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Johto no Densetsu

von

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Klingentanz

Hayatos Welt erfuhr einen schweren Schlag, und er begann zu schwanken. Eine Lüge! Die Mörder seines Vaters konnten nicht zurückkehren. Sie waren vor fünf Jahren in alle Winde zerstreut und der jämmerliche Versuch, die Lakaien wieder zusammenzuführen, war verhindert worden - ein Traum machthungriger Menschen zersplittert. Die Organisation war vernichtet, ein für alle Mal zerstört!

Und obwohl sein Verstand die Worte einer Lüge bezichtigte, drohte eine Welle der Wut ihn in ihren Wogen zu ertränken. „D-Das kann nicht sein! Ihr lügt!“, herrschte er die Ältesten ungehalten und baute sich drohend vor ihnen auf. „Ihr wisst, dass es nicht wahr ist!“

Genshin blickte Hayato starr in die Augen. „Doch, es ist leider wahr.“ Seine Stimme war gelassen und ruhig. Sie ließ keine Zweifel zu.

Wie ein verletztes Tier wich Hayato zurück, während er den bekümmerten Blick seines Großvaters auf sich spürte. „Das ist nicht wahr!“, wiederholte er immer wieder. Verzweifelt fuhr er durch sein Haar, versuchend den aufwallenden Zorn zu unterdrücken. Doch Hayato war dem Gefühlsausbruch unterlegen.

„Hayato!“ Elena stellte sich ihrem Bruder in den Weg, Schulter an Schulter während die Augen starr auf ihn gerichtet waren. „Beruhig‘ dich“, beschwor sie den Arenaleiter.

Verbitterung umwölkte Hayatos sonst wachen Geist; eine Glut war in seinem Blick entfacht. Hass brannte in seinem Herzen, Verachtung glühte in seinen Augen, der Schrei nach Rache ruhte in seinem Blut und doch rangen sie mit seinem verwirrten Geist und einem tiefen Schmerz in seiner Seele. „Sie lügen, Elena! Team Rocket ist zerschlagen worden. Soul hat sie vertrieben, du weißt es!“

„Im Moment weiß ich, dass dein Temperament mit dir durchgeht“, sagte sie scharf. Keinen Millimeter wich Elena zurück, sondern schaute ihren Stiefbruder fest an.

Seine Nasenflügel bebten. „Sie haben Vater auf dem Gewissen – unseren Vater! Ist dir das egal?“

Da zuckte ihre Hand vor, zu schnell, um sie es noch zu kontrollieren, und traf auf seine Wange. Als Elena die Erschütterung wahrnahm, flammte ein brennender Schmerz in ihrer Handfläche auf, gleichzeitig spürte sie wie eine Flut der Erleichterung den Ärger von ihren Schultern nahm. „Stelle niemals in Frage, was Vaters Tod für mich bedeutet!“, fauchte Elena.

Die unerträgliche Wut - sie verrauchte nicht. Sie war einen Moment noch immer allgegenwärtig, dann aber wandte Hayato sich ab, bestürzt über die schmerzende Ohrfeige. Er ließ von seiner Wange und wandte sich schuldbewusst ab, als hätte man in einem Augenblick der Schwäche enttarnt. Den Anwesenden vermochte er nicht in die Augen zu sehen. Seine Vorwürfe beschämten ihn, denn Elenas leiblicher Vater hatte seine Familie im Stich gelassen als ihre Mutter Hannah schwanger gewesen war. Erst als sie Gin begegnet war und ihre Mutter sich ihn verliebt hatte, vermochte Elena wieder zu vertrauen und hatte gelernt, ehrlich und liebevoll zu jemanden „Papa“ zu sagen.

„Hayato! Es reicht!“, schaltete sich nun auch der Großvater des Arenaleiters energisch ein.

„Es tut mir leid“, waren die einzigen Worte, die Hayato herausbringen konnte. Er hatte die Gefühle seiner Schwester verletzt.

„Das sollte es dir auch, denn eure“, er deutete auf seine Schwester und ihn, „Pflicht wird es sein, Viola zu verteidigen anstatt deiner Schwester vorzuwerfen, ob Gins Tod für sie keine Rolle spielt.“

„Und wenn die Stadt nicht mehr beschützt werden kann?“, äußerte Elena ihre Bedenken, welche nicht nur an Kenzo gerichtet war, sondern auch an andere Mitglieder des Triumvirats. Den Groll, den sie Hayato gegenüber empfand, geriet in den Hintergrund, auch wenn jener nicht vergessen war.

Sie zögerten, und Hayato fühlte ihr Bedrücken über das bevorstehende Schicksal. In Viola war er geboren und aufgewachsen, hatte gemeinsam mit seinem Vater sein erstes Pokémon – Aeris, das damals noch ein Taubsi gewesen war – gefangen und trainiert.

„Dann können wir nichts mehr für unsere Stadt tun, als zu fliehen und ihr den Rücken zu kehren“, kam schließlich die Erwiderung, die schweren Herzens ausgesprochen wurde.

Hayato und Elena sahen sich an. Entsetzen und auch Trauer erblickten sie in dem Blick des anderen, aber auch das Verlangen nach Antworten. „Wie konnte es nur dazu kommen? Team Rocket wurde vor wenigen Monaten vernichtet!“, sagte Hayato, sich darum bemühend, die schlummernde Wut zu bändigen.

„Sie haben nur so getan, als hätten sie eine Niederlage erlitten“, ereiferte Elena. „Sie müssen im Untergrund ihre Rückkehr akribisch geplant haben.“

„So ist es“, nickte Genshin, „und ihre Wiederkehr wird uns nicht gefallen. Wir müssen vorbereitet sein, sonst verfällt das Land in das gleiche Chaos wie es in Orre herrscht.“

Orre, ein fremdes Wüstenland, das in weiter Entfernung lag. Ein Land, welches Fernweh in jedem Träumer auszulösen vermochte. Paradiesische Strände entlang der Küste, hochaufragende Palmen und zahlreiche schöne Südländerinnen. Doch Team Crypto strebte nach der Macht und hatte sein wohl begehrtes Ziel erreicht. Gewalt und Zerstörung regierten fortan die Region. Arenaleiter wurden hingerichtet, einflussreiche Menschen ermordet und Rebellionen brutal niedergemetzelt.

Seit dieser Machtergreifung herrschte in Orre Angst und Schrecken. Und dies galt es hier in Johto zu vermeiden, handelte es sich tatsächlich um einen Angriff von Team Rocket, die Cryptos Streben nach zu eifern gedachten.

„Es ist deine Aufgabe, Hayato“, sprach Genshin, „beende, was dein Vater begonnen hat. Es ist dein Erbe.“

Erbost schlug Elena mit der geballten Faust gegen die Wand, den aufflammenden Schmerz vollends ignorierend. „Das könnt ihr nicht verlangen!“, widersprach sie. Äußerlich wirkte die junge Frau ruhig und souverän, doch sie war aufgebracht. „Das ist ein Selbstmordkommando, wenn wir hierbleiben, um eine Stadt zu schützen, die sowieso der Zerstörung geweiht ist!“

„Elena, wir müssen das tun.“ Hayatos feste Entschlossenheit lastete erdrückend schwer auf Elenas Schultern. Sie spürte, dass sie zwischen zwei Fronten gedrängt worden war. Sie fühlte sich zwischen der realistischen Betrachtung, der Angst, dass dieser schreckliche Tag ihr letzter sein könnte, und der Liebe zu jener Stadt, die seit dem siebten Lebensjahr zu ihrem trauten Heim geworden war, hin- und hergerissen. Alles in ihr schrie danach gegen Team Rocket zu kämpfen, sich für den Tod ihres Ziehvaters zu rächen und dem Mörder das gleiche Schicksal erleiden zu lassen, doch Elena hatte Angst, unglaubliche Angst, dass der Abschied von Luca und der Streit mit Hayato am heutigen Tag für die Ewigkeit waren.

„Du weißt, was es bedeutet, wenn wir es nicht schaffen?“ Sie sah ihren Bruder an und hoffte darauf, dass er seine Entscheidung bereute und sich von einer Flucht überzeugen ließ, aber sie kannte Hayato und wusste, dass er bis zum letzten Blutstropfen kämpfen würde. Sein Gerechtigkeitssinn war leider größer als sein Verstand.

Er nickte, ohne zu zögern. Wie er es bereits in der Kindheit getan hatte, als er gespürt hatte, dass sie sich fürchtete, griff er nach ihrer Hand und übte leichten Druck aus. In seinen Augen lag eine wilde Entschlossenheit, ein Ausdruck, der ihr Kraft und Mut gab.

„Wir brechen sofort auf“, verkündete sie schweren Herzens. Die seit fünf Jahren gezügelte Wut triumphierte feierlich und jubilierte. Das Ziel ihren Vater zu rächen, rückte näher. Anders als Hayato konnte sie ihren Zorn unterdrücken.

Freudig drückte Hayato die Hand seiner Schwester, glücklich darüber, dass er Elena in dieser furchtbaren Zeit an seiner Seite zu wissen vermochte, aber sie entzog ihm ihre Hand. „Freu dich nicht zu früh“, fügte sie knurrend an Hayato gewandt hinzu.

Ein heiteres Lächeln huschte über Hayatos Lippen, und er sah dem Triumvirat entgegen. „Was ist mit euch? Wir führen euch hinaus und bringen euch in Sicherheit.“

„Nein, wir bleiben hier. Wenn ein Schiff sinkt, dann geht der Kapitän mit ihm unter“, sprach Genshin einvernehmlich für seine Gefährten.

Hayato erstarrte, und auch Elena wirkte bestürzt. Der Arenaleiter trat auf den alten Herrn zu, doch dieser hob bloß abweisend die Hand, während er sich schwerfällig aufrichtete und auf die jungen Erwachsenen zu schritt.

„Hayato“, er blickte seinen Enkel kummervoll an, „ich habe lange genug gelebt. Meine Pflicht ist erfüllt.“ Kenzo wandte sich Elena zu. Er fasste mit seinen gebrechlichen Händen an ihre Wangen und hielt sie fest. „Elena, ich bin froh solch eine kluge Enkeltochter gehabt zu haben. Pass mir gut auf deinen Bruder auf, dass er keine Dummheiten macht.“

Elena war gerührt. Es fiel ihr schwer, den Tränen zu widerstehen, denn Kenzo war stets ein kühler und alter Mann gewesen, der die neu entflammte Liebe seines verstorbenen Sohnes zu Hannah nur schwer akzeptiert hatte. Es galt als unsittlich, sich scheiden und erneut trauen zu lassen; eine Schande für die Familie hatte er Gin oft vorgeworfen. Daher hatte Kenzo seine „neuen“ Enkelkinder nie wirklich anerkannt, obwohl Gins und Hannahs Hochzeit bereits dreizehn Jahre in der Vergangenheit lag.

Elena umarmte ihren Großvater rasch. Hayato tat es ihr nach, wenngleich ihnen der Abschied nicht sonderlich angenehm behagte. Sie zögerten, ihnen den Rücken zu zukehren, wissend, dass dies der letzte gemeinsame Moment war.

„Jetzt geht“, forderte Ronin eindringlich, „sonst zerbrecht ihr an dem Abschied.“ Er legte die Hände aufeinander und beugte das Kreuz.

„Lebt wohl, möget ihr uns den Frieden zurückbringen“, fügte Genshin hinzu und verneigte sich.

Kenzo schwieg und blieb regungslos wie eine Statue, blickte aber von Stolz erfüllt seinen Enkelkindern entgegen.
 

Ein Bild des Grauens bot sich Hayato und Elena, als sie die Pagode verlassen hatten. Sie traten an den Rand der Klippe und vermochten von diesem Standpunkt die gesamte Stadt überblicken. Überall brannten nun Feuernester: hohe Flammen lechzten an den Häusern und verzehrten sie in ihrem unstillbaren Hunger. Doch das Mahnmal der Verwüstung war die zerstörte Kirche, die nach einer gewaltigen Detonation wie ein Kartenhaus zusammengefallen war. Geifernd gierten die Flammen nach den umliegenden Gebäuden. Der dichte Qualm, der in Viola wie in einer dunklen Wolke hüllte, ließ das Atmen zu einer Qual werden, während beinahe von überallher Explosionen zu vernehmen waren. Die Erschütterungen ließen den Boden erzittern.

Durch die Straßen sahen sie wie Menschen dicht gedrängt in Panik um ihr Leben rannten und hörten das Klagen verlassener Kinder, die von ihren Eltern getrennt worden waren. Entsetzen packte die Jugendlichen, als sie Zeuge wie Menschen unter zusammenstürzenden Häusern begraben oder von Flammen qualvoll vertilgt wurden.

Übelkeit überkam Hayato. Er wandte den Blick angewidert ab, versuchte den Ekel zu bekämpfen und doch erbrach er sich in einem Gebüsch, während Elena wie in einer Ohnmacht verfallen auf das Szenario starrte.

Angstvolle Menschenschreie und das schrille Kreischen von Pokémon, welche Hayato und Elena niemals mehr zu verdrängen vermochten, schallten durch die Straßen und erfüllten die Luft.

„Sieh‘ mal.“ Elena deutete gen Süden. Schwarzgekleidete Menschen fluteten durch das südliche Tor, so zahllos wie Kiesel im Fluss. Erstarrt blickten Elena und Hayato dem Strom entgegen, und sie wussten, dass die warnenden Worte des Ältestenrates die Wahrheit gewesen waren, obwohl sie das charakteristische Emblem auf der Brust der Männer und Frauen nicht erkennen konnten.

„Es ist also wahr“, murmelte der Arenaleiter kaum vernehmlich. Noch immer hatte er sich an die Hoffnung geklammert, dass der Rat im Unrecht gewesen war.

„Was hast du denn erwartet?“ In Elenas Worten schwang ein feiner Unterton von verletzendem Spott mit, und ihm wurde bewusst, dass in ihr noch immer die Wut schwelte. „Oder kriegst du es jetzt mit der Angst zu tun?“

Es war nicht die Furcht, die sein Herz in einer bedrückenden Umklammerung hielt. Entschlossenheit beflügelte sein Herz und der Ruf nach Gerechtigkeit schrie in ihm auf, während er Zeuge wurde wie Menschen, die Freunde und Bekannte für seine Familie waren, all ihre Existenz verloren. Ihm war bewusst, dass es einer Utopie gleichkam, zu denken, diese Zerstörung brächte keine Todesopfer mit sich. Deswegen vereinte sich seine Unerschrockenheit mit der Wut, die in seinem Herzen loderte. „Nein“, war seine schlichte Erwiderung.

Quälend war die Stille, die daraufhin folgte. Ein Blick auf die Gefühlsregung seiner Schwester blieb ihm verwehrt, denn Elena hielt das Gesicht von ihm abgewandt. Anhand ihrer Körperhaltung las er wie angespannt sie war. Elena rang mit ihren Gefühlen und weckte in ihm das Verlangen, seine Arme um sie zu schließen.

„Papa hätte gewollt, dass wir unsere Heimatstadt verteidigen, egal um welchen Preis“, fügte er sanft hinzu und versuchte dieses Eis zu brechen, welches ihnen unerwartet den Weg zueinander versperrte.

Wie ein in die Enge getriebenes Tier wirbelte Elena herum. Es geschah so rasch, dass Hayato die kommende Faust nicht rechtzeitig wahrzunehmen vermochte. Er verspürte nur einen harten Schlag gegen seinen Kiefer und der nachfolgende Schmerz. Ein Schrei löste sich aus seiner Kehle, während der Schreck ihn taumeln und zu Boden stürzen ließ.

Elena stand vor ihn und ihre Gestalt ragte bedrohlich über ihn auf. In ihren Augen leuchtete ein kaltes Feuer. „Du hast nichts verstanden, rein gar nichts! Papas Wille wäre gewesen, dass wir leben und uns nicht in eine Gefahr stürzen, die möglicherweise unser Tod bedeuten könnte!“, schalt Elena ihn mit erhobener Stimme. „Aber du – du suchst nach einem Phantom und willst Rache für seinen Tod und das hätte er niemals gewollt!“

Sie starrte in seine Augen und schien ein Schuldbekenntnis zu suchen, fand es aber nicht. Entsetzen und Schmerz lagen in seinem Blick. Mehr nicht. „Du hast es nicht verdient, in seine Fußstapfen getreten zu sein, wenn du noch nicht mal die Tugenden der Familie verstanden hast.“

Enttäuschung und Verbitterung dominierten in jenem Augenblick und zerrissen Elena das Herz. Sie liebte ihren Bruder, doch in diesen Atemzügen hasste sie ihn – und das lastete schwer auf ihren Schultern. Es tat so schrecklich weh!

Erneut fuhr sie herum, und Elena rannte davon, bloß weg von ihm. Mit einem geschmeidigen Sprung schwang sie sich auf Aerodactyls niedergekauerten Rücken, welches sich ruckartig aufrichtete und die Schwingen fächerte. Mit einem kehligen Schrei stieß sich die Pterosaurierdame vom Boden ab und schnellte in die Höhe.
 

Nachdem Elena erbost aufgebrochen und aus seinem Sichtfeld verschwunden war, blieb Hayato wie gelähmt am Boden niederkauernd liegen. Sein Herz klopfte so schmerzhaft gegen seinen Brustkorb, als würde es ihn zerreißen wollen. Ihre letzten Worte vermochten dem jungen Arenaleiter nicht aus dem Sinn zu gehen. Gleichsam wurde ihm unweigerlich bewusst, dass er soeben eine große Torheit begangen hatte, denn Elena hatte Recht. Gin war immerzu ein Mann der Tugenden gewesen. Von den Menschen Violas wurde er wegen seinen Taten geliebt und verehrt. Sein Tod war eine Tragödie gewesen, für alle Menschen, die Gin gekannt hatten.

Pflichtbewusstsein, Gerechtigkeit, Mut und Treue hatte er stets seinen Kindern gelehrt, und doch hatte Hayato das Andenken seines Vaters in den Schmutz gezogen. Niemals hätte Gin zugelassen, dass seine Kinder sich in eine derartige Gefahr begeben, nur um sein Erbe – die Stadt zu beschützen –zu wahren.

Hinterrücks überfiel ihn das schlechte Gewissen, so stechend und schmerzhaft wie der Dorn eines Bibors, welcher sich tief ins Fleisch bohrte. Doch der plötzliche Verlust seiner Schwester quälte ihn mehr als alles andere. Die Erinnerung an die Kälte in ihren Augen ließ ihn frösteln.

Erst als Kieselsteine brennend in seine Handflächen schnitten, fanden seine Gedanken einen kurzen Moment der Ablenkung. Behutsam regte sich Hayato, jederzeit mit dem Umstand rechnend, dass sein Körper jede Sekunde aufjaulen könnte. Als sein Leib sich zu keiner Protestklage hinreißen ließ, streckte er seinen Oberkörper und betrachtete seine verschmutzten Hände, in deren Innenflächen schwache Abdrücke oder leichte Abschürfungen zu sehen waren. Flüchtig rieb er die Hände an seinem Yukata ab und erhob sich rasch. Sein Blick ging in jene Richtung, in die Elenas Aerodactyl geflogen war, direkt auf die im Inferno gehüllte Stadt zu.

Wie konnte er bloß glauben, dass Gins Tod Elena gleichgültig sei? Ihr leiblicher Vater hatte seine Tochter vor rund siebzehn Jahren alleine gelassen, als ihre Mutter mit Luca schwanger und kurz vor der Entbindung gestanden hatte. Seit sie aneinander kannten, war Gin für Elena und Luca stets ein Vater gewesen. Sie hatte ihn ebenso geliebt wie Hayato seinen Vater geliebt hatte. In all den Jahren war Elena wie eine Schwester für ihn geworden. Ganz gleich wie heftig so mancher Konflikt verlaufen war, wusste er sie jederzeit an seiner Seite.

Gedankenverloren ließ Hayato seine Augen wandern und sah zur Pagode zurück. Intuitiv spürte er, dass der Rat nicht daran glaubte, die Vernichtung Violas könnte noch aufgehalten werden. Sie hatten die Hoffnung aufgegeben und den altertümlichen Turm zum Grab gewählt. Sie waren zu alt, denn sie wandelten schon lange genug auf der Welt, als dass sie noch die Kraft aufzubringen vermochten, um zu fliehen. Hayato hatte die Wahl, und er entschied sich, zu leben und um das zu kämpfen, was er liebte. Sein Weg war nicht die Rache, die er wie ein Geschwür in seinem Herzen spürte. Zu beschützen wählte er seine Aufgabe.

Doch Hayato fühlte sich seltsam leer. So tief wie sich die Schlucht zwischen ihm und Elena gegraben hatte, war sie noch nie gewesen. Warum musste es soweit kommen, dass er sich in der Stunde der höchsten Not mit seiner Schwester so sehr zerstritt? Er brauchte sie. Er brauchte sie, um sich in ihrer Gegenwart stark zu fühlen, und doch wusste er, dass er Elena tief verletzt hatte.

Er musste sie suchen und finden. Er musste sich entschuldigen, ihr sagen wie Leid ihm all das tat, was zwischen ihnen vorgefallen war, und hoffte, dass seine Torheit nicht das Vertrauen zueinander zerstört hatte.

„Aeris!“, brachte Hayato krächzend hervor. Der Verlust schnürte ihm den Hals zu und erstickte seine Stimme. Als die mannshohe Gestalt der Adlerdame sich vor ihm materialisierte, straffte er seine Schultern. Er wollte wenigstens seine treue Gefährtin vor Kummer bewahren.

Das Tauboss blickte ihn aus erschöpften Augen an. Durch den vergangenen Kampf gegen Lucas Staraptor wirkte das braun-beige Gefieder, das sonst gut gepflegt an ihrem schlanken Körper anlag, zerzaust und hier und da angesengt.

Bedrückt kniete Hayato nieder und lehnte seine Stirn gegen Aeris‘ Brust, während seine Hand auf ihrer Schulter ruhte und die Finger liebevoll durch die Federn kraulten. Ihre klugen Augen blitzten fragend auf, als spürte sie seinen inneren Konflikt. Tröstend reckte Aeris den Hals und schnäbelte zärtlich durch Hayatos schwarzes Haar.

„Noch nie habe ich so viel von dir verlangt wie ich es jetzt tun werde“, sprach er flüsternd. „Dieser gemeinsame Flug könnte unser letzter sein, aber ich werde dich nicht dazu zwingen, diesen Weg mit mir zu gehen.“

Aeris entzog sich seiner Nähe und sah ihn fest an. In ihren Augen brannte ein immer glühendes Feuer, das ihm Mut, Kraft und Zuversicht schenkte. Den Kopf in den Nacken werfend und die Schwingen ausbreitend, ertönte ein schriller Kriegsschrei aus ihrer Kehle, der wie eine Warnung über die Ebene schallte.

Ein unerschütterliches „Ja“, so wusste Hayato. Niemals würde Aeris ihren engsten Freund und Gefährte in eine ungewisse Zukunft gegen blicken lassen, ohne dass sie auf ihn aufzupassen vermochte.

Hayato lachte leise; das Lächeln erhellten seine Gesichtszüge, und er fühlte wie sein schlechtes Gewissen etwas zur Ruhe kam. Aeris‘ Gegenwart bestärkte ihn in dem Vorhaben, Viola zu beschützen – um des Menschen Willen, die in dieser Stadt aufgewachsen waren und ihr gesamtes Leben in der Stadt verbracht hatten, welche sie „Heimat“ nannten.

Hayato erhob sich und musterte den Zustand seines Tauboss, das nach dem Übungskampf gegen das Staraptors seines Stiefbruders Verwundungen davongetragen hatte. Es waren bloß leichte Verletzungen, Schnittwunden, nicht mehr, aber an manchen Stellen waren die Krallen und der Schnabel des Jungfalken Aeris tief ins Fleisch gefahren. Die Gefahr, dass sich jene Wunden entzünden konnten, wollte Hayato nicht eingehen, und so war er froh, dass in einer Tasche seines Gewandes ein bläuliches, im Sonnenlicht transparentes Fläschchen vorzufinden war.

Aeris beäugte ihn misstrauisch, als er die Schutzkappe der Sprühflasche abnahm. Obwohl sie wusste, dass die Flüssigkeit in dem Behältnis Linderung verschaffte, hasste Aeris diese „Top-Tränke“ wie Hayato sie nannte. Einen Herzschlag wich sie zurück, doch ihr Trainer sah sie mahnend an, und die Adlerdame wusste, dass es dem jungen Arenaleiter bloß um ihr Wohlbefinden ging. So ließ Aeris Hayato an sich heran, duldete das Zischen des Fläschchens und das darauffolgende schmerzhafte Brennen ihrer Kratzwunden ohne aufzubegehren. Als Lob erhielt sie das zärtliche Kraulen, was Aeris so sehr liebte.

„Jetzt lass uns fliegen“, sprach Hayato endlich die Worte aus, die die Adlerdame ersehnt hatte. Erneut stieß sie ein Kreischen aus und bot ihrem Trainer ihren Rücken dar.

Keinen Augenblick verlierend bestieg Hayato ihren Rücken; Halterung und Zaumzeug anzulegen, kostete jetzt zu sehr wertvolle Zeit. Als sich Aeris folglich kraftvoll vom Boden abstieß, die mächtigen Flügel öffnete und sich gen Himmel schraubte, fühlte Hayato wie in der Luft Trainer und Pokémon eins miteinander wurden; jeder Kummer und alle Sorgen traten gewöhnlich in den Hintergrund, wenn ihm das Gefühl grenzenloser Freiheit überkam, doch dieses Mal sollten Hayatos Gedanken keinen Moment der Ablenkung finden können.

Aeris flog ihm in eine ungewisse Zukunft entgegen, und diese Gewissheit schnürte ihm die Kehle zu, ließ ihn nicht zu Atem kommen, während sein Blick auf die brennende Stadt – auf die Flammen, die seine Erinnerungen gierig verschlangen - unter ihm gerichtet war.
 

Bashira landete im Schatten des seit Jahrhundert angestammten Familienbesitzes der Takigawas; ein Haus, das nach dem traditionellen japanischen Baustil erbaut worden war, nahezu aus Holz, Papier und Ziegel für das geschwungene Dach bestehend. Umgeben war das Gut mit einem weitläufigen Garten, der nach eben jener Sitte angelegt worden war, und einer schützenden Mauer vor unliebsamen Blicken.

Jener Anblick war für die Menschen Violas Gewohnheit, während Touristen aus aller Welt in die Stadt angelockt wurden, neugierig über die sonderbare Architektur des Landes.

Nach einem Brand des unbewohnten Ostflügels jedoch ließ das Familienoberhaupt bei den Renovierungsarbeiten das leicht brennbare Holz und Papier durch Stahlkonstruktionen ersetzen und hatte den Arbeitern aufgetragen, die Außenwand wieder braun zu streichen, sodass sich das Haus nach der Instandsetzung wieder ins Gesamtbild fügte. Wenngleich die Restauration Zeit und Nerven aller Familienmitglieder gekostet hatte, lohnend war die Mühe jedenfalls gewesen.

Elenas Stiefel kamen auf einem gepflasterten Untergrund auf, der umgeben von zurechtgeschnittenen Sträuchern und Blumen war, nachdem sie sich vom Rücken der Pterosaurierdame gleiten gelassen hatte. Aerodactyl richtete sich einen Herzschlag lang auf, spreizte die Flügel vollends – genügend Platz fanden sie allemal -, ehe sie sich niederkauerte und ihre Schwingen zusammenfaltete, um sie hernach an ihren grauen Leib anzulegen. Wartend verharrte sie, den Blick auf das Anwesen und dem von Feuer rötlich gefärbten Himmel gerichtet.

Elena war erfahren genug, dass sie Bashiras Gefühlsregungen als höchste Alarmbereitschaft zu verstehen vermochte. Instinktiv witterte die Flugsaurierin die nahende Gefahr. Bei ihrem Pokémon bleiben um seine Nähe zu suchen, konnte Elena nicht. Aus einem anderen Grund war sie an diesem Ort gekommen, obwohl es leichtsinnig war, sich so dicht der Feuersbrunst zu nähern. Sie musste sich vergewissern, dass ihre Familie in Sicherheit war.

Ein geradliniger Weg führte von ihrem Standpunkt zu einer von Granitfiguren bewachten Weggabelung, welche den eindrucksvollen Löwenkopf Enteis darstellten; der rechte Pfad leitete sie zum Pavillon, der, aufgrund der Temperaturen, nun im Winter kaum genutzt wurde und der andere lenkte sie zum Anwesen, direkt auf großzügige die Terrasse zu.

Zu beiden Seiten waren die Wegesränder von kahlen Büschen gesäumt, die, sobald die Sonne im Frühling Kraft gewann und im Sommer das höchste Maß ihrer Stärke entfaltet hatte, im üppigen Grün erstrahlten. Noch befanden sich all die Pflanzen und Blumen in einer winterschlafähnlichen Ruhepause und ließen den Garten als trostlose Einöde erscheinen. Erst wenn die Wärme sie aus ihrem Schlaf lockte, würden sie erwachen und brachten neues Leben in die Flora und Fauna.

Nun erlaubte die Nacktheit der Sträucher und Bäume den Blick auf steinerne Türme, welche erhaben zwischen dem Gehölz auf thronten. Es wirkte beinahe so, als entstammten sie der Spielkiste eines Kleinkindes, und doch erschienen sie wie stumme Wächter. Bei näherer Betrachtung erblickte man in ihrem Inneren das schwache Leuchten einer Kerze.

Der Boden selbst war mit weißem Kies aufgeschüttet, während Platten aus Naturstein als Tritte dienten. Wie sehr die Zeit an ihnen genagt hatte, verdeutlichte das Moos auf dem grauen Gestein. Jeder Schritt wurde durch das weiche Polster leicht abgefedert.

Unweit des speziell angelegten Landeplatzes sprudelte eine Quelle, ein Wasserspeier, in der Gestalt eines Garados‘, der immerzu das kühle Nass in den Teich ergoss und jenen mit frischem Wasser belebte. Trittsteine dienten zur Überquerung des Teiches, indem Karpador ihre Bahnen zogen.

Ihrer Mutter zuliebe hatte Gin den Garten umgestalten lassen, denn Hannah liebte die Nähe zur Natur und den Geruch von Blumen und Erde um sich herum.

Nun aber schritt Elena im Eilschritt dem Weg entlang, der sie unweigerlich zum Haus führte. Sie beachtete den Lärm von Explosionen und schreienden Menschen nicht. Bashiras verstörte Kreischen ließ die Luft vibrieren, und Elena vermochte die Auswirkungen jener Schreie in ihrem Körper als leichtes Beben zu spüren. Würden die Tonlagen in höhere Frequenzen gelangen, so wusste Elena, dass jene Laute, welche für das Ohr des Menschen nicht zu hören waren, durch den zu hohen Druck innere Verletzungen verursachten.

Sie beschwor die Flugsaurierin zu schweigen, auch wenn ihr bewusst war, dass es ein utopischer Traum war. Bashira würde ihr Flehen nicht erhören können. Elena sah zu dem Aerodactyl zurück, von dem sie bloß den grauen Leib zwischen dem Geäst ausmachen konnte. Sie wagte es aber nicht, Bashira mahnend zurechtzuweisen. Die Gefahr, dass Team Rocket durch die Gegenwart des Aerodactyls bereits alarmiert und in dieses Viertel vorgedrungen war, war ihr schlichtweg zu riskant, als dass sie leichtfertig ihren Standort preiszugeben vermochte.

Ruckartig wandte der Ursaurier den massigen Kopf in Elenas Richtung und verstummte augenblicklich. Die junge Frau wusste nicht, ob es sich um Zufall war oder ob Bashira tatsächlich ihren Wunsch verspürt und danach gehandelt hatte. Von Unruhe war sie jedoch trotzdem ergriffen. Das nervöse Stampfen der schweren, krallenbewehrten Pranken und das verstimmte Schnauben verrieten wie unwohl und ruhelos sich Bashira fühlte.

Elena seufzte erleichtert und wandte sich von ihrem Pokémon ab, um zur Veranda zu eilen. Vorsichtig schob sie die Schiebetür beiseite, die zum Wohnzimmer der Familie führte, und trat leise hinein.

„Mama?“, sprach sie mit gedämpfter Stimme in den Raum hinein, wagte es aber nicht, noch einmal zu rufen, als es ruhig blieb.

Schritt für Schritt ging Elena ins Wohnzimmer, welches sie in Dunkelheit vorfand. Licht brannte nicht und auch sonst herrschte eine Stille im gesamten Haus. Raschen Blickes sah sich Elena um.

Der Wohnraum wirkte aufgeräumt, so wie sie es gewohnt war. Die Kissen waren sorgsam zurechtgelegt, die Wolldecke ordentlich zusammen gerollt und die Zeitschriften und Zeitungen lagen ebenso ordnungsgemäß aufeinander gestapelt da. Nichts deutete darauf hin, dass ihre Mutter das Haus eilig verlassen hatte. Vielleicht suchte Hannah in der oberen Etage Schutz.

Alles, was sie hörte, war das Knirschen der am Boden ausgelegten Tatami-Matten unter ihren schweren Stiefeln. Furchtsam zuckte Elena zusammen. Sie hielt inne und verfluchte ihre Anspannung. Nie war sie so schreckhaft gewesen, und trotzdem fühlte sie sich wie ein gejagtes Rattfratz, das den Atem eines Hundemon in seinem Nacken spürte.

Sie blickte auf ihre schwarzen, eisenbewehrte Stiefel herab und verschwendete einen kurzen Augenblick, ob es ratsam wäre, sie zurück zu lassen.

Als sie sich letztendlich dagegen entschied, durchquerte sie ohne weitere Bedenken das Wohnzimmer und betrat die Diele. Elena hielt auf die Treppe zu, welche in die erste Etage führte. Dort waren die Schlafräume der Kinder und ihrer Mutter verteilt, mitunter zwei Bädern, dem verwaisten Arbeitszimmer ihres Vaters, das mittlerweile Hannah bezogen hatte, und einem zusätzlichen Räumlichkeit, welches die Kinder als „Chillraum“ betitelten.

Elena umfasste mit einer Hand das kühle Treppengeländer, während sie die Stufen hinauf lief, mal zwei oder drei Stiegen auf einmal nehmend.

Erneut sah sich die junge Frau um, wieder aber blieb es still. Daher vergeudete sie keinen Moment, sich in den Zimmern der Geschwister über ihren Verbleib zu vergewissern, sondern stieß die Tür ihres eigenen Reiches auf.

Das Bett stand unter einem Fenster, bald darauf drängte sich ein Schreibtisch daran, auf dem ein Computer stand. Regale dominierten aber den Anblick des Zimmers, welches Elena als belesene junge Frau enthüllten. Unter ihnen waren jedoch wenige Unterhaltungsromane, sondern ihr Besitz bestand hauptsächlich aus Lehrbüchern, die sie für ihr Mathematik- und Informatik-Studium beanspruchte.

Da Elena zurzeit promovierte und an ihrer Doktorarbeit schrieb, stapelten sich auf dem Boden zusätzlich zahlreiche Bücher, beschriebene Blätter und andere Dokumente. Nahe dieser Ansammlung an Arbeitsmaterialien standen ein aufgeklappter Laptop, eine Kanne, dessen Inhalt vermutlich bereits kalt geworden war, und eine leergetrunkene Kaffeetasse daneben.

Suchend blickte sich Elena um, dachte einen kurzen Moment nach. Das Objekt ihrer Begierde, welches sie suchte, fand sie jedoch rasch in einem Schrank. Sie kehrte zu ihren Lernmaterialien zurück, klappte das Laptop zusammen und verstaute es in der Umhängetasche.

Als sich Elena umwandte, sah sie auf die Wand, an der in einer Halterung liegend, ein geschwungenes Langschwert angebracht war.

Sie zögerte. Team Rocket besaß Schusswaffen. Egal wie gut ihre Schwerttechnik auch war, gegen Schusswaffen war das Katana wirkungslos. Elena entschloss sich aber, es trotzdem mitzunehmen.

So nahm Elena das Katana an sich und gürtete es um die Hüfte. Das Gewicht des Langschwertes vermittelte ihr ein Gefühl der Sicherheit und stärkte ihre Kraft.

Sie bedachte ihr Zimmer wehmütig, denn ihr Verstand sagte ihr, dass sie die gewohnte Umgebung lange Zeit nicht wiedersehen würde. So ließ sie ihren Blick ruhelos umherschweifen und versuchte sich jedes Detail ihres Raumes einzuprägen – selbst wenn Chaos ausbrach, wenn sie für eine Klausur lernte. Dann waren Bücher und Arbeitsblätter überall im Zimmer verstreut.

Ihre Augen ruhten aber auf einem Foto, welches auf einer hölzernen Kommode nahe der Tür stand. Zögernd nahm Elena es in die Hände und betrachtete das Bild, während ihr Zeigefinger liebevoll über das Glas strich.

Das Foto zeigte Hayato und Elena in einer vertrauten Pose. Hayato hatte den Arm um seine Schwester gelegt und drückte sie beinahe beschützend an sich, während er mit seinen Fingern das Victoryzeichen formte und es der Kamera lachend entgegen streckte. Elena lehnte sich zufrieden an seine Schulter, aber im Gegensatz zu Hayatos Strahlen erschien ihr Lächeln eher zurückhaltend und scheu.

Erinnerungen versetzten ihr einen unerwartet schmerzlichen Stich, und sie spürte plötzlich eine unerträgliche Leere in ihrem Bewusstsein. Damals wirkten sie wie ein eingeschworenes Team, dem sich nichts und niemand entgegen zu stellen vermochte, aber waren sie es noch heute, das Duo, welches sich niemals entzweien ließ?

Elena kannte die Antwort nicht. Sie fühlte bloß die unaufhaltsame Einsamkeit und wusste, dass sie ihren Bruder vermisste. Ihr erschien es auf einmal gleichgültig, welches Streben ihn motivierte, gegen Team Rocket zu rebellieren, und doch vermochte sie seinem glühenden Hass, der bisher verborgen in seinem Herzen existiert hatte, nicht zu vergeben. Noch nie hatte Elena Hayato so sehr von Rache getrieben erlebt.

Als sie den Anblick des Fotos nicht mehr ertragen konnte, rutschte ihr der Bilderrahmen aus der Hand. Kaum war jener auf dem Boden aufgeschlagen, zersplitterte klirrend das Glas in alle Himmelsrichtungen.

Daraufhin verließ Elena fluchtartig ihr Zimmer. Sie lehnte am Türrahmen und atmete tief ein, um wieder Herrin ihrer Gefühle und Gedanken zu werden.

Leichten Fußes schritt Elena den Flur bis zur Treppe entlang und wandte sich anschließend nach rechts, um die Tür, welche zu Hannahs Schlafgemach führte, aufzustoßen. Das Zimmer aber war leer.

Erleichtert atmete Elena auf. Ihre Mutter hatte das Anwesen verlassen, ehe Team Rockets Zerstörungswut bis hierhin vorgedrungen war.

Bedachtsam, aber trotzdem mit einem schweren Herzen in der Brust, schritt sie leise die Treppe hinab, mit der Gewissheit, dass von ihrem zu Hause, welches sie kannte, nicht mehr viel übrig bliebe.

Kaum hatte der erste Fuß den Dielenboden berührt, ließ ein Geräusch Elena erschrocken herumfahren. War da etwas gewesen oder spielte ihr Verstand böse Spielchen mit ihr? Sicherlich hatte sich die junge Frau getäuscht, müde geworden durch die vergangenen Erlebnisse. Möglicherweise war Bashira im Garten auf einen Zweig getreten oder ihre Mutter war zurückgekehrt?

Gewöhnlich wäre ihr tobendes Gebell entgegen gebrandet, aber dieses Mal blieb es still. Dass das Hunduster ihrer Mutter nicht Alarm geschlagen hatte, deutete sie als zuversichtliches Zeichen. Sonst wusste die aufmerksame Wachhündin über jeden Eindringlich im Hause Bescheid.

Oder Zira wird gezwungen, stumm zu sein, meldete sich die innere Stimme ihrer Vernunft zu Wort, was unweigerlich ihren Puls beschleunigte. Furcht legte sich wie eiserne, kalte Ketten um ihr Herz. Da sie die Terrassentür offen gelassen hatte, um eine rasche Flucht Möglichkeit zu haben, formte ihr Atem in der Kälte des Winters weiße Wölkchen vor Mund und Nase.

Als unangenehm und beklemmend empfand sie diese Einsamkeit. Sie dachte daran, wie lebhaft an manchen Tagen das Haus gewesen war, wenn ihre Familie vollzählig anwesend war.

Elena betrat das Wohnzimmer und hoffte mit jeder verstrichenen Sekunde, dass Zira um die Ecke schoss, um den mutmaßlichen Fremdling anzukläffen, gefolgt von ihrer Mutter und Ren, ihrer kleinen, rebellischen Stiefschwester, die mit erhobenen Stimmen wegen einer Bagatelle stritten.

Ungeachtet der knisternden Matten schob sich Elena behutsam vorwärts, darauf bedacht, ihre Wachsamkeit zu keiner Zeit zu vernachlässigen. Einen kurzen Moment blickte sie zur Küche, welche am Wohnraum angrenzte, zurück. Hätte sie sich mit einem Küchenmesser bewaffnen sollen?

Verärgert schüttelte Elena den Kopf, als wollte sie ihre übertriebene Furcht loswerden. Das Haus war verlassen. Nur sie war hier, niemand sonst, und doch strafte der Verstand ihren Worten Lügen. Die junge Frau spürte, dass dem nicht so war. Sie war nicht allein. Nicht mehr.

Elena wusste nicht, was es war, aber sie fühlte unablässig, dass sich jemand im Dämmerlicht des Raumes verborgen hielt. Es war, als folgte jener ihren Schritten wie ein Schatten. Sobald sie sich umwandte, war sie von drückender Stille umfangen.

Während Elena wachsam durch das Wohnzimmer schritt, sah sich die Trainerin misstrauisch um, als ob dieses Phantom sie jeden Moment zu überwältigen vermochte.

Plötzlich erfüllte Bashiras schrilles Kreischen die Luft und entlockte Elena einen entsetzten Schrei. Sie vergaß jegliche Vorsicht und stürmte ins Freie.

Kaum hatte sie den ersten Schritt getan, nahm sie einen blitzenden Funkel wahr, gefolgt von einem sirrenden Zischen. Elena versuchte in letzter Not seitlich auszubrechen, prallte aber im nächsten Herzschlag rücklings gegen einen Holzpfosten. Schmerzerfüllt verzerrte sie das Gesicht, doch als erneut der silberne Blitz auf Elena herabfuhr, ruhte ihre linke Hand bereits auf dem Griff ihres Katanas und befreite es ruckartig aus der Scheide. Metallisches Klirren erschallte als Stahl auf Stahl traf.

Elena hielt das Langschwert schützend vor sich und keuchte überrascht, fasste sich aber im gleichen Moment wieder. Sie sah sich einem dunkelgekleideten Maskierten konfrontiert, der sogleich mit seinem Schwertarm weit ausholte, aber Elena vermochte den Hieb zu parieren, um ihrerseits zu einem Angriff anzusetzen.

Die junge Frau stürmte vorwärts. Schneller als das Auge zu folgen vermochte, wirbelten die Klingen. Furchtlos gab sich Elena dem Tanz hin.

Der Unbekannte wehrte spielerisch leicht ab und duckte sich unter einem Schwerthieb. Ein überraschender Faustschlag in die Magengegend ließ Elena straucheln und schwer keuchen.

„Arschloch“, fauchte Elena und nutzte das misstrauische Beäugen des anderen, um etwas mehr über ihren Gegner zu erfahren. Die Gestalt war nicht besonders groß, kaum größer als sie selbst, schätzte Elena, wirkte aber sehr zart und schlank.

Eine halbe Portion, bezeichnete die junge Frau ihren Konkurrenten, der sie derartig hinterrücks attackiert hatte. Enttäuscht hatte Elena aber festzustellen, dass Augen, Mund und Nase von einer Maskerade verdeckt waren – wie ein Phantom, das sich in den Schatten verborgen hielt, um nicht enttarnt zu werden.

Dass seine Brust von einer Lederrüstung geschützt war, erkannte Elena, als ihre Blicke weiter hinab wanderten. Zudem trug er eine eng anliegende schwarze Hose und ebenso dunkle Stiefel, welche mit Eisen beschlagen waren.

Wut tastete nach ihr, als sie das das charakteristische Emblem Team Rockets erblickte, aber Elena wusste wie verhängnisvoll es war, sich von Gefühlen leiten zu lassen. Besonders im Kampf.

Wie Raubtiere belauerten Elena und ihr Feind sich nun, abwartend, wer den ersten Streich zu wagen schien.

Dann griff der Maskierte an, und ein wahrer Hagel von Schlägen fuhr auf Elena nieder. Schritt um Schritt trieb er die Frau auf eine Wand zu. Elena vermochte seinen Hieben nur Einhalt zu gebieten. Seine Klinge streifte den Oberarm der jungen Trainerin und hinterließ eine klaffende Wunde.

Elena stieß einen Schmerzenslaut aus, hieb verzweifelt nach ihrem Widersacher und schlitzte ihm mit einem Rückhandschlag eine lange, flache Schramme in die Lederrüstung.

Im selben Moment durchbrach erneut ein Stoß ihre Deckung. Sie riss den Kopf zurück und trug dennoch eine Schnittwunde an der Wange davon.

Blut sickerte aus dem Riss, der wie Feuer brannte. Elena fluchte und wischte sich mit einer fahrigen Handbewegung über die Wange, während der Fremde zu einem tiefen Angriff ansetzte, der auf die Leisten der jungen Frau zielten, aber sein Katana wurde abgeblockt.

Mit einer Drehung des Handgelenks schlug sie die Waffe des Maskierten zur Seite. Eine schnelle Gegenoffensive zerschnitt ihm die Lederrüstung dicht unter seiner Kehle.

Nur einen Zoll höher hätte Elena ihm den Hals durchtrennt. Deswegen war kein Kampf, der endete, sobald der Gegner entwaffnet worden war oder mit einem hölzernen Shinai spielerisch an der Brust berührt und als „tot“ erklärt wurde. Es war ein Kampf, der endete, sobald einer elendig zugrunde ging und seinen Wunden erlag.

Ein Wutschrei löste sich aus der Kehle des anderen, als er sich blindwütig auf Elena stürzte, die tänzelnd seinem unpräzisen Schlag entgehen wollte. Doch mit einer Drehung des Handgelenks verwandelte der Fremdling den Hieb unerwartet in einen Stoß. Die Spitze fand seinen Weg zwischen Elenas Rippen, doch die Klinge drang allerdings durch das robuste Wildleder ihres Mieders nicht allzu tief ein.

Als der Schmerz ihre Gedanken zu beherrschen versuchte, war Elena mit knapper Not einen Satz zurückgesprungen, hatte aber das Übel nicht zu verhindern wissen. Dunkles Blut tränkte den Stoff ihrer Bluse und den ledernen Mieder. Keuchend presste sie nun die Hand auf die Stelle, an der die Schwertspitze leicht Stoff und Haut durchdrungen hatte.

Ihr blieb nicht genügend Zeit, um die Wunde eingehend zu betrachten, denn wieder sauste die Klinge des Gegners auf sie herab. Dieses Mal parierte Elena rasch, gleichzeitig entdeckte sie eine Lücke in der Verteidigung ihres Gegners. Sie duckte sich tief, machte einen Ausfallschritt und stieß ihrem Widersacher das Katana unter der Achsel hindurch. Die Klinge schrammte am Schulterblatt entlang, und sie befreite es mit einem Ruck.

Der Fremde stieß einen überraschten, schrillen Schmerzensschrei aus und wich zurück. Blut quoll aus seiner Schulter und durchweichte das feste Material der Lederrüstung. Ihm entkam ein gequältes Stöhnen, als der Schmerz ihn zu übermannen drohte.

Mit wirbelnden Schlägen ging er plötzlich wieder auf Elena los und drosch auf sie ein. Dieser Kampfstil… Irgendwie kam er ihr bekannt vor. Ihr blieb jedoch kaum ein Herzschlag, um, befreit vom Adrenalinrausch, einen klaren Gedanken zu fassen.

Jeder Schlag ließ die Klinge in ihrer Hand vibrieren und mit jeder Abwehr eines weiteren Hiebes schmerzten Elenas Arme mehr.

Dann ließ ein Tritt sie straucheln. Das Katana des Phantoms fuhr nieder, und Elena konnte den Hieb der rechten Hand abwehren. Doch mit der linken traf der Eindringling Elena mit dem Knauf eines unerwartet gezückten Dolches seitlich an den Kopf.

Benommen taumelte Elena zurück. Grelle Punkte tanzten vor ihren Augen, und ihren taub gewordenen Fingern entglitt beinahe das Schwert. Sie versuchte den Schmerz zu verbannen, als ein zweiter Streich auf ihren Kopf gelenkt wurde. Elena riss ihren Schwertarm empor, um sich zu schützen, und wurde halb wahnsinnig, als ihr Körper gepeinigt aufjaulte. Sie wehrte die Klinge ab und durchbrach die Deckung des Fremden.

Ein weiteres Mal fuhr das Stahl ihres Katanas in sein Fleisch. Die Schneide bohrte sich zwischen Schlüsselbein und Schulterblatt und trat am Rücken wieder heraus. Als Elena das Langschwert herauszog, floss die rote Wundflüssigkeit an den Rändern der Verletzung hinab, während der Maskierte ein schwaches Röcheln von sich gab.

„Noch kannst du es beenden und aufhören“, warnte Elena schwer atmend, aber in ungezügelter Wut ging er nun auf Elena los. Seine Hiebe waren schlechter gezielt als zuvor. Die Wildheit seiner Angriffe trieb Elena dennoch in die Defensive. Sie wich zurück, duckte sich oder drehte sich weg und schaffte es kaum noch, ihrerseits einen Hieb zu setzen.

Der Fremde drängte sie von der hölzernen Veranda hinab und zwang sie zwischen den Büschen und Sträuchern hindurch zu gehen.

Elena spürte, wie ihre Kräfte allmählich nachließen. Sie parierte einen Hieb und tauchte unter einen Rückhandschlag hinweg. Mehr vermochte sie nicht zu tun.

Klirrend schlug Stahl auf Stahl, und jede Parade nahm Elena ein wenig mehr von ihrer Kraft. Mit einem hastigen Sternenschritt löste sie sich aus dem Kampf, aber sofort setzte der Fremde ihr nach. Er ließ es nicht zu, dass der Kampf nur einem Atemzug ins Stocken geriet. Erbarmungslos trieb er Elena vor sich her, und ihr blieb keine Zeit, um nach ihrem Gürtel zu greifen und einen Pokéball von der Halterung zu lösen.

Sie musste die Initiative zurückgewinnen, sonst war ihre Niederlage unabwendbar!

Ein wuchtiger, aus Verzweiflung entsprungener Hieb fegte dem Fremden den Parierdolch aus der Hand. Klappernd fiel jener auf die Trittsteine.

Sofort folgte ein Stich durch die Lücke, die nun in seiner Deckung klaffte. Elena warf sich zur Seite, um der Riposte zu entkommen, und doch schnitt kalter Stahl durch ihre Bluse. Aus dem Gleichgewicht geraten, stürzte Elena zu Boden, als sie einem zweiten Hieb auswich. Helle Punkte blendeten sie einige Herzschläge lang.

Ihr Widersacher verfehlte sie so knapp, dass Elena den Luftzug der Klinge auf ihrer verletzten Wange zu spüren vermochte. Die junge Frau warf sich nach vorne. Ihre Finger umfassten das Heft des Parierdolches, der daraufhin niederstieß und dem Fremden knirschend in die Kniekehle fuhr.

Mit verzagter Miene knickte jener seitlich ab, versuchte im Fall aber einen schlecht gezielten Hieb auf Elenas Kopf zu führen. Sie duckte sich und rollte sich ab, während der Fremde den Dolch aus dem Knie zog.

Wütend schleuderte er diesen auf Elenas Brust, doch die Klinge verfehlte sie um Haaresbreite und bohrte sich stattdessen in die Schulter. Mit fliegender Hast zog Elena sie heraus, und Blutsprenkel befleckten ihr schmerzverzerrtes Gesicht. Ihr entkam ein Stöhnen, als sie nur noch die stechende Qual wahrnahm, die ihren Leib strafte. Die Augenlider begannen zu flattern, die Sicht wurde zunehmend unscharf, und sie wehrte sich, dass der Schwindel sie in die gähnende Schwärze riss.

Achtlos warf die junge Frau den Parierdolch zur Seite, während der Stahl über die Trittsteine schepperte und irgendwo zwischen den Beeten zum Erliegen kam.

Elena hielt das Katana leicht angewinkelt, bereit zur Parade. „Na, werden wir langsam bockig?“, keuchte sie grinsend, aber ihr Gegenüber erwiderte nicht.

Soweit wie sein verletztes Bein es ihm erlaubte, schob er sich langsam vorwärts und belauerte Elena, um einen günstigen Augenblick zu erhaschen.

Aber die junge Frau gab ihm nicht die Gelegenheit dazu. Einen Wutschrei ausstoßend, hob er seinen Schwertarm und schmetterte er im blindem Zorn gegen Elenas Klinge. Er kämpfte nun wie ein Berserker. Ihr blieb erneut nichts anderes übrig, als zurück zu weichen oder die Hiebe zu parieren.

Doch da knickte das Bein des Fremden seitlich weg und die Verletzung des Knies forderte nun ihren Tribut. Elena sah den Moment gekommen, um ihrerseits einen Streich zu setzen.

Der Maskierte wollte ausweichen, aber sein lahmes Bein gehorchte ihm nicht mehr. Mit einem Rückhandschlag traf sie ihm am Handgelenk und prellte mit jenem lässigen Hieb dem Fremden das Katana aus der Hand.

Elena hielt ihm wenige Zentimeter die Klinge an die Kehle, während das Langschwert neben ihnen klirrend auf dem Boden prallte. „Tot“, triumphierte die junge Frau, vermochte aber nicht, ihm das Leben zu nehmen.

Wortlos standen sich die Konkurrenten keuchend gegenüber. Dichte Atemwölkchen hatten sich vor Mund und Nase gebildet. Elena sah alles verschwommen. Ihr ganzer Leib schien nur noch Schmerz zu sein. Ihre Beine war jedes Gefühl entwichen, so als gehörten sie gar nicht mehr zu ihr.

Und jeder Atemzug schmerzte. Wie eiserne Fesseln schienen ihre Rippen um ihre Lunge zu liegen.

Unschlüssig trat der Maskierte einen Schritt zurück, aber Elena sah nicht davon ab, die Klinge zu senken. Als er plötzlich einen Dolch aus dem Verborgenen zückte, agierte Elena blitzschnell. Sie rammte ihm den Knauf in die Magengrube und schubste den Fremden zu Boden.

„Na, na, da will sich wohl jemand nicht mit der Niederlage zufrieden geben“, sprach Elena und schob ihr Katana zurück in die Scheide. Ihr Feind vermochte ihr nicht mehr gefährlich zu werden.

Doch erst jetzt ließ Elena ihren müden Blick wandern und intuitiv suchten ihre Augen den Himmel nach Bashira ab. Geräusche, die durch Metall, Eisen oder Stahl verursacht wurden, fürchtete das Aerodactyl und rief eine tief verborgene Angst in dem Reptil hervor seit Elena sie kannte.

Bashira kreiste hoch oben und beobachtete das Szenario in weiter Entfernung. Sie stieß einen langgezogenen, gequälten Schrei aus, dann wandte sich Elena ab und fasste das Katana ihres Gegners ins Auge. Es war dem ihren sehr ähnlich. Obwohl es üblich war, dass die Schneide gekrümmt oder zumindest leicht gebogen war, war diese Klinge bloß leicht geschwungen – sowie bei ihrem Katana. Der Griff – oder auch Tsuka genannt – war mit einem Seidenband umwickelt und wurde von hellen Rauten, welche zur besseren Griffigkeit mit Papierstücken unterlegt waren, durchbrochen. Diese Schmiedekunst… Sie war einzigartig, und das wusste Elena. Sie kannte den Schmied in seinem Werk wieder, welcher seitjeher in den Diensten der Familie stand.

Jedes Familienmitglied der Takigawas war im Besitz eines solchen Schwertes, nach den Wünschen und Bedürfnissen des Auftragsgebers angefertigt. Stets war der Name des Eigentümers auf dem Griff signiert.

Als Elena den Schaft genauer betrachtete, erhaschte sie einen Blick auf die Gravierung und erkannte ein simples Schriftzeichen, welches sie, trotz ihrer mangelnden Lesekenntnissen von japanischen Schriftzeichen, als einen Namen erkannte.

Mit wachsendem Entsetzen starrte Elena auf das Schwert, dann blickte sie in die Augen ihres Gegenübers. „Ich kenne dich!“, entfuhr es Elena, während ihren ohnehin taub gewordenen Fingern das Katana entglitt. Die Art und Weise, wie ihr Widersacher das Schwert schwang, wenn etwas aus den Fugen geriet, kam Elena verdächtig bekannt vor. Da war der Moment gekommen, dass sich aus dem gesamten vorausgegangenen Kampfstil ein vollständiges Bild in ihrem Geist ergab, zusammengesetzt aus einzelnen Puzzleteilen.

Keuchend stierte Elena ihren Angreifer an, der sich nun wie in Zeitlupe aufraffte. Und da stürzte sich Elena vorwärts, schob die Finger unter dem Stoff und riss ihm die Maske herunter.

Vor ihr, im Schatten des vertrauten Heims und umgeben von nackten Büschen und Sträuchern, stand ihre Stiefschwester Ren.



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