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Johto no Densetsu

von

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Henker und Richter

Inzwischen hingen die Wolken tief und schienen einen nie enden wollenden Regenschauer auf die Welt herabfallen zu lassen. Kalt, grau und düster waren die Lande in dichte Nebelschleier gehüllt. Und doch glühten von überallher flackernde Lichter, die das Dunkel durchstachen.

Hayato und Aeris näherten sich dem Stadtkern, der lichterloh in Flammen stand und gleichzeitig das Zentrum war, in dem sich die Bewohner beinahe verzweifelt gegen die Eindringlinge zur Wehr setzten. Die Adlerdame flog mitten durch eine dichte, schwarze Rauchwolke und verbarg sich vor den neugierigen Blicken der Menschen. Der beißende Geruch verlangte dem jungen Arenaleiter ein gequältes Husten ab, obwohl er sich den Stoff seines Haoris gegen Mund und Nase presste. Seine Augen begannen zu tränen, und er vergrub sein Gesicht an Aeris‘ Hals. Ihr wohltuender Duft drang in seine Nase und verscheuchte den unangenehmen Rauchgestank. Wenigstens ein Moment der Erleichterung, der ihm an diesem Tag vergönnt war.

Die Müdigkeit, welche in der klammen Luft in seine Glieder gekrochen war, verflog augenblicklich, als Hayato den Blick gen Boden richtete, sich die Zerstörung ins Gedächtnis einprägte und die Anordnung der vorrückenden Truppen Team Rockets, der einzelnen Gebäude und der Waffenmaschinerie studierte. Inzwischen schienen die meisten Häuser verlassen zu sein, denn Team Rocket hatte eine breite Schneise in diesen Bezirk geschlagen, um besser voranzumarschieren. Dutzende Bauten standen in Flammen, andere wiederum waren durch Explosionen vollkommen zerstört worden. Das Wummern der Walzen war deutlich zu hören, die unentwegt Häuser platt machten.

Schutt und Trümmer versperrten teilweise die Straßen und schnitten flüchtenden Menschen den Weg ab. Ein wildes Dröhnen von im Stau stehenden Autos und ängstlichen und ungeduldigen Rufen erfüllte die Luft.

Im fahlen, rötlichen Lichtschein der Feuer erkannte er wie Zivilisten sich auf einem weiträumigen Platz hoffnungslos gegen Männer zu behaupten versuchten, welche mit Gewalt gegen den Pöbel vorgingen. Während Violas Bewohner sich bloß mit Küchenmessern, Pfannen und anderen als Waffen dienlichen Gegenständen zu verteidigen vermochten, griff Team Rocket zu Schlagstöcken und Schusswaffen, um den Widerstand im Keim zu ersticken. Wie eine Herde gehetzter Beutetiere drängten sich die Menschen auf einem Platz zusammen, umrundet von knurrenden, geifernden und kläffenden Magnayen, Hundemon und Rattikarl.

Ein Magnayen löste sich vom Rudel und schritt mit gebleckten Zähnen auf eine Frau zu, doch diese rührte sich nicht. Sie blieb stehen und drückte ihre Tochter behütend an sich, als wollte sie das Mädchen mit ihrem Leben schützen. Schließlich trat ein Mann mit breiten Schultern auf die Frau zu und sprach scheinbar mit ihr, seine Lippen bewegten sich.

Hayato verstand in dieser Distanz nicht den Wortlaut, aber er ahnte, welche Drohung er ausgesprochen haben musste, denn die Frau versteifte sich merklich. Ihr Griff schlang sich fester um ihre Tochter und sie wich ein paar Schritte zurück.

Doch sie entkam der Wut des Mannes nicht. Er packte das Mädchen und entriss der Mutter mit Gewalt die Tochter. Beinahe hysterisch versuchte die Frau sich gegen den Raub zur Wehr zu setzen, indem sie mit den Fäusten auf ihren Widersacher einschlug, aber dieser versetzte ihr einen grausamen Schlag ins Gesicht. Kaum war sie zu Boden gefallen, trat der Mann ein- oder zweimal zu. Dann regte sie sich nicht mehr.

Hayato brauchte nicht länger, um sich dieses Szenario einzuprägen. Er hatte genug gesehen. Jener Anblick ließ die Wut erneut in ihm auflodern. Unmerklich ballte sich die Hand zur Faust, und er presste die Lippen aufeinander. Ein Schlag wilder Erregung durchfuhr ihn, und er spürte wie Aeris erschauderte. Es war keine Furcht. Es war ein Zittern einer großen Anspannung, die sich nur entladen konnte, wenn sie sich gegen jemanden zu richten vermochte.

Aeris war ebenso von Hass erfüllt wie ihr Trainer es war. Die Adlerdame fauchte scharf, öffnete den Schnabel, und ein wilder Schlachtruf entkam ihrer Kehle, dass Hayato die Ohren schmerzten.

Die Flügel eng an den Leib gepresst, raste Aeris durch den dichten Nebel und Regen wie ein herabschnellender Speer dem Platz, der von brennenden Gebäuden gesäumt war, entgegen. Zum Schutz vor dem Wind, der an seinem Gesicht zerrte, duckte sich Hayato.. Die Welt kippte, als Aeris nach links drehte, um den Angriffen der am Boden ausharrenden Hundemon, Magnayen und Rattikarl kein leichtes Ziel zu bieten. Rauschende Flammen zischten in Hayatos Augenwinkeln vorbei, und er vermochte die Hitze auf seinen Wangen zu fühlen.

Als Aeris den Sturzflug abrupt abfing, wurden Hayatos Gliedmaßen schwer, aber die drückende Last verschwand, als Tauboss in der Luft schwebte. Dieser Moment erlaubte Hayato, sich einen Überblick zu verschaffen und bemerkte noch rechtzeitig mehrere Schatten, die sich in seinen Augenwinkeln rasch bewegten.

„Aeris, Vorsicht!“, warnte er seine treue Gefährtin, aber diese hatte die Gefahr bereits wahrgenommen. Im Tiefflug sauste Aeris über die Dächer unversehrter Häuser hinweg, auf denen Männer mit Gewehren positioniert waren, und fegte mehrere, schreiende Schützen rund sechs Meter in die Tiefe. Einen, der nicht schnell genug war, um sich in Sicherheit zu bringen, packte Aeris mit den Klauen, schleppte ihn über die Zinnen hinaus und ließ den strampelnden Mann zu Boden fallen.

Während schrilles Kreischen die Männer in die Tiefen begleitete, echoten Siegesrufe ihren Sturz in den Tod. Jubelrufe feierten Aeris‘ Erfolg, und die Adlerdame ließ es sich nicht nehmen, einen triumphierenden Schrei auszustoßen. Schön und tödlich – ja, freilich sollte jeder sie fürchten!

Hernach stieß Aeris hinab, die Schwingen erneut an den Körper gelegt, und landete inmitten von Team Rockets Lakaien. Hayato sprang in wilder Hast von ihrem Rücken, denn da wirbelte Aeris bereits fauchend herum und schleuderte mehrere Männer zu Boden, hakte ihnen in den Rücken oder riss ihren Oberkörper mit den Krallenfüßen blutig. Die übrigen schrien panisch und suchten ihr Heil im Rückzug.

Enttäuscht darüber, dass ihre Beute entwischt war, stieß Aeris einen hohen Schrei aus. Erneut fuhr sie herum, stellte einem Flüchtling nach und brachte den Mann zu Fall. Blitzschnell hakte Aeris nach seinem Hals und machte ihm den Garaus. Seinen zurückgebliebenen Gefährten erging es ebenso.

Der Mann, der die Frau mit einem heftigen Schlag ins Gesicht zu Fall gebracht hatte, wandte sich in fliegender Eile um. Dabei zerrte er grob an dem jammernden Mädchen. An ihrer Kehle blitzte der blanke Stahl eines Dolches auf.

Hayato atmete schwer, spannte aber die Muskeln an und begab sich in eine steife Haltung. „Lasst das Mädchen los!“

„Was fällt dir eigentlich ein, Jüngelchen? Denkst du, du könntest einfach so meine Männer töten?“, brüllte sein Gegenüber, ohne auf seine Forderung einzugehen. „Pfeif dein Vögelchen zurück!“

Während er den Mann musterte – ein groß gewachsener, aber schlanker Kerl mit kurz geschorenem dunkelrotem Haar und athletischem Körper -, ballte Hayato die Fäuste. Gelassen blickte er dem Mann ins Gesicht. Äußerlich wirkte der junge Arenaleiter ruhig, doch innerlich tobte ein erbitterter Kampf. Vernunft gegen Hass. Es bedurfte all seiner Disziplin, um nicht vorwärts zu stürmen und der Ungerechtigkeit ein Ende zu setzen. Nein, er durfte es nicht wagen, nicht solange der Dolch an der Kehle des Mädchens lag.

So betrachtete er weiterhin den Mann, der ihm nicht nur größentechnisch überlegen war, sondern auch von der Kraft, die der Körper aufzubringen vermochte. Hayato sah, wie sich der gesamte Leib des Fremden anspannte, der offenbar der Befehlshaber der Truppe war. Im wortlosen Grimm bleckte der Mann die Zähne.

„Ich wüsste nicht, warum ich dulden sollte, dass ihr in meine Stadt einfallt, um zu rauben und zu morden“, stellte Hayato schlicht klar und war jäh dem prüfenden Blick des Kommandanten ausgesetzt. Ein leichter Ausdruck von Erstaunen und Erkenntnis huschte über die Miene des Mannes, waren aber rasch wieder verschwunden und der verärgerte Gesichtszug trat an ihren Platz.

Seine Mundwinkel zuckten und die Lippen formten ein wölfisches Grinsen. Kalten Stahl drückte er dem weinenden Mädchen an die bloße Kehle. „Ihr seid der Arenaleiter“, äußerte er sich und warf seinen Männern einen schnellen Seitenblick zu, die ihm knapp zunickten. Es war eine Feststellung, keine Frage.

„Lasst das Mädchen los!“, erboste sich Hayato ein weiteres Mal. Geblendet von Verachtung nahm er nicht wahr, wie Team Rockets Männer ihm den Fluchtweg versperrten.

„Und was wenn nicht?“ Höhnisch blickte der Fremde auf ihn herab, während ein leichter Schnitt die zarte Haut an der Kehle des Mädchens zeichnete.

Aeris gab ihrem Herrn nicht die Gelegenheit zu antworten. Sie riss den Schnabel auf und kreischte aus voller Kehle. Eine Warnung, wie Hayato wusste. Wenn er jener nicht nachkam, würde man erfahren müssen, was es bedeutetet, sich ihr zu widersetzen.

„Versuch es doch, Milchbubi!“, zürnte der Kommandant spöttisch lachend und sah nicht davon ab, den Dolch zu senken.

Geschmeidig wie eine Katze sprang Aeris mit ausgestreckten Klauen jäh vorwärts. Sie griff so unerwartet an, dass Hayato sie nicht hätte aufhalten können. Es geschah so schnell, dass der Mann nicht zu reagieren vermochte. Vor Entsetzen lockerten sich seine Finger vom Griff des Dolches, der Stahl rutschte ihm hernach aus der Hand und schepperte auf die Pflastersteine. Das Mädchen schrie vor Angst und starrte entsetzt auf das wilde Raubtier, das vor seinen Augen tobte.

Aeris prallte gegen den Kommandanten und ihr Gewicht stieß ihn zu Boden, während sich ihre Krallen durch den Stoff ins Fleisch bohrten. Als sie mit ihrem Schnabel nach ihm hakte, rollte er sich geistesgegenwärtig zur Seite, suchte panisch nach dem Dolch und streckte die Finger nach ihm aus, der in geringer Distanz auf dem Boden lag, und riss ihn, auf Aeris‘ Brust zielend, empor. Doch Aeris kreischte entrüstet, wich ihm aus und nahm Abstand von der Stichwaffe.

Derweil hatte sich der Fremde wieder auf die Beine erhoben, fluchte schimpfend mit vulgären Ausdrücken und blickte ein wolfsgraues Pokémon an seiner Seite an, das knurrend die Zähne fletschte und bloß auf einen Befehl zu warten schien. „Worauf wartest du? Schnapp es dir!“

Geifernd stürzte sich das Magnayen auf Tauboss. Aeris wusste, was zu tun war. Sie brauchte ihren Herzgefährten nicht, um ihrer Wildheit nach Belieben freien Lauf zu lassen. Obwohl ihre Natur nach dem Himmel rief, tänzelte sie geschmeidig zur Seite, nur um im gleichen Moment so schnell wie eine Schlange zuzustoßen. Sie breitete ihre Schwingen aus, flatterte einen Herzschlag lang in die Höhe und schlug mit Klauen und Schnabel um sich.

Währenddessen reagierte Hayato entschlossen, als der Kommandant zu abgelenkt war, um ihn wahrzunehmen. Den Arm ausgestreckt packte er das Mädchen am Handgelenk, das erschrocken quiekte, und zog es in seine schützende Umarmung.

„Komm“, wisperte er dem Kind zu, während jenes ihn verschreckt aus großen Augen ansah. „ich bringe dich zu deiner Mutter, vertrau mir.“

Das Mädchen zögerte, denn Furcht und Ungewissheit ließen es vor Angst erstarren. Hayato aber spürte, wie sich die Muskeln allmählich lockerten und sich das Mädchen zaghaft zu entspannen schien, obwohl noch immer Misstrauen sein kleines Herz heimsuchte.

„Denk mal nicht dran, Bursche!“ Ein junger Mann, sieben oder acht Jahre älter als er selbst – vielleicht auch etwas mehr -, trat in seinen Weg und hielt ihm eine Pistole an die Stirn.

Eine Klaue der Angst streckte sich dem jungen Arenaleiter entgegen, als er in den Lauf des Revolvers starrte, und er sich bewusst wurde, dass seine Lage schier aussichtslos war. Ein Kreis hatte sich um ihn gebildet, um ihn und das Mädchen nicht entkommen zu lassen.

Das Mädchen in seinen Armen kreischte erneut, versuchte sich aus seinem Griff zu entwinden, kratzte und biss ihn, während es nach ihrer Mutter rief, rammte ihm letzten Endes den Ellenbogen in den Unterleib und rannte fort. Der Bursche ließ das Mädchen laufen, fixierte stattdessen Hayato, der in Gedanken fluchte, sich aber einen Herzschlag nahm, um den Kloß in seinem Hals hinab zu schlucken und die Lippen zu befeuchten, die trocken und rau geworden waren.

„So, jetzt gehst du mal schön dort auf die Seite, sonst wird dein Vögelchen leiden!“

Hayato wagte es, den Kopf langsam nach rechts zu drehen, nur um seinem Gegenüber keinen Anlass zu geben, um von seiner Waffe Gebrauch zu brauchen. Insgeheim bezweifelte er, dass der junge Mann den Mut dazu hätte, einen Menschen kaltschnäuzig zu töten. Ihn zu reizen, war aber das Letzte, was er in diesem Moment im Sinn hatte.

Es hatte mehr als vier Magnayen bedurft, um Aeris niederzuringen. Ein flammender Zorn brannte in den Augen der stolzen Adlerdame, denn sie akzeptierte niemals, aufgeben zu müssen. Drohend hatte sie den Schnabel zwei fingerbreit geöffnet, aus dem immerzu ein zischendes Fauchen drang. Sobald die Magnayen unvorsichtig wurden und ihrem Haupt zu nahe kamen, hakte sie nach den Wölfen, die daraufhin halb knurrend, halb winselnd vor ihr zurückwichen.

Als sein Blick zu lange auf Aeris verweilte, spürte er, wie der Mann ihm einen harten Stoß gab. „Los, Bewegung!“

Das spöttische Lachen des Vorstandes im Hintergrund dröhnte unnatürlich laut in seinem Gehör.

Unmerklich ballte Hayato die Faust. Wut.

Wut, dass er sich so leicht überwältigen ließ.

Wut, dass nichts in seiner Macht stand, um diese Lakaien einer Mafia-Organisation aufzuhalten, die nach Belieben mordeten und Leben zerstörten.

Wut, dass er diese Ungerechtigkeiten ertragen und sich ihren Forderungen beugen musste.

Doch diese Niederlage zu dulden, war eine schmerzende Demütigung. Nur was sollte er tun? Auf den günstigen Moment warten, den es nicht gab?

Wieder huschte Hayatos Blick zur Seite, nur um sich zu vergewissern, dass der Jüngling ihm folgte. Ein, zwei Herzschläge lang zögerte er, dann agierte sein Körper. Er wirbelte herum und überrumpelte sein Gegenüber. Er ließ den Arm vorschnellen, haschte nach dem Handgelenk seines Konkurrenten und drückte so fest mit den Fingern in die Handwurzel, dass sich der Griff um die Pistole lockerte und diese in den Matsch fiel. Mit der anderen, zur Faust geballten, Hand schlug Hayato jäh zu– er konnte diesem Impuls nicht widerstehen. Und es tat gut, so verlockend gut.

Da war der Moment gekommen, und Aeris fügte sich nicht länger der Entwürdigung. Ein Feuer loderte in ihrem Herzen, so gleißend hell und heiß, dass sich Hitze wie ein dünner Schleier um die Adlerdame legte und ihren durchnässten Körper trocknete. Einer Druckwelle gleich löste sich die Hitze von ihrem Leib und brandete gegen die Magnayen. Als hätte man sie mit Stöcken geprügelt, wichen sie jaulend zurück und duckten sich furchtsam, während sich Aeris zu ihrer ehrfurchtsgebietenden Größe aufrichtete, die mächtigen Schwingen ausgebreitet, und sie herablassend anstarrte.

Dann stieß sie einen schrillen Vogelschrei aus, und die Magnayen schreckten zurück, suchten ihr Heil in der Flucht. Ihr Blick wanderte zu drei Team Rocket Schergen, welche versucht hatten, sich an ihrer rechten Kehrseite unbemerkt an sie heranzuschleichen, aber Aeris drehte ruckartig ihren Kopf und sah sie funkelnd an. Die Männer erstarrten unter ihrem warnenden Blick.

Dann wurden sie plötzlich niedergeschlagen. Unwillkürlich spannte Aeris die Muskeln an, jederzeit bereit, um sich zu wehren. Als sie jedoch merkte, dass es Violas Einwohner waren, die die Unterdrückung nicht mehr hinnehmen wollten, lockerte sich ihr verkrampfter Leib.

Nahe der brennenden oder teils bereits eingestürzten Häuser und dem angrenzenden Platz erschallte Siegesgeheul; ein vielstimmiges Johlen aus voller Kehle.

Hayato blickte irritiert auf und nahm sogleich den Stimmungswechsel der zahlreichen Menschen wahr, die um ihn versammelt waren. Jene Veränderung brandete wie eine Welle an seinem Leib und riss ihn in ihren Fluten mit sich. Es war wie ein sanftes, aber doch schmerzhaftes Prickeln, das den jungen Arenaleiter erregte und vom Nacken den Rücken hinab rann.

Unwissenheit und Angst wandelte sich in Aufregung und Hoffnung, Mut und Entschlossenheit, Selbstbewusstsein und Willenskraft. Aus verschreckten Rattfratz wurden tapfere Arkani, die furchtlos der Gefahr ins Antlitz blickten und beharrlich den Sieg anstrebten.

Hayato fühlte, wie seine Brust anschwoll. Seine Arme emporreißend stimmte er dem Grölen ein, dann brach plötzlich heilloses Durcheinander aus, als ein Schuss irgendwo in der Masse ertönte. Erst ein Schuss, dann folgte der Zweite.

Aufgebracht huschten Hayatos Blicke von rechts nach links, um den Ursprung der Schüsse zu lokalisieren. Von überallher tosten unnatürlich laut bellende Rufe, angstvolle Schreie und das Lärmen der Pokémon.

Abrupt stieß etwas an seine rechte Schulter und riss ihn mit einem gewaltigen Ruck zu Boden. Mit dem Kopf schlug er auf den harten Boden auf und blieb einen Herzschlag lang reglos liegen. Dann sah er wie betäubt auf und blickte in Aeris‘ vertrautes Gesicht.

„Was-“, begann Hayato noch immer benommen von dem Sturz, aber da attackierte Aeris bereits eines der zahllosen Hundemon, das gewagt hatte, ihren Gefährten anzufallen. Schlamm kam auf, als die machtvollen Flügel durch die Luft fegten, begleitet von zeternden Schreien und dem wilden Knurren des Schattenhundes.

Tänzelnd wich Hundemon dem tobenden Tauboss aus, nur um beim nächsten Mal die ungeschützte Flanke in Flammen zu baden. Vor Wut kreischte Aeris. Jede Faser ihres Körpers wollte dem Todeshund Schmerzen zufügen, ihn leiden sehen. Ja, es fühlte sich an, als durchstieße sie eine uralte Barriere; eine Norm, die seit dem ersten Herzschlag der Götter auf jener Welt galt. Ein Gesetz, das bloß gebrochen werden durfte, wenn das eigene Leben oder jener, die es zu beschützen galt, bedroht war.

Mit jenem Gedanken färbten sich ihre Schwingen silbern und wandelten sich in kalten Stahl. Messerscharfe Klingen hieben auf das Hundemon ein, das kläffend und jaulend mehrere Schritte zurücktaumelte. Am gesamten Leib zitterte das Wesen, denn aus zahlreichen Schnitten quoll dunkles Blut und tropfte auf den Boden. Gurgelnd spuckte der Hund Blut, als Aeris ihm de Todesstoß versetzte.

Mühsam richtete sich Hayato auf, bedacht darauf, nicht auszurutschen, denn die grauen Pflastersteine waren durch den anhaltenden Regen schlüpfrig geworden. Ein plötzlicher Schlag traf seine Wange und ließ Hayato straucheln. Hernach wurde er jäh am Kragen gepackt und gegen die nächstgelegene Wand gedrückt. Ihm dröhnte der Kopf und kleine, pulsierende Punkte flackerten vor seinen Augen.

„Du brauchst eine Lektion in Demut, Junge!“, zürnte der Kommandant, der bloß wenige Fingerbreit von seinem Gesicht entfernt war. Zorn und Hass lagen in seinen Augen. Dann verpasste der Mann ihm einen weiteren Hieb auf die andere Wange, und Hayato sah für einen Moment nur noch Schwärze, welche mit leuchtenden Lichtern übersäht war. Er stöhnte mit schwacher Stimme, denn seine Kiefer brannten unter dem heftigen Schmerz. Um wieder klar denken zu können und freie Sicht zu haben, versuchte Hayato die Pein in den hintersten Winkel seines Bewusstseins zu verdrängen. Stattdessen aber fühlte er das sehnliche Verlangen, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Adrenalin wallte in ihm auf und rauschte eines Wasserfalls gleich durch seine Adern. Ein Faustschlag, dem seine gänzliche Kraft inne wohnte, folgte dem Impuls, mitten in die Magengegend seines Gegenübers, und Hayato frohlockte, als ein schmerzhaftes Ziehen seine Knöcheln, die Hand und den Unterarm erschütterte, während dem Kommandant der Atem stockte. Zugleich spannten sich die Muskeln, als sich der Fremde keuchend erholte, sich aber hernach mit einem Wutschrei auf den Arenaleiter stürzte.

Jener wich mit einem raschen Schritt zur Seite, packte den Mann an der Jacke, um Halt zu finden, und stieß ihm erneut zwei, dreimal die Faust in die Magengrube. Dann schaffte es der Kommandant, sich frei zu machen und drängte ihn zurück, bloß um Hayato im nächsten Herzschlag einen Kinnhaken zu verpassen, der ihn Sterne sehen ließ. Benommen taumelte der Arenaleiter, unfähig sich zu verteidigen oder zur Wehr zu setzen. Da nahm der Kommandant seine Schwäche wahr und er fasste Hayato grob am Kragen, während er das Bein beugte und sein Knie in den Unterleib rammte.

Hayato keuchte, denn er glaubte, kaum noch Luft zu bekommen. Mit brutaler Gewalt schien ihm der Sauerstoff aus der Lunge gepresst worden zu sein. Für wenige Augenblicke glaubte er gar, das Bewusstsein zu verlieren, so einnehmend war der Schmerz, der sein Inneres zu zerreißen schien. Gleichzeitig aber dominierte die Angst und schenkte ihm berauschende Kraft. Zu überleben war sein dringendster Wunsch und sein tiefstes Begehren.

So warf sich Hayato blindwütig und ohne jegliche Orientierung auf den Kommandanten und schlug besinnungslos auf den Mann ein, den er leblos im Dreck liegen sehen wollte. Er wusste nicht mit Bestimmtheit, was und warum er es tat. Sein Körper agierte und die Fäuste reagierten wie von Geisterhand geführt. Bei jedem Hieb schmerzten seine Knöchel etwas mehr, während seine Handgelenke und die Arme unter der Wucht erbebten. Sein Gegenüber vermochte bloß zurückzuweichen und Schläge zu blocken oder abzufangen, ohne sich selbst zu wehren. Zumindest für den Augenblick, denn nach jedem Hieb verließ ihn etwas mehr von seiner Kraft. Verstrich eine Sekunde, so fühlte er, wie sein Körper unter der Erschöpfung gequält erzitterte und sich nach Ruhe sehnte. Schweiß perlte von seiner Stirn und nahm ihn die Sicht.

Daher zögerte Hayato einige Herzschläge lang und spürte sogleich einen Schlag gegen seine Brust, der den Schmerz explodieren ließ und ihm den Atem raubte.

Wie aus weiter Ferne nahm der Arenaleiter Aeris‘ Kreischen wahr. Lag in ihrer Stimme etwas Anklagendes? Oder etwas Warnendes? Er wusste es nicht. Zu weit entfernt war er von der Realität…

Als ein zweiter Schlag dem ersten folgte, agierte er rasch, ohne einen Gedanken an die Handlung zu verlieren. Hayato blockte den Angriff, indem er die Faust abfing und mit der freien Hand zuschlug.

Da durchdrang Hayato jäh die Deckung des Kommandanten, und seine Faust traf den Mann unterhalb der Nase ins Gesicht. Hayato fühlte, wie der Hieb den Kopf zur Seite drückte, und ein geräuschvolles Knacken dem Gerangel ein Ende setzte, dem ein misstönender Schmerzensschrei folgte.

Als der Mann wehrlos war, packte Hayato ihn am Kragen und stieß ihm das Knie ins Gemächt. Die Wucht ließ den Kommandanten zu Boden stürzen, der sich schmerzverkrümmt im Staub wand und weinerlich sein Leid klagte.

Hayato hielt inne, aber seine Muskeln blieben weiterhin gespannt. Sein Kopf dröhnte, gleichzeitig schmerzten seine Gliedmaßen und sein Körper verlangte nach Schlaf. Zudem fror er am gesamten Leib. Seine Klamotten waren durch den Regen und die Kälte klamm geworden und klebten an seiner Haut.

Stoßweise hob und senkte sich seine Brust, um gierig an Luft zu kommen. Ihm wurde bewusst wie kräftezehrend die Schlägerei gewesen war. Dennoch sagte ihm sein Verstand, dass es noch nicht vorüber war. „Habt ihr genug?“, keuchte der Arenaleiter.

Es dauerte einen Moment, bis sich der Kommandant zu einer Erwiderung durchzuringen vermochte. Noch immer dominierte Schmerz seine Gesichtszüge, aber auch einen Ausdruck, den Hayato nicht zu deuten wusste. Zufriedenheit, Genugtuung oder war es etwas gänzlich anderes, das in seinem Blick lag?

„Entweder wirst du… dich uns anschließen müssen oder“, er stöhnte, während er sich aufraffte und sich erhob, „du wirst sterben.“

Bei diesen Worten kam etwas aus einer dunklen Gasse; schnell, unerwartet, tödlich. Zwei Gestalten versuchten den Arenaleiter zu packen und zu Boden zu reißen. Mit knapper Not vermochte Hayato ihnen auszuweichen, denn jene waren so schnell wie Raubkatzen. Es überraschte den Arenaleiter, wie wendig er noch gewesen war, obwohl sein Körper unter der Anstrengung der Prügelei beinahe zu zerbersten schien.

Mit der Grazie eines geübten Tänzers wirbelte Hayato herum, ergriff den einen beim Arm und brach ihn mit einer knappen Drehung das Handgelenk. Den gefühllosen Fingern entglitt der Dolch, und jener fiel klirrend zu Boden. Er stieß den schreienden Mann von sich, wirbelte erneut herum und versetzte dem anderen Angreifer einen Tritt gegen die Brust.

Aus der Kehle seines Angreifers löste sich ein Schrei – auf den genauen Wortlaut der üblen Beschimpfung achtete Hayato nicht -, als er abermals versuchte, ihn zu Fall zu bringen. Der plötzliche Stoß brachte Hayato aus dem Takt und ließ ihn taumeln, doch bloß für einen Herzschlag lang.

Seine Faust schnellte vor, ehe sein Gegenüber zu reagieren vermochte und traf den Mann gegen den Hals. Der Kerl brach röchelnd zusammen. Wie beiläufig entglitt Hayato hernach einem Dolchstoß, der ihm nur um Haaresbreite verfehlte.

Der Meuchelmörder, den der Tritt gegen die Brust getroffen hatte, kam stöhnend wieder auf die Beine und tauschte einen ängstlichen Blick mit dem Letzten seiner Gefährten. Sie wichen zurück und flohen in die Richtung, aus der sie gekommen waren.

Hayato entfuhr ein ermattetes Keuchen. Es bedurfte all seiner Stärke, um nicht vor Erschöpfung auf die Knie zu sinken und zusammenzubrechen. Daher ließ er sie laufen, denn er war zu kraftlos, um ihnen nachzustellen. Insgeheim wünschte er sich dennoch, er hätte seinen Bogen bei sich, um ihnen wenigstens einen Pfeil in den Rücken oder Hals zu jagen. So aber blieb ihm nichts anderes übrig, als ihm entkräftet hinterher zu blicken.

Irgendwo erklang ein tobendes Kreischen und veranlasste Hayato seine Augen auf stiller Wanderschaft umhergleiten zu lassen; mal hier, mal dahin. Den Kampfeslärm zahlreicher Menschen und Pokémon, der in seinen Ohren unnatürlich dröhnte, nahm er gar nicht richtig wahr. Eher wie ein fernes Wispern, das versuchte, ihn zu erreichen, aber zu leise war, während er sich wie betäubt umsah. Aber war es nicht falsch, was sich hier vor seinen Augen abspielte? Lag es in der Natur von Menschen und Pokémon sich gegenseitig umzubringen? Hier lief etwas ganz und gar schief…

Als sein Blick auf Aeris‘ Gestalt traf, hielt er inne und ein Lächeln umspielte seine schlaffen Lippen. Obwohl sich die Adlerdame im Kern eines Rudels, bestehend aus Hundemon, Magnayen und Rattikarl, befand und mit zahllosen Wunden übersäht war, wehrte sich Aeris nach Leibeskräften. Doch stets, wenn eines der Pokémon zusammenbrach und sich nicht mehr regte, stießen zwei weitere zu dem Gefecht hinzu und griffen das Tauboss von allen Seiten knurrend an.

Wenngleich nach jeder verstrichenen Sekunde die Situation mit Aeris‘ erschöpftem Keuchen auswegloser wurde, schien die Adlerdame eine Niederlage nicht zu akzeptieren. Mit jedem neuen Feind, der ihr mutig entgegen trat, wurde die stolze Kreatur zur Bestie.

Rasend vor Wut und blind durch den Hass tobte Aeris inmitten eines Sturmes und begehrte kreischend gegen ihre Feinde auf. Ihre Klauen und Schwingen hieben und stachen nach ihren Gegner, während der Schnabel ins Fleisch ihres Feindes drang, um ihn anschließend mit den Krallen aufzuschlitzen.

Aeris war so in ihrer Raserei versonnen, dass sie den Aufprall des leblosen Leichnams nicht wahrzunehmen schien. Kratzend und schreiend stürzte sie sich auf den nächsten Feind.

Hayato erschien es so, als betrachtete er den anmutigen Tanz einer Geisha, der voller Grazie, aber doch tödlich für jene war, der ihr zum Opfer fiel. Trotz der Kälte, die der Arenaleiter in seinen Gliedern verspürte, wurde ihm warm ums Herz. Seine Aeris, sein Mädchen. Er war stolz, sie als seine Gefährtin an der eigenen Seite zu wissen, und gleichzeitig froh darüber, nicht ihre Feindin sein zu müssen. Wie sich wohl ihre zahlreichen Opfer fühlten?

Ihm war bewusst, dass er nicht einzugreifen brauchte, und wenn er es wagte, in ihre eigene Schlacht einzutreten, würde sie es ihm nur schwer vergeben können.

Ehe Hayato sich seinen lieblichen Gedanken und der endlosen Zuneigung zu seiner Adlerdame hinzugeben vermochte, zog ein kratzendes Geräusch seine Aufmerksamkeit auf sich, und er blickte wieder in die Richtung, in der er noch immer den Kommandanten vermutete.

Der breitschultrige Kerl hatte den Dolch, der unweit zu seinen Füßen lag, aufgehoben, schien aber nicht die Intention zu haben, von jenem Gebrauch zu machen. Aus seiner Nase rann noch immer dunkles Blut hinab, welches er mit einer fahrigen Handbewegung wegzuwischen versuchte. Als er Hayato entgegen sah, kämpften Schmerz und Hass in seiner angespannten Miene.

Intuitiv griff Hayato an seinem Gürtel, seine Finger umfassten zwei Pokébälle, deren Gegenwart ihn ein sachtes Gefühl von Sicherheit versprachen. Noch sah er davon ab, jene zu nutzen.

„Du Narr hast immer noch nicht genug?“, knurrte der Kommandant und sah den Arenaleiter abschätzig, ja beinah hochmütig an. „Du willst also kämpfen, obwohl du siehst, dass du alleine bist?“ Er deutete auf seine überall verstreuten Männer, die sich für diesen Augenblick erlaubten, ihre Handlungen ruhen zu lassen, um dem Szenario interessiert beizuwohnen. Allerdings schienen sie ihrem Herrn nicht die Ergebenheit entgegen zu bringen wie sich jener erhoffte. Vielmehr wirkten sie zurückhaltend und abwartend, tuschelten miteinander und schlossen nach Hayatos Empfinden gar Wetten über Sieg oder Niederlage ihres Vorstandes ab.

Hayatos Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Grinsen, während ein raues Lachen seiner Kehle entkam. „Und ihr seid zu feige, um einen Kampf Mann gegen Mann anzutreten?“, stellte er kühn die Gegenfrage. Dem Arenaleiter war vollends bewusst, dass er den Kommandanten bis aufs Äußerste reizte und er die Folgen seines Tuns nicht einzuschätzen vermochte.

Ein Wutschrei löste den unterdrückten Hass des Vorstands. „Du vorlauter Bengel! Ich stand schon in den Diensten Team Rockets, als du noch nicht mal trocken warst!“

„Ach, und darum sollte ich euch beneiden? Dass ihr einer Mafia angehört, die mordet und zerstört, wie es ihr gefällt? Nein, ich beneide euch nicht. Ich hasse euch.“

Da war der Moment gekommen, in dem das Maß erreicht war. Der Vorstand spie eine üble Beschimpfung aus, während Hayato seine Pokémon entließ.

Gleißend helle Strahlen erleuchteten den Abendhimmel. Sogleich erschallte ein vielstimmiges Stimmgewirr, welches von Wut erfüllt war.

An Hayatos Seite erschien ein gepanzerter Greifvogel, der seinen Herrn um zwei Köpfe überragte und ungeduldig über das Pflaster kratzte. Sein gesamter Leib bestand aus einem undurchdringlichen Stahlpanzer. Weder Krallen noch Zähne vermochten jenem Harnisch einen Kratzer beizufügen.

Während sich Panzaeron noch am Boden aufhielt, schwebte das zweite gewählte Pokémon des Arenaleiters hoch über ihren Köpfen. Altarias Körper war mit dichtem Flaum bedeckt, einzig der Kopf und Hals, ebenso die Füße und Schwanzfedern waren blassblau und gaben einen ansehnlichen Kontrast zu den weißen Flaumfedern. In den sonst sanften Augen der Drachin glitzerte ein unterdrückter Zorn, der seit Jahren im Zaum gehalten wurde. Gleichzeitig aber tobten Trauer und Schmerz im Herzen des Altarias und ließen ihren Körper beben.

Nachdem der Kommandant einen durchdringenden Pfiff ausgestoßen hatte, lösten sich zwei schattenhafte Gestalten von der Masse, von der Hayato nicht mehr zu unterscheiden vermochte, wer Feind oder Freund war. Nun aber galt seine Aufmerksamkeit dem nahenden Kampf, dessen Charakter Hayato nicht wirklich benennen konnte.

Grau wie der Himmel in einer klaren Vollmondnacht tauchte ein Magnayen auf. Die gelben Augen weit und den Fang zu einem lautlosen Hecheln geöffnet, stand der Wolf Panzaeron mit gierigem Blick gegenüber. Ein tiefes Grollen ließ Magnayen furchtsam zusammen zucken, als ein Hundemon an seine Stelle trat. Zahllose Narben zierten seinen schlanken, fast kränklich dürren, Leib, über dem sich die Haut nahezu schlaff spannte. Trotz des mit schwarzem Fell bedeckten Körpers zeigten sich bei jeder geschmeidigen Bewegung die sehnigen Muskeln. Seiner Stirn entsprangen links und rechts wulstige Hörner, die weit zurückgebogen waren und sich an den Spitzen nach innen krümmten. Eines dieser Hornauswüchse war abgebrochen - vermutlich die Folge eines heftigen Kampfes, Hayato wusste es nicht. Die magere Erscheinung des gebrechlichen Schattenhundes schien die Kraft, die sein Leib aufzubringen vermochte, allerdings nicht zu vermindern. Der Arenaleiter vermutete, dass jenes Hundemon mehr siegreiche Kämpfe ausgetragen hatte, als er dem Pokémon je zugetraut hätte.

Jedenfalls beschlich ihn ein seltsames Gefühl, das seinen Herzschlag beschleunigte, und spürte, wie kalter Schweiß aus den Poren hervortrat. Dennoch, er war zuversichtlich, dass Panzaeron dem Schattenhund nicht unterlegen sein würde.

Dann geschah alles so rasch, dass er nicht zu reagieren vermochte. Sein Gegenüber schrie seinen Partnern Befehle zu, die er im Lärm seltsam verzerrt und fern wahrnahm. Intuitiv handelte Hayato, jedoch mehr überstürzt als bedacht. Wie so oft schützte er die Eigenständigkeit seiner Pokémon. Sie agierten in Notsituationen nach ihrem eigenen Empfinden, um sich und ihren Trainer zu schützen.

So fächerte Panzaeron die rubinroten Schwingen, die im Licht wie Blut funkelten. Der Stahlvogel stieß sich mit einem gewaltigen Satz vom Boden ab und schraubte sich mit wenigen Flügelschlägen in die Lüfte empor, während Altaria einen durchdringenden Drachenschrei erklingen ließ und Hundemon und Magnayen in grün tanzende Flammen tauchte.

Ein Grollen entkam den Schattenhunden, als sie leichtfüßig dem Feuerodem auswichen. Den Kopf in den Nacken werfend spie Hundemon eine übel riechende Stichflamme in den Himmel empor, welche Altaria und Panzaeron umkreisten, um auf dem warmen Luftwirbel aufwärts zu steigen. Dem schmerzerfüllten Jaulen seines Gefährten schenkte Hundemon keine Beachtung, sondern zog geringschätzend die Lefzen hoch und stieß ein verächtliches Knurren aus.

Als die Hitze des Feuerodems abkühlte, japste Magnayen nach Luft, den Blick auf Hundemon gerichtet. Der Wolf entblößte in einer lautlosen Warnung die Zähne, ehe er seine Augen über sich richtete und Hayatos Pokémon fixierte.

Die Lippen zu einem gehässigen Grinsen verzogen, feixte der Mann: „Zu feige anzugreifen, was?“ Sein Blick richtete sich auf Hundemon und Magnayen, die geifernd und hechelnd auf einen Befehl ihres Herrn warteten. „Spukball - beide!“

Ein nachtschwarzer Energieball, der allem Leben die Wärme zu rauben schien, sammelten sich in den Fängen der Caniden, dunkel und pulsierend wie ein schlagendes Herz. Als die Kälte umhüllten Kugeln an Größe und Kraft gewachsen waren, schossen Hundemon und Magnayen die Spukbälle ab.

Altaria zog die Schwingen an den Leib, um sich in die Tiefe hinab fallen zu lassen, aber da wurden ihre Augen unerwartet durch eine lohende Flamme geblendet, die sich zärtlich um die dunklen Kugeln legten. Wie ein Meteorit, der einen glühenden Schweif nach sich zog, rasten die lodernden Energien auf Panzaeron und Altaria zu.

„Draco Meteor! Und Arkas, schütz dich mit Schutzschild!", rief Hayato seinem Stahlvogel zu, der dem Befehl rasch nachkam. Sein Körper war von einem grünlichen Schimmer überzogen, während sich der Drachenvogel den Kopf, begleitet von einem melodischen Gesang, in den Nacken warf. Freyas Rachen färbte sich flammendrot, als sich Energien stauten und sich hernach in einer strahlenden Kugel entfaltete, die gen Himmel schoss. Dann spaltete sich jenes Gebilde und abertausende Meteoriten hagelten auf die Erde nieder. Geschützt durch die Barriere schien der Gesteinshagel den Stahlvogel nicht zu behelligen.

Als Meteorit auf Meteorit trafen, explodierten die Gesteine. Zu mächtig war der Draco-Meteor, der ihnen die Stirn bot. Wie ein nie enden wollender Hagel rasten faustgroße, glühende Steine zur Erde nieder, denen Hundemon und Magnayen tänzelnd auswichen. Bloß am Rande nahmen sie wahr, wie die steinernen Gebilde Krater schlugen und zischend abkühlten.

Doch da wurden sie jäh unaufmerksam. In ihrem Tanz fehlte jegliche Harmonie zueinander und so geschah es, dass Hundemon und Magnayen gegeneinander stießen, als sie einem nahenden Gesteinsbrocken versuchten auszuweichen. Nun wirbelte der Wolf knurrend herum und schnappte nach Hundemon, das überrascht zur Seite tänzelte und missmutig grollte.

„Passt auf, ihr Dummköpfe!“, schalt ihr Herr seine Pokémon, doch war der Wille, sie zu warnen, vergebens. Der glühende Steinhagel prasselte unerbittlich auf sie nieder, während schrille Schmerzensschreie die Luft durchschnitten.

Hayatos Blicke schnellten zum Himmel empor, dort wo er Altaria über seinem Kopf schwebend vermutete. „Gut gemacht!“

Stolz reckte sich die Drachendame und ließ einen wohlklingenden Ruf erschallen, der ihre Kämpfernatur jedoch nicht untergrub. Wunderschön, doch kriegerisch und tödlich. Fürchten sollen die Feinde ihre Kraft!

„Es ist keine Zeit, sich im Ruhm zu sonnen. Aero-Ass!“, tadelte der Arenaleiter seine Gefährtin, die einst seinem Vater zur Seite gestanden hatte. Freya war Gins Vermächtnis an seinen Sohn und das Einzige, was Hayato von seinem alten Herrn geblieben war. Obwohl ihre Treue eines Tages einmal Gin gegolten hatte, war das Band zwischen Hayato und der Drachin stark, wenngleich es nicht so unerschütterlich und unzerbrechlich war, wie die Bindung zwischen Aeris und ihrem liebsten Gefährten.

Freya bedachte ihren Trainer mit einem kurzen Blick, der ihre Entrüstung zum Ausdruck brachte und bloß einen Herzschlag andauerte. Dann wandte sie sich wieder ab und schraubte sich mit wenigen Flügelschlägen in die Lüfte empor, nur um sich im gleichen Moment wie ein herabschnellender Pfeil in die Tiefe zu stürzen.

„Hinterher, Arkas! Stahlflügel!“

Panzaeron warf das Haupt in den Nacken und stieß einen metallisch klingenden Schrei aus. Dann erstrahlten seine Schwingen silbern glänzend. Arkas stand der Drachendame in nichts nach. Sein Ehrgeiz verbot es ihm, zu unterliegen. Ein Hundemon durfte es nicht in die Knie zwingen.

Beinah dicht an dicht schnellten sie gemeinsam auf Magnayen und Hundemon zu, als galt es, einen Wettkampf zu gewinnen

Mühsam begaben sich die Feinde auf ihre Beine und hoben ihren Blick gen Himmel. Der Arenaleiter sah ihnen an, dass sie verunsichert waren. Der gleiche Ausdruck, wenn er unerfahrenen Trainern gegenüberstand, flackerte in ihren Augen.

Zweifel. Angst. Ein Feind, der des Fliegens mächtig war, erschien beinahe unbezwingbar.

Freya, knapp dreihundert Schritt vor Arkas fliegend, raste geradewegs auf ihre Feinde zu. Unerschrocken sah sie dem unabänderlichen Zusammenstoß entgegen.

„Macht euch bereit, Spukball!“

Losgelöst von ihren Konturen verblasste Altarias Erscheinung und irgendwann raste sie bloß als ein Schemen über die Lande.

Erschrocken jaulte Hundemon, als sich Altaria binnen weniger Sekunden verstofflichte und gegen ihn krachte. Ein schmerzhaftes Ziehen durchfuhr Freyas Leib, dem sie jedoch wenig Beachtung schenkte. Rasch entfernte sich die Drachin von dem Feuerhund und schraubte sich wieder in die Luft empor.

„Reißt euch zusammen! Feuerwirbel, du flohverseuchter Köter!“

Obwohl sein Körper vor Schmerz wimmerte, knurrte Hundemon und spie eine lodernde Flamme, welche sich tänzelnd um Panzaerons Leib wand und sich wie heiße Fesseln in seine Stahlrüstung fraß. Gequält schrie Arkas auf und fiel wie ein plumper Stein zu Boden. Kein klagender Laut entwich seiner Kehle. Den schrecklichen Schmerz ertrug es mit stummer Miene.

Gefährlich waren Hundemons Feuerattacken, gefährlicher als Hayato zunächst gedacht hatte, denn er hatte geglaubt, Panzaeron sei in den Lüften unerreichbar für Hundemon.

„Hoppla. Muss ich dir etwa Nachhilfe geben? Von einem Arenaleiter hätte ich etwas mehr erwartet“, höhnte der Vorstand. Schadenfroh grinste der Mann ihm entgegen.

Er fluchte. Dieser verdammte Bastard hatte Recht. Sein Leichtsinn hatte ihn unvorsichtig werden lassen. Das hätte ihm – einem Arenaleiter! – nicht passieren dürfen.

„Brauchst du eine Einladung? Donnerzahn, Magnayen!“

Der graue Wolf sprang grollend vor, seine Reißzähne gebleckt, welche von Funken umgeben waren.

Hayatos Augen huschten zu Altaria. Freya fing seinen Blick auf, blinzelte beinahe fragend und erwiderte ihn. Auch ohne Worte, sie verstand ihn.

Innerhalb eines Herzschlages wandelten sie sich zu Jäger und Jägerin und waren gleichzeitig Gejagte und Gejagter zugleich. Konzentration und Ausdauer stellten den Schlüssel zum Triumph dar und entschieden über Sieg und Niederlage.

Altaria deutete eine Finte an, tänzelte anmutig zur Seite und stieß im nächsten Moment gegen Magnayens Brust. Entrüstet und zugleich schmerzvoll stieß der Schattenwolf ein Jaulen aus. Benommen taumelte Magnayen mehrere Schritt zurück. Noch rechtzeitig fand er zur Balance zurück, bevor er zu Boden geworfen werden konnte.

„Du Nichtsnutz!“, keifte der Kommandant. „Lass dich doch nicht von einem Altaria herumschubsen!“

Demütig senkte der Wolf sein Haupt, so tief, als wollte er sich vor seinem Herrn ergeben verbeugen.

Hayato ballte die Faust. So behandelte man Pokémon nicht!

Altaria gewann Gefallen, die Oberhand zu haben, und setzte zu einem erneuten Stoß an. Da aber schoss eine Flammenzunge zwischen ihr und Magnayen, die ihr die Sicht nahm.

Freya stieß ein frustriertes Heulen aus, dann schwenkte sie zur Seite, fort von dem flackernden Leuchten, das ihre Augen blendete. Vertraut mit dem Element Luft war es ein leichtes Spiel, sich unter den gebündelten Flammen wegzudrehen.

Sprühende Funken stellten die Ausläufer dar, welche um den Feuerstrahl herumwirbelten. Deren Hitze vermochte Freya deutlich auf ihren Schwingen zu spüren. Die Drachin schüttelte sich, um die Glut in alle Winde zu zerstreuen.

„Feuerzahn!“

Hundemons Silhouette erschien hinter der Flammenwand. Knurrend hastete der Schattenhund auf seine Gegnerin zu.

Jäh wurde Hundemon von peitschenden Windstößen erfasst und gegen eine Hauswand gedrückt, so mächtig, dass jene unter dem Gewicht nachgab und sich Risse im Gestein bildeten.

Triumphierend reckte Panzaeron sein Haupt empor, als es seinen Platz neben Freya einnahm, die für einen flüchtigen Moment liebevoll ihren Kopf an seine Schulter schmiegte.

„Da bist du ja wieder“, stellte Hayato zufrieden fest, ohne Tadel im Tonfall mitschwingen zu lassen. Arkas blickte ihm entgegen, seinen Schnabel leicht geöffnet und dem schalkhaften Leuchten in seinen Augen schien der Stahlvogel belustigt zu grinsen.

Der Arenaleiter lächelte. Etwas anderes hatte er auch nicht befürchtet. Auf seine Partner war stets Verlass. „Es ist an der Zeit, dieses Schauspiel zu beenden.“

Schallendes Gelächter drang zu ihm. „Versuch es ruhig, Junge.“ Er breitete die Arme aus. „Sieh dich nur um. Ein Befehl zu meinen Leuten und sie nehmen dich und deine Vögelchen auseinander.“

„Soll ich etwa Angst haben?“

Angst. Zugegeben, tief verborgen verspürte er Angst. Doch jene beherrschte ihn nicht. Vielmehr schenkte diese Bitterkeit, welche in seinen Eingeweiden lauerten, ihm die Kraft, dieses Szenario zu überleben. Der Drang zu überleben überschattete sein gesamtes Dasein.

„Dann lass mal sehen, was du drauf hast. Finsteraura und Inferno!“

Eine dunkle Böe fegte über das Kampffeld, welche von einer verheerenden Feuersbrunst durchbrochen wurde. Ein pulsierender Kokon aus schwarzen Nebelfetzen und glühenden Flammen bildete einen Wirbelsturm. Fauchend, zischend und Funken spuckend wuchs der Flammenzirkel rasch in die Höhe. Binnen weniger Sekunden wurde der Schlauch breiter und breiter und riss jeden ins Verderben, der ihm zu nahe kam.

Während Panzaeron sich durch Schutzschild vor dem Unheil zu bewahren vermochte, ging Altarias Kreischen im Brüllen des Feuers unter. Obwohl Winter war, spürte Hayato wie die Hitze ihm zu schaffen machte.

Nach einer gefühlten Ewigkeit wurde der Tornado schwächer; die Rotationen verlangsamten sich, die Winde erstarben und die Flammen erloschen.

Müde und erschöpft sank Altaria zu Boden. Versengt von der Hitze waren ihre flauschigen Federn rußgeschwärzt. Freyas Leib schmerzte. Zahlreiche Wunden übersäten ihren zierlichen Körper. Teilweise war die Haut unter der Hitze aufgeplatzt und gab das gerötete Fleisch darunter preis. Eine Frechheit! Ihre Anmut war jetzt vollkommen entstellt! Um jene Sünde zu vergelten, fehlte der Drachin jedoch die Kraft. Erbärmlich zitterte sie am ganzen Körper. Hier saß sie nun wie ein kleines Häufchen Elend! Wie armselig!

Grinsend sah der rothaarige Mann Hayato entgegen. „Dir geht doch nicht etwa die Puste aus?“, spottete der Kommandant abfällig. „Dunkelklaue und Knirscher!“

„Noch nicht, Lichtkanone! Freya, Ruheort!“

Während Altaria entkräftet die Augen schloss und ihre innere Kraft sammelte, bildete sich in Arkas Schnabel ein kreisähnliches Gebilde, umschwirrt von reinem, silbernem Licht. Hernach fuhr der Lichtstrahl auf Magnayen und Hundemon nieder und schlug eine tiefe Schlucht in den Boden. Rauch und Staub verwehrte ihnen den Blick auf das Geschehen.

Kostbare Sekunden, welche Freya Ruhe und Erholung versprachen. Ihr geschundener Körper fand zurück zu seiner einstigen Stärke; über die dargelegten Wunden, an denen das rohe Fleisch und die Muskeln zum Vorschein gekommen war, wuchsen Sehnen und Muskeln ineinander und Haut bildete sich als schützende Hülle.

Die Schwingen gefächert, stieß sich die Drachendame kraftvoll vom Boden ab.

„Stachler!“

Arkas spie hunderte Steinnadeln aus seinem Schnabel, welche sich überallhin auf dem Boden verbreiteten. Dort blieben sie als lauernde Gefahr liegen.

„Tarnsteine!“

Nichts geschah. Und doch vermochte der Arenaleiter nicht, sich ein Grinsen zu verkneifen. Diese Kombo liebte er! Ob der Vorstand jene kannte?

„Was soll der Scheiß?“, knurrte dieser wie ein geprügelter Köter. „Hundemon, Feuerzahn, und du, Magnayen, Eisenschweif!“

Seite an Seite hasteten Hundemon und Magnayen auf Altaria und Panzaeron zu, welche rund zwanzig Fuß über dem Boden schwebten. Starr sahen sie den Schattenhunden entgegen, darauf vertrauend, dass Hayato ihnen rechtzeitig einen Befehl erteilte.

„Wirbelwind!“

Unter Altarias und Panzaerons geeinten und machtvollen Flügelschlägen begann die Luft zu vibrieren. Ein kräftiges Dröhnen, das irgendwann die Ohren schmerzen ließ. Windböen fegten über den Platz, welche nach jeder verstrichenen Sekunde stärker wurden. Zu leichte Gegenstände, Papier, Blätter und Schnee wirbelten die Schwingen auf.

Alsbald erhob sich ein wahrer Sturm. Hayato hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Manche Männer wurden von den tosenden Windmassen von den Beinen gerissen und durch die Luft geschleudert.

Heulend reckten Hundemon und Magnayen ihre Schnauzen empor, während ihre Pfoten auf dem nassen und teils glatten Untergrund Halt suchten. Doch wie Blätter in einem Herbststurm riss der Orkan die Schattenhunde von den Pfoten. Angstvoll jaulend strampelten sie in der Luft, hilflos gegen die Naturgewalten, welche sich gegen sie erhoben.

Dann lösten sich ihre Umrisse auf, ihre Körper wurden zu Energien, welche sich als Kugel bündelte, und anschließend in die Pokébälle zurückkehrten.

Entsetzt starrte der Befehlshaber auf die zitternden Kapseln, die in seinen Händen lagen. Besiegt!

„Gib auf“, forderte Hayato trocken, „du kannst nicht mehr gewinnen.“

„Niemals! Von einem Naseweis wie dir lasse ich mich nicht besiegen!“ In Eile löste er zwei weitere Kapseln von seinem Gürtel.

Er wagte doch nicht… Da aber erhellten schon grelle Lichtstrahlen die herangebrochene Dunkelheit und blendeten den Arenaleiter für wenige Augenblicke.

Jäh dröhnte ein metallisch klingender Urzeitschrei in Hayatos Ohren. Unwillkürlich presste er sich schützend die Hände auf die Ohren, bis jenes Kreischen verstummte. Hernach klarte sich nach einer gefühlten Ewigkeit sein Blick, als das Licht, das seine Augen für wenige Herzschläge lang geblendet hatte, nun schließlich verblasste und endlich freie Sicht zuließ.

Nun stand dem jungen Arenaleiter ein gepanzertes Getier gegenüber und überragte ihn gewiss um Haupteslängen. Der aufrechte Leib war mit ausgehärteten Platten versehen, welche jeden Angriff abzuwehren vermochten. Der muskulöse Schwanz, mit gekrümmten Dornen besetzt, der angespannt von einer Seite zur anderen zuckte, sorgte für das Gleichgewicht, diente aber auch als eine schmerzhafte Waffe. Ebenso tödlich wie der Schweif mochten wohl die riesigen Klauen sein, die sowohl als Stich- und Hiebwaffe geeignet waren. Aus großen, runden Facettenaugen starrte das Wesen den Arenaleiter regungslos an, während sich sein Kiefer einen Spalt breit öffnete und ein drohendes Zischen aus seiner Kehle entkam. Dabei wogten rot-weiße Federplatten auf und ab, als sträubte ein fauchendes Snobilikat ihr Nackenfell.

Hayato kannte jenes Pokémon bloß aus Elenas Büchern. Er wusste, dass es sich um ein prähistorisches Armaldo handelte, welche seit Äonen als ausgestorben galten, und dass Wissenschaftler durch moderne Forschungstechniken die Urzeitkreaturen aus gut erhaltenen Fossilien wiedererwecken konnten.

Flankiert wurde Armaldo von einem grauhäutigen Rizeros, ein kolossales Monstrum, wie Hayato es noch nie gesehen hatte. Den Kopf, auf dem ein spitzzulaufendes Horn thronte, hoch empor gereckt, betrachtete das Pokémon seine Gegner fast arrogant, so als wisse es Bescheid, dass sein grauer Schuppenpanzer härter als jedes Gestein war und es sich selbst vor Lava nicht zu fürchten brauchte. Vor niemandem musste er sich in Acht nehmen.

Gleichzeitig, als die Kapseln klickend aufsprangen, zitterten und klirrten die Steinnadeln, wie die Rassel einer Klapperschlange. Ein nicht hörbarer Befehl richtete die Spitzen auf und ließen das Kampffeld zu einem bedrohlichen Nagelbrett werden. Abertausende Stacheln blitzten aus ihren Verstecken auf und vollstreckten ihren Dienst.

Nirgendwo vermochten Rizeros und Armaldo zu stehen, ohne das die Stacheln sich tief ins Fleisch bohrten. Ein Rinnsal Blut hatte sich im Schlamm gesammelt.

Und da erzitterte noch etwas. In einem geschlossen Kreis, dessen Mittelpunkt Armaldo und Rizeros bildeten, regte sich etwas. Ein Kratzen, als wolle man einen Stein aus dem erdigen Boden befreien. Aus jenem Scharren wurde ein dumpfes Rumoren zu ihren Füßen. Dann kündigten Risse das bevorstehende Unheil an. Jäh brach der Asphalt wie unter dem machtvollen Schlag eines Presslufthammers ächzend auseinander. Einfach so.

Kreischend erhob sich ein Dutzend geschliffener Felsbrocken aus dem Krater und kreisten um Armaldo und Rizeros. Nach jedem verstrichenen Herzschlag wurde die Schlinge der Steinfalle enger.

Plötzlich nahmen die Gesteine an Geschwindigkeit auf und rasten auf die Kolosse zu.

„Verteidigt euch! Metallklaue und Schlagbohrer!“

Armaldos Klauen wandelten sich in gleißenden, silbernen Stahl, während Rizeros‘ Horn wie ein Akkuschrauber tönte. Flink wie ein Wiesel, so erschien es Hayato, tanzte das urzeitliche Raubtier zwischen den schwebenden Steinen umher. Jedem Stich, ja jedem Hieb folgte das Krachen eines Felsen, der auf der Erde aufschlug und entzweibrach. Rizeros‘ volltönender Bass schallte einen kurzen Moment über den Lärm hinweg, dann rammte das Monstrum sein gehörntes Haupt gegen die bedrohlichen Steinbrocken, zertrümmerte einem nach dem anderen. Eine Schneise zerstörter Gesteine rahmte den Zirkel, in dem Armaldo und Rizeros gewütet hatten.

Doch irgendwann nahm die Achtsamkeit ab. Der Schatten von vier Felsen überragte Armaldo und Rizeros wie ein gefahrvolles Raubtier, als jene auf sie herabfielen und die Ungetüme unter den Lasten begrüben. Das ärgerliche Gebrüll verging mit dem lärmenden Donnern der Felsbrocken.

„Befreit euch!“ Eine schlichte Ansage, vollkommen neutral und ohne Wärme. Hayato wünschte sich, er hätte diesem Bastard so sehr die Fresse poliert, dass er nicht mehr hätte sprechen können!

Nun aber kehrte eine seltsame Stille ein, die den Arenaleiter beunruhigte. Obwohl jene bloß Sekunden andauerte, fühlte es sich so an, als seien Minuten vergangen, bis ein ohrenbetäubender Knall und das Gebrüll der monströsen Pokémon die Erde erzittern ließ. Wie unter einem Vulkanausbruch wurden die Felsbrocken, so groß wie ein Geowaz, in die Luft geschleudert. Steine, die kein Mensch hätte stemmen können. Sie demolierten und zertrümmerten Häuser, Autos oder erschlugen, sowohl Menschen als auch Pokémon, die nicht schnell genug waren, um Schutz zu suchen.

Hayato spürte eine wohltuende Wärme in seine Glieder kriechen. Jenem erquickenden Balsam wich die Kälte, welche sich durch die Angst, Wut und das Entsetzen eingenistet hatte. Es war ein Gefühl tiefer Zuneigung; eine Liebe, die einer Mutter ihrem Kind entgegenbrachte und Trost für die Seele, die den Kummer hinweg fegte. Seine Blicke wanderten in die Richtung, in der er Altaria vermutete.

Die Drachin hatte den Kopf zu ihrem Partner gewandt, stille, ja mütterliche Sorge lag in ihren klugen Augen. Wie ein sanfter Schleier hatte sich Altarias zartgrüner Schutzschild ausgedehnt, um Hayato und Panzaeron vor jenem Schicksal zu bewahren. Ja, sogar um Aeris schien Altaria den Zauber gelegt zu haben.

Dann wandte sich Freya ab, und doch riss dieses zartbesaitete Band nicht ab. Es fühlte sich an, als hätte sein Vater seine Hand schützend über ihn. Und jenes Gefühl verlieh Hayato Mut und Entschlossenheit.

Wo Gin wohl in jenem Augenblick sein mochte? Sah er mit wachsendem Stolz seinem Sohn zu oder graute es ihm vor den Schrecken und er verbarg sich vor dem Anblick irgendwo?

Erneut blieb sein Blick auf Freya haften. Gins Seele war in ihr, das wusste er. Eine verstorbene Person war niemals weit weg, solange man sie im Herzen trug und sie nicht in Vergessenheit geriet.

Jäh preschten Armaldo und Rizeros vorwärts, und der vertraute Moment zerplatzte wie eine Seifenblase. Ihre Schritte donnerten auf dem Boden und ließen die Erde schwanken.

Hernach quoll eine Rauchwolke aus Altarias Nüstern, dem ein feiner Feuerstrahl folgte und Rizeros Flanken in rot glühendes Licht badete, aber die Hitze schien den Koloss nicht zu stören. Er schüttelte sich, als wollte er eine lästige Fliege loswerden, und erwiderte den Angriff mit einem zornigen Brüllen.

Dann schrien Hayato und der Kommandant ihre Befehle. Etliche Attacken, die nicht mehr herauszuhören waren. Panzaeron und Altaria ließen sich von den Winden höher in die Lüfte treiben, dorthin, wo Armaldo und Rizeros nicht vorzudringen vermochten. Wie verletzliche Rattfratz wirkten die Hünen, welche sich furchtsam zusammendrängten, um den Königen der Lüfte kaum ein Ziel zu bieten.

Doch war ihre Intelligenz so primitiv, dass sie zu glauben vermochten, so könnten sie ihren Angriffen entgehen?

„Holt die Vögelchen vom Himmel runter!“, durchbrach die kreischende Stimme des Kommandanten die verheißungsvolle Atmosphäre. Wie respektlos er sich seinen Pokémon gegenüber benahm!

Ein leichtes Wanken tastete nach dem Boden unter Hayatos Füßen; ein schwaches Zittern, das zunehmend stärker wurde. Jäh lösten sich schwere Gesteinsbrocken aus der Erde, die sich träge in die Luft erhoben, unerwartet aber beschleunigten und auf Altarias und Panzaerons Brust zielten.

Eine Druckwelle, gefolgt von peitschenden, scharfen Winden, welche Hayato als Luftschnitt bezeichnete, erfasste die Felsen und zerstückelte sie in feines Pulver.

Knurrend quittierten Armaldo und Rizeros diese Demütigung, denn es grämte sie, wie leichtfertig Panzaeron mit ihren Angriffen umgegangen war. Dennoch wussten sie keinen Rat, um sich zu verteidigen. Sie fühlten sich unter dem scharfen Blick des Greifvogels und Drachens hilflos wie Junge, welche den Schutz ihrer Mutter brauchten.

„Wird’s bald?“, erboste sich der Fremde und funkelte seine vermeintlichen Gefährten, die bloß ein dumpfes Grollen von sich gaben, dann aber flüchtige Blicke einander zuwarfen.

Das Urzeittier hob die Sichelklauen über sein Haupt und stieß ein bedrohliches Zischen aus, während es der Luft die Feuchtigkeit zu entziehen schien. Tropfen vibrierten und erstarrten in der Luft, dann bildeten sich überlappende Kugeln, welche stetig heranwuchsen, bis ein durchsichtiger, pulsierender Energieball geboren war. Fauchend schoss das Amphibium jenes glitzernde Gebilde in die Höhe, aber Panzaeron und Altaria zogen ihre Flügel an den Leib und kippten seitlich weg, sobald die Wasserkugel ihnen zu nahe kam.

„Noch eine“, befahl der Kommandant, während sein Blick zu Rizeros wanderte, das regungslos empor sah. Seine Stimme war bar jeder Emotion; kalt und unnachgiebig. Armaldo gehorchte.

Knurrend schwenkte Rizeros sein Haupt, als die Aquawelle erneut ins Leere ging und an einer Hauswand platschend explodierte und sich über den Pflastersteinen ergoss. Das Nashorn sammelte Energien, aus denen abertausende spitze Steine gebaren, und feuerte sie wie Geschosse auf seine Feinde ab. Als Altaria und Panzaeron auf Hayatos Befehl hin wieder versuchten, seitlich auszubrechen, lenkte Rizeros sie um und konzentrierte sich, nur einen der Geflügelten vom Himmel zu holen. Ein Felssplitter traf den Stahlvogel an der Schläfe und ließ ihn straucheln. Panzaeron taumelte und sank benommen in die Tiefe, unfähig sich zu verteidigen.

„Steinkante!“

Um Armaldos Leib rotierten kleine, aber scharfkantige Steinchen, welche auf einem kaum merklichen Geheiß des Urzeittiers abgeschossen wurden. Wie sirrende Pfeile pfiffen sie durch die Luft, anmutig und tödlich zugleich.

Beinahe panisch schrie Hayato: „Schutzschild!“ Doch da legte Altaria bereits die Watteschwingen an den Körper und raste auf Panzaeron und die Gesteinssplitter zu. Ein grüner Schleier formierte sich vor dem Antlitz des Drachenvogels und schmiegte sich lieblich an seinen Leib, als er den Greifvogel erreichte, um ihn mit dem Körper vor dem bevorstehenden Schmerz zu bewahren.

Als würde Stein auf Glas schlagen, prallten die Splitter auf die Barriere, und doch hinterließen sie kaum eine Kerbe. Sie zerbarsten und rieselten als glitzernder Staub zur Erde hinab.

Enttäuscht brüllte Rizeros seinen Frust Altaria und Panzaeron entgegen, die weiterhin über den Köpfen der gegnerischen Pokémon ruhig ihre Bahnen am Himmel zogen und hochmütig auf sie herabsahen. Etwas wie Mitleid empfanden sie für jene Kreaturen, die ohne die Gunst des Windes geboren und an die Erde gebunden waren.

Altaria löste den schützenden Bann um Panzaeron, denn er kostete ihr zu viel Kraft, und glitt, getragen von warmen Luftströmen, tiefer. Kaum ein Flügelschlag war von Nöten, sie sank beinahe wie ein Engel schwerelos hinab.

Armaldo und Rizeros beobachteten die Drachin misstrauisch, knurrten beunruhigt und stießen warnende Grolllaute aus.

Entweder war es eine besonders dumme oder eine kluge Wahl, Altaria so tief hinab zu schicken. In der Luft waren Panzaeron und Altaria ihren Feinden überlegen, aber am Boden?

Der Kommandant wusste um diese Schwäche und ergriff nahezu siegessicher diese Gelegenheit, den Drachenvogel ins Nirwana zu befördern.

„Steinhagel, Rizeros!“

Der Erdboden zerbarst unter Rizeros Gewicht; ein massiger Stein brach heraus und erhob sich wie eine massive Wand vor ihm. Unter mächtigem Gebrüll zertrümmerte Rizeros den Felsen und schleuderten die verschieden großen Bruchstücke auf Altaria.

„Eisstrahl!“

Der klirrend kalte Energiestrahl traf auf die Felsen und überzog das Gestein mit einer glitzernden Eishaut. Abgebremst durch Firns Kraft erstarrten sie mitten in der Luft zu riesigen Hagelsteinen. Plump riss die Gravitation die Gesteine zu Boden und begruben ein weiteres Mal die Hünen unter schweren Lasten. Ein dumpfes Grollen ließ die Luft vibrieren. Hayato wusste nicht, ob es das Poltern des Gerölls war oder das zornige Grollen der Pokémon, die, als seien sie unter den Hieben eines Schlagstocks geprügelt worden, wutentbrannt knurrten.

Dann war plötzlich Stille; eine Stille, die bloß einen Augenblick angedauert hatte. Ein verräterisches Knacksen durchbrach die Ruhe. Hernach wurden aus leichten Furchen Risse, die die Gesteine des Geröllhaufens wie Adern durchzogen. Unter Getöse und dem Brüllen der Hünen brachen die Felsen.

Grinsend wähnte sich der Kommandant weiterhin siegessicher. „Steinkante, beide!“

Ein Schlag genügte, der Felsen zerbarst unter grauenvollem Kreischen und spitze Splitter rasten auf Altaria und Panzaeron zu.

„Schützt euch! Luftschnitt und Feuersturm!“

In den Farben glühender Lava tränkte Freya abertausende steinernen Splitter in ihrem alles verzehrenden Inferno. Zischend und fauchend, glucksend und spuckend schmolzen die winzigen, aber spitzen Trümmer zu einer zähflüssigen Masse, die mit schmatzendem Geräusch auf den Boden platschten.

Und jene Stücke, die der Hitze des Feuersturmes nicht zum Opfer gefallen waren, wurden von aus Wind geformten Sicheln zertrümmert. Nur wenige zerkratzten und zerschunden Altarias oder Panzaeros Stahlkörper. Es waren nicht Rizeros‘ und Armaldos Angriffe, die Hayatos Gefährten die Kraft raubten. Es war die Erschöpfung, die sich allmählich in ihre Glieder schlich.

Hayato hatte ein gutes Gespür für seine Pokémon. Egal, wie mühsam sie versuchten, ihr Befinden vor ihrem Trainer zu verbergen, fand Hayato es dennoch heraus. So sah er die kleinen, verräterischen Anzeichen, die Panzaerons und Altarias schlechter werdenden Zustand deutlich machten.

Ungelenk wurden ihre Bewegungen, langsamer ihre Manöver, der Schnabel einen Fingerbreit geöffnet, der Brustkorb hob und senkte sich in rascher Abfolge, der Atem war rasselnd und stoßweise.

Ein ungeübtes Auge hätte diese Spuren wohl kaum erkannt. Zu gut kannte der Arenaleiter seine Partner, als dass sie ihm, ihrem langjährigen Freund, etwas vorzumachen vermochten.

„Stahlflügel, Arkas!“

Panzaeron stieß einen hohen Schrei aus, ehe sein Gefieder silbern erstrahlte, und er wie ein Pfeil herabschnellte. Dabei hatte er Rizeros mit beinahe mathematischer Genauigkeit als sein Ziel gewählt und schoss geradewegs auf den Steinkoloss zu, der seinen massigen Körper bereits anspannte.

„Abwarten!“, bellte der Kommandant und zögerte den nächsten Befehl solange hinaus, bis Panzaeron nahe genug war, um weder ausweichen noch seinem Rizeros entfliehen zu können. „Feuerschlag!“

In glühenden Flammen waren die Pranken gehüllt, die Rizeros zu Fäusten ballte, als ein Zusammenstoß mit dem Greifvogel nicht mehr vermeidbar war. Ein Schlag auf den stählernen Brustpanzer ließ Panzaeron einen schmerzerfüllten Schrei ausstoßen und schmetterte ihn auf den Boden. Ein grauenhaftes Kreischen ertönte, als der Stahlvogel über die Pflastersteine schepperte und nach einigen Metern zum Stillstand kam. Ermattet blieb Panzaeron dort liegen.

Und mit diesem Schlag wurde es still auf dem Platz. Die Zeit schien gleichförmiger weiterzulaufen als zuvor, während sich alle Blicke auf Hayato und den Kommandanten richteten.

„Arkas!“, rief Hayato besorgt aus, als sein Gefährte sich nicht zu regen schien. Seine Augen waren geschlossen, so als würde es friedlich schlafen. Doch der Zuruf seines Trainers weckte den Kampfeswillen. Mit einem vernehmbaren Klacken der oberen Lider öffnete Panzaeron seine gelben Augen und rappelte sich auf die Klauenfüße. Gierig sog der Vogel den Sauerstoff in seine Luftsäcke.

„Alles klar bei dir?“ Bedacht begutachtete Hayato sein Pokémon, das durch den Hieb einige Brandwunden am Körper davon getragen hatte. Keine dieser Verletzungen war so gravierend, dass sie Panzaeron stark schwächten, beeinträchtigen würden sie ihn jedoch gewiss – soweit er es aus dieser Entfernung beurteilen konnte.

Mit einem hohen Vogelschrei zerstreute Arkas die Bedenken seines Trainers. Fauchend taxierte der Stahlvogel die machtvollen Hünen, während in seinen Augen die Glut der Entschlossenheit und die Wildheit, den Feind zu Fall zu bringen, loderte.

„Mehr Glück als Verstand“, höhnte der Kommandant abfällig. „Wie lange werden deine Vögelchen noch aushalten?“

„Solange, bis Ihr im Staub kriecht und eure Truppe kapiert, dass sich Violas Bewohner nicht unterdrücken lassen.“ Nicht von Team Rocket, von niemandem ließ er sich seinen Stolz nehmen oder das Andenken seines Vaters beschmutzen. Zumindest wollte Hayato es nicht zulassen, dass die Mafia ihm und den Bürgern ihren Willen aufzwang und Viola dem Erdboden gleich machte.

Scheinbar von allen Seiten schlug ihm verächtliches Gelächter entgegen. Waren seine Worte so grotesk?

Bloß die Stadtbewohner schienen den Ernst seiner Worte erkannt zu haben. Noch immer dominierten in ihren Gesichtszügen die Furcht und das Entsetzen. Jenes Grauen, welches sie tagtäglich im Fernsehen oder Radio über Orre hörten, herrschte nun auch in Johto. Das Schicksal hatte es vermutlich nicht gut gemeint mit den Menschen in Johto und schien ein böses Spiel zu treiben.

„Ich wüsste nicht, was daran lustig sein sollte“, stellte irgendwo jemand klar. Eine rau klingende, männliche Stimme.

Hayatos Blicke suchten nach der Quelle, doch vermochte er sie nicht ausfindig zu machen. Er hatte erwartet, dass ein Mann aus der Menge getreten war, um ihm den Rücken zu stärken. Nichts dergleichen geschah. Vielleicht war es die Angst, die den Mann zurückschrecken ließ, vorzutreten.

„Schluss mit dem theatralischen Gequatsche“, knurrte der Kommandant kehlig und blickte zu Rizeros und Armaldo, welche mit zurückgelegten Lefzen und mit hin- und herzuckenden Schwänzen Panzaerons Drohgebärden erwiderten. Es bedarf keiner weiteren Aufforderung zum Angreifen. Ohne Hast schritten die Hünen siegessicher auf Panzaeron zu.

Plötzlich huschte ein brauner Schatten vor Hayatos Augen vorbei. Gleichzeitig zerriss ein schriller, wilder Vogelschrei die Luft, der die Anwesenden aufschrecken und die Ohren schmerzen ließ. Schnee und Matsch bildeten, gemeinsam mit aufgewirbeltem Schmutz, eine kleine Staubwolke am Boden und verschleierten für wenige Momente den Anblick.

Hayato blinzelte; ein Staubkorn war in seinem linken Auge und schmerzte. Mit einer fahrigen Bewegung seiner Hand wischte er sich durch die Augen. Als seine Sicht wieder klar war, erkannte der Arenaleiter Aeris‘ schlanke Gestalt. Die Adlerdame hockte auf einem mit Schlamm verkrusteten Leib und streckte triumphierend das Haupt empor. Die Klauen in den Körper des am Boden liegenden Feindes gedrückt reckte sie triumphierend das Haupt und stieß einen langgezogenen Schrei aus.

Dann wandte sie ruckartig den Kopf und blickte Arkas einen Lidschlag lang an. Während ihr Schnabel wenige fingerbreit geöffnet war und beinah ein spöttisches Grinsen beschrieb, funkelte der Schalk in ihren Augen. Arkas kreischte empört. Aeris machte sich über ihn lustig!

Armaldos und Rizeros‘ Vorstoß ließ die Erde beben. Sogleich aber fächerte Aeris die Schwingen, als sie die Erschütterungen wahrnahm, und federte sich mit einer geschmeidigen Bewegung in die Höhe.

Entsetzt über das unerwartete Hindernis, welches die Hünen zum Stolpern brachten, löste sich ein Schrei aus ihren Kehlen. Die Augen weit vor Panik ruderten Armaldo und Rizeros hilflos mit ihren Armen umher, als sie abrupt ihren Lauf verlangsamten. Halt suchend taumelten sie synchron mit einem Bein nach vorn, doch die Schwerkraft riss ihre massigen Leiber zu Boden, und sie machten unsanft Bekanntschaft mit dem Boden. Mit einem vernehmbaren Plumps prallten sie auf den Leib des bewusstlosen oder bereits toten Pokémons und begruben es unter ihrer schweren Körperfülle.

Hayato vermochte nicht, zu erkennen, welches Pokémon sie zerdrückten. Es ging alles so rasch, dass seine Augen es nicht wahrnehmen konnten. Vielleicht war es auch besser so.

Wutflecken zierten das Gesicht des Kommandanten. „Ihr Idioten! Ihr Nichtsnutze! Ihr taugt ja auch gar nichts!“

Benommen hob das Urzeitgetier seinen Kopf, welcher entsetzlich schmerzte. Eine Platzwunde war an seiner Stirn, dunkles Blut floss an seiner Schläfe hinab und nahm ihm die Sicht. Es hatte sich den Kopf an Rizeros‘ Horn geschlagen, gefährlich nahe an seinen Facettenaugen. Stöhnend richtete sich Armaldo auf und streckte sich vorsichtig. Seine Muskeln schrien bei jeder Bewegung seines Körpers protestierend auf. Behutsam wandte sich Armaldo zu seinem Kampfgefährten, der noch immer reglos auf dem Boden lag. Einzig das unentwegte Knurren überzeugte Armaldo, dass Rizeros noch bei Bewusstsein war.

Schwerfällig erhob sich der mannshohe Steinkoloss und schwankte, als seine geschwächten Beine das Gewicht erneut zu tragen hatten. Sein massiger Felskörper hatte Rizeros vor Schaden bewahrt. Bloß einzelne Kratzer und Schrammen zierten seinen Leib, die Rizeros nicht weiter behelligten.

Hayato achtete nicht auf die Gegner. Seine Augen blieben beim Anblick eines Vipitis haften. Der Arenaleiter hoffte, dass es nicht tot, sondern nur bewusstlos war. Als er jedoch die zahllosen Wunden an seinem Leib sah, die Aeris in ihrer Wut ihm zugefügt hatte, verschlug es ihm den Atem. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war es von seinen Qualen erlöst worden, da Armaldo und Rizeros die Schlange unter ihrem Körper zerquetscht hatten.

Schockiert stand Hayato wie gelähmt da, unfähig sich zu regen oder einen klaren Gedanken zu fassen. All sein Entsetzen brach sich Bahn, als er irgendwo ein klägliches Weinen vernahm und er wagte, sich vorzustellen, wie es sich anfühlte, wenn eines seiner Gefährten tödlich verwundet an Vipitis‘ Stelle lag.

Ein dumpfer Schlag riss den Arenaleiter jäh aus der Trance. Ein Hieb Armaldos traf schmetternd auf Panzaerons Körper und hinterließ eine Delle in dem stählernen Brustpanzer, während die Krallen des Stahlvogels kreischend über den Leib des Urzeitgetiers kratzten. Ein scheußliches Geräusch.

Armaldo und Panzaeron schrien wütend, den Schmerz, den sie sich gegenseitig zufügten vollkommen vergessend. Altaria versuchte ihrem Freund zur Hilfe zu eilen, aber eine unerwartete Pein zuckte durch ihren Leib. Dann folgte ein Knall, und Freya stürzte kreischend vom Himmel.

Als sie auf dem Boden aufschlug, entrann sich ihrer Kehle ein gequältes Stöhnen. Benommen schickte sie sich an, ihren Kopf zu heben, spürte sogleich, dass sich ihre linke Körperhälfte vollends taub anfühlte. Obwohl Ruheort Freya zuvor Linderung verschaffen hatte, fehlte der Drachin die Kraft, sich erneut aufzuraffen. Sie war des Kämpfens müde, mochte nicht mehr.

Währenddessen gelang es dem Stahlvogel, Armaldo abzuschütteln und auf Distanz zu gehen. Arkas flankierte Altarias ungeschützte, linke Seite und fauchte warnend. Der gesamte Leib war mit Schrammen übersäht, und Panzaeron zitterte vor Anstrengung. Die eingewölbte Beule ließ ihm das Luftholen zur Qual werden.

Doch Panzaerons zischende Mahnung schüchterte die Feinde nicht ein. Auf einen ungeduldigen Zuruf ihres Trainers griffen Armaldo und Rizeros erneut an. Ein letztes Mal, so wusste Hayato und musste dem rasch entgegenwirken.

„Brüller!“

Arkas warf den Kopf in den Nacken. Seinem aufgerissenen Schnabel entwich ein scheußliches Kreischen, der dem Geräusch ähnelte, wenn seine Krallen ein Stück Metall schliffen und es zerkratzten.

Als seien Armaldo und Rizeros gegen eine Wand gerannt, stoppten sie jäh ihren Lauf, knurrten dumpf und stemmten sich mit aller Kraft gegen die unsichtbare Macht. Frustriert schrien die Ungetüme und bäumten sich widerwillig auf. Dann aber verwandelten sie sich in Energien und kehrten wie verängstigte Jungen in ihre Pokébälle zurück.

Hayato sah noch wie jene erbebten und befürchtete jeden Herzschlag, dass sie sich aus ihrer unfreiwilligen Gefangenschaft befreiten. Als das Zittern der Kapseln erstarb, wandte sich Hayato dem Kommandanten zu. Währenddessen dachte er an das Vipitis. Einen stechenden Schmerz spürte Hayato dabei in der Brust und Kummer erfüllte ihn.

Und schließlich dachte er an die Pokémon des Kommandanten und erinnerte sich an die Furcht in ihren Augen. Der Gedanke daran machte ihn wütend.

„Ist dir eigentlich bewusst, wie sehr deine Pokémon unter deiner Führung leiden?“

Verächtlich lachte der Kommandant und spuckte auf den Boden. „Was soll das werden? Willst du mich belehren wie ich meine Pokémon zu behandeln habe, Kleiner?“

„Pokémon sollen nicht für terroristische Zwecke verwendet werden und schon gar nicht darf dabei ein solches Blutbad entstehen.“ Mit einem beiläufigen Kopfnicken deutete er auf den Leichnam des Vipitis‘. „Oder macht es euch Spaß zu morden?“

„Tragisch, dass dieses arme Geschöpf sterben musste“, bemerkte sein Gegenüber mit einem betont spöttischen Beiklang in der Stimme, als er seinen Blick zu der Leiche wandte, „aber so ist es nun mal, oder?“

Hier lief etwas schief. Ganz und gar. Hayato hatte Mühe, die Wut niederzuringen, die in diesem Moment jäh aufflammte, obwohl er liebend gerne den Vorstand verprügelt hätte. „Die Heuchelei kannst du dir sparen! Du…“

„Was denn? Wirst du jetzt zu einem bockigen Kind?“, höhnte der Vorstand. „Du nimmst ebenfalls Leben. Erinnerst du dich, dass dein Tauboss einige meiner Männer umgebracht hat? Gibt es da einen Unterschied zwischen uns?“

Dieser Abschaum wagte es, ihn mit sich zu vergleichen? Er hatte aus noblen Gründen beschlossen, sich Team Rocket entgegen zu stellen! „Ich gab den Befehl, weil es meine Pflicht ist, die Stadt zu schützen! Wenn ihr glaubt, ich lasse von irgendwelchen Irren meine Stadt abfackeln, dann…“ Oder hatte der Kommandant wirklich Recht?

„Ach, und das macht einen Unterschied? Wir sind uns gar nicht so verschieden, du und ich“, sinnierte der Mann. „Pokémon sind erschaffen worden, um uns zu dienen. Sie erfüllen ihren Zweck. Wenn sie ausgedient haben, dann…“ Unbewusst deutete er in die Richtung des toten Vipitis‘, „ja, dann sind sie es nicht wert, zu leben.“

Hayato vermochte der Provokation nicht länger zu widerstehen und gab sich seinem Temperament hin. „Pokémon haben ein Recht zu leben! Wie wir sind sie fühlende Wesen!“, herrschte er den Vorstand zornig an und versuchte im gleichen Moment, sich im Zaum zu halten. „Wie wir fühlen sie Trauer und Freude, Leid und Glück, Liebe und Hass!“

Der Kommandant lachte. Unnatürlich laut hallte sein höhnisches Gelächter wieder „Und wenn schon? Du behandelst deine Pokémon wie ich. Wie jeder aus Team Rocket“, erwiderte er achselzuckend und lachte weiterhin in sich hinein, ehe er sich fasste und ernst wurde. „Du willst die Stadt beschützen, aber wollen es auch deine Pokémon? Du schickst sie in den Kampf, obwohl dir bewusst ist, dass sie dabei drauf gehen könnten. Ist das deine Liebe? Egoistisch von dir.“

Mit Entsetzen starrte der Arenaleiter den Kommandanten an, auf dessen Lippen ein widerliches Grinsen lag, während jener ihn aufmerksam, aber mit dem Ausdruck des Spotts in den Augen.

Dann geschah alles so rasch. Ein Aufschrei zerriss die Luft, als sich von hinten jemand an den Vorstand heran gepirscht hatte und ihn mit einem harten Gegenstand, den Hayato nicht zu erkennen vermochte, niederschlug. Ihres Mutes und ihrer Würde zurückerlangt erhoben sich die Bewohner gegen den Pöbel. Ein Gewirr aus Menschenleibern warf sich auf den wehrlosen Kommandanten, trat ihm in die Seite und schlug ihm ins Gesicht, beschimpfte ihn mit vulgären Ausdrücken.

Schaudernd wandte sich Hayato ab und kehrte dem Szenario den Rücken zu. Er konnte den Anblick nicht ertragen. Jäh erblickte er seine Pokémon.

Wie ein Häufchen Elend hockten Altaria und Panzaeron beisammen. Ihre Leiber zitterten erbärmlich. Ob vor Kälte oder vor Schmerz vermochte der Arenaleiter nicht zu sagen. Aus Wunden, so zahllos, dass er sie nicht zu benennen vermochte, quoll dunkles Blut und besprenkelte die nassen Pflastersteine.

Aufgewühlt fuhr er sich durch die Haare und verdrängte die aufkommende Hilflosigkeit. Seine Pokémon hatten so viel Leid auf sich genommen… Für die Stadt. Für die Bewohner. Für ihn. Und was hatte er getan?

Keuchend fuhr er sich durch das Gesicht. Wie ein Hammerschlag traf ihn die unerwartete, ja bodenlose Bestürzung, die den Grund unter seinen Füßen zum Schwanken brachte.

Hatte der Kommandant mit seinen Worten vielleicht Recht gehabt? Im Wissen seine Pokémon möglicherweise dem Tod ausgesetzt zu haben, gab er sich seiner Trauer hin.

Die schreckensverzerrten Fratzen jener Lakaien von Team Rocket, die Aeris unter seinem Befehl ausgelöscht hatte, sah er jetzt klar vor sich. Eines Messers gleich durchbohrten die anklagenden Blicke der Verstorbenen den jungen Arenaleiter, während das leidvolle Weinen, jener, die den Verlust des Toten betrauerten, seine Leere erfüllte.

Nur Abschaum, nur Abschaum von Team Rocket…

Da aber verspürte der Arenaleiter eine tiefe Furcht in seinem Herzen gedeihen; eine Angst, die ihn erzittern und frösteln ließ. Mehr als den Tod fürchtete er sich davor, was dieser Krieg möglicherweise aus ihm machte: Einen Richter, der über Tod und Leben urteilte und einen Henker, der ohne Gnade Leben nahm, nur um selbst am Leben zu bleiben. Und er wollte nicht über Tod und Leben richten.

Gedankenvoll schweiften seine Blicke über den Platz, den er einst in schönen Erinnerungen gehabt hatte, und betrachtete mit Grauen die zahllosen Opfer, die jener Krieg bereits gefordert hatte. Nein, so wollte er nicht sein. Doch hatte er eine Wahl?



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Jelena-sama
2016-04-09T19:41:12+00:00 09.04.2016 21:41
Diese FF war wirklich toll (habe sie glaube ich vor einem Jahr gelesen)
Das Problem ist dass ich bis heute noch verzweifelt darauf warte wie es weitergeht :(
Die Story und der Schreibstil sind gelungen und ich mag auch deine Darstellung der Charaktere wirklich aber man kann doch eine so gute FF nicht einfach seit 3 Jahre 'pausieren' oder abbrechen
Meinem Soulsilvershippingherz zuliebe und den anderen lesern die verzweifelt hin und wieder reinschauen bitte ich dich inständig
Schreib weiter liebes :-*


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