sollte er keine Wirkung finden, die Berufenen und alles Lebende auszulöschen vermochte.

In der ruhelosen Stille der Schlacht durchbrach ein Hoffnungsfunke das finstere Firmament und schenkte der Sonne neue Kraft. So umwarb ein wundersamer Schleier aus gleißendem Licht die kämpfenden Titanen. In sich gekehrt hielten Dialga und Palkia inne, wanden sich aber unter Pein, als ihre Seelen ruckweise ihren Leibern entrissen wurden. Diese Fragmente wurden jenen eingehaucht, die heute als sagenumwobene Hüter der Seen gepriesen wurden.

Vereint vermochten sie die unbändige Macht Dialgas und Palkias zu bändigen.

Und ihre Körper… Man sagt, dass jene tief im Herzen des Kraterbergs, abseits von der Menschheit, verborgen seien.
 

Die Erde war verwüstet, der Krieg gewonnen und doch hatten die glorreichen Erlöser einen hohen Preis zu bezahlen. Ihr Lebensfunke wurde schwächer, bis dieser schließlich vollends erlosch.

Welchen Preis sie für die Errettung dargebracht hatten, sollte bis ans Ende der Tage unvergessen bleiben, denn jenen, die vom Schicksal geleitet waren, war die Bürde auferlegt worden, in den Stunden höchster Not der Welt erneut den Frieden zurückzubringen.

Ihre Spuren verwischten und doch waren sie niemals aus den Herzen der Menschen verschwunden. Die Zeit würde die längst vergessene Legende der Wächter ins Leben zurückrufen.

Ja… Schon bald würde sich die Geschichte wiederholen.

Die Begegnung in der Drachenhöhle

Die Drachenhöhle lag im dunklen Zwielicht, als Soul die Heiligstätte der hiesigen Stadt betrat. Auf dem Gestein hallten ihre Schritte rhythmisch wider, bis sie inne hielt und lauschte.

An ihre Ohren drang das ferne Rauschen von Wasser, dann fröstelte es ihr, als sie den kühlen Wind auf ihrer Haut spürte. Doch jener Ort besaß eine mystische Aura, die das Mädchen sanft berührte und ein tiefes Gefühl von innerem Frieden beschwor. Ja, jene Aura schien gar die Kälte aus ihren Gliedern zu vertreiben.

Kurze Momente ließ Soul die Atmosphäre auf sich wirken, bevor sie ihren Weg mit ruhigen Schritten fortsetzte, der sie über einen unebenen Boden führte.

Wie lange war es her seit sie die Drachenhöhle zuletzt aufgesucht hatte? War sie tatsächlich das letzte Mal hier gewesen, nachdem sie Ibuki, die Arenaleiterin von Ebenholz City, geschlagen hatte?

Damals hatte Ibuki ihr eine Prüfung auferlegt und sie in die Drachenhöhle geschickt, um zu erfahren, ob die junge Trainerin würdig war den letzten Orden der Johto-Region zu erhalten.

Jene Prüfung hatte Soul bestanden und somit galt ihr das seltene Privileg die Pokémon Liga herauszufordern.

Das Mädchen hob den Kopf, als lodernde Fackeln am Drachenschrein ihre Aufmerksamkeit erweckten. Von Neugierde erfasst, betrat Soul die in den Wogen des Wassers schwankenden Stiegen, wandte sich dann zu einem alligatorähnlichen Pokémon um.

„Seth, ich brauche deine Hilfe.“

Das groß gewachsene Impergator grollte zustimmend, trat an sie heran und kniete sich nieder. Erneut stieg ein leises, aber für geschulte Ohren kein feindliches Knurren in seiner Kehle auf.

Vorsichtig kletterte Soul auf den Rücken ihres Pokémons, umfasste dabei eine der blutroten Zacken und zog sich langsam hinauf.

„Auf geht’s“, sagte Soul, nachdem sie sich einen sicheren Halt verschafft hatte.

Kaum waren diese Worte ausgesprochen, stieß sich der Alligator kraftvoll vom Boden ab, begleitet von einem leisen Keuchen seiner Trainerin. Beinahe lautlos glitt Impergator in die Fluten und schwamm mit kräftigen Schwimmzügen gegen die Strömung an, bis in der Dunkelheit die Umrisse des Schreins zu sehen waren, wurde aber von einer unerwarteten Welle erfasst und fortgespült.

„Du schaffst es, Seth!“, trieb Soul ihr Pokémon an. „Nur noch ein kleines Stückchen, mein Kleiner!“

Durch ihre Worte ermunternd, sammelte Impergator erneut seine Kräfte und knurrte missmutig. Als würde er sich so leicht unterkriegen lassen!

Ein Brüllen entgegnete er der ungezügelten Kraft des Wassers und beschleunigte abermals, sodass Gischt um Soul herum stob, die sich eng an den Rücken schmiegte. Ihre Kleidung sog sich mit Nässe voll, bis sie unangenehm an ihrem Leib klebte.

Blitzschnell bewegte sich Impergator mit kräftigen Zügen der Hinterbeine vorwärts, korrigierte die Richtung von Zeit zu Zeit mit dem Schwanz, bis sie letztendlich den Schrein erreichten.

Tropfen perlten von der lederartigen Haut, während Impergator das knarrende Holz unter seinen Füßen bestieg, gewährte anschließend seiner Trainerin einen sicheren Abstieg.

Soul tätschelte seine nasse, kühle Schulter. „Gut gemacht“, lobte sie das Pokémon, welches ein freundliches, gar zärtliches, Grollen erwiderte. „Möchtest du dich ausruhen?“

Impergators rote Augen fixierten einen Moment das Mädchen, dann schüttelte er seinen massigen Kopf. Keinesfalls fühlte er sich erschöpft, daher war eine Ruhepause in seinen Augen nur Zeitverschwendung und etwas für Schwächlinge!

„Gut“, lächelte sie. „Dann komm.“

Vorsichtig betrat Soul die wankenden Stiegen und fürchtete zu jederzeit, dass sie ihr Gleichgewicht verlieren würde, schalt sich aber für diesen Gedanken.

Stets fühlte das Mädchen die wachsamen Blicke ihres Impergators auf sich ruhen. Niemals ließ Seth zu, dass ihr etwas geschah, und würde gar sein Leben riskieren, um ihr Leben zu beschützen.

Trotzdem atmete Soul auf, als sie festen Steinboden unter ihren Füßen spürte. Mit angewidertem Gesicht betrachtete das Mädchen ihre feuchte Bekleidung, sah sich dann aber aufmerksam in ihrer Umgebung um.

Der Ort wurde von schwach flammenden Fackeln erleuchtet, die diesen Platz zu wenig Licht spendeten, als dass die Dunkelheit der Drachenhöhle vertrieben werden konnte.

Unerwartet ertönte ein Schrei. Der Schrei eines Pokémons, der Soul zusammen zucken ließ. Dem schmerzverzerrten Ruf folgte eine harte, unerbittliche Stimme.

Unwillkürlich spannte Impergator seinen Körper an. Die Lefzen kräuselten sich, doch kein Laut drang aus seiner Kehle.

Einen raschen Blick ließ Soul ihrem Pokémon zu kommen, nickte ihm knapp zu und folgte dem Ursprung dieses Lärmes. Kaum war sie um die Ecke getreten, erstarrte Soul sogleich, als sie einen rothaarigen, jungen Mann erblickte, flankiert von einem Meganie und einem Sniebel, und schmiegte sich an das alte Gemäuer des Tempels, während ein flacher Atemzug ihren Lippen entströmte. In ihrer Brust begann ihr Herz wild zu schlagen. Warum musste er gerade an diesem Tag hier sein?

Es war Silver, ihr Rivale, der einst ein Pokémon aus dem Labor gestohlen hatte. Sie kannte ihn gut, beinahe zu gut, denn er war ihr oft auf ihren Wegen begegnet und hatte ihr das Leben schwer gemacht. Soul verachtete ihn – oder glaubte dies zu tun.

Doch es war die Art und Weise, die sie verabscheute, wie er seine Pokémon, die die engsten Gefährte eines Trainers waren, behandelte. Mit eiserner Hand drillte er seine Pokémon zu Höchstleistungen, achtete dabei nicht auf ihre Gefühle und Bedürfnisse, so wie es andere Trainer taten, sondern hatte bloß das sturköpfige Ziel starke Pokémon, die keine Emotionen zeigten, aufzuziehen.

Als ob Impergator ihre Gedanken lesen konnte, stieß der Alligator ein tiefes, verächtliches Knurren aus. Soul warf ihrem Pokémon einen mahnenden Blick zu, doch es war zu spät. Ihr Rivale hatte sie bereits gehört, als er aufgeschreckt herum fuhr.

Sein rotes Haar flatterte wie eine Mähne um ihn herum, und er sah nun das braunhaarige Mädchen vor sich, das ihn zurückhaltend ansah. Jede Faser seiner Muskeln war gespannt, doch er lockerte seine Körperhaltung sogleich wieder, und seine Gesichtszüge wurden hart und kühl.

„Du?!“, knurrte der junge Mann. „Was machst du hier? Bist du gekommen, um mich auch noch beim Training zu stören?“ Seine grauen Augen blickten Soul wütend an, die ihre verschreckte Haltung aufgab und zögernd auf ihn zutrat. Sie hielt jedoch inne und schnaubte entrüstet.

„Als ob mich dein Training interessiert“, fauchte das Mädchen zurück und schnippte sich eine Haarsträhne weg, die ihr ins Gesicht fiel.

„Dann verschwinde! Du störst!“

Das Mädchen ballte verärgert die Hand zur Faust. Was bildete er sich ein? Etwa, dass sie seinen Worten Gehorsam leistete und kehrt machte? Nicht umsonst hatte sie den weiten Weg aus Kanto zurück nach Johto gemacht, um von ihm fort geschickt zu werden!

„Nein“, entgegnete Soul mit trotzig vorgeschobenem Kinn. „Ich gehe, wann ich will, verstanden?“ Um ihren Widerstand zu unterstreichen, verschränkte sie ihre Arme vor der Brust und funkelte ihn angriffslustig an. Was erlaubte er sich überhaupt zu bestimmen, wo sie sich aufhalten durfte?!

Entrüstet schnaubte Silver ob der Sturheit des Mädchens. Rasch aber kam er auf Soul zu, die einen unsicheren Schritt vor ihm zurück wich. „Wa-?“

„Was tust du dann hier?“

„Ich wüsste nicht, was dich das angeht“, erwiderte Soul frech und schaute Silver fest an, der ihr nun einen bohrenden, beinahe neugierigen, Blick zu warf.

Schlagartig wurde ihr bewusst, dass ihre Stimme begonnen hatte zu zittern, und sie wich ihm leicht errötet aus. Innerlich fluchte Soul, verwünschte ihre verdammten Emotionen, die sie nicht hatte zügeln können. Warum genau in diesem Moment?

„Ich… Ich wollte dem Ältesten um einen Rat bitten.“ Silver dufte nicht merken, dass sie sich seltsam in seiner Nähe fühlte. Moment… Seltsam?! Verdammt noch mal!

Eindringlich schauten Silvers graue Augen die junge Trainerin an, die er als willensstarke, unerschrockene und aufbrausende Person kennen gelernt hatte. Sie war ein Mädchen gewesen, das stets wusste, was es tat und auch immerzu wusste, welche Ziele es erreichen wollte.

Doch diesen Eindruck machte Soul in diesem Moment nicht. Sie wirkte aufgebracht und unüberlegt. Es schien, als ob es Soul große Mühe kostete ihre Gefühle im Zaum zu halten. Verbarg sie etwas?

„Welchen Rat?“, fragte er beiläufig, während er ihr fest in die Augen schaute.

Ein zarter Rotschimmer erhitzte Souls Wangen, und sie wich verlegen seinen durchdringenden Blicken aus. Die Wahrheit vermochte sie ihm nicht zu sagen, daher schwieg sie.

Zu einem leichten Grinsen verzogen sich Silvers Lippen. Er wagte gar seine Finger an ihr Kinn zu legen und zwang das Mädchen ihn anzusehen. „Welchen Rat?“, wiederholte er.

Souls Leib wurde von einem Zittern erfasst, als sie seine Hand unwirsch weg schlug und vor ihm zurück wich. „Warum interessiert dich das?“

Silver zuckte, mit einem amüsierten Feixen auf den Lippen, die Schultern. „Wenn du mich schon beim Trainieren störst, möchte ich auch den Grund für dein Kommen erfahren. Oder war es bloß eine Ausrede, dass du zum Ältesten willst?“

Wild schlug ihr Herz gegen ihre Brust. Was bildete sich dieser Großkotz eigentlich ein?! „Ich… Ich habe es dir gerade schon gesagt“, entgegnete sie verunsichert, nachdem sie sich sicher war, dass sie wieder Herrin ihrer Gefühle war. „Ich wüsste nicht, was dich das angeht!“

Abermals feixte der Rothaarige spöttisch. Ein herausforderndes Grinsen, was Soul stets wütend machte und das Mädchen in eine innere Unruhe versetzte, umspielte seine Lippen. „Kratzbürstig wie immer, hm?“, hauchte Silver amüsiert.

Dies war keine Frage, sondern vielmehr eine Feststellung, die Soul verärgert stimmte. Aufgewühlt fauchte sie: „Halt die Klappe! Was weißt du schon?“

Zu rasch war Silver an sie herangetreten, als dass das Mädchen begreifen konnte, was er nun tat. Sie versuchte erschrocken zurückzuweichen, spürte aber, wie sie mit dem Rücken gegen die Wand des Schreines lehnte, während Silver seine Arme neben ihren Kopf stemmte. Sanft streichelte sein warmer Atem ihre Wangen, doch als Silver zu einer Erwiderung ansetzte, erklangen Schritte auf dem morschen Holz. Der Rothaarige hielt inne, schaute Soul ein letztes Mal in die Augen, bevor er zurück trat und seinen Kopf in die Richtung wandte, aus der die Geräusche gekommen waren.

Soul folgte seinem stummen Blick und schnappte nach Luft, als sie einen athletisch gebauten Mann musterte, der in einer robenähnlichen Tracht gekleidet war. Seine ausdrucksstarken Gesichtszüge wurden von seinen rotbraunen Haaren umrandet.

„Wataru!“, stieß Soul ihren angehaltenen Atem überrascht aus, dann glitten ihre Augen auf seine Begleitperson. Ebenfalls war diese in einen ebenso dunklen Umhang gewandet, wie er selbst. Über ihre Schultern wallten Strähnen ihres blauen Haares, die nicht in dem Zopf gebunden war. „Und Ibuki! Schön euch zu sehen.“

„Sei gegrüßt, Champ“, entgegnete Wataru dem Mädchen lächelnd. „Lange ist es her, dass wir uns getroffen haben, nicht wahr?“

Nachdem sich ihr Herzschlag wieder normalisiert hatte, nickte Soul zögernd. Auch wenn sie nun den Titel des Champs trug, gefiel ihr diese Bezeichnung nicht sonderlich, denn seitdem sie Team Rocket geschlagen und Wataru besiegt hatte, wurde sie in Johto und Kanto als Heldin gefeiert. „Seit unserem Kampf um den Titel nicht mehr.“

Die Arenaleiterin der Stadt verzog missmutig die Lippen. „Dass sie dich geschlagen hat, Wataru, bezweifle ich noch immer“, gab Ibuki ihren Unmut über die Niederlage ihres Cousins preis.

Dieser lachte rau. „Ich erkenne einen talentierten Trainer, wenn dieser mir gegenübersteht, im Gegensatz zu dir.“

Trotzig verschränkte Ibuki die Arme vor der Brust und schnaubte wütend, funkelte aber trotzdem Soul finster an, die den Blicken der Arenaleiterin standhielt. Sie ahnte, welche Gedanken Ibuki wohl hegen mochte. Sie machte keinen Hehl daraus, dass sie einen Groll gegen die junge Champion hatte.

Wataru schritt auf Soul zu, die ihren Blick hob, um den jungen Mann in die Augen sehen zu können. Obwohl Soul ihn bewunderte, wie es fast jeder aufstrebende Trainer tat, fühlte sie eine unwillkürliche Nervosität, wenn sie ihm gegenüber stand. „Ignoriere meine Cousine“, bat Wataru lächelnd und legte dem Mädchen die Hand auf die Schulter. „Wie ist es dir ergangen, Soul?“

Soul erwiderte das Lächeln und sah Wataru in die bernsteinfarbenen Augen. „Gut eigentlich… Aber-“

Silver, der bislang sich im Hintergrund gehalten hatte, um die vertrauliche Szene schweigend zu verfolgen, trat einige Schritte vor. „Schluss mit den Floskeln!“, unterbrach er das Gespräch.

„Oh, wen haben wir denn da?“, sprach der Drachentrainer verblüfft. Sein Umhang raschelte, als er sich vollends Silver zuwandte. „Dich kenne ich… Dir bin ich in der Team Rocket Basis begegnet.“

Erzürnt ballte dieser die Fäuste. „Du! Hast du dich etwa bis jetzt irgendwo verkrochen? Dieses Mal mache ich dich alle! Los, kämpfe gegen mich!“

Beschwichtigend hob Wataru die Hände. „Ruhig Blut. Es gibt keinen Grund gleich so zornig zu werden“, sagte er gelassen. „Ich war in Eile, daher entschuldige ich mich für mein Verhalten.“

„Oh, ein Hitzkopf“, warf Ibuki spöttisch ein und unterzog Silver einem verachtenden Blick, der der Arenaleiterin keine Beachtung schenkte. Sollte sie sagen, was sie wollte! Sie würde es später gewiss noch bereuen über ihn gespottet zu haben!

Wieder lächelte Wataru gelassen, während er sich nicht vom Hohn seiner Cousine aus der Ruhe bringen ließ. „Meist sind es die hitzköpfigen Trainer, die mich faszinieren, und gegen ein Kräftemessen bin ich nie abgeneigt, wie du weißt, liebste Cousine.“

Silvers Lippen umspielten ein überhebliches Grinsen. „Wir kämpfen ein sechs-gegen-sechs-Match, verstanden?“

„Hm…“ Nachdenklich strich Wataru sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Wie wäre es mit einem Kampf zwei gegen zwei?“

„Pah! Du siehst also ein, dass du keine Chance gegen mich hast! Feigling!“, spie Silver hochmütig und schaute ihn erbost an. Hatte er etwa in Watarus Mut getäuscht? War seine Stärke nur ein Schein seines schwachen Charakters?

Erneut lächelte Wataru bloß, was Silver nur noch wütender machte, bevor er jedoch etwas hinzufügen konnte, sprach Soul, die die Situation passend eingeschätzt hatte, ruhig: „Silver, so würde ich es nicht ausdrücken. Ein Kampf zu viert erscheint einfach vorteilhafter.“

„Ganz richtig“, pflichtete der Drachentrainer bei und wandte sich hernach der jungen Champion zu. „Soul, gibst du mir erneut die Ehre?“

Soul erstarrte und sah ihn verschreckt an. „Ei-Ein Kampf?“, stammelte das Mädchen, und Soul spürte, dass ein seichtes Schwindelgefühl sie packte. Für diesen Kampf fühlte Soul sich nicht bereit. Die Wunden der zurückliegenden Niederlage waren noch zu frisch, als dass sie sich frohen Mutes diesen Kampf stellen konnte. Es war die beklemmende Angst vor einer erneuten Blamage, sollte sie verlieren. „Ich… ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist.“

„Warum nicht?“

Soul errötete unter dem liebevollen Blick des Drachentrainers. Sie fühlte, dass ihr Herz unweigerlich zu schlagen begann, wie das Blut in ihren Ohren rauschte und wie ihr das Atmen mühsamer fiel.

Bevor Wataru etwas erwidern konnte, merkte sie, dass Ibuki sich an Silver wandte. „Gut, dann sind wir jetzt wohl ein Team“, sagte diese zu ihm, nicht sonderlich erfreut über die Tatsache, dass sie mit Silver kämpfen musste.

Doch auch der Rothaarige schien nicht sonderlich begeistert. „Du machst wohl Witze! Mit dir werden ich bestimmt nicht kämpfen“, entgegnete Silver aufgebracht und stieß die junge Frau von sich, die ihn bloß irritiert anblickte.

Stattdessen wandte sich Silver nun Soul zu und sah ihr fest in die Augen. Nur mit ihr wollte er ein Team bilden und sonst mit niemanden! „Soul! Komm an meine Seite!“, sprach er die Trainerin entschlossen an. „Du und ich! Wir werden Wataru und der Arenaleiterin zeigen, wie man richtig kämpft!“

Ruckartig schaute Soul Silver aufgewühlt an. Hatte sie tatsächlich richtig gehört? Sie sollte mit ihm gemeinsam gegen Wataru und Ibuki kämpfen?

Eine Frage der Ehre

Noch immer sah Soul den rothaarigen, jungen Mann verwirrt an. Ihre Gedanken kreisten, als befände sich ein Schwarm sirrender Bibor in ihrem Kopf. Sie wusste nicht, welche Entscheidung sie treffen sollte.

Trotz ihres Widerwillens, den sie gegen diesen Kampf hegte, gab Soul mit einem zaghaften Nicken ihre Einwilligung. Es war ihre Pflicht als Champion diesen Kampf anzunehmen, auch wenn sie sich gegen jenen sträubte. Was hätte sie auch anderes tun können? Sich weigern und dann als feiger Champion da stehen? Nein, das konnte sie nicht. Durfte sie nicht.

Derweil sah Wataru zu seiner Cousine, die ihm wortlos zunickte. Sie war bereit für diesen epischen Kampf, der unter den Augen ihrer Ahnen folgen sollte!

„Seht es als eine Art Prüfung“, sprach Ibuki grinsend, insbesondere warf sie Soul einen kühlen Blick zu, bevor sie fortfuhr: „Erst dann werdet ihr wissen, ob ihr euch wahrlich unter die besten Trainer zählen dürft.“

Kaum hatte sie gesprochen, warfen die Drachentrainer sogleich ihre Pokébälle. Ein grelles Licht sonderten diese ab, welches die Anwesenden einen vergänglichen Moment blendete.

Als die Helligkeit verblasst war, materialisierte sich ein vogelähnliches Pokémon, das vor ihren Augen schwebte. Es war von majestätischer Figur; seine Flügel waren so flauschig wie zarte Wolle, der Körper himmelblau und die Augen tiefgründig wie das Meer.

Anmutig und erhaben reckte der Drache seinen Kopf und musterte die Menschen mit königlichem Blick.

„Altaria, ich brauche deine Hilfe!“

Eine klangvolle, nahezu melodische, Erwiderung entkam dem grazilen Pokémon, während es seine Schwingen fächerte und höher in die Lüfte stieg. Die klugen Augen des Drachens richteten sich auf die Jugendlichen und schienen sie erwartungsvoll anzuschauen, als würden sie sagen wollen: „Zeigt mir, was ihr könnt!“„Ist das hier jetzt eine Verarsche? Wo ist dein Pokémon, Ex-Champ?“, fragte Silver erzürnt.

„Sieh genau hin“, forderte Wataru ruhig auf.

Plötzlich kam aus den Untiefen des Höhlensees ein seltsamer Lärm, hörte sich an, wie das wütende Grollen des Donners. Nur tiefer…

Soul trat der Vorsicht zu Liebe einige Schritte zurück, nicht wissend, welche Gefahr auf sie lauerte, und fasste dabei Silver am Arm, um ihn mitzuziehen.

Dieser riss sich aus dem Griff des Mädchens los und wollte sie zornig zurechtweisen, als der Boden unter ihren Füßen zu beben begann.

Eine dunkle Silhouette einer schlangenartigen Kreatur bildete sich jäh im dunklen Gewässer. Fontänen stoben in die Luft, als das Wesen die Wasseroberfläche durchstieß. Von Kopf bis zu Schwanzende zogen sich auf seinem Rücken Furcht einflößende Zacken, während sein Körper wie ein wunderschöner Saphir glitzerte. Ein Garados!

In freudiger Erwartung spannte sich Silvers Körper an, während Soul den Basilisken beunruhigt musterte. Respektvolle Furcht erfüllte das Mädchen beim Anblick dieser uralten Schlangenbestie, obwohl sie wusste, dass Garados seinem Trainer treu ergeben war und jenem gehorchte. Ihnen sollte kein Übel geschehen.

„Wählt eure Pokémon!“, rief Wataru ihnen zu.

Silver wandte sich zu seinen beiden Pokémon um, die hinter ihm standen. Eine kurze Kopfbewegung deutete er in Sniebels Richtung an. „Los.“

Fauchend sprang ein schwarzes, wieselähnliches Pokémon vor und hob die gebogenen Klauen. „Sniie~bel!“

Ein tiefes Grollen stieg in Impergators Kehle auf und trat hervor. Er kräuselte die Lefzen und präsentierte drohend seine Fänge, aber seine Trainerin schüttelte bloß ihren Kopf.

„Nein, Seth, ich brauche deine Kraft später noch“, sprach Soul. Impergator akzeptierte ihre Entscheidung und ging einige Schritte zurück.

Die Finger des Mädchens lösten einen grünen Freundesball von ihrem Gürtel. Mit einem Schwung warf sie diesen in die Luft. „Lyrana!“

Souls Ampharosdame straffte ihren Körper, als sie die enge der magischen Kapsel verließ. Große, schwarze Augen blickten Wataru und Ibuki treuherzig entgegen. Freilich wirkte Ampharos harmlos, man sollte aber einen Kämpfer niemals nach seinem Äußeren beurteilen. Bloß im Kampf vermochte sich ein Pokémon frei zu fühlen.

„Ihr dürft beginnen“, entschied Ibuki großzügig.

Soul neigte ihrem Teampartner den Blick zu. „Wir sollten vorsichtig sein. Garados ist stark… Und Altaria sollte man nicht unterschätzen.“

„Hast du etwa Angst? Typisch Weiber!“, erwiderte Silver gereizt. „Dann werde ich eben diesen Kampf alleine in die Hand nehmen!“

„Warte! So hab ich es nicht gemeint, du Holzkopf!“, rief Soul, vermochte aber nicht den Befehl des Trainers zu verhindern.

„Sniebel, Eishieb!“

Abermals fluchte sie, nicht über sich selbst, sondern über Silver. In diesem Moment bereute sie es, sich auf diesen Kampf an seiner Seite eingelassen zu haben. Wie konnte man nur so sturköpfig und verbohrt sein?!

Eisige Winde streiften nun die linke Pfote des Wiesels, und Sniebel hastete mit schräg angewinkelter Faust Altaria entgegen. Das Drachengeschöpf wirkte zu zart um einen Kampf zu bestehen, gar zerbrechlich. Diesen Angriff würde es nicht überstehen!

Durch die Bedrohung ließ sich Altaria nicht einschüchtern. Ruhig schlugen die Flügel auf und ab, und seine bernsteinfarbenen Augen funkelten Sniebel gelassen entgegen. Doch dieser Anschein trog, wie Silver schmerzlich zu erfahren hatte.

„Flammenwurf, Altaria, beeil dich!“

Den Kopf in den Nacken legend, entfesselte der Drache einen Feuerstoß, der auf Sniebel zu_raste, welches angstvoll stehen geblieben war.

Silver fluchte. „Weg da und zwar schnell!“

Sniebel aber war unfähig sich zu bewegen. Die Flammen reflektierten sich in den Seelenspiegeln des Pokémon und ließ es vor Angst erstarren.

„Lyrana, abwehren mit Donnerblitz!“

Bedrohlich leuchtete das rote Juwel auf der Stirn des Drachens auf, und jäh zuckten Blitze über das Kampffeld. Rauch verhüllte die klare Sicht auf das Geschehen. Bloß das Schlagen der Flügel war das einzige Geräusch, das durch den aufgewirbelten Staub drang.

Überrascht spürte Soul Silvers Blicke auf sich ruhen, konnte aber sich nicht weiter darum kümmern, denn Altaria schien die Position zu wechseln. Die rhythmischen Flügelschlagen enthüllten dies.

Wenn ihr Partner unfähig war die Gefahr richtig einzuschätzen, dann musste sie eben die Fäden in die Hand nehmen!

„Schnell, Lyrana, lass es nicht entkommen! Donnerschlag!“

Ohne zu zögern, rannte Ampharos in die Rauchwolke hinein. Soul musste ihrem Pokémon vertrauen.

Plötzlich aber legte sich ein gellender Schrei in die Luft. Augenblicke später hatte sich der Rauch gänzlich verzogen und gab preis, dass Garados aus dem Wasser geschossen war und Ampharos mit dem Schweif auf den Boden drückte.

„Nicht schlecht, Champ“, lobte Wataru. „Dein Reaktionsvermögen ist so schnell wie eh und je, aber du warst leichtsinnig. Du hast Ampharos blindlings in die Gefahr geschickt.“

Souls Leib zitterte. Hatte er ihr dies nicht auch vorgeworfen? Sie schüttelte den Kopf, um diesen finsteren Gedanken zu vertreiben, und zwang sich auf diesen Kampf zu konzentrieren.

„Da bin ich mir nicht so sicher“, erwiderte Soul mit einem leichten Grinsen auf den Lippen. „Dein Garados sollte Lyrana nicht zu nahe kommen. Donnerblitz!“

Grollend stimmte das Ampharosweibchen ihrer Trainerin zu. Funken sammelten sich um ihren schlanken Leib, und erneut zuckten grelle Blitze hervor.

Ein Brüllen entfuhr der Seeschlange, die sich vor Schmerz am Boden wand und sich verletzt ins Wasser zurückzog, während sich Ampharos erhob und die Fäuste ballte. Die gelbe Drachin sah spöttisch auf Sniebel herab und schnaubte. „Ampha~ros!“

Dieses entgegnete ein erzürntes Fauchen und hieb mit der Kralle nach Ampharos, aber dieses wich mit einem Ausfallschritt geschickt aus.

„Heh! Zügel dein Sniebel gefälligst, Silver!“

„Warum ich? Dein Ampharos hat angefangen!“

„Differenzen im Team? Ha! Das machen wir uns zunutze! Feuersturm!“, rief Ibuki befehlend.

Erneut legte Altaria ihren Kopf zurück. Unerträgliche Hitze durchflutete die Höhle, als das Maul des Drachens in den Farben der glühenden Lava gehüllt wurde. Ein rasch anwachsender Feuerball sammelte sich im Schnabel des Pokémons und begann sich in einen fünfzackigen Stern zu wandeln.

„Sniebel, verhindere es! Dunkelklaue!“

„Garados!“

Ein ohrenbetäubendes Gebrüll ließ Silver, Soul und Sniebel plötzlich zusammenzucken, als der mächtige Basilisk aus der Wasseroberfläche stieß.

„Nassschweif!“

Ein zartes, blaues Licht umschmeichelte das Schwanzende der Seeschlange, welches nun auf Sniebel herab fuhr und eine Flutwelle auslöste, die den Wiesel wegzuschwemmen drohte.

„Reiß dich zusammen und steh auf! Eissplitter!“, befahl Silver seinem Sniebel, das mühsam sich auf die Beine kämpfte. Es keuchte merklich, schien aber soweit unverletzt zu sein.

Doch die Gefahr, die von Altaria ausging, schien Silver nicht zu bemerken. Wie besessen, starrte er Wataru an, der seine Blicke mit einem ruhigen Lächeln erwiderte.

„Silver! Achte auf Altaria!“, rief Soul warnend. Ihr war bewusst, dass sie etwas gegen diese Bedrohung unternehmen musste. Es war eine Frage der Ehre, denn sie war in diesem Kampf nicht auf sich allein gestellt. So rief sie hastig: „Wieder mit Donnerblitz abwehren!“

Inbrünstig hoffte Soul, dass Ampharos es tatsächlich schaffen würde, diese Gefahr zu bannen. Und sie sollte nicht enttäuschen werden. Niemals!

Ampharos zog die Arme eng an den Körper, während der Kristall auf der Stirn ein flackerndes Licht absonderte. Funken schwirrten umher, sammelten sich eines Schutzschildes gleich um ihren Leib, und hernach schossen fauchend Blitze dem Feuersturm entgegen.

Einen Moment schien es, dass die Attacken ebenbürtige Gegner waren, aber die Feuerkraft war einfach zu mächtig. So vermochten die Flammen erneut Überhand zu gewinnen, auch wenn sie dennoch an Stärke eingebüßt hatten. Nun entfernten sich die Attacken in einer lauten Explosion voneinander, gefolgt von einer heißen Druckwelle, die Ampharos und Sniebel hinfort schleuderte.

Garados und Altaria wurden verschont, denn die Seeschlange hatte Schutz im Wasser gesucht, und Altaria umgab sich mit einem rasch errichteten Schutzschild.

Dichter, wabernder Rauch zog am Boden entlang und verhüllte das Kampffeld vor unliebsamen Blicken. Als dann dieser nach zähen Minuten verflogen war, lag Sniebel ohnmächtig am Boden, während Ampharos keuchend auf den Boden kniete. Mit einem letzten Kraftakt aber erhob sie sich.

Wortlos hob Silver Sniebels Pokéball und rief das Wiesel zurück. Sogleich warf der Rothaarige eine weitere Kapsel, die sich am Boden öffnete, und nun ertönte das mächtige Gebrüll eines Nidokings.

Kurz zuckte Soul furchtsam zusammen. Ehrfürchtig schaute sie das Nidoking an, dass Silver mit großer Hingabe aufgezogen hatte. Es strotzte nur vor Kraft!

„Schlechte Vorstellung“, feixte Ibuki arrogant. „Es steht 1 zu 0 für uns.“

Verärgert musterte Soul die Arenaleiterin und ballte die Faust. Noch lange waren sie nicht geschlagen! Das Grinsen würde sie ihr noch aus dem Gesicht wischen!

„Donner!“

Risse kündigten das bevorstehende Ereignis an, als Ampharos die Arme an den Körper zog. Das Juwel ihres Schweifes schien demütig zu funkeln, während eine Energiekugel, bestehend aus flüssiger Elektrizität, das Drachenwesen umgab. Beständig wuchs diese heran, zog sich zusammen und verweilte einen vergänglichen Herzschlag in dieser Form. Unterstrichen von einem ohrenbetäubenden Knall breitete sich der Donner auf dem Feld aus.

Aus den Lüften herabstürzend, lag der gellende Schrei Altarias den Trainern in den Ohren. Die Kreatur versuchte sich wieder aufzurichten, sank jedoch am Boden in sich zusammen.

„Jetzt nicht mehr“, entgegnete Soul kühl, ein Grinsen auf ihren Lippen liegend. Jetzt stand es unentschieden!

Wütend funkelte Ibuki das Mädchen an, lächelte dann gelassen. „Vom Champion habe ich nichts anderes erwartet“, sprach sie abfällig und deutete mit einer Kopfbewegung auf Silver. „Aber dein Partner ist ein Schwächling!“

Silver stieß ein Schnauben aus. „Halt deinen Mund und rufe dein nächstes Pokémon!“, herrschte der Junge die Arenaleiterin nun an, die ihn nur kalt ansah, aber sie fügte sich. „Seedraking!“

Ein blauer Seedrache erschien vor ihren Augen im Wasser, welches den Kopf reckte und einen fauchenden Laut von sich gab.

„Dann kann der Kampf ja weitergehen“, meinte der ehemalige Champion. „Greif Ampharos an! Eiszahn!“

„Und du Hydropumpe, Seedraking!“

Abermals ertönte das markerschütternde Brüllen des Garados’, welches pfeilschnell an Land schoss, das Maul aufgerissen und seine Fänge in bläuliches Licht getaucht.

Souls Gedanken überschlugen sich. „Ampharos, du musst da weg!“, rief sie ihrem Pokémon zu. „Ausweichen und mit Donnerschlag angreifen!“

Währenddessen zischte ein feiner Hochdruckwasserstrahl auf Nidoking zu, dessen Wucht selbst Seedraking nach hinten drückte.

„Matschbombe, Nidoking!“, befahl Silver knapp.

Die Hydropumpe kam zu rasch, als dass das schwerfällige Pokémon dem Wasserstrahl entgehen konnte, so blieb ihm nur noch eine Option: kontern!

So spie es eine Salve aus dickflüssigem Schlamm, der die Kraft der Hydropumpe leicht verminderte.

Derweil sah Ampharos Garados abwartend an, wog es in den Glauben, das sie leichte Beute wäre, dann ging das Elektropokémon in die Hocke und stieß sich vom Boden ab. Die Pfote war von Funken umgeben, die auf die Seeschlange herab fuhr.

Jener präzise Schlag genügte bereits, um Garados’ Körper zu lähmen. Knurrend versuchte es sich gegen die Paralyse zu wehren – ohne Erfolg.

Silvers Lippen verzogen sich zu einem Grinsen. Das war seine Chance! „Mach es fertig! Erdbeben!“

Ein mächtiges Beben erschütterte den Erdboden unter ihren Füßen, ließ gar die Wände zittern, und Soul konnte sich kaum mehr auf den Beinen halten.

Durch die Lähmung geschwächt, war Garados nicht mehr in der Lage sich ins geschützte Gewässer zurück zu ziehen. So vermochte der Erdstoß den Basilisken außer Gefecht zu setzen.

Doch die Folge dieses mächtigen Angriffs war, dass auch Ampharos von den Füßen gerissen wurde und unsanft gegen einen Felsen gekullert war. Stöhnend schlug sich das Pokémon den Kopf an einem scharfkantigen Steinbrocken.

Aufgebracht schaute Soul ihren Teampartner an. „Hey, du egoistischer Holzkopf, zufällig stand mein Ampharos auch noch dazwischen, falls du es bemerkt hast!“, keifte sie Silver zornig an. „Und wenn du es noch nicht geschnallt hast: wir sind ein Team!“

Ein entrüstetes Schnauben entgegnete der Rothaarige diesem Vorwurf, wich jedoch ihrem Blick aus. Ein Team! Was bedeutete dies schon?

„HEY! Ignorier mich gefälligst nicht!“

„Amphaaa~ros“, beschwichtigte das Pokémon ihre aufgewühlte Trainerin. „Amphaa!“

Soul bedachte Silver noch mit einem letzten, finsteren Blick, ehe sie sich ihrem Ampharos zuwandte. „Kannst du noch, Lyrana?“

Schwer keuchend richtete sich Ampharos auf und schwankte für einen kurzen Moment, schien aber sich aufrecht halten zu können. Kampfeslustig ballte sie die Faust zusammen. Gewiss konnte sie noch!

Zufrieden lächelte Wataru und nickte ihnen aufmunternd zu. „Glurak, ich wähle dich!“

Rot wie Blut schimmerten die Schuppen des Drachens im sanften Licht, der sich brüllend in die Lüfte erhob.

Ehrfürchtig musterte Soul den vor Kraft strotzenden Feuerdrachen. Ihre Chancen standen nicht gut. Alleine vermochte sie diesen Kampf nicht zu gewinnen, außer… Bei diesem Gedanken glitten ihre Augen zu Silver. Außer sie arbeiteten zusammen, was ein sich nicht erfüllender Wunsch war. Silver war zu stur um zu akzeptieren, dass sie gemeinsam wie eine Einheit kämpfen mussten.

Kaum merklich schüttelte sie den Kopf und richtete dann ihre Aufmerksamkeit auf Ampharos. „Bereit, Lyrana?“

Eisern bejahte die Drachin mit einem Nicken. Man durfte nicht einmal denken, dass man verlieren könnte!

„Flammenwurf.“

Ruhig wurde dieser Befehl gerufen und sogleich brodelte es in Gluraks Rachen. Ein Feuerball sammelte sich und wurde hernach als glühender Flammenstrahl entfesselt.

„Schütze dich mit Lichtschild!“, konterte Soul rasch.

Ein Schutzschild erbaute sich einer undurchdringliche Mauer gleich, um Ampharos’ Leib auf. Und so prallte der Flammenwurf am Lichtschild ab, zerteilte sich und streifte an den Seiten entlang, ohne Schaden anzurichten.

„Nidoking! Matschbombe erneut!“, rief Silver seinem Pokémon zu, das seiner Anordnung zügig nach ging.

Ein verschmitztes Lächeln umspielte die Lippen der Arenaleiterin. „Ausweichen und dann Eisenschädel auf Ampharos! Beende es!“

Gelassen neigte Seedraking seinem Kontrahent den Blick zu und wich anschließend aus, indem es unter Wasser tauchte. Dann kam es wieder herausgeschossen und raste auf Ampharos zu, welches erschrocken umherwirbelte, aber keinen Ausweg fand. Das Wasser war zu nahe!

So traf ein stahlharter Kopfstoß das Elektropokémon und warf das Ampharosweibchen nieder. Zu erschöpft war Ampharos und gab sich dem erholsamen Schlaf hin.

Soul wirkte niedergeschlagen, aber nicht entmutigt. Sie lächelte stolz. „Du hast tapfer gekämpft, Lyrana“, lobte das Mädchen ihr Pokémon. „Ruhe dich nun aus.“

Das rote Licht des Pokéballs fing Ampharos ein, und ihr Körper löste sich auf, bis dieser gänzlich verblasst war.

Soul fühlte, wie ihr Herz in ihrer Brust hämmerte, doch sie ließ sich nichts anmerken. Selbstbewusst reckte sie das Kinn vor und musterte abschätzig die gegnerischen Pokémon.

Seedraking war ein Wasserpokémon, besaß jedoch auch die harten und widerstandsfähigen Züge eines Drachens. Vielleicht lohnte es sich ja Meganie einzusetzen?

Für diesen Gedanken schalt sich das Mädchen. Glurak gehörte dem hitzigen Feuerelement an und konnte erhebliche Probleme ihrem Meganie bereiten. So wäre ihre Entscheidung ein schwerwiegender Fehler. Und Despotars rohe Kraft vermochte zwar gegen Gluraks Kraft anzukommen, würde jedoch gegen Seedraking eine Niederlage erleiden. Wäre Ampharos doch bloß noch kampffähig!

Sie fühlte, dass Silvers Blicke abwartend, beinahe ungeduldig, auf ihr ruhten, während ihre Finger einen Pokéball an ihrem Gürtel ertasteten. Ihrer Intuition folgend warf sie diesem in die Höhe, aus dem sich nun ein schwarzer Hund formte, dessen Augen ein dämonisches Funkeln innehatten. Schauerliches Geheul begleitete den Schattenhund.

„Ich brauche deine Hilfe, Daemon“, bat Soul das Pokémon, der mit einem tiefen Grollen zustimmte.

„Ein Witz!“, entkam es Silver abfällig. „Du setzt ein Feuerpokémon ein, obwohl Seedraking es leicht zum Frühstück verspeisen könnte?“

„Ich kann mich nicht erinnern, dass Sniebel eine bessere Figur gegen Altaria abgegeben hat, obwohl es im Vorteil war!“, erwiderte Soul spitz, während ihr Hundemon ihren Kommentar mit einem warnenden Knurren unterstrich.

„Man sollte niemals die Fähigkeiten eines Pokémons in Frage stellen“, belehrte Wataru, der von Soul einen dankbaren Blick erhielt. Sich schließlich wieder zur Gelassenheit zwingend, wandte sich das Mädchen dann wieder dem Geschehen zu, und sie seufzte ergeben. So vermochten sie diesen Kampf niemals zu gewinnen!

Silver starrte sie verärgert an. Wie konnte sie bloß so mit ihm reden? Und nun ignorierte dieses Weib ihn auch noch!

Soul war ebenso gereizt wie Silver, dennoch wollte sie diesen Kampf gewinnen, egal ob mit oder ohne seine Hilfe war ihr gleichgültig. „Spukball auf Seedraking!“

Hundemon folgte der Anweisung. Sein Maul wurde von schwarzem Licht umspielt, während sich ein dunkler Energieball vor seinem Maul formte, der rasch anwuchs und auf Seedraking geschleudert wurde. Sein Ziel jedoch verfehlte es, denn Seedraking war rasch unter Wasser getaucht.

„Seedraking, Blubbstrahl, schnell!“

Überall konnte der Seedrache an die Oberfläche kommen. Wo aber mochte dies sein? „Pass auf, Daemon! Es kann…“, in diesem Augenblick stieß der Kopf des Seedrakings aus dem Wasser. Das kühle Nass stob umher und veranlasste, dass Hundemon herumwirbelte, nicht sonderlich erfreut, dass Wasser auf seinen schönen, schwarzen Pelz kam.

„Flammenwurf!“

Feuer und Wasser prallten aufeinander. Elemente, die nicht unterschiedlicher sein konnten, fochten ein erbittertes Duell aus, welches die glühende Hitze zu gewinnen vermochte, denn rasch war der Blubbstrahl verdampft, sodass weißer Dunst empor stieg.

Die lodernden Flammen labten sich an Seedrakings Leib, der nun unzählige Wunden aufwies.

Der Schattenhund bedachte Silver mit einem finsteren Blick und stieß ein triumphierendes Knurren aus. Vor- und Nachteile? Welch ein Unsinn!

„Glurak, Stahlflügel auf Nidoking, schnell!“

Bloß ein schwaches Lächeln hatte Silver für diesen Angriffsversuch übrig. „Donnerblitz, Nidoking!“

Funken umgaben das spitze Horn des Rhinozeros’ und entluden sich als kraftvolle Blitze.

Den rechten Flügel an den Körper ziehend, wich Glurak mit einem geschickten Flugmanöver aus, während die Schwingen in silbriges Licht getaucht wurden. Hernach wurde Nidoking durch einen harten Stoß beinahe umgeworfen, doch es konnte den drohenden Sturz noch knapp ausbalancieren.

„Flammenwurf!“

Eine Flammenzunge verließ das Maul des Drachens und erhitzte nun den harten Schuppenpanzer des Rhinozeros’.

„Seedraking! Windhose und Blubbstrahl!“

Überraschend schnell erholte sich Seedraking von dem Angriff. Doch Soul wunderte sich nicht – sie hatte es mit einem Wasserpokémon zu tun, welches die Robustheit eines Drachens in die Wiegen gelegt worden war.

Sie richtete ihren Blick auf Seedraking, das sich nun um die eigene Achse drehte, rasend schnell schmiegte sich das Wasser an seinen Leib. Ein tobender Tornado wurde entfacht, durch das Wasser von verheerender Wirkung.

Soul ballte die Faust und öffnete sie sogleich wieder. Ihre Gedanken waren wirr, und sie vermochte keinen Ausweg zu finden. Die Zeit war zu knapp, als dass sie der Bedrohung die Stirn bieten konnte.

„Bleib standhaft!“, rief sie Hundemon zu, welches bloß ein Nicken erwiderte. Wilde Entschlossenheit flammte in seinen blutroten Iriden auf. Dieser Sturm würde ihn nicht in die Knie zwingen!

Wir sind ein Team!

Ohrenbetäubender Lärm lähmte Soul angesichts des tosenden Sturmes, der die Feuchtigkeit der Umgebung regelrecht in sich aufnahm. Wie betäubt starrte sie der Windhose entgegen, die den Schattenhund drohte empor zu heben, während der schneidende Wind kleine schmerzende Schnitte auf ihrer Wange hinterließ.

Hundemon glaubte der Ohnmacht nahe zu sein, als der Tornado ihn erfasste. Der reißende Sog zehrte an seinen Kräften, obwohl das Feuerpokémon mit aller Macht versucht am Boden Halt zu finden. Klagend heulte Hundemon auf. Die Luftwirbel waren einfach zu stark.

„Daemon!“, schrie Soul besorgt. Hilflosigkeit erfasste das Mädchen. Sie konnte nichts tun, als zu sehen, wie die geballte Kraft der Windhose Hundemon durch die Luft schleuderte.

Nach wenigen Sekunden – oder waren es Minuten? – ließ der Sturm allmählich nach. Der Druck ihrer Ohren schwoll langsam ab, bis das Dröhnen allmählich verebbte.

Mit einem dumpfen Aufprall prallte Hundemon auf den Boden auf, gleichsam mit dem Aufschlag Nidokings. Der Schattenhund krümmte sich vor Schmerz und stöhnte gequält.

Zufrieden lächelte Ibuki ihren Gegnern entgegen. „Ihr lasst nach“, bemerkte die Arenaleiterin mit einen süffisanten Grinsen auf den Lippen, welches Silver provozierte. Diese Erniedrigung würde er nicht dulden!

„Aufstehen!“, blaffte er Nidoking an, das seinem Befehl gehorsam nachkam. Es schwankte einen kurzen Augenblick, bevor es sich aufgerafft hatte. Ein mächtiges Gebrüll zeugte von seiner Unbeugsamkeit.

Begleitet von einem aufgebrachten Knurren, stemmte sich auch Hundemon auf die Beine. Eine Niederlage? Nein! Dies ließ der Schattenhund nicht zu.

Triumphierend grinste Soul Ibuki entgegen. Sie wusste, dass Hundemon sich nicht einfach so ergab. „Daemon, Spukball, los!“

„Ihr seid hartnäckig, aber dieser Kampf amüsiert mich mehr denn je“, sprach Wataru und richtete seinen Blick Glurak entgegen. „Mit Drachenpuls kontern!“

Blaues Feuer züngelte aus Gluraks Rachen und traf auf den dunklen Schattenball. Die Energie, die durch den Aufprall entstand, entwich in einer Explosion.

Ibuki und Wataru nutzten die Zeit, um sich anzusehen. Keine Worte brauchten sie zur Verständigung. Sie nickten sich lediglich zu.

„Glurak, lenke Nidoking mit deinem Hitzekoller ab!“, wies der erfahrene Drachentrainer sein Pokémon an.

Das geflügelte Pokémon legte den Kopf in den Nacken. In seinem Rachen brodelte und kochte es, während der Feuerschein tanzendes rötliches Licht auf seine entblößten Zähne warf.

Hundemons Blicke trafen auf die seiner Trainerin. Auch sie benötigten keine Worte, um ihre Gedanken dem Anderen zu äußern. Soul nickte bloß ihrem Hundemon zu, welches sich nun wieder abwandte und sich kraftvoll vom Boden abstieß. Rasch war der Schattenhund vor dem daher rasenden Hitzekoller gesprungen und wurde in ein Gefängnis aus lodernden Flammen gehüllt.

Hundemon kräuselte die Lefzen und öffnete das Maul, schrie aber nicht vor Schmerz, sondern sog gierig die gewaltige Hitze in sich auf, bis von eben jener nichts mehr zu spüren war.

Langsam glitten Silvers Blicke auf das Mädchen und irritiert starrte er sie an. Er wollte, oder besser gesagt, er konnte nicht begreifen, warum sie ihm half – zum zweiten Mal!

„Was sollte das?“, fragte der Rothaarige gespielt kühl.

Soul erwiderte ein ruhiges Lächeln. „Wir können nicht gewinnen, wenn wir sie auf uns alleine gestellt angreifen. Wir sind ein Team!“, entgegnete sie. „Und dieser Hitzekoller hätte Nidoking mit Leichtigkeit auf die Matte geschickt.“

Noch immer sah er Soul verblüfft an. Ein Team? Bedeutete dies etwa bereitwillig für den Anderen Schaden einzustecken, um gemeinsam den Sieg zu erringen? Sie hatte zum zweiten Mal das Wohl ihres eigenen Pokémons auf Spiel gesetzt… Sie war einfach zu freundlich zu ihm, obwohl sie Rivalen waren!

„Und jetzt schlag zurück!“, holte der nächste Befehl der brünetten Trainerin ihn aus seinen Gedanken. „Flammenwurf!“

Glühende Flammen entsprangen aus Hundemons Maul, stärker als je zuvor, und rasten auf Glurak zu, welches nun von der Hitze eingeschlossen wurde.

„Befreie dich!“, konterte Wataru. „Stahlflügel!“

Mit einem Brüllen zerteilte der Feuerdrache die lechzenden Flammen, sodann leuchteten seine Schwingen erneut im silbernen Schein, und Glurak stürzte sich abermals in die Tiefe.

„Wir erwidern mit Flammenwurf, Daemon!“, vernahm Silver Souls raschen Befehl. Das Mädchen reagierte schnell und ja, sie war eine exzellente Trainerin. Diese Tatsache vermochte er nicht zu leugnen. Und ihm wurde bewusst, dass es sich gut anfühlte an ihrer Seite kämpfen zu dürfen.

Ein gellender Schrei legte sich in die Luft. Gehüllt in ein brodelndes Flammenmeer stürzte Glurak hinab und kam mit einer dumpfen Kollision auf.

„Metall leitet die Wärme besser“, belehrte Soul mit einem Grinsen.

„Das war alles kalkuliert!“, empörte sich Ibuki.

Lächelnd warf Soul der Arenaleiterin einen Blick zu. „Sicher war es geplant.“

Respektvoll klatschte Wataru in die Hände. „Sehr gut. Du bist cleverer geworden, Soul“, lobte er. „Aber der Kampf ist noch nicht vorbei! Glurak, hebe wieder ab und dann Drachenpuls!“

Durch den Befehl seines Trainers schöpfte Glurak neue Kraft und breitete seine Flügel aus, zuckte jedoch unerwartet schmerzerfüllt zusammen, und der linke Flügel knickte ab. Dem Geflügelten waren die Schwingen genommen worden!

„Der linke Flügel scheint verletzt zu sein…“, schlussfolgerte Silver. Dies war seine Chance! „Donnerblitz!“

„Nicht so schnell, mein ungehobelter Freund, wir sind auch noch da!“, rief die Arenaleiterin. „Seedraking, Eisstrahl!“

Ein eisblauer Energieball, umschwirrt von kühlem Licht, bündelte sich, um im nächsten Herzschlag als geeinter Strahl zu entweichen, und hernach trafen die Energien aufeinander.

Darauf folgte eine Explosion, als keine der Attacke die Oberhand gewann. Die ausgelöste Druckwelle fegte über das Kampffeld hinweg und schleuderte Seedraking gegen die Höhlenwand.

Nidoking blieb dagegen unversehrt.

Besorgt blickte Soul zu Hundemon, welches schwer atmete. Sie musste diesen Kampf rasch beenden! Und ihr blieb eine Möglichkeit dazu, doch der Ort war nicht der Richtige für jene Attacke. Dafür war es zu dunkel. Was aber hatte sie schon zu verlieren, außer dem Ruf als ein Champion, die diesen Titel verdient hatte?

„Daemon!“, holte sie aus. „Solarstrahl!“

Aus roten Iriden schaute Hundemon seine Trainerin lange an. Spiegelte sich Trotz in seinen Augen wieder?

Dann nickte der Schattenhund zustimmend und legte den Kopf in den Nacken. Tanzende Funken sammelten sich um sein Maul und wurden, wie in Zeitlupe, zu einem Energieball.

Unwillkürlich glitten entsetzte Blicke zu Soul. Warum verwendete sie an einem Ort wie diesem solch eine Attacke, die in großer Abhängigkeit zur Sonne stand? Törichte Entscheidung, die ein Champion treffen konnte!

Ibuki lachte spöttisch und tat eben jenen Gedanken kund. „Hydropumpe, Seedraking, puste Hundemon weg!“

Silver sah Soul an, die ihre Hände zu Fäusten ballte, und einen leisen Fluch ausstieß. Die Zeit war zu knapp, als dass Hundemon die nötige Energie für einen Solarstrahl zu bündeln vermochte! Daher musste er handeln, bevor es zu spät war. Dieses Mal musste er sich für die Hilfe revanchieren!

„Nidoking, schirm Hundemon mit deinem Schutzschild ab!“

Brüllend bejahte das Pokémon den Entschluss seines Trainers. Jäh glomm eine Barriere aus rotierendem Licht auf. Mal kam sie in einem strahlenden Blau daher, doch als die Wucht der Hydropumpe gegen prallte, wandelte sich die Farbe in ein mattes Rosa.

Der Rothaarige spürte den überraschten Blick des Mädchens eines Pfeils gleich auf sich ruhen. Und es fühlte sich gut an, etwas Unerwartetes zutun.

„Glurak, deinen Flammenblitz!“

Es war die Liebe und das Vertrauen zu seinem Trainer, welche Glurak neue Kraft schenkte, obwohl es durch die Verletzung nicht mehr in der Lage war, zu fliegen. Entschlossen zog es die Lefzen hoch und knurrte drohend.

Glühende Flammen erfassten Gluraks Leib, und der behäbige Drache stürmte auf Nidoking zu. Klirrend zerbarst der Schutzschild, als Glurak seinen Körper gegen die Barriere warf, die in sich zusammen fiel, begleitet vom geräuschvollen Scheppern der Scherben.

Nidokings Körper wurde von den gierigen Flammen erfasst, und das Feuermeer erhitzte seinen widerstandsfähigen Leib. Gellend war dessen schmerzverzerrtes Brüllen und hilflos sank das Rhinozeros zu Boden.

Obwohl Silver ein großes Opfer dargebracht hatte, vermochte diese Ablenkung Hundemon die nötige Zeit zu verschaffen, um die nötige Energie des Solarstrahls, trotz der miserablen Lichtverhältnisse, zu bündeln.

„Und los!“, feuerte Soul ihr Hundemon an.

Mit einem triumphierenden Knurren setzte der Schattenhund die verheerende Kraft frei, stark und schön zugleich. Wie ein Blitz bahnte sich der mächtige Energiestrahl seinen Weg und erfasste Seedraking. Das Gefühl der Ohnmacht zehrte an dem Seedrachen, der in das Land der Träume einkehrte. Ohnmächtig trieb es an der Wasseroberfläche.

„Fantastischer Schlagabtausch“, lobte Ibuki, während sie einen Pokéball hervor holte. „Ich hätte niemals gedacht, dass ihr zusammen arbeiten würdet.“ Ihre eisblauen Augen ruhten auf Silver, dann aber lächelte sie und warf die magische Kapsel in die Höhe. „Dragonir!“

Wortlos hörte Silver die Worte der Arenaleiterin, die in Spott gesprochen wurden, nahm sie jedoch ruhig hin. „Meganie, los!“

Die Lichter der Pokébälle enthüllten zwei Pokémon, die gegensätzlicher nicht sein konnten. Anmutig schwebte Dragonir nur wenige Zentimeter über den Boden und reckte elegant den Kopf, um mit einem vornehmen Blick ihre Gegner zu mustern.

Im Gegenteil dazu wirkte Meganies Körperbau behäbig und weniger graziös, sondern kräftig und muskulös. Ein Grollen entkam dem Pflanzenpokémon.

„Nun gehört uns der Vortritt, wenn ihr erlaubt“, entschied Wataru charmant. „Drachenpuls auf Hundemon!“

„Spukball dagegen!“

Blaue Flammen züngelten aus Gluraks Maul, während Hundemon einen schwarzen, umgeben von einer violetten Aura, Schattenball dem Drachenpuls entgegen schleuderte. Zwar vermochte der Spukball Drachenpuls nicht aufzuhalten, aber hatte Hundemon nun Zeit verschafft, um aus der Gefahrenzone zu entkommen.

„Und Finsteraura!“

Den Kopf in den Nacken legend sammelten sich erneut dunkle Energien, die auf Glurak geschleudert wurden welches jedoch die Schwingen vor sich hielt, um sich gegen den Schwall der Finsteraura abzuschirmen.

„Dragonir, greife Hundemon mit Donnerblitz an!“

Gehorsam begann sich der schlangenartige Drache zu konzentrieren. Ein gelblicher Schein legte sich um den schlanken Leib. Sodann zuckten Blitze hervor, die Hundemons Körper umschlossen. Seine Glieder wurden taub, seine Augen müde, bis der Schattenhund erschöpft zu Boden sank.

Obwohl Hundemon diesen Kampf verloren hatte, konnte Soul dennoch lächeln. Sie musste sich nicht schämen, denn sie und Hundemon hatten alles gegeben. „Gut gemacht, Daemon, du hast dir deine Pause verdient“, sprach die Trainerin anerkennend.

Schließlich glitten ihre Blicke zu Impergator, welches gelassen den Kampf beobachtet hatte. „Seth, darf ich bitten?“ Eine einladende Geste beschrieb das Mädchen.

Freudig spannte Impergator die kräftigen Muskeln seines Körpers an und grollte bejahend. Er trat vor, die Lefzen gekräuselt und ein drohendes Knurren ausstoßend.

Silver sah zu seiner Teampartnerin herüber, die seinen Blick bemerkte und erwiderte. Sie lächelte ihm aufmunternd zu, was in ihm ein merkwürdiges Gefühl auslöste. Bestimmt hatten sie diesen Kampf bald geschafft!

„Glurak, Flammenwurf, los!“

Silver wandte sich wieder ab. „Verhindere es mit Blättersturm!“, konterte er rasch.

Um Meganie herum sammelten sich rasiermesserscharfe Blätter, die von Geisterhand geführt wurden, und nun sirrend, wie abertausende Pfeile, auf Glurak einstachen.

Vor Schmerz brüllte der Drache auf und keuchte schwer, als der Blättersturm verebbte.

„Drachenpuls!“

Ruhig gesprochen wurde jener Befehl, obwohl Wataru wusste, dass Glurak bereits nahe war die Grenzen seiner Kräfte zu überschreiten. Nun bildete sich im Rachen des Drachen ein blaues Flammenmeer und wurde als gebündelten Strahl auf den Apatosaurus entfesselt.

„Ausweichen und Fauna-Statue!“

Trotz des schwerfälligen Körperbaus entging Meganie dem Drachenpuls nahezu tänzelnd, bekam bloß am Rande mit, wie der blaue Feueratem einen Krater hinterließ, und stellte sich auf die Hinterbeine, um sogleich mit den vorderen Gliedmaßen kräftig auf den Boden aufzustampfen.

Ein unheilvolles Grollen vernahmen die Anwesenden unter der Erde. Allmählich wuchsen sie heran, formten sich zu braunen Wurzeln, die aus dem Erdboden stachen. Als Fesseln schlangen sie sich um Gluraks Leib, verhinderten jede abwehrende Bewegung des Drachens, der sich versuchte zu befreien, aber vergebens. In seinem Körper war kein Funken Kraft mehr, und so sank Glurak nicht mehr kampffähig zu Boden.

„Danke für deine Arbeit, Glurak, erhole dich nun“, sprach Wataru, nachdem er den Drachen in seinen Pokéball zurück beordert hatte und hernach zu einem anderen Ball griff. „Dragoran!“

Ein weiterer kräftiger Drache verließ das enge Gefängnis des Pokéballs, dessen Schuppen im zarten Licht in einem hellen Beige daher kamen. Seine Flügel schlugen ruhig auf und ab, während es abwartend Soul und Silver anblickte.

„Jetzt geht es richtig los“, hauchte Soul leise, bloß für Silver wahrnehmbar, der neben ihr stand und einen vergänglichen Moment mit einem Finger über ihren Handrücken streichelte, während er ihr aufmunternd zu nickte. Sie war es, die ihm stets Mut gemacht hatte. Nicht nur im Hier und jetzt, sondern auch in der Vergangenheit! Und auch diese Prüfung sollten sie gemeinsam bestehen, auch wenn Dragoran Watarus bestes Pokémon war!

„Dragoran!“, rief der ehemalige Champion und gewann Souls geschätzte Aufmerksamkeit zurück. „Hyperstrahl!“

„Energieball dagegen!“, konterte Silver.

Beide Pokémon bündelten Energien, die hernach aufeinander prallten und eine Erschütterung auslösten. Rauch verdunkelte die Sicht, den die Arenaleiterin für einen weiteren Angriff nutzte.

„Greife Impergator mit Donnerblitz an!“, befahl Ibuki.

Schwach glomm Dragonirs Kristall demütig auf, als sich eine wabernde Energie um ihren Leib lenkte und einen Herzschlag später Blitze sich entluden.

Früh war der Alligator durch das Leuchten gewarnt worden und wich tänzelnd aus.

„Schlitzer!“

Während Impergator unerwartet schnell vorstieß, krümmten sich die scharfen Krallen, die nun auf Dragonir einhackten, das einen schmerzerfüllten Schrei ausstieß. Grollend wich es vor dem Alligator zurück. Unzählige blutverschmierte Verwundungen zierten den anmutigen Körper des Dragonirs.

„Und nun Eishieb!“

Impergator winkelte die rechte Faust an, drehte seinen Oberkörper dem sich windenden Drachen zu und hieb erneut nach diesem. Ein weiterer Klagelaut entfuhr Dragonir, welches in ein bedrohliches Zischen überging.

„Draco Meteor!“, befahl Wataru ruhig.

Entschlossen brüllte Dragoran auf. Sein Körper wurde von einem Glühen erfasst, während sich in seinem Maul eine Kugel formte, die empor geschleudert wurde. Aus jener Kugel lösten sich unzählige, flammende Meteore und prasselten auf die Erde nieder.

Einige wiesen die Beschaffenheit eines Kleinsteins auf, andere waren so groß wie ein Georok, die vermochten ein Pokémon niederzuschlagen.

„Seth! Pass auf!“, warnte Soul ihr Wasserpokémon, welches unwirsch knurrte, als er versuchte den Meteoren auszuweichen, wurde jedoch von einigen kleinen gestreift. Zu abgelenkt war Soul in diesem Moment, als dass sie einen erneuten Befehl der Arenaleiterin bemerkte.

„Meganie, erneut Energieball!“, rief Silver rasch.

Soul wirbelte umher und erstarrte, als ein Hyperstrahl fauchend auf Impergator niederging, doch der pulsierende Energieball Meganies prallte dem mächtigen Angriff entgegen. Die Energien stauten sich zu einer riesenhaften Kugel an, zogen sich dann aber unerwartet zusammen und entfernten sich in einem ohrenbetäubenden Knall voneinander, der so stark war, dass Impergator einen Augenblick ins Schwanken geriet.

„Feuersturm!“

Ein flammender Stern bildete sich, nachdem in Dragorans Maul sich ein Feuerball gebildet hatte, und nun Meganie vollends einhüllte. Gellende Schreie legten sich in ihre Ohren.

„Jetzt revanchieren wir uns mal zur Abwechselung“, meinte Soul. „Spring, Seth, und dann Eishieb!“

Schwerfällig waren die Bewegungen des Alligators, doch unerwartet beschleunigte Impergator, während er Dragoran scharf fixierte, als wäre der Drache seine Beute. Kraftvoll, gefolgt einem Brüllen, stieß sich Impergator vom Boden ab und schnellte Dragoran entgegen, die Faust seitlich an den Körper gewinkelt.

Erschrocken fuhr Dragoran herum, knurrte und versuchte sich höher in die Lüfte zu schrauben, doch es war bereits zu spät. Impergator und Dragoran krachten mit einem lauten Knall zusammen.

Kräftige Kiefer schlossen sich um die rechte Schulter des Drachens, sodass jener kaum fähig war, die Flügel auszubreiten, um davon zu fliegen. Den mörderischen, freien Fall machte sich Impergator zu nutze und prügelte mit eisigen Hieben auf Dragoran ein.

Vor Schmerz brüllte Dragoran auf, wand sich unter Impergator und versuchte sich seinem Griff zu entwinden, als der Boden rasend schnell nahe kam.

Den massigen Kopf neigte Impergator, schätzte die Entfernung zum Erdboden ab, wartete geduldig und stieß sich dann kraftvoll von Dragoran ab. Hilflos fiel der Drache zu Boden, die Zeit war zu knapp, als dass es die Flügel entfalten konnte, um erneut in die Lüfte zu steigen. Mit einem dumpfen Aufprall schlug es auf.

Unter Impergators mächtigen Pranken vibrierte einen Augenblick lang der steinige Boden. Triumphierend reckte er den Kopf und legte die scharfen Reißzähne frei.

Derweil hatte Meganie sich vom Feuersturm erholt, der Körper des Pokémons wies trotzdem unzählige Wunden auf, die jedes Mal, wenn sich der Apatosaurus bewegte, ein schmerzendes Brennen in seinem Leib auslösten.

„Mutig und zugleich risikofreudig, wie immer“, lachte Wataru amüsiert. Er blickte zu seinem Dragoran, welches sich schwankend wieder auf die Beine rappelte. Sein Brustkorb hob sich unter schweren Atemzügen.

„Stimmt“, bestätigte die hiesige Arenaleiterin mit einem Lächeln. „Dieser Kampf verspricht überaus interessant zu werden.“

Tief atmete Silver ein. Ja, dieser Kampf spannte all seine Sinne an und zugleich war dieser äußerst vergnüglich. „Und dieser Kampf ist noch nicht vorbei! Blättersturm!“

Erneut schwirrten abertausende scharfe Blätter um Meganies Körper, die wie surrende Pfeile auf Dragonir herabstießen.

Ibukis Lippen verzogen sich zu einem Grinsen. „Flammenwurf dagegen!“

In einem Flammenmeer verglühten der Blättersturm in binnen weniger Sekunden und ging neben Meganie nieder, das vor dem Feuer ängstlich zurück wich. Zu frisch waren die Erinnerungen an den Feuersturm.

„Rasierblatt!“

Erneut rasten messerscharfe Blätter auf Dragonir zu unter denen sich der Drache jedoch leichtfertig hinweg duckte, auch ohne, dass seine Trainerin ein Ausweichkommando geben musste.

„Bodyslam!“

Ibuki grinste kühl. „Flammenwurf!“

Sich vom Boden abstoßend, sprang Meganie nun auf den schlangenartigen Drachen zu, der seinen Kopf reckte und sein Maul öffnete, aus dem ein feiner, dünner Flammenstrahl entkam.

Knurrend wandte sich Dragoran in der Zeit zu Impergator. Um jeden Preis wollte es den Alligator bezwingen!

„Drachenklaue, Dragoran, vorwärts“, sagte Wataru seinem Pokémon, welchem er großes Vertrauen darbrachte.

Dieses stimmte mit einem tiefen Grollen zu. Die spitzen Krallen an seinen Pranken wurden in blutrotes Licht getaucht. Hernach preschte der Drache, die Klauen gespreizt, auf Impergator zu.

„Kraftkoloss!“

Abwartend harrte der Alligator aus, erwog nicht den Gedanken Dragorans Angriff auszuweichen, sondern duldete den Schmerz, der an seiner Schulter aufflammte, als die Krallen des Drachens sich tief in sein Fleisch bohrten. Den Pein ignorierend, brüllte Impergator entschlossen auf. Eine Aura glomm für einen Herzschlag auf, dann griff der Alligator mit Salven von kraftvollen Hieben Dragoran an, welches unbarmherzig zurückgestoßen wurde.

„Fang es ab!“, befahl Wataru.

Den letzten Hieb Impergators fing Dragoran rasch ab, und nun standen sich die Pokémon Hände ringend gegenüber und kämpften um jeden Zentimeter Halt. Zwar war Impergators Körper muskulöser, gar durchtrainierter, doch Dragoran war schwerer, was seine Schwäche, die Muskelmasse, wettmachte.

„Lass es näher kommen, Seth!“

Die Anspannung seiner Arme ließ nach, als Impergator Dragoran zu sich zog. Dies veranlasste, dass der Drache ins Stolpern geriet und dadurch unachtsam wurde.

„Und jetzt Eishieb!“

Impergator löste die rechte Pranke von Dragoran, die von eisigen Winden gestreift wurde, und hieb erneut auf das Drachenpokémon ein.

„Flieg weg!“

Dragoran entfaltete die Flügel, die kurz unbewegt in den Lüften hingen, dann aber schoss der Drache empor und wich Impergators Eishieb rasch aus.

Zu konzentriert war Soul in jenen vergangenen Moment, als dass sie die prekäre Lage bemerkte, in der sich Silver befand. Doch Meganies markerschütternde Schrei riss das Mädchen aus ihrem Eifer und starrte zu dem rothaarigen, jungen Mann herüber.

„Silver!“, rief sie besorgt.

Entkräftet und von Wunden übersäht fiel das Pflanzenpokémon auf den Boden und sog schwer atmend Luft in seine Lungen.

Einen leisen Fluch stieß das Mädchen aus. Zu sehr hatte sie sich auf Dragoran konzentriert, als dass sie gemerkt hatte, in welchen Schwierigkeiten sich Silvers Meganie befunden hatte.

„Beende es, Dragonir! Flammenwurf“, rief Ibuki, die sich einen Sieges schon gewiss war, aber die Braunhaarige wollte ihr eben diesen Triumph nicht gönnen.

„Aquahaubitze, schnell! Du musst Meganie schützen!“

Ein Energieball, bestehend aus Wasser, formte sich im Maul des Alligators, wuchs so rasch an, wie noch nie, und wurde hernach gegen den Flammenwurf geschleudert.

Nebelartiger Wasserdampf stieg nun empor, verhüllte ihren Gegnern kurze Momente die Sicht.

Silvers und Souls Blicke trafen sich in diesem Augenblick aufeinander.

„Wir schaffen es noch!“, munterte Soul ihn flüsternd auf.

Irritiert ruhten Silvers Augen für einen Bruchteil einer Sekunde auf ihrem Antlitz, dann nickte er zögernd und ballte entschlossen die Faust. „Danke“, kam jenes schlichte Wort über Silvers Lippen, während ein Lächeln über seine Gesichtszüge huschte.

Ein schabendes, beinahe kratzendes, Geräusch erklang, als ob Stahl über den Boden geschliffen wurde, erklang und zog die Aufmerksamkeit des jungen Mannes auf sich, der Meganie betrachtete, welches sich mühsam auf die Beine gestemmt hatte.

Der wabernde Dunst hatte sich inzwischen nun gänzlich aufgelöst, und so konnte die entscheidende Phase des Kampfes eingeläutet werden.

Alle vier Pokémon waren erschöpft, keuchten schwer, um an Luft zu gelangen, ließen sich diese Schwäche jedoch nicht anmerken.

Auch Wataru und seine Cousine blickten sich in die Augen und nickten dem Anderen kaum merklich zu. Auch ihnen war bewusst, dass sie jenen Kampf rasch zu beenden hatten.

„Noch einmal Draco Meteor!“, befahl der Drachentrainer seinem Pokémon, welches in den Lüften schwebte und nun von einem rötlichen Glimmen umschlossen wurde, während sich Energien in seinem Maul sammelten, die sich hernach in Meteoriten spalteten.

„Schutzschild!“

Eine Barriere errichtete sich mauergleich um Impergator und Meganie, um sie vor dem herabfallenden, glühenden Gestein zu schützen.

„Dragonir, Hyperstrahl!“

Soul blieb nicht untätig und rief: „Seth, Hydropumpe!“

Noch bevor Dragonir die nötige Energie für den machtvollen Strahl gebündelt hatte, spie Impergator eine Wasserfontäne.

Panik spiegelte sich in den Seelenspiegeln des schlangenartigen Drachens wider, denn die Hydropumpe schleuderte Dragonir spielend leicht weg und ließ es durch mehrere Felsen hindurch krachen. Schließlich prallte es an der Wand ab und glitt bewusstlos ins Wasser.

Überrascht starrte die Arenaleiterin das Mädchen an, die nun triumphierend in die Luft boxte, nickte ihr aber anerkennend zu und wandte sich dann an Wataru. „Nun liegt es an dir, Cousin.“

Kaum war ihre erste Freude verflogen, atmete Soul erleichtert aus. Wenigstens hatten sie nun eine Sorge los!

Doch nun standen sie Dragoran gegenüber, welches warnend die Oberlippe kräuselte und ein leises Knurren ausstieß. Wie sollten sie Dragoran bloß zur Landung zwingen?

„Meganie, wir haben es bald geschafft. Energieball!“

Pulsierend und ein grünliches Licht ausströmend formte sich nun ein Energieball vor Meganies Maul, unter dem der Drache sich leicht hinweg duckte.

„Hyperstrahl!“

Erneut sammelten sich Energien, die sich zum Strahl einigten und den Boden unter Meganies Füßen spaltete. Durch die Druckwelle wurde das Pflanzenpokémon beinahe erneut von den Beinen gerissen, vermochte aber das Gleichgewicht schwankend zu halten.

„Dragoran, Feuersturm!“

„Hydropumpe!“

Abermals prallten Feuer und Wasser aufeinander und erhitzten sich so stark, dass es zu einer Erschütterung kam. Unsanft krachte Impergator auf den Boden, als er seine Balance verloren hatte.

„Drachenpuls!“

Mit großer Freude nutzte Dragoran diesen Moment von Impergators Schwäche aus. Ein blaues Flammenmeer brodelte in seinem Rachen und ließen Impergator vor Schmerz aufbrüllen.

Nervös biss sich Soul auf die Lippen. In der Luft vermochten sie und Silver nichts gegen Dragoran auszurichten. Dafür war der Drache zu stark – und sie zu benachteiligt.

„Soul.“

Ruhig und beinahe flüsternd wurde ihr Name ausgesprochen und umso überraschter war das Mädchen, als sie Silvers graue Augen auf sich spürte.

„Schaffst du es, Dragoran für einen Augenblick abzulenken?“

Erstaunt starrte Soul ihn an. Was hatte Silver vor? Zögernd nickte das Mädchen, während sie versuchte ihre Gedanken von sich zu schieben, die in diesem Moment jäh durch ihren Kopf rasten, und zwang all ihre Aufmerksamkeit auf den Kampf zurück.

Tief holte Soul Luft, um sie folglich langsam wieder auszustoßen und richtete dann ihren Blick wieder auf Impergator. „Du hast ihn gehört. Hydropumpe!“

Viel sagende Blicke warf der Alligator seiner Trainerin zu, schnaubte spöttisch, denn er glaubte zu ahnen, welche Gedanken in ihrem Kopf schwirrten, die sie krampfhaft versucht hatte, zu verdrängen. Dann nickte Impergator gehorsam und legte sein Haupt in den Nacken, während ein kraftvoller Wasserstrahl aus seinem Rachen empor sprudelte.

Abwartend hatte Wataru die Arme vor der Brust verschränkt und sah seine Gegner lächelnd an. Er wirkte ruhig, geduldig und souverän, und ihm war das Geschehen vollends bewusst, wenn Soul und Silver einen Augenblick unachtsam wurden. „Ausweichen!“, rief er seinem Dragoran knapp zu, dass die Flügel anlegte und wie ein plumper Stein auf den Boden zu raste.

Nervös biss sich Soul auf die Unterlippe, bis diese leicht zu bluten begann. „Weitermachen!“

Kurz bevor Dragoran den Boden erreichte, öffnete der Drache mit einem Flappen seine Flügel und stieg erneut in die Höhe. Eines Tänzers gleich wich es so der Hydropumpe erneut aus.

„Jetzt greifen wir an!“, holte Wataru mit lauter Stimme aus. „Drachenklaue!“

Die blutroten Krallen gespreizt jagte Dragoran nun auf Impergator zu, das zu langsam war, um dem Angriff auszuweichen und zurückgestoßen wurde.

„Schnell! Eishieb!“

Ein Knurren entkam Impergators Kehle und hieb mit der Faust, die bläulich schimmerte, nach Dragoran. Durch die einwirkende Kraft neigte sich der Kopf des Drachens zur Seite, und ein schmerzerfülltes Stöhnen entrann dem Pokémon.

Hastig warf Soul ihrem Partner einen Blick zu, der diesen auffing und ihr anerkennend zu nickte.

„Meganie! Fauna-Statue!“

Knurrend stimmte das Pflanzenpokémon ein, während es erneut mit den Füßen auf den Boden aufstampfte. Tief unten wuchs abermals etwas heran, was durch die Erde brach und stachen auf Dragoran ein, welches durch den Eishieb noch zu abgelenkt war.

Gellend war sein letzter Schrei, der sich in die Luft legte und sogleich aber wieder verstummte. Kraftlos glitt Dragoran in die Ohnmacht.

Erleichtert atmete Soul tief durch und seufzte, hob aber wieder den Kopf, als an ihre Ohren leise Schritte drangen. Vor sich sah sie nun Silver, der seinen linken Arm streckte und die Finger dehnte.

Es dauerte einen Herzschlag, bis sie begriff, was er wollte. Zögernd erhob sie ebenfalls ihre Hand und holte, wie Silver, auch gleich damit aus. Das Aufeinandertreffen erzeugte dabei ein klatschendes Geräusch

Einen vergänglichen Moment verharrten Soul und Silver in dieser Position. Ihre Handflächen ruhten aufeinander, bis Silver ihre Hand mit seinen Fingern umschloss und einen leichten Druck ausübte, während sie sich in die Augen sahen.

„Wir haben es geschafft“, sprach Silver, leicht die Lippen zu einem Lächeln verziehend.

Soul schluckte schwer und verfluchte ihr Herz, welches wild pochend in ihrer Brust schlug. Etwas zu erwidern, fühlte sie sich nicht imstande. Ihre Gedanken waren wirr, unsortiert. Daher nickte das Mädchen bloß und schenkte ihm ein frohes Lächeln.

Auch wenn Soul diese Berührung in Wahrheit genossen hatte, war sie erleichtert ihre Hand von Silvers zu lösen, als Wataru die Hände hob und zu einem Applaus anstimmte. Ibuki tat es ihm nach.

„Genau wie ich es mir gedacht habe. Etwas Geringeres habe ich vom Champ auch nicht erwartet. Und auch nicht von dir, Silver“, lobte Wataru die Jugendlichen. „Gemeinsam seid ihr ein hervorragendes Team. Es ist nicht falsch, wenn ihr weiterhin für euch allein nach Stärke und höheren Zielen strebt, allerdings sollte euch bewusst sein, dass dies nicht alles ist, was die Freude am Pokémon-Kampf ausmacht.“ Er hielt inne, strich sich eine Strähne aus dem Gesicht, bevor er hinzufügte: „Ich bin mir sicher, ihr habt es bereits selbst eingesehen.“

Wataru schlug seinen Umhang zurück, neigte schließlich respektvoll den Kopf. „Nun wird es Zeit, dass ich wieder aufbreche. Auf ein baldiges Wiedersehen.“

Nun wandte sich Ibuki an Soul und Silver. „Ich pflichte meinem Cousin nur bei. Unser Kampf hat mir wahrlich eine Freude gemacht“, sprach Ibuki. „Unser nächstes Aufeinandertreffen wird hoffentlich in baldiger Zukunft sein.“

Mit diesen Worten verabschiedete sich die Arenaleiterin und folgte Wataru. Ihre Umrisse verschmolzen mit der Dunkelheit, ihre Schritte verklangen, bis wieder jene friedliche Ruhe eingekehrt war, die Soul stets in der Drachenhöhle verspürte. Nur das Rauschen des Wassers war zu hören.

„Soul“, durchbrach Silver jene Stille und starrte in ihre rehbraunen Augen. „Ich danke dir für diesen Kampf. Irgendwie hat diese Geschichte einen seltsamen Verlauf genommen.“

Verwirrt schaute sie ihn an. „Was meinst du?“, wollte Soul wissen, doch Silver schwieg und wandte sich ab. Soul aber vermochte zu erkennen, dass er abwesend in die Ferne blickte. Was er wohl denkt?, fragte sich das Mädchen und wollte in diesem Moment diese Frage laut äußern, aber er kam ihr zuvor.

„Doch denke nicht, dass ich aufgegeben habe, dich zu besiegen!“, knurrte er. „Sobald meine Pokémon und… und auch ich… stärker sind, werde ich mich dir wieder in den Weg stellen! Verlass dich darauf!“

Souls Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln, und sie nickte ihm zustimmend zu. „Natürlich. Ich werde an diesem Tag für diese Herausforderung bereit sein – wenn mein Terminkalender es zulässt“, erwiderte sie grinsend.

„Bis bald“, verabschiedete sich Silver mit knappen Worten. Bevor er ihr den Rücken zukehrte, hob er erneut die Hand und stieß mit seinem Mittel- und Zeigefinger gegen ihre Stirn. Auf seinen Lippen lag ein Lächeln. Schließlich verschwand er.

Und obwohl Silver bereits in der Finsternis verschwunden war, starrte Soul ihm eine Weile hinterher. In diesem Moment wurde ihr jäh bewusst, dass ihr Herz noch immer gegen ihren Brustkorb schlug.

„Verdammt!“, fluchte Soul leise und verdrängte rasch den Gedanken an Silver.

Akita Kuyoko

„Ausweichen!“

Panisch war der durchdringende Schrei des Stahlvogels, als die azurfarbene Aurasphäre auf das Panzaeronweibchen zu raste.

Nervös biss sich Kaoru auf die Unterlippe, als er die schwachen Funken sah, die um den Körper seines Pokémons zuckten, wodurch das Auf- und Abschlagen der Flügel nahezu eine Qual war. Durch den letzten Angriff, Sturzflug, war sein Panzaeron noch immer benommen, vor Schmerz gelähmt. Nachdem der enorme Kraftakt diese Erstarrung löste, zog sie die Schwingen eng an den Körper und begab sich in den freien Fall. Knapp vor dem heran rasenden Erdboden öffnete Panzaeron seine Schwingen und stieg kreischend in die Höhe empor.

„Beende es mit Wasserdüse, Impoleon!“, befahl seine Gegnerin, ein junges Mädchen, die ihre silberweißen Haare zu einem langen Zopf zusammen gebunden hatte. Schlank war die junge Trainerin, hatte eine zarte, blasse Haut. Äußerlich wirkte sie kühl, gelassen und ging äußerst bedacht vor, und doch ahnte Kaoru, dass er sie in Bedrängnis gebracht hatte. Aber vielleicht hatte er sich mit der Vermutung getäuscht, dass sie keine ernstzunehmende Gegnerin sei?

Noch dazu besaß sie Pokémon aus der entfernten Shinou-Region, die er nicht nach ihren Fähigkeiten einschätzen konnte.

Panzaerons Niederlage wurde besiegelt, als Impoleon sich niederkniete und sich in den Schutz von glänzendem Wasser begab. Mit einem kämpferischen Aufschrei beschleunigte der Pinguin und prallte auf Panzaeron, welches durch den Zusammenstoß abstürzte. Der Stahlkörper verursachte einen lauten Knall.

Leise stieß Kaoru üble Flüche aus, verdammte seine Unachtsamkeit wie so oft in seinem Leben.

„Große Klappe und nichts dahinter“, gab Akita süffisant lächelnd von sich. Ihre Finger strichen eine Haarsträhne weg, die ihr ins Gesicht gefallen war.

Kaoru bebte innerlich vor Wut, während äußerlich seine Hände zu zittern begannen. Wortlos wandte er sich an sein Tornupto, das ihn aus klugen Augen anstarrte. Der Schwarzhaarige nickte seinem treuen Pokémon zu. „Jetzt liegt es an dir, meine Schöne!“

Stärker als zuvor loderte unerwartet Tornuptos Feuerkragen aus. Schwüle Hitze sammelte sich um den Körper des Flammenigels, während ein entschlossenes Fauchen seine Kehle verließ.

„Lucario, Nahkampf!“

Rasch näherte sich Lucario Tornupto und traktierte das Pokémon mit heftigen Schlägen und Tritten. Die Tornuptodame wich zurück, als der letzte Fußtritt sie ins Gesicht traf. Doch mit einem kehligen Knurren wandte sie wieder den Kopf zu Lucario.

„Was?“

Kaoru grinste. „Ausweichen und weglaufen ist nicht unsere Art!“, stellte der junge Trainer aus Neuborkia fest. „Wir kämpfen von Angesicht zu Angesicht!“

Tornupto grollte zustimmend, während ihre roten Iriden Lucario fixierten.

Die Fremde lächelte amüsiert, ließ sich keinesfalls von Kaorus Unerschrockenheit einschüchtern. „Bedränge es mit Knochenhatz!“, war ihr nächster Befehl.

Die Fäuste erhoben begann sich Energie zu bilden, die sich zu einem blauen Knochenstab formte. Hernach sprang Lucario vor, direkt vor Tornupto.

„Spring, Honou!“

Tiefe Furchen hinterließen die Krallen des Feuerpokémons, nachdem sich Honou geschwind vom Boden abgestoßen hatte und sich nun über Lucario begab, das erschrocken inne hielt und dem groß gewachsenen Igel nachsah.

„Flammenblitz!“

Ein Brüllen drang an die Ohren der Trainer, während grelle Flammen das Tornuptoweibchen eines Käfigs gleich einhüllten. Knapp vor dem Werwolf berührten ihre Pfoten den Boden wieder, und sie stürmte mit gespreizten Krallen auf Lucario zu. Zu spät war es für das Pokémon, um diesen mächtigen Angriff auszuweichen. Brennender Schmerz loderte folglich in seinem Körper auf, entzog ihm jegliche Kraft aus seinen Gliedern. Erschöpft sank es auf die Knie.

„Dein Tornupto ist gar nicht mal so schlecht“, lobte Akita, nachdem sie ihr Lucario zurück in den Pokéball beordert hatte. „Leider kann man es nur für seinen Trainer bemitleiden.“ Auf ihren Lippen lag ein provozierendes Grinsen, aber Kaoru ermahnte sich, nicht auf diese derartige Kränkung einzugehen. Zu oft hatte er sich zu unvernünftigen Handlungen mitreißen lassen. Stattdessen antwortete sein Tornuptoweibchen für ihn: ein erzürntes Brüllen erwiderte sie und fletschte dabei wütend die Zähne. Solch eine Unverschämtheit ließ sie keineswegs ungesühnt!

„Heiz ihnen mit Flammenwurf ein!“

Honous Rachen färbte sich rot, als sich lodernde Funken ihr Maul umschmeichelten, die einen Herzschlag später als Flammenstrahl entfesselt wurden

„Mit Aquawelle kontern“, befahl Akita gelassen. So ein Hitzkopf würde sie nicht besiegen!

In Impoleons Schnabel blitzte etwas Helles auf, wuchs zu einer pulsierenden Wassermasse heran, die sich als reißende Flutwelle über den Boden ergoss und auf den Flammenwurf traf.

Zischend verdampfte das Wasser, zog als dichter Nebel in die Luft, während die Kraft des Feuers geschwächt war.

„Sternschauer!“

Funken durchdrangen den nebelartigen Dunst, die binnen weniger Sekunden die Form von Sternen annahmen. Mit einem Grollen schickte Tornupto diese auf ihren Gegner.

„Wehre sie mit Wasserdüse und Metallklaue ab.“

In Wasser gehüllt stürmte Impoleon auf Tornupto zu, während die Sterne unter der scharfen Metallklaue zerbarsten.

„Halte es mit Dunkelklaue auf!“, rief Kaoru geistesgegenwärtig.

Tornupto hielt abwehrend ihre Arme empor, als sich schwarzes Licht um ihre Pfoten sammelte, die die Gestalt einer düsteren Kralle annahmen. Hernach sprang sie vor und streckte ihre Schattenpfoten vor, um die Wucht der durch Metallklaue verstärkten Wasserdüse abzufangen. Doch die Wucht war zu stark, als dass Tornupto Impoleon standhalten konnte. Einige Male überschlug sie sich und bleib dann regungslos liegen. Der lodernde Kragen war erloschen.

Der Schwarzhaarige merkte, wie die Ungewissheit an seinen Nerven nagte. War der Kampf schon verloren? „Halte durch!“, weckte Kaorus Stimme sein treues Pokémon aus der Benommenheit. Ihre Arme auf den Boden gestützt richtete sich Tornupto auf und entflammte mit neu gewonnener Entschlossenheit ihren glühenden Feuerkragen.

„Greife es aus nächster Nähe mit Metallklaue an!“ Ruhig hatte Akita ihre Arme vor der Brust verschränkt und musterte den Jungen abschätzig.

Impoleon verstand, was sie von ihm verlangte und nickte ihr knapp zu. Dann rannte es mit den leuchtenden Schneiden seiner Flossen auf das geschwächte Tornupto zu.

„Weich mit Ruckzuckhieb aus!“

Rasch setzte Honou ihre vier Pfoten auf den Boden und beschleunigte binnen weniger Sekunden. Sie täuschte an, sie wolle nicht ausweichen, sondern angreifen, aber im letzten Moment, als die Trainer sich bereits auf einen heftigen Zusammenstoß ihrer Pokémon vorbereitet hatten, sprang Tornupto über Impoleon hinweg und landete hinter ihm, schlitterte jedoch aufgrund der Geschwindigkeit wenige Meter weiter, bis sie vollends zum Halten kam.

„Und Dunkelklaue!“

Mit schräg angewinkelten Schattenklauen hastete Tornupto auf Impoleon zu, welches irritiert stehen geblieben war, denn es hatte nicht mit einer derartig raschen Gegenoffensive gerechnet. Verwegen drosch Tornupto auf den schutzlosen Pinguin ein, ohne die geringsten Anzeichen von Rücksicht. Impoleon vermochte bloß die wilde Raserei abblocken, indem es schützend seine Flossen vor das Gesicht hielt.

„Aquahaubitze!“

„Halt es davon ab! Kopfnuss!“

Erneut blitzte eine stetig heran wachsende Kugel in Impoleons Schnabel auf, doch Tornupto packte den Pinguin und ließ den Kopf gegen den des Anderen krachen. Sowohl Impoleon als auch Tornupto strauchelten rückwärts und versuchten das fehlende Gleichgewicht wieder auszubalancieren. Der Flammenigel ließ sich keuchend auf alle Viere sinken. Ihre Beine zitterten unter der Last ihres Gewichtes. Schon lange hatte sie nicht mehr einen solch intensiven Kampf, aber es war eben jene Tatsache, die ihr verbot dieses Gefecht zu verlieren.

Daher richtete sich Tornupto langsam auf. Jeder Muskel stöhnte bei der kleinsten Bewegung auf. So kam sie taumelnd auf die Beine und sah Impoleon entgegen, das ebenso erschöpft war wie sie. Der Flammeigel kräuselte die Lefzen.

„Lass die Sonne strahlen!“, holte Kaoru selbstbewusst aus. „Sonnentag!“

Hell wie ein Stern am Nachthimmel sonderten sich Lichtfunken von Tornuptos beigefarbenem Fell, während sich eine ungeahnte Hitze um den schlanken Leib sammelte, die den Flammenigel zu einem grell flackernden Glühen brachte. Dann brachen einzelne Sonnenstrahlen unerwartet durch die dichte Wolkendecke, vertrieben die Kälte des heutigen Novembertages.

Mit stummen Blicken beobachtete Akita das Naturschauspiel, ihre Lippen verzogen sich höhnisch zu einem Lächeln. „Willst du etwa mit schönem Wetter gewinnen?“

„Du wirst schon sehen, was dein Spott dir bringt“, erwiderte Kaoru, bald gänzlich die Geduld verlierend. Der Trainer wandte sich seinem Pokémon zu, das das Maul geöffnet hatte und gierig um Atem hechelte. „Ich weiß, du bist erschöpft, Honou, aber bündle die Kraft der Sonne für einen Solarstrahl!“

Es war die Liebe zu ihrem Trainer, die das Flammenigelweibchen neue Kraft schenkte. Sie reckte den Kopf, ihr entzündetes Nackenfell loderte stärker, stärker als jemals in diesem Zustand zu erwarten war, während sich ein schillernder Kraft in ihrem Maul konzentrierte. Schnell wie noch nie war die Energie geladen und bahnte sich seinen Weg auf Impoleon zu.

„Lichtkanone!“, war der einzige Befehl, den Akita rasch entgegnete. Doch ihr Pinguin vermochte nicht schnell genug die nötige Energie zu sammeln, sondern konnte sich bloß schützen, indem es versuchte den Solarstrahl zu schwächen. Die aufprallenden Energien lieferten sich ein erbittertes Duell, bis sie sich in einem ohrenbetäubenden Knall auflösten, und die folgende Druckwelle sowohl Impoleon als auch Honou hinfort schleuderten.

Wabernd verzog sich die Staubwolke, gab preis, dass die Pokémon der Trainer bewegungslos auf dem Boden aufgeschlagen waren. Dann regten sie sich, stemmten ihre Arme in den Sand, um sich mühevoll auf die Beine zu raffen. Jeder Muskel schrie protestierend auf.

„Ich wusste, ich kann mich auf dich verlassen, Impoleon“, wandte sich Akita lächelnd an ihr Pokémon, welches angestrengt um Atem rang.

Kaorus Blicke wirbelten zu Honou, das sich wankend versuchte auf den Pfoten zu halten. „Alles in Ordnung bei dir, Süße?“

Gedämpft drang ein Knurren aus ihrer Kehle, welches ihren Unmut preisgab. Schließlich wandte sich Honous glühender Blick an Impoleon.

Regungslos starrten sich die Pokémon an, während sie leise drohende Zischlaute ausstießen. Dann jedoch geschah jenes Ereignis, welches die Niederlage besiegelte.

Unerwartet strauchelte Tornupto unter der Last ihres müden Körpers, stöhnte vor Schmerz auf, bevor sie sie zu Boden fallen drohte. Gleichsam und ebenso erschöpft glitt Impoleon scheppernd zu Boden.

Tornupto rang röchelnd um Atem.
 

„Akzeptierst du mich nun?“, ertönte die behutsam klingende Stimme Kaorus, der seinen Blick der silberblonden Trainerin zugewandt hatte.

Akita aber schwieg wenige Momente, bevor sie leise lachte: „Es war ein ehrliches Unentschieden.“

Zweifelnd blickte der Trainer aus Neuborkia die Fremde an, dann glitten seine Augen auf sein schlafendes Tornuptoweibchen, welches zusammen gerollt im Gras lag. Er wusste, dass sein Pokémon zuerst gefallen war. Doch er schwieg.

„Zweifellos bist du ein guter Trainer, sonst hättest du niemals diese Orden gewonnen, nicht wahr?“ Ein schwaches Lächeln schlich sich auf ihre Gesichtszüge, während sie mit einer Kopfbewegung auf die Schatulle deutete, in der Kaoru seine Orden aufzubewahren pflegte. Die körperliche Anspannung des Jungens verflog, als er das Schmunzeln auf ihre Lippen erkannte.

„Du bist ebenfalls eine ernstzunehmende Gegnerin“, entgegnete der Schwarzhaarige grinsend, ermunternd durch ihre Worte. Jedoch hüllte sich das Mädchen erneut in Schweigen, das Kaoru beinahe zaghaft wieder brach: „Ich habe dich gar nicht nach deinem Namen gefragt.“

Akita hielt den Blick abgewandt, starrte mit regungsloser Miene auf die stille Wasseroberfläche des schmalen Seewegs, der Johto mit Kanto verband. „Akita“, wisperte sie bloß. „Und du?“

Ein kühler Schauder überkam den Jungen. Er konnte nicht verleugnen, dass er sich in der Gegenwart dieses Mädchens nicht wohl fühlte. „Mein Name ist Kaoru, ich komme aus dieser Stadt.“

Stumm nahm Akita diese Antwort hin, jedoch verstärkte eben jenes Schweigen Kaorus Unwohlsein. Er war kein Junge des tatenlosen Herumsitzens, sondern musste stets Aktivität in seinem Umfeld erleben. Dies schien Akita zu erahnen, denn sie neigte ihm den Blick zu. „Ich komme aus Blizzach“, sprach sie, auch ohne, dass Kaoru nach ihrer Herkunft fragen musste.

„Liegt Blizzach nicht in Hoenn?“ Unsicherheit lag in seiner Stimme. Er wusste nicht viel über die Regionen, kannte bloß ihre Existenz.

„Shinou“, verbesserte die Trainerin die Kaorus Aussage, der ein leises „Ah“ ausstieß. Er war bloß in Kanto und in seiner Heimat Johto gewesen. Gewiss zog es ihn in fremde Länder, wie Orre oder Hoenn, aber bisher hatte er nie ein solch großes Verlangen verspürt, sich in jene Länder zu begeben.

„Warum bist du Trainer geworden?“, wollte Akita unerwartet wissen. Aufmerksam musterte sie den Jungen, der im ersten Moment vollkommen überrascht von jener Frage zu sein schien. Sie war zurückhaltend neugierig die Gründe für sein Trainerdasein zu erfahren, denn aus irgendeinem Grund erschien ihr Kaoru durchaus interessant. Sein grenzloses Selbstbewusstsein und das Vertrauen gegenüber seinen Pokémon fand sie bemerkenswert.

„Warum ich Trainer geworden bin?“, wiederholte er grübelnd, so als wolle er sich vergewissern, dass er ihre Worte richtig vernommen hatte. Bestätigend nickte Akita und sah ihn unverwandt an.

Kaoru aber streckte sich genüsslich und ließ sich rücklings ins Gras fallen. Lächelnd betrachtete er den trüben Novemberhimmel, der nun wieder wolkenverdichtet war. „Ich weiß nicht“, gab er offen zu und verfiel in ein kurzes Schweigen. „Mich hat diese Freiheit fasziniert und die Pokémon.“

„Verstehe.“

Erneut verfielen die Jugendlichen in Wortlosigkeit und hingen schweigend ihren Gedanken nach. Die Stille der Natur wurde jäh unterbrochen, als ein Schwarm Taubsi in den Himmel stob. Ihr schrilles Gezeter drang noch eine ganze Weile an ihre Ohren.

Verträumt sah Kaoru ihnen nach, neigte dann aber seinen Kopf und betrachtete nachdenklich Akitas Profil, über die Gründe nachgrübelnd, die sie in die weite Welt hinausgetrieben hatten, weit entfernt von ihrem Elternhaus. Seufzend setzte sich der junge Trainer auf, noch immer Akita ansehend. „Warum bist du von zu Hause weg gegangen?“, fragte Kaoru vorsichtig, ausnahmsweise darauf bedacht seine Gesellschaft nicht mit seiner offenen Art zu bedrängen.

„Ich suche nach jemanden“, äußerte sich Akita rasch, während sie abwesend auf die im Wind leicht gekräuselte Wasseroberfläche starrte.

„Was sagen deine Eltern dazu?“

Akita schwieg, hüllte sich in Wortlosigkeit, die Kaoru nicht behagte. „Ich habe sie nicht gefragt“, erwiderte sie schließlich mit erstickter Stimme.

Plötzlich beschlich ihn eine Erkenntnis, die Kaoru Furcht einflößte, und veranlasste, dass sich sein Herz krampfhaft zusammen zog. Schimmerte eine Träne auf ihren Wangen? „Leben deine...“, begann er zögernd, beinahe als verließe ihn der Mut, „Eltern noch?“

Den Blick von Kaoru abgewandt, hielt sie den Kopf gesenkt, die Hände in den Stoff ihrer schwarzen Hose gekrallt. „Ich weiß es nicht“, wisperte das Mädchen leise.

„Du weißt es nicht?“, wiederholte Kaoru ungläubig mit erhobener Stimme. Wie konnte ein Kind nicht wissen, ob seine Eltern noch lebten? War sie vielleicht von zu Hause abgehauen und fristet seit diesem Tag ihr Leben als Straßenkind?

Akita wies ihn mit einem kühlen Blick zurecht und stieß ein entrüstetes Schnauben aus. Nichtsnutz! Doch kaum hatte Kaoru diese Worte ausgesprochen, bereute er sie auch schon wieder. Sein Gewissen regte sich, als erwachte ein Arbok, welches seine Fangzähne in sein Fleisch bohrte.

„Ich bin adoptiert“, sprach sie gleichmütig aus, jedoch vermochte die Trainerin nicht einen bissigen Unterton zu vermeiden.

Kaoru schalt sich für seine Neugierde. Er wusste nicht, wie er sich ihr gegenüber verhalten sollte, nachdem sie ihm die Tatsache anvertraut hatte, dass sie adoptiert war und nicht wusste, wer ihre leiblichen Eltern waren. „Oh…Das… Das tut mir Leid“, entschuldigte er sich kleinlaut, beschämt über sein loses Mundwerk. In ein schuldbewusstes Schweigen verfiel der Junge, als hätte seine Mutter ihn getadelt. „Wann hast du erfahren, dass du adoptiert bist?“, wagte Kaoru vorsichtig Akita anzusprechen, die er nach allen Regeln der Kunst gekränkt hatte. Auch wenn er keine Zeichen der unterdrückten Wut erkannte, deutete Kaoru ihr Schweigen als Kränkung.

Er hob den Blick, als Akita Luft holte und schließlich die Stille brach: „Es war der Abend, bevor ich aufbrechen sollte… Wir haben gestritten, denn ich konnte nicht begreifen, warum sie mich angelogen haben…“ Obwohl sie den Jungen erst wenige Stunden kannte, fühlte die Trainerin, dass sie ihm vertrauen konnte. „Und dann bin ich weggelaufen. Kaumalat, mein erstes Pokémon, hatte ich ja zu diesem Zeitpunkt schon“, fuhr Akita beinahe tonlos fort.

„Hast du denn mit ihnen nach eurem Streit noch einmal darüber gesprochen?“, fragte Kaoru, der die Traurigkeit des Mädchens deutlich spürte.

„Mein Ausriss war das Schlimmste, was ich je getan habe… Ich litt unter der Unkenntnis, wer ich bin und wer meine blutsverwandten Eltern waren, aber... aber nach einiger Zeit habe ich begriffen, dass sie, obwohl ich nicht ihre leibliche Tochter bin, trotzdem meine Eltern sind, und habe es ihnen auch gesagt“, erwiderte Akita lächelnd.

Erleichtert lächelte Kaoru. „Du sagtest, du suchst jemanden…“, begann er zögernd. „Ich… Ich nehme an, du suchst deine Eltern…?“

Ein knappes Nicken erwiderte Akita. „Ich habe meine Eltern, also meine Adoptiveltern, gefragt, ob sie etwas wissen.“

„Und?“

„Nachdem wir uns ausgesprochen hatten, erzählten mir meine Eltern, dass sie nur wenige Informationen über meine leibliche Mutter haben“, antwortete Akita, verfiel dann jedoch in ein bedrücktes Schweigen, ehe sie fortfuhr: „Aus einem absenderlosen Brief, der von ihr stammen muss, ging hervor, dass sie in ärmlichen Verhältnissen lebte und mich nicht groß ziehen konnte. Meine Eltern haben ihn mir zunächst verschwiegen, um mich zu schützen.“

Der Schwarzhaarige sah das Mädchen still an und empfand so etwas wie Mitleid mit ihr. Ihm war bewusst, dass Akita unter der Ahnungslosigkeit litt, auch wenn sie es dennoch zu verbergen wusste. „Weißt du ihren Namen?“, fragte er sodann, um die Stille zu brechen.

„Nein“, antwortete Akita niedergeschlagen. „Ich weiß gar nichts.“

Wortlos nahm Kaoru die Erwiderung hin, wandte sich ab, um nachdenklich in die Ferne zu starren. Er versuchte sich die Tatsache, nicht zu wissen, wer seine Eltern waren, vorzustellen, aber Kaoru konnte es nicht. Die fehlende Vertrautheit und Zuneigung, die er durch seine Familie erfahren hatte, erschreckte ihn. „Es muss hart für dich gewesen sein“, stieß Kaoru bedrückt. „Nicht zu wissen, wer man ist… Wo man seine Wurzeln hat…“

Akita lächelte ihn an. „Die ersten Monate war es wirklich eine Qual“, entgegnete das Mädchen. „Aber nachdem ich begriffen habe, welches Glück ich hatte, als ich adoptiert wurde, wusste ich, dass ich falsch lag.“

„Und du willst wirklich deine leiblichen Eltern suchen, obwohl du noch nicht Mal weißt, ob sie noch leben?“ Ungläubig blickte er Akita an. Gewiss verstand er, dass sie erfahren wollte, wer sie war, aber wollte sie wirklich die Gefahr eingehen, keine Hinweise zu finden und enttäuscht zu werden?

„Meine Adoptiveltern unterstützen mich, und ich habe sogar einen Hinweis“, erwiderte Akita, erneut mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen. Sie schob ihre Hände im Nacken unter ihren Haaren, dann streckte sie den rechten Arm aus. In ihrer geöffneten Handfläche lag eine feine aus Silber gefertigte Kette. Ein strahlend blauer Saphir war in dem kleinen Anhänger eingefasst.

Fasziniert starrte Kaoru das Schmuckstück an, streckte seine Finger aus, um den kühlen Edelstein zu berühren. „Es muss sehr kostbar sein für dich“, sprach er ehrfürchtig aus, während Akita die Kette wieder um ihren Hals legte und ihren Blick gen Himmel richtete, der sich allmählich flammendrot färbte. Sie nickte, wirkte jedoch abwesend, als wäre ihr Geist nicht in der Gegenwart.

„Es ist spät geworden“, sprach das Mädchen unerwartet und erhob sich von ihrem Platz. Akita wandte sich dem Jungen lächelnd zu, der ihr nach dem Kampf noch Gesellschaft geleistet hatte und ihre Geschichte erfahren hatte, obwohl sie nicht wusste, aus welchem Grund sie ihm von ihrem Leben erzählt hatte. „Ich werde mir für die Nacht wohl eine Herberge suchen müssen.“

Nicht wissend, ob er Akita anbieten sollte, dass sie bei ihm übernachten konnte, schwieg Kaoru, bloß hinter ihr her starrend.

Honou, welches sich nach dem Kampf erschöpft im Gras niedergelassen hatte, hob grollend den Kopf und sah ihren Trainer aus rötlichen Iriden funkelnd an, als wollte ihr Blick sagen, welch ein toller Gentleman er doch war!

Nachdem Kaoru die Mimik seines Pokémons verstanden hatte, wandelte sich der Gesichtsausdruck der Tornuptodame in ein selbstgefälliges Grinsen. Geht doch!

„Warte!“

Akita, die bereits hundert Meter vorwärts geschritten war, drehte sich zu dem Schwarzhaarigen um. „Was ist?“

Rasch war Kaoru zu ihr gelaufen und wechselte nervös von einem Bein zum Anderen. „Ähm… Du kannst mit mir schlafen!“, erwiderte der Junge hastig. Er wusste einfach nicht, wie er mit ihr umgehen sollte. Stets verspürte er ein mitleidiges Gefühl. Doch nun schoss das Blut in seine Wangen. „Äh… Bei mir“, korrigierte er sich rasch. „Im Gästezimmer kannst du natürlich übernachten!“

Akitas Mundwinkel zuckten, ihre Hände ballten sich zu Fäusten, aber sie entspannte sich sogleich wieder, obwohl sie nicht wusste, was sie von dieser Verlegenheit halten sollte. War es das Verhalten eines Tollpatsches, der noch an die Liebe auf den ersten Blick glaubte oder war es Ratlosigkeit, wie er mit ihr umgehen sollte?

„Gerne“, sagte Akita schließlich. Ihre Lippen verzogen sich zu einem kühlen Grinsen. „Ich bevorzuge aber das Gästezimmer. Wenn es dir nichts ausmacht.“

Noch immer glaubte Kaoru seine Wangen stünden in Flammen. Dem hinzu kam auch noch das leise Kichern seiner Tornuptodame, die sich aufgerafft hatte und nun hinter ihn getreten war. „Honou!“, tadelte er sein Pokémon verzweifelt, welches die Lefzen zu einem breiten Grinsen verzerrte.

Der junge Trainer starrte das Mädchen einige Momente hinterher und merkte, dass er begann Akita - auf freundschaftlicher Basis, wie er in Gedanken dementierte -, zu mögen. Sie wirkte anders als die weiblichen Bekanntschaften, die er während seiner Reise kennen gelernt hatte. Seine Kindheitsfreundin Soul, die nun Champion der Johto-Region war, ließ Kaoru bewusst außen vor. Soul war einzigartig; freundlich, mutig, ehrgeizig, nach Gerechtigkeit strebend… Niemand konnte sich mit ihr messen. Seit Ewigkeiten hatte er sie nicht mehr gesehen. Wie es seiner Soul wohl ging?

Kaoru den Rücken zu kehrend, schritt Akita vorwärts, hielt dann jedoch nach wenigen Metern inne, um ihrem Gastgeber den Blick zu zuwenden. „Was ist? Kommst du nun oder nicht?“

Rasch verdrängte der Schwarzhaarige den Gedanken an den Champion und nickte entschlossen. „Ich bin unterwegs!“

„Gut, will ich hoffen“, erwiderte die Trainerin in einem süffisanten Tonfall, aber Kaoru erkannte das Lächeln auf ihren Gesichtszügen und entspannte sich nun endlich.

Mit diesen Worten schritten die Jugendlichen wortlos die beleuchtete Straße entlang. Auf direktem Wege führte dieser Weg nach Neuborkia, das Dorf die flüsternden Winde der Erneuerungen. In jenem Dorf hatte Kaoru, gemeinsam mit Soul, sein erstes Pokémon erhalten. So war es die Tradition dieses Dorfes.

Zu dieser Stunde begegneten sie nur wenigen heimkehrenden Menschen, denen Kaoru knapp im Vorbeigehen grüßte. Im Gegensatz zu den großen Städten Johtos war Neuborkia ein kleines und überschaubares Dorf, daher kannten sich die Bewohner mehr oder minder recht gut.

Plötzlich raschelten verräterisch die Sträucher, die den Wegesrand säumten, und veranlassten die Jugendlichen inne zu halten, um sich aufmerksam in der Umgebung umzusehen. Tornupto, die neben Kaoru her lief, richtete sich auf und grollte gedämpft, als unerwartet anmutig ein rot gefelltes Pokémon vor Kaoru und Akita auf den gepflasterten Weg sprang. Sogleich aber entspannte sich die Tornuptodame wieder und blickte auf die flammendrote Füchsin herab, die um Kaorus Beine strich. Dieser bückte sich, das rechte Knie auf den Boden stützend, zu dem Pokémon herunter. „Vuuul~“, begrüßte die Fähe den Trainer freudig und stellte sich auf die Hinterbeine, um ihn ungeduldig an die Brust zu stupsen, so als wolle sie „Streichle mich endlich!“ sagen.

„Nicht so stürmisch, Ayu“, tadelte er die Füchsin, die ihn aus klugen Augen anschaute und sich nun zärtlich an seine Beine schmiegte.

Akita wohnte dieser innigen Begrüßung wortlos bei und beobachtete aufmerksam Mensch und Pokémon. Die Art, wie Kaoru mit dem Pokémon umging, fiel dem Mädchen besonders auf. „Kennst du dieses Vulpix etwa?“, erkundigte sich Akita beinahe neugierig.

Kaoru erhob sich wieder, was Vulpix ein empörtes Knurren entlockte, und nickte Akita zu. „Ayu gehört einer guten Freundin von mir, Soul“, erzählte der Trainer, während er das Drängen der Füchsin belächelte. „Sie hat Vulpix vor Wilderern gerettet und ließ sie, damit sie sich von ihren Wunden erholen konnte, bei ihrer Mutter.“

Akita sah auf das Vulpix herab, welches ärgerlich an Kaorus Hose zerrte, ließ sie, als dieser nicht reagierte, wieder los und jaulte enttäuscht, bis sich Kaoru erbarmte, sie erneut zu streicheln.

„Vulpix hat anscheinend einen ganz schönen Narren an dir gefressen“, stellte Akita grinsend fest, während sie das ruhelose Betteln, wenn Kaoru aufhörte zu streicheln, beobachtete. „Geschmack hat sie ja“, fügte sie schmunzelnd hinzu.

Nachdem Kaoru lachend aufgestanden war, gingen sie weiter die halb erhellten Wege entlang. Ayu folgte ihnen wie ein dunkler Schatten, bis sie vor dem Haus der Familie Shimuras angelangt waren. Dann huschte Vulpix davon und verschwand hinter einer Hausecke.

„Es riecht so, als würde meine Mutter gerade kochen“, sagte Kaoru lachend, während er den Hausschlüssel hervor kramte und die Tür aufsperrte. Wie es einem Gentleman gehörte, trat Kaoru zur Seite und vollführte eine einladende Geste. Akita lächelte und ging in das Haus, gefolgt von Kaoru, der die Tür hinter sich wieder ins Schloss fallen ließ.

„Bin zu Hause!“, rief der junge Trainer durch das kleine Haus, während er durch die Dielen schritt, um in die Küche zu gelangen.

„Na? Wieder zurück?“, sprach eine hübsche, brünette Frau, die sich vom Herd kurz abwandte und ihrem Sohn warmherzig anlächelte. Dabei fiel ihr Blick auf Akita, die zurückhaltend Kaoru stand. „Du hast Besuch mitgebracht?“

Kaoru nickte. „Das ist Akita, sie sucht für heute Nacht eine Bleibe“, er drehte dem Mädchen den Kopf zu. „Und das ist meine Mum. Sie kann herrlich kochen!“

„Schön sie kennen zu lernen“, grüßte Akita höflich lächelnd, während sie den Kopf ein wenig neigte. „Ich hoffe, es macht Ihnen keine Umstände, wenn ich hier übernachte.“

Lachend schüttelte Kaorus Mutter den Kopf. „Nenn mich doch Ayana“, stellte sie sich ihrerseits vor. „und nein, es macht nichts, wenn du hier übernachtest. Mein Sohn schleppt öfters Freunde an,“, bei diesen Worten zwinkerte sie Kaoru und Akita verheißungsvoll zu. „daher bin ich es gewöhnt.“

„Mum, was auch immer du denkst, schlag es dir aus dem Kopf“, brummte der Schwarzhaarige verhalten, die ihn sanft anlächelte. Kaoru aber fühlte sich peinlich berührt durch die Andeutungen seiner Mutter und wollte das Thema so rasch wie möglich wechseln. „Ist Nori oben?“

Ayana nickte. „Er hat sich heute schrecklich gelangweilt, als du nicht da warst.“

Kaum hatte seine Mutter ihm die Antwort auf seine Frage gegeben ertönte ohrenbetäubendes Kindsgeschrei, als ein kleiner, dunkelhaariger Junge die Treppe hinab stürmte. „Kaoru! Kaoru!“

Der Gerufene wandte sich seinem kleinen Bruder zu und lächelte ihn an, aber bevor Kaoru ihn begrüßen konnte, setzte Nori einen Schmollmund auf. „Du bist so blöd, ich mag dich nicht mehr!“, schimpfte er und stampfte wütend mit dem Fuß auf den Boden auf. „Du hast versprochen, heute mit mir zu spielen!“

Besänftigend lächelte Kaoru und kniete sich nieder. Inzwischen wusste er, wie er mit dem Sturkopf seines Bruders umzugehen hatte. „Tut mir Leid, dass ich mein Versprechen gebrochen habe, ich…“

„Und Versprechen soll man halten!“, unterbrach Nori ihn mit schriller Stimme.

Erneut lächelte Kaoru, überlegte sich für wenige Herzschläge die richtigen Worte, dann aber eilte ihm Akita unerwartet zu Hilfe: „Deinem Bruder betrifft keine Schuld, ich habe ihn aufgehalten“, sprach sie zu Nori, der das Mädchen nun mit großen Augen anstarrte. „Ich wollte wissen, ob hinter seiner großen Klappe nicht nur leere Worte stecken und haben uns in einem Kampf gemessen.“

Ein freudiges Funkeln glänzte in den Kindsaugen auf, und Nori streckte frech die Zunge heraus. „Ich hoffe, mein Bruder hat dich fertig gemacht!“

„Sei nicht so frech!“, mahnte Kaoru seinen vorlauten Bruder, der trotzig die Arme vor der Brust verschränkte.

„Schon gut“, erwiderte Akita lächelnd und blickte hernach auf Nori herab. Ein seltsames, warmes und nie gekanntes Gefühl machte sich in ihrer Brust breit. „Ich muss dich leider enttäuschen“, fügte sie, dieses Mal an Nori gewandt, hinzu. „Wir haben uns gegenseitig fertig gemacht, ein Unentschieden.“

Kaoru wollte gerade aufseufzen, als ein spitzer Schrei seines Bruders seine Hoffnung zunichte machte. „Was?!“, rief Nori enttäuscht auf. „Du hast dich von einem Mädchen besiegen lassen? Wenn ich groß bin, werde ich Kaoru rächen!!“

„Darf ich euch eben unterbrechen?“, schaltete sich nun Ayana in die heiß geführte Unterhaltung ein und veranlasste, dass Kaoru, Akita und Nori ihr besänftigendes Gespräch unterbrachen. „Das Essen ist fertig!“

Dieses Mal entfuhr Nori ein schriller Freudenschrei. Akita, die Kaoru mit einem Blick streifte, lächelte glücklich.

Streben nach Glück

Als Soul die Drachenhöhle verlassen hatte, versank die Sonne hinter dem westlichen Gebirge. In diesen letzten Augenblick, bevor sie vollends unterging, um am nächsten Morgen erneut Kraft zu finden, erreichte das Abendrot seinen Höhepunkt, und es schien, dass die Lichtkugel, eines verzweifelten Versuches gleich, sich den Fängen der Nacht entziehen wollte.

Hell strahlte der Himmel, als würden tausende Flammenzungen ihn erleuchten, während sich das Gebirge wie dunkle Silhouetten von diesem bizarr schönen Spiel abhob. Beinahe glühend wurden die Gipfel in einen blendenden, gar goldenen, Lichtkranz getaucht.

Ein letztes Mal hatte ein schwacher, roter Lichtschein geflackert, bevor der hereinbrechende Abend alle Farben tilgte und durch ein sich verdunkelndes Grau ersetzte.

So wanderte die Brünette fröstelnd durch die spärlich erhellten Straßen und ging gemächlich an der abseits liegenden Arena vorbei, die zu dieser Zeit bereits geschlossen war. Groteske Schatten zeichneten sich, durch das grelle Licht, auf dem Boden ab, welche das Mädchen unentwegt begleiteten und ein Gefühl der Unruhe in der Trainerin weckten. Sie rieb sich die unbekleideten Oberarme, als der kühle Novemberwind ihre Haut streichelte. Ein fröstelnder Schauder überkam das Mädchen.

Die prachtvollen, gar frohen Farben des Herbstes vergingen, und bereits im November fühlte man die Ankunft des baldigen Winters: Die Tage wurden kürzer, die Abende kälter und der Wind bissiger.

Ja, die kalte und triste Zeit des Jahres, die Soul so sehr verabscheute, denn zu jener Zeit verspürte die Trainerin eine ebenso kühle Stimmung. Näherte sich etwa eine Winterdepression?

Missgelaunt trat Soul einen kleinen im Weg liegenden Stein vor sich her und beschleunigte den Takt ihrer Schritte. Sie fluchte leise und ärgerte sich, dass sie am heutigen Morgen ihre Jacke im Pokémon Center vergessen und sich nun zu lange beim Ältesten aufgehalten hatte, der ihr keinen guten Rat mitgeben wollte. Warum mussten weise Menschen stets in Rätseln sprechen? Konnten sie sich nicht deutlich artikulieren, sodass jeder Depp sie zu verstehen vermochte?

Ein unvermuteter, freundlicher Gruß riss Soul aus ihren Gedanken. Erschrocken hob sie den Kopf und sah eine junge Frau, die an ihr lächelnd vorbei ging.

Soul kannte diese Frau nicht, erwiderte aber den Gruß mit einem knappen Kopfnicken. Seitdem sie Champion war, fühlte sich Soul, als liefe sie als buntes Farbeagle unter den Menschen umher. Ständig begegneten ihr Menschen, die sie auf der Straße vollkommen unerwartet begrüßten. So war es beinahe unmöglich nicht aufzufallen, in der Menschenmasse unterzutauchen.

Erleichtert stellte Soul fest, dass sie nun endlich ins belebte Stadtinnere zurückgekehrt war. Mit zu Boden gesenktem Kopf folgte Soul der Straße, um zu verhindern, dass sie erneut erkannt wurde. Binnen weniger Minuten war Soul vor dem Gebäude des Pokémon Centers gelangt und schritt sodann in den Eingangsbereich, vor dessen Räumen sich die Schiebetür beinahe lautlos öffnete. Wohlige Wärme strömte ihr entgegen, als sie den geheizten Innenraum betrat, die die Kälte, somit auch ihre schlechte Laune, vertrieb. Aufmerksam sah sich das Mädchen in der betriebsamen Lobby um, war nicht überrascht darüber, dass jene gut gefüllt war, denn am morgigen Tag sollte ein Wettbewerb stattfinden.

Im selben Moment war Soul froh darüber, dass sie bereits am Morgen in Ebenholz City angekommen war, sonst hätte sie womöglich kein freies Zimmer mehr bekommen.

Als sie zum Tresen ging, achtete die Trainerin gewiss nicht auf die neugierigen Blicke, die ihr zuteil wurden.

Rasche Schritte nahm Soul im Augenwinkel wahr, und plötzlich stellte sich jemand dem Champion in den Weg. Den Blick hob sie überrascht und sah sich einer Gruppe von Trainern gegenüber.

„He Süße“, grölte er. „Dich kenne ich doch? Bist du nicht die Trainerin, die Wataru besiegt hat?“

Kühl musterte Soul den groß gewachsenen, dunkelhaarigen Jungen vor sich. Er straffte seine Schultern, baute sich vor dem zierlichen Mädchen auf, die resigniert seufzte. Nur in der Gruppe waren solch armseligen Typen stark. „Ich wüsste nicht, was dich das angeht.“ Angespannt legten sich ihre Finger um einen am Gürtel befestigten Pokéball. Warum konnten manche Menschen einfach nicht einschätzen, wann sie sich zurückzuziehen hatten?

Mit einer fahrigen Bewegung strich sich der Fremde eine störende Strähne aus dem Gesicht. Seine Lippen waren zu einem höhnischen Grinsen verzogen. „Oh, da wird aber jemand zickig. Seht ihr?“ Spöttisch begann der Trainer zu lachen, streckte dann seine Hand aus und umfasste grob ihren rechten Arm. „Vielleicht ist sie ja doch nicht so mutig und stark, wie alle Welt von ihr spricht!“

„Lass mich los“, sagte Soul ruhig, wohl bedacht die Ruhe zu bewahren. Ein tiefer Atemzug gab ihr dazu die Kraft, aber als der Griff um ihren Arm fester und sie dicht den Fremden gezogen wurde, war es zuviel. Ihre Hände zitterten, bebten nahezu, ballten sich hernach zu Fäusten, so fest, dass ihre Nägel sich schmerzhaft in ihre Haut bohrten. Was konnte dieser Idiot es wagen, sie so grob anzufassen?

„Lass deine Drecksflossen von mir!“, fauchte Soul ungehalten, als sie ihre angestaute Wut nicht mehr zu zügeln wusste.

„Sonst was?“, höhnte er weiter. „Wird das arme, kleine Mädchen dann etwa böse?“

Kalt funkelten Souls Augen den jungen Mann an, der spöttisch die Lippen verzog. „Seth.“

Aus einer Lichtflut materialisierte sich der imposante Alligator, der sich schützend vor seiner Trainerin aufbaute. Ein tiefes, gereiztes Grollen stieg seiner Kehle empor, während sich seine Lefzen warnend kräuselten.

„Du bluffst doch nur!“, spottete der junge Mann, der die Gefahr nicht einschätzen konnte. Er war allem Anschein nach der Anführer der Gruppe.

„Bluffen? Glaubst du wirklich, dass mein Impergator nur bluffen würde?“ Soul deutete mit einer Kopfbewegung ihr Pokémon an dem jungen Trainer das Gegenteil zu beweisen.

Impergator nickte und stieß ein ohrenbetäubendes Brüllen aus, während seine Füße den Boden verließen. Seine Zähne blitzten auf, als sie wenige Zentimeter vorm Gesicht des Fremden zu schnappten.

Alle Farbe war aus dem Gesicht des Jungen gewichen, nachdem der kräftige Alligator ihn zu Boden gerissen hatte. Mit Schlägen und Tritten wehrte er sich gegen Impergator, welches keinen Zentimeter zurück wich.

Die Kameraden des Anführers traten mit bedrohlich langsamen Schritten auf Soul zu, umzingelten das Mädchen und zogen den Kreis rasch enger, was sie mit einem flüchtigen Seitenblick erkannte. „Pfeif dein Mistvieh zurück!“

Impergator hob den schweren Kopf, während es seine rechte Klaue auf der Brust des Jungen platzierte und ihn mit einem unwirschen Knurren zum Stillhalten brachte.

„Überlegt, was ihr tut“, meinte Soul nüchtern, äußerlich gelassen und innerlich aufgewühlt.

Doch selbst diese Holzköpfe schienen ihre warnende Botschaft zu verstehen. So wich die Gruppe, bestehend aus vier Jungen und zwei Mädchen, zurück. Furchtsame Blicke warfen sie ihrem Anführer zu, bevor sie sich umwandten und aus dem Pokémon Center flüchteten.

Eine natürliche Reaktion? Gewiss nicht! Nur Feiglinge ließen einen Freund im Stich. „Du hast dir ja tolle Freunde ausgesucht“, schnaubte Soul entrüstet.

Mit einem Wimmern antwortete der Angesprochene leise. „Lass mich gehen!“, flehte? Jammerte der junge Mann. „Bitte!“

Soul verschränkte die Arme vor der Brust und schnaubte entrüstet. „Oh? Jetzt so kleinlaut? Ein bisschen mehr Respekt hätte ich schon vor dem Champion erwartet, aber ich will mal nicht so nachtragend sein.“ Sie legte Impergator die flache Hand auf sie Schulter. „Seth, lass ihn laufen.“

Grollend zog sich Impergator zurück, entblößte die Zähne unter den Lefzen und knurrte ein weiteres Mal, während der Junge sich hastig erhob und auf schwankenden Beinen versuchte das Weite zu suchen, stolperte jedoch und drohte erneut Bekanntschaft mit dem Boden zu machen.

Höhnisch verzog Impergator eine Furcht einflößende Grimasse. Wie schnell er nun laufen konnte!

„Ist alles in Ordnung?“, erklang die freundliche Stimme der Schwester Joy, die die Trainerin zusammen zucken ließ. Soul, die ihren Kopf zur Seite neigte, bevor sie sich vollends der jungen Frau zuwandte, nickte knapp, während sie auf die gerötete Druckstelle ihres Armes sah. Dann schnippte sich Soul eine störende Strähne aus dem Gesicht.

„Ja, wird nur ein blauer Fleck werden.“ Die vor Wut zitternden Hände erregten die Aufmerksamkeit der Trainerin. Sie verfluchte sich, weil sie erneut nicht wusste, wie sie ihre aufgebrachten Emotionen zu besänftigen vermochte. Obwohl sich Soul einredete, dass dieser Vorfall keinesfalls eine Bedeutung inne wohnte, wühlte das letzte Ereignis sie auf.

„Ist wirklich alles in Ordnung mit dir?“, fragte Schwester Joy, die die Anspannung des Mädchens erkannt hatte.

Auf Souls Lippen stahl sich ein bitteres Lächeln. „Mein Temperament ist mit mir durchgegangen“, wehrte die Brünette ab, „das ist alles.“

Schon lange war ihr bewusst, dass ihre Launenhaftigkeit ein Gift für ihren Verstand war. Sobald sie Wut verspürte und diese sich staute, so gewann jene vollends die Kontrolle über ihre Gedanken und trübte ihr Urteilsvermögen.

„Du wirkst niedergeschlagen“, bemerkte Schwester Joy. „Konnte dir der Älteste nicht helfen?“

Soul seufzte und verneinte mit einem wortlosen Kopfschütteln. Es deprimierte das Mädchen, dass sie in allem, was sie tat, sich entmutigt fühlte, und niemand vermochte ihr einen Rat zu geben, damit sie sich besser fühlte.

„Ich hoffe aber, dass du in Zukunft deine Launen nicht an Anderen auslässt, sondern solche Angelegenheiten in Zukunft außerhalb des Pokémon Centers klärst.“

Konnte Soul diese Botschaft zwischen den Zeilen lesen, so verstand sie gewiss den Vorwurf der Krankenschwester. Unmerklich ballte Soul ihre Hände erneut zu Fäusten und stieß, gegen den Groll ankämpfend, langsam den angehaltenen Atem aus.

Man spottete über Soul, tuschelte hinter ihrem Rücken, und die Menschen trauten einer Sechzehnjährigen das würdevolle Amt eines Champion nicht zu. Unter den zahlreichen Pflichten, die Soul nicht alleine zu schultern vermochte, würde das zierliche Mädchen zerbrechen.

Energisch hob Soul das Kinn. Sollten die Menschen doch denken, was sie wollten! Wer hatte sich Team Rocket im Alleingang gestellt? Sie waren jedenfalls zu feige, um es herauszufordern! „Ja, tut mir Leid, dass ich Unruhe gebracht habe“, entschuldigte sie sich um die Etikette der Höflichkeit zu wahren.

„Es war nur eine Frage der Zeit, bis Takeo und seine Bande vertrieben werden würden“, meinte die Krankenschwester seufzend.

„Sie kannten diese Typen?“

Die junge Frau bejahte mit einem knappen Nicken. „Sie halten sich seit einigen Tagen in der Stadt auf, haben die Leute angepöbelt und Aufruhr verbreitet.“

„Ich denke, die kommen nicht so schnell wieder“, lachte Soul erheitert. Wenigstens gab es einen Lichtstreifen an diesem grauen Tag, der nicht enden wollte. Insgeheim war sie jedoch froh darüber, dass ihre Misslaune für etwas nützlich gewesen. „Vielleicht entspannt mich ein angenehmes Bad“, fügte Soul hinzu. „Können Sie solange meine Pokémon untersuchen?“

„Natürlich, ist ja schließlich mein Job.“

Soul löste die sechs Pokébälle von ihrem Gürtel, beorderte Impergator in den Seinen zurück, bevor sie ihre Pokémon der Krankenschwester übergab. „Vielen Dank“, sagte das Mädchen knapp und machte kehrt. „Ich werde sie mir später abholen.“

Schwester Joy nickte bestätigend und nahm die Pokébälle behütend in ihren Schutz. „Bis später“, konnte die Krankenschwester das Mädchen nur noch hastig verabschieden, denn Soul eilte, in Gedanken versunken, rasch davon.

Stets auf’s Neue hatte sich Soul ermahnt, sich auf solche Provokation nicht einzulassen, versuchte sich an gewisse Stichworte zu halten.

Ignorieren. Nicht ernst nehmen. Stark sein und gelassen bleiben.

Zahlreiche Anweisungen standen Soul in den vergangenen Monaten zur Verfügung, sobald man über sie höhnte und lachte. Und doch hinterließen der Spott und die Verachtung Spuren.

Die Folge waren Zweifel und Furcht.

Furcht vor Konfrontationen.

Furcht vor Verhöhnung.

Furcht vor Erniedrigung.

Eine einzelne Träne, die sie nicht zu verhindern wusste, rann über Souls gerötete Wangen. Verletzten die Worte des jungen Trainers ihr Selbstbewusstsein etwa so sehr, dass sie nun an sich zweifelte?

Erneut schweiften ihre Gedanken ab. Ein blauer Schein wirbelte vor ihrem inneren Auge umher, bis er sich langsam zu verformen schien. Zugleich erschien die dunkle Silhouette Watarus vor ihr.

Wataru…

Der einzige Mensch, der an ihre Fähigkeiten glaubte und überzeugt war, dass sie dem Druck ihrer neuen Pflichten widerstünde, hatte sie gar als eine starke und mutige junge Frau bezeichnet.

Soul öffnete die halbgeschlossenen Augen, in denen sich Tränen gesammelten hatten. Wataru irrte sich! Sie war nicht stark und auch nicht mutig. Was sie wirklich war, war das Erscheinungsbild eines jämmerlichen Mädchens, das nicht wusste, wie sie mit einer Niederlage umzugehen hatte.

Nicht aus eigener Kraft konnte sie dem Schmerz solch tiefer Wunden überwinden, sondern war auf die Hilfe Anderer angewiesen.

Ein Schluchzen entkam ihrer Kehle. Das Bild ihrer Augen verschwamm in Tränen. Sie begann zu schwanken, als sie die alte, hölzerne Treppe betrat, die unter jedem Schritt grässlich knarrte. Als zwei Trainer heiter lachend die Treppe hinab schritten, wischte sich Soul rasch die Tränen aus den Augen und ermahnte sich nicht mehr zu jammern.

Es waren nur noch wenige Schritte bis Soul an ihrer Zimmertür angelangt war; es lag rechts vom Gang und war das Einundzwanzigste. Doch die junge Trainerin hielt inne.

Sich nicht mehr entmutigen lassen, fügte sie ihren Gedanken leise seufzend hinzu. Dann schüttelte das Mädchen den Kopf und fingerte in ihrer Handtasche nach ihrem Schlüssel, auf dem eben jene verschnörkelte Zimmernummer, die Einundzwanzig, eingraviert war.

Ein leises Klacken ertönte, als das Schloss entriegelt wurde, und mit einem ebenso vertrauten Geräusch die Tür wieder in die Verriegelung zurück fiel, als Soul, noch immer nachdenklich, hinter sich zu zog.

Dunkel war es in dem Raum. Soul machte sich nicht die Mühe das Licht einzuschalten. Niedergeschlagen setzte sich das Mädchen auf das Bett und ließ sich, nachdem sie einige Zeit in die Finsternis gestarrt hatte, erschöpft auf den Rücken fallen.

Erneut kreisten ihre Gedanken, waren Erinnerungen an den vergangenen Stunden.

Vor Souls innerem Auge erschien Silver, und sie verspürte ein zartes Gefühl von Wehmut. Es war seltsam, wie sehr er sich doch geändert.

Damals hatte Soul ihn als Dieb kennen gelernt. Er hatte ein Pokémon, sein Endivie, welches inzwischen zu einem stattlichen Meganie heran gewachsen war, aus dem Labor von Professor Utsugi gestohlen. Wie grausam, kaltherzig und stolz er doch gewesen war! Seinen Pokémon gegenüber zeigte er zu keiner Zeit Zuneigung oder Mitgefühl. Vertrauen und Dankbarkeit waren Fremdwörter für ihn gewesen. Und doch war Silver der Beweis, dass sich Menschen zu ändern vermochten, auch wenn die Wurzeln ihrer Persönlichkeit nie gänzlich verschwanden.

Bei diesem Gedanken verzogen sich ihre Lippen zu einem schwachen Lächeln. Sein Stolz hatte ihm verboten mit ihr als Team zusammen zu arbeiten, und doch hatte er auf sein Herz gehört, obwohl sie stets geglaubt hatte, dass er keines besäße.

Erneut entkam ein tiefes Seufzen dem Mädchen, bevor sie sich auf die Beine raffte und sich entschied ihr wohltuendes Bad zu nehmen.

Das Badezimmer war modern eingerichtet. Blau waren die Fliesen, freundlich und hell, während die Kacheln am Boden weiß waren. Akzente wurden gesetzt, indem man dunklere Blautöne in die Wand gesetzt hatte.

Souls Finger tasteten an den Wasserhahn und zog diesen leicht nach vorne. Soul hielt die Finger in den Strahl, doch ihr fröstelte es sogleich. Zu kalt!

Im Sommer war die Kühle eine Wohltat, aber im nahenden Winter empfand sie ein armes Bad als angemessen, um die Kälte zu verjagen.

Soul richtete sich auf und löste die Schnallen ihrer Hose. Die Träger erschlafften, sodass sie sich der unbequemen Jeans entledigen konnte. Hernach vergrub sie ihre Finger im Stoff ihres T-Shirts und zog dieses über den Kopf. Achtlos warf sie vollkommen zerknittert es zu Boden.

Das Mädchen rieb sich die Oberarme, die sie um ihren Oberkörper geschlungen hatte, während sie darauf wartete, dass die Badewanne gänzlich mit Wasser gefüllt war.

Vorsichtig ließ sie sich in das warme Nass und schloss verträumt die Augen.
 

Inzwischen waren bereits eineinhalb Stunden vergangen, nachdem Soul sich ein erfrischendes Bad genommen hatte. Nachdem sie sich angekleidet und ihre wenigen Habseligkeiten an sich genommen hatte, begab sich die Trainerin in die Eingangshalle des Pokémon Centers, um, wie versprochen, ihre Pokémon von Schwester Joy abzuholen.

Danach wollte Soul sich ins Restaurant des hiesigen Pokemon Centers setzen. Zu dieser Stunde herrschte dort reges Treiben. Vielleicht fand sie für den heutigen Abend eine nette Unterhaltung, die sie etwas von ihren Gedanken ablenkten?

„Ich habe bereits auf dich gewartet“, wandte sich die Krankenschwester an Soul, die soeben an die Theke heran getreten war. Sie blickte auf ihre sechs Bälle, die sorgfältig auf einen Tablett lagen.

„Ich hoffe, dass ich Sie nicht zu lange hab warten lassen“, entschuldigte sich die junge Champion. Sanft glitten ihre Finger über die Bälle, von denen bloß drei die üblichen Standard-Pokébälle waren. Darin befanden sich Seth, ihr Impergator, Meganie namens Riku und ihr eigenwilliges Despotarweibchen Gaia.

Die Anderen waren andersfarbig. Daemons Ball war ein Finsterball, ein Pokéball von schwarzgrüner Farbe. Gefangen in einem blauen, der von gelben Balken verziert war, einem Flottball, war ihr Tauboss, Velox, und Lyrana, das Ampharos, war in einem Freundesball gefangen worden. Grün war die Grundfarbe jenes Balls, während rote Ornamente ihn verzierten.

Soul richtete wieder ihren Blick auf Schwester Joy. „Ist meine Bande Ihnen auch nicht allzu sehr auf die Nerven gefallen?“

Verneinend schüttelte Schwester Joy den Kopf. „Nein, sie haben sich sehr gesittet verhalten, obwohl sie vor nur so Kraft strotzen.“

Erleichtert seufzte Soul. Sie war jedes Mal froh zu hören, dass sich ihre Pokémon auch benehmen konnten. Schon so manche Situation hatte Soul zum Grübeln gebracht. Einst hatten sie ein derartiges Chaos in einem Pokémon Center angerichtet, sodass Soul sich nur noch gewünscht hatte vor Scham im Boden zu versinken.

„Ich muss ihnen wohl auch danken“, sagte das Mädchen höflich, nachdem sie die sechs Pokébälle an ihren rechtmäßigen Platz deponierte. „Auch wenn mir der Besuch beim Ältesten keine Erleuchtung gebracht hat, war es gut nach Ebenholz City zu kommen.“

Unwillkürlich dachte sie an das unerwartete Treffen mit Silver und den Kampf an seiner Seite. Seine Gesellschaft hat ihr gut getan, nicht das Gespräch mit dem Ältesten.

Gut getan? So ein Schwachsinn!, schalt sich Soul verbissen und verdrängte rasch wieder den aufkeimenden Gedanken.

Schwester Joy lachte. „Ja, es gibt nur wenige Personen, die seine Worte verstehen, beispielsweise sein Enkel Wataru“, erwiderte sie. „Es war jedoch schön dich mal wieder zu sehen.“

Soul lächelte. Es gab tatsächlich noch Menschen, die ihre Anwesenheit genossen! „Ich danke Ihnen.“ Sie sah auf ihren PokéCom und entschied, sich nun ins Restaurant des Pokémon Centers zu begeben. Daher verabschiedete sich Soul mit einem knappen „Bis später“ und wandte sich zum Gehen um.

„Warte!“, hielt die Krankenschwester sie auf und veranlasste, dass Soul sich irritiert zu ihr drehte. Joy kam auf sie zu, mit einem zusammengefalteten Papier in der Hand.

„Diesen Brief habe ich von einem Jungen bekommen. Ich soll ihn dir geben“, sprach sie und übergab das zerschlissene Papier an Soul.

„Einem Jungen?“, wiederholte Soul, die ihre Finger ausstreckte, und nun hastig den Zettel entfaltete, um den Inhalt in sich aufzusaugen.

„Ja, bevor er ging“, erwiderte Joy, doch Soul schien ihre Worte nicht zu vernehmen. Mit jeder Zeile, die sie las, zitterten ihre Finger mehr. Mit einem apathischen Blick, dennoch einem sanften Lächeln auf den Lippen, starrte sie ins Leere. Dann aber richtete sie ihre Augen auf Schwester Joy. „Wann?“, keuchte sie wispernd. „Wann ist er gegangen?“

Überrascht schaute Joy das Mädchen an und schaute auf die Uhr. „Vor einer dreiviertel Stunde, schätze ich.“

„Verdammt!“, rief Soul unabsichtlich mit erhobener Stimme. „In welche Richtung?“ Konnte sie ihn noch einholen, obwohl der Vorsprung, den er hatte, bereits zu groß war?

„Zur Route fünfundvierzig, schätze ich.“

Rasch schulterte sie ihre Tasche, vergewisserte sich hastig, ob sie ihre Pokémon sicher verstaut hatte, bevor sie unter Zeitdruck stehend sagte: „Vielen Dank nochmals, aber ich muss jetzt wirklich gehen!“

Beinahe fluchtartig begab sich Soul mit eilenden Schritten zum Ausgang.

„Aber! Es ist beinahe zweiundzwanzig Uhr“, versuchte die Krankenschwester das Mädchen aufzuhalten, jedoch ignorierte sie die Einwände der Älteren. Sie durfte nicht mehr zögern, wenn sie ihn noch einholen wollte!
 

Zögernd, einen Schritt vor den Anderen setzend, bewegte sich durch die Finsternis. Eines dunklen Schleiers gleich hatte sich die Dunkelheit um das Mädchen gelegt. Obwohl sie Daemon an ihrer Seite wusste, fühlte sie ihr hämmerndes Herz. Tief bohrte sich ein beklemmendes Gefühl in ihre Brust. Die Angst. Jedes noch so leise Geräusch, sogar der Wind, der mit den Blättern spielte, veranlasste jedes Mal, dass sich eine kalte Kralle der Furcht um ihr schwaches Herz schloss.

Besinnend schloss Soul die Augen, atmete tief durch, jedoch vermochten sich ihre angespannten Muskeln nicht zu lösen. Wäre sie doch im Pokémon Center geblieben! Warum hatte sie gedacht, dass sie ihn einholen konnte?

Dumm musste Soul sein, als dass sie glaubte sich alleine, ohne menschliche Begleitung, in der Nacht zurecht zu finden! Und noch dümmer war es, dass nach einer Person zu suchen, von der sie noch nicht Mal wusste, in welcher Richtung diese gegangen war!

Ein Noctuhschrei zog durch die Nacht. Schrill und durchdringend war jenes Kreischen. Erschrocken blickte Soul gen Himmel. Bloß flatternd vermochte Soul zu erkennen, dass sich der Uhu entfernte. Tief in die Nacht verschwand das Pokémon, begleitet von seinen schaurigen Rufen.

Minuten verstrichen, indem Soul Noctuh verschreckt hinterher blickte. Das Blut geriet in Wallung. Panik überkam das Mädchen und presste sich die Hände auf ihre Ohren, bis die auf- und abschwellenden Schreie verklangen.

Lautlos näherte sich Hundemon seiner Trainerin, die er behutsam mit der Schnauze gegen die Hand stupste. Seine intelligenten Augen sahen das Mädchen einige Momente an, bevor sich ein Lächeln auf ihr Gesicht stahl. Ihre Anspannung löste sich und glaubte gar, dass ihr Herzschlag begann sich wieder zu normalisieren. Die Finger streckte Soul aus, um Hundemons Schnauze liebevoll zu kraulen. „Es ist blöd, dass ich denke, ich wäre alleine, oder, Daemon?“

Ein tiefes Grollen entgegnete der Schattenhund seiner Trainerin. Sie war nicht alleine. Sechs ausgewachsene, starke Pokémon waren an ihrer Seite, die sich für Soul aufopfern würden.

„Komm, Daemon“, lächelte seine Trainerin auffordernd.

Einen Herzschlag lang zögerte das Mädchen, bevor sie langsam ihren Weg fortsetzte, begleitet vom geräuschvollen Knirschen des Sandes und des Kies unter ihren Füßen. Sie bewegte sich in einer kargen Landschaft, die von den Ausläufern der Dunkelhöhle geprägt worden war. Dementsprechend war die Flora dieser Umgebung nicht besonders üppig, sondern eher abweisend und karg, obwohl ein reißender Fluss sich seinen Weg mitten durch den zerklüfteten Canyon bahnte. Einzelne Grashalme klammerten sich an den ausgedörrten Boden und boten den kleinen Pokemon zumindest ein wenig Schutz vor der unerbittlichen Sonne dieser Gegend.

Es verstrich eine weitere Stunde, in der sie keinen Hinweis auf den Aufenthaltsort des Trainers fand, und Zweifel begannen sich in Souls Herz zu bohren. Zudem schwand das unsichere Gefühl nicht, beobachtet zu werden, welches sich in ihrem Magen festgesetzt hatte.

Ein weiteres Vogelkreischen durchzog die Stille der Nacht, und Soul konnte keinen erschreckten Schrei unterdrücken. Mit geweiteten Augen glitten ihre Augen unruhig umher. „Du gehst weiter“, flüsterte Soul. „Du gehst weiter!“

Leise murmelnd schritt das Mädchen weiter, jagte weiter einem Phantom nach, den sie zu suchen gedachte. War er überhaupt dieser Route gefolgt? Vielleicht hatte sich Schwester Joy ja geirrt?

Sollte sie vielleicht umkehren?

Nein!, dachte sie stur. Ich kann nicht umkehren. Wie soll ich überhaupt zurückfinden? Ich muss weiter suchen! Ihr blieb nichts anderes übrig, als dem Pfad weiter zu folgen.

Ein kühler Windhauch streifte ihre Haut und überzog sie mit einer schaurigen Gänsehaut. Wie ein gehetztes Tier drehte Soul ihren Kopf in jede Richtung. Schmerzhaft pochte ihr Herz in ihrer Brust, ihr Blut rauschte in ihren Ohren, während ihre Finger kalt und schwitzig wurden.

Hundemons aufgerichteter Schweif peitschte kurz, sein Kopf wandte sich blitzschnell um. Dort im Dickicht! Ein Rascheln?!

„Ist da wer?“, rief Soul ängstlich in die Finsternis. Keine Antwort.

Sie schluckte und drängte sich an Hundemon, der die Furcht seiner Trainerin spürte, und, was auch immer dort draußen lauerte, mit einem tiefen Knurren warnte.

Abermals bewegte sich das hohe Gras, während das verräterische Knacken eines Astes an ihr Ohr drang und sich Souls Körper unwillkürlich anspannte.

„Wer ist da?“, erklang erneut ihre zittrige Stimme, als Soul eine dunkle Silhouette erkannte. Doch wieder bekam die Trainerin keine Antwort.

„Daemon?“

Dunkle Augen sahen das Mädchen durchdringend an, dann nickte der Schattenhund, während er seinen Kopf abwandte und eine Pfote vorsetzte.

„Nicht nötig“, erklang eine männliche, tiefe Stimme. Langsam löste sich aus den tiefen Schatten ein Junge, dessen flammendrotes Haar im fahlen Mondlicht rubinfarben funkelte, während seine Haut blass war und einen seltsam kränklichen Eindruck machte.

Pfeifend verflüchtigte sich der angehaltene Atem. „Silver!“, entkam ihr ein erleichterter Ausruf. Seit wann war sie so froh, ihn zu sehen, als zu dieser Stunde?

„Ach, du bist es.“ Kühl klangen seine kargen Worte, nachdem er Soul wenige Herzschläge später erkannt hatte. „Warum bist du mir gefolgt?“ Und ebenso kühl musterte Silver das Mädchen, welches ihn wie ein verschrecktes Damhirplex ansah. Jegliche Verwirrung war ihm nicht anzumerken.

Soul senkte den Blick, versuchte fieberhaft Worte zu finden, die ihr in diesem Moment als angemessen schienen, aber alles, was sich in ihren Gedanken in den Vordergrund drängte, war die Frage, warum sie ihm gefolgt war.

„Du-Du hast mir di-diesen Brief geschrieben.“

„Ja, und? Um mich daran zu erinnern, bist du mir nachgelaufen?“ Ein Grinsen umspielte Silvers Lippen. „Ist das nicht eigentlich so, dass du mich sehen wolltest?“

Erzürnt blickte Soul den Jungen an, der sie mit einem arrogant kühlen Blick ansah. Wie gern würde sie ihm diese Überheblichkeit austreiben! „Nein!“ Energisch stampfte sie mit dem Fuß auf den Boden, um ihrer Aussage Kraft zu geben. „Träum weiter, du eingebildeter Großkotz!“

Wie ein wütendes Snobilikat funkelte das Mädchen ihn an, und Silver wusste, dass sie auch so launenhaft war, wie eines er wunderschön gefährlichen Pokémon war. Daher zog er es vor zu schweigen, als sie weiter zu erzürnen. Doch er unterließ es nicht, sie weiterhin grinsend anzusehen.

„Ich wollte dir danken, dass ist alles“, fügte sie hinzu und unterstrich diese Erklärung mit einer wegwerfenden Handbewegung.

„Danken? Für was?“, wollte er wissen. Seine kalten, grauen Augen lagen auf ihr, machten sie nervös und diese Tatsache blieb ihm nicht verborgen.

Soul aber wich seinem vielsagenden Blicken aus. „Ich… Ähm…“ Unruhig bohrten sich ihre Fingernägel in ihre Haut. Ja, für was wollte sie danken? Sie wusste es nicht! „Fü-Für deine Hilfe beim Kampf“, stammelte Soul, nicht wissend, dass sie errötete.

„Und dafür bist du mir hinterher gerannt?“ Ungläubig schüttelte Silver den Kopf. „Dummes Mädchen.“ Er wandte sich von ihr ab und vergrub seine Hände in den Hosentaschen. Langsamen Schrittes entfernte er sich von ihr. Als er jedoch merkte, dass Soul zögerte, drehte der Trainer ihr den Kopf zu. „Worauf wartest du? Du wirst da festfrieren, wenn du stehen bleibst.“

Beißende Belustigung lag in seiner Stimme. Am liebsten hätte Soul ihm Kontra gegeben, aber kein Laut drang aus ihrer Kehle. Stattdessen folgte sie Silver, hielt sich dicht an ihm, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren.

„Du bist mutig einfach so alleine in der Nacht herum zu spazieren.“

Ihre Hände begangen zu zittern, und um einen tiefen Schluchzer zu unterdrücken, biss sich Soul schmerzhaft auf die Unterlippe. „Ich bin nicht mutig“, hauchte Soul wispernd.

Aus den Augenwinkeln betrachtete Silver die Brünette, die ihren Kopf gesenkt hielt. Mit einem kurzen Lachen wandte er sich von ihr ab. „Wenn du meinst“, waren seine einzigen Worte.
 

Es vergingen bloß wenige Minuten, bis Silver und Soul an einen geschützten Ort kamen, der nahe an der Dunkelhöhle und versteckt zwischen Tannen verborgen war. Allem Anschein nach hatte sich Silver an dieser Stelle sein Nachtlager aufgeschlagen, denn in der Mitte eines errichteten Steinkreises flackerte ein helles Feuer. Rund einen Meter entfernt stand ein Campingkocher, auf dem sich eine Dose befand. Weißer Dampf zog von ihr auf und verströmte den angenehmen Geruch einer vor sich hin köchelnden Suppe.

Sniebel, Silvers schwarze Wiesel, hob den Blick, als seine Pfoten frühzeitig die Erschütterungen des Bodens spürten. „Snie?“ Fragend verweilten die Augen auf Souls Antlitz, dann glitten sie auf seinen Trainer zurück, der den leeren Pokéball anhob.

„Gut gemacht“, bedankte sich Silver bei seinem Pokémon, ohne auf Sniebels Skepsis einzugehen. „Du kannst dich nun ausruhen.“

Als der rötliche Lichtstrahl auf Sniebels grazile Gestalt traf, wurden seine Umrisse durchsichtiger, bis es sich gänzlich auflöste und nichts als die Luft hinterließ, die leicht silbern schimmerte.

Nun wandte sich Silver an Soul, die unschlüssig stehen geblieben war. Ihre Augen streiften durch die erhellte Umgebung, rastlos und nervös wie sie war, fand sie keine Ruhe.

„Du wirkst müde“, erklang Silvers Stimme, die beinahe ein leises Flüstern war und ihr eine Gänsehaut bereitete. Erschrocken sah sie den Jungen vor sich an, ein schwaches Grinsen auf den Lippen, während er ihr lässig, die Hände in den Hosentaschen vergraben, entgegen sah. „Möchtest du dich nicht setzen?“

Scheu wich Soul seinen Blicken aus, spürte aber, wie ihre Wangen vor Verlegenheit brannten. Warum fühlte sie sich nun wie ein verschrecktes Damhirplex? Hatte er vielleicht wirklich Recht mit seiner Vermutung, dass sie bei ihm sein sollte?

Welch ein Schwachsinn dieser Gedanke doch war, schalt sie sich. Selbstbewusst straffte Soul ihre Schultern und hielt ihm mit trotzig vorgeschobenem Kinn stand. Dies hätte dieser Großkotz wohl noch gerne!

„Doch“, widersprach sie knapp, aber höflich. Sie wusste, was gute Manieren war, auch Silver gegenüber, der sie sonst bloß herablassend und kühl behandelt hatte. Leisen Schrittes näherte sie sich ihm, der sich an einem bemoosten Felsbrocken niederließ und seinen Rücken an diesen lehnte. Genügend Schutz bot jener Stein vor den schneidenden Winden, die in diesem Tal üblich waren.

Soul tat es ihm nach, die Beine nah an den Körper gezogen und die Arme um sie geschlungen, während sie sich an das kalte Gestein lehnte. Doch ein Frösteln durchrann das Mädchen. Ein Schauder zog sich über ihre Haut, sodass sie ihre Arme rieb, in der Hoffnung, dass dies sie wärmte.

Diese Tatsache blieb dem Rothaarigen nicht verborgen. Aufmerksam musterte er Soul. „Ist dir kalt?“, wandte Silver sich an Soul, die leicht zusammen zuckte, als er sie ansprach. Zögernd aber nickte sie.

„Ja, etwas“, gab Soul ehrlich zu, auch wenn sie am liebsten das Gegenteil geantwortet hätte, aber ihr eigener Körper hätte ihre Lüge aufgedeckt.

Silver kehrte sein Gesicht von ihr ab und beugte sich vor. Er streckte seine Finger, die sogleich eine bereit gestellte Schüssel umfassten, und hernach goss er die dampfende Flüssigkeit mithilfe einer Kelle in das Behältnis hinein. „Hier. Die Suppe wird dich aufwärmen.“

Skeptisch betrachtete Soul die mit Suppe gefüllte Schüssel, hob den Kopf, um Silver ebenfalls eines kritischen Blickes zu würdigen. „Was ist mit dir?“

„Ich habe keinen Hunger.“

„Wirklich?“ Ihre rehbraunen Augen sahen ihn durchdringend an, versuchten zu erahnen, ob er eventuell log. Zu ihrer Enttäuschung stellte sie fest, dass sich der Junge in eine eiserne Mimik kleidete. Sie vermochte nicht zu erkennen, was in ihm vorging. Ob sie ihn zu wenig kannte? Gewiss war es so, denn Kaoru, ihren Kindheitsfreund, sah sie jede Stimmungsschwankung an, ganz gleich, wie sehr er versuchte diese vor Soul zu verbergen.

„Wirklich“, beteuerte Silver gelassen, gleichsam eines sanften Lächelns auf seinen Gesichtszügen, und reichte die Schüssel an Soul, die ihm zwar noch immer zweifelnd ansah. Schließlich aber siegte doch der Hunger. Seitdem sie aus der Drachenhöhle ins Pokémon Center zurückgekehrt war und sich ein entspannendes Bad gegönnt hatte, hatte sie nichts gegessen. Eigentlich wollte sie sich einen schönen Abend in der Cafeteria des Pokémon Centers machen. Nachdem sich Soul dann aber überstürzt auf die Suche nach Silver gemacht hatte, hatte sie vollkommen vergessen etwas zu sich zunehmen.

„Danke.“

Entspannt lehnte sich Silver zurück, während ein Grinsen seine Lippen zierte. „Iss, sonst wird die Suppe kalt“, erinnerte er Soul, die sich dieses Mal nicht zweimal ermahnen ließ.

Hungrig widmete sich das Mädchen nun ihrer Mahlzeit. Sie nahm die Stäbchen in traditionell japanischer Manier auf, beugte sich vor und schlürfte genüsslich die Nudeln.

Soul war besseres Essen gewöhnt; es war eine schlichte Nudelsuppe, auch genannt Shoyu-Ramen, dessen Brühe klar und leicht bräunlich war. Rasch erkannte Soul den starken Geschmack von japanischer Sojasauce, die üblich für einen Shoyu-Ramen war.

„Deinem Gesicht zu urteilen, hast du etwas Besseres erwartet“, ließ Silver mit rauer Stimme verlauten.

„Ich hab schon Mal Schlechteres gegessen“, verriet Soul mit einem Lächeln. Als sie an dieses Ereignis dachte, schmeckte sie einen bitteren Geschmack auf der Zunge, daher verdrängte das Mädchen schnell den unangenehmen Gedanken wieder.

Die Jugendlichen verfielen in ein nahezu verlegendes Schweigen. Die Einsamkeit wurde durch eine unheimliche Stille erfüllt, bloß die leisen Geräusche der Nacht drangen an ihre Ohren. Irgendwo erklang ein andauernder schriller Ton, den Soul eine Weile lauschte, bevor ihr ein leises Seufzen entrann, während sie ihre Arme um die Beine schlang, die sie eng an ihren Leib gezogen hatte. Ihren Kopf bettete sie auf ihre Knie und schloss halb die Augen.

„Du hast mich vorhin als mutig bezeichnet“, flüsterte sie leise, als die drückende Stille beinahe unerträglich wurde. Unbewusst ballten sich ihre Hände zu Fäusten und zitterten. „In Wahrheit bin ich ziemlich feige.“ Verzweifelt versuchte Soul ein Schluchzen zu unterdrücken. Hatte sie sich nicht geschworen, nicht mehr schwach zu sein?

Sogleich fühlte sie Silvers Blicke auf sich ruhen und vermochte nicht zu sagen, was sie ausdrückten. Waren sie kalt? Mitfühlend? „Feige?“, wiederholte der Trainer. „Wie kommst du darauf?“

Soul versuchte seinen grauen Augen auszuweichen, als sie glaubte, dass sie ihm zu tief Einblick in ihre Seele gab. Einen kurzen Augenblick schwieg das Mädchen, bevor sie tief einatmete und fortfuhr: „Seit… Seit ich Team Rocket besiegt und Wataru geschlagen habe, begegnen mir manche Menschen, die mich als Heldin feiern… Ich…“

Silvers raues Lachen unterbrach Soul, die ihn nun zaghaft ansah. Er schaute sie ebenfalls an und mochte sich wohl bewusst sein, dass es ihr schwer fiel, sich ihm anzuvertrauen. Schließlich hatten sie zuvor kein sonderlich gutes Verhältnis zueinander gepflegt. „Wächst dir der Ruhm etwa über deinen Kopf?“, wollte er sanft wissen.

Schwach lächelnd zuckte Soul mit den Schultern. „Ich weiß es nicht, Silver, vielleicht hast du teilweise Recht“, erwiderte sie schwer seufzend, während ihre Blicke wieder fort wanderten, hinaus in die Dunkelheit starrend. „Manche Menschen verachten mich.“

Silver senkte den Kopf, schwieg. Ihrer Stimme schwang ein unterdrücktes Schluchzen bei, und er wusste nicht, wie er ihr helfen konnte. Zum ersten Mal fühlte sich der Junge hilflos. „Dir ist die Meinung anderer wichtig, nicht wahr?“, brach Silver die unangenehme Stille, aber erhielt keine Antwort. Schweigend blickte Soul teilnahmslos in die gähnende Leere der Finsternis und lauschte den Geräuschen der Nacht.

Silver sah auf seine Hände herab, ballte sie zu Fäusten und entspannte seine Finger einen Herzschlag später wieder. Ihm war, als trenne eine unsichtbare Wand ihn von Soul, die er nicht zu überwinden vermochte. „Weißt du… Als ich jünger war, war mir auch die Meinung einer Person sehr wichtig.“

Soul hob den Kopf und schaute Silver an, ungläubig, dass er einst anders war, als er heute war. Sie konnte ihm ansehen, dass er sich unwillkürlich anspannte. „Wem?“

„Meinem Vater“, erwiderte Silver, während seine Hände sich zu Fäusten ballten. „Ich habe immer versucht es ihm recht zu machen, aber nie war er zufrieden.“ Er wandte ihr seinen Kopf zu, lächelte. „Diese Erfahrung hat mir gezeigt, dass ich meinen eigenen Weg gehen muss. Daher tue das, was dir richtig erscheint.“

„Richtig?“ Melancholie erfüllte das Mädchen. Erneut verstärkte sie den Griff um ihre Beine, zog diese eng an ihren Körper, als stünde sie an einem Abgrund und versuchte Halt zu finden. „War es richtig, dass ich meine Pokémon in einen Kampf geschickt habe, von dem ich wusste, dass ich ihn verlieren würde?“

Als Silver sich in Schweigen hüllte, legte Soul ihren Kopf auf ihre Knie. „Ich habe gewusst, dass ich dem Kampf nicht gewachsen sein würde, und trotzdem habe ich Hideki herausgefordert.“

Abrupt spürte Soul den unfassbaren Blick ihres Rivalen auf sich ruhen. „Du hast Hideki, die Legende, herausgefordert?“ Zweifel lagen in Silvers Stimme, aber diese konnte Soul ihm nicht übel nehmen. Wohl niemand hatte den Mut gefunden, um gegen Hideki, den besten Trainer Johtos und Kantos, zu kämpfen. Sie aber hatte ihn herausgefordert.

Und verloren.

Ein Nicken bestätigte ihm seine Frage. „Auf dem Gipfel des) Silberbergs.“

Fassungslos schweiften seine Blicke von ihr ab. Immer wieder schaffte das Mädchen ihn zu beeindrucken. Sie war – wie sollte er es sagen? – einzigartig, draufgängerisch. Unerwartet lachte er schallend auf. „Und du willst nicht mutig sein! Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich dich wahnsinnig nennen.“

„Nenn mich wie du möchtest“, sagte das Mädchen kühl. Tränen kullerten an ihren Wangen herab.

Silver starrte sie an, sah ihre Tränen und fühlte, wie unangenehm es ihm war.„Äh… Weinst du?“, erkundigte er sich vorsichtig. Welch bescheuerte Frage! „Ich wollte dich nicht zum Weinen bringen.“ Als sie bloß ein leises Schluchzen erwiderte, fühlte Silver, dass sie ihm nicht gleichgültig war.

„Du bist nicht feige, Soul“, versuchte Silver sie zu besänftigen, wohl darauf bedacht die richtigen Worte zu finden. Verdammt, so was lag ihm gar nicht! „Du hast Team Rocket zerschlagen, und du hast Wataru besiegt.“ Er verfiel in Schweigen, bevor er eindringlich hinzufügte: „Du bist das mutigste Mädchen, das ich je kennen gelernt habe.“

„Aber ich bin es nicht! Ich verstecke mich hinter meinen Pokémon, um anderen nicht zeigen zu müssen, dass ich in Wahrheit schwach bin“, schluchzte Soul und vergrub ihr Gesicht zwischen ihren Knien.

„Soul“, flüsterte er leise, zögerte als er ihr eine Hand auf die Schulter legen wollte. Wie so oft in seinem Leben fühlte sich Silver hilflos, auch wenn das Wohlbefinden von Fremden ihn nicht interessierte. Aber bei Soul? Sie war so etwas wie eine Freundin geworden, obwohl er in der Vergangenheit nicht besonders freundlich gewesen war, sondern war ihr stets arrogant und kalt begegnet, dennoch hatte er etwas von ihr gelernt – zu vertrauen. Und es schmerzte ihn, sie unglücklich zu sehen. Oft hatte Soul ihn angespornt, ihm Mut gegeben. Daher verdrängte Silver jeden Gedanken an ihre Rivalität und legte einen Arm um das Mädchen, um sie an sich zu ziehen, während Soul es geschehen ließ.

Die Finger krallte Soul in den schwarzen Stoff seiner Jacke und verbarg ihr Gesicht an seiner Schulter. Hemmungslos begann sie zu weinen, als fiele eine schwere Bürde von ihr herab.

„Es ist normal, zu verlieren. Jeder verliert“, begann Silver zaghaft, der sich innerlich für seine Ratlosigkeit verfluchte, dennoch stahl sich ein Lächeln auf seine Lippen. „Ich muss es ja schließlich wissen. Du hast mir oft genug in den Hintern getreten.“ Er ließ seine Hände über ihren Rücken kreisen, versuchte sie zu beruhigen und war erleichtert, als der Tränenfluss verebbte. „Es ist normal, wenn man sich Gedanken macht, warum man verloren hat.“

Während sie ihren Kopf auf seiner Schulter ruhen ließ, wandte sie ihm den Blick zu. „Und was hast du getan, wenn… wenn ich dich besiegt habe?“

Nachdenklich lehnte sich Silver zurück und gewährte ihr, dass sie ihn weiterhin als Kopfkissen benutzen zu dürfen. „Ich habe trainiert wie ein Vollidiot, weil ich nicht verstanden habe, was dieser Drachenfreak damals zu mir gesagt hat“, sagte Silver, betonte seine Abneigung Wataru gegenüber, als er ihn indirekt nannte. „Dass meine gefühllose Art Pokémon zu trainieren falsch sei…“ Bedrückt schwieg der Junge und schaute in den schwarzen Himmel, an dem vereinzelt leuchtende Punkte zu sehen waren.

„Ja, Vollidiot ist passend“, offenbarte Soul ihre Bezeichnung für ihn. „Wie oft du mich angerempelt umgestoßen hast… Ich hatte sicher unzählige blaue Flecken.“ Sie verfiel in ein melancholisches Lächeln. „Und wie sehr ich dich vor einiger Zeit noch gehasst habe, wie du deine Pokémon behandelt hast.“ Damals war noch alles so einfach gewesen. Sie war eine schlichte Trainerin, ohne Rang und Verantwortung. „Aber du hast dich verändert“, fügte sie flüsternd hinzu, während sie ihre Augen geschlossen hatte und tief durchatmete. Sein Geruch drang in ihre Nase, und da wurde ihr bewusst, dass sie noch immer an ihn schmiegte. Sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss und entwand sich seiner Umarmung.

Verwirrt sah Silver sie an, begann jedoch zu feixen, als er ihre geröteten Wangen sah. Ob seines Grinsens entspannte sich das Mädchen wieder und sah auf den durchnässten schwarzen Stoff herab. „Ich hab dich voll geheult“, stellte Soul missmutig fest und deutete auf die feuchten Flecken.

„Egal.“

Mit gesenktem Haupt saß sie neben ihm, schwieg. „Das… Das Gespräch hat sehr gut getan“, gestand Soul. In diesem Moment war sie der Wahrheit verpflichtet. Verleugnen konnte sie es nicht, dass sie sich durch Silvers Worte ermutigt fühlte, als ob sie aus einem langen Schlaf erwachte. „Danke.“

Silver schaute sie schwach lächelnd an, froh darüber, dass sie nicht mehr bedrückt wirkte. Er wollte Soul weder unglücklich noch entmutigt sehen. Das Mädchen war stets fröhlich, bezauberte ihre Mitmenschen mit ihrer nie enden wollenden Freude und Güte. „Was wirst du nun tun?“

Soul zuckte mit den Schultern, nicht wissend, was sie als nächstes tun sollte. Ein Hauch von Wehmut hüllte das Mädchen, als sie an ein Gespräch zwischen ihr und Kaoru dachte, der ihr damals mitgeteilt hatte, dass er nach Hoenn gehen wollte. Und sie? Sie war durch ihre Pflichten an Johto gekettet. „Ich weiß nicht. Vielleicht besuche ich mal meine Mutter und gönne mir eine Auszeit“, antwortete die junge Champion. Wie lange war es her, dass sie ihre Mutter besucht hatte?

„Verstehe.“

„Und du?“

„Genau wie du“, gab Silver trocken zu. „Keine Ahnung.“

Erneut breitete sich Schweigen zwischen den Jugendlichen aus, die in die tanzenden Flammen des beinahe gänzlich herab gebrannten Lagerfeuers starrten.

„Es ist spät. Wir sollten uns schlafen legen“, wies Silver schließlich auf die vorangeschrittene Zeit hin. Er deutete auf seinen Schlafsack, der rund zwei Meter vom Feuer entfernt lag. „Ich nehme an, du hast auch einen?“

Knapp nickte Soul und deutete mit einer Kopfbewegung auf ihre Taschen. „Liegt da“, sagte sie und erhob sich daraufhin. Sie machte sich daran den Schlafsack neben Silvers auf der Erde auszubreiten, während sie glaubte, dass Silvers Augen auf ihr ruhten.

Eines kurzen Blickes warf Soul Silver zu, um sich zu vergewissern, dass dem wirklich so war. „Was ist?“

Ihre schroff klingende Frage riss ihn aus seinen Gedanken. Er sah sie an, räusperte sich. „Nichts.“ Aber seine Lippen verzogen sich zu einem schwachen Lächeln, verrieten ihn seine Gedanken und ließ Soul bloß ungläubig mit dem Kopf schütteln. Sie verkniff sich jedoch eine spitze Bemerkung ob seines fragwürdigen Verhaltens. Stattdessen setzte sich Soul nun nieder und kletterte in ihren Schlafsack.

Einen Moment später vernahm sie das Rascheln seines Schlafsackes, in den sich Silver zu legen schien. Dann kehrte erneut Stille ein. Eine Weile lag die Trainerin wach in ihrem Schlafnest, dachte schweigend nach. „Silver?“, erklang Souls behutsam wirkende Stimme.

„Hm?“, war die leicht genervte Erwiderung. Der Stoff raschelte, als Silver sich zu ihr wandte. Auge im Auge sahen sie sich nun einander an.

„Danke nochmals…“, flüsterte Soul, bevor sie sich abwandte und sich im Schlafsack zusammen rollte. Ihre Lider schlossen sich über ihren Augen, und Soul versank bloß wenige Minuten später in den Schlaf.

Regungslos sah Silver das Mädchen an, lächelte. „Schlaf gut.“

Ein Sturm bricht los

„Wir sollten langsam los.“

Das Mädchen, welches zuvor den Rücken abgewandt hatte, drehte ihren Oberkörper in die Richtung, aus dem der offenkundige Tadel stammte. Sie musterte Silver aufmerksam, dessen Stimme kühl, beinahe unnahbar, klang und die Arme vor der Brust verschränkt hatte. Ungeduldig wirkte der Junge, als säße ihm ein Schwarm Bibor im Nacken.

„Warum die Eile?“, wollte Soul gereizt wissen, denn zuerst hatte Silver es gewagt, sie unsanft aus dem Schlaf zu reißen, und nun setzte dieser unsensible Mensch sie – ein Mädchen! – unter Druck. Den Göttern sei Dank hatte sie kein Spiegel bei sich! Wie ihre Haare wohl aussehen mochten?

„Du trödelst“, knurrte Silver, ebenfalls missmutig. „Wir hätten schon lange unterwegs sein können.“ Unruhig wie er war, wechselte Silver von einem Bein auf das andere.

Entrüstet schnaubte Soul ob des von ihm erwähnten Vorwurfes. Trödeln?! Er hätte sie auch früher wecken können anstatt sie schlafen zu lassen!

„Hast du dich jetzt entschieden, wohin du gehen willst?“, sprach sie neugierig aus, anstatt ein Wortgefecht mit ihm zu beginnen, zu dem sie sich so früh morgens nicht imstande fühlte. Durch das unsanfte Wecken fühlte sich das Mädchen abgespannt und erschöpft. Zu spät hatten sie gestern entschieden, sich schlafen zu legen, dennoch schlich ein Lächeln auf ihre Lippen, als sie an das Gespräch dachte. Es war, als wäre eine schwere Bürde von ihren Schultern gefallen. Soul fühlte sich so glücklich, wie schon lange nicht mehr. Aus diesem Grund spürte die Trainerin eine tiefe Dankbarkeit zu dem Jungen, aber das grobe Wecken nahm sie ihm übel!

„Ja, nach Viola City“, erwiderte Silver auf ihren fragenden Blick hin, während er seine wenigen Habseligkeiten in seinen Beutel packte. „Ich erwäge Hayato herzufordern.“

Soul hielt in ihrer Bewegung inne und sah überrascht zu ihm hinüber. „Was? Aber warum?“

Unwissend zuckte Silver mit den Schultern. Erst letzte Nacht war diese feste Entschlossenheit stärker als je zuvor geworden, obwohl er schon seit wusste, aus welchem Grund er diese Entscheidung getroffen hatte. Vielleicht war es die Tatsache, dass er sich neue Ziele setzen musste - sich etwas beweisen wollte.

„Ich habe mich für einen Weg entschieden, genau so du deinen Weg gefunden hast“, erwiderte Silver bestimmt. „Ich werde meine Kräfte mit den Arenaleitern messen, und irgendwann werde ich“, Silver drückte energisch gegen ihr rechtes Schulterblatt und sah ihr grinsend in die Augen, „dich schlagen.“

Soul blickte ihn wenige Herzschläge lang an, ehe sich ihre Lippen zu einem Lächeln verzogen. „Ich finde gut, dass du dir ein Ziel setzen willst. Schließlich braucht jeder einen Plan“, sagte sie anerkennend, während sie merkte, dass ihre geringe Meinung über den Trainer immer weiter in den Hintergrund trat, obwohl sie stets daran gezweifelte hatte, dass sich Silver wirklich ändern konnte. Was bewegte einen Menschen dazu seine Einstellung gänzlich abzulegen? Sie konnte sich diese Frage nicht beantworten. Vielleicht fand sie diese Antwort eines Tages und würde Silver demnach besser verstehen können, aber in diesem Moment blieb er ihr noch ein Geheimnis.

„Wir werden den Bergpass durch die Dunkelhöhle nutzen“, riss Silver das Mädchen aus ihrem Gedankenstrom, die ihn verwirrt ansah. Sie vertrieb die Grübeleien und verstand langsam, was sein Vorhaben aussah. „Gehen? Da brauchen wir einen ganzen Tag, um nach Viola City zu kommen!“, empörte sich Soul. Sie pflegte kein Bedürfnis danach zu Fuß nach Neuborkia zu wandern. Zudem war ein Tagesmarsch verlorene Zeit, wenn man eine komfortablere Möglichkeit hatte zu reisen.

Aufgrund des Widerspruchs grollte Silver genervt. „Hast du eine bessere Idee, Champ?“ Mädchen mussten immer widersprechen oder meckern. Dies war der Grund, warum er lieber die Einsamkeit genoss, als in Gesellschaft zu reisen.

Abwägend spielte Soul mit einem Pokéball zwischen ihren Fingern, sah aus den Augenwinkeln zu Silver, der seinerseits sie mit einem bohrenden Blick begutachtete. So warf sie in einer nahezu fließenden Bewegung den Pokéball in die Höhe, aus dem sich ein mannshoher Greifvogel formte, der seine Schwingen genüsslich dehnte und streckte. Der drahtige, schlanke Körper des Pokémon wurde von gut gepflegtem, beige-braunem Gefieder bedeckt, während der rote Kopfschmuck sich alarmierend abhob. Seinen Klauenfüßen entsprangen jeweils drei messerscharfe Krallen, die eine gefährliche Waffe des Nahkampfs darstellten. Dem Fischadler entfuhr ein verwegener, ja euphorischer Kriegsschrei.

„Warum fliegen wir nicht? Die Winde über den Bergen stehen heute günstig“, schlug Soul ihm vor, denn dies würde ihnen erheblich Zeit sparen, „und außerdem haben wir gutes Wetter. Die Sonne scheint!“

Tauboss’ Kopf wandte sich ruckartig um, und er starrte Silver durchdringend, fast hasserfüllt, an. Sein gebogener Schnabel öffnete sich, als der Greifvogel warnend fauchte, aber Soul legte ihm die Hand auf die Schulter. „Ach komm schon“, versuchte Soul Silver zu seinem Einverständnis zu drängen. „du bist doch noch nie auf einem Vogelpokémon geflogen! Und keine Sorge, ich bin ja dabei.“´ Aufmunternd zwinkerte sie ihm zu.

Es war offensichtlich, und dies war dem Rothaarigen bewusst, dass Tauboss eine Antipathie gegen ihn hegte. In der Vergangenheit war er nicht gerade freundlich zu Soul gewesen, was er heute bereute, aber es waren eben diese Taten, die das mächtige Vogelpokémon ihm nun übel nahm und nicht zu verzeihen schien. Daher bezweifelte er, ob Tauboss ihn auf seinem Rücken dulden würde, auch wenn er mit Soul flöge. Wäre es eine gute Idee, den Adler weiterhin zu reizen?

Silvers Aufmerksamkeit galt nun Soul, die aus einem Beutel ihrer Tasche lederne Stricke hervor holte, an denen drei Schlaufen unterschiedlicher Größe angebracht waren. Er wusste nicht, welchen Zweck das gesamte Lederwerk erfüllte, deswegen sah er Soul schweigend zu.

Diese schritt auf Tauboss zu, welches den Kopf augenblicklich seiner Trainerin zu wandte, sie dann aber geduldig an sich heran ließ, als sie die lederne Maschen um den Hals. Anschließend legte sie die fehlenden Schlingen um seine Beine, die Velox bereitwillig anhob. Noch hingen einige Riemen schlaff an Tauboss’ Leib herunter, die aber mittels Karabinerhaken an mittelgroßen Metallringen befestigt wurden.

Soul zog das vollkommene Geschirr straff, sodass sie demnach unterhalb der Flügel und über den Rücken am Halsstück zusammenliefen. Zwei weitere, nicht gebrauchte Metallringe waren am Rückengurt angebracht.

Obwohl Silver Soul aufmerksam beobachtete, konnte er kein sichtliches Muster aus den zahlreichen Gurten erkennen. „Was machst du da?“, fragte er barsch, beinahe ungeduldig knurrend.

Soul blickte auf, als sie Ordnung in die Verlaufsbahnen der Riemen gebracht hatte, und nun einen weiteren Riemen um den Ansatz des Schnabels legte, an dem ebenfalls metallene Ringe angebracht waren, die wiederum Zügel und Leinen hielten.

Dann wandte sich Soul an Silver. „Was meinst du? Etwa das Geschirr?“, vergewisserte sich Soul, die, nachdem dieser knapp genickt hatte, fortfuhr: „Ich bin bei einem Luftkampf gegen Apollos‘ Brutalanda bei einem Manöver von Velox’ Rücken gestürzt. Es ist gerade noch knapp ausgegangen, aber trotzdem hat Hayato nach diesem Unfall ein angepasstes Geschirr für Velox anfertigen lassen, damit sich ein vergleichbarer Vorfall nicht wiederholen würde.“

Ein letztes Mal prüfte Soul sorgsam das Geschirr und das Zaumzeug und klopfte Velox auf die Schulter, der ein tröstendes Gurren verlauten ließ. „Hier, nimm das hier und schnall es dir um die Hüfte. Mit dem Karabinerhaken sicherst du dich dann an den Metallringen, damit du, wenn du fällst, wenigstens noch an Velox klebst anstatt am Boden.“ Sie setzte ein verzerrtes Grinsen auf die Lippen und lachte leise.

Silver stieß einen mürrischen Ton aus, als er seinen Ohren nicht zu trauen wagte. In keinem seiner Worte hatte er, dem Vorschlag nach Viola City zu fliegen, eingewilligt! „Ich habe nicht zugestimmt, dass wir fliegen!“, zischte Silver wütend, nachdem er rasch auf das Mädchen zugetreten war und sie rüde am Handgelenk packte.

Durch den eisernen Griff des Trainers verzog Soul schmerzerfüllt ihr Gesicht, doch Tauboss ließ Soul kaum eine Sekunde, um selbst zu antworten.

Augenblicklich krümmten sich die messerscharfen Krallen des Greifvogels, dem ein tobender, schriller Vogelschrei entkam. Velox spreizte seine mächtigen Flügel und richtete sich zu seiner vollen Größe auf, während sich sein Gefieder entlang des Rückgrats zu sträuben begann. Diese Unverschämtheit würde er sich nicht bieten lassen!

Souls Blicke wirbelten herum, alarmiert durch den Wutschrei des Tauboss, der sich auf Silver zu stürzen drohte. Sie riss sich los, als dieser seinen Griff vor Schreck lockerte, und stellte sich zwischen dem Greifvogel und dem rothaarigen Trainer. Beschwichtigend hob sie ihre Hände. „Halt!“, rief Soul selbstbewusst. Sollte man dem stolzen Tauboss entgegen treten, so durfte man keinen Augenblick sich fürchten oder gar zögern!

Velox war freiheitsliebend, ein Rebell, der sich gegen jegliche Fesseln, die man ihn auferlegen wollte, wehrte. Auch dieses Mal protestierte der Greifvogel und schlug mit den Flügeln nach seiner Trainerin, aber diese blieb standhaft und ließ sich keine Furcht anmerken. Sie kniff bloß die Augen zusammen, denn der scharfe Luftzug wirbelte Staub auf, der ihr die Tränen in die Augen steigen ließ.

„Hör auf“, schärfte sie Tauboss ein, der sie anfauchte, als sie nicht nachzugeben schien. Eine ganze Minute verstrich, ehe sich das aufgebrachte Blut wieder abkühlte und Velox seine Flügel wieder an seinen Leib presste, sah aber nicht davon ab, das Fauchen verstummen zu lassen.

So ließ auch Soul wieder ihre Arme sinken und beäugte das mannshohe Vogelpokémon, das einen unvorsichtigen Menschen wohl mit Leichtigkeit zu töten vermochte.

„Du solltest aufpassen, was du tust“, sagte Soul an Silver gewandt. „Velox scheint dir deine Taten noch immer übel zu nehmen.“

Silver stieß einen abfälligen Laut über seine Lippen aus. Er hielt den Blick von Soul abgewandt, aber sie konnte spüren, dass ihm die Tatsache auf Tauboss fliegen zu müssen, nicht behagte. „Was erwartest du? Eine Entschuldigung?“ Nun drehte er sich zu dem Mädchen gänzlich um, musterte es mit seinen grauen Augen, die beinahe wie bedrohlich wirkende Katzenaugen wirkten. „Ich denke kaum, dass Tauboss ein ‚Tut mir Leid’ akzeptieren würde.“

Ergeben seufzte Soul. Mit diesem Argument behielt er sogar Recht. Auch wenn es ein Fehler gewesen sein mochte, wie Silver oft gesagt hatte, verzieh Tauboss diesen so genannten Fehltritt nicht. Immerhin hatte Silver seine Trainer in aller Öffentlichkeit bloß gestellt!

Aus diesem Grund keimten auch bei ihr jetzt Zweifel auf, schlichen sich auf leisen Sohlen ein und trübte ihren Willen, aber sie schüttelte ihren Kopf, um die Gedanken fort zu jagen. Sie wollte nicht zu Fuß gehen müssen. Immerhin war sie Tauboss’ Trainerin, daher musste das Pokémon ihren Anweisungen Folge leisten. Ob Tauboss dies einsehen würde?

„Velox“, sprach Soul den Greifvogel behutsam an. Zu manchen Zeiten ertappte sich die Trainerin noch dabei, wie sie selbst eine sachte Furcht verspürte, wenn sie Tauboss eine Bitte unterbreitete, „ich weiß, dass du Silver nicht besonders magst, aber fliegst du uns trotzdem nach Viola City?“

Nicht besonders mögen? Eine vollkommene Untertreibung! Soul verspürte ein Prickeln auf ihrer Haut, als Tauboss sie durchdringend ansah. Sie fühlte sich unerwartet entblößt, als entscheide ihr Pokémon über ihr Schicksal. Absurder Gedanke, dennoch war Velox unberechenbar und handelte stets aus einer Laune heraus, die Soul nicht vorhersehen konnte. Binnen weniger Sekunden konnte sich das Gemüt des Greifvogels ändern. Seine Krallen vermochten ihr Leben rasch zu beenden.

Schließlich glitten Velox‘ Augen zu Silver, der regungslos ausharrte, sein Brustkorb hob und senkte sich in schwacher Anspannung, ehe er sich gänzlich von den Jugendlichen abwandte und ihnen seinen Rücken darbot.

Obwohl Tauboss einwilligte, zögerte Soul wenige Herzschläge lang, nicht wissend, ob sie dem offenbarten Frieden trauen sollte. Vielleicht schwelte der Ärger über Silver noch immer und sie bemerkten es nicht?

Als sie dann aber Silvers Blicke auf sich zu spüren glaubte, vertrieb sie ihre Skepsis und wollte nicht, dass ihr Rivale ihre Furcht ansah.

Daher schritt sie auf Velox zu, legte ihm eine Hand auf die Schulter und fühlte die Muskeln, die unter den Federn pulsierten, als wären sie lebendig. Der lieben Vorsicht zu liebe kontrollierte Soul abermals die Riemen, fand jedoch keinen Makel. Sie schmiegten sich nahezu an Velox’ Leib.

Soul bückte sich nieder, nahm zwei Gurte in die Finger, die eine gewisse Ähnlichkeit mit der Sicherungsausrüstung eines Bergsteigers aufwiesen, und reichte eines von ihnen an Silver weiter, der sie mit einem wortlosen, fragenden Blick musterte, so als erwarte er eine Anweisungen von dem Champion.

Soul aber schenkte ihm nur ein Schweigen, während sie die Gurte um ihre Beine und Hüfte schnallte und sich vergewisserte, dass alles seine Richtigkeit hatte. Erst dann richtete das Mädchen ihren Blick auf ihn und lächelte, als sie den fragenden Ausdruck in seinen Augen erkannte. „Leg es dir an die Hüfte an und klinke dich dann mit dem Karabinerhaken“, Soul deutete auf die unbenutzten Metallringe, während sie sich selbst mit einem leisen Klicken an Tauboss’ Rücken sicherte und dann wieder ausklinkte, „hier fest.“

In wortloser Verärgerung verzog Silver seine Lippen, sah aber davon ab, sich erneut gegen diesen Vorschlag zu wehren, daher tat es ihrem Beispiel nach. Was sollte dies bringen sich derartig zu sichern, als würde man einen Berg besteigen?

Diesen Gedanken tat er seiner Begleiterin kund, die bloß ein Seufzen für ihn übrig hatte. Hatte er etwa Angst? Dennoch erwiderte Soul geduldig: „Bei längeren Strecken auf einem Vogelpokémon ist es immer besser, wenn man sich sichert.“ Sie fuhr mit den Händen über den kräftigen Hals des Greifvogels und kraulte ihn unterhalb des Kopfes, was ihm ein zufriedenes Gurren entlockte. „Auf einem Ibitak oder Tauboss zu reiten, ist nicht gerade komfortabel wie auf einem Dragoran oder einem Libelldra zu fliegen, weil sie leichter sind als andere flugfähigen Pokémon.“

Soul ließ ihre Hand auf den Rücken des Tauboss gleiten, der sich nun in eine hockende Stellung begab, um den Jugendlichen den Aufstieg zu erleichtern. Sie hielt sich am Geschirr fest, während sie sich rasch auf den Rücken zog. Sie sicherte sich mit einem schnellen Handgriff und wandte sich dann Silver zu, der an Tauboss heran getreten war. Soul hielt ihm die Hand hin, aber er weigerte sich ihre Hilfe anzunehmen.

Velox öffnete leicht den Schnabel aus dem ein bedrohliches Zischen kam, als Silvers Finger das Geschirr umfassten, und er sich langsam hochstemmte.

Soul konnte seine feste Wärme spüren, und diese Tatsache jagte ihr im ersten Moment eine tiefe Furcht ein. Um ihre Unsicherheit zu überspielen, fragte sie: „Bist du gesichert? Und rupf Velox bloß keine Federn aus!“

Ein knappes „Ja“ vernahm sie, was sie mit einem kurzen Nicken anerkannte. „Velox, bring uns nach Viola City.“ Dann nahm Soul die Zügel auf und schnalzte mit der Zunge.

Schatten legten sich über Tauboss’ Augen und beinahe wirkten sie, als verdunkelten sie sich, während der Greifvogel seine mächtigen Schwingen ausbreitete. Einen Herzschlag lang standen sie diagonal zum Boden. Dann schnellten die Flügel herab, und Tauboss stieß sich mit einem Mal kraftvoll vom Boden ab. Kurz und heftig zerrten Windböen an den Bäumen, als sich der Greifvogel mit ruckartigen Flügelschlägen über die Baumwipfel begab.

Ein erschrockener Laut entfuhr dem Mädchen. Soul keuchte schmerzerfüllt auf, nachdem sie unsanft nach vorne geworfen wurde. Tosende Luftwirbel schüttelten Soul und Silver durch und pressten die Atemluft aus ihren Lungen.

Der Rothaarige erhaschte einen Blick auf den Fluss und Ebenholz City, allerdings wich die Stadt rasch in eine weite Entfernung. Sein Magen rebellierte, und er umklammerte Souls Hüften. Seine Finger bohrten sich regelrecht in ihr Fleisch. Verbissen konzentrierte er sich auf Souls Rücken und versuchte die aufsteigende Übelkeit zu unterdrücken, während sie immer höher in die Lüfte empor stiegen.

Abermals schlug Tauboss seine Schwingen aus, begleitet von einem verärgerten Kreischen, aber Soul fühlte, wie sich die Muskeln des Vogels verkrampften und spärlich dehnten. Ein taktloser Rhythmus, den die Trainerin nicht gewohnt war.

Velox’ Schwingen blähten sich, als er seine Flügel senkrecht stellte, und der Greifvogel sich waagerecht legte, wagte Silver seinen Oberkörper durchzustrecken und fand den Mut sich umzuschauen. Die Luft war so eisig, dass sich Raureif auf seinen Wimpern bildete.

Sie hatten die Berge schneller erreicht, als Silver für möglich gehalten hätte. Aus der Luft sahen die Gipfel aus, wie monströse, rasiermesserscharfe Reißzähne, die nur darauf warteten sie aufzuschlitzen.

Seine schreckensgeweiteten Augen richtete er auf Souls Hinterkopf, die sich in jenem Moment mit ihrem Oberkörper zu ihm wandte. „Er ist normalerweise nicht so“, versuchte sie ihm zu erklären. „Er will nur spielen.“

Ein bitteres Lächeln legte sich auf Silvers Lippen. „Welch schwacher Trost“, presste er mühsam hervor.

Plötzlich floss ein starkes Zittern durch Tauboss’ Muskeln, als der Greifvogel seinen rechten Flügel an den Leib presste.

Die Welt drehte sich, als Velox sich nach rechts rollte, mit dem Rücken rasend schnell dem Erdboden entgegen. Silver rutschte ab, sogleich strafften sich die Riemen. Er leckte sich über die Lippen, schmeckte Galle und vergrub sein Gesicht in Souls Rücken.

Kurz bevor sie den Erdboden erreicht hatten, ging abermals ein Ruck durch Tauboss’ Körper, und der Greifvogel schoss erneut in die luftigen Höhen des Himmels empor. Die kräftigen Flügelschläge erstarrten, als sich Tauboss zur Seite wegkippten ließ.

„Und jetzt die Rolle!“, kündigte Soul finster an. Dann ging Velox in eine Schwindel erregende Drehung über. „Vielen Dank, du nutzloser Vogel!“

Soul konnte den Boden unter sich sehen, als sie den Kopf nach hinten drehte. Oder war der Boden über ihnen? Sie biss die Zähne aufeinander und presste die Schenkel zusammen, als fürchte sie noch immer vom Rücken zu fallen.

Bald waren sie von Bergen umgeben, die gewaltige weiße Wände bildeten, durchbrochen von schroffen Granitklippen. Die blauen Gletscher wirkten zwischen den Gipfeln wie gefrorene Flüsse. Lange Täler und Schluchten öffneten sich unter ihnen.

Sie hörten das aufgeregte Kreischen von Vögeln, als diese das mächtige Tauboss erblickten. An einem Steilhang sahen sie eine Herde Donphan ruhen.

Soul und Silver wurden von den Luftwirbeln, die Tauboss’ Flügel verursachten, durchgeschüttelt und immer wenn der Greifvogel die Richtung änderte, kippten sie von einer Seite zur Anderen.

Tauboss schien unermüdlich zu sein. Sie hatten schon die Befürchtung, dass Velox sie niemals nach Viola City bringen würde, aber schließlich wich die abweisende Gebirgskette allmählich, rollte sich unter ihnen zu einer geschmeidigen Hügellandschaft aus, deren Anhöhen von einem sandigen Braun und dürren Sträuchern bedeckt waren.
 

Mittlerweile hatte die Sonne den Zenit erreicht und wärmten ihre Leiber, obwohl kühle und ungeduldige Winde an ihren Kleidungen rissen. Noch immer konnte Soul die verkrampften Muskeln des Greifvogels unter ihren Händen spüren, den stummen Widerwillen, der über ihnen schwebte.

Als sie die hügelartigen Ausläufer des Gebirges hinter sich gelassen hatten und sich unter ihnen grüne Wiesen und Bäume ausbreiteten, deren Blätter sich im Voranschreiten des Herbstes golden färbten, legte sich Tauboss endlich in einen flachen Sinkflug.

Die Jugendlichen schauten voraus und sahen, dass sie auf das Stadttor von Viola City zu hielten. Ein prachtvoller Rundbogen, der sich geradezu majestätisch vor ihnen erhob und von ebenso anmutigen steinernen Tauboss-Statuen bewacht wurde.

Velox kreiste tiefer, streckte die Beine der Erde entgegen, ehe ein gewaltiger Ruck durch seine Muskeln ging und die Wucht der Landung abfing, als seine Füße auf dem Boden aufsetzten und die Krallen die Erde aufwühlten. Tiefe Furchen blieben nun an jener Stelle zurück, an der Tauboss seine Klauen in den Boden gerammt hatte.

Einen Augenblick harrten die Jugendlichen aus. Sie keuchten vor Erschöpfung, dann rutschte Silver, nachdem er die Sicherung gelöst hatte, vom Rücken des Greifvogels herunter.

Als er aufkam, knickten seine Knie ein, und er sank ermattet am Boden zusammen. Silver stöhnte auf, als ein brennender Schmerz in seine Beine schoss. Seine vom langen Anspannen verkrampften Glieder zitterten wie Espenlaub. Und noch immer rebellierte sein Magen, dennoch riss er sich zusammen. Hier und jetzt durfte sich nicht übergeben. Er hob den Kopf, als Soul sich ebenfalls von Tauboss’ Rücken gleiten ließ. Das Mädchen wankte, dennoch schien sie ihr Gleichgewicht halten zu können. Besorgt beugte sie sich zu ihm nieder, ihre Hand spürte er auf seinem Rücken.

„Bist du in Ordnung?“, erklang ihre behutsame Stimme, die ihn einerseits beruhigte, aber andererseits ihn mit Zorn erfüllte.

Silver stieß ein raues Lachen aus und stieß das Mädchen, sanfter als er es früher getan hatte, von sich weg. „Das fragst du noch?“, spie er spöttisch, während er die am Sicherheitsgurte am Körper löste und sie auf die Erde warf. „Frag doch dein verrücktes Vogelvieh!“, knurrte er wütend. Seine Augen waren dunkel vor Wut, und Soul schrak einen Moment zurück.

„Kann ich dir helfen?“, setzte sie erneut vorsichtig an, nicht wissend, ob er ihre Hilfe annehmen würde.

„Verschwinde!“, zischte Silver. „Ich brauche deine Hilfe nicht!“

Entrüstet schnaubte Soul und wich vor dem Jungen zurück, hielt jedoch seinem wilden, starren Blick verbissen stand. „Idiot! Und ich dachte, du hättest dich geändert“, fauchte sie zurück. „Dabei bist du immer noch so Arceus verdammt stolz! Anstatt dir helfen zu lassen, will der Herr alles alleine schaffen!“ Ihre Wangen waren rosig vor Verärgerung, und ihre Augen blickten ihn aufgebracht an. „Aber warum verschwende ich eigentlich meine Zeit mit solch einem Arschloch?“

Mit diesen Worten kehrte Soul dem Jungen den Rücken zu und schritt eilig zu Tauboss, welches sich nieder duckte, damit sie aufsitzen konnte.

„Nach Hause“, befahl sie knapp, würdigte Silver keines Blickes mehr, als der Boden unter ihren Füßen wich und sich Tauboss in den Himmel schraubte.
 

Lange Zeit schwelte der Ärger über Silver noch, den Soul nicht zu verdrängen wusste. Sie hatte gedacht, dass er sich geändert hätte; hätte gelernt seinen Mitmenschen Vertrauen entgegen zu bringen, aber war sie wieder enttäuscht worden, obwohl sie den gemeinsamen Kampf und seine Gesellschaft am gestrigen Tag als wohltuend empfunden hatte. Vielleicht hatte sie einfach zu viel von ihm erwartet?

Velox, der ihr Wut zu spüren vermochte, schenkte ihr ein tröstendes Gurren, das sie abrupt aus ihren Gedankenstrom aufschrecken ließ. Sie hob ihren Kopf und lächelte.

Ihr Pokémon war klug. Vielleicht hatte Velox mit seiner Antipathie, die sich am heutigen Morgen gegen Silver gerichtet hatte, sogar Recht behalten, dennoch wollte sie die Hoffnung nicht aufgeben.

Angestrengt verbannte Soul die Gedanken an Silver aus ihrem Kopf. Stattdessen zwang sie ihre Konzentration auf den Heimflug. Sie lauschte den ruhigen Atemzügen ihres treuen Gefährten und dachte währenddessen an den vorherigen Flug zurück.

Zu dem Zeitpunkt waren seine Flügelschläge ruckartig und angestrengt gewesen. Jetzt flog Velox gleichmäßig und mühelos. Soul war sich sicher, dass dies ein Ausdruck seines Widerstands gegen Silvers Anwesenheit gewesen war. Noch immer glaubte das Mädchen seine Wärme an seinen Leib zu spüren, seine Hände, die sich um seine Hüfte gelegt hatten… Verdammt! Wollte sie Silver nicht aus ihren Gedanken verdrängen?

Wieder bei klarem Verstand und innerlich über sich fluchend, presste Soul ihre Schenkel an Tauboss’ Leib. Sie musste ihre Gedanken frei kriegen, und dazu brauchte sie Adrenalin in ihrem Blut. „Flieg schneller!“, bat sie atemlos.

Tauboss öffnete den Schnabel. In seinen dunklen Augen war ein schalkhafter Ausdruck zu sehen. Soul hielt die Zügel fest in ihren Händen, als er den Oberkörper hob und steil in noch luftigere Höhen schnellte. Die Stadt – und Silver – schrumpfte unter ihnen zu einem grauen Punkt. Um sie herum türmten sich Wolken zu bizarren Formen auf.

Als sich Velox in den Wind legte, waren die Bäume nur noch winzige Punkte. Die Luft war dünn, eiskalt und kristallklar.

Tauboss kippte zur Seite weg und drehte sich einige Male um seine eigene Längsachse. Der Boden beschrieb eine Schwindel erregende Drehung. Soul verspürte keine Angst, auch wenn der Wind in ihren Ohren dröhnte. Sie fühlte, wie das Blut in ihnen rauschte und das Adrenalin durch ihre Adern pulsierte.

Schließlich balancierte Velox den Flug wieder aus und nutzte einen aufkommenden Aufwind, um noch höher zu steigen, legte aber sogleich wieder seine Schwingen an seinen Leib und schoss wie ein herabstoßender Pfeil zum Boden hinab.

Knapp über den Wipfeln stürmte der Greifvogel vorwärts, berührte diese jedoch nicht, dennoch erzeugten seine Flügel starke Luftwirbel, die die Bäume erzittern ließen, als hielt ein Sturm sie in seinen Fängen, bevor Tauboss sich wieder steil aufrichtete und gen Himmel schoss.

Erst als der Greifvogel wieder in die waagerechte Lage überging, wurde Soul bewusst, dass sie ihr Ziel beinahe erreicht hatten: Verschiedenfarbige Dächer ragten zwischen den Bäumen auf und kündigten das baldige Dorf an, welches ihre Heimat war.

Tauboss näherte sich wieder langsam dem Boden und erreichte die ersten Häuser. Sein dunkler Schatten raste über die Erde, sodass manche Leute, die auf den Straßen Neuborkias wandelten, erschrocken die Köpfe hoben.

Als sie jedoch Soul auf dem Rücken des Pokémon sitzen sahen, entspannten sie sich und riefen einen flüchtigen Gruß dem Mädchen zu, den Soul mit einem knappen Nicken erwiderte.

Daraufhin erreichte Soul ihr Elternhaus: ein kleines, in einem hellen Oliv gestrichenes, Gebäude mit einem flachen Dach. Die Schindeln waren dunkel und wirkten beinahe schwarz. Neben den Fenstern waren Blenden angebracht, die mehr zur Verschönerung waren als einen Nutzen zu haben, denn sie besaßen den Luxus von Rollläden.

Im oberen Stockwerk, das ihr Reich war, waren die Fenster schmaler, und eine traditionelle Schiebetür, auf die Soul beim Umbau des Hauses bestanden hatte, führte zum Balkon, ihrem Balkon.

Das Holz, aus dem der Türrahmen, die Umrisse der Fensterläden und das Geländer des Balkons gefertigt waren, war in einem hellen Ton, aber Soul wusste nicht, welche Art Holz es war. Zwar hatte sie, mehr oder minder, tatkräftig beim Bau des Wohnsitzes mitgeholfen, aber sie war damals noch zu klein gewesen, daher verblassten allmählich die schönsten Erinnerungen ihres Lebens.
 

Lautlos glitt Tauboss dahin und sank tiefer hinab sank, während seine Flügel sich senkrecht stellten und Staub aufwirbelten, als er sich auf den Boden nieder ließ. Soul konnte es kaum mehr erwarten nach Hause zu kommen: Velox hatte seine Flügel noch nicht an den Leib gepresst, da rutsche das Mädchen schon von seinem Rücken und die Sicherungsgurte um seine Hüfte abstreifte.

„Warte hier!“, sagte die Brünette rasch an ihr Pokémon gewandt. Beinahe ungeduldig zerrte sie ihren Schlüssel aus ihrer Tasche und steckte diesen ins Schloss, welches nach wenigen Sekunden aufsprang.

„Mum! Ich bin wieder da!“, rief sie durch das Haus und ließ ihren Schlüssel in eine kleine Schale auf einer Kommode sinken. Einige Herzschläge lang wartete sie.

Dann neigte sie leicht ihren Kopf, als das leise Schleifen von Tauboss’ Krallen auf dem Holzboden an ihre Ohren drang.

Soul tadelte Velox nicht, welches wohl darauf bedacht den Boden nicht mit seinen Krallen zu zerkratzen. Der Greifvogel hatte sich in eine geduckte Haltung begeben und öffnete leicht den Schnabel. Besonnen gurrte er, als er Souls Mutter, eine hübsche Frau mittleren Alters, die Treppen hinabsteigen sah. Ihre kinnlangen Haare, die in einem ebenso sanften haselnussbraunen Ton war wie ihre Augen, umschmeichelten ihre Kiefer.

„Schatz!“, nahm sie ihre Tochter in einen herzlichen Empfang. Soul war sichtlich glücklich ihre Mutter zu sehen, all den Ärger über Silver vergessend. „Wie geht es dir? Ich habe dich eine Ewigkeit nicht mehr gesehen!“

„Mir geht es gut, Mum, du kannst mich wieder loslassen“, meinte das Mädchen seufzend und fühlte, wie ihre Mutter die Umarmung löste.

Soul musterte ihre Mutter. Ihre Haut war blass, blasser als sie in Erinnerung hatte. Arbeitete sie wieder zu viel?

„Mum, wie geht es dir denn? Arbeitest du wieder viel in der Redaktion?“, äußerte sie ihren Gedanken besorgt.

Ihre Mutter war Journalistin bei den Johto Times, und Soul war durchaus bewusst, dass sie oftmals von einer finanziellen Unsicherheit ergriffen wurden. Ihr Wohlstand war stets davon abhängig, wie viele Folgeaufträge ihre Mutter hatte. Mal waren es wenige. Mal mehr Aufträge.

Mayoko lächelte. „Zurzeit habe ich einige Aufträge, aber mir geht es gut.“

Soul sah sie zweifelnd an, legte dann aber ihrer Mutter einen Arm um die Hüfte und bettete ihren Kopf auf ihrer Schulter. „Ich glaube dir zwar nicht, aber wenn du das sagst…“

Ein helles Lachen entgegnete Mayoko ihrer Tochter. „Hast du Hunger? Ich habe gerade Mittag gemacht.“

Soul blickte auf und fühlte sich wieder an jemanden erinnert. Durch den raschen Aufbruch hatte sie noch nicht Mal Zeit gehabt anständig zu frühstücken. Und wem hatte sie zu verdanken, dass ihr Magen in diesem Moment lautstark protestierte? Silver!

„Oh ja, wenn es für uns beide reicht“, beteuerte sie grinsend. „Ich wurde heute Morgen etwas… abrupt geweckt.“ Soul unterdrückte erneut den Groll, der erneut in ihre Gedanken zurückkehrte. Ein verächtliches Schnauben unterstrich ihre Verärgerung.

„Wer hat dich denn geweckt?“ Mayokos Augen ruhten auf dem Gesicht des Mädchens, versuchten ihre Mimik zu lesen, die leisesten Andeutungen ihrer Gefühlregungen.

„Ach, das ist unwichtig“, wehrte Soul rasch ab und wollte Silver endlich aus ihrem Kopf verdrängen. „Niemand, der wichtig ist.“ Und es wert ist, dass man sich Gedanken über ihn macht, fügte sie in Gedanken hinzu.

Mayoko zog ungläubig ihre Augenbrauen hoch und sah ihre Tochter zweifelnd an. „Du verheimlichst mir etwas.“

„Verheimlichen? Ich? Wie könnte ich dir etwas verheimlichen, Mum?“, lachte Soul erheitert. Sie trat in die kleine Küche, die durch das helle Holz der Schränke besonders hell erschien. Sie wandte ihrem Blick zwei Töpfen zu, die auf dem Herd standen. Parallel zum Herd, in einer U-Form, waren Kühlschrank und daneben der Ofen, der in die Front eingelassen war. Wandte man sich um neunzig Grad, so hatte meine eine kleine Nutzfläche vor sich, darunter die Spülmaschine und angrenzend das Spülbecken. Mit dem glänzenden Stahl des Ofens und der Spülmaschine hoben diese sich vom Rest der hellen Küche besonders ab, wirkten jedoch alles andere als schäbig.

„Was kochst du denn?“, fragte Soul neugierig, während sie den Geruch des Essens in ihre Lungen sog. Was es wohl sein mochte?

Mayoko schritt zum Herd, nahm den Löffel auf und rührte die Nudeln im Topf um. „Ich bin gerade dabei Sukiyaki zu machen.“

Soul reckte den Kopf, um in den Topf mit der Suppenbrühe zu blicken, dann schweifte ihr Blick zu einer Schüssel, in der Pilze und Chinakohl lagen. Die Zubereitung schien noch nicht sehr weit fortgeschritten zu sein, daher fragte Soul: „Kann ich dir helfen?“

Mayoko aber schüttelte den Kopf. „Nein, brauchst du nicht“, antwortete ihre Mutter lächelnd. „Leg dich doch etwas hin. Du scheinst müde zu sein.“

Erst schwieg Soul, überlegte ob Mayoko mit ihrer Annahme richtig lag, doch tat sie nicht. Als Soul bereits zu Protest ansetzte, stupste Velox ihr an den Arm und zupfte an ihrer Kleidung. Sein tadelnder Blick brachte seine Trainerin zum Schweigen. Wenige Herzschläge lang zögerte die Brünette und seufzte schließlich ergeben. „Überstimmt“, grollte das Mädchen und deutete nun Velox an ihm zu folgen.

„Ich rufe dich dann!“, rief Mayoko ihrer Tochter hinterher, die bloß ein „Okay“ erwiderte, ohne sich umzudrehen. Leichtfüßig nahm sie zwei Stufen gleichzeitig und sprang hastig empor, kaum abwarten zu können, endlich wieder in ihren eigenen vier Wänden zu sein.

Doch Tauboss’ Protestfauchen ließ sie auf dem Treppenabsatz zusammen zucken. „Du kommst nicht die Stufen rauf?“ Sie musterte Velox, dann schätzte sie den Abstand zwischen Geländer und Wand ab und kam zum Schluss, dass Tauboss tatsächlich nicht die Treppe hinauf konnte. So hüpfte Soul rasch die Stufen wieder herab und tätschelte Velox entschuldigend die Schulter, ehe sie die Tür öffnete. „Flieg auf den Balkon, ich mache dir dann oben meine Tür auf.“

Zustimmend nickte der Greifvogel, schritt aus dem Haus hinaus, und Soul sah, als sie Tür ins Schloss fallen gelassen hatte, wie Velox seine Schwingen leicht öffnete, um in die Lüfte zu flattern.

„Soul? Bist du noch da?“, drang Mayokos Stimme aus der Küche.

„Ja, Mum, ich bin noch da. Hab nur Velox die Tür aufgemacht, damit er auf den Balkon fliegen kann“, rief sie zurück. „Du rufst mich zum Essen, ne?“

„Ja, dauert sowieso noch eine dreiviertel Stunde.“

Kaum waren diese Worte ausgesprochen, hastete Soul mit federnden Schritten die Stufen hinauf. Sie schritt dem Flur entlang, an dessen Ende ihr Zimmer lag. Daneben waren das Bad und das Arbeitszimmer, in dem ihre Mutter für gewöhnlich stets hockte.

Als sie Arbeitszimmer vorbeiging, erhaschte Soul einen kurzen Blick auf das dort vorherrschende Chaos. Sie verzog die Lippen zu einem Grinsen. Wie hieß es für bekanntlich? Das Genie beherrscht das Chaos, der Kleingeist behält Ordnung? Bei ihrer Mutter traf es gewiss zu. Der Raum war schon immer tabu für sie gewesen. Wenn sie etwas aus Versehen durcheinander brachte, dann gab es Ärger!

Schließlich wandte Soul sich wieder ab, legte ihre Hand auf die Klinke ihres Zimmers und drückte die Tür sanft auf. Sie schaute sich um und war erleichtert, dass ihr Zimmer noch immer so aussah, wie sie es vor einem Jahr, vielleicht auch etwas mehr, verlassen hatte.

Soul wandte sich dem großen Balkonfenster zu, welches dem Zimmer als großzügige Lichtquelle diente, und schritt zur Tür hin, als Velox bereits ungeduldig am Glas kratzte. Die Türen schwenkten zur Seite weg und boten genügend Platz, sodass sich der Greifvogel nicht besonders Mühe geben musste, um durch den Rahmen zu passen.

Etwas Flammendrotes bewegte sich auf der Couch, die in der linken Ecke des Raumes stand. Genüsslich reckte sich das Wesen und hob träge den kleinen Kopf, nachdem es Schritte auf dem Flur Schritte vernommen hatte.

„Ayu!“

Ein bezauberndes „Vul“ zur Begrüßung der Freundin entkam ihrer Kehle, jedoch machte das Vulpix nicht die Mühe sich zu erheben, sondern ließ Soul zu ihr kommen, die sich eine Weile zur der Füchsin setzte und ihr über das weiche, rote Fell streichelte. Zutraulich stupste Vulpix Souls Hand an, als sie inne hielt, um ihr zu verdeutlichen, dass sie weiter machen sollte. Irgendwann wurden die Augenlider der Fähe schwer. Ihr Kopf sank auf die Vorderpfoten zurück und döste langsam ein.

Leise erhob sich Soul. Sie spürte nun doch, dass die Erschöpfung in ihren Gliedern kroch, und ließ sich ermattet auf das schwarz bezogene Bett sinken.

Einen Moment starrte sie zur Decke empor, schloss dann die Augenlider, da die hereinbrechende Sonne die bordeauxroten Wände besonders farbintensiv anstrahlte. Trat man in das Zimmer hinein, so blickte man auf dunkelrote Wände, während Balkon- und Rückseite des Raumes in einer sanften Beigeton gestrichen waren. Bloß die Decke war im jungfräulichen Weiß geblieben.

Regungslos harrte Soul aus und hörte bloß das Rascheln von Tauboss’ Gefieder, als sich der Greifvogel ebenfalls niederlegte, wohl seinen Schnabel unter seinen Flügeln verborgen.

Entspannt döste das Mädchen ein. Ihr Brustkorb hob und senkte sich im Takt ihrer Atemzüge, während wirre Gedanken durch ihren Kopf wirbelten. Wohin mochte ihr Weg sie nach diesem Besuch im Elternhaus wohl führen? Sollte sie noch länger hier bleiben?

Diesem Gedanken sich überdrüssig fühlend, überschritt Soul die Grenze zwischen Wachen und Träumen. Ein leichter Schlummer, entsprungen aus seiner Erschöpfung, riss das Mädchen in einen ruhelosen Schlaf.
 

Zufrieden lehnte sich Soul zurück und schloss einen Moment die Augen, um die gewohnte Umgebung vollends zu genießen. Das Essen ihrer Mutter war noch immer das Beste, und ihr Bett war gemütlicher, als die der Pokémon Center. Nichts auf dieser Welt vermochte wohl das wohl bekannte Heim zu ersetzen. Alles war so vertraut und nichts schien zu erinnern, dass Soul vor knapp einem Jahr von zu Hause weggegangen war, und jetzt ins Heim zurückkehrte, mit Verantwortung auf den Schultern lastend.

„Bleibst du länger zu Hause?“, riss die Stimme der Mutter Soul aus ihren Tagträumen. Sie blickte Mayoko einen Moment an, wandte sich dann aber mit einem schweren Seufzen ab und starrte auf ihren leeren Teller. Blieb sie oder verließ sie das Elternhaus bald wieder? Und wohin sollte sie gehen?

Seit sie Champion geworden war, fühlte sich Soul an ihre Pflichten angekettet, nicht mehr Herrin ihrer eigenen Wünsche und Träume. Jetzt war sie nur noch eine Marionette des Staates.

Sanft schaute Mayoko ihre Tochter an, die wortlos auf den Tisch starrte, so als ob sie keinesfalls ihrer Mutter in die Augen sehen wollte. Ihr war rasch bewusst, dass Soul etwas vor ihr verbarg. Ja, sie fühlte sich sogar durch das Schweigen in ihrer Annahme bestätigt. „Was ist los?“

Zunächst irritiert hob Soul den Kopf, dann sah sie Mayoko teilnahmslos, beinahe gelangweilt, an. „Was soll schon los sein?“, versuchte Soul ihren Kummer zu überspielen, des ständigen über ihre Zukunftspläne nachdenken müde.

„Willst du mich für dumm verkaufen? Ich sehe doch, dass etwas nicht in Ordnung ist.“ Tadelnd schaute Mayoko ihre Tochter an. Diese fühlte sich plötzlich entblößt, als hätte man ihr lang behütetes Geheimnis entdeckt, und spannte ihre Kiefer unwillkürlich an. Um diese Enthüllung zu verbergen, schaute sie ihre Mutter genervt an. „Was erwartest du? Ich bin keine zehn mehr!“, wehrte die Trainerin. „Ich will dir nicht mehr alles erzählen müssen.“ Es war ein gereiztes Murren. Kein wirklicher Zorn lag dahinter.

Kaum hatte es die scheinbar verletzenden Worte ausgesprochen, glaubte das Mädchen sogleich diese zu bereuen, als es ihre Wirkung nicht zu verfehlen schienen.

Gekränkt verfiel Mayoko in Schweigen, und ihre Blicke ließen keine Zweifel zu, dass sie ihrer Tochter in diesem Moment grollte. „Übrigens“, brach sie nach wenigen Minuten die Unannehmlichkeit, „war Kaoru gestern in Neuborkia.“

Als Soul den Namen ihres Sandkastenfreundes hörte, schnellte ihr Kopf in die Höhe. Ihre Trübsal war wie weggeweht! Vielleicht war er ja noch…?

„Allerdings hat er das Dorf heute Morgen wieder verlassen“, unterbrach Mayoko Souls Gedanken, die daraufhin enttäuscht in sich zusammen sank. Ihre Hoffnung zersplitterte gerade in abertausende Scherben. Wie sollte sie ohne ihren besten Freund bloß aus ihrer Unentschlossenheit herauskommen?

Unerwartet ertönte brummendes Geräusch, welches Soul aufschrecken ließ. Mal war jener Ton schwächer, dann wieder stärker und schwoll zu einer klangvollen Melodie an.

„Was ist das?“, wollte Mayoko wissen, die ihren Kopf in jene Richtung geneigt hatte.

„Mein PokéCom“, stellte Soul nach rund zehn Sekunden überrascht fest und hastete auf die Anrichte zu.

Als sie auf das Display starrte, zögerte sie einige Herzschläge lag, während der PokéCom weiter zwischen ihren Fingern fröhlich summte.

„Warum gehst du nicht dran?“

Aus ihrer Erstarrung gerissen, deutete sie ihrer Mutter an, zu schweigen. „Soul Nagashi“, meldete sich das Mädchen nun, nachdem es den grünen Knopf bestätigt hatte.

„Hallo Soul?“, erschallte eine behutsam klingende Stimme an ihrem Ohr, die das Mädchen zunächst nicht zu erkennen vermochte. Um ihre Unsicherheit zu überspielen, atmete sie kurz ein. Den Anschein von Autorität sollte ihre Stimme haben!

„Ja, das bin ich“, erwiderte Soul nach wenigen Sekunden des Zögerns, setzte einen Moment aus, ehe sie fragend hinzufügte: „Wer ist da?“

„Entschuldigen Sie, Soul, dass ich mich nicht mit dem Namen genannt habe“, sprach die Person, die eindeutig weiblich war, wie Soul erkannte. „Ich bin es - Sakiko.“

Stoßweise atmete Soul aus, zwang sich aber sogleich Geduld zu wahren.

Sakiko. Der Name ihrer Sekretärin. Sie konnte sich nicht an den Gedanken gewöhnen, dass sie, ein sechszehnjähriges Mädchen, bereits über eine Bürokraft verfügte. Obwohl sich Soul gegen diesen Unsinn zu Wehr gesetzt hatte, hatte die Obrigkeit anders entschieden und ihr diese nichtsnutzige Frau vor die Nase gesetzt, die den jungen Champion beinahe auf Schritt und Tritt zu verfolgen schien.

Es war kein Geheimnis, dass Soul Sakiko nicht besonders mochte, dennoch beschwor sich die Trainerin ihre scharfe Zunge zu hüten und ihr eine gewisse Freundlichkeit entgegen zu bringen.

„Sakiko? Was gibt es, dass Sie mich in meinem Urlaub anrufen?“, fragte Soul schneidend und ärgerte sich, dass sie ihren Vorsatz im nächsten Moment sogleich wieder über Bord geworfen hatte.

„Ich entschuldige mich vielmals für diese Störung, Champion“, Souls Unmut wandelte sich schlagartig in wache Aufmerksamkeit. Sie glaubte in der Stimme der Sekretärin einen Hauch von Unruhe, Nervosität, ja Furcht, wahrzunehmen. „Es ist mir schrecklich unangenehm, dass ich diese Bitte an Sie richte…“

Obwohl Sakiko noch nicht ausgesprochen hatte, entrann dem Mädchen ein genervtes Seufzen, als eine wage Vorahnung sie ereilte, den seltsamen Unterton vergessend. „Die wäre?“

„Nun ja…“, begann die Sekretärin, suchte angespannt nach Worten, ehe sie fortfuhr: „Die Top Vier verlangt nach einem sofortigen Treffen.“

Verwirrt schwieg das Mädchen und ließ die Worte der Sekretärin auf sich wirken, während sie sich den Kopf zermarterte, welcher Grund vorliegen mochte, der bedeutend genug war, um sie in ihrem wohlverdienten Urlaub zu stören. „Wissen Sie um welche Angelegenheit es sich handelt?“

„Nein, es liegt nicht in meinem Kompetenzbereich.“

Verächtlich schnaubte Soul. Kompetenzbereich?! Wenn es nach ihr ginge, hätte sie keinen Kompetenzbereich mehr und würde auf der Straße sitzen! Trotzdem zügelte die Trainerin ihre Zunge, wohl darauf bedacht es nicht mit Sakiko zu verscherzen.

„Ich bin schon unterwegs, bis später“, gab Soul ihre Gegenwehr widerwillig auf. Sie wollte das Gespräch gerade beenden, als Sakiko noch rasch hinzufügte: „Ich werde auf dich warten.“

Dann dröhnte in Souls Ohren nur noch das rhythmische Besetztzeichen. Soul harrte mehrere Herzschläge lang regungslos aus, ehe das Geklapper von Geschirr sie aus den Gedanken riss.

Sie wandte sich zu ihrer Mutter um, die die Teller in die Spülmaschine stellte, und beobachtete sie wortlos. Die Tatsache, dass sie ihr zu Hause in der nächsten Stunde wieder verlassen musste, schmerzte dem Mädchen, dennoch durfte sie keine Zeit verlieren, wenn diese Angelegenheit einen dringenden Bedarf hatte besprochen zu werden. „Mum?“, sprach sie ihre Mutter behutsam an, wohl darauf bedacht ihre Worte sorgfältig zu wählen. „Ich…“ Ihr schlechtes Gewissen regte sich.

„Ich weiß schon, Schatz, du musst wieder gehen“, unterbrach Mayoko ihre Tochter, die sie daraufhin irritiert musterte.

„Woher… weißt du das?“

Ein kurzes, helles Lachen entfloh der brünetten Frau, während sie lächelnd auf Soul zuging. „Natürlich, ich habe es schon geahnt, dass du bald wieder gehen musst, als du hier ankamst.“

Bei diesen Worten wurde Soul gänzlich von ihrer Wehmut überwältigt, und sie schlang Halt suchend ihre Arme um den Hals ihrer Mutter, das Gesicht an ihre Schulter drückend. „Ich bin bald wieder zu Hause!“
 

Eisiger Wind peitschte Soul entgegen, als sich Velox sich in die Schräge legte, um durch einen Luftstrom höher in den Himmel aufzusteigen. Das Mädchen vergrub seine klammen Finger in die Federn des Greifvogels, wohl darauf bedacht, dass es dem Tauboss keine Federn ausrupfte, und verbarg sein Gesicht an seinem Hals.

Irgendwann verfiel sie in einem tranceartigen Zustand und schloss die Augen, während sie die spielenden Muskeln unter ihrem Leib fühlte, ja spürte, wenn sich Velox gegen den Wind stemmte, und lauschte dem melodischen Klang der Flügelschläge. Irgendwann erstarben die rhythmischen Bewegungen der Schwingen, und Tauboss ging in einen flachen Sinkflug über.

Soul, die ihre Augen wieder öffnete und nun den Kopf erhob, sah sich in der Umgebung um. Das glitzernde Wasser, welches durch einige Landstriche unterbrochen wurde, die mit langen Brücken miteinander verbunden waren, hatten sie bereits hinter sich gelassen.

Richtete Soul ihren Blick gen Norden, so führte ein steiler Bergpass, der sich eng an das zerklüftete Gebirge schmiegte, hinauf zu den Toren der letzten Prüfung, die Trainer bestehen mussten - die Siegesstraße.

Tauboss drosselte seine Geschwindigkeit nicht. Wie ein herabstoßender Speer schoss der Greifvogel durch die Luft.

Der Wind rauschte an ihrem Gesicht vorbei und schnitt Soul beinahe schmerzhaft in die Wangen. Trotz des freien Falls erlebte Soul schon lange mehr keine Furcht. Jene rasanten Flüge waren für Trainer und Pokémon bereits zur Gewohnheit geworden und hatten das Band zwischen ihnen gefestigt. Daher spürte Soul nur noch wie das Adrenalin in ihren Adern pochte, als pulsierte es wie flüssiges Silber in ihren Venen.

Genau im richtigen Moment spannte Velox mit einem geräuschvollen Flappen die Flügel auf und fing den Sturzflug ab, ehe das Pokémon steil aufgerichtet in den Himmel schoss.

Als sich Tauboss in die waagerechte Position ausbalancierte, sah sich Soul von schroffen Felsklippen umgeben. Aus weiter Ferne war bereits das prunkvolle Gebäude des Indigo Plateau zu erblicken: ein Bauwerk, welches aus rotem Backstein errichtet worden und dessen Fassade golden verziert war. Zwischen den Türmen, die in den Himmel empor ragten, war zentral ein recht großes, kreisrundes Fenster eingelassen war, ähnlich von der Struktur einer Rosette, die bei Kirchenbauten üblich war.

Jener Anblick rief eine tiefe Ehrfurcht in der jungen Championesse wach. Sie konnte die Augen nicht von dem eindrucksvollen Gebäude nehmen. Zu sehr zog es Soul in seinen Bann, als zwänge das Bauwerk das Mädchen dieses anzublicken.

Erst als Velox in einen sanften Sinkflug herab glitt, senkte Soul die Augen und konzentrierte sich auf den Boden, der sich ihnen stetig näherte.

Die Flügel, senkrecht zum Körper aufgerichtet, schlugen mehrere Male auf und ab, als sich der Greifvogel dem Hauptquartier der Pokémon-Liga zu flog. Unterhalb der Rosette, während die Klauenfüße dem Boden entgegen gestreckt waren, setzte Velox auf dem Balkon auf und schmiegte seine Schwingen eng an Leib, nachdem er die Landung abgefangen hatte.

Soul reckte ihre von der eisigen Luft steif gewordenen Gliedmaßen und stieg anschließend von Tauboss’ Rücken hinab. Ihre Finger fuhren zärtlich durch das Gefieder des Greifvogels, dann deutete sie an, dass er ihr ins Innere des Hauptquartiers folgen sollte – die Flügeltüren des Balkons standen beinahe einladend offen.
 

Nun betrat die junge Trainerin den Raum, das Büro, das einst Wataru gehört hatte. Noch immer glaubte Soul seinen Geruch in der Luft wahrzunehmen. Doch nichts erinnerte mehr daran, dass er vor wenigen Monaten noch der Champion Johtos und Kantos war.

Die scharlachroten Wände, die mit goldenen Ornamenten verziert gewesen waren, waren nun einem blauen Anstrich gewichen, mit silbernen Arabesken verschönert. Jener Anstrich stellte ihre bedeutendsten Eigenschaften dar; die Farbe Blau symbolisierte ihr Sinn für Freundschaft, Pflichttreue und Vertrauen, während Silber ihre Gefühle und Eleganz in den Vordergrund rückte.

Auch wenn sie dieses Büro nun das ihre war, ebenfalls das neben liegende Zimmer, das Schlafgemach, fühlte sie sich in diesen vier Wänden nicht heimlich, eher eingeengt und erdrückt, als wäre dies kein Ort der Zuflucht der Ruhe, die Soul hier finden sollte.

Ihre Fingerspitzen glitten zaghaft über das kühle Edelholz des Schreibtisches. Kein Staubkorn haftete an ihrer Haut, als sie ihre Finger betrachtete. Doch dies war nicht von Belang. Wo war Sakiko? Hatte sie ihr nicht angekündigt, dass sie Soul erwartete?

„Sakiko?“, rief sie durch die Abwesenheit der Sekretärin verunsichert. Noch nie hatte sie erlebt, dass sich Sakiko verspätete. Sie war eine Frau der Tugenden; Mut, Treue, Pflichtbewusstsein und vor allem die Pünktlichkeit war etwas, was Sakiko ihr eingebläut hatte. Und nun versäumte sie ein Treffen? Abermals nannte Soul den Namen der Sekretärin, dieses Mal lauter: „Sakiko!“

Soul sah sich um. Eine unheimliche Stille umfing sie, und sie fühlte, wie unbewusst ihr Herz in ihrer Brust hämmerte, während eine törichte Angst sich in ihr Innerstes fraß.

„Suche nicht nach dieser törichten Frau“, erklang eine männliche Stimme hinter ihr. Unheimlich wie sie war, löste sie ein Prickeln auf Souls Haut aus.

Dann fuhr Soul erschrocken herum, wissend, dass Tauboss zu erschöpft war, um sie zu verteidigen. Daher waren ihre Finger bereitwillig um einen Pokéball gelegt.

Als sie jedoch einem schwarzhaarigen Mann fortgeschrittenen Alters im Halbdunkeln entgegen sah, dessen graue Augen sie schalkhaft musterten, entspannte sich die Körperhaltung der Trainerin wieder, und sie ließ den gezückten Pokéball sinken.

„Kyou!“, stieß das Mädchen erleichtert aus und schritt auf das Mitglied der Top Vier zu, hielt dann jedoch inne, als bloß eineinhalb Meter sie voneinander trennten.

„Herzlich Willkommen, Champ“, grüßte der in Ninja-Kleidung gehüllte Mann kühl. Ansonsten rührte sich Kyou nicht. Sein Leib schien zu einer Statur erstarrt zu sein, so auch seine Gesichtszüge, die keinerlei Emotionen verrieten. Bloß seiner Stimme schwang ein Klang von Arroganz bei, aber Soul bemerkte diesen Unterton nicht. Seine Lippen verzogen sich zu einem schmalen, hinterhältigen Lächeln. Naives Mädchen!

Suchend sah sich Soul um, ehe sie ihre Blicke auf den Ninja richtete. „Hast du Sakiko gesehen?“

Einen Augenblick schwieg der Angesprochene. „Nein“, erwiderte Kyou schließlich ruhig, erneut schlich sich aber auf seine Lippen ein hinterlistiges Lächeln. Als der Ninja aus dem Schatten trat, fauchte Velox scharf, während sich das Gefieder entlang der Wirbelsäule zu sträuben begann. Der Schnabel war zum grollenden Warnung geöffnet. Seine Augen funkelten den Mann argwöhnisch an.

Gleichsam ließ ein dumpfes Geräusch die Trainerin erschrocken zusammen zucken, so als fiele ein schwerer Mehlsack zu Boden.

Vor Entsetzen blass wich Soul zurück, die Augen vor Furcht geweitet. Seinen Fingern, die ein Kunai umschlossen hatten, haftete Blut an, welches an der Klinge herab rann. „Was hast du getan?“, hauchte sie.

Boshaft verzog Kyou die Mundwinkel, während er mit Verzückung das Blut betrachtete, dann wandte sich der Ninja an Soul. „Ich habe lediglich eine große Bedrohung verstummen lassen.“

Als Soul es wagte ihre Augen über Sakikos Leichnam schweifen zu lassen, ihre silberblonden Haare waren zerzaust und die Augen in stummer Angst aufgerissen, schlug sie geschockt die Hand vor dem Mund, um die aufsteigende Übelkeit angesichts des Blutsees zu unterdrücken. Sie fühlte, wie der Schwindel sie packte und sie nicht mehr los lassen wollte, während sie auf die zerfetzte Kehle und der Blut durchtränkten Kleidung starrte.

Binnen weniger Sekunde breitete sich das Blut auf dem Boden aus und drohte als zähflüssiger Saft an ihre Füße zu schwappen. Mit einem belegten Schreckenslaut sprang das Mädchen zurück. Ihr brach der kalte Schweiß aus. Panik ergriff sie.

Erfreut über ihre Reaktion und dem, was sie wohl erwartete, grinste Kyou schadenfroh. „Der Boss wird hoch erfreut sein, wenn ich die nächste Bedrohung für ihn vernichte.“ In Euphorie versunken zischte der Ninja nahezu das letzte Wort seines Satzes. Seine Augen schienen voller Vorfreude zu leuchten.

„Wen?“, fragte sie mit erstickter Stimme. Ihr gesamter Leib zitterte.

Die Mundwinkel zuckten ein weiteres Mal und verzogen sich zu einem selbstgefälligen Lächeln. „Du glaubtest wohl, dass du uns besiegt hast, aber du täuscht dich“, begann Kyou mit fester, souveräner Stimme, während er gemächlich, beinahe quälend langsam, auf Soul zu schritt.

Doch diese wich verängstigt zurück, immer weiter, bis ihr Rücken an eine Wand stieß und presste sich eng an sie. Als Kyou seine flache Hand gegen die Wand schlug, nahe am ihrem Kopf, schrie Soul entsetzt.

„Wie der Phönix aus der Asche ist Team Rocket zurückgekehrt!“

Plötzlich aber zerschnitt ein aufgebrachter Vogelschrei die angespannte Atmosphäre. Kyou wirbelte herum und sah sich dem aufgebäumten Tauboss gegenüber, das mit ausgebreiteten Flügeln und gespreizten Klauen sich auf den Ninja stürzte. Bloß knapp konnte Kyou mit einem geschmeidigen Ausfallschritt ausweichen, musste jedoch hinnehmen, dass die Krallen seinen Umhang in Stücke zerfetzten.

Vor Wut kochend stellte sich Velox dem Ninja in den Weg und schirmte Soul beschützend mit seinem Körper vor ihm ab.

„Team Rocket? Aber wie?“, presste Soul vor Schreck hervor. Angst drohte das Mädchen zu übermannen.

„Das hat dich nicht zu interessieren“, er deutete mit dem Zeigefinger zur Decke. „Schaue lieber mal dort hoch.“

Ein Zeichen, woraufhin abertausende Golbat, die Soul nicht zu zählen vermochte, sich herab stürzten. Lautes Flügelsummen erfüllte die Luft, als sich die Golbat wie Fliegen über Tauboss und Soul her machten. Entsetzt schrie das Mädchen auf. Velox fauchte erzürnt, um sie einzuschüchtern und gab keinen Zentimeter nach.

Manche wichen furchtsam zurück, wohl die Unerfahrenen unter ihnen, andere jedoch ließen sich nicht verunsichern. Daher stellte der Greifvogel die Flügel senkrecht, die herab sausten und eine Windböe entfachte, die die Golbat durch die Luft wirbelten, als wären sie Spielzeug.

Und ein weiteres Mal schlug Tauboss mit seinen gewaltigen Schwingen, erschuf dabei mehrere messerscharfe Windklingen, die die Windhose zerfetzten. Das Geflatter der Golbat vermischte sich mit ihren angstvollen Schreien, gar dem Todeskreischen der Pokémon, die durch die Windmesser Gliedmaßen verloren, oder gar enthauptet wurden. Andere waren dem tödlichen Gefängnis entkommen und griffen ihren Feind voller Zorn an.

Soul, erblasst durch den schweren Blutgeruch in der Luft, drückte sich gegen die Wand. Sie kniff in stummer Hoffnungslosigkeit die Augen und betete aus diesem Albtraum aufzuwachen.

Es war doch ein Traum, oder? Oder war es die Realität? Soul öffnete sie wieder und blickte zu den leblosen Leibern der toten Golbat, dann zu Kyou, der sie wütend ansah. Nein, es gab keine Flucht. Es war die bittere Realität.

„Du hast meine Golbat umgebracht, du kleine Schlampe!“, brüllte der Ninja erzürnt und gab erneut ein wortloses Handzeichen.

Sekunden geschah nichts, dann brach fauchend eine Schlangengestalt aus dem Schatten hervor. Erschrocken wirbelte Soul in jene Richtung, aus dem sie das Geräusch wahrgenommen hatte. Blitzartig schnellte der Kopf der Kobra vor, das Maul weit aufgerissen und die Zähne blitzend.

Vor Schreck taumelte Soul zurück, sogleich aber spürte sie einen brennenden Schmerz, der in ihrem Unterarm aufflammte. Sie schrie entsetzt auf und presste ihre Hand auf jene Stelle, in die Arbok seine tödlichen Zähne gebohrt hatte. Dann biss Arbok nochmals zu.

„Na? Wie fühlt sich das an?“, fragte Kyou bösartig grinsend. „Das Gift wirkt auf dein Nervensystem und in hoher Konzentration, wie es bei dir zu trifft, lähmt es deinen Körper und führt zum Herzstillstand, aber bis es soweit ist… Ja, da quält dich das Gift ganz langsam zu Tode. Ist es nicht wunderbar?“ Kyou lachte grausam auf.

Soul, vom Schmerz wie von Sinnen, sammelte all ihre Kraft, um ein Wort zu formen: „Warum?“

„Du fragst warum? Leider bist du uns ein Dorn im Auge, und Rebellen gefährden den Plan unseres Bosses, daher wird das Ungeziefer beseitigt“, erwiderte Kyou triumphierend.

Durch Souls Schmerzensschrei aufgeschreckt, wandte sich Velox aufgebracht zu seiner Trainerin und das Übel an ihrer Seite und setzte sich gegen das Dutzend der überlebenden Golbat zu Wehr. Blind vor Raserei stürzte sich Velox auf Arbok. Seine Krallen schlug der Greifvogel hinter dem Kopf der Giftschlange und hakte wie von Sinnen in ihr Fleisch.

Vor Pein wild zischend wand sich Arbok unter den Krallen des Tauboss und versuchte sich verzweifelt frei zu kämpfen, aber als Velox es gegen eine Wand schleuderte, krümmte sich die Kobra und starrte Velox aus kalten Reptilienaugen an. Zahlreiche, blutige Wunden entstellten nun den Schlangenkörper.

„Und an deiner Stelle würde ich mich nicht so viel bewegen, wir wollen ja nicht, dass du einen schnellen Tod stirbst, nicht wahr? Schließlich möchte ich an deiner Qual Anteil haben.“

Erneut verzogen sich seine Mundwinkel zu einem gehässigen Grinsen. „Doch… Obwohl… So viel Zeit habe ich leider nicht. Es gibt noch andere Menschen, die auf ihren Tod warten, weil sie Team Rocket gefährlich werden könnten…“ Kyou wandte sich eine seine Golbat, die noch immer in der Luft schwirrten. „Zerfetzt sie, ich hatte meinen Spaß.“

Wie dunkle Schatten hatten die Golbat auf jenen Befehl gewartet und stießen nun erneut auf Soul und Tauboss zu.

Als die Fledermäuse Windklingen herab schickten, schloss Soul verzweifelt die Augen, als wiche ihr starker Wille, den die Trainerin in zahlreichen Momenten der Aussichtslosigkeit bewiesen hatte.

Doch es war Velox, der das Ende nicht akzeptieren wollte. Er fauchte warnend und funkelte Kyou gefährlich an, als würde er den Ninja zwingen wollen, aufzugeben. Der Greifvogel streckte seine Flügel, um seine in die Knie gegangene Trainerin zu schützen. Koste es, was es wolle!

Ein hoher, energischer Schrei unterstrich den eisernen Willen, als die scharfen Windklingen drohten den Leib des Greifvogels zu entstellen. Doch anstatt Velox zu verletzen, trafen Windschnitt bloß auf einen magischen Schutzwall, der in einem fließenden Silber erstrahlte.

Gegen die nahende Ohnmacht ankämpfend, hob Soul überrascht den Kopf und nahm bloß das Klirren wahr, das sich anhörte, als ob jemand gegen Glas schlüge.

„Beachtlich, du hast wahrlich ein treues Pokémon“, bemerkte Kyou ruhig, sah jedoch nicht davon ab zu grinsen. „Doch ich habe leider keine Zeit mehr mit dir zu spielen.“ Seine dunklen Augen ruhten auf seinem Arbok, das vor Wut und Schmerz knurrte. „Beseitige das Ungeziefer, Eisenschweif.“

Hasserfüllt blitzten die kalten Reptilienaugen, als es Velox entgegen starrte. Den gleichen Pein, den Tauboss ihm zugefügt hatte, sollte es nun auch fühlen!

Daher bewegte es sich blitzschnell auf sie zu, schneller als das menschliche Auge es hätte verfolgen können, während sich sein Schwanz in schimmerndes Metall wandelte. Voller Wucht schmetterte die Kobra den stählernen Schweif auf die Barriere, die unter einem unheilvollen Knacken Brüche bekam, aber Tauboss versuchte wehrhaft, mit gesamter Energie, die der Greifvogel aufzubringen wusste, den Schutzwall zu halten.

Doch als Arbok ein weiteres Mal auf den unsichtbaren Schild schlug, wurden aus den feinen Kratzern große Risse, groß genug, damit die Kobra hindurch schlüpfen konnte.

Tauboss, welches den Schutzschild nun nicht mehr aufrecht halten konnte, löste den magischen Wall, der nun klirrend in sich zusammen sank, als fielen abertausende Glasscherben zu Boden, und wirbelte aufgewühlt umher. Zu spät, als dass er sich gegen die Finte und dem Griff der Schlange entwinden konnte.

Während Arboks Leib sich um Tauboss’ Körper schlang, vergruben sich sodann die Giftzähne in seinem Hals und bohrten sich tief in sein Fleisch.

Die Gliedmaßen des Greifvogels zuckten, der Herzschlag flatterte, das Atmen ging rasselnd, ehe Tauboss kraftlos zu Boden sank.

„Velox, nein!“, schrie Soul mit entkräfteter Stimme und stürzte nach vorne, um Velox‘ Kopf vor dem harten Aufprall zu schützen. Ein leises, tröstendes Gurren kam von dem Rebell der Lüfte, dann sackte Tauboss gänzlich in sich zusammen, Soul auf den Boden mitreißend.

Ihren eigenen Schmerz vergessend, drückte Soul ihr Gesicht in Tauboss’ Halsfedern und flüsterte leise etwas, dann sammelte sie all ihre verbliebenen Kräfte, um sich zu erheben, während ihre Finger zwei ihrer Pokébälle berührten und ihre Blicke zu Sakikos leblosen Körper glitten. Sie durfte nicht schwach sein. Nicht jetzt. Sie musste sich wehren! Sakiko durfte nicht umsonst gestorben sein!

Doch als Soul ihren Mut befahl, ihr Kraft zu schenken, sah sie etwas zwischen Kyous Fingern aufblitzen. Grinsend hob der Ninja den Arm, winkelte diesen an, und da erkannte Soul die Bedrohung: zwischen Mittel- und Zeigefinger hielt er ein funkelndes Kunai.

Und in einer anschließenden fließenden Bewegung warf er das Wurfmesser. Wie eine todbringende Waffe raste sie auf das Mädchen zu, das sich nach rechts drehte, um der Klinge, die auf sein Hals zielte, auszuweichen. Sie geriet ins Straucheln und spürte, wie der kühle Stahl des Kunais in das Fleisch ihrer unterhalb Brust schnitt.

Doch Soul spürte den Schmerz nicht mehr, schon lange war die süße Qual gewichen und machte nun der Taubheit Platz. Sie starrte bloß entsetzt auf das Kunai, das unterhalb ihres Brustkorbs in ihren Leib eingedrungen war, und roch den schweren Geruch von Blut. Ihre Hand presste sie auf jene Stelle und merkte, dass die Kleidung nass war. Sie hob den unversehrten Arm und sah fest ihre Hand an.

Sie war voller Blut. Ihr Blut.

Erneut geriet Soul ins Taumeln, benebelt von dem Geruch, der ihre Sinne betäubte. Bevor sie jedoch das Gleichgewicht verlor, hob Soul den Kopf und blickte Kyou, der sie boshaft angrinste, mit einer Mischung aus Entsetzen und Furcht an.

Schließlich aber forderten das Gift und die Verletzung ihren Tribut. Der Schwindel zehrte an ihrem Verstand und wollte sie in die bodenlosen Tiefe mit reißen. Als Soul keine Kraft mehr hatte aufrecht zu stehen, fiel das Mädchen mit einem dumpfen Geräusch des Aufpralls auf den Boden. Ihr Blick verschwamm, als sie versuchte ein letztes Mal den Kopf zu heben, aber sie fühlte sich so kraftlos, leer. Musste sie sterben? Musste sie diese Welt verlassen?

„Es tut mir Leid“, wisperte sie tonlos, als sie glaubte die liebsten Menschen und Pokémon im Geiste zu sehen. Ihr letzter Gedanke galt ihren Eltern, ihren Pokémon, Kaoru, Wataru und Silver. All jenen, denen sie begegnet war.

Doch das Letzte, bevor sie in die gähnende Schwärze übertrat, war ein gellender Schrei, voller Wut, Hass und Trauer.

Vom Schicksal betrogen

Hayatos blaue Augen funkelten dem Gegner kühn entgegen, der zu einer regungslosen Statue erstarrt war, mit dem Ausdruck des Schreckens im blassen Gesicht.

Der junge Mann, der dreiundzwanzig Sommer erlebt hatte, schenkte dem zierlichen Jungen kein aufmunterndes Lächeln, wie er es sonst tat, wenn junge Trainer ihn übermütig zum Kampf aufgefordert hatten und schließlich den bitteren Geschmack der Niederlage schmeckten.

„Ist das alles, was du drauf hast?“ Nun aber begegnete der Luftmeister ihm mit unnahbarer Härte und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Von der Darbietung seines Gegenübers war er sichtlich gelangweilt.

„Ich hätte etwas mehr von dir erwartet, Luca“, äußerte sich der Arenaleiter, der nicht die Absicht hatte, den Jungen zu beleidigen oder in seinem Stolz zu kränken. Schließlich war es sein eigener Bruder, wenn auch Stiefbruder, der ihm gegenüberstand.

„Es ist noch nicht vorbei“, erwiderte Luca entschlossen, der in eine schwarzen Yukata gekleidet war und seine nahezu schmächtige Figur verhüllte.

Hayato verzog die Lippen zu einem überheblichen Grinsen, während seine Hände in den Taschen seines frühlingshaften, hellblauen Yukatas verborgen waren und mit gerecktem Kinn auf Lucas Pokémon deutete. „Ach ja? Siehst du nicht, dass dein Pokémon müde ist?“

Während die stolze Adlerdame des Arenaleiters, die er liebevoll Aeris zu nennen pflegte, mühelos die Schwingen auf- und abbewegte, wirkte Staraptor, ein kräftiger Jungfalke, erschöpft. Sein braunes Federkleid schien zerrupft und das weiche, beigefarbene Brustgefieder war leicht verrußt, als wären die dortigen Daunen verbrannt worden.

Den wachen, braunen Greifvogelaugen vermochte jedoch kein Detail zu entgehen. Sich in der Luft zu halten, schien aber eine große Belastung für Staraptor darzustellen.

Unter den Trainern und ihren Pokémon gähnte der tiefe Abgrund, eine unüberwindbare Distanz zwischen ihnen. Irgendwo ließen sich für das geübte Auge Kampflinien der Bodenarena erahnen, doch in jener Höhe, in der Hayato und Luca auf emporragenden Podesten standen, erstreckten sich bloß die grauen Dächer Violas. Unerbittlich zerrte der Wind in jenen Gefilden an ihren Leibern, und die Trainer fanden nur an der Reling Halt.

Um ihren Flugpokémon besonders nahe zu sein, waren die Podien mit Triebwerken in Schwindel erregenden Lüften empor gefahren worden. Um sie herum waren Zuschauertribünen angebracht, die am heutigen Tag leer waren. Nur einzelne Schaulustige hatten sich eingefunden, aber die Kämpfenden schenkten ihren Gästen keine Notiz.

Einen Augenblick umklammerte Hayato die Metallstange, als befürchte er, dass sein Halt unter den Füßen wich. Gelassen schloss der Luftmeister die Augen und lauschte. Es war bloß ein leises Geräusch, was Staraptor verriet. An die geübten Ohren des Luftmeisters drangen das tief aus der Brust kommende Keuchen und der Verlust des rhythmischen Flügelschlags, der nun taktlos und schwerfällig klang.

„Staraptor kann weiterkämpfen“, beharrte Luca eisern. Jegliche Nervosität, die ihm das Urteilsvermögen zu Beginn des Kampfes getrübt hatte, war verschwunden. Jetzt war sein Blick fest auf den Arenaleiter und Bruder gerichtet.

Mut, Entschlossenheit, Ehrgeiz und Stolz. Soviel vermochte Hayato aus seinen Gesichtszügen herauszulesen. Je länger er auf Luca blickte, desto mehr Gefallen fand der Arenaleiter an den Fortschritten des jüngeren Stiefbruders.

„Wenn du dies glauben magst. Allerdings werde ich mich nicht zurückhalten, nur weil du mein Bruder bist“, warnte Hayato schließlich und sah zu seinem Tauboss empor, „Aeris, weitermachen mit Aero-Ass!“

Tauboss schraubte sich mit wenigen Schlägen der eleganten Schwingen hoch in die Lüfte hinauf, begleitet von einem durchdringenden Vogelschrei, und schnellte sofort wieder herab. Dabei hatte Aeris den Falken mit nahezu mathematischer Genauigkeit ins Auge gefasst.

„Glaubst du, ich will, dass du Rücksicht nimmst? Schüttel’ es ab, Staraptor!“

Aufgebracht kreischte Staraptor und drehte sich unter den massigen Adlerkörper und Krallen hinweg. Einem Schreckensmoment erstarben die Flügelschläge, die Staraptor in Luft hielten. Dann spannte der Jungfalke seine Schwingen und schnellte, durch einen Aufwind begünstigt, hoch in die Luft. Seine Pupillen verengten sich zu schmalen Schlitzen und die Instinkte befahlen ihm, sich zur Wehr zu setzen. Diese Demütigung des Adlerweibchens würde er nicht länger erdulden!

„Jetzt Nahkampf!“

„Stahlflügel“, konterte Hayato gelassen, nicht mehr viel und der Sieg gehörte ihm.

Und da sah Staraptor seine Gelegenheit, um sich zu rächen. Der Falke legte die Flügel an seinen schlanken Leib und raste Tauboss entgegen, das sich ebenfalls für deinen Angriff bereits wappnete. Hell wandelten sich Tauboss’ Schwingen in eisenharte Klingen, aber Staraptor schreckte nicht davor zurück. Mit ausgestreckten Klauenfüßen schoss er auf den Adler zu.

Dann kam es zum Aufprall. Staraptor vergeudete keinen Moment, um wie ein Berserker auf Tauboss einzudreschen. Krallen und heftige Flügelschläge prügelten nahezu besinnungslos auf Tauboss ein, und Staraptor spürte wie die Klauen Federn und Haut verletzten. Dem eigenen Schmerz seines aufbegehrenden Körpers schenkte er keine Beachtung.

Schließlich trennten sich die Raubvögel voneinander und starrten sich kampfeslustig in die Augen. Triumphierend stieß Staraptor einen lang gezogenen Schrei aus.

Von unzähligen blutigen Schrammen und tieferen Verletzungen war Tauboss’ Leib übersäht und erschwerten ihr, den Takt ihrer Flügelschläge im Gleichklang zu behalten.

Dem Jungfalken dagegen erging es erstaunlich gut. Nur leichte Kratzer durch Tauboss’ stählernen Schwingen hatte er sich zugezogen, die zwar wie brennendes Feuer schmerzten, aber nicht weiter von Bedeutung waren.

Hayato wartete. Er wollte dem Jungen eine Gelegenheit geben, um ihm seine Stärke und Tapferkeit zu beweisen. Sonst hätte er gnadenlos angegriffen und seinen Gegner bis zur Erschöpfung durch die Luft gehetzt. Luca schien diesem Angebot nachzukommen. Seinen knappen Befehl trug der Wind jedoch davon, daher beobachtete der kundige Luftmeister die fließenden Bewegungen des Falken. Ein übermütiges Manöver wagte Staraptor. Eine enge, gar halsbrecherische Kurve flog er, um an Geschwindigkeit zu gewinnen. Schließlich ging Staraptor zum Angriff über.

Hayato wog Luca in Sicherheit. Mit jeder verstrichenen Sekunde wuchs die Zuversicht seines Bruders, die er sodann verfluchen wird. Stets auf das Kommende gefasst sein, ohne leichtsinnig zu werden. Dies war schlichtweg eine Lektion, die jeder Trainer lernen muss. Auch Luca.

„Nun mit Agilität beschleunigen und Doppelteam!“

Lucas Entschlossenheit wich einer Miene der Fassungslosigkeit. Wie versteinert stand er da, als Tauboss an Geschwindigkeit zulegte, während sie Dutzend Täuschungen erschuf und sich unter ihnen verbarg. Staraptor hackte auf einen Doppelgänger ein, der sich zischend auflöste. Der Falke wirbelte herum und stieß einen ärgerlichen Schrei aus.

Dieser löste Luca aus seiner Starre. „Unheilböen!“

Ein Wind, welcher von böser Macht erfüllt war, kam auf, als Staraptor zwei, dreimal mit den Flügeln geschlagen hatte. Während er seinen Gegnern die Pein durch den Körper jagte, stärkte der finstere Lufthauch denjenigen, der ihn ins Leben gerufen hatte. Doch so kraftvoll er auch sein mochte, gegen Normalpokémon brandete seine Gewalt wie Wasser an eine Klippe. Die geisterhaften Böen zogen wirkungslos an Tauboss’ Flanken vorbei, jedoch gingen mit ihnen ihre Täuschungen von dieser Welt.

„Bevor es versteht, was passiert ist!“, eilte Luca so sehr, dass seine Stimme drohte, sich zu überschlagen. „Sternschauer!“

Funken schwebten um den Falken, die allmählich eine sternenförmige Gestalt aus goldener Energie annahmen. Hernach schickte Staraptor die Geschosse wie sirrende Pfeile auf seine Konkurrentin herab.

Seinen Gegner Anerkennung und Höflichkeit zollen, das wurde Hayato von seinem Vater beigebracht. Jeder Trainer war es wert, der seinen Pokémon Liebe und Achtung schenkte, auch als solcher beachtet zu werden. Soeben hatte sich Luca bewiesen, dass der Respekt des Luftmeisters gerechtfertigt war. Doch Hayatos Vater hatte ihm auch gelehrt, dass man nicht aus einem Gefühl der Freundlichkeit den anderen den Sieg schenken sollte.

„Schluss mit dem Geplänkel“, sprach Hayato kühn aus. Er war kein Mann der großen Taten. Er war es nie gewesen, selbst vor dem Tod seines Vaters nicht. „Aeris, Windhose!“

Ungnädig erschuf Tauboss einen alles vernichtenden Tornado. Über ihren Köpfen am freien Himmel sammelten und verdichteten sich bereits die Wolken. Der Wind frischte auf, wurde zunehmest stärker, ja fordernder. Sodann begann schließlich die Luft zu rotieren und formte sich zu einem röhrenähnlichen Gebilde, welches alles in sein Inneres sog, was nicht hieb und nagelfest war. Gierig verschlang der Tornado Staraptors Sternschauer, deren helles Funkeln noch kurze Augenblicke in den Windmassen aufblitzten. Dann waren sie vollends verschluckt.

Auch Staraptor fiel dem Hunger des Wirbelsturms zum Opfer. Der Falke wurde durch die Luft geschleudert, wie ein Spielball herumgerissen, bis der jäh erschaffene Sturm an Macht verlor und Staraptor in die gähnende Tiefe stürzte.

„Staraptor!“ Wie vom Donner gerührt stand Luca steif da und vermochte nichts gegen den Fall seines Gefährten unternehmen. Zu aufgebracht war der Junge in jenem Moment.

Geistesgegenwärtig reagierte Hayato: „Verhindere Staraptors Absturz, Aeris, schnell!“ Das einstige Familienhaupt hatte seinem Sohn ebenfalls ermahnt, stets den Schutzlosen zur Hilfe zu eilen.

Den ungläubigen Blick seines Tauboss spürte Hayato einen Herzschlag lang auf sich ruhen. Auch ihr war bewusst, dass dies ein waghalsiges Unterfangen war. Eventuell funktionierte es, andererseits konnte sein Vorhaben misslingen und…

Der Arenaleiter schüttelte den lästigen Gedanken ab. „Auf was wartest du, Aeris? Willst du, dass sich Staraptor alle Knochen bricht?“

Protestierend plusterte sich die Adlerdame auf und zeterte, gehorchte ihrem Trainer aber. Es bräche ihr das Herz, wenn sie sich widersetzte. Dies würde garantiert ein Nachspiel für ihren über alles geliebten Trainer haben!

Entsetzt sah Luca dem tollkühnen Luftmeister entgegen, der seinetwegen solch ein Manöver versuchte, dessen Erfolg äußerst fragwürdig war. „Hayato, tu das nicht!“, wollte er aufbegehren. Hayato, trotz seiner jungen dreiundzwanzig Jahren Mentor, Vorbild und vor allem Stiefbruder des Jungen, ließ sich nicht von seinen Gedanken abbringen. „Verlier nicht den Kopf, Luca, ich schaffe das schon!“

Das Gefühl des rauschenden Adrenalins in seinen Adern liebte der junge Arenaleiter. Es beflügelte ihn auf magische Weise und ließ, so unerwartet es auch sein mochte, die Dinge klarer zu sehen, als betrachtete Hayato sie mit scharfen Adleraugen.

Das Taubossweibchen hatte die Schwingen eng an den Körper gezogen. Die Winde rauschten pfeifend an ihr vorbei und dröhnten in den Ohren, während ein schriller Vogelschrei ihrem aufgerissenen Schnabel entwich und sie sich todesmutig in die Tiefe wagte.

Die Augen leicht verengend, spähte Hayato hinab. Noch immer blieb Staraptor regungslos, kein Zittern rann durch die kräftigen Muskeln.

„Es ist bewusstlos“, murmelte der Arenaleiter jene Erkenntnis. Etwas musste gegen den Kopf des Falken geschleudert worden sein, eventuell seine eigenen Energiesterne im Inneren des Tornados. Erneut handelte Hayato schnell: „Aeris, es ist nicht bei Bewusstsein. Versuche es mit Stahlflügel wachzurütteln!“

Wieder erwiderte die Adlerdame ein kühnes Kreischen. Dann wurden die Flügel im Sonnenlicht zu silbernen glühenden Stahl und der darauf folgende Schlag erweckte Staraptors Geister aus schlafgleichen Zustand. In erstem Moment wirkte er benommen, fing sich aber jäh, als Staraptor begriff, dass er sich im freien Fall befand.

Noch rechtzeitig vermochte Staraptor diesen abzumindern und erklomm rasch wieder luftigere Höhen.

Luca atmete sichtlich auf, auch Hayato schien erleichtert zu sein. Die Gefahr der Bewusstlosigkeit und des freien Falls war stets ein Risiko des Luftkampfes. Maßnahmen zu lesen und verstehen, war leicht, doch jenes Wissen in die Praxis umzusetzen, war eine Entscheidung in Sekunden.

„Du kannst abbrechen, Luca, wenn du es willst. Möchtest du weiter kämpfen?“

Gerade als dieser zu erwidern versuchte, widersprach der Jungfalke. Er war geschwächt, sehr sogar, aber sein Kampfeswille und sein Stolz gebot es ihm nicht, zu verlieren. Diesen Gedanken schrie er aus seiner Kehle.

Luca seufzte ergeben. „Ich würde ja gerne, aber…“ Er schaute zu seinem Staraptor und schwieg.

Mitfühlend nickte Hayato. Ihm war bewusst, in welchem Gewissenskonflikt er sich befand. Seine Aeris hätte ein freiwilliges Einverständnis einer Niederlage niemals akzeptiert. In Augen eines anderen käme dies sicherlich verantwortungslos vor, ein sehr erschöpftes Pokémon weiter kämpfen zu lassen, aber das Ehrgefühl eines geflügelten Geschöpfes war so leicht verletzbar wie ein schutzloses Junges. Niemals würde sein Tauboss ihm diesen Vertrauensbruch verzeihen.

Daher wandte sich Hayato wortlos Luca zu und nickte aufheiternd. „Und Himmelsfeger!“

„Halt durch, Staraptor, Sturzflug!“

Beharrlich kreischten die Vögel zur Antwort. Während der Falke erneut einen Luftwirbel nutzte, um an Höhe zu gewinnen, harrte Tauboss regungslos aus. Der Adlerkörper streckte sich durch und rückte von seiner natürlichen Form ab. Sein Gefieder leuchtete so grell wie ein Stern. Einen Herzschlag später zerging Tauboss in den Farben der gleißenden Sonne, strahlte so hell, dass das Licht beinahe die Augen blendete.

Wie ein Hoffnung bringender Phönix schwebte der Adler in der Luft, aber für Luca bedeutete jene atemberaubende Gestalt seinen Untergang. „Auf was wartest du, Staraptor? Wir haben keine Zeit mehr!“

Furchtlos stürzte sich Staraptor senkrecht in die Tiefe, die Flügel an den stromlinienförmigen Leib gelegt. Lodernde Flammen glühten auf und umschmeichelten liebevoll seine Umrisse.

„Abwarten!“, rief Luca, wachsam von Hayato beobachtet, seinem Pokémon zu.

Tauboss schnellte nun ebenfalls vorwärts, kam mit jeder verstrichenen Sekunde näher, die unweigerlich Staraptors Niederlage besiegelte.

„Jetzt!“

Schlagartig öffnete der Falke seine Flügel, während die Feuersäulen erkalteten und sich blau färbten. Dabei löste Staraptor eine kraftvolle Druckwelle aus, die Tauboss entgegen brandete und die Wucht des Himmelsfegers minderte.

Dann kam es zur unvermeidbaren Kollision. Tauboss und Staraptor waren aufeinander geprallt und kreischten schmerzerfüllt auf. Durch den Impuls des Sturzfluges war Tauboss zuvor abgebremst und die Heftigkeit des Himmelsfegers verringert worden.

Dem Zweikampf zwischen Tauboss und Staraptor unterlag die Adlerdame und federte nun zurück. Staraptor keuchte zwar, reckte aber stolz sein Haupt und ließ jeden seines Sieges wissen.

Anerkennend nickte Hayato dem Jungen zu und klatschte Beifall, dem ein dankbares Lächeln über die Lippen huschte. „Gut gemacht, Luca, du hast mich wahrlich überrascht“, lobte der Arenaleiter, „und außerdem hast du dazugelernt.“

„Wäre auch schlecht, wenn nicht, oder?“, erwiderte Luca grinsend. „Aber danke für die Blumen.“ Die Augen glitten zu ihren Pokémon, die nicht gedachten, aufzuhören. „Sollen wir fortfahren?“

Luca lernte erstaunlich rasch. Sein Nachname lautete nicht nur Takigawa, sondern auch Ehrgeiz. Seit er einst gegen seinen großen Bruder verloren hatte, hatte er Hayatos vollste Aufmerksamkeit.

Der Luftmeister fühlte sich an jene Zeit zurück erinnert, in der einst sein Vater Mentor für ihn und seine Geschwister war. Nun war es an Hayato sein gelerntes Wissen an die Jüngeren weiter zutragen, damit der Clan nicht ins Vergessen geriet.

Stolz fühlte sich der Arenaleiter, wenn er sah, dass sein Bruder seinen Rat beherzigte, denn dies geschah selten. Oft wollte Luca seinen eigenen Kopf durchsetzen. Koste, was es wolle!

Hayato nickte. „Lasst uns weitermachen, Luca.“

Staraptor betrachtete Aeris und ihren Trainer hochmütig, während er seinen Hals vorstreckte und mutig schrie. Tauboss erwiderte den Kampfesruf volltönend.

„Werd‘ nicht übermütig!“, tadelte Luca seinen Falken und holte ihn dementsprechend von seinem großen Triumph in die Wirklichkeit zurück.

Jener wandte ruckartig das Haupt und starrte seinen Trainer aus dunklen Augen durchdringend an, der den Blick seines Greifvogels, der zwar sehr viel kleiner war als Tauboss, aber nicht minder gefährlich war, mit Mühe standhielt.

Dass Lucas Staraptor einen ebenso großen Dickkopf besaß, war dem Arenaleiter durchaus bewusst. Schon oft war der Falke – und auch Luca – durch diese Eigenschaft aufgefallen, weil er sich hin und wieder den Befehlen seines Herrn trotzte und stattdessen tat, was ihm beliebte.

Auch dieses Mal vermochte Hayato den stummen Widerwillen in den flackernden Augen des Vogels zu lesen, gleichsam bemerkte er den inneren Konflikt zwischen Gehorsam und dem Freiheitsdrang.

„Der Kampf ist noch lange nicht vorbei“, schärfte Luca ihm ein, woraufhin Staraptor wild seinen Kopf nach links und rechts warf, so als ob der Falke nach einem Fluchtweg suchte.

Schließlich wandte Staraptor seine vor Entschlossenheit leuchtenden Augen der Adlerdame zu. Die Treue zu Luca war stärker als jeder Ruf der Freiheit.

Erneut nickte Hayato anerkennend. Seit Lucas Mutter vor siebzehn Jahren nach Johto gekommen war, kannte Hayato den Jungen, denn er war in Viola geboren. Wie das Schicksal es so gewünscht hatte, verliebte sich Hayatos Vater Gin in Hannah, Lucas Mutter. Hayato war damals zehn Jahre alt gewesen.

„Wir können weitermachen“, sprach der junge Schüler und hob den Blick empor. „Ab in die Luft, Staraptor, und dann stürz dich schnell wieder nach unten!“

Hayato bedachte seinen Stiefbruder fest. Welchen Plan er wohl dieses verfolgte? „Das lassen wir uns nicht gefallen, Aeris, nicht wahr? Ruckzuckhieb!“

Tauboss antwortete mit einem verwegenen Kreischen. Sie gehorchte und beschleunigte blitzschnell. Wie ein herabschießender Pfeil stieß der Adler auf Staraptor zu.

Auf Lucas Lippen schien sich ein Lächeln zu stehlen, soweit Hayato seinen Gesichtszug zu deuten wusste. „Du bist mir in die Falle getappt, Bruderherz!“, lachte der Braunhaarige erheitert. „Begrüßen wir Aeris mit deinem Sternschauer!“

Dass Aeris mehr oder minder hilflos war, wollte Luca ausnutzen. Aus nächster Nähe schossen Energiesalven aus Staraptors Rachen, welcher an die Form von Sternen erinnerten. Sie schlugen zu dutzenden auf das gegnerische Pokémon ein und ließen es zu Boden stürzen.

Erfreut lehnte sich Luca über das Geländer und sah Aeris nach. Ein provokantes hinterher Winken vermochte er nicht zu unterdrücken.

Hayato stand wie vom Donner gerührt da. Seine Finger ballten sich zu Fäusten, dann entspannten sie sich wieder. Wie blöd musste er sein? Ausgerechnet auf Lucas Finte hereinfallen! Das würde der kleine Bruder, der sicherlich nun innerlich jubilieren mochte, ihm noch die nächsten zwei Wochen vorhalten!

Seine Freude war rasch verflogen. Kurz vor Aeris‘ Aufprall fächerte sie ihre mächtigen Flügel und schoss dann wieder empor.

Wie zwei Raubtiere auf Beutezug umkreisten sich die Greifvögel aneinander und kreischten animalisch, denn sie wollten einander beeindrucken. „Aero-Ass!“

Dann ließen sich Tauboss und Staraptor fallen, umgeben von starken Auf- und Abwinden, mit der Gewissheit, dass sie aufeinander prallen würden.
 

„Hayato, Luca!“

Abrupt nahm das kämpferische Schauspiel ein Ende. Luca wandte jäh sein Haupt und erkannte augenblicklich seine ältere Schwester, die von Hayato und auch von ihm selbst überragt wurde.

„Stopp!“, befahl er seinem Staraptor und dem Tauboss seines Stiefbruders, die sofort versuchten, ihre Geschwindigkeit zu drosseln, um die Kollision zu verhindern. Der Jungfalke brach nach links aus, und Aeris raste knapp an ihm vorbei. Der scharfe Windzug zerzauste ihnen das Gefieder. Das anklagende Zetern der Greifvögel war groß, wurde aber nicht beachtet.

Die Kontrahenten atmeten tief ein, füllten ihre Lungen mit Luft, um die Gedanken zu sortieren und den dröhnenden Pulsschlag zu beruhigen. Für wenige Momente standen Hayato und Luca erstarrt da, ehe ihre Blicke zu der jungen Frau wanderten, die ihre Hände in die Hüfte stemmte.

Das kurze, bis zum Kinn geschnittene tiefbraune Haar, wippte leicht in einem schwachen Windhauch. Links und rechts fielen längere Strähnen herab, während der Schnitt der Haare nach hinten kürzer wurde – eine eher jungenhafte Frisur. Ihre Kleidung ließ es ebenfalls nicht zu, dass man sie aus den Augen verlor, denn der Kleidungsgeschmack war doch sehr eigen. Die Baumwolle, im Farbton schwarz, die im Ausschnitt geraffte Damenbluse und aus Wildleder gefertigten edlen Mieder machten vielmehr den Eindruck als stammten sie aus einer längst vergangenen Epoche, dem Mittelalter.

Luca merkte, dass mit seiner Schwester etwas nicht stimmte. Sie wirkte unruhig und angespannt, denn normalerweise achtete sie die Trainingsstunden, egal ob mit Schülern oder den Geschwistern. „Elena!“, stieß er überrascht aus. „Was machst du hier?“

Neben ihr hockte auf dem Geländer ihr Grypheldis und klapperte mit dem Schnabel gegen das Metall; ein großer, imposanter Geier, dessen Flügelspannweite gewiss drei Meter erreichte. Das Federkleid des mächtigen Greifvogels war braun, während sich die Halskrause beige bis weißlich vom restlichen Erscheinungsbild abhob. Fleischfarbend war der Hals, der in einen recht kleinen Kopf und schmalen, grauen Schnabel überging. Über den scharfen Greifvogelaugen prangten Kopffedern und ein schauerlicher Knochenschmuck.

Argwöhnisch betrachteten Grypheldis‘ Augen die nahe Umgebung, und sie wandten sich jäh zu Staraptor und Tauboss, die noch immer durch Auf- und Abschlagen ihrer Flügel sich in der Luft befanden.

Mit einer fahrigen, leicht in Hast geratener, Handbewegung schob Elena eine Strähne beiseite. „Die Altstadt brennt“, berichtete sie atemlos, „und etwas nähert sich sehr schnell vom südlichen Stadttor.“

Hayatos Augen glitten über die Stadt, die von ihrem Standpunkt sogar gut zu sehen war. In ihrem Kampfesrausch hatten sie nicht den beißenden Gestank von Rauch und Feuer wahrgenommen, den der Wind allmählich mit sich trug. Alle Farbe wich aus Hayatos Gesicht, auch Luca keuchte und wankte. Er suchte nach Halt an der Reling.

Dass, was sie sahen, erschütterte sie: Dichte Rauchsäulen stiegen unweit von der Arena in die Luft empor, begleitet von fernen Schreien der Menschen, die um ihre Existenz und Leben fürchteten. Jenen Gedanken, der den Geschwistern im Geiste aufblitzte, bestätigte Elena betrübt: „Die Stadt wird angegriffen.“
 

Die Geschwister traten aus der Arena heraus. Angewidert rümpften sie die Nasen, denn der stechende Brandgeruch hing wie eine unheilvolle Wolke über der Stadt. Der Wind hatte gedreht und trieb nun den Rauch, der aus der Altstadt empor stieg, in die übrigen Bezirke. Hoben sie den Kopf, dann erblickten die jungen Trainer das Übel, welches ihre Heimatstadt heimsuchte: Grell leuchteten die Flammen in den Himmel und lechzten am höchsten Turm von Violas ältester Kirche. Die dicht gedrängten Häuser waren bereits Opfer des gierigen Infernos geworden. Zahlreiche Dachstühle hatten Feuer gefangen, während manche Häuser schon lichterloh brannten. Die Menschen suchten ihr Heil in der Flucht.

Hinter den Geschwistern drängten sich die übrigen Schüler, die zu dieser schicksalshaften Stunde am frühen Nachmittag in der Arena waren, um ihre täglichen Übungen zu vollziehen. Die Jüngsten unter ihnen stießen belegte Entsetzenschreie aus, andere starrten bloß bestürzt die Kirche an.

Dann geschah etwas, woran sich Menschen in ihren Lebzeiten erinnerten: Eine ohrenbetäubende Explosion ließ die kirchlichen Mauern erzittern und ächzen. Ein fernes, aber dennoch schrilles und schauderhaften Kreischen, als würde Metall über Gestein kratzen, drang an ihre Ohren. Alsbald wehte der trockene und reizende Geruch von Staub über die alten Bezirke Violas, den die Geschwister und die Schüler wahrnahmen.

Unvermittelt verstummte das Kreischen, aber Risse klafften im Mauerwerk auf und brachen weiter, bis er mehrere Fuß maß. Wie ein Blitz raste er das Mauerwerk herab und zertrümmerte vermutlich den Schlussstein, denn in diesem Moment regnete es kieselgroße Steine. Die Kirche und der Turm knarrten, und dann begann die Front des Turmes in eine Schräglage nach außen zu neigen, während Dachbalken zersplitterten und die Decke nicht mehr zu tragen vermochte. Unter markerschütterndem Getöse und dem Schreien der Menschen stürzte das Dach in sich zusammen als wäre es ein Kartenhaus.

Und da fiel der Turm.

Wie gelähmt standen Hayato, Elena und Luca dort und vermochten kaum einen klaren Gedanken zu fassen. „Wir müssen die Stadt evakuieren“, löste sich Elena schließlich aus ihrer Erschütterung und wandte sich an ihre Brüder, die noch immer mit bleichen Gesichtern dem Szenario beiwohnten. „Sofort!“ Widerstand ließ die Schärfe ihrer Stimme nicht zu. Achtlosigkeit gewährte auch die momentane Situation nicht.

„Du hast recht“, murmelte Hayato, offenbar schockiert über die allgegenwärtige Lage. Ihm fiel es nicht leicht, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, aber es war notwendig, dass er einen klaren Kopf bekam. Er durfte nicht zulassen, dass sein Entsetzen ihn übermannte.

Nachdem Hayato sich wieder gesammelt hatte und seine Gedanken wieder frei von Bestürzung waren, drehte er sich seinen dreiundzwanzig Schülern zu. „Wir bilden sieben Gruppen mit drei Leuten. Ihr führt die Menschen aus der Stadt heraus.“ Mit einer raschen Handbewegung deutete er ihnen an, dass sie auf eigenes Zutun ihre Gruppen formieren sollten.

„Moment! Wer führt sie an und wo sollen sie die Menschen hinbringen? Und was tust du überhaupt?“, äußerte Elena ihr Bedenken und blickte ihren Stiefbruder kritisch an, der ihren Blick ebenfalls erwiderte. „Sag jetzt nicht, dass ich sie hinaus führen soll!“

Hayato nickte. „Sie werden die Bewohner zum Waldrand führen, nahe an der Kreuzung zu Teak City. Dort werdet ihr auf mich warten.“

Kurzes Gemurmel nahm er unter den Schülern wahr, niemand aber erhob Einwände, daher lächelte der Arenaleiter, auch wenn er wusste, dass die härteste Diskussion noch vor ihm lag. „Macht euch auf den Weg“, ordnete er knapp an und sah seinen Schützlingen nach. Hayato spürte bei dem Anblick, wie seine Schüler ihre Wege gingen ohne Widerworte zu geben, einen Stich ins Herz. Furcht erfüllte ihn, gleichzeitig hoffte er, dass Ho-oh sie beschützen und ihnen den Weg weisen möge.

„Weichst du mir aus? Du hast meine Frage nicht beantwortet“, riss ihn Elenas verärgerte Stimme aus seinen trüben Gedanken. „Du schickst mich doch nicht als Babysitter hinterher?!“

Sorgfältig versuchte er die Worte zu wählen, die Elena möglicherweise überzeugen mochten, kam aber zu dem Schluss, dass jede Schmeichelei gewiss auf taube Ohren stoßen würde. Er musste zum Turm gehen, um die Ältesten aufzusuchen. Nur sie vermochten ihm Rat geben und Trost zu spenden, die er in diesem Moment brauchte. Unter Umständen war die Prophezeiung eingetroffen, die sie ihm vor einem halben Jahr offenbart hatten.

„Ich geh zu den Ältesten und frage sie um Rat. Du weißt warum, aber dafür muss ich mich auf dich verlassen können“, setzte er an, aber die Brünette verschränkte bloß trotzig die Arme vor der Brust. „Ich brauche deine Erfahrung, Elena. Niemand anders könnte es tun.“

„Ach, du brauchst jemanden, auf den du dich verlassen kannst? Was für eine Ehre, dass du auf mich zurückkommst“, stichelte Elena spöttisch, „aber denkst du, ich lasse dich im Stich? Niemals!“

Hayato seufzte schwer. Welches Argument hatte so viel Gewicht, dass jenes seine Schwester hätte überzeugen können?

„Ich tu’s“, mischte sich Luca ein, der sich bislang im Hintergrund gehalten hatte. Entschlossen hatte er die rechte Hand zur Faust geballt und wirkte, als könnte niemand seine Entscheidung erschüttern.

„Nein! Das lass ich nicht zu“, widersprach Elena aufgewühlt, während die Liebe zu ihrem Bruder mit der Treue zu Hayato in ihrem Inneren tobte, gleichzeitig wusste sie, dass es an der Zeit war, Luca eigene Wege beschreiten zu lassen. Er war siebzehn und kein kleines Kind mehr, das es zu beschützen galt.

„Du weißt, dass ich es tun muss“, sagte Luca bedrückt. „Du hast dich entschieden, mit Hayato zu gehen, und ich gehe meinen eigenen Weg.“

Unwillkürlich spürte Elena Hayatos Hand auf ihrer Schulter ruhen. Ein tröstendes Gefühl, das die Tränen verhinderte, gegen die sie anzukämpfen versuchte. „Lass ihn gehen. Du kannst ihn nicht ewig beschützen“, wisperte Hayato seiner Schwester zu.

Sie gab nach, wenn gar widerwillig, denn ihr blieb nichts anderes übrig, als die Zeichen zu deuten, dass es an der Zeit war, Luca ziehen zu lassen, ganz gleich welche Gefahren bei seiner Aufgabe auf ihn lauerten. „In Ordnung, aber pass auf dich auf!“, beschwor Elena eindringlich und umarmte ihren Bruder flüchtig.

Jener erwiderte die Umarmung und schlang seine Arme um sie, hielt sie ganz fest, als befürchtete er, dass es das letzte Mal war, seine Schwester im Arm zu halten. Er drückte sein Gesicht gegen ihre Schulter und verkrampfte seine Finger in dem Stoff ihrer Kleidung.

„Jetzt hau schon ab“, flüsterte sie ihm lächelnd zu, als sie sein leises Schluchzen wahrnahm, „sonst überlege ich mir es doch noch anders.“

Widerstrebend löste sich Luca, und einen Moment glaubte Hayato in seinen Augen eine Unsicherheit zu spüren, die an der Entschlossenheit seines Bruders zweifeln ließ. Als Luca merklich einatmete und die Luft wieder aus den Lungen stieß, verflüchtigte sich dieser Eindruck. „Passt auf euch auf!“

Dann machte er kehrt und rannte seinen Kameraden hinterher, die sich kurz darauf in die befohlenen Dreier-Gruppen splitterten. Luca schien sich einer anzuschließen, die bloß aus zweien bestand.

„Du hast eine gute Entscheidung getroffen“, sprach Hayato anerkennend und streifte Elena mit einem kurzen Blick, die eisern ihre Augen auf Luca gerichtet hatte, der sich immer weiter von ihr entfernte. Unwillig drehte sie sich weg und verzog die Lippen zu einem leichten Grinsen. „Ach ja? Du nennst es Weisheit, meinen kleinen Bruder solch einer großen Gefahr auszusetzen? Ich habe das Gefühl, dass ich ihn heute zum letzten Mal sehe“, gab Elena süffisant zurück, fügte rasch hinzu, bevor Hayato widersprechen konnte: „Komm, wir sollten zu den Ältesten und zwar schnell.“
 

Es war riskant, zu Fuß den Turm aufzusuchen, der zwar unweit von der Arena über der Stadt in den Himmel empor ragte, aber der Wind spielte ihnen nicht sonderlich in die Karten. Lodernde Flammen und Rauch versperrten ihnen die Straßen, sodass sie einige Umwege in Kauf nehmen mussten, die zu viel Zeit in Anspruch genommen hätte. Die Zeit rann ihnen davon.

Daher entschieden sich Hayato und Elena zu fliegen. Hayatos Tauboss war zu erschöpft, um die jungen Erwachsenen gemeinsam auf dem Rücken zu tragen. So entließ Elena ihr Aerodactyl aus dem Pokéball; ein mächtiges Pterosaurierweibchen, das die fledermausähnliche Flügel an den Leib presste, um den Menschen den Aufstieg zu erleichtern. Aerodactyls graue Drachenhaut wirkte ledrig und glatt, aber sie war keinesfalls kalt, sondern die Schuppen waren warm und eher rau. Legte man die Hand flach auf den Körper, so fühlte man die Hitze und das Spiel der Muskeln bei jeder noch so kleinen Bewegung darunter.

Rasch waren Hayato und Elena auf den Rücken geklettert, und die Trainerin gab ihrem Pokémon den Befehl, in die Luft zu steigen. Aerodactyl spannte den Leib an, öffnete die Flügel und hob mit einem kräftigen Satz in die luftigen Höhen empor.

Die brennende Stadt schrumpfte in rasanter Geschwindigkeit zu einem winzigen Punkt zusammen. Die flammenden Infernos wirkten, als wären es rote harmlose Flecken, die der Maler auf sein Bild kleckern gelassen hatte. Selbst in dieser Entfernung war aber die gleißende Hitze deutlich zu spüren, und der beißende Rauch machte das Luftholen zu einer unendlichen Qual.

Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, bis Aerodactyl in einen sanften Sinkflug überging, begleitet von einem durchdringenden Kreischen, der Elena und Hayato dazu veranlasste, ihre Augen vorwärts zu richten.

Vor ihnen triumphierte eine traditionell erbaute Pagode aus einer längst vergessenen Epoche, in der es üblich gewesen war, dass jene heiligen Stätte oft mehrgeschossig in die Höhe ragten, als würden ihre Spitzen den Himmel zaghaft berühren wollen. Jedes Stockwerk wurde von einer Terrasse liebevoll umarmt, welche in ein elegant geschwungenes Dach mündete. Die Schindeln jener vorrausspringenden Gesimse waren dunkel, wirkten beinah schwarz, und glänzend, als wären sie soeben poliert worden, während der Anstrich des Turmes rot gehalten und golden verziert war. Zentrum jenes Gebäudes war ein monströser Balken, der stets in Bewegung war. Darum nannte man diesen Tempel „Knofensa-Turm“.

Hayato fühlte bei diesem Anblick einen schmerzenden Stich. Viola war eine schöne und altertümliche Stadt, die ähnlich erbaut war wie Teak. Die Architektur des längst vergangenen Zeitalters ließ die zahlreichen Reisenden im Glauben, sie seien in eine Zeitkapsel gestiegen und in die Ära des Kaisers zurückgekehrt.

Möglicherweise, wenn sie den Flammen nicht Einhalt gebieten konnten, würde dieser Tempel genauso dem Inferno zum Opfer fallen wie die zerstörte Kirche.

Als Aerodactyls Körper unsanft auf den Boden aufsetzte und ein mächtiger Ruck durch seine Muskeln floss, sprangen Elena und Hayato hastig von seinem Rücken.

Der Arenaleiter eilte voraus, während Elena einen Moment noch bei Aerodactyl blieb. „Du wartest hier, Bashira, okay?“ Aus klugen Augen sah das Pterosaurierweibchen ihre Trainerin an und ließ ein zärtliches Gurren aus seiner Kehle aufsteigen. Dann wandte sich Bashira ab, faltete die Schwingen zusammen und machte es sich auf dem Boden bequem.

Elena lächelte. „Braves Mädchen.“ Damit wandte sich die junge Frau um und folgte Hayato ins Innere des Turmes.
 

Unter ihren Füßen knarrte das Holz der Treppen. Hayato hasste dieses Geräusch. Noch dazu war der Aufstieg besonders beschwerlich, denn die Stufen waren ebenso schmal wie Aufgänge in die höheren Stockwerke. Nicht, dass er Höhen- oder Platzangst hatte, aber ihm war zumindest unwohl in solch engen Räumlichkeiten. Er liebte die Freiheit und brauche jene ebenso sehr wie der Mensch Luft brauchte, um zu atmen. Er brauchte die Freiheit, um sich lebendig zu fühlen.

„Wo bleibst du? Trödel‘ nicht so!“, mahnte Elena, die ihn schnell eingeholt und in jenem engen Treppenhaus die Führung übernommen hatte. Ihm kam es so vor, als bewegte sie sich, trotz der beängstigenden Enge, mit der Wendigkeit eines Wieseniors. Auf der schmalen Leiter war so wenig Platz vorhanden, dass Elena Probleme hatte, Halt unter ihren Füßen zu finden und ihren Oberkörper zu wenden, um sich leicht verärgert, leicht besorgt nach ihm umzusehen.

Wortlos nickte Hayato ihr bloß knapp zu und konzentrierte sich schließlich, Sprosse für Sprosse langsam empor zu klettern. Insgeheim bewunderte er seine Stiefschwester, die er genauso liebte wie seine leiblichen Geschwister. Während Hayato seine Unruhe und sein Entsetzen kaum zu zügeln vermochte, schien Elena bedachtsam und gleichmütig zu denken und zu fühlen. Ob es ihrer tatsächlichen Gefühlswelt entsprach, wusste Hayato nicht – oder er ahnte zumindest, dass es nur eine Maske war, um ihre Erschütterung nicht preiszugeben. Schließlich war sie stets der Fels in der Brandung gewesen; der kühle Kopf, der stets weise Entscheidungen traf und sich nicht durch persönliche Gründe verwirren ließ.

Abermals hielt er inne und unterdrückte ein Nießen, das unangenehm in der Nase kribbelte. Der Geruch feuchten Holzes war in diesen Räumen allgegenwärtig und die Luft roch durch den Staub beinahe unerträglich muffig. Hayato verfluchte seine Stauballergie. Stets reizte sie seine Atemwege und trieb ihm die Tränen in die Augen.

Als das Jucken nachgelassen hatte, setzte er wieder Fuß vor Fuß und nahm Stufe für Stufe und war froh darüber, dass die Kletterei scheinbar ein Ende genommen hatte.

Elena wartete auf dem Treppenabsatz auf ihren Stiefbruder. „Da bist du ja“, begrüßte sie ihn grinsend, „und ich dachte schon, du wärst auf dem Weg verloren gegangen.“

Schon aus Prinzip ignorierte Hayato ihre leicht spöttische Bemerkung. Natürlich war ihm durchaus bewusst, dass Elena ihn bloß auf andere Gedanken bringen wollte, aber dabei hatte sie bloß mäßigen Erfolg.

Nachdem er die Hochebene erreicht hatte, musste er einen kurzen Moment zu Atem kommen und seinen Rücken dehnen. Durch die immerzu gebückte Haltung schmerzte sein Rückgrat. „Los weiter“, keuchte er.

Die Geschwister betraten den Raum, welcher nur sporadisch beleuchtet war. Fackeln stellten Lichtquellen dar und waren an der Wand, nahe der Tür, platziert worden, brachten aber kaum Helligkeit ins Dunkle.

Entschlossen schritt Elena vorwärts, während Hayato inne hielt und von Zweifel ergriffen wurde. Elena bemerkte sein Zögern und sah ihn besorgt in die Augen. Sie spürte wie aufgewühlt ihr Bruder war.

Hayato ballte die Faust. Was war, wenn die Worte der Prophezeiung, die unentwegt in seinem Herzen brannten, eingetreten waren? War die Vernichtung Violas ein Werk des Schicksals, der Wille der Götter?

Allzu gerne würde Elena ihrem Bruder beistehen, doch sie wusste weder um seinen Kummer Bescheid noch wusste sie wie sie ihm seine Besorgnis zu befreien vermochte. „Vielleicht wissen die Ältesten Rat“, wagte sie den Versuch, ihren Bruder aufzumuntern.

Hayato wusste nicht, ob jener besagte Rat die Stadt retten konnte. Vielleicht war die Vernichtung der Stadt der Preis, den sie zu zahlen hatten. Wie damals, als sein Vater Team Rocket vor fünf Jahren erstmals in die Schranken gewiesen hatte, doch forderte jener Triumph sein Leben. Er wurde von Schutttrümmern erschlagen und unter ihnen begraben. Alles, was ihm von Gin geblieben war, war die Erinnerung an seinen tugendhaften alten Herrn, der Vater und Meister für ihn gewesen war.

Rasch trat er an Elena heran, legte seine Hand auf die ihre, welche bereits auf dem kalten Stahl der Klinke ruhte, und nickte ihr knapp zu. Gemeinsam drückten sie gegen das Holz der Tür und schoben sie auf. Hayato ließ Elena den Vortritt und folgte ihr anschließend.

„Willkommen, Hayato, ich freue mich, dich zu sehen“, erklang die brüchige Stimme eines alten Mann, dessen getrübter Blick zu Elena wanderte, „auch du seist hier willkommen, Elena.“

Die Angesprochenen streckten ihren Rücken, legten die Hände aufeinander und verbeugten sich wortlos. Dann richteten sie sich auf und ließen ihre Blicke zum Triumvirat Violas schweifen.

Drei Männer im hohen Lebensalter stellten den hohen Rat dar. Sie entsprangen edlen Familien und waren die Ältesten in der Stadt. Sie hatten bereits zwei Generationen durchlebt und hatten durch ihr langes Dasein auf Erden Weisheit erlangt. Zu beschützen war ihre Aufgabe und die Zeichen der Götter mit ihrem kostbaren Wissen zu deuten.

Unter den Männern befand sich Hayatos Großvater; der Vater des verehrten und in den Erinnerungen lebenden Gins Takigawa. Noch nicht lange war er Mitglied des Rates, denn er war der Jüngste des Trios.

Sie hatten sich auf Kissen niedergelassen, die auf den Boden gelegt worden waren. Die Männer saßen versetzt zueinander. Der Älteste – Genshin lautete sein Name – war das Oberhaupt und hatte die vorderste Position inne, während Hayatos Großvater als jüngstes Mitglied sich eher im Hintergrund befand. Der Letzte im Bunde saß rechts von Genshin. Ronin hieß er und stammte aus einer Familie, die mit den Takigawas gut befreundet war.

„Was hat euch hergeführt, Kinder?“, fragte das Oberhaupt und hob seinen lebhaften Blick auf die jungen Menschen.

„Wir sind hergekommen, weil…“

„…die Stadt in Flammen liegt. Wir wissen es bereits.“ Ronin betrachtete sie abschätzig, beinahe prüfend.

Hayato ärgerte sich. Warum erkundigten sie sich nach dem Grund ihres Kommens, wenn sie bereits darüber informiert waren, was in Viola vor sich ging?

Ein entrüstetes Schnauben entfuhr Elena. In ihren Augen lag ein ungläubiges Funkeln. „Wenn ihr es ohnehin bereits wisst, warum fragt ihr auch noch?“, sprach Hayatos Stiefschwester seinen Gedanken aus, als wären sie durch Telepathie miteinander verbunden.

„Zügel‘ dich, Elena.“ Beschwichtigend hob Hayatos Großvater die faltenreiche Hand. „Ihr seid nicht hergekommen, um uns über den Angriff zu informieren, vielmehr begehrt ihr zu wissen, wer sich erlaubt, unsere Stadt zu überfallen, nicht wahr?“, ließ nun Kenzo verlauten. Seine Augen ruhten auf seinen Enkelsohn.

Kritisch musterte Elenas Blicke den Ältesten und Hayato. „Ihr scheint mehr zu wissen als ich.“

Genshin nickte. „Du kennst die Prophezeiung auch, Hayato. Du wusstest, dass dieser Tage käme.“

„Prophezeiung? Wovon reden sie, Hayato?“ Verwirrung war in ihren Gesichtszügen zu erkennen.

Hayato aber wich ihrem Blick aus und vermochte nicht in ihre Augen zu schauen, denn es belastete ihn schwer, dass er seiner Schwester seit Monaten die Wahrheit verschwiegen hatte. So zitierte er mit belegter Stimme:
 

„Wenn die Zeit kommt,

werden Flammen unser Verderben sein.

Die Dunklen erheben sich aus der Asche,

und plötzlich nahet ein Heer Dämonen.
 

Rebellen bereit zur Schlacht.

Ein Verbündeter im eigenen Blute.

Doch Mut allein wird scheitern,

und nur die Sonne ist alles, was uns bleibt.“
 

Die Farbe wich aus Elenas Antlitz, während sich die Mimik des Erstaunens in eine Gebärde der Fassungslosigkeit wandelte. Gewiss klangen die vorgetragenen Worte grotesk, doch schien die junge Frau die verborgene Interpretation zu verstehen. „Du hast es gewusst? Du hast es gewusst und hast mir nichts erzählt?“

„Was hätte es geändert, wenn ich es dir erzählt hätte? Dass wir etwa den Angriff hätten verhindern können? Du weißt selbst, dass wir das nicht hätten tun können, Elena!“, setzte Hayato dem Vorwurf entgegen. Er fühlte sich, als wäre er in die Ecke gedrängt worden. „Außerdem weiß ich die Bedeutung dieser Worte nicht.“

Ablehnend verschränkte sie die Arme vor der Brust und strafte ihren Bruder, indem sie verstummte anstatt zu diskutieren. Elenas Schweigen traf ihren Bruder mehr als wenn sie die Meinungsverschiedenheit fortsetzte, das wusste sie.

„Es war unser eigener Wunsch, dass dein Bruder dir die Prophezeiung verschwieg haben, Elena, aber wir haben ihm bewusst nicht die Wahrheit über die Worte gesagt. Die Bedeutung hätte Hayato wahnsinnig gemacht“, trat Genshin schließlich in die geräuschlosen Streitigkeiten der Geschwister ein. Unvermittelt fügte er im tadelndem Ton hinzu: „Ihr solltet euren Geist und eure Kraft auf das bevorstehende Gefecht konzentrieren. Ihr seid unsere einzige Hoffnung, um die letzte Würde unserer Stadt zu bewahren.“

„Ihr wisst, wer uns angreift, Meister Genshin?“ Neugierde blitzte in Hayatos Augen auf, als er für einen Augenblick Elenas Groll vergaß. Gleichzeitig focht sein Interesse gegen die aufkommende Verachtung. Wer mochte so grausam sein, um eine gesamte Stadt in Schutt und Asche zu legen, wohl wissend, dass Menschen in den Flammen ihr Leben ließen?

Bestürzung flackerte in Kenzos Augen auf, denn er wusste, welche Qual die Wahrheit für seine Enkelkinder bedeutete. „Team Rocket.“

Klingentanz

Hayatos Welt erfuhr einen schweren Schlag, und er begann zu schwanken. Eine Lüge! Die Mörder seines Vaters konnten nicht zurückkehren. Sie waren vor fünf Jahren in alle Winde zerstreut und der jämmerliche Versuch, die Lakaien wieder zusammenzuführen, war verhindert worden - ein Traum machthungriger Menschen zersplittert. Die Organisation war vernichtet, ein für alle Mal zerstört!

Und obwohl sein Verstand die Worte einer Lüge bezichtigte, drohte eine Welle der Wut ihn in ihren Wogen zu ertränken. „D-Das kann nicht sein! Ihr lügt!“, herrschte er die Ältesten ungehalten und baute sich drohend vor ihnen auf. „Ihr wisst, dass es nicht wahr ist!“

Genshin blickte Hayato starr in die Augen. „Doch, es ist leider wahr.“ Seine Stimme war gelassen und ruhig. Sie ließ keine Zweifel zu.

Wie ein verletztes Tier wich Hayato zurück, während er den bekümmerten Blick seines Großvaters auf sich spürte. „Das ist nicht wahr!“, wiederholte er immer wieder. Verzweifelt fuhr er durch sein Haar, versuchend den aufwallenden Zorn zu unterdrücken. Doch Hayato war dem Gefühlsausbruch unterlegen.

„Hayato!“ Elena stellte sich ihrem Bruder in den Weg, Schulter an Schulter während die Augen starr auf ihn gerichtet waren. „Beruhig‘ dich“, beschwor sie den Arenaleiter.

Verbitterung umwölkte Hayatos sonst wachen Geist; eine Glut war in seinem Blick entfacht. Hass brannte in seinem Herzen, Verachtung glühte in seinen Augen, der Schrei nach Rache ruhte in seinem Blut und doch rangen sie mit seinem verwirrten Geist und einem tiefen Schmerz in seiner Seele. „Sie lügen, Elena! Team Rocket ist zerschlagen worden. Soul hat sie vertrieben, du weißt es!“

„Im Moment weiß ich, dass dein Temperament mit dir durchgeht“, sagte sie scharf. Keinen Millimeter wich Elena zurück, sondern schaute ihren Stiefbruder fest an.

Seine Nasenflügel bebten. „Sie haben Vater auf dem Gewissen – unseren Vater! Ist dir das egal?“

Da zuckte ihre Hand vor, zu schnell, um sie es noch zu kontrollieren, und traf auf seine Wange. Als Elena die Erschütterung wahrnahm, flammte ein brennender Schmerz in ihrer Handfläche auf, gleichzeitig spürte sie wie eine Flut der Erleichterung den Ärger von ihren Schultern nahm. „Stelle niemals in Frage, was Vaters Tod für mich bedeutet!“, fauchte Elena.

Die unerträgliche Wut - sie verrauchte nicht. Sie war einen Moment noch immer allgegenwärtig, dann aber wandte Hayato sich ab, bestürzt über die schmerzende Ohrfeige. Er ließ von seiner Wange und wandte sich schuldbewusst ab, als hätte man in einem Augenblick der Schwäche enttarnt. Den Anwesenden vermochte er nicht in die Augen zu sehen. Seine Vorwürfe beschämten ihn, denn Elenas leiblicher Vater hatte seine Familie im Stich gelassen als ihre Mutter Hannah schwanger gewesen war. Erst als sie Gin begegnet war und ihre Mutter sich ihn verliebt hatte, vermochte Elena wieder zu vertrauen und hatte gelernt, ehrlich und liebevoll zu jemanden „Papa“ zu sagen.

„Hayato! Es reicht!“, schaltete sich nun auch der Großvater des Arenaleiters energisch ein.

„Es tut mir leid“, waren die einzigen Worte, die Hayato herausbringen konnte. Er hatte die Gefühle seiner Schwester verletzt.

„Das sollte es dir auch, denn eure“, er deutete auf seine Schwester und ihn, „Pflicht wird es sein, Viola zu verteidigen anstatt deiner Schwester vorzuwerfen, ob Gins Tod für sie keine Rolle spielt.“

„Und wenn die Stadt nicht mehr beschützt werden kann?“, äußerte Elena ihre Bedenken, welche nicht nur an Kenzo gerichtet war, sondern auch an andere Mitglieder des Triumvirats. Den Groll, den sie Hayato gegenüber empfand, geriet in den Hintergrund, auch wenn jener nicht vergessen war.

Sie zögerten, und Hayato fühlte ihr Bedrücken über das bevorstehende Schicksal. In Viola war er geboren und aufgewachsen, hatte gemeinsam mit seinem Vater sein erstes Pokémon – Aeris, das damals noch ein Taubsi gewesen war – gefangen und trainiert.

„Dann können wir nichts mehr für unsere Stadt tun, als zu fliehen und ihr den Rücken zu kehren“, kam schließlich die Erwiderung, die schweren Herzens ausgesprochen wurde.

Hayato und Elena sahen sich an. Entsetzen und auch Trauer erblickten sie in dem Blick des anderen, aber auch das Verlangen nach Antworten. „Wie konnte es nur dazu kommen? Team Rocket wurde vor wenigen Monaten vernichtet!“, sagte Hayato, sich darum bemühend, die schlummernde Wut zu bändigen.

„Sie haben nur so getan, als hätten sie eine Niederlage erlitten“, ereiferte Elena. „Sie müssen im Untergrund ihre Rückkehr akribisch geplant haben.“

„So ist es“, nickte Genshin, „und ihre Wiederkehr wird uns nicht gefallen. Wir müssen vorbereitet sein, sonst verfällt das Land in das gleiche Chaos wie es in Orre herrscht.“

Orre, ein fremdes Wüstenland, das in weiter Entfernung lag. Ein Land, welches Fernweh in jedem Träumer auszulösen vermochte. Paradiesische Strände entlang der Küste, hochaufragende Palmen und zahlreiche schöne Südländerinnen. Doch Team Crypto strebte nach der Macht und hatte sein wohl begehrtes Ziel erreicht. Gewalt und Zerstörung regierten fortan die Region. Arenaleiter wurden hingerichtet, einflussreiche Menschen ermordet und Rebellionen brutal niedergemetzelt.

Seit dieser Machtergreifung herrschte in Orre Angst und Schrecken. Und dies galt es hier in Johto zu vermeiden, handelte es sich tatsächlich um einen Angriff von Team Rocket, die Cryptos Streben nach zu eifern gedachten.

„Es ist deine Aufgabe, Hayato“, sprach Genshin, „beende, was dein Vater begonnen hat. Es ist dein Erbe.“

Erbost schlug Elena mit der geballten Faust gegen die Wand, den aufflammenden Schmerz vollends ignorierend. „Das könnt ihr nicht verlangen!“, widersprach sie. Äußerlich wirkte die junge Frau ruhig und souverän, doch sie war aufgebracht. „Das ist ein Selbstmordkommando, wenn wir hierbleiben, um eine Stadt zu schützen, die sowieso der Zerstörung geweiht ist!“

„Elena, wir müssen das tun.“ Hayatos feste Entschlossenheit lastete erdrückend schwer auf Elenas Schultern. Sie spürte, dass sie zwischen zwei Fronten gedrängt worden war. Sie fühlte sich zwischen der realistischen Betrachtung, der Angst, dass dieser schreckliche Tag ihr letzter sein könnte, und der Liebe zu jener Stadt, die seit dem siebten Lebensjahr zu ihrem trauten Heim geworden war, hin- und hergerissen. Alles in ihr schrie danach gegen Team Rocket zu kämpfen, sich für den Tod ihres Ziehvaters zu rächen und dem Mörder das gleiche Schicksal erleiden zu lassen, doch Elena hatte Angst, unglaubliche Angst, dass der Abschied von Luca und der Streit mit Hayato am heutigen Tag für die Ewigkeit waren.

„Du weißt, was es bedeutet, wenn wir es nicht schaffen?“ Sie sah ihren Bruder an und hoffte darauf, dass er seine Entscheidung bereute und sich von einer Flucht überzeugen ließ, aber sie kannte Hayato und wusste, dass er bis zum letzten Blutstropfen kämpfen würde. Sein Gerechtigkeitssinn war leider größer als sein Verstand.

Er nickte, ohne zu zögern. Wie er es bereits in der Kindheit getan hatte, als er gespürt hatte, dass sie sich fürchtete, griff er nach ihrer Hand und übte leichten Druck aus. In seinen Augen lag eine wilde Entschlossenheit, ein Ausdruck, der ihr Kraft und Mut gab.

„Wir brechen sofort auf“, verkündete sie schweren Herzens. Die seit fünf Jahren gezügelte Wut triumphierte feierlich und jubilierte. Das Ziel ihren Vater zu rächen, rückte näher. Anders als Hayato konnte sie ihren Zorn unterdrücken.

Freudig drückte Hayato die Hand seiner Schwester, glücklich darüber, dass er Elena in dieser furchtbaren Zeit an seiner Seite zu wissen vermochte, aber sie entzog ihm ihre Hand. „Freu dich nicht zu früh“, fügte sie knurrend an Hayato gewandt hinzu.

Ein heiteres Lächeln huschte über Hayatos Lippen, und er sah dem Triumvirat entgegen. „Was ist mit euch? Wir führen euch hinaus und bringen euch in Sicherheit.“

„Nein, wir bleiben hier. Wenn ein Schiff sinkt, dann geht der Kapitän mit ihm unter“, sprach Genshin einvernehmlich für seine Gefährten.

Hayato erstarrte, und auch Elena wirkte bestürzt. Der Arenaleiter trat auf den alten Herrn zu, doch dieser hob bloß abweisend die Hand, während er sich schwerfällig aufrichtete und auf die jungen Erwachsenen zu schritt.

„Hayato“, er blickte seinen Enkel kummervoll an, „ich habe lange genug gelebt. Meine Pflicht ist erfüllt.“ Kenzo wandte sich Elena zu. Er fasste mit seinen gebrechlichen Händen an ihre Wangen und hielt sie fest. „Elena, ich bin froh solch eine kluge Enkeltochter gehabt zu haben. Pass mir gut auf deinen Bruder auf, dass er keine Dummheiten macht.“

Elena war gerührt. Es fiel ihr schwer, den Tränen zu widerstehen, denn Kenzo war stets ein kühler und alter Mann gewesen, der die neu entflammte Liebe seines verstorbenen Sohnes zu Hannah nur schwer akzeptiert hatte. Es galt als unsittlich, sich scheiden und erneut trauen zu lassen; eine Schande für die Familie hatte er Gin oft vorgeworfen. Daher hatte Kenzo seine „neuen“ Enkelkinder nie wirklich anerkannt, obwohl Gins und Hannahs Hochzeit bereits dreizehn Jahre in der Vergangenheit lag.

Elena umarmte ihren Großvater rasch. Hayato tat es ihr nach, wenngleich ihnen der Abschied nicht sonderlich angenehm behagte. Sie zögerten, ihnen den Rücken zu zukehren, wissend, dass dies der letzte gemeinsame Moment war.

„Jetzt geht“, forderte Ronin eindringlich, „sonst zerbrecht ihr an dem Abschied.“ Er legte die Hände aufeinander und beugte das Kreuz.

„Lebt wohl, möget ihr uns den Frieden zurückbringen“, fügte Genshin hinzu und verneigte sich.

Kenzo schwieg und blieb regungslos wie eine Statue, blickte aber von Stolz erfüllt seinen Enkelkindern entgegen.
 

Ein Bild des Grauens bot sich Hayato und Elena, als sie die Pagode verlassen hatten. Sie traten an den Rand der Klippe und vermochten von diesem Standpunkt die gesamte Stadt überblicken. Überall brannten nun Feuernester: hohe Flammen lechzten an den Häusern und verzehrten sie in ihrem unstillbaren Hunger. Doch das Mahnmal der Verwüstung war die zerstörte Kirche, die nach einer gewaltigen Detonation wie ein Kartenhaus zusammengefallen war. Geifernd gierten die Flammen nach den umliegenden Gebäuden. Der dichte Qualm, der in Viola wie in einer dunklen Wolke hüllte, ließ das Atmen zu einer Qual werden, während beinahe von überallher Explosionen zu vernehmen waren. Die Erschütterungen ließen den Boden erzittern.

Durch die Straßen sahen sie wie Menschen dicht gedrängt in Panik um ihr Leben rannten und hörten das Klagen verlassener Kinder, die von ihren Eltern getrennt worden waren. Entsetzen packte die Jugendlichen, als sie Zeuge wie Menschen unter zusammenstürzenden Häusern begraben oder von Flammen qualvoll vertilgt wurden.

Übelkeit überkam Hayato. Er wandte den Blick angewidert ab, versuchte den Ekel zu bekämpfen und doch erbrach er sich in einem Gebüsch, während Elena wie in einer Ohnmacht verfallen auf das Szenario starrte.

Angstvolle Menschenschreie und das schrille Kreischen von Pokémon, welche Hayato und Elena niemals mehr zu verdrängen vermochten, schallten durch die Straßen und erfüllten die Luft.

„Sieh‘ mal.“ Elena deutete gen Süden. Schwarzgekleidete Menschen fluteten durch das südliche Tor, so zahllos wie Kiesel im Fluss. Erstarrt blickten Elena und Hayato dem Strom entgegen, und sie wussten, dass die warnenden Worte des Ältestenrates die Wahrheit gewesen waren, obwohl sie das charakteristische Emblem auf der Brust der Männer und Frauen nicht erkennen konnten.

„Es ist also wahr“, murmelte der Arenaleiter kaum vernehmlich. Noch immer hatte er sich an die Hoffnung geklammert, dass der Rat im Unrecht gewesen war.

„Was hast du denn erwartet?“ In Elenas Worten schwang ein feiner Unterton von verletzendem Spott mit, und ihm wurde bewusst, dass in ihr noch immer die Wut schwelte. „Oder kriegst du es jetzt mit der Angst zu tun?“

Es war nicht die Furcht, die sein Herz in einer bedrückenden Umklammerung hielt. Entschlossenheit beflügelte sein Herz und der Ruf nach Gerechtigkeit schrie in ihm auf, während er Zeuge wurde wie Menschen, die Freunde und Bekannte für seine Familie waren, all ihre Existenz verloren. Ihm war bewusst, dass es einer Utopie gleichkam, zu denken, diese Zerstörung brächte keine Todesopfer mit sich. Deswegen vereinte sich seine Unerschrockenheit mit der Wut, die in seinem Herzen loderte. „Nein“, war seine schlichte Erwiderung.

Quälend war die Stille, die daraufhin folgte. Ein Blick auf die Gefühlsregung seiner Schwester blieb ihm verwehrt, denn Elena hielt das Gesicht von ihm abgewandt. Anhand ihrer Körperhaltung las er wie angespannt sie war. Elena rang mit ihren Gefühlen und weckte in ihm das Verlangen, seine Arme um sie zu schließen.

„Papa hätte gewollt, dass wir unsere Heimatstadt verteidigen, egal um welchen Preis“, fügte er sanft hinzu und versuchte dieses Eis zu brechen, welches ihnen unerwartet den Weg zueinander versperrte.

Wie ein in die Enge getriebenes Tier wirbelte Elena herum. Es geschah so rasch, dass Hayato die kommende Faust nicht rechtzeitig wahrzunehmen vermochte. Er verspürte nur einen harten Schlag gegen seinen Kiefer und der nachfolgende Schmerz. Ein Schrei löste sich aus seiner Kehle, während der Schreck ihn taumeln und zu Boden stürzen ließ.

Elena stand vor ihn und ihre Gestalt ragte bedrohlich über ihn auf. In ihren Augen leuchtete ein kaltes Feuer. „Du hast nichts verstanden, rein gar nichts! Papas Wille wäre gewesen, dass wir leben und uns nicht in eine Gefahr stürzen, die möglicherweise unser Tod bedeuten könnte!“, schalt Elena ihn mit erhobener Stimme. „Aber du – du suchst nach einem Phantom und willst Rache für seinen Tod und das hätte er niemals gewollt!“

Sie starrte in seine Augen und schien ein Schuldbekenntnis zu suchen, fand es aber nicht. Entsetzen und Schmerz lagen in seinem Blick. Mehr nicht. „Du hast es nicht verdient, in seine Fußstapfen getreten zu sein, wenn du noch nicht mal die Tugenden der Familie verstanden hast.“

Enttäuschung und Verbitterung dominierten in jenem Augenblick und zerrissen Elena das Herz. Sie liebte ihren Bruder, doch in diesen Atemzügen hasste sie ihn – und das lastete schwer auf ihren Schultern. Es tat so schrecklich weh!

Erneut fuhr sie herum, und Elena rannte davon, bloß weg von ihm. Mit einem geschmeidigen Sprung schwang sie sich auf Aerodactyls niedergekauerten Rücken, welches sich ruckartig aufrichtete und die Schwingen fächerte. Mit einem kehligen Schrei stieß sich die Pterosaurierdame vom Boden ab und schnellte in die Höhe.
 

Nachdem Elena erbost aufgebrochen und aus seinem Sichtfeld verschwunden war, blieb Hayato wie gelähmt am Boden niederkauernd liegen. Sein Herz klopfte so schmerzhaft gegen seinen Brustkorb, als würde es ihn zerreißen wollen. Ihre letzten Worte vermochten dem jungen Arenaleiter nicht aus dem Sinn zu gehen. Gleichsam wurde ihm unweigerlich bewusst, dass er soeben eine große Torheit begangen hatte, denn Elena hatte Recht. Gin war immerzu ein Mann der Tugenden gewesen. Von den Menschen Violas wurde er wegen seinen Taten geliebt und verehrt. Sein Tod war eine Tragödie gewesen, für alle Menschen, die Gin gekannt hatten.

Pflichtbewusstsein, Gerechtigkeit, Mut und Treue hatte er stets seinen Kindern gelehrt, und doch hatte Hayato das Andenken seines Vaters in den Schmutz gezogen. Niemals hätte Gin zugelassen, dass seine Kinder sich in eine derartige Gefahr begeben, nur um sein Erbe – die Stadt zu beschützen –zu wahren.

Hinterrücks überfiel ihn das schlechte Gewissen, so stechend und schmerzhaft wie der Dorn eines Bibors, welcher sich tief ins Fleisch bohrte. Doch der plötzliche Verlust seiner Schwester quälte ihn mehr als alles andere. Die Erinnerung an die Kälte in ihren Augen ließ ihn frösteln.

Erst als Kieselsteine brennend in seine Handflächen schnitten, fanden seine Gedanken einen kurzen Moment der Ablenkung. Behutsam regte sich Hayato, jederzeit mit dem Umstand rechnend, dass sein Körper jede Sekunde aufjaulen könnte. Als sein Leib sich zu keiner Protestklage hinreißen ließ, streckte er seinen Oberkörper und betrachtete seine verschmutzten Hände, in deren Innenflächen schwache Abdrücke oder leichte Abschürfungen zu sehen waren. Flüchtig rieb er die Hände an seinem Yukata ab und erhob sich rasch. Sein Blick ging in jene Richtung, in die Elenas Aerodactyl geflogen war, direkt auf die im Inferno gehüllte Stadt zu.

Wie konnte er bloß glauben, dass Gins Tod Elena gleichgültig sei? Ihr leiblicher Vater hatte seine Tochter vor rund siebzehn Jahren alleine gelassen, als ihre Mutter mit Luca schwanger und kurz vor der Entbindung gestanden hatte. Seit sie aneinander kannten, war Gin für Elena und Luca stets ein Vater gewesen. Sie hatte ihn ebenso geliebt wie Hayato seinen Vater geliebt hatte. In all den Jahren war Elena wie eine Schwester für ihn geworden. Ganz gleich wie heftig so mancher Konflikt verlaufen war, wusste er sie jederzeit an seiner Seite.

Gedankenverloren ließ Hayato seine Augen wandern und sah zur Pagode zurück. Intuitiv spürte er, dass der Rat nicht daran glaubte, die Vernichtung Violas könnte noch aufgehalten werden. Sie hatten die Hoffnung aufgegeben und den altertümlichen Turm zum Grab gewählt. Sie waren zu alt, denn sie wandelten schon lange genug auf der Welt, als dass sie noch die Kraft aufzubringen vermochten, um zu fliehen. Hayato hatte die Wahl, und er entschied sich, zu leben und um das zu kämpfen, was er liebte. Sein Weg war nicht die Rache, die er wie ein Geschwür in seinem Herzen spürte. Zu beschützen wählte er seine Aufgabe.

Doch Hayato fühlte sich seltsam leer. So tief wie sich die Schlucht zwischen ihm und Elena gegraben hatte, war sie noch nie gewesen. Warum musste es soweit kommen, dass er sich in der Stunde der höchsten Not mit seiner Schwester so sehr zerstritt? Er brauchte sie. Er brauchte sie, um sich in ihrer Gegenwart stark zu fühlen, und doch wusste er, dass er Elena tief verletzt hatte.

Er musste sie suchen und finden. Er musste sich entschuldigen, ihr sagen wie Leid ihm all das tat, was zwischen ihnen vorgefallen war, und hoffte, dass seine Torheit nicht das Vertrauen zueinander zerstört hatte.

„Aeris!“, brachte Hayato krächzend hervor. Der Verlust schnürte ihm den Hals zu und erstickte seine Stimme. Als die mannshohe Gestalt der Adlerdame sich vor ihm materialisierte, straffte er seine Schultern. Er wollte wenigstens seine treue Gefährtin vor Kummer bewahren.

Das Tauboss blickte ihn aus erschöpften Augen an. Durch den vergangenen Kampf gegen Lucas Staraptor wirkte das braun-beige Gefieder, das sonst gut gepflegt an ihrem schlanken Körper anlag, zerzaust und hier und da angesengt.

Bedrückt kniete Hayato nieder und lehnte seine Stirn gegen Aeris‘ Brust, während seine Hand auf ihrer Schulter ruhte und die Finger liebevoll durch die Federn kraulten. Ihre klugen Augen blitzten fragend auf, als spürte sie seinen inneren Konflikt. Tröstend reckte Aeris den Hals und schnäbelte zärtlich durch Hayatos schwarzes Haar.

„Noch nie habe ich so viel von dir verlangt wie ich es jetzt tun werde“, sprach er flüsternd. „Dieser gemeinsame Flug könnte unser letzter sein, aber ich werde dich nicht dazu zwingen, diesen Weg mit mir zu gehen.“

Aeris entzog sich seiner Nähe und sah ihn fest an. In ihren Augen brannte ein immer glühendes Feuer, das ihm Mut, Kraft und Zuversicht schenkte. Den Kopf in den Nacken werfend und die Schwingen ausbreitend, ertönte ein schriller Kriegsschrei aus ihrer Kehle, der wie eine Warnung über die Ebene schallte.

Ein unerschütterliches „Ja“, so wusste Hayato. Niemals würde Aeris ihren engsten Freund und Gefährte in eine ungewisse Zukunft gegen blicken lassen, ohne dass sie auf ihn aufzupassen vermochte.

Hayato lachte leise; das Lächeln erhellten seine Gesichtszüge, und er fühlte wie sein schlechtes Gewissen etwas zur Ruhe kam. Aeris‘ Gegenwart bestärkte ihn in dem Vorhaben, Viola zu beschützen – um des Menschen Willen, die in dieser Stadt aufgewachsen waren und ihr gesamtes Leben in der Stadt verbracht hatten, welche sie „Heimat“ nannten.

Hayato erhob sich und musterte den Zustand seines Tauboss, das nach dem Übungskampf gegen das Staraptors seines Stiefbruders Verwundungen davongetragen hatte. Es waren bloß leichte Verletzungen, Schnittwunden, nicht mehr, aber an manchen Stellen waren die Krallen und der Schnabel des Jungfalken Aeris tief ins Fleisch gefahren. Die Gefahr, dass sich jene Wunden entzünden konnten, wollte Hayato nicht eingehen, und so war er froh, dass in einer Tasche seines Gewandes ein bläuliches, im Sonnenlicht transparentes Fläschchen vorzufinden war.

Aeris beäugte ihn misstrauisch, als er die Schutzkappe der Sprühflasche abnahm. Obwohl sie wusste, dass die Flüssigkeit in dem Behältnis Linderung verschaffte, hasste Aeris diese „Top-Tränke“ wie Hayato sie nannte. Einen Herzschlag wich sie zurück, doch ihr Trainer sah sie mahnend an, und die Adlerdame wusste, dass es dem jungen Arenaleiter bloß um ihr Wohlbefinden ging. So ließ Aeris Hayato an sich heran, duldete das Zischen des Fläschchens und das darauffolgende schmerzhafte Brennen ihrer Kratzwunden ohne aufzubegehren. Als Lob erhielt sie das zärtliche Kraulen, was Aeris so sehr liebte.

„Jetzt lass uns fliegen“, sprach Hayato endlich die Worte aus, die die Adlerdame ersehnt hatte. Erneut stieß sie ein Kreischen aus und bot ihrem Trainer ihren Rücken dar.

Keinen Augenblick verlierend bestieg Hayato ihren Rücken; Halterung und Zaumzeug anzulegen, kostete jetzt zu sehr wertvolle Zeit. Als sich Aeris folglich kraftvoll vom Boden abstieß, die mächtigen Flügel öffnete und sich gen Himmel schraubte, fühlte Hayato wie in der Luft Trainer und Pokémon eins miteinander wurden; jeder Kummer und alle Sorgen traten gewöhnlich in den Hintergrund, wenn ihm das Gefühl grenzenloser Freiheit überkam, doch dieses Mal sollten Hayatos Gedanken keinen Moment der Ablenkung finden können.

Aeris flog ihm in eine ungewisse Zukunft entgegen, und diese Gewissheit schnürte ihm die Kehle zu, ließ ihn nicht zu Atem kommen, während sein Blick auf die brennende Stadt – auf die Flammen, die seine Erinnerungen gierig verschlangen - unter ihm gerichtet war.
 

Bashira landete im Schatten des seit Jahrhundert angestammten Familienbesitzes der Takigawas; ein Haus, das nach dem traditionellen japanischen Baustil erbaut worden war, nahezu aus Holz, Papier und Ziegel für das geschwungene Dach bestehend. Umgeben war das Gut mit einem weitläufigen Garten, der nach eben jener Sitte angelegt worden war, und einer schützenden Mauer vor unliebsamen Blicken.

Jener Anblick war für die Menschen Violas Gewohnheit, während Touristen aus aller Welt in die Stadt angelockt wurden, neugierig über die sonderbare Architektur des Landes.

Nach einem Brand des unbewohnten Ostflügels jedoch ließ das Familienoberhaupt bei den Renovierungsarbeiten das leicht brennbare Holz und Papier durch Stahlkonstruktionen ersetzen und hatte den Arbeitern aufgetragen, die Außenwand wieder braun zu streichen, sodass sich das Haus nach der Instandsetzung wieder ins Gesamtbild fügte. Wenngleich die Restauration Zeit und Nerven aller Familienmitglieder gekostet hatte, lohnend war die Mühe jedenfalls gewesen.

Elenas Stiefel kamen auf einem gepflasterten Untergrund auf, der umgeben von zurechtgeschnittenen Sträuchern und Blumen war, nachdem sie sich vom Rücken der Pterosaurierdame gleiten gelassen hatte. Aerodactyl richtete sich einen Herzschlag lang auf, spreizte die Flügel vollends – genügend Platz fanden sie allemal -, ehe sie sich niederkauerte und ihre Schwingen zusammenfaltete, um sie hernach an ihren grauen Leib anzulegen. Wartend verharrte sie, den Blick auf das Anwesen und dem von Feuer rötlich gefärbten Himmel gerichtet.

Elena war erfahren genug, dass sie Bashiras Gefühlsregungen als höchste Alarmbereitschaft zu verstehen vermochte. Instinktiv witterte die Flugsaurierin die nahende Gefahr. Bei ihrem Pokémon bleiben um seine Nähe zu suchen, konnte Elena nicht. Aus einem anderen Grund war sie an diesem Ort gekommen, obwohl es leichtsinnig war, sich so dicht der Feuersbrunst zu nähern. Sie musste sich vergewissern, dass ihre Familie in Sicherheit war.

Ein geradliniger Weg führte von ihrem Standpunkt zu einer von Granitfiguren bewachten Weggabelung, welche den eindrucksvollen Löwenkopf Enteis darstellten; der rechte Pfad leitete sie zum Pavillon, der, aufgrund der Temperaturen, nun im Winter kaum genutzt wurde und der andere lenkte sie zum Anwesen, direkt auf großzügige die Terrasse zu.

Zu beiden Seiten waren die Wegesränder von kahlen Büschen gesäumt, die, sobald die Sonne im Frühling Kraft gewann und im Sommer das höchste Maß ihrer Stärke entfaltet hatte, im üppigen Grün erstrahlten. Noch befanden sich all die Pflanzen und Blumen in einer winterschlafähnlichen Ruhepause und ließen den Garten als trostlose Einöde erscheinen. Erst wenn die Wärme sie aus ihrem Schlaf lockte, würden sie erwachen und brachten neues Leben in die Flora und Fauna.

Nun erlaubte die Nacktheit der Sträucher und Bäume den Blick auf steinerne Türme, welche erhaben zwischen dem Gehölz auf thronten. Es wirkte beinahe so, als entstammten sie der Spielkiste eines Kleinkindes, und doch erschienen sie wie stumme Wächter. Bei näherer Betrachtung erblickte man in ihrem Inneren das schwache Leuchten einer Kerze.

Der Boden selbst war mit weißem Kies aufgeschüttet, während Platten aus Naturstein als Tritte dienten. Wie sehr die Zeit an ihnen genagt hatte, verdeutlichte das Moos auf dem grauen Gestein. Jeder Schritt wurde durch das weiche Polster leicht abgefedert.

Unweit des speziell angelegten Landeplatzes sprudelte eine Quelle, ein Wasserspeier, in der Gestalt eines Garados‘, der immerzu das kühle Nass in den Teich ergoss und jenen mit frischem Wasser belebte. Trittsteine dienten zur Überquerung des Teiches, indem Karpador ihre Bahnen zogen.

Ihrer Mutter zuliebe hatte Gin den Garten umgestalten lassen, denn Hannah liebte die Nähe zur Natur und den Geruch von Blumen und Erde um sich herum.

Nun aber schritt Elena im Eilschritt dem Weg entlang, der sie unweigerlich zum Haus führte. Sie beachtete den Lärm von Explosionen und schreienden Menschen nicht. Bashiras verstörte Kreischen ließ die Luft vibrieren, und Elena vermochte die Auswirkungen jener Schreie in ihrem Körper als leichtes Beben zu spüren. Würden die Tonlagen in höhere Frequenzen gelangen, so wusste Elena, dass jene Laute, welche für das Ohr des Menschen nicht zu hören waren, durch den zu hohen Druck innere Verletzungen verursachten.

Sie beschwor die Flugsaurierin zu schweigen, auch wenn ihr bewusst war, dass es ein utopischer Traum war. Bashira würde ihr Flehen nicht erhören können. Elena sah zu dem Aerodactyl zurück, von dem sie bloß den grauen Leib zwischen dem Geäst ausmachen konnte. Sie wagte es aber nicht, Bashira mahnend zurechtzuweisen. Die Gefahr, dass Team Rocket durch die Gegenwart des Aerodactyls bereits alarmiert und in dieses Viertel vorgedrungen war, war ihr schlichtweg zu riskant, als dass sie leichtfertig ihren Standort preiszugeben vermochte.

Ruckartig wandte der Ursaurier den massigen Kopf in Elenas Richtung und verstummte augenblicklich. Die junge Frau wusste nicht, ob es sich um Zufall war oder ob Bashira tatsächlich ihren Wunsch verspürt und danach gehandelt hatte. Von Unruhe war sie jedoch trotzdem ergriffen. Das nervöse Stampfen der schweren, krallenbewehrten Pranken und das verstimmte Schnauben verrieten wie unwohl und ruhelos sich Bashira fühlte.

Elena seufzte erleichtert und wandte sich von ihrem Pokémon ab, um zur Veranda zu eilen. Vorsichtig schob sie die Schiebetür beiseite, die zum Wohnzimmer der Familie führte, und trat leise hinein.

„Mama?“, sprach sie mit gedämpfter Stimme in den Raum hinein, wagte es aber nicht, noch einmal zu rufen, als es ruhig blieb.

Schritt für Schritt ging Elena ins Wohnzimmer, welches sie in Dunkelheit vorfand. Licht brannte nicht und auch sonst herrschte eine Stille im gesamten Haus. Raschen Blickes sah sich Elena um.

Der Wohnraum wirkte aufgeräumt, so wie sie es gewohnt war. Die Kissen waren sorgsam zurechtgelegt, die Wolldecke ordentlich zusammen gerollt und die Zeitschriften und Zeitungen lagen ebenso ordnungsgemäß aufeinander gestapelt da. Nichts deutete darauf hin, dass ihre Mutter das Haus eilig verlassen hatte. Vielleicht suchte Hannah in der oberen Etage Schutz.

Alles, was sie hörte, war das Knirschen der am Boden ausgelegten Tatami-Matten unter ihren schweren Stiefeln. Furchtsam zuckte Elena zusammen. Sie hielt inne und verfluchte ihre Anspannung. Nie war sie so schreckhaft gewesen, und trotzdem fühlte sie sich wie ein gejagtes Rattfratz, das den Atem eines Hundemon in seinem Nacken spürte.

Sie blickte auf ihre schwarzen, eisenbewehrte Stiefel herab und verschwendete einen kurzen Augenblick, ob es ratsam wäre, sie zurück zu lassen.

Als sie sich letztendlich dagegen entschied, durchquerte sie ohne weitere Bedenken das Wohnzimmer und betrat die Diele. Elena hielt auf die Treppe zu, welche in die erste Etage führte. Dort waren die Schlafräume der Kinder und ihrer Mutter verteilt, mitunter zwei Bädern, dem verwaisten Arbeitszimmer ihres Vaters, das mittlerweile Hannah bezogen hatte, und einem zusätzlichen Räumlichkeit, welches die Kinder als „Chillraum“ betitelten.

Elena umfasste mit einer Hand das kühle Treppengeländer, während sie die Stufen hinauf lief, mal zwei oder drei Stiegen auf einmal nehmend.

Erneut sah sich die junge Frau um, wieder aber blieb es still. Daher vergeudete sie keinen Moment, sich in den Zimmern der Geschwister über ihren Verbleib zu vergewissern, sondern stieß die Tür ihres eigenen Reiches auf.

Das Bett stand unter einem Fenster, bald darauf drängte sich ein Schreibtisch daran, auf dem ein Computer stand. Regale dominierten aber den Anblick des Zimmers, welches Elena als belesene junge Frau enthüllten. Unter ihnen waren jedoch wenige Unterhaltungsromane, sondern ihr Besitz bestand hauptsächlich aus Lehrbüchern, die sie für ihr Mathematik- und Informatik-Studium beanspruchte.

Da Elena zurzeit promovierte und an ihrer Doktorarbeit schrieb, stapelten sich auf dem Boden zusätzlich zahlreiche Bücher, beschriebene Blätter und andere Dokumente. Nahe dieser Ansammlung an Arbeitsmaterialien standen ein aufgeklappter Laptop, eine Kanne, dessen Inhalt vermutlich bereits kalt geworden war, und eine leergetrunkene Kaffeetasse daneben.

Suchend blickte sich Elena um, dachte einen kurzen Moment nach. Das Objekt ihrer Begierde, welches sie suchte, fand sie jedoch rasch in einem Schrank. Sie kehrte zu ihren Lernmaterialien zurück, klappte das Laptop zusammen und verstaute es in der Umhängetasche.

Als sich Elena umwandte, sah sie auf die Wand, an der in einer Halterung liegend, ein geschwungenes Langschwert angebracht war.

Sie zögerte. Team Rocket besaß Schusswaffen. Egal wie gut ihre Schwerttechnik auch war, gegen Schusswaffen war das Katana wirkungslos. Elena entschloss sich aber, es trotzdem mitzunehmen.

So nahm Elena das Katana an sich und gürtete es um die Hüfte. Das Gewicht des Langschwertes vermittelte ihr ein Gefühl der Sicherheit und stärkte ihre Kraft.

Sie bedachte ihr Zimmer wehmütig, denn ihr Verstand sagte ihr, dass sie die gewohnte Umgebung lange Zeit nicht wiedersehen würde. So ließ sie ihren Blick ruhelos umherschweifen und versuchte sich jedes Detail ihres Raumes einzuprägen – selbst wenn Chaos ausbrach, wenn sie für eine Klausur lernte. Dann waren Bücher und Arbeitsblätter überall im Zimmer verstreut.

Ihre Augen ruhten aber auf einem Foto, welches auf einer hölzernen Kommode nahe der Tür stand. Zögernd nahm Elena es in die Hände und betrachtete das Bild, während ihr Zeigefinger liebevoll über das Glas strich.

Das Foto zeigte Hayato und Elena in einer vertrauten Pose. Hayato hatte den Arm um seine Schwester gelegt und drückte sie beinahe beschützend an sich, während er mit seinen Fingern das Victoryzeichen formte und es der Kamera lachend entgegen streckte. Elena lehnte sich zufrieden an seine Schulter, aber im Gegensatz zu Hayatos Strahlen erschien ihr Lächeln eher zurückhaltend und scheu.

Erinnerungen versetzten ihr einen unerwartet schmerzlichen Stich, und sie spürte plötzlich eine unerträgliche Leere in ihrem Bewusstsein. Damals wirkten sie wie ein eingeschworenes Team, dem sich nichts und niemand entgegen zu stellen vermochte, aber waren sie es noch heute, das Duo, welches sich niemals entzweien ließ?

Elena kannte die Antwort nicht. Sie fühlte bloß die unaufhaltsame Einsamkeit und wusste, dass sie ihren Bruder vermisste. Ihr erschien es auf einmal gleichgültig, welches Streben ihn motivierte, gegen Team Rocket zu rebellieren, und doch vermochte sie seinem glühenden Hass, der bisher verborgen in seinem Herzen existiert hatte, nicht zu vergeben. Noch nie hatte Elena Hayato so sehr von Rache getrieben erlebt.

Als sie den Anblick des Fotos nicht mehr ertragen konnte, rutschte ihr der Bilderrahmen aus der Hand. Kaum war jener auf dem Boden aufgeschlagen, zersplitterte klirrend das Glas in alle Himmelsrichtungen.

Daraufhin verließ Elena fluchtartig ihr Zimmer. Sie lehnte am Türrahmen und atmete tief ein, um wieder Herrin ihrer Gefühle und Gedanken zu werden.

Leichten Fußes schritt Elena den Flur bis zur Treppe entlang und wandte sich anschließend nach rechts, um die Tür, welche zu Hannahs Schlafgemach führte, aufzustoßen. Das Zimmer aber war leer.

Erleichtert atmete Elena auf. Ihre Mutter hatte das Anwesen verlassen, ehe Team Rockets Zerstörungswut bis hierhin vorgedrungen war.

Bedachtsam, aber trotzdem mit einem schweren Herzen in der Brust, schritt sie leise die Treppe hinab, mit der Gewissheit, dass von ihrem zu Hause, welches sie kannte, nicht mehr viel übrig bliebe.

Kaum hatte der erste Fuß den Dielenboden berührt, ließ ein Geräusch Elena erschrocken herumfahren. War da etwas gewesen oder spielte ihr Verstand böse Spielchen mit ihr? Sicherlich hatte sich die junge Frau getäuscht, müde geworden durch die vergangenen Erlebnisse. Möglicherweise war Bashira im Garten auf einen Zweig getreten oder ihre Mutter war zurückgekehrt?

Gewöhnlich wäre ihr tobendes Gebell entgegen gebrandet, aber dieses Mal blieb es still. Dass das Hunduster ihrer Mutter nicht Alarm geschlagen hatte, deutete sie als zuversichtliches Zeichen. Sonst wusste die aufmerksame Wachhündin über jeden Eindringlich im Hause Bescheid.

Oder Zira wird gezwungen, stumm zu sein, meldete sich die innere Stimme ihrer Vernunft zu Wort, was unweigerlich ihren Puls beschleunigte. Furcht legte sich wie eiserne, kalte Ketten um ihr Herz. Da sie die Terrassentür offen gelassen hatte, um eine rasche Flucht Möglichkeit zu haben, formte ihr Atem in der Kälte des Winters weiße Wölkchen vor Mund und Nase.

Als unangenehm und beklemmend empfand sie diese Einsamkeit. Sie dachte daran, wie lebhaft an manchen Tagen das Haus gewesen war, wenn ihre Familie vollzählig anwesend war.

Elena betrat das Wohnzimmer und hoffte mit jeder verstrichenen Sekunde, dass Zira um die Ecke schoss, um den mutmaßlichen Fremdling anzukläffen, gefolgt von ihrer Mutter und Ren, ihrer kleinen, rebellischen Stiefschwester, die mit erhobenen Stimmen wegen einer Bagatelle stritten.

Ungeachtet der knisternden Matten schob sich Elena behutsam vorwärts, darauf bedacht, ihre Wachsamkeit zu keiner Zeit zu vernachlässigen. Einen kurzen Moment blickte sie zur Küche, welche am Wohnraum angrenzte, zurück. Hätte sie sich mit einem Küchenmesser bewaffnen sollen?

Verärgert schüttelte Elena den Kopf, als wollte sie ihre übertriebene Furcht loswerden. Das Haus war verlassen. Nur sie war hier, niemand sonst, und doch strafte der Verstand ihren Worten Lügen. Die junge Frau spürte, dass dem nicht so war. Sie war nicht allein. Nicht mehr.

Elena wusste nicht, was es war, aber sie fühlte unablässig, dass sich jemand im Dämmerlicht des Raumes verborgen hielt. Es war, als folgte jener ihren Schritten wie ein Schatten. Sobald sie sich umwandte, war sie von drückender Stille umfangen.

Während Elena wachsam durch das Wohnzimmer schritt, sah sich die Trainerin misstrauisch um, als ob dieses Phantom sie jeden Moment zu überwältigen vermochte.

Plötzlich erfüllte Bashiras schrilles Kreischen die Luft und entlockte Elena einen entsetzten Schrei. Sie vergaß jegliche Vorsicht und stürmte ins Freie.

Kaum hatte sie den ersten Schritt getan, nahm sie einen blitzenden Funkel wahr, gefolgt von einem sirrenden Zischen. Elena versuchte in letzter Not seitlich auszubrechen, prallte aber im nächsten Herzschlag rücklings gegen einen Holzpfosten. Schmerzerfüllt verzerrte sie das Gesicht, doch als erneut der silberne Blitz auf Elena herabfuhr, ruhte ihre linke Hand bereits auf dem Griff ihres Katanas und befreite es ruckartig aus der Scheide. Metallisches Klirren erschallte als Stahl auf Stahl traf.

Elena hielt das Langschwert schützend vor sich und keuchte überrascht, fasste sich aber im gleichen Moment wieder. Sie sah sich einem dunkelgekleideten Maskierten konfrontiert, der sogleich mit seinem Schwertarm weit ausholte, aber Elena vermochte den Hieb zu parieren, um ihrerseits zu einem Angriff anzusetzen.

Die junge Frau stürmte vorwärts. Schneller als das Auge zu folgen vermochte, wirbelten die Klingen. Furchtlos gab sich Elena dem Tanz hin.

Der Unbekannte wehrte spielerisch leicht ab und duckte sich unter einem Schwerthieb. Ein überraschender Faustschlag in die Magengegend ließ Elena straucheln und schwer keuchen.

„Arschloch“, fauchte Elena und nutzte das misstrauische Beäugen des anderen, um etwas mehr über ihren Gegner zu erfahren. Die Gestalt war nicht besonders groß, kaum größer als sie selbst, schätzte Elena, wirkte aber sehr zart und schlank.

Eine halbe Portion, bezeichnete die junge Frau ihren Konkurrenten, der sie derartig hinterrücks attackiert hatte. Enttäuscht hatte Elena aber festzustellen, dass Augen, Mund und Nase von einer Maskerade verdeckt waren – wie ein Phantom, das sich in den Schatten verborgen hielt, um nicht enttarnt zu werden.

Dass seine Brust von einer Lederrüstung geschützt war, erkannte Elena, als ihre Blicke weiter hinab wanderten. Zudem trug er eine eng anliegende schwarze Hose und ebenso dunkle Stiefel, welche mit Eisen beschlagen waren.

Wut tastete nach ihr, als sie das das charakteristische Emblem Team Rockets erblickte, aber Elena wusste wie verhängnisvoll es war, sich von Gefühlen leiten zu lassen. Besonders im Kampf.

Wie Raubtiere belauerten Elena und ihr Feind sich nun, abwartend, wer den ersten Streich zu wagen schien.

Dann griff der Maskierte an, und ein wahrer Hagel von Schlägen fuhr auf Elena nieder. Schritt um Schritt trieb er die Frau auf eine Wand zu. Elena vermochte seinen Hieben nur Einhalt zu gebieten. Seine Klinge streifte den Oberarm der jungen Trainerin und hinterließ eine klaffende Wunde.

Elena stieß einen Schmerzenslaut aus, hieb verzweifelt nach ihrem Widersacher und schlitzte ihm mit einem Rückhandschlag eine lange, flache Schramme in die Lederrüstung.

Im selben Moment durchbrach erneut ein Stoß ihre Deckung. Sie riss den Kopf zurück und trug dennoch eine Schnittwunde an der Wange davon.

Blut sickerte aus dem Riss, der wie Feuer brannte. Elena fluchte und wischte sich mit einer fahrigen Handbewegung über die Wange, während der Fremde zu einem tiefen Angriff ansetzte, der auf die Leisten der jungen Frau zielten, aber sein Katana wurde abgeblockt.

Mit einer Drehung des Handgelenks schlug sie die Waffe des Maskierten zur Seite. Eine schnelle Gegenoffensive zerschnitt ihm die Lederrüstung dicht unter seiner Kehle.

Nur einen Zoll höher hätte Elena ihm den Hals durchtrennt. Deswegen war kein Kampf, der endete, sobald der Gegner entwaffnet worden war oder mit einem hölzernen Shinai spielerisch an der Brust berührt und als „tot“ erklärt wurde. Es war ein Kampf, der endete, sobald einer elendig zugrunde ging und seinen Wunden erlag.

Ein Wutschrei löste sich aus der Kehle des anderen, als er sich blindwütig auf Elena stürzte, die tänzelnd seinem unpräzisen Schlag entgehen wollte. Doch mit einer Drehung des Handgelenks verwandelte der Fremdling den Hieb unerwartet in einen Stoß. Die Spitze fand seinen Weg zwischen Elenas Rippen, doch die Klinge drang allerdings durch das robuste Wildleder ihres Mieders nicht allzu tief ein.

Als der Schmerz ihre Gedanken zu beherrschen versuchte, war Elena mit knapper Not einen Satz zurückgesprungen, hatte aber das Übel nicht zu verhindern wissen. Dunkles Blut tränkte den Stoff ihrer Bluse und den ledernen Mieder. Keuchend presste sie nun die Hand auf die Stelle, an der die Schwertspitze leicht Stoff und Haut durchdrungen hatte.

Ihr blieb nicht genügend Zeit, um die Wunde eingehend zu betrachten, denn wieder sauste die Klinge des Gegners auf sie herab. Dieses Mal parierte Elena rasch, gleichzeitig entdeckte sie eine Lücke in der Verteidigung ihres Gegners. Sie duckte sich tief, machte einen Ausfallschritt und stieß ihrem Widersacher das Katana unter der Achsel hindurch. Die Klinge schrammte am Schulterblatt entlang, und sie befreite es mit einem Ruck.

Der Fremde stieß einen überraschten, schrillen Schmerzensschrei aus und wich zurück. Blut quoll aus seiner Schulter und durchweichte das feste Material der Lederrüstung. Ihm entkam ein gequältes Stöhnen, als der Schmerz ihn zu übermannen drohte.

Mit wirbelnden Schlägen ging er plötzlich wieder auf Elena los und drosch auf sie ein. Dieser Kampfstil… Irgendwie kam er ihr bekannt vor. Ihr blieb jedoch kaum ein Herzschlag, um, befreit vom Adrenalinrausch, einen klaren Gedanken zu fassen.

Jeder Schlag ließ die Klinge in ihrer Hand vibrieren und mit jeder Abwehr eines weiteren Hiebes schmerzten Elenas Arme mehr.

Dann ließ ein Tritt sie straucheln. Das Katana des Phantoms fuhr nieder, und Elena konnte den Hieb der rechten Hand abwehren. Doch mit der linken traf der Eindringling Elena mit dem Knauf eines unerwartet gezückten Dolches seitlich an den Kopf.

Benommen taumelte Elena zurück. Grelle Punkte tanzten vor ihren Augen, und ihren taub gewordenen Fingern entglitt beinahe das Schwert. Sie versuchte den Schmerz zu verbannen, als ein zweiter Streich auf ihren Kopf gelenkt wurde. Elena riss ihren Schwertarm empor, um sich zu schützen, und wurde halb wahnsinnig, als ihr Körper gepeinigt aufjaulte. Sie wehrte die Klinge ab und durchbrach die Deckung des Fremden.

Ein weiteres Mal fuhr das Stahl ihres Katanas in sein Fleisch. Die Schneide bohrte sich zwischen Schlüsselbein und Schulterblatt und trat am Rücken wieder heraus. Als Elena das Langschwert herauszog, floss die rote Wundflüssigkeit an den Rändern der Verletzung hinab, während der Maskierte ein schwaches Röcheln von sich gab.

„Noch kannst du es beenden und aufhören“, warnte Elena schwer atmend, aber in ungezügelter Wut ging er nun auf Elena los. Seine Hiebe waren schlechter gezielt als zuvor. Die Wildheit seiner Angriffe trieb Elena dennoch in die Defensive. Sie wich zurück, duckte sich oder drehte sich weg und schaffte es kaum noch, ihrerseits einen Hieb zu setzen.

Der Fremde drängte sie von der hölzernen Veranda hinab und zwang sie zwischen den Büschen und Sträuchern hindurch zu gehen.

Elena spürte, wie ihre Kräfte allmählich nachließen. Sie parierte einen Hieb und tauchte unter einen Rückhandschlag hinweg. Mehr vermochte sie nicht zu tun.

Klirrend schlug Stahl auf Stahl, und jede Parade nahm Elena ein wenig mehr von ihrer Kraft. Mit einem hastigen Sternenschritt löste sie sich aus dem Kampf, aber sofort setzte der Fremde ihr nach. Er ließ es nicht zu, dass der Kampf nur einem Atemzug ins Stocken geriet. Erbarmungslos trieb er Elena vor sich her, und ihr blieb keine Zeit, um nach ihrem Gürtel zu greifen und einen Pokéball von der Halterung zu lösen.

Sie musste die Initiative zurückgewinnen, sonst war ihre Niederlage unabwendbar!

Ein wuchtiger, aus Verzweiflung entsprungener Hieb fegte dem Fremden den Parierdolch aus der Hand. Klappernd fiel jener auf die Trittsteine.

Sofort folgte ein Stich durch die Lücke, die nun in seiner Deckung klaffte. Elena warf sich zur Seite, um der Riposte zu entkommen, und doch schnitt kalter Stahl durch ihre Bluse. Aus dem Gleichgewicht geraten, stürzte Elena zu Boden, als sie einem zweiten Hieb auswich. Helle Punkte blendeten sie einige Herzschläge lang.

Ihr Widersacher verfehlte sie so knapp, dass Elena den Luftzug der Klinge auf ihrer verletzten Wange zu spüren vermochte. Die junge Frau warf sich nach vorne. Ihre Finger umfassten das Heft des Parierdolches, der daraufhin niederstieß und dem Fremden knirschend in die Kniekehle fuhr.

Mit verzagter Miene knickte jener seitlich ab, versuchte im Fall aber einen schlecht gezielten Hieb auf Elenas Kopf zu führen. Sie duckte sich und rollte sich ab, während der Fremde den Dolch aus dem Knie zog.

Wütend schleuderte er diesen auf Elenas Brust, doch die Klinge verfehlte sie um Haaresbreite und bohrte sich stattdessen in die Schulter. Mit fliegender Hast zog Elena sie heraus, und Blutsprenkel befleckten ihr schmerzverzerrtes Gesicht. Ihr entkam ein Stöhnen, als sie nur noch die stechende Qual wahrnahm, die ihren Leib strafte. Die Augenlider begannen zu flattern, die Sicht wurde zunehmend unscharf, und sie wehrte sich, dass der Schwindel sie in die gähnende Schwärze riss.

Achtlos warf die junge Frau den Parierdolch zur Seite, während der Stahl über die Trittsteine schepperte und irgendwo zwischen den Beeten zum Erliegen kam.

Elena hielt das Katana leicht angewinkelt, bereit zur Parade. „Na, werden wir langsam bockig?“, keuchte sie grinsend, aber ihr Gegenüber erwiderte nicht.

Soweit wie sein verletztes Bein es ihm erlaubte, schob er sich langsam vorwärts und belauerte Elena, um einen günstigen Augenblick zu erhaschen.

Aber die junge Frau gab ihm nicht die Gelegenheit dazu. Einen Wutschrei ausstoßend, hob er seinen Schwertarm und schmetterte er im blindem Zorn gegen Elenas Klinge. Er kämpfte nun wie ein Berserker. Ihr blieb erneut nichts anderes übrig, als zurück zu weichen oder die Hiebe zu parieren.

Doch da knickte das Bein des Fremden seitlich weg und die Verletzung des Knies forderte nun ihren Tribut. Elena sah den Moment gekommen, um ihrerseits einen Streich zu setzen.

Der Maskierte wollte ausweichen, aber sein lahmes Bein gehorchte ihm nicht mehr. Mit einem Rückhandschlag traf sie ihm am Handgelenk und prellte mit jenem lässigen Hieb dem Fremden das Katana aus der Hand.

Elena hielt ihm wenige Zentimeter die Klinge an die Kehle, während das Langschwert neben ihnen klirrend auf dem Boden prallte. „Tot“, triumphierte die junge Frau, vermochte aber nicht, ihm das Leben zu nehmen.

Wortlos standen sich die Konkurrenten keuchend gegenüber. Dichte Atemwölkchen hatten sich vor Mund und Nase gebildet. Elena sah alles verschwommen. Ihr ganzer Leib schien nur noch Schmerz zu sein. Ihre Beine war jedes Gefühl entwichen, so als gehörten sie gar nicht mehr zu ihr.

Und jeder Atemzug schmerzte. Wie eiserne Fesseln schienen ihre Rippen um ihre Lunge zu liegen.

Unschlüssig trat der Maskierte einen Schritt zurück, aber Elena sah nicht davon ab, die Klinge zu senken. Als er plötzlich einen Dolch aus dem Verborgenen zückte, agierte Elena blitzschnell. Sie rammte ihm den Knauf in die Magengrube und schubste den Fremden zu Boden.

„Na, na, da will sich wohl jemand nicht mit der Niederlage zufrieden geben“, sprach Elena und schob ihr Katana zurück in die Scheide. Ihr Feind vermochte ihr nicht mehr gefährlich zu werden.

Doch erst jetzt ließ Elena ihren müden Blick wandern und intuitiv suchten ihre Augen den Himmel nach Bashira ab. Geräusche, die durch Metall, Eisen oder Stahl verursacht wurden, fürchtete das Aerodactyl und rief eine tief verborgene Angst in dem Reptil hervor seit Elena sie kannte.

Bashira kreiste hoch oben und beobachtete das Szenario in weiter Entfernung. Sie stieß einen langgezogenen, gequälten Schrei aus, dann wandte sich Elena ab und fasste das Katana ihres Gegners ins Auge. Es war dem ihren sehr ähnlich. Obwohl es üblich war, dass die Schneide gekrümmt oder zumindest leicht gebogen war, war diese Klinge bloß leicht geschwungen – sowie bei ihrem Katana. Der Griff – oder auch Tsuka genannt – war mit einem Seidenband umwickelt und wurde von hellen Rauten, welche zur besseren Griffigkeit mit Papierstücken unterlegt waren, durchbrochen. Diese Schmiedekunst… Sie war einzigartig, und das wusste Elena. Sie kannte den Schmied in seinem Werk wieder, welcher seitjeher in den Diensten der Familie stand.

Jedes Familienmitglied der Takigawas war im Besitz eines solchen Schwertes, nach den Wünschen und Bedürfnissen des Auftragsgebers angefertigt. Stets war der Name des Eigentümers auf dem Griff signiert.

Als Elena den Schaft genauer betrachtete, erhaschte sie einen Blick auf die Gravierung und erkannte ein simples Schriftzeichen, welches sie, trotz ihrer mangelnden Lesekenntnissen von japanischen Schriftzeichen, als einen Namen erkannte.

Mit wachsendem Entsetzen starrte Elena auf das Schwert, dann blickte sie in die Augen ihres Gegenübers. „Ich kenne dich!“, entfuhr es Elena, während ihren ohnehin taub gewordenen Fingern das Katana entglitt. Die Art und Weise, wie ihr Widersacher das Schwert schwang, wenn etwas aus den Fugen geriet, kam Elena verdächtig bekannt vor. Da war der Moment gekommen, dass sich aus dem gesamten vorausgegangenen Kampfstil ein vollständiges Bild in ihrem Geist ergab, zusammengesetzt aus einzelnen Puzzleteilen.

Keuchend stierte Elena ihren Angreifer an, der sich nun wie in Zeitlupe aufraffte. Und da stürzte sich Elena vorwärts, schob die Finger unter dem Stoff und riss ihm die Maske herunter.

Vor ihr, im Schatten des vertrauten Heims und umgeben von nackten Büschen und Sträuchern, stand ihre Stiefschwester Ren.

Henker und Richter

Inzwischen hingen die Wolken tief und schienen einen nie enden wollenden Regenschauer auf die Welt herabfallen zu lassen. Kalt, grau und düster waren die Lande in dichte Nebelschleier gehüllt. Und doch glühten von überallher flackernde Lichter, die das Dunkel durchstachen.

Hayato und Aeris näherten sich dem Stadtkern, der lichterloh in Flammen stand und gleichzeitig das Zentrum war, in dem sich die Bewohner beinahe verzweifelt gegen die Eindringlinge zur Wehr setzten. Die Adlerdame flog mitten durch eine dichte, schwarze Rauchwolke und verbarg sich vor den neugierigen Blicken der Menschen. Der beißende Geruch verlangte dem jungen Arenaleiter ein gequältes Husten ab, obwohl er sich den Stoff seines Haoris gegen Mund und Nase presste. Seine Augen begannen zu tränen, und er vergrub sein Gesicht an Aeris‘ Hals. Ihr wohltuender Duft drang in seine Nase und verscheuchte den unangenehmen Rauchgestank. Wenigstens ein Moment der Erleichterung, der ihm an diesem Tag vergönnt war.

Die Müdigkeit, welche in der klammen Luft in seine Glieder gekrochen war, verflog augenblicklich, als Hayato den Blick gen Boden richtete, sich die Zerstörung ins Gedächtnis einprägte und die Anordnung der vorrückenden Truppen Team Rockets, der einzelnen Gebäude und der Waffenmaschinerie studierte. Inzwischen schienen die meisten Häuser verlassen zu sein, denn Team Rocket hatte eine breite Schneise in diesen Bezirk geschlagen, um besser voranzumarschieren. Dutzende Bauten standen in Flammen, andere wiederum waren durch Explosionen vollkommen zerstört worden. Das Wummern der Walzen war deutlich zu hören, die unentwegt Häuser platt machten.

Schutt und Trümmer versperrten teilweise die Straßen und schnitten flüchtenden Menschen den Weg ab. Ein wildes Dröhnen von im Stau stehenden Autos und ängstlichen und ungeduldigen Rufen erfüllte die Luft.

Im fahlen, rötlichen Lichtschein der Feuer erkannte er wie Zivilisten sich auf einem weiträumigen Platz hoffnungslos gegen Männer zu behaupten versuchten, welche mit Gewalt gegen den Pöbel vorgingen. Während Violas Bewohner sich bloß mit Küchenmessern, Pfannen und anderen als Waffen dienlichen Gegenständen zu verteidigen vermochten, griff Team Rocket zu Schlagstöcken und Schusswaffen, um den Widerstand im Keim zu ersticken. Wie eine Herde gehetzter Beutetiere drängten sich die Menschen auf einem Platz zusammen, umrundet von knurrenden, geifernden und kläffenden Magnayen, Hundemon und Rattikarl.

Ein Magnayen löste sich vom Rudel und schritt mit gebleckten Zähnen auf eine Frau zu, doch diese rührte sich nicht. Sie blieb stehen und drückte ihre Tochter behütend an sich, als wollte sie das Mädchen mit ihrem Leben schützen. Schließlich trat ein Mann mit breiten Schultern auf die Frau zu und sprach scheinbar mit ihr, seine Lippen bewegten sich.

Hayato verstand in dieser Distanz nicht den Wortlaut, aber er ahnte, welche Drohung er ausgesprochen haben musste, denn die Frau versteifte sich merklich. Ihr Griff schlang sich fester um ihre Tochter und sie wich ein paar Schritte zurück.

Doch sie entkam der Wut des Mannes nicht. Er packte das Mädchen und entriss der Mutter mit Gewalt die Tochter. Beinahe hysterisch versuchte die Frau sich gegen den Raub zur Wehr zu setzen, indem sie mit den Fäusten auf ihren Widersacher einschlug, aber dieser versetzte ihr einen grausamen Schlag ins Gesicht. Kaum war sie zu Boden gefallen, trat der Mann ein- oder zweimal zu. Dann regte sie sich nicht mehr.

Hayato brauchte nicht länger, um sich dieses Szenario einzuprägen. Er hatte genug gesehen. Jener Anblick ließ die Wut erneut in ihm auflodern. Unmerklich ballte sich die Hand zur Faust, und er presste die Lippen aufeinander. Ein Schlag wilder Erregung durchfuhr ihn, und er spürte wie Aeris erschauderte. Es war keine Furcht. Es war ein Zittern einer großen Anspannung, die sich nur entladen konnte, wenn sie sich gegen jemanden zu richten vermochte.

Aeris war ebenso von Hass erfüllt wie ihr Trainer es war. Die Adlerdame fauchte scharf, öffnete den Schnabel, und ein wilder Schlachtruf entkam ihrer Kehle, dass Hayato die Ohren schmerzten.

Die Flügel eng an den Leib gepresst, raste Aeris durch den dichten Nebel und Regen wie ein herabschnellender Speer dem Platz, der von brennenden Gebäuden gesäumt war, entgegen. Zum Schutz vor dem Wind, der an seinem Gesicht zerrte, duckte sich Hayato.. Die Welt kippte, als Aeris nach links drehte, um den Angriffen der am Boden ausharrenden Hundemon, Magnayen und Rattikarl kein leichtes Ziel zu bieten. Rauschende Flammen zischten in Hayatos Augenwinkeln vorbei, und er vermochte die Hitze auf seinen Wangen zu fühlen.

Als Aeris den Sturzflug abrupt abfing, wurden Hayatos Gliedmaßen schwer, aber die drückende Last verschwand, als Tauboss in der Luft schwebte. Dieser Moment erlaubte Hayato, sich einen Überblick zu verschaffen und bemerkte noch rechtzeitig mehrere Schatten, die sich in seinen Augenwinkeln rasch bewegten.

„Aeris, Vorsicht!“, warnte er seine treue Gefährtin, aber diese hatte die Gefahr bereits wahrgenommen. Im Tiefflug sauste Aeris über die Dächer unversehrter Häuser hinweg, auf denen Männer mit Gewehren positioniert waren, und fegte mehrere, schreiende Schützen rund sechs Meter in die Tiefe. Einen, der nicht schnell genug war, um sich in Sicherheit zu bringen, packte Aeris mit den Klauen, schleppte ihn über die Zinnen hinaus und ließ den strampelnden Mann zu Boden fallen.

Während schrilles Kreischen die Männer in die Tiefen begleitete, echoten Siegesrufe ihren Sturz in den Tod. Jubelrufe feierten Aeris‘ Erfolg, und die Adlerdame ließ es sich nicht nehmen, einen triumphierenden Schrei auszustoßen. Schön und tödlich – ja, freilich sollte jeder sie fürchten!

Hernach stieß Aeris hinab, die Schwingen erneut an den Körper gelegt, und landete inmitten von Team Rockets Lakaien. Hayato sprang in wilder Hast von ihrem Rücken, denn da wirbelte Aeris bereits fauchend herum und schleuderte mehrere Männer zu Boden, hakte ihnen in den Rücken oder riss ihren Oberkörper mit den Krallenfüßen blutig. Die übrigen schrien panisch und suchten ihr Heil im Rückzug.

Enttäuscht darüber, dass ihre Beute entwischt war, stieß Aeris einen hohen Schrei aus. Erneut fuhr sie herum, stellte einem Flüchtling nach und brachte den Mann zu Fall. Blitzschnell hakte Aeris nach seinem Hals und machte ihm den Garaus. Seinen zurückgebliebenen Gefährten erging es ebenso.

Der Mann, der die Frau mit einem heftigen Schlag ins Gesicht zu Fall gebracht hatte, wandte sich in fliegender Eile um. Dabei zerrte er grob an dem jammernden Mädchen. An ihrer Kehle blitzte der blanke Stahl eines Dolches auf.

Hayato atmete schwer, spannte aber die Muskeln an und begab sich in eine steife Haltung. „Lasst das Mädchen los!“

„Was fällt dir eigentlich ein, Jüngelchen? Denkst du, du könntest einfach so meine Männer töten?“, brüllte sein Gegenüber, ohne auf seine Forderung einzugehen. „Pfeif dein Vögelchen zurück!“

Während er den Mann musterte – ein groß gewachsener, aber schlanker Kerl mit kurz geschorenem dunkelrotem Haar und athletischem Körper -, ballte Hayato die Fäuste. Gelassen blickte er dem Mann ins Gesicht. Äußerlich wirkte der junge Arenaleiter ruhig, doch innerlich tobte ein erbitterter Kampf. Vernunft gegen Hass. Es bedurfte all seiner Disziplin, um nicht vorwärts zu stürmen und der Ungerechtigkeit ein Ende zu setzen. Nein, er durfte es nicht wagen, nicht solange der Dolch an der Kehle des Mädchens lag.

So betrachtete er weiterhin den Mann, der ihm nicht nur größentechnisch überlegen war, sondern auch von der Kraft, die der Körper aufzubringen vermochte. Hayato sah, wie sich der gesamte Leib des Fremden anspannte, der offenbar der Befehlshaber der Truppe war. Im wortlosen Grimm bleckte der Mann die Zähne.

„Ich wüsste nicht, warum ich dulden sollte, dass ihr in meine Stadt einfallt, um zu rauben und zu morden“, stellte Hayato schlicht klar und war jäh dem prüfenden Blick des Kommandanten ausgesetzt. Ein leichter Ausdruck von Erstaunen und Erkenntnis huschte über die Miene des Mannes, waren aber rasch wieder verschwunden und der verärgerte Gesichtszug trat an ihren Platz.

Seine Mundwinkel zuckten und die Lippen formten ein wölfisches Grinsen. Kalten Stahl drückte er dem weinenden Mädchen an die bloße Kehle. „Ihr seid der Arenaleiter“, äußerte er sich und warf seinen Männern einen schnellen Seitenblick zu, die ihm knapp zunickten. Es war eine Feststellung, keine Frage.

„Lasst das Mädchen los!“, erboste sich Hayato ein weiteres Mal. Geblendet von Verachtung nahm er nicht wahr, wie Team Rockets Männer ihm den Fluchtweg versperrten.

„Und was wenn nicht?“ Höhnisch blickte der Fremde auf ihn herab, während ein leichter Schnitt die zarte Haut an der Kehle des Mädchens zeichnete.

Aeris gab ihrem Herrn nicht die Gelegenheit zu antworten. Sie riss den Schnabel auf und kreischte aus voller Kehle. Eine Warnung, wie Hayato wusste. Wenn er jener nicht nachkam, würde man erfahren müssen, was es bedeutetet, sich ihr zu widersetzen.

„Versuch es doch, Milchbubi!“, zürnte der Kommandant spöttisch lachend und sah nicht davon ab, den Dolch zu senken.

Geschmeidig wie eine Katze sprang Aeris mit ausgestreckten Klauen jäh vorwärts. Sie griff so unerwartet an, dass Hayato sie nicht hätte aufhalten können. Es geschah so schnell, dass der Mann nicht zu reagieren vermochte. Vor Entsetzen lockerten sich seine Finger vom Griff des Dolches, der Stahl rutschte ihm hernach aus der Hand und schepperte auf die Pflastersteine. Das Mädchen schrie vor Angst und starrte entsetzt auf das wilde Raubtier, das vor seinen Augen tobte.

Aeris prallte gegen den Kommandanten und ihr Gewicht stieß ihn zu Boden, während sich ihre Krallen durch den Stoff ins Fleisch bohrten. Als sie mit ihrem Schnabel nach ihm hakte, rollte er sich geistesgegenwärtig zur Seite, suchte panisch nach dem Dolch und streckte die Finger nach ihm aus, der in geringer Distanz auf dem Boden lag, und riss ihn, auf Aeris‘ Brust zielend, empor. Doch Aeris kreischte entrüstet, wich ihm aus und nahm Abstand von der Stichwaffe.

Derweil hatte sich der Fremde wieder auf die Beine erhoben, fluchte schimpfend mit vulgären Ausdrücken und blickte ein wolfsgraues Pokémon an seiner Seite an, das knurrend die Zähne fletschte und bloß auf einen Befehl zu warten schien. „Worauf wartest du? Schnapp es dir!“

Geifernd stürzte sich das Magnayen auf Tauboss. Aeris wusste, was zu tun war. Sie brauchte ihren Herzgefährten nicht, um ihrer Wildheit nach Belieben freien Lauf zu lassen. Obwohl ihre Natur nach dem Himmel rief, tänzelte sie geschmeidig zur Seite, nur um im gleichen Moment so schnell wie eine Schlange zuzustoßen. Sie breitete ihre Schwingen aus, flatterte einen Herzschlag lang in die Höhe und schlug mit Klauen und Schnabel um sich.

Währenddessen reagierte Hayato entschlossen, als der Kommandant zu abgelenkt war, um ihn wahrzunehmen. Den Arm ausgestreckt packte er das Mädchen am Handgelenk, das erschrocken quiekte, und zog es in seine schützende Umarmung.

„Komm“, wisperte er dem Kind zu, während jenes ihn verschreckt aus großen Augen ansah. „ich bringe dich zu deiner Mutter, vertrau mir.“

Das Mädchen zögerte, denn Furcht und Ungewissheit ließen es vor Angst erstarren. Hayato aber spürte, wie sich die Muskeln allmählich lockerten und sich das Mädchen zaghaft zu entspannen schien, obwohl noch immer Misstrauen sein kleines Herz heimsuchte.

„Denk mal nicht dran, Bursche!“ Ein junger Mann, sieben oder acht Jahre älter als er selbst – vielleicht auch etwas mehr -, trat in seinen Weg und hielt ihm eine Pistole an die Stirn.

Eine Klaue der Angst streckte sich dem jungen Arenaleiter entgegen, als er in den Lauf des Revolvers starrte, und er sich bewusst wurde, dass seine Lage schier aussichtslos war. Ein Kreis hatte sich um ihn gebildet, um ihn und das Mädchen nicht entkommen zu lassen.

Das Mädchen in seinen Armen kreischte erneut, versuchte sich aus seinem Griff zu entwinden, kratzte und biss ihn, während es nach ihrer Mutter rief, rammte ihm letzten Endes den Ellenbogen in den Unterleib und rannte fort. Der Bursche ließ das Mädchen laufen, fixierte stattdessen Hayato, der in Gedanken fluchte, sich aber einen Herzschlag nahm, um den Kloß in seinem Hals hinab zu schlucken und die Lippen zu befeuchten, die trocken und rau geworden waren.

„So, jetzt gehst du mal schön dort auf die Seite, sonst wird dein Vögelchen leiden!“

Hayato wagte es, den Kopf langsam nach rechts zu drehen, nur um seinem Gegenüber keinen Anlass zu geben, um von seiner Waffe Gebrauch zu brauchen. Insgeheim bezweifelte er, dass der junge Mann den Mut dazu hätte, einen Menschen kaltschnäuzig zu töten. Ihn zu reizen, war aber das Letzte, was er in diesem Moment im Sinn hatte.

Es hatte mehr als vier Magnayen bedurft, um Aeris niederzuringen. Ein flammender Zorn brannte in den Augen der stolzen Adlerdame, denn sie akzeptierte niemals, aufgeben zu müssen. Drohend hatte sie den Schnabel zwei fingerbreit geöffnet, aus dem immerzu ein zischendes Fauchen drang. Sobald die Magnayen unvorsichtig wurden und ihrem Haupt zu nahe kamen, hakte sie nach den Wölfen, die daraufhin halb knurrend, halb winselnd vor ihr zurückwichen.

Als sein Blick zu lange auf Aeris verweilte, spürte er, wie der Mann ihm einen harten Stoß gab. „Los, Bewegung!“

Das spöttische Lachen des Vorstandes im Hintergrund dröhnte unnatürlich laut in seinem Gehör.

Unmerklich ballte Hayato die Faust. Wut.

Wut, dass er sich so leicht überwältigen ließ.

Wut, dass nichts in seiner Macht stand, um diese Lakaien einer Mafia-Organisation aufzuhalten, die nach Belieben mordeten und Leben zerstörten.

Wut, dass er diese Ungerechtigkeiten ertragen und sich ihren Forderungen beugen musste.

Doch diese Niederlage zu dulden, war eine schmerzende Demütigung. Nur was sollte er tun? Auf den günstigen Moment warten, den es nicht gab?

Wieder huschte Hayatos Blick zur Seite, nur um sich zu vergewissern, dass der Jüngling ihm folgte. Ein, zwei Herzschläge lang zögerte er, dann agierte sein Körper. Er wirbelte herum und überrumpelte sein Gegenüber. Er ließ den Arm vorschnellen, haschte nach dem Handgelenk seines Konkurrenten und drückte so fest mit den Fingern in die Handwurzel, dass sich der Griff um die Pistole lockerte und diese in den Matsch fiel. Mit der anderen, zur Faust geballten, Hand schlug Hayato jäh zu– er konnte diesem Impuls nicht widerstehen. Und es tat gut, so verlockend gut.

Da war der Moment gekommen, und Aeris fügte sich nicht länger der Entwürdigung. Ein Feuer loderte in ihrem Herzen, so gleißend hell und heiß, dass sich Hitze wie ein dünner Schleier um die Adlerdame legte und ihren durchnässten Körper trocknete. Einer Druckwelle gleich löste sich die Hitze von ihrem Leib und brandete gegen die Magnayen. Als hätte man sie mit Stöcken geprügelt, wichen sie jaulend zurück und duckten sich furchtsam, während sich Aeris zu ihrer ehrfurchtsgebietenden Größe aufrichtete, die mächtigen Schwingen ausgebreitet, und sie herablassend anstarrte.

Dann stieß sie einen schrillen Vogelschrei aus, und die Magnayen schreckten zurück, suchten ihr Heil in der Flucht. Ihr Blick wanderte zu drei Team Rocket Schergen, welche versucht hatten, sich an ihrer rechten Kehrseite unbemerkt an sie heranzuschleichen, aber Aeris drehte ruckartig ihren Kopf und sah sie funkelnd an. Die Männer erstarrten unter ihrem warnenden Blick.

Dann wurden sie plötzlich niedergeschlagen. Unwillkürlich spannte Aeris die Muskeln an, jederzeit bereit, um sich zu wehren. Als sie jedoch merkte, dass es Violas Einwohner waren, die die Unterdrückung nicht mehr hinnehmen wollten, lockerte sich ihr verkrampfter Leib.

Nahe der brennenden oder teils bereits eingestürzten Häuser und dem angrenzenden Platz erschallte Siegesgeheul; ein vielstimmiges Johlen aus voller Kehle.

Hayato blickte irritiert auf und nahm sogleich den Stimmungswechsel der zahlreichen Menschen wahr, die um ihn versammelt waren. Jene Veränderung brandete wie eine Welle an seinem Leib und riss ihn in ihren Fluten mit sich. Es war wie ein sanftes, aber doch schmerzhaftes Prickeln, das den jungen Arenaleiter erregte und vom Nacken den Rücken hinab rann.

Unwissenheit und Angst wandelte sich in Aufregung und Hoffnung, Mut und Entschlossenheit, Selbstbewusstsein und Willenskraft. Aus verschreckten Rattfratz wurden tapfere Arkani, die furchtlos der Gefahr ins Antlitz blickten und beharrlich den Sieg anstrebten.

Hayato fühlte, wie seine Brust anschwoll. Seine Arme emporreißend stimmte er dem Grölen ein, dann brach plötzlich heilloses Durcheinander aus, als ein Schuss irgendwo in der Masse ertönte. Erst ein Schuss, dann folgte der Zweite.

Aufgebracht huschten Hayatos Blicke von rechts nach links, um den Ursprung der Schüsse zu lokalisieren. Von überallher tosten unnatürlich laut bellende Rufe, angstvolle Schreie und das Lärmen der Pokémon.

Abrupt stieß etwas an seine rechte Schulter und riss ihn mit einem gewaltigen Ruck zu Boden. Mit dem Kopf schlug er auf den harten Boden auf und blieb einen Herzschlag lang reglos liegen. Dann sah er wie betäubt auf und blickte in Aeris‘ vertrautes Gesicht.

„Was-“, begann Hayato noch immer benommen von dem Sturz, aber da attackierte Aeris bereits eines der zahllosen Hundemon, das gewagt hatte, ihren Gefährten anzufallen. Schlamm kam auf, als die machtvollen Flügel durch die Luft fegten, begleitet von zeternden Schreien und dem wilden Knurren des Schattenhundes.

Tänzelnd wich Hundemon dem tobenden Tauboss aus, nur um beim nächsten Mal die ungeschützte Flanke in Flammen zu baden. Vor Wut kreischte Aeris. Jede Faser ihres Körpers wollte dem Todeshund Schmerzen zufügen, ihn leiden sehen. Ja, es fühlte sich an, als durchstieße sie eine uralte Barriere; eine Norm, die seit dem ersten Herzschlag der Götter auf jener Welt galt. Ein Gesetz, das bloß gebrochen werden durfte, wenn das eigene Leben oder jener, die es zu beschützen galt, bedroht war.

Mit jenem Gedanken färbten sich ihre Schwingen silbern und wandelten sich in kalten Stahl. Messerscharfe Klingen hieben auf das Hundemon ein, das kläffend und jaulend mehrere Schritte zurücktaumelte. Am gesamten Leib zitterte das Wesen, denn aus zahlreichen Schnitten quoll dunkles Blut und tropfte auf den Boden. Gurgelnd spuckte der Hund Blut, als Aeris ihm de Todesstoß versetzte.

Mühsam richtete sich Hayato auf, bedacht darauf, nicht auszurutschen, denn die grauen Pflastersteine waren durch den anhaltenden Regen schlüpfrig geworden. Ein plötzlicher Schlag traf seine Wange und ließ Hayato straucheln. Hernach wurde er jäh am Kragen gepackt und gegen die nächstgelegene Wand gedrückt. Ihm dröhnte der Kopf und kleine, pulsierende Punkte flackerten vor seinen Augen.

„Du brauchst eine Lektion in Demut, Junge!“, zürnte der Kommandant, der bloß wenige Fingerbreit von seinem Gesicht entfernt war. Zorn und Hass lagen in seinen Augen. Dann verpasste der Mann ihm einen weiteren Hieb auf die andere Wange, und Hayato sah für einen Moment nur noch Schwärze, welche mit leuchtenden Lichtern übersäht war. Er stöhnte mit schwacher Stimme, denn seine Kiefer brannten unter dem heftigen Schmerz. Um wieder klar denken zu können und freie Sicht zu haben, versuchte Hayato die Pein in den hintersten Winkel seines Bewusstseins zu verdrängen. Stattdessen aber fühlte er das sehnliche Verlangen, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Adrenalin wallte in ihm auf und rauschte eines Wasserfalls gleich durch seine Adern. Ein Faustschlag, dem seine gänzliche Kraft inne wohnte, folgte dem Impuls, mitten in die Magengegend seines Gegenübers, und Hayato frohlockte, als ein schmerzhaftes Ziehen seine Knöcheln, die Hand und den Unterarm erschütterte, während dem Kommandant der Atem stockte. Zugleich spannten sich die Muskeln, als sich der Fremde keuchend erholte, sich aber hernach mit einem Wutschrei auf den Arenaleiter stürzte.

Jener wich mit einem raschen Schritt zur Seite, packte den Mann an der Jacke, um Halt zu finden, und stieß ihm erneut zwei, dreimal die Faust in die Magengrube. Dann schaffte es der Kommandant, sich frei zu machen und drängte ihn zurück, bloß um Hayato im nächsten Herzschlag einen Kinnhaken zu verpassen, der ihn Sterne sehen ließ. Benommen taumelte der Arenaleiter, unfähig sich zu verteidigen oder zur Wehr zu setzen. Da nahm der Kommandant seine Schwäche wahr und er fasste Hayato grob am Kragen, während er das Bein beugte und sein Knie in den Unterleib rammte.

Hayato keuchte, denn er glaubte, kaum noch Luft zu bekommen. Mit brutaler Gewalt schien ihm der Sauerstoff aus der Lunge gepresst worden zu sein. Für wenige Augenblicke glaubte er gar, das Bewusstsein zu verlieren, so einnehmend war der Schmerz, der sein Inneres zu zerreißen schien. Gleichzeitig aber dominierte die Angst und schenkte ihm berauschende Kraft. Zu überleben war sein dringendster Wunsch und sein tiefstes Begehren.

So warf sich Hayato blindwütig und ohne jegliche Orientierung auf den Kommandanten und schlug besinnungslos auf den Mann ein, den er leblos im Dreck liegen sehen wollte. Er wusste nicht mit Bestimmtheit, was und warum er es tat. Sein Körper agierte und die Fäuste reagierten wie von Geisterhand geführt. Bei jedem Hieb schmerzten seine Knöchel etwas mehr, während seine Handgelenke und die Arme unter der Wucht erbebten. Sein Gegenüber vermochte bloß zurückzuweichen und Schläge zu blocken oder abzufangen, ohne sich selbst zu wehren. Zumindest für den Augenblick, denn nach jedem Hieb verließ ihn etwas mehr von seiner Kraft. Verstrich eine Sekunde, so fühlte er, wie sein Körper unter der Erschöpfung gequält erzitterte und sich nach Ruhe sehnte. Schweiß perlte von seiner Stirn und nahm ihn die Sicht.

Daher zögerte Hayato einige Herzschläge lang und spürte sogleich einen Schlag gegen seine Brust, der den Schmerz explodieren ließ und ihm den Atem raubte.

Wie aus weiter Ferne nahm der Arenaleiter Aeris‘ Kreischen wahr. Lag in ihrer Stimme etwas Anklagendes? Oder etwas Warnendes? Er wusste es nicht. Zu weit entfernt war er von der Realität…

Als ein zweiter Schlag dem ersten folgte, agierte er rasch, ohne einen Gedanken an die Handlung zu verlieren. Hayato blockte den Angriff, indem er die Faust abfing und mit der freien Hand zuschlug.

Da durchdrang Hayato jäh die Deckung des Kommandanten, und seine Faust traf den Mann unterhalb der Nase ins Gesicht. Hayato fühlte, wie der Hieb den Kopf zur Seite drückte, und ein geräuschvolles Knacken dem Gerangel ein Ende setzte, dem ein misstönender Schmerzensschrei folgte.

Als der Mann wehrlos war, packte Hayato ihn am Kragen und stieß ihm das Knie ins Gemächt. Die Wucht ließ den Kommandanten zu Boden stürzen, der sich schmerzverkrümmt im Staub wand und weinerlich sein Leid klagte.

Hayato hielt inne, aber seine Muskeln blieben weiterhin gespannt. Sein Kopf dröhnte, gleichzeitig schmerzten seine Gliedmaßen und sein Körper verlangte nach Schlaf. Zudem fror er am gesamten Leib. Seine Klamotten waren durch den Regen und die Kälte klamm geworden und klebten an seiner Haut.

Stoßweise hob und senkte sich seine Brust, um gierig an Luft zu kommen. Ihm wurde bewusst wie kräftezehrend die Schlägerei gewesen war. Dennoch sagte ihm sein Verstand, dass es noch nicht vorüber war. „Habt ihr genug?“, keuchte der Arenaleiter.

Es dauerte einen Moment, bis sich der Kommandant zu einer Erwiderung durchzuringen vermochte. Noch immer dominierte Schmerz seine Gesichtszüge, aber auch einen Ausdruck, den Hayato nicht zu deuten wusste. Zufriedenheit, Genugtuung oder war es etwas gänzlich anderes, das in seinem Blick lag?

„Entweder wirst du… dich uns anschließen müssen oder“, er stöhnte, während er sich aufraffte und sich erhob, „du wirst sterben.“

Bei diesen Worten kam etwas aus einer dunklen Gasse; schnell, unerwartet, tödlich. Zwei Gestalten versuchten den Arenaleiter zu packen und zu Boden zu reißen. Mit knapper Not vermochte Hayato ihnen auszuweichen, denn jene waren so schnell wie Raubkatzen. Es überraschte den Arenaleiter, wie wendig er noch gewesen war, obwohl sein Körper unter der Anstrengung der Prügelei beinahe zu zerbersten schien.

Mit der Grazie eines geübten Tänzers wirbelte Hayato herum, ergriff den einen beim Arm und brach ihn mit einer knappen Drehung das Handgelenk. Den gefühllosen Fingern entglitt der Dolch, und jener fiel klirrend zu Boden. Er stieß den schreienden Mann von sich, wirbelte erneut herum und versetzte dem anderen Angreifer einen Tritt gegen die Brust.

Aus der Kehle seines Angreifers löste sich ein Schrei – auf den genauen Wortlaut der üblen Beschimpfung achtete Hayato nicht -, als er abermals versuchte, ihn zu Fall zu bringen. Der plötzliche Stoß brachte Hayato aus dem Takt und ließ ihn taumeln, doch bloß für einen Herzschlag lang.

Seine Faust schnellte vor, ehe sein Gegenüber zu reagieren vermochte und traf den Mann gegen den Hals. Der Kerl brach röchelnd zusammen. Wie beiläufig entglitt Hayato hernach einem Dolchstoß, der ihm nur um Haaresbreite verfehlte.

Der Meuchelmörder, den der Tritt gegen die Brust getroffen hatte, kam stöhnend wieder auf die Beine und tauschte einen ängstlichen Blick mit dem Letzten seiner Gefährten. Sie wichen zurück und flohen in die Richtung, aus der sie gekommen waren.

Hayato entfuhr ein ermattetes Keuchen. Es bedurfte all seiner Stärke, um nicht vor Erschöpfung auf die Knie zu sinken und zusammenzubrechen. Daher ließ er sie laufen, denn er war zu kraftlos, um ihnen nachzustellen. Insgeheim wünschte er sich dennoch, er hätte seinen Bogen bei sich, um ihnen wenigstens einen Pfeil in den Rücken oder Hals zu jagen. So aber blieb ihm nichts anderes übrig, als ihm entkräftet hinterher zu blicken.

Irgendwo erklang ein tobendes Kreischen und veranlasste Hayato seine Augen auf stiller Wanderschaft umhergleiten zu lassen; mal hier, mal dahin. Den Kampfeslärm zahlreicher Menschen und Pokémon, der in seinen Ohren unnatürlich dröhnte, nahm er gar nicht richtig wahr. Eher wie ein fernes Wispern, das versuchte, ihn zu erreichen, aber zu leise war, während er sich wie betäubt umsah. Aber war es nicht falsch, was sich hier vor seinen Augen abspielte? Lag es in der Natur von Menschen und Pokémon sich gegenseitig umzubringen? Hier lief etwas ganz und gar schief…

Als sein Blick auf Aeris‘ Gestalt traf, hielt er inne und ein Lächeln umspielte seine schlaffen Lippen. Obwohl sich die Adlerdame im Kern eines Rudels, bestehend aus Hundemon, Magnayen und Rattikarl, befand und mit zahllosen Wunden übersäht war, wehrte sich Aeris nach Leibeskräften. Doch stets, wenn eines der Pokémon zusammenbrach und sich nicht mehr regte, stießen zwei weitere zu dem Gefecht hinzu und griffen das Tauboss von allen Seiten knurrend an.

Wenngleich nach jeder verstrichenen Sekunde die Situation mit Aeris‘ erschöpftem Keuchen auswegloser wurde, schien die Adlerdame eine Niederlage nicht zu akzeptieren. Mit jedem neuen Feind, der ihr mutig entgegen trat, wurde die stolze Kreatur zur Bestie.

Rasend vor Wut und blind durch den Hass tobte Aeris inmitten eines Sturmes und begehrte kreischend gegen ihre Feinde auf. Ihre Klauen und Schwingen hieben und stachen nach ihren Gegner, während der Schnabel ins Fleisch ihres Feindes drang, um ihn anschließend mit den Krallen aufzuschlitzen.

Aeris war so in ihrer Raserei versonnen, dass sie den Aufprall des leblosen Leichnams nicht wahrzunehmen schien. Kratzend und schreiend stürzte sie sich auf den nächsten Feind.

Hayato erschien es so, als betrachtete er den anmutigen Tanz einer Geisha, der voller Grazie, aber doch tödlich für jene war, der ihr zum Opfer fiel. Trotz der Kälte, die der Arenaleiter in seinen Gliedern verspürte, wurde ihm warm ums Herz. Seine Aeris, sein Mädchen. Er war stolz, sie als seine Gefährtin an der eigenen Seite zu wissen, und gleichzeitig froh darüber, nicht ihre Feindin sein zu müssen. Wie sich wohl ihre zahlreichen Opfer fühlten?

Ihm war bewusst, dass er nicht einzugreifen brauchte, und wenn er es wagte, in ihre eigene Schlacht einzutreten, würde sie es ihm nur schwer vergeben können.

Ehe Hayato sich seinen lieblichen Gedanken und der endlosen Zuneigung zu seiner Adlerdame hinzugeben vermochte, zog ein kratzendes Geräusch seine Aufmerksamkeit auf sich, und er blickte wieder in die Richtung, in der er noch immer den Kommandanten vermutete.

Der breitschultrige Kerl hatte den Dolch, der unweit zu seinen Füßen lag, aufgehoben, schien aber nicht die Intention zu haben, von jenem Gebrauch zu machen. Aus seiner Nase rann noch immer dunkles Blut hinab, welches er mit einer fahrigen Handbewegung wegzuwischen versuchte. Als er Hayato entgegen sah, kämpften Schmerz und Hass in seiner angespannten Miene.

Intuitiv griff Hayato an seinem Gürtel, seine Finger umfassten zwei Pokébälle, deren Gegenwart ihn ein sachtes Gefühl von Sicherheit versprachen. Noch sah er davon ab, jene zu nutzen.

„Du Narr hast immer noch nicht genug?“, knurrte der Kommandant und sah den Arenaleiter abschätzig, ja beinah hochmütig an. „Du willst also kämpfen, obwohl du siehst, dass du alleine bist?“ Er deutete auf seine überall verstreuten Männer, die sich für diesen Augenblick erlaubten, ihre Handlungen ruhen zu lassen, um dem Szenario interessiert beizuwohnen. Allerdings schienen sie ihrem Herrn nicht die Ergebenheit entgegen zu bringen wie sich jener erhoffte. Vielmehr wirkten sie zurückhaltend und abwartend, tuschelten miteinander und schlossen nach Hayatos Empfinden gar Wetten über Sieg oder Niederlage ihres Vorstandes ab.

Hayatos Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Grinsen, während ein raues Lachen seiner Kehle entkam. „Und ihr seid zu feige, um einen Kampf Mann gegen Mann anzutreten?“, stellte er kühn die Gegenfrage. Dem Arenaleiter war vollends bewusst, dass er den Kommandanten bis aufs Äußerste reizte und er die Folgen seines Tuns nicht einzuschätzen vermochte.

Ein Wutschrei löste den unterdrückten Hass des Vorstands. „Du vorlauter Bengel! Ich stand schon in den Diensten Team Rockets, als du noch nicht mal trocken warst!“

„Ach, und darum sollte ich euch beneiden? Dass ihr einer Mafia angehört, die mordet und zerstört, wie es ihr gefällt? Nein, ich beneide euch nicht. Ich hasse euch.“

Da war der Moment gekommen, in dem das Maß erreicht war. Der Vorstand spie eine üble Beschimpfung aus, während Hayato seine Pokémon entließ.

Gleißend helle Strahlen erleuchteten den Abendhimmel. Sogleich erschallte ein vielstimmiges Stimmgewirr, welches von Wut erfüllt war.

An Hayatos Seite erschien ein gepanzerter Greifvogel, der seinen Herrn um zwei Köpfe überragte und ungeduldig über das Pflaster kratzte. Sein gesamter Leib bestand aus einem undurchdringlichen Stahlpanzer. Weder Krallen noch Zähne vermochten jenem Harnisch einen Kratzer beizufügen.

Während sich Panzaeron noch am Boden aufhielt, schwebte das zweite gewählte Pokémon des Arenaleiters hoch über ihren Köpfen. Altarias Körper war mit dichtem Flaum bedeckt, einzig der Kopf und Hals, ebenso die Füße und Schwanzfedern waren blassblau und gaben einen ansehnlichen Kontrast zu den weißen Flaumfedern. In den sonst sanften Augen der Drachin glitzerte ein unterdrückter Zorn, der seit Jahren im Zaum gehalten wurde. Gleichzeitig aber tobten Trauer und Schmerz im Herzen des Altarias und ließen ihren Körper beben.

Nachdem der Kommandant einen durchdringenden Pfiff ausgestoßen hatte, lösten sich zwei schattenhafte Gestalten von der Masse, von der Hayato nicht mehr zu unterscheiden vermochte, wer Feind oder Freund war. Nun aber galt seine Aufmerksamkeit dem nahenden Kampf, dessen Charakter Hayato nicht wirklich benennen konnte.

Grau wie der Himmel in einer klaren Vollmondnacht tauchte ein Magnayen auf. Die gelben Augen weit und den Fang zu einem lautlosen Hecheln geöffnet, stand der Wolf Panzaeron mit gierigem Blick gegenüber. Ein tiefes Grollen ließ Magnayen furchtsam zusammen zucken, als ein Hundemon an seine Stelle trat. Zahllose Narben zierten seinen schlanken, fast kränklich dürren, Leib, über dem sich die Haut nahezu schlaff spannte. Trotz des mit schwarzem Fell bedeckten Körpers zeigten sich bei jeder geschmeidigen Bewegung die sehnigen Muskeln. Seiner Stirn entsprangen links und rechts wulstige Hörner, die weit zurückgebogen waren und sich an den Spitzen nach innen krümmten. Eines dieser Hornauswüchse war abgebrochen - vermutlich die Folge eines heftigen Kampfes, Hayato wusste es nicht. Die magere Erscheinung des gebrechlichen Schattenhundes schien die Kraft, die sein Leib aufzubringen vermochte, allerdings nicht zu vermindern. Der Arenaleiter vermutete, dass jenes Hundemon mehr siegreiche Kämpfe ausgetragen hatte, als er dem Pokémon je zugetraut hätte.

Jedenfalls beschlich ihn ein seltsames Gefühl, das seinen Herzschlag beschleunigte, und spürte, wie kalter Schweiß aus den Poren hervortrat. Dennoch, er war zuversichtlich, dass Panzaeron dem Schattenhund nicht unterlegen sein würde.

Dann geschah alles so rasch, dass er nicht zu reagieren vermochte. Sein Gegenüber schrie seinen Partnern Befehle zu, die er im Lärm seltsam verzerrt und fern wahrnahm. Intuitiv handelte Hayato, jedoch mehr überstürzt als bedacht. Wie so oft schützte er die Eigenständigkeit seiner Pokémon. Sie agierten in Notsituationen nach ihrem eigenen Empfinden, um sich und ihren Trainer zu schützen.

So fächerte Panzaeron die rubinroten Schwingen, die im Licht wie Blut funkelten. Der Stahlvogel stieß sich mit einem gewaltigen Satz vom Boden ab und schraubte sich mit wenigen Flügelschlägen in die Lüfte empor, während Altaria einen durchdringenden Drachenschrei erklingen ließ und Hundemon und Magnayen in grün tanzende Flammen tauchte.

Ein Grollen entkam den Schattenhunden, als sie leichtfüßig dem Feuerodem auswichen. Den Kopf in den Nacken werfend spie Hundemon eine übel riechende Stichflamme in den Himmel empor, welche Altaria und Panzaeron umkreisten, um auf dem warmen Luftwirbel aufwärts zu steigen. Dem schmerzerfüllten Jaulen seines Gefährten schenkte Hundemon keine Beachtung, sondern zog geringschätzend die Lefzen hoch und stieß ein verächtliches Knurren aus.

Als die Hitze des Feuerodems abkühlte, japste Magnayen nach Luft, den Blick auf Hundemon gerichtet. Der Wolf entblößte in einer lautlosen Warnung die Zähne, ehe er seine Augen über sich richtete und Hayatos Pokémon fixierte.

Die Lippen zu einem gehässigen Grinsen verzogen, feixte der Mann: „Zu feige anzugreifen, was?“ Sein Blick richtete sich auf Hundemon und Magnayen, die geifernd und hechelnd auf einen Befehl ihres Herrn warteten. „Spukball - beide!“

Ein nachtschwarzer Energieball, der allem Leben die Wärme zu rauben schien, sammelten sich in den Fängen der Caniden, dunkel und pulsierend wie ein schlagendes Herz. Als die Kälte umhüllten Kugeln an Größe und Kraft gewachsen waren, schossen Hundemon und Magnayen die Spukbälle ab.

Altaria zog die Schwingen an den Leib, um sich in die Tiefe hinab fallen zu lassen, aber da wurden ihre Augen unerwartet durch eine lohende Flamme geblendet, die sich zärtlich um die dunklen Kugeln legten. Wie ein Meteorit, der einen glühenden Schweif nach sich zog, rasten die lodernden Energien auf Panzaeron und Altaria zu.

„Draco Meteor! Und Arkas, schütz dich mit Schutzschild!", rief Hayato seinem Stahlvogel zu, der dem Befehl rasch nachkam. Sein Körper war von einem grünlichen Schimmer überzogen, während sich der Drachenvogel den Kopf, begleitet von einem melodischen Gesang, in den Nacken warf. Freyas Rachen färbte sich flammendrot, als sich Energien stauten und sich hernach in einer strahlenden Kugel entfaltete, die gen Himmel schoss. Dann spaltete sich jenes Gebilde und abertausende Meteoriten hagelten auf die Erde nieder. Geschützt durch die Barriere schien der Gesteinshagel den Stahlvogel nicht zu behelligen.

Als Meteorit auf Meteorit trafen, explodierten die Gesteine. Zu mächtig war der Draco-Meteor, der ihnen die Stirn bot. Wie ein nie enden wollender Hagel rasten faustgroße, glühende Steine zur Erde nieder, denen Hundemon und Magnayen tänzelnd auswichen. Bloß am Rande nahmen sie wahr, wie die steinernen Gebilde Krater schlugen und zischend abkühlten.

Doch da wurden sie jäh unaufmerksam. In ihrem Tanz fehlte jegliche Harmonie zueinander und so geschah es, dass Hundemon und Magnayen gegeneinander stießen, als sie einem nahenden Gesteinsbrocken versuchten auszuweichen. Nun wirbelte der Wolf knurrend herum und schnappte nach Hundemon, das überrascht zur Seite tänzelte und missmutig grollte.

„Passt auf, ihr Dummköpfe!“, schalt ihr Herr seine Pokémon, doch war der Wille, sie zu warnen, vergebens. Der glühende Steinhagel prasselte unerbittlich auf sie nieder, während schrille Schmerzensschreie die Luft durchschnitten.

Hayatos Blicke schnellten zum Himmel empor, dort wo er Altaria über seinem Kopf schwebend vermutete. „Gut gemacht!“

Stolz reckte sich die Drachendame und ließ einen wohlklingenden Ruf erschallen, der ihre Kämpfernatur jedoch nicht untergrub. Wunderschön, doch kriegerisch und tödlich. Fürchten sollen die Feinde ihre Kraft!

„Es ist keine Zeit, sich im Ruhm zu sonnen. Aero-Ass!“, tadelte der Arenaleiter seine Gefährtin, die einst seinem Vater zur Seite gestanden hatte. Freya war Gins Vermächtnis an seinen Sohn und das Einzige, was Hayato von seinem alten Herrn geblieben war. Obwohl ihre Treue eines Tages einmal Gin gegolten hatte, war das Band zwischen Hayato und der Drachin stark, wenngleich es nicht so unerschütterlich und unzerbrechlich war, wie die Bindung zwischen Aeris und ihrem liebsten Gefährten.

Freya bedachte ihren Trainer mit einem kurzen Blick, der ihre Entrüstung zum Ausdruck brachte und bloß einen Herzschlag andauerte. Dann wandte sie sich wieder ab und schraubte sich mit wenigen Flügelschlägen in die Lüfte empor, nur um sich im gleichen Moment wie ein herabschnellender Pfeil in die Tiefe zu stürzen.

„Hinterher, Arkas! Stahlflügel!“

Panzaeron warf das Haupt in den Nacken und stieß einen metallisch klingenden Schrei aus. Dann erstrahlten seine Schwingen silbern glänzend. Arkas stand der Drachendame in nichts nach. Sein Ehrgeiz verbot es ihm, zu unterliegen. Ein Hundemon durfte es nicht in die Knie zwingen.

Beinah dicht an dicht schnellten sie gemeinsam auf Magnayen und Hundemon zu, als galt es, einen Wettkampf zu gewinnen

Mühsam begaben sich die Feinde auf ihre Beine und hoben ihren Blick gen Himmel. Der Arenaleiter sah ihnen an, dass sie verunsichert waren. Der gleiche Ausdruck, wenn er unerfahrenen Trainern gegenüberstand, flackerte in ihren Augen.

Zweifel. Angst. Ein Feind, der des Fliegens mächtig war, erschien beinahe unbezwingbar.

Freya, knapp dreihundert Schritt vor Arkas fliegend, raste geradewegs auf ihre Feinde zu. Unerschrocken sah sie dem unabänderlichen Zusammenstoß entgegen.

„Macht euch bereit, Spukball!“

Losgelöst von ihren Konturen verblasste Altarias Erscheinung und irgendwann raste sie bloß als ein Schemen über die Lande.

Erschrocken jaulte Hundemon, als sich Altaria binnen weniger Sekunden verstofflichte und gegen ihn krachte. Ein schmerzhaftes Ziehen durchfuhr Freyas Leib, dem sie jedoch wenig Beachtung schenkte. Rasch entfernte sich die Drachin von dem Feuerhund und schraubte sich wieder in die Luft empor.

„Reißt euch zusammen! Feuerwirbel, du flohverseuchter Köter!“

Obwohl sein Körper vor Schmerz wimmerte, knurrte Hundemon und spie eine lodernde Flamme, welche sich tänzelnd um Panzaerons Leib wand und sich wie heiße Fesseln in seine Stahlrüstung fraß. Gequält schrie Arkas auf und fiel wie ein plumper Stein zu Boden. Kein klagender Laut entwich seiner Kehle. Den schrecklichen Schmerz ertrug es mit stummer Miene.

Gefährlich waren Hundemons Feuerattacken, gefährlicher als Hayato zunächst gedacht hatte, denn er hatte geglaubt, Panzaeron sei in den Lüften unerreichbar für Hundemon.

„Hoppla. Muss ich dir etwa Nachhilfe geben? Von einem Arenaleiter hätte ich etwas mehr erwartet“, höhnte der Vorstand. Schadenfroh grinste der Mann ihm entgegen.

Er fluchte. Dieser verdammte Bastard hatte Recht. Sein Leichtsinn hatte ihn unvorsichtig werden lassen. Das hätte ihm – einem Arenaleiter! – nicht passieren dürfen.

„Brauchst du eine Einladung? Donnerzahn, Magnayen!“

Der graue Wolf sprang grollend vor, seine Reißzähne gebleckt, welche von Funken umgeben waren.

Hayatos Augen huschten zu Altaria. Freya fing seinen Blick auf, blinzelte beinahe fragend und erwiderte ihn. Auch ohne Worte, sie verstand ihn.

Innerhalb eines Herzschlages wandelten sie sich zu Jäger und Jägerin und waren gleichzeitig Gejagte und Gejagter zugleich. Konzentration und Ausdauer stellten den Schlüssel zum Triumph dar und entschieden über Sieg und Niederlage.

Altaria deutete eine Finte an, tänzelte anmutig zur Seite und stieß im nächsten Moment gegen Magnayens Brust. Entrüstet und zugleich schmerzvoll stieß der Schattenwolf ein Jaulen aus. Benommen taumelte Magnayen mehrere Schritt zurück. Noch rechtzeitig fand er zur Balance zurück, bevor er zu Boden geworfen werden konnte.

„Du Nichtsnutz!“, keifte der Kommandant. „Lass dich doch nicht von einem Altaria herumschubsen!“

Demütig senkte der Wolf sein Haupt, so tief, als wollte er sich vor seinem Herrn ergeben verbeugen.

Hayato ballte die Faust. So behandelte man Pokémon nicht!

Altaria gewann Gefallen, die Oberhand zu haben, und setzte zu einem erneuten Stoß an. Da aber schoss eine Flammenzunge zwischen ihr und Magnayen, die ihr die Sicht nahm.

Freya stieß ein frustriertes Heulen aus, dann schwenkte sie zur Seite, fort von dem flackernden Leuchten, das ihre Augen blendete. Vertraut mit dem Element Luft war es ein leichtes Spiel, sich unter den gebündelten Flammen wegzudrehen.

Sprühende Funken stellten die Ausläufer dar, welche um den Feuerstrahl herumwirbelten. Deren Hitze vermochte Freya deutlich auf ihren Schwingen zu spüren. Die Drachin schüttelte sich, um die Glut in alle Winde zu zerstreuen.

„Feuerzahn!“

Hundemons Silhouette erschien hinter der Flammenwand. Knurrend hastete der Schattenhund auf seine Gegnerin zu.

Jäh wurde Hundemon von peitschenden Windstößen erfasst und gegen eine Hauswand gedrückt, so mächtig, dass jene unter dem Gewicht nachgab und sich Risse im Gestein bildeten.

Triumphierend reckte Panzaeron sein Haupt empor, als es seinen Platz neben Freya einnahm, die für einen flüchtigen Moment liebevoll ihren Kopf an seine Schulter schmiegte.

„Da bist du ja wieder“, stellte Hayato zufrieden fest, ohne Tadel im Tonfall mitschwingen zu lassen. Arkas blickte ihm entgegen, seinen Schnabel leicht geöffnet und dem schalkhaften Leuchten in seinen Augen schien der Stahlvogel belustigt zu grinsen.

Der Arenaleiter lächelte. Etwas anderes hatte er auch nicht befürchtet. Auf seine Partner war stets Verlass. „Es ist an der Zeit, dieses Schauspiel zu beenden.“

Schallendes Gelächter drang zu ihm. „Versuch es ruhig, Junge.“ Er breitete die Arme aus. „Sieh dich nur um. Ein Befehl zu meinen Leuten und sie nehmen dich und deine Vögelchen auseinander.“

„Soll ich etwa Angst haben?“

Angst. Zugegeben, tief verborgen verspürte er Angst. Doch jene beherrschte ihn nicht. Vielmehr schenkte diese Bitterkeit, welche in seinen Eingeweiden lauerten, ihm die Kraft, dieses Szenario zu überleben. Der Drang zu überleben überschattete sein gesamtes Dasein.

„Dann lass mal sehen, was du drauf hast. Finsteraura und Inferno!“

Eine dunkle Böe fegte über das Kampffeld, welche von einer verheerenden Feuersbrunst durchbrochen wurde. Ein pulsierender Kokon aus schwarzen Nebelfetzen und glühenden Flammen bildete einen Wirbelsturm. Fauchend, zischend und Funken spuckend wuchs der Flammenzirkel rasch in die Höhe. Binnen weniger Sekunden wurde der Schlauch breiter und breiter und riss jeden ins Verderben, der ihm zu nahe kam.

Während Panzaeron sich durch Schutzschild vor dem Unheil zu bewahren vermochte, ging Altarias Kreischen im Brüllen des Feuers unter. Obwohl Winter war, spürte Hayato wie die Hitze ihm zu schaffen machte.

Nach einer gefühlten Ewigkeit wurde der Tornado schwächer; die Rotationen verlangsamten sich, die Winde erstarben und die Flammen erloschen.

Müde und erschöpft sank Altaria zu Boden. Versengt von der Hitze waren ihre flauschigen Federn rußgeschwärzt. Freyas Leib schmerzte. Zahlreiche Wunden übersäten ihren zierlichen Körper. Teilweise war die Haut unter der Hitze aufgeplatzt und gab das gerötete Fleisch darunter preis. Eine Frechheit! Ihre Anmut war jetzt vollkommen entstellt! Um jene Sünde zu vergelten, fehlte der Drachin jedoch die Kraft. Erbärmlich zitterte sie am ganzen Körper. Hier saß sie nun wie ein kleines Häufchen Elend! Wie armselig!

Grinsend sah der rothaarige Mann Hayato entgegen. „Dir geht doch nicht etwa die Puste aus?“, spottete der Kommandant abfällig. „Dunkelklaue und Knirscher!“

„Noch nicht, Lichtkanone! Freya, Ruheort!“

Während Altaria entkräftet die Augen schloss und ihre innere Kraft sammelte, bildete sich in Arkas Schnabel ein kreisähnliches Gebilde, umschwirrt von reinem, silbernem Licht. Hernach fuhr der Lichtstrahl auf Magnayen und Hundemon nieder und schlug eine tiefe Schlucht in den Boden. Rauch und Staub verwehrte ihnen den Blick auf das Geschehen.

Kostbare Sekunden, welche Freya Ruhe und Erholung versprachen. Ihr geschundener Körper fand zurück zu seiner einstigen Stärke; über die dargelegten Wunden, an denen das rohe Fleisch und die Muskeln zum Vorschein gekommen war, wuchsen Sehnen und Muskeln ineinander und Haut bildete sich als schützende Hülle.

Die Schwingen gefächert, stieß sich die Drachendame kraftvoll vom Boden ab.

„Stachler!“

Arkas spie hunderte Steinnadeln aus seinem Schnabel, welche sich überallhin auf dem Boden verbreiteten. Dort blieben sie als lauernde Gefahr liegen.

„Tarnsteine!“

Nichts geschah. Und doch vermochte der Arenaleiter nicht, sich ein Grinsen zu verkneifen. Diese Kombo liebte er! Ob der Vorstand jene kannte?

„Was soll der Scheiß?“, knurrte dieser wie ein geprügelter Köter. „Hundemon, Feuerzahn, und du, Magnayen, Eisenschweif!“

Seite an Seite hasteten Hundemon und Magnayen auf Altaria und Panzaeron zu, welche rund zwanzig Fuß über dem Boden schwebten. Starr sahen sie den Schattenhunden entgegen, darauf vertrauend, dass Hayato ihnen rechtzeitig einen Befehl erteilte.

„Wirbelwind!“

Unter Altarias und Panzaerons geeinten und machtvollen Flügelschlägen begann die Luft zu vibrieren. Ein kräftiges Dröhnen, das irgendwann die Ohren schmerzen ließ. Windböen fegten über den Platz, welche nach jeder verstrichenen Sekunde stärker wurden. Zu leichte Gegenstände, Papier, Blätter und Schnee wirbelten die Schwingen auf.

Alsbald erhob sich ein wahrer Sturm. Hayato hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Manche Männer wurden von den tosenden Windmassen von den Beinen gerissen und durch die Luft geschleudert.

Heulend reckten Hundemon und Magnayen ihre Schnauzen empor, während ihre Pfoten auf dem nassen und teils glatten Untergrund Halt suchten. Doch wie Blätter in einem Herbststurm riss der Orkan die Schattenhunde von den Pfoten. Angstvoll jaulend strampelten sie in der Luft, hilflos gegen die Naturgewalten, welche sich gegen sie erhoben.

Dann lösten sich ihre Umrisse auf, ihre Körper wurden zu Energien, welche sich als Kugel bündelte, und anschließend in die Pokébälle zurückkehrten.

Entsetzt starrte der Befehlshaber auf die zitternden Kapseln, die in seinen Händen lagen. Besiegt!

„Gib auf“, forderte Hayato trocken, „du kannst nicht mehr gewinnen.“

„Niemals! Von einem Naseweis wie dir lasse ich mich nicht besiegen!“ In Eile löste er zwei weitere Kapseln von seinem Gürtel.

Er wagte doch nicht… Da aber erhellten schon grelle Lichtstrahlen die herangebrochene Dunkelheit und blendeten den Arenaleiter für wenige Augenblicke.

Jäh dröhnte ein metallisch klingender Urzeitschrei in Hayatos Ohren. Unwillkürlich presste er sich schützend die Hände auf die Ohren, bis jenes Kreischen verstummte. Hernach klarte sich nach einer gefühlten Ewigkeit sein Blick, als das Licht, das seine Augen für wenige Herzschläge lang geblendet hatte, nun schließlich verblasste und endlich freie Sicht zuließ.

Nun stand dem jungen Arenaleiter ein gepanzertes Getier gegenüber und überragte ihn gewiss um Haupteslängen. Der aufrechte Leib war mit ausgehärteten Platten versehen, welche jeden Angriff abzuwehren vermochten. Der muskulöse Schwanz, mit gekrümmten Dornen besetzt, der angespannt von einer Seite zur anderen zuckte, sorgte für das Gleichgewicht, diente aber auch als eine schmerzhafte Waffe. Ebenso tödlich wie der Schweif mochten wohl die riesigen Klauen sein, die sowohl als Stich- und Hiebwaffe geeignet waren. Aus großen, runden Facettenaugen starrte das Wesen den Arenaleiter regungslos an, während sich sein Kiefer einen Spalt breit öffnete und ein drohendes Zischen aus seiner Kehle entkam. Dabei wogten rot-weiße Federplatten auf und ab, als sträubte ein fauchendes Snobilikat ihr Nackenfell.

Hayato kannte jenes Pokémon bloß aus Elenas Büchern. Er wusste, dass es sich um ein prähistorisches Armaldo handelte, welche seit Äonen als ausgestorben galten, und dass Wissenschaftler durch moderne Forschungstechniken die Urzeitkreaturen aus gut erhaltenen Fossilien wiedererwecken konnten.

Flankiert wurde Armaldo von einem grauhäutigen Rizeros, ein kolossales Monstrum, wie Hayato es noch nie gesehen hatte. Den Kopf, auf dem ein spitzzulaufendes Horn thronte, hoch empor gereckt, betrachtete das Pokémon seine Gegner fast arrogant, so als wisse es Bescheid, dass sein grauer Schuppenpanzer härter als jedes Gestein war und es sich selbst vor Lava nicht zu fürchten brauchte. Vor niemandem musste er sich in Acht nehmen.

Gleichzeitig, als die Kapseln klickend aufsprangen, zitterten und klirrten die Steinnadeln, wie die Rassel einer Klapperschlange. Ein nicht hörbarer Befehl richtete die Spitzen auf und ließen das Kampffeld zu einem bedrohlichen Nagelbrett werden. Abertausende Stacheln blitzten aus ihren Verstecken auf und vollstreckten ihren Dienst.

Nirgendwo vermochten Rizeros und Armaldo zu stehen, ohne das die Stacheln sich tief ins Fleisch bohrten. Ein Rinnsal Blut hatte sich im Schlamm gesammelt.

Und da erzitterte noch etwas. In einem geschlossen Kreis, dessen Mittelpunkt Armaldo und Rizeros bildeten, regte sich etwas. Ein Kratzen, als wolle man einen Stein aus dem erdigen Boden befreien. Aus jenem Scharren wurde ein dumpfes Rumoren zu ihren Füßen. Dann kündigten Risse das bevorstehende Unheil an. Jäh brach der Asphalt wie unter dem machtvollen Schlag eines Presslufthammers ächzend auseinander. Einfach so.

Kreischend erhob sich ein Dutzend geschliffener Felsbrocken aus dem Krater und kreisten um Armaldo und Rizeros. Nach jedem verstrichenen Herzschlag wurde die Schlinge der Steinfalle enger.

Plötzlich nahmen die Gesteine an Geschwindigkeit auf und rasten auf die Kolosse zu.

„Verteidigt euch! Metallklaue und Schlagbohrer!“

Armaldos Klauen wandelten sich in gleißenden, silbernen Stahl, während Rizeros‘ Horn wie ein Akkuschrauber tönte. Flink wie ein Wiesel, so erschien es Hayato, tanzte das urzeitliche Raubtier zwischen den schwebenden Steinen umher. Jedem Stich, ja jedem Hieb folgte das Krachen eines Felsen, der auf der Erde aufschlug und entzweibrach. Rizeros‘ volltönender Bass schallte einen kurzen Moment über den Lärm hinweg, dann rammte das Monstrum sein gehörntes Haupt gegen die bedrohlichen Steinbrocken, zertrümmerte einem nach dem anderen. Eine Schneise zerstörter Gesteine rahmte den Zirkel, in dem Armaldo und Rizeros gewütet hatten.

Doch irgendwann nahm die Achtsamkeit ab. Der Schatten von vier Felsen überragte Armaldo und Rizeros wie ein gefahrvolles Raubtier, als jene auf sie herabfielen und die Ungetüme unter den Lasten begrüben. Das ärgerliche Gebrüll verging mit dem lärmenden Donnern der Felsbrocken.

„Befreit euch!“ Eine schlichte Ansage, vollkommen neutral und ohne Wärme. Hayato wünschte sich, er hätte diesem Bastard so sehr die Fresse poliert, dass er nicht mehr hätte sprechen können!

Nun aber kehrte eine seltsame Stille ein, die den Arenaleiter beunruhigte. Obwohl jene bloß Sekunden andauerte, fühlte es sich so an, als seien Minuten vergangen, bis ein ohrenbetäubender Knall und das Gebrüll der monströsen Pokémon die Erde erzittern ließ. Wie unter einem Vulkanausbruch wurden die Felsbrocken, so groß wie ein Geowaz, in die Luft geschleudert. Steine, die kein Mensch hätte stemmen können. Sie demolierten und zertrümmerten Häuser, Autos oder erschlugen, sowohl Menschen als auch Pokémon, die nicht schnell genug waren, um Schutz zu suchen.

Hayato spürte eine wohltuende Wärme in seine Glieder kriechen. Jenem erquickenden Balsam wich die Kälte, welche sich durch die Angst, Wut und das Entsetzen eingenistet hatte. Es war ein Gefühl tiefer Zuneigung; eine Liebe, die einer Mutter ihrem Kind entgegenbrachte und Trost für die Seele, die den Kummer hinweg fegte. Seine Blicke wanderten in die Richtung, in der er Altaria vermutete.

Die Drachin hatte den Kopf zu ihrem Partner gewandt, stille, ja mütterliche Sorge lag in ihren klugen Augen. Wie ein sanfter Schleier hatte sich Altarias zartgrüner Schutzschild ausgedehnt, um Hayato und Panzaeron vor jenem Schicksal zu bewahren. Ja, sogar um Aeris schien Altaria den Zauber gelegt zu haben.

Dann wandte sich Freya ab, und doch riss dieses zartbesaitete Band nicht ab. Es fühlte sich an, als hätte sein Vater seine Hand schützend über ihn. Und jenes Gefühl verlieh Hayato Mut und Entschlossenheit.

Wo Gin wohl in jenem Augenblick sein mochte? Sah er mit wachsendem Stolz seinem Sohn zu oder graute es ihm vor den Schrecken und er verbarg sich vor dem Anblick irgendwo?

Erneut blieb sein Blick auf Freya haften. Gins Seele war in ihr, das wusste er. Eine verstorbene Person war niemals weit weg, solange man sie im Herzen trug und sie nicht in Vergessenheit geriet.

Jäh preschten Armaldo und Rizeros vorwärts, und der vertraute Moment zerplatzte wie eine Seifenblase. Ihre Schritte donnerten auf dem Boden und ließen die Erde schwanken.

Hernach quoll eine Rauchwolke aus Altarias Nüstern, dem ein feiner Feuerstrahl folgte und Rizeros Flanken in rot glühendes Licht badete, aber die Hitze schien den Koloss nicht zu stören. Er schüttelte sich, als wollte er eine lästige Fliege loswerden, und erwiderte den Angriff mit einem zornigen Brüllen.

Dann schrien Hayato und der Kommandant ihre Befehle. Etliche Attacken, die nicht mehr herauszuhören waren. Panzaeron und Altaria ließen sich von den Winden höher in die Lüfte treiben, dorthin, wo Armaldo und Rizeros nicht vorzudringen vermochten. Wie verletzliche Rattfratz wirkten die Hünen, welche sich furchtsam zusammendrängten, um den Königen der Lüfte kaum ein Ziel zu bieten.

Doch war ihre Intelligenz so primitiv, dass sie zu glauben vermochten, so könnten sie ihren Angriffen entgehen?

„Holt die Vögelchen vom Himmel runter!“, durchbrach die kreischende Stimme des Kommandanten die verheißungsvolle Atmosphäre. Wie respektlos er sich seinen Pokémon gegenüber benahm!

Ein leichtes Wanken tastete nach dem Boden unter Hayatos Füßen; ein schwaches Zittern, das zunehmend stärker wurde. Jäh lösten sich schwere Gesteinsbrocken aus der Erde, die sich träge in die Luft erhoben, unerwartet aber beschleunigten und auf Altarias und Panzaerons Brust zielten.

Eine Druckwelle, gefolgt von peitschenden, scharfen Winden, welche Hayato als Luftschnitt bezeichnete, erfasste die Felsen und zerstückelte sie in feines Pulver.

Knurrend quittierten Armaldo und Rizeros diese Demütigung, denn es grämte sie, wie leichtfertig Panzaeron mit ihren Angriffen umgegangen war. Dennoch wussten sie keinen Rat, um sich zu verteidigen. Sie fühlten sich unter dem scharfen Blick des Greifvogels und Drachens hilflos wie Junge, welche den Schutz ihrer Mutter brauchten.

„Wird’s bald?“, erboste sich der Fremde und funkelte seine vermeintlichen Gefährten, die bloß ein dumpfes Grollen von sich gaben, dann aber flüchtige Blicke einander zuwarfen.

Das Urzeittier hob die Sichelklauen über sein Haupt und stieß ein bedrohliches Zischen aus, während es der Luft die Feuchtigkeit zu entziehen schien. Tropfen vibrierten und erstarrten in der Luft, dann bildeten sich überlappende Kugeln, welche stetig heranwuchsen, bis ein durchsichtiger, pulsierender Energieball geboren war. Fauchend schoss das Amphibium jenes glitzernde Gebilde in die Höhe, aber Panzaeron und Altaria zogen ihre Flügel an den Leib und kippten seitlich weg, sobald die Wasserkugel ihnen zu nahe kam.

„Noch eine“, befahl der Kommandant, während sein Blick zu Rizeros wanderte, das regungslos empor sah. Seine Stimme war bar jeder Emotion; kalt und unnachgiebig. Armaldo gehorchte.

Knurrend schwenkte Rizeros sein Haupt, als die Aquawelle erneut ins Leere ging und an einer Hauswand platschend explodierte und sich über den Pflastersteinen ergoss. Das Nashorn sammelte Energien, aus denen abertausende spitze Steine gebaren, und feuerte sie wie Geschosse auf seine Feinde ab. Als Altaria und Panzaeron auf Hayatos Befehl hin wieder versuchten, seitlich auszubrechen, lenkte Rizeros sie um und konzentrierte sich, nur einen der Geflügelten vom Himmel zu holen. Ein Felssplitter traf den Stahlvogel an der Schläfe und ließ ihn straucheln. Panzaeron taumelte und sank benommen in die Tiefe, unfähig sich zu verteidigen.

„Steinkante!“

Um Armaldos Leib rotierten kleine, aber scharfkantige Steinchen, welche auf einem kaum merklichen Geheiß des Urzeittiers abgeschossen wurden. Wie sirrende Pfeile pfiffen sie durch die Luft, anmutig und tödlich zugleich.

Beinahe panisch schrie Hayato: „Schutzschild!“ Doch da legte Altaria bereits die Watteschwingen an den Körper und raste auf Panzaeron und die Gesteinssplitter zu. Ein grüner Schleier formierte sich vor dem Antlitz des Drachenvogels und schmiegte sich lieblich an seinen Leib, als er den Greifvogel erreichte, um ihn mit dem Körper vor dem bevorstehenden Schmerz zu bewahren.

Als würde Stein auf Glas schlagen, prallten die Splitter auf die Barriere, und doch hinterließen sie kaum eine Kerbe. Sie zerbarsten und rieselten als glitzernder Staub zur Erde hinab.

Enttäuscht brüllte Rizeros seinen Frust Altaria und Panzaeron entgegen, die weiterhin über den Köpfen der gegnerischen Pokémon ruhig ihre Bahnen am Himmel zogen und hochmütig auf sie herabsahen. Etwas wie Mitleid empfanden sie für jene Kreaturen, die ohne die Gunst des Windes geboren und an die Erde gebunden waren.

Altaria löste den schützenden Bann um Panzaeron, denn er kostete ihr zu viel Kraft, und glitt, getragen von warmen Luftströmen, tiefer. Kaum ein Flügelschlag war von Nöten, sie sank beinahe wie ein Engel schwerelos hinab.

Armaldo und Rizeros beobachteten die Drachin misstrauisch, knurrten beunruhigt und stießen warnende Grolllaute aus.

Entweder war es eine besonders dumme oder eine kluge Wahl, Altaria so tief hinab zu schicken. In der Luft waren Panzaeron und Altaria ihren Feinden überlegen, aber am Boden?

Der Kommandant wusste um diese Schwäche und ergriff nahezu siegessicher diese Gelegenheit, den Drachenvogel ins Nirwana zu befördern.

„Steinhagel, Rizeros!“

Der Erdboden zerbarst unter Rizeros Gewicht; ein massiger Stein brach heraus und erhob sich wie eine massive Wand vor ihm. Unter mächtigem Gebrüll zertrümmerte Rizeros den Felsen und schleuderten die verschieden großen Bruchstücke auf Altaria.

„Eisstrahl!“

Der klirrend kalte Energiestrahl traf auf die Felsen und überzog das Gestein mit einer glitzernden Eishaut. Abgebremst durch Firns Kraft erstarrten sie mitten in der Luft zu riesigen Hagelsteinen. Plump riss die Gravitation die Gesteine zu Boden und begruben ein weiteres Mal die Hünen unter schweren Lasten. Ein dumpfes Grollen ließ die Luft vibrieren. Hayato wusste nicht, ob es das Poltern des Gerölls war oder das zornige Grollen der Pokémon, die, als seien sie unter den Hieben eines Schlagstocks geprügelt worden, wutentbrannt knurrten.

Dann war plötzlich Stille; eine Stille, die bloß einen Augenblick angedauert hatte. Ein verräterisches Knacksen durchbrach die Ruhe. Hernach wurden aus leichten Furchen Risse, die die Gesteine des Geröllhaufens wie Adern durchzogen. Unter Getöse und dem Brüllen der Hünen brachen die Felsen.

Grinsend wähnte sich der Kommandant weiterhin siegessicher. „Steinkante, beide!“

Ein Schlag genügte, der Felsen zerbarst unter grauenvollem Kreischen und spitze Splitter rasten auf Altaria und Panzaeron zu.

„Schützt euch! Luftschnitt und Feuersturm!“

In den Farben glühender Lava tränkte Freya abertausende steinernen Splitter in ihrem alles verzehrenden Inferno. Zischend und fauchend, glucksend und spuckend schmolzen die winzigen, aber spitzen Trümmer zu einer zähflüssigen Masse, die mit schmatzendem Geräusch auf den Boden platschten.

Und jene Stücke, die der Hitze des Feuersturmes nicht zum Opfer gefallen waren, wurden von aus Wind geformten Sicheln zertrümmert. Nur wenige zerkratzten und zerschunden Altarias oder Panzaeros Stahlkörper. Es waren nicht Rizeros‘ und Armaldos Angriffe, die Hayatos Gefährten die Kraft raubten. Es war die Erschöpfung, die sich allmählich in ihre Glieder schlich.

Hayato hatte ein gutes Gespür für seine Pokémon. Egal, wie mühsam sie versuchten, ihr Befinden vor ihrem Trainer zu verbergen, fand Hayato es dennoch heraus. So sah er die kleinen, verräterischen Anzeichen, die Panzaerons und Altarias schlechter werdenden Zustand deutlich machten.

Ungelenk wurden ihre Bewegungen, langsamer ihre Manöver, der Schnabel einen Fingerbreit geöffnet, der Brustkorb hob und senkte sich in rascher Abfolge, der Atem war rasselnd und stoßweise.

Ein ungeübtes Auge hätte diese Spuren wohl kaum erkannt. Zu gut kannte der Arenaleiter seine Partner, als dass sie ihm, ihrem langjährigen Freund, etwas vorzumachen vermochten.

„Stahlflügel, Arkas!“

Panzaeron stieß einen hohen Schrei aus, ehe sein Gefieder silbern erstrahlte, und er wie ein Pfeil herabschnellte. Dabei hatte er Rizeros mit beinahe mathematischer Genauigkeit als sein Ziel gewählt und schoss geradewegs auf den Steinkoloss zu, der seinen massigen Körper bereits anspannte.

„Abwarten!“, bellte der Kommandant und zögerte den nächsten Befehl solange hinaus, bis Panzaeron nahe genug war, um weder ausweichen noch seinem Rizeros entfliehen zu können. „Feuerschlag!“

In glühenden Flammen waren die Pranken gehüllt, die Rizeros zu Fäusten ballte, als ein Zusammenstoß mit dem Greifvogel nicht mehr vermeidbar war. Ein Schlag auf den stählernen Brustpanzer ließ Panzaeron einen schmerzerfüllten Schrei ausstoßen und schmetterte ihn auf den Boden. Ein grauenhaftes Kreischen ertönte, als der Stahlvogel über die Pflastersteine schepperte und nach einigen Metern zum Stillstand kam. Ermattet blieb Panzaeron dort liegen.

Und mit diesem Schlag wurde es still auf dem Platz. Die Zeit schien gleichförmiger weiterzulaufen als zuvor, während sich alle Blicke auf Hayato und den Kommandanten richteten.

„Arkas!“, rief Hayato besorgt aus, als sein Gefährte sich nicht zu regen schien. Seine Augen waren geschlossen, so als würde es friedlich schlafen. Doch der Zuruf seines Trainers weckte den Kampfeswillen. Mit einem vernehmbaren Klacken der oberen Lider öffnete Panzaeron seine gelben Augen und rappelte sich auf die Klauenfüße. Gierig sog der Vogel den Sauerstoff in seine Luftsäcke.

„Alles klar bei dir?“ Bedacht begutachtete Hayato sein Pokémon, das durch den Hieb einige Brandwunden am Körper davon getragen hatte. Keine dieser Verletzungen war so gravierend, dass sie Panzaeron stark schwächten, beeinträchtigen würden sie ihn jedoch gewiss – soweit er es aus dieser Entfernung beurteilen konnte.

Mit einem hohen Vogelschrei zerstreute Arkas die Bedenken seines Trainers. Fauchend taxierte der Stahlvogel die machtvollen Hünen, während in seinen Augen die Glut der Entschlossenheit und die Wildheit, den Feind zu Fall zu bringen, loderte.

„Mehr Glück als Verstand“, höhnte der Kommandant abfällig. „Wie lange werden deine Vögelchen noch aushalten?“

„Solange, bis Ihr im Staub kriecht und eure Truppe kapiert, dass sich Violas Bewohner nicht unterdrücken lassen.“ Nicht von Team Rocket, von niemandem ließ er sich seinen Stolz nehmen oder das Andenken seines Vaters beschmutzen. Zumindest wollte Hayato es nicht zulassen, dass die Mafia ihm und den Bürgern ihren Willen aufzwang und Viola dem Erdboden gleich machte.

Scheinbar von allen Seiten schlug ihm verächtliches Gelächter entgegen. Waren seine Worte so grotesk?

Bloß die Stadtbewohner schienen den Ernst seiner Worte erkannt zu haben. Noch immer dominierten in ihren Gesichtszügen die Furcht und das Entsetzen. Jenes Grauen, welches sie tagtäglich im Fernsehen oder Radio über Orre hörten, herrschte nun auch in Johto. Das Schicksal hatte es vermutlich nicht gut gemeint mit den Menschen in Johto und schien ein böses Spiel zu treiben.

„Ich wüsste nicht, was daran lustig sein sollte“, stellte irgendwo jemand klar. Eine rau klingende, männliche Stimme.

Hayatos Blicke suchten nach der Quelle, doch vermochte er sie nicht ausfindig zu machen. Er hatte erwartet, dass ein Mann aus der Menge getreten war, um ihm den Rücken zu stärken. Nichts dergleichen geschah. Vielleicht war es die Angst, die den Mann zurückschrecken ließ, vorzutreten.

„Schluss mit dem theatralischen Gequatsche“, knurrte der Kommandant kehlig und blickte zu Rizeros und Armaldo, welche mit zurückgelegten Lefzen und mit hin- und herzuckenden Schwänzen Panzaerons Drohgebärden erwiderten. Es bedarf keiner weiteren Aufforderung zum Angreifen. Ohne Hast schritten die Hünen siegessicher auf Panzaeron zu.

Plötzlich huschte ein brauner Schatten vor Hayatos Augen vorbei. Gleichzeitig zerriss ein schriller, wilder Vogelschrei die Luft, der die Anwesenden aufschrecken und die Ohren schmerzen ließ. Schnee und Matsch bildeten, gemeinsam mit aufgewirbeltem Schmutz, eine kleine Staubwolke am Boden und verschleierten für wenige Momente den Anblick.

Hayato blinzelte; ein Staubkorn war in seinem linken Auge und schmerzte. Mit einer fahrigen Bewegung seiner Hand wischte er sich durch die Augen. Als seine Sicht wieder klar war, erkannte der Arenaleiter Aeris‘ schlanke Gestalt. Die Adlerdame hockte auf einem mit Schlamm verkrusteten Leib und streckte triumphierend das Haupt empor. Die Klauen in den Körper des am Boden liegenden Feindes gedrückt reckte sie triumphierend das Haupt und stieß einen langgezogenen Schrei aus.

Dann wandte sie ruckartig den Kopf und blickte Arkas einen Lidschlag lang an. Während ihr Schnabel wenige fingerbreit geöffnet war und beinah ein spöttisches Grinsen beschrieb, funkelte der Schalk in ihren Augen. Arkas kreischte empört. Aeris machte sich über ihn lustig!

Armaldos und Rizeros‘ Vorstoß ließ die Erde beben. Sogleich aber fächerte Aeris die Schwingen, als sie die Erschütterungen wahrnahm, und federte sich mit einer geschmeidigen Bewegung in die Höhe.

Entsetzt über das unerwartete Hindernis, welches die Hünen zum Stolpern brachten, löste sich ein Schrei aus ihren Kehlen. Die Augen weit vor Panik ruderten Armaldo und Rizeros hilflos mit ihren Armen umher, als sie abrupt ihren Lauf verlangsamten. Halt suchend taumelten sie synchron mit einem Bein nach vorn, doch die Schwerkraft riss ihre massigen Leiber zu Boden, und sie machten unsanft Bekanntschaft mit dem Boden. Mit einem vernehmbaren Plumps prallten sie auf den Leib des bewusstlosen oder bereits toten Pokémons und begruben es unter ihrer schweren Körperfülle.

Hayato vermochte nicht, zu erkennen, welches Pokémon sie zerdrückten. Es ging alles so rasch, dass seine Augen es nicht wahrnehmen konnten. Vielleicht war es auch besser so.

Wutflecken zierten das Gesicht des Kommandanten. „Ihr Idioten! Ihr Nichtsnutze! Ihr taugt ja auch gar nichts!“

Benommen hob das Urzeitgetier seinen Kopf, welcher entsetzlich schmerzte. Eine Platzwunde war an seiner Stirn, dunkles Blut floss an seiner Schläfe hinab und nahm ihm die Sicht. Es hatte sich den Kopf an Rizeros‘ Horn geschlagen, gefährlich nahe an seinen Facettenaugen. Stöhnend richtete sich Armaldo auf und streckte sich vorsichtig. Seine Muskeln schrien bei jeder Bewegung seines Körpers protestierend auf. Behutsam wandte sich Armaldo zu seinem Kampfgefährten, der noch immer reglos auf dem Boden lag. Einzig das unentwegte Knurren überzeugte Armaldo, dass Rizeros noch bei Bewusstsein war.

Schwerfällig erhob sich der mannshohe Steinkoloss und schwankte, als seine geschwächten Beine das Gewicht erneut zu tragen hatten. Sein massiger Felskörper hatte Rizeros vor Schaden bewahrt. Bloß einzelne Kratzer und Schrammen zierten seinen Leib, die Rizeros nicht weiter behelligten.

Hayato achtete nicht auf die Gegner. Seine Augen blieben beim Anblick eines Vipitis haften. Der Arenaleiter hoffte, dass es nicht tot, sondern nur bewusstlos war. Als er jedoch die zahllosen Wunden an seinem Leib sah, die Aeris in ihrer Wut ihm zugefügt hatte, verschlug es ihm den Atem. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war es von seinen Qualen erlöst worden, da Armaldo und Rizeros die Schlange unter ihrem Körper zerquetscht hatten.

Schockiert stand Hayato wie gelähmt da, unfähig sich zu regen oder einen klaren Gedanken zu fassen. All sein Entsetzen brach sich Bahn, als er irgendwo ein klägliches Weinen vernahm und er wagte, sich vorzustellen, wie es sich anfühlte, wenn eines seiner Gefährten tödlich verwundet an Vipitis‘ Stelle lag.

Ein dumpfer Schlag riss den Arenaleiter jäh aus der Trance. Ein Hieb Armaldos traf schmetternd auf Panzaerons Körper und hinterließ eine Delle in dem stählernen Brustpanzer, während die Krallen des Stahlvogels kreischend über den Leib des Urzeitgetiers kratzten. Ein scheußliches Geräusch.

Armaldo und Panzaeron schrien wütend, den Schmerz, den sie sich gegenseitig zufügten vollkommen vergessend. Altaria versuchte ihrem Freund zur Hilfe zu eilen, aber eine unerwartete Pein zuckte durch ihren Leib. Dann folgte ein Knall, und Freya stürzte kreischend vom Himmel.

Als sie auf dem Boden aufschlug, entrann sich ihrer Kehle ein gequältes Stöhnen. Benommen schickte sie sich an, ihren Kopf zu heben, spürte sogleich, dass sich ihre linke Körperhälfte vollends taub anfühlte. Obwohl Ruheort Freya zuvor Linderung verschaffen hatte, fehlte der Drachin die Kraft, sich erneut aufzuraffen. Sie war des Kämpfens müde, mochte nicht mehr.

Währenddessen gelang es dem Stahlvogel, Armaldo abzuschütteln und auf Distanz zu gehen. Arkas flankierte Altarias ungeschützte, linke Seite und fauchte warnend. Der gesamte Leib war mit Schrammen übersäht, und Panzaeron zitterte vor Anstrengung. Die eingewölbte Beule ließ ihm das Luftholen zur Qual werden.

Doch Panzaerons zischende Mahnung schüchterte die Feinde nicht ein. Auf einen ungeduldigen Zuruf ihres Trainers griffen Armaldo und Rizeros erneut an. Ein letztes Mal, so wusste Hayato und musste dem rasch entgegenwirken.

„Brüller!“

Arkas warf den Kopf in den Nacken. Seinem aufgerissenen Schnabel entwich ein scheußliches Kreischen, der dem Geräusch ähnelte, wenn seine Krallen ein Stück Metall schliffen und es zerkratzten.

Als seien Armaldo und Rizeros gegen eine Wand gerannt, stoppten sie jäh ihren Lauf, knurrten dumpf und stemmten sich mit aller Kraft gegen die unsichtbare Macht. Frustriert schrien die Ungetüme und bäumten sich widerwillig auf. Dann aber verwandelten sie sich in Energien und kehrten wie verängstigte Jungen in ihre Pokébälle zurück.

Hayato sah noch wie jene erbebten und befürchtete jeden Herzschlag, dass sie sich aus ihrer unfreiwilligen Gefangenschaft befreiten. Als das Zittern der Kapseln erstarb, wandte sich Hayato dem Kommandanten zu. Währenddessen dachte er an das Vipitis. Einen stechenden Schmerz spürte Hayato dabei in der Brust und Kummer erfüllte ihn.

Und schließlich dachte er an die Pokémon des Kommandanten und erinnerte sich an die Furcht in ihren Augen. Der Gedanke daran machte ihn wütend.

„Ist dir eigentlich bewusst, wie sehr deine Pokémon unter deiner Führung leiden?“

Verächtlich lachte der Kommandant und spuckte auf den Boden. „Was soll das werden? Willst du mich belehren wie ich meine Pokémon zu behandeln habe, Kleiner?“

„Pokémon sollen nicht für terroristische Zwecke verwendet werden und schon gar nicht darf dabei ein solches Blutbad entstehen.“ Mit einem beiläufigen Kopfnicken deutete er auf den Leichnam des Vipitis‘. „Oder macht es euch Spaß zu morden?“

„Tragisch, dass dieses arme Geschöpf sterben musste“, bemerkte sein Gegenüber mit einem betont spöttischen Beiklang in der Stimme, als er seinen Blick zu der Leiche wandte, „aber so ist es nun mal, oder?“

Hier lief etwas schief. Ganz und gar. Hayato hatte Mühe, die Wut niederzuringen, die in diesem Moment jäh aufflammte, obwohl er liebend gerne den Vorstand verprügelt hätte. „Die Heuchelei kannst du dir sparen! Du…“

„Was denn? Wirst du jetzt zu einem bockigen Kind?“, höhnte der Vorstand. „Du nimmst ebenfalls Leben. Erinnerst du dich, dass dein Tauboss einige meiner Männer umgebracht hat? Gibt es da einen Unterschied zwischen uns?“

Dieser Abschaum wagte es, ihn mit sich zu vergleichen? Er hatte aus noblen Gründen beschlossen, sich Team Rocket entgegen zu stellen! „Ich gab den Befehl, weil es meine Pflicht ist, die Stadt zu schützen! Wenn ihr glaubt, ich lasse von irgendwelchen Irren meine Stadt abfackeln, dann…“ Oder hatte der Kommandant wirklich Recht?

„Ach, und das macht einen Unterschied? Wir sind uns gar nicht so verschieden, du und ich“, sinnierte der Mann. „Pokémon sind erschaffen worden, um uns zu dienen. Sie erfüllen ihren Zweck. Wenn sie ausgedient haben, dann…“ Unbewusst deutete er in die Richtung des toten Vipitis‘, „ja, dann sind sie es nicht wert, zu leben.“

Hayato vermochte der Provokation nicht länger zu widerstehen und gab sich seinem Temperament hin. „Pokémon haben ein Recht zu leben! Wie wir sind sie fühlende Wesen!“, herrschte er den Vorstand zornig an und versuchte im gleichen Moment, sich im Zaum zu halten. „Wie wir fühlen sie Trauer und Freude, Leid und Glück, Liebe und Hass!“

Der Kommandant lachte. Unnatürlich laut hallte sein höhnisches Gelächter wieder „Und wenn schon? Du behandelst deine Pokémon wie ich. Wie jeder aus Team Rocket“, erwiderte er achselzuckend und lachte weiterhin in sich hinein, ehe er sich fasste und ernst wurde. „Du willst die Stadt beschützen, aber wollen es auch deine Pokémon? Du schickst sie in den Kampf, obwohl dir bewusst ist, dass sie dabei drauf gehen könnten. Ist das deine Liebe? Egoistisch von dir.“

Mit Entsetzen starrte der Arenaleiter den Kommandanten an, auf dessen Lippen ein widerliches Grinsen lag, während jener ihn aufmerksam, aber mit dem Ausdruck des Spotts in den Augen.

Dann geschah alles so rasch. Ein Aufschrei zerriss die Luft, als sich von hinten jemand an den Vorstand heran gepirscht hatte und ihn mit einem harten Gegenstand, den Hayato nicht zu erkennen vermochte, niederschlug. Ihres Mutes und ihrer Würde zurückerlangt erhoben sich die Bewohner gegen den Pöbel. Ein Gewirr aus Menschenleibern warf sich auf den wehrlosen Kommandanten, trat ihm in die Seite und schlug ihm ins Gesicht, beschimpfte ihn mit vulgären Ausdrücken.

Schaudernd wandte sich Hayato ab und kehrte dem Szenario den Rücken zu. Er konnte den Anblick nicht ertragen. Jäh erblickte er seine Pokémon.

Wie ein Häufchen Elend hockten Altaria und Panzaeron beisammen. Ihre Leiber zitterten erbärmlich. Ob vor Kälte oder vor Schmerz vermochte der Arenaleiter nicht zu sagen. Aus Wunden, so zahllos, dass er sie nicht zu benennen vermochte, quoll dunkles Blut und besprenkelte die nassen Pflastersteine.

Aufgewühlt fuhr er sich durch die Haare und verdrängte die aufkommende Hilflosigkeit. Seine Pokémon hatten so viel Leid auf sich genommen… Für die Stadt. Für die Bewohner. Für ihn. Und was hatte er getan?

Keuchend fuhr er sich durch das Gesicht. Wie ein Hammerschlag traf ihn die unerwartete, ja bodenlose Bestürzung, die den Grund unter seinen Füßen zum Schwanken brachte.

Hatte der Kommandant mit seinen Worten vielleicht Recht gehabt? Im Wissen seine Pokémon möglicherweise dem Tod ausgesetzt zu haben, gab er sich seiner Trauer hin.

Die schreckensverzerrten Fratzen jener Lakaien von Team Rocket, die Aeris unter seinem Befehl ausgelöscht hatte, sah er jetzt klar vor sich. Eines Messers gleich durchbohrten die anklagenden Blicke der Verstorbenen den jungen Arenaleiter, während das leidvolle Weinen, jener, die den Verlust des Toten betrauerten, seine Leere erfüllte.

Nur Abschaum, nur Abschaum von Team Rocket…

Da aber verspürte der Arenaleiter eine tiefe Furcht in seinem Herzen gedeihen; eine Angst, die ihn erzittern und frösteln ließ. Mehr als den Tod fürchtete er sich davor, was dieser Krieg möglicherweise aus ihm machte: Einen Richter, der über Tod und Leben urteilte und einen Henker, der ohne Gnade Leben nahm, nur um selbst am Leben zu bleiben. Und er wollte nicht über Tod und Leben richten.

Gedankenvoll schweiften seine Blicke über den Platz, den er einst in schönen Erinnerungen gehabt hatte, und betrachtete mit Grauen die zahllosen Opfer, die jener Krieg bereits gefordert hatte. Nein, so wollte er nicht sein. Doch hatte er eine Wahl?



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (20)
[1] [2]
/ 2

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Jelena-sama
2016-04-09T19:41:12+00:00 09.04.2016 21:41
Diese FF war wirklich toll (habe sie glaube ich vor einem Jahr gelesen)
Das Problem ist dass ich bis heute noch verzweifelt darauf warte wie es weitergeht :(
Die Story und der Schreibstil sind gelungen und ich mag auch deine Darstellung der Charaktere wirklich aber man kann doch eine so gute FF nicht einfach seit 3 Jahre 'pausieren' oder abbrechen
Meinem Soulsilvershippingherz zuliebe und den anderen lesern die verzweifelt hin und wieder reinschauen bitte ich dich inständig
Schreib weiter liebes :-*
Von:  23Katara23
2013-07-08T06:52:54+00:00 08.07.2013 08:52
Sehr schön wie du die Entstehungsgeschichte aufgezogen hast. Es lässt sich schön lesen und es ist sehr interessant, wie du die Informationen über die Pokemon miteinander verbindest.
Weiter so :)
Von:  _Risa_
2012-07-30T21:15:20+00:00 30.07.2012 23:15
Wow, der Kampf war toll, wie immer. Und ja, ich muss mich anschließen, man merkt sehr deutlich deinen Fabel für Flugpokemon bzw. Flugkämpfe, die sich ja auch auf Drachen und ähnliches Getier (zB. ein Aerodactyl) beziehen. ^^
Sehr ausladend und detailreich, aber doch actionreich und spannend. Zudem sieht man deutlich die Emotionen beider Trainer, du brauchst da nie besonders viele Worte verschwenden und trotzdem ist alles gesagt, was es zu sagen gibt.

Ja, leider wurden sie unterbrochen, du hast alles in Brand gesteckt. Ein wenig vermisse ich dann doch ein wenig mehr Entsetzen und Erstaunen bei allen drei Personen, bei Hayato, Luca und Elena. Nicht viel, aber ein wenig. Ein wenig kam es schon heraus, aber überzeugt hat es mich dann nicht hundertprozentig.
Ansonsten hast du die Charaktere sicher (wie üblich für dich =D) toll in Szene gesetzt, man kann sich alle drei gut vorstellen und sie machen alle was her, was sicherlich auch ein wenig an ihren imposanten Pokemon liegt, die bei ihnen sind. XD

Die Prophezeihung ist wirklich düster, das sieht echt übel aus, da ist dir ein spannender Cliffhänger gelungen.
Vor allem der letzte Absatz.
"Ihr wisst, wer uns angreift, Meister?" - "Team Rocket."
Und da machst du einfach Schluss. =(
Von:  _Risa_
2012-07-30T21:14:28+00:00 30.07.2012 23:14
Die Anfangs-Weck-Szene ist richtig süß geworden =)

Nur fällt mir spätestens hier bei Silvers Satz >>Ich erwäge Hayato herauszufordern<< auf, dass du deine (jugendlichen!) Charaktere manchmal zu "schön", sprich zu hochgestochen, sprechen lässt. Das passt eher schlecht als recht rein - obwohl es zu Soul eher passt als zu Silver - und das bedeutet natürlich im Gegenzug nicht, dass sie sprechen sollten, als wären sie eben aus einem Ghetto geflohen, ein Mittelmaß wäre angebracht. :D

So, jetzt weiter im Text ~
Soul will also nicht zu Fuß reisen - verständlich einerseits, weil sie den Pfad sicherlich schon kennt und wenn man schon mal einen Vogel hat ... äh ein Flugpokemon. *g, sorry, musste jetzt sein, ist mir so eingefallen*
Wenn man sich aber ansieht, wie der Flug verläuft, frag ich mich, ob der angenehmere Weg nicht einfach zu Fuß gewesen wäre. XD
Tauboss Aussehen hast du sehr schön beschrieben. <3 Mir gefällt auch seine Art, auch wenn die Antipathie gegen Silver vll. etwas zu extrem ist? Ich weiß ja nicht ...

Der Flug selbst ist richtig toll beschrieben, so detailreich awww. (und Velox will natürlich NUR spielen!)
Wem wird denn da schlecht? x) So würde es wohl jedem ergehen bei seinem ersten Flug. Ist sicherlich schon anstrengend, wenn das Pokemon gleichmäßig fliegt, dann muss Velox noch die männliche Zicke hier mimen. Naja, Silver will eben nicht, dass man ihm seine Übelkeit ansieht - obwohl das ja nicht allzu schwer ist lol - und ist so (ich zitiere Soul) "Arceus-verdammt-stolz" - coole Wortneuschöpfung übrigens, die muss ich mir für Kazu merken, das find ich cool! XD
Ehrlich gesagt fand ich wiederrum Silvers Rumgezicke nicht SO schlimm, als dass Soul sofort verschwinden müsste. Irgendwie wär ich ja auch sauer, wenn sich das "Vogelvieh" so anstellt und nicht ordentlich fliegt. Da zickt Soul viel mehr als er, bzw. tun sie das beide! XD
Wenn ich Soul wäre, würde ich eher Velox eine Standpauke halten, die sich gewaschen hat und erst danach Silver - schließlich ist sie selbst ja auch darauf gesessen und wie man nachher sieht, kann Tauboss es auch anders. XD

Irgendwie mag ich Silver immer mehr. Früher hatte ich so den "Game-Silver" im Kopf, daher von Anfang an eine Abneigung, dann hab ich den aus dem Manga auch noch kennengelernt und deiner ist besser als die beiden anderen (lol, wie das klingt XD)

Okay, wieder mal weiter im Text. =X
Schön finde ich die "Heimkomm-Szene" von Soul, das wirkt alles so vertraut. Sie genießt es zu Hause zu sein, was zu verstehen ist. Ich meine, Trainer - und vor allem Champs - sind ja ewig auf Achse, ein Wunder, dass sie überhaupt mal von Zeit zu Zeit nach Hause kommen.
Eine Sechzehnjährige mit einer Seräterin ... das ist schon mehr als eigenartig lol

Und jetzt wird es spannend. <3
Kyou wirkt ja schon richtig unheimlich, auch wenn du ihn noch gar nicht so richtig noch beschrieben hast. Auch Sakiko, die tot auf dem Boden liegt, hast du detailreich beschrieben, keine Unangehmlichkeiten hier ausgespart.
Man kann richtig nach Souls Angst und Entsetzen greifen, weshalb du auch eine tolle Autorin bist. =3
Soul ist vergiftet, Velox ist verletzt und das Ende ist so düster und endgültig geschrieben, das ist verdammt gut.
Von:  _Risa_
2012-07-30T21:10:59+00:00 30.07.2012 23:10
Das Streben nach Glück? Da kenne ich doch einen Film mit Will Smith, der heißt so. ^^
Keine lange Rede, gleich zu meinem Kommentar.

Soul tut mir leid. Sie kann nirgendwo mehr hin ohne erkannt zu werden und jeder richtet seine Aufmerksamkeit auf sie, als hätte sie kein Privatleben mehr. Es fehlt nur noch, dass sie von Paparazzis verfolgt wird lol. Da muss man doch etwas paraonid werden, wenn ständig Blicke auf einem liegen, stell ich mir vor - überhaupt als Jugendliche.
Und solche Typen kotzen mich an. Bedrängt Soul und macht sich daraus auch noch einen Spaß, wenn sie panisch wird. Die intelligensten Typen sind das auch nicht. Sie legen sich mit dem Champ an und wundern sich, wenn aus ihnen Kleinholz gemacht wird lol
Dann macht die Schwester ihr auch noch Vorwürfe, sollte eigentlich froh darüber sein, dass die Gruppe niemanden mehr belästigt. Dafür finde ich es wirklich sehr schön was für eine innige Bindung zu Wataru hat.
Auch finde ich es toll wie Soul gegen sich und ihre Gefühle für Silver ankämpft, die wohl noch Blinder sieht ^_~ Ich meine sie sucht sogar in einem stockdunklen Wald nach ihm. Dafür dass sie sich eigentlich nicht mögen, scheinen sie die die Nähe des Anderes aber als überraschend angenehm zu empfinden. Nur finde ich es etwas merkwürdig, dass sie sich ihm gegenüber öffnet, aber was soll's, so ist Soul halt. ^^
"Du bist das mutigste Mädchen, das ich kenne"... das ist verdammt süß!
Und Silver ist merkwürdig sanft, wie die Hormone ähh... Verliebtheit einen doch verändern können =D
Von:  _Risa_
2012-07-30T21:08:31+00:00 30.07.2012 23:08
Jetzt sind wir also bei zwei neuen Charakteren. Kaoru kann ich bisweilen noch nicht richtig einschätzen, aber da hat sich schon so eine Art Sympathie aufgebaut. Ich mag den Jungen und denke, dass deine Charakterbeschreibung mit dem was ich über ihn denke gut zusammenpasst. Kaoru scheint das Herz am rechten Fleck zu haben und solche Hauptcharaktere mag ich sehr, wie du weißt.
Hoffentlich merke ich mir die Namen seiner Pokemon. ^^"

Akita gefällt mir ebenfalls - meine Güte, bin ich froh, dass ihre Pokemon keine Namen tragen. Das wäre dann nur noch ein einziges Wirrwarr!
Aber generell mag ich auch die Pokemon der beiden, also was die Auswahl betrifft. Vom Charakter kennt man sie ja noch nicht.

Ansonsten sorgst du auch dafür, dass deine Leser etwas zu lachen haben *g*
>>Willst du mit mir schlafen...ich meine bei mir
wie genial ist denn das bitte?<< lol! XDD
Andererseits...gut, er weiß nicht wie er mit ihr umgehen soll, das würden wohl wenige von uns wissen, wie man einem solchen Menschen begegnet.
Die Szene mit seinem kleinen Bruder ist ebenfalls sehr süß.

So, zum Stil brauche ich ja nicht viel sagen,...perfekt wie immer eben, ebenso wie die Kampfbeschreibungen.
Da ich nur auf den Inhalt eingegangen bin, ist das Ganze auch etwas kurz ausgefallen.
Von:  _Risa_
2012-07-30T21:06:41+00:00 30.07.2012 23:06
Zuerst muss ich dir mal sagen, dass der Titel mich nicht wirklich überzeugt. Er klingt etwas sehr...nun ja einfach. Da bleibt nicht viel zu interpretieren. Aber ... jaja, wir sind ein Team - oder sowas ähnliches, was? =X

Ich fürchte, der Kommentar wird nicht allzu lang werden. Schließlich kämpfen sie noch und da habe ich schon viel dazu gesagt.
Aber es war eine gute Idee den gesamten Kampf abzuteilen, sonst wäre das wirklich ein Monster von einem Kapitel geworden! Das hätte sicherlich viele abgschreckt, es zu lesen. In kleinen Happen ist es schon besser.

Deine Art Kämpfe zu beschreiben ist wieder einmal sehr lebendig und bildhaft. Du gehst trotzdem auf die Gefühle deiner Charaktere ein. Daran hat sich nichts geändert. Wieder einmal war es Wataru, den ich am Liebsten hatte. Er ist mein heimlicher Favorit. Okay, nicht wirklich heimlich lol. Auch daran hat sich nichts geändert, ebenso wie sich Silver und Soul skeptisch gegenüberstehen. Das ist sehr amüsant und ich wundere mich, warum die beiden gewonnen habe. Ich hätte es begrüßt, wenn es anders herum gewesen wäre, etwas realistischer und glaubwürdiger für mich. Allerdings haben sie sich schließlich gefasst und haben einander geholfen.

Ach, nach dem Kampf schlägt ihr Herz noch immer wild gegen den Brustkorb. Schau mal an, ist hier wer verliebt? =X
Von:  _Risa_
2012-07-30T21:04:43+00:00 30.07.2012 23:04
Ich liebe, liebe, liebe es wie du Kämpfe beschreibst!
Du hast einen passenden Mittelweg zwischen spannenden und ausführlichen Aktionsbeschreibungen und Gefühlsregungen gefunden. Die Streitigkeiten zwischen Silver und Soul sind so perfekt mittendrinnen inszeniert. Ich mag auch Lyrana, generell Pokemon mit eigener Persönlichkeit, die nicht nur charakterlosen Püppchen sind. Und wie sie sich zwischendurch mit Sniebel prügelt, genial *g*
Wataru hab ich beim Kampf am Liebsten gehabt. Er ist immer so ruhig, wirkt schon weise mit seiner bedachten Art. Seine Cousine jedoch kann ich nicht ausstehen, tut mir leid. Sie ähnelt sogar Silver etwas im Kampf, muss ich sagen. Weiß nicht wieso, aber so hab ich ein wenig den Eindruck gewonnen. Ich mochte sie schon im Spiel nicht, in deiner Story ist das allerdings dann aber etwas besser geworden.

Soul und Silver können sich auch nicht entscheiden, was? Vor allem Silver. XD Zuerst bildet er ein Team mit ihr, dann faucht er sie dauernd an. Er riskiert es auch einfach, dass Souls Ampharos verletzt wird, weil er wohl doch lieber alleine kämpfen würde und Soul als Hindernis sieht.
Wo Soul Recht hat, hat sie übrigens recht. Sieht wirklich nicht so gut aus für Silver, dass Sniebel Altaria nicht besiegen konnte. (wenn man vom Spiel ausgeht, hat es eine vierfache Eisschwäche. In einer Story hat es wohl einfach eine Eisschwäche, ohne Rechnereien XD)

Irgendwie sind in diesem Kampf so ziemlich alle gereizt, nur Wataru nicht. Mir kommt es vor, als wolle er alle drei - auch seine Cousine - auf eine Prüfung stellen. =X
Von:  _Risa_
2012-07-30T21:02:53+00:00 30.07.2012 23:02
Ich musste wie immer feststellen, dass du Charaktere fabelhaft darstellt, egal ob sie nun dir gehören oder nicht. Bei bereits bestehenden Charakteren ist es noch schwieriger ihnen eine gewisse Lebendigkeit und vor allem Tiefe zu verleihen. Da kann man auch viel dazuerfinden. Pokemoncharaktere sind leider nicht allzu sehr für ihre Persönlichkeitstiefe bekannt, aber du gibst ihnen diese auch noch. Wunderbar!

Soul...sie hat interessante Pokemon, wirklich. Sie passen gar nicht so zu ihrem zuckersüßen Erscheinungsbild. Dann ist Soul wohl so etwas wie der Wolf im Schafspelz XD Sie ist sehr jung für einen Champ, muss ich sagen.
Wie Wataru sich wohl fühlt, dass sie ihm den Titel sozusagen abgenommen hat? Schließlich ist er der unnahbare Drachenpokemontrainer, der zudem auch noch viel erfahrener und älter als sie ist. Ich liebe, liebe, liebe Wataru wie du sicherlich weißt. Das habe ich mal so oft erwähnt, das konnte man nicht übersehen XD Und ich hoffe du bringst ihn so oft wie nur möglich ein.
Silver ist ... naja, Silver eben. Man liebt und hasst ihn zur selben Zeit. XD

Die Idee ist sehr interessant, dass Soul und Silver dazu gezwungen sind zusammenzukämpfen, wenn sie gewinnen wollen. Das ist sehr, sehr klug von Wataru eingefädelt worden. Du stellst es weder zu viel, noch zu wenig da, dass Soul für ihren kaltherzigen Rivalen doch ein wenig empfindet. Da ist es sicher noch schwerer mit ihm ein Team zu bilden und zu kämpfen.
Von:  _Risa_
2012-07-30T21:00:16+00:00 30.07.2012 23:00
Da werde ich endlich meiner Aki, meine PartnerFS-Autorin, einen Kommi hier schreiben, wenn wir schon zusammen ein und die selbe Welt für unsere Storys aufbauen ^^

Die Steckbriefe sind sehr schön gemacht - um mal bisschen zur "Erscheinung" zu kommen -, sehr strukturiert, informativ und die Bilder gefallen mir auch gut. (Hayato! *_*)
Sie sind sehr aussagekräftig ohne, wie meine, zu lang zu werden. Schon der Steckbrief haucht deinen Figuren Leben ein.

Beim Prolog...
Ja, der Stil passt sich perfekt dem Inhalt an. Es ergibt einfach ein schönes Ganzes, das es einfach wert ist gelesen zu werden. Es will gelesen werden - und es muss! Du triffst so schöne Formulierungen, dabei wirken sie auch sehr altertümlich, dass man einfach zum Träumen beginnt. Übrigens sind da auch sehr viele Informationen drinnen und für Leser, die Sagen lieben, wird das ein Vergnügen sein.


Zurück