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A snowman, that brings the death

A supernatural story
von

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Prolog

Meine erste FF zu Supernatural ...
 

Was soll ich groß sagen? Ich liebe die Serie sowie die Jungs, und diese Story spukt seit letzten November in meinem Hirn herum.

Schuld daran ist ein simpler Schneemann, den ich mit eigenen Händen errichtet habe (man lese und staune ^^) und dem ich ein recht krankes Eigenleben angedichtet habe. Irgendwie ließ mich das dann einfach nicht mehr los und nachdem ich eines Tages kurz vor dem Jahreswechsel allein meine Runden auf einem zugefrorenen Teich gedreht habe, stand dann auch der Plot zur Story fest.

Ich hoffe, sie gefällt euch und ihr hinterlasst mir eure Meinungen dazu.
 

Und keine Sorge, falls ihr im Prolog Dean und Sam vermisst, sie erscheinen mit dem ersten Kapitel in gewohnter Manier ^^
 


 

Coulee City, Washington
 

Stahlkufen gruben sich knirschend in das dicke Eis des Banks Lake, der sich wie ein langes, aber mächtiges Reptil an zu dieser Jahreszeit kargen Felsen vorbeischlängelte. Dutzende von Menschen, unter ihnen auch Kinder aus der naheliegenden Kleinstadt, tummelten sich fröhlich lachend und übermütig schreiend auf dem zugefrorenen Gewässer. Der bereits seit zwei Wochen andauernde Frost und nun auch vor wenigen Stunden einsetzende Schneefall hatte die Gegend rund um Coulee City, welches malerisch an dem eher schmalen See lag, in eine eindrucksvolle Winterlandschaft verwandelt, wie man sie sonst nur aus prächtigen Bildbänden kannte. Die wenigen Bäume, welche rund um den See verstreut lagen, als hätte sie jemand verloren, waren mit zartem Raureif überzogen, der sich durch die leise umherwirbelnden Schneeflocken noch verstärkte.
 

Ein kleiner schwarzer Gegenstand flog ähnlich eines jagenden Raubvogels dicht über das Eis, verfolgt von kreischenden Kindern, die allesamt Hockeyschläger in den Händen hielten und dem kleinen Ding, das sich als Puck entpuppte, hinterhereilten. Einige unter ihnen gingen in dem spielerischen Gerangel um das heißbegehrte Objekt zu Boden, stemmten sich jedoch mit Hilfe ihres Schlaggerätes sofort wieder auf die Beine, um johlend weiter um den Sieg dieses Spieles zu kämpfen. Ab und zu wanderten die besorgten Blicke der anwesenden Erwachsenen zu der lauthals ihren Spaß herausschreienden Gruppe – auch, wenn es nicht ihre eigenen Sprösslinge waren, so hatten sie stets ein Auge auf sie, schließlich kannte hier jeder jeden - doch die Rasselbande ließ sich nicht so schnell von ein paar blauen Flecken beeindrucken, die sie von ihrem wilden Spiel sicherlich davontragen würden.
 

Ungeachtet der voranschreitenden Tageszeit bemerkten sie kaum, wie die Sonne gemächlich, aber doch weitaus flinker als es zu anderen Jahreszeiten der Fall war, begann, sich hinter den um den See aufragenden Felsen zu verbergen. Erst, nachdem sich das doch zunächst überaus hohe Aufkommen der Menschen, die ihren Tag auf dem Eis verbracht hatten, lichtete und ein älterer Mann, der in Begleitung eines kleinen Jungen, vermutlich sein Enkel, die Kinder darauf aufmerksam machte, dass es an der Zeit wäre, nach Hause zu gehen, unterbrachen sie ihr Spiel.
 

„Packt eure Sachen zusammen, Leute!“, bestimmte eines der Mädchen, eine für ihr Alter bereits hochgewachsene Braunhaarige mit langen glatten Strähnen, die sie zu einem Zopf gebunden hatte, ihren Aufbruch. „Wenn wir nicht vor dem Dunkelwerden zu Hause sind, dann war´s das dieses Jahr mit Eishockey.“
 

Leicht verstimmtes Murren hallte ihr von ihren Freunden, zwei anderen Mädchen und fünf Jungen verschiedenen Alters entgegen, aber ohne ein weiteres Aufmucken verstauten sie ihre Schlittschuhe, sammelten den Puck ein und schulterten ihre Eishockeyschläger. Einer nach dem anderen kletterten sie die Uferböschung hinauf, dabei verwundert bemerkend, dass sie die letzten waren, die den See verließen. Den Kleinsten unter ihnen, einen hellblonden Jungen mit wachen blauen Augen, mussten sie allerdings das kaum nennenswerte Gefälle hinaufziehen, da er mit seinem viel zu schweren Rucksack immer wieder abrutschte, was ihm von jedem ein belustigtes Kichern einbrachte.
 

„Hört auf zu lachen!“, begann er zu fauchen, sich trotz seiner geringen Größe eingängig zu wehren wissend und schenkte jedem unter ihnen eine biestige Grimasse, die eine unverkennbare Warnung an sie alle darstellen sollte, doch diese entlockte ihnen, sehr zu seinem Ärger, nur noch weitere glucksende Geräusche.
 

„Dennis“, maßregelte ihn ein älterer Junge und zeigte auf den Rucksack, den der Kleinere geschultert hatte und der ihn von seiner Größe her beinahe überragte. „Wieso musstest du auch so etwas mitschleppen?“
 

„Kann ich etwas dafür, wenn Mum darauf besteht, für uns alle Tee zu kochen und mir den in die Tasche steckt, hä?“, beschwerte sich der kleine Wicht. „Und jetzt habt ihr nicht einmal etwas davon getrunken und ich kann den ganzen Kram wieder nach Hause tragen.“ Mit einer beleidigten Schnute musterte er die anderen Kinder, die einander verwundert ansahen.
 

„Wenn du uns auch kein Sterbenswörtchen davon verrätst, ist es kein Wunder. Wir können schließlich nicht hellsehen, was sie dir eingesteckt hat“, sagte der größere Junge und zuckte mit den Schultern, während die anderen zustimmend mit den Köpfen nickten.
 

„Oh“, entfuhr es Dennis daraufhin und er biss sich peinlich berührt auf die Unterlippe. „Ich dachte, ich hätte es euch gesagt. Egal, dann trinken wir ihn zu Hause, sonst kriegt sie sicherlich nen Anfall und meckert, sie hätte alles umsonst gemacht.“
 

„Jetzt sollen wir auch noch ausbaden, was du vergessen hast?“, stichelte der anderen Junge, grinste dabei aber über beide Wangen. Er wollte den Kleineren nur ärgern und der fiel auch prompt darauf herein, so, wie immer, wenn die Brüder sich zankten. Jedem konnte er trotzen, egal, wer da kam und versuchte, ihn zu necken, aber bei ihm, seinem großen Bruder, saß er auf verlorenem Posten.

Tränen traten in die Augen des Blondhaarigen, er mochte es nicht, wenn Blake das tat.
 

„Sie ... wollte ihn dir ja mitgeben, aber ... du warst so schnell aus dem Haus, da hat sie ihn ... mir in die Hand gedrückt“, schniefte er und wischte sich die laufende Nase mit dem Ärmel ab. „Nie wartest du auf mich und ich bekomm dann immer den Ärger ab für alles.“
 

Ein Seufzen entwich dem großen Jungen und die Augen genervt verdrehend strich er sich das ebenso weizenblonde Haar nach hinten, welches ihm wirr in die Stirn fiel.
 

„Mann, musst du immer gleich flennen, Dennis? Ich hab es doch nicht so gemeint.“ Aber die Tränen des Angesprochenen dachten gar nicht daran, so schnell zu versiegen und so liefen sie wie kleine glitzernde Diamanten die geröteten Wangen des Jüngeren hinunter.
 

„Dennis ...“, versuchte es Blake noch einmal und sah seinen kleinen Bruder entschuldigend an, die Hände dabei nervös in seinen Hosentaschen vergrabend, doch das Mädchen mit den langen dunklen Haaren, welches ihren Aufbruch bestimmt hatte, kam ihm zuvor.
 

„Hey, pscht“, machte sie und drückte den weinenden Zwerg kurz an sich, woraufhin er tatsächlich aufhörte zu schluchzen und in ihre grasgrünen freundlichen Augen blickte. „Du brauchst nicht zu weinen, Blake benimmt sich nur mal wieder ...“, sie starrte mit hochgezogenen Brauen zu dem soeben Genannten hinauf, „wie ein kompletter Idiot, das müsstest du doch mittlerweile kennen.“
 

„Kayla!“, fauchte der Ältere der Brüder ungehalten und sah das hübsche Mädchen zornig an, doch sie schwebte nur an ihm vorüber und sagte leise, so dass die anderen es nicht hören konnten: „Er ist dein Bruder, Blake, wie wäre es, wenn du dich endlich auch mal wie seiner benehmen würdest?“ Forsch schmiss sie ihm den Rucksack des Jüngeren, den sie diesem soeben abgenommen hatte, in die Arme, so dass Blake keuchend darunter in die Knie ging und sich im selben Atemzug, der ihm dabei aus der Kehle gepresst wurde, fragte, wie Dennis, das schmächtige Hemd, so etwas überhaupt hatte tragen können. Der ging an der Hand seiner selbst ernannten Beschützerin an ihm vorüber, den Blick etwas schuldbewusst nach unten gerichtet, als wollte er ihm stumm mitteilen, dass ihm der Ausgang dieser Sache leid tat.
 

Vor Wut grunzend folgte er dem Trott seiner Freunde, die sich, da dieses Thema nun wohl gegessen war, eifrig lachend und plappernd vor ihm nach Hause bewegten. Schnell hatte er sie eingeholt und schob sich neben seinen Bruder, der noch immer an der Hand von Kayla ging, die Blake sofort mit warnenden Blicken bedachte, welche er jedoch geflissentlich ignorierte.
 

„Weichei“, flüsterte er Dennis in das eine Ohr, welches seine dicke Wollmütze frei gegeben hatte und verzog dabei die Lippen zu einem Schmunzeln, als er das aufkeimende Schmollen seines Bruders bemerkte. Kayla holte schon tief Luft, um ihm Paroli zu bieten, aber da schoss schon die dementsprechende Antwort aus dem Mund des Kleineren hervor.
 

„Idiot.“

„Mamakind.“

„Blödmann.“

„Warmduscher.“
 

Ein übermütiges Kieksen suchte sich seinen Weg an die Oberfläche und Dennis rannte kreischend hinter seinem Bruder her, der mit einem gespielt panischen Ausdruck auf dem Antlitz hilfeschreiend vor dem Jüngeren floh, nachdem die anderen Kinder lachend auseinander stoben, damit sie nicht umgerannt wurden. Währenddessen sah Kayla den beiden Jungen kopfschüttelnd hinterher, den Rucksack mit dem Tee, den Blake einfach vor ihre Füße geworfen hatte, aufklaubend.
 

„Männer“, seufzte sie genervt und legte die behandschuhten Hände, nachdem sie sich die schwere Tasche auf den Rücken geworfen hatte, über ihre vor dem eisigen Wind ungeschützten Ohren. „Und in sowas soll ich mich mal verlieben? Niemals.“
 

Mit einem erschöpften Japsen ließ sich Blake in den frisch gefallenen Schnee fallen, der ihn sofort kalt umrahmte, als sei er ein Gemälde, das man perfekt zur Geltung bringen musste. Die Zweige der Bäume, welche zu allen Seiten von ihm wie stumme Wächter standen, leuchteten im Licht der untergehenden Sonne wie seltene Edelsteine, da sich der Raureif durch die nun sehr schnell fallenden Temperaturen zu Eis verwandelt hatte. Fröstelnd sah er sich um. Er war in den kleinen Wald, der sich wie ein verschmuster Kater an ihre Stadt schmiegte, hineingelaufen, während er sich vor Dennis auf der ´Flucht` befand. Die anderen hatte er scheinbar weit hinter sich gelassen.
 

Wo war die kleine Kröte eigentlich?
 

Ein Rascheln direkt neben ihm lenkte seine Aufmerksamkeit auf ein Gebüsch, aus dem auch sofort mit einem lauten „WUAAAAAAAH!“ sein Bruder hervorbrach und sich schreiend auf ihn warf, so dass ihm mit einem Satz die Luft aus den Lungen gepresst wurde.
 

„Hab dich!“, bemerkte Dennis überflüssigerweise und musterte ihn gewitzt; seine Mütze saß nur noch windschief auf seinem Blondschopf. Dass er sie überhaupt noch hatte, grenzte an ein Wunder, aber womöglich hatte es sich die Mütze zweimal überlegt, ob sie den warmen Kopf lieber mit dem eiskalten Schnee tauschen sollte.
 

„Das bemerke ich auch“, keuchte Blake zur Antwort und kitzelte den Kleineren flink am Bauch, was zur Folge hatte, dass dieser kichernd von ihm herunter rutschte und ebenso in dem kühlen Niederschlag landete. „Du bist ganz schön lahm, ich dachte, du kommst gar nicht mehr.“ Aber anstatt einer entrüsteten Antwort schlangen sich plötzlich zwei kurze Arme um seinen Oberkörper und ein Kopf mit einer Mütze, die ihm nun beinahe im Gesicht hing, drückte sich an seine Brust. Verwirrung machte sich in dem Älteren breit und er versuchte, zwischen dem kratzigen Wollstoff hindurch seinen Bruder auszumachen.
 

„Dennis?“, wühlte es sich durch die Flusen und er spuckte sie angewidert aus.
 

„Ich hab dich lieb, Blake.“
 

Schweigen hallte durch den Wald, nur das Flüstern des Windes, der Geschichten aus aller Welt durch die Lande trug, pfiff an die Ohren der Brüder. Umständlich setzte sich Blake auf und sah über den Jüngeren hinweg, der ihn plötzlich mit der bitteren Vermutung, etwas Falsches gesagt zu haben, anstarrte, doch der Größere rückte mit einem Male seine Mütze wieder richtig, so dass sie ihrer Funktion, die bereits halb erfrorenen Ohren zu wärmen, genüge tat.
 

„Sonst flippt Mum noch aus“, erklärte Blake sein Handeln unbeholfen, doch Dennis wusste, was er damit ausdrücken wollte. Sein großer Bruder hatte ihn genauso lieb und daran würde sich niemals etwas ändern, solange sie lebten. Er zeigte dies allerdings nur nie in dem Ausmaß, wie Dennis es tat, weswegen Blake ihn ja ein ´Weichei` nannte.
 

„Komm“, hörte er die Stimme des Älteren und sah, wie dieser bereits aufgestanden war und sich den Schnee aus der Kleidung klopfte. „Wenn wir uns nicht beeilen, dann ist es dunkel, bevor wir zu Hause sind und du weißt ja, was das bedeutet.“
 

„Yap“, nickte der Kleinere und sprang wie ein junges Fohlen in die Höhe. „Hausarrest. Wie ich das hasse.“
 

Ein Lachen explodierte in Blakes Kehle, nachdem diese Worte den Mund seines kleinen Bruders verlassen hatten. Manchmal redete er doch wie ein Erwachsener. Vielleicht, weil ihr Dad ihn oft zu den Skatabenden mitnahm, die ihn selbst so langweilten.
 

Vergnügt beobachtete Dennis den Größeren. Er mochte es, wenn Blake fröhlich war, denn zu oft war dieser in der letzten Zeit in sich gekehrt und schweigsam gewesen. Hatte er ihre Mum gefragt, woran das läge, hatte diese geantwortet, dass es das Alter sei, in dem sich Blake gerade befand. Dann war man einfach so. Wenn er darüber so nachdachte, dann wollte er niemals in dieses Alter kommen, so etwas war doch einfach lästig für die Mitmenschen.
 

Hätte Dennis gewusst, dass Blakes vorübergehende Aufsässigkeit und das Zurückziehen in den eigenen schützenden Panzer mit dem Tod ihres Vaters vor Jahren, als der Kleinere unter ihnen erst vier Jahre alt war, zusammenhing, hätte er das Verhalten seines großen Bruders still hingenommen, da ihm selbst bewusst war, wie es sich anfühlte, jemanden zu verlieren, den man liebte.
 

Rasch fasste er nach der Hand seines Bruders, der dies auch ausnahmsweise mal geschehen ließ und ihn nicht mit einem wütenden Gefauche vertrieb. Und mit einem Male war er froh, so einen Bruder zu haben, einen Freund fürs Leben, mit dem einem mehr verband als dies je mit anderen Menschen möglich war.
 

Eine ungewohnte Wärme erfüllte das Innere des älteren Jungen, nachdem er über die wenigen, aber ausdrucksvollen Worte des Kleineren nachdachte. Dennis nahm ihn so, wie er war, mit all seinen Ecken und Kanten, die nun mal jeder Mensch mit sich herumtrug. Lächelnd umfasste er die Hand seines Bruders fester und beschleunigte seine Schritte, denn obwohl er und auch all seine anderen Freunde sich gerne in dem Waldstück aufhielten und hier oft spielten, fühlte er sich an diesem späten Winternachmittag hier nicht so wohl wie sonst. Das Wissen, was er über diesen Ort mit sich herumtrug, steigerte zunehmend seine Nervosität.

Er war heilfroh, sobald sie die Treppen zur Haustür hinaufstiegen und der würzige Duft der frischgebackenen Zimtsterne, die ihre Mutter noch zubereiten wollte, ihre Nasen verwöhnte. Doch plötzlich riss sich der Jüngere von ihm los und lief vor Freude juchzend in einen kleinen Trampelpfad hinein, an dessen Seiten eingefrorene Brombeerbüsche und Dornengestrüpp hervorragten. Die Stirn runzelnd starrte ihm Blake hinterher.
 

„Dennis!“, rief er, aber alles, was von seinem Bruder zurückschallte, waren regelrechte Begeisterungsausbrüche über irgendetwas, das er zu entdeckt haben schien.
 

„Dennis!“, wiederholte der Größere weitaus energischer, denn die wenigen Sonnenstrahlen, welche ihnen soeben noch den Weg nach Hause beleuchtet hatten, waren nun gänzlich verschwunden. „Komm endlich! Wir können morgen auch noch mal hierher kommen, wenn es hell ist, hörst du?“
 

Blake wartete, aber keine Antwort erreichte seine von der zunehmenden Kälte geröteten Ohren. Fröstelnd zog er die Schultern nach oben, damit das Fell seiner Kapuze zumindest einen Teil von ihnen wärmte, bevor er zögernd ein paar Schritte auf den Trampelpfad zuging, in dem sein Bruder verschwunden war. „Den? Komm, verarsch mich nicht! Das ist nicht besonders lustig! Denk an Mum, sie wird außer sich sein, wenn wir erst im Dunkeln nach Hause kommen und ich habe darauf absolut keine Lust und du sicher auch nicht.“
 

Wieder keine Reaktion. Langsam beschlich den Jungen ein ungutes Gefühl, sein Magen zog sich schmerzerfüllt zusammen wie bei einer unangekündigten Mathearbeit, die er hundertprozentig in den Sand setzen würde. Winzigkleine Schneeflocken tanzten um ihn herum, als er den Pfad betrat, in dem sein kleiner Bruder etwas entdeckt zu haben schien, von dem es sich lohnte, den unbarmherzigen Zorn einer sorgenvollen Mutter auf sich zu ziehen, die gewiss schon die Polizei alarmiert hatte, weil ihre Söhne bereits eine halbe Stunde über der Zeit waren.
 

„Danny?“ Normalerweise müsste der Jüngere jetzt wutentbrannt aus den Büschen springen, zwischen denen er sich bestimmt verborgen hatte, um seinem großen Bruder einen Streich zu spielen, denn er hasste diesen Spitznamen, den Blake ihm verpasst hatte, wie nichts anderes. Aber erneut geschah nichts, kein Knurren oder wütendes Zischen war zu erahnen, welches der Kleinere in diesen Situationen stets zum Besten gab, kein unbedachtes Rascheln der Zweige, welche er definitiv gestreift hätte, sofern er diesem Versteck entfliehen wollte, um sich für den Ausruf dieses Namens zu bedanken. „Hey“, rief Blake mit zitternder Stimme, während das Gefühl begann seinen Magen wie einen nassen Schwamm zusammenzudrücken. „Jetzt mach keinen Mist und zeig dich wieder, dein großer Bruder hat nämlich langsam die Hosen voll, jaaaaaa, du hast es geschafft, zufrieden?“ Mit ausgestreckten Armen drehte sich der Junge um sich selbst, aber kein Zwerg kam aus dem Gestrüpp geflitzt, um ihn vor Vergnügen gackernd halb umzurennen.
 

„Den“, flüsterte Blake, während er mit Schrecken fühlte, wie die Angst wie tausend eklige Käfer seine Kehle hinaufkrabbelte. „Wo bist du?“ Hektisch begann er, die Büsche zu durchforsten, jeden einzelnen, in dem Dennis vielleicht stecken könnte und grinsend dem unsinnigen Treiben seines Bruders zusah, wie dieser eindringlich hoffte, aber nirgendwo war ein Lebenszeichen des Kleinen zu finden. Dornen hatten sich bereits in den Stoff seiner Winterjacke gegraben und dort tiefe Furchen hinterlassen, aber das bemerkte der Junge gar nicht. Immer wieder ging er den kurzen Pfad auf und ab, dessen Ende von Bäumen und Sträuchern begrenzt war, durch die es kein Durchkommen gab, außer für ein Kaninchen oder einen Fuchs, aber keineswegs für einen Jungen von Dennis´ Größe.
 

Als er das Gestrüpp bereits mehrere Dutzend mal durchkämmt hatte, dabei jedoch nur auf reichlich Kleingetier gestoßen war, was ihn mit wütenden Pfiffen bedacht hatte, kam ihm etwas in den Sinn, das er zu Beginn des eigenartigen Verschwindens seines Bruders ohne weiteres Interesse beiseite geschoben hatte. Dennis´ Fußabdrücke im Schnee waren ins Leere verlaufen: sie hörten in der Mitte des Pfades einfach auf, als wären ihm Flügel gewachsen, mit deren Hilfe er davon geschwebt war. Lähmende Furcht überkam den Blondhaarigen, die wie flüssiges Feuer in seinen Eingeweiden brannte und ihn in die Knie zwang. Verzweifelt nahm er den im fahlen Licht des aufgehenden Mondes hell glänzenden Schnee zwischen die behandschuhten Finger, dessen winzige Flocken ähnlich zig vom Himmel gefallener Sterne glänzten und betrachtete ihn eingängig, als erwartete er Antworten von dem kühlen Nass.
 

„Du bist nicht hier, Den, hab ich recht?“ Seine tiefblauen Augen, die denen seines Bruders so sehr ähnelten, starrten ins Leere. „Aber wenn nicht hier, wo dann?“
 

Ein plötzlich aufkommender Wind strich ihm durch das Gesicht und ließ ihn zusammenzucken, nachdem etwas in sein Ohr flüsterte, dessen Laut ihn Hoffnung schöpfen ließ, aber es klang so unglaublich weit weg, dass er es kaum glauben konnte.
 

„Dannyyyy! Kannst du mich hören?!“, brüllte er mit dem letzten bisschen Kraft, was ihm noch gegeben war und sprang auf, hektisch atmend hin- und herlaufend, während er dabei auf weitere Signale seines Bruders wartete. „Wenn du mich hören kannst, dann gib mir ein Zeichen, okay?! Irgendetwas, du kannst mich sogar Idiot rufen, wenn du willst, ich bin dir dann nicht mal böse, nur bitte, bitte ... mach dich bemerkbar!“
 

Doch das einzige, was ihm eine Antwort gab, war der Wald mit seinen unzähligen Geräuschen, welche das Leben um ihn herum ausdrückten. Aber das seines Bruders schwieg wie ein düsteres, der Ewigkeit übergebenes Grab, in dem nur Eiseskälte herrschte.
 

„Den ... Mum wird weinen, wenn du nicht nach Hause kommst und Ben, also Dad ... er wird versuchen, stark für uns zu sein, aber ich glaube, still und heimlich wird er ebenso weinen wie Mum ... und ich auch ... also bitte ... bitte, komm mit mir.“
 

„Blake?!“
 

Eine Stimme zerriss die Stille um ihn herum wie eine brutale Hand ein Stück Papier. Mit einem erwartungsvollen Ausdruck auf dem kindlichen Gesicht wirbelte der soeben Gerufene herum, hoffend, einen blondhaarigen Strubbelkopf, den er um ein Vielfaches überragte, vor sich zu sehen, samt tiefblauer Augen, die ihn vorwitzig, aber auch um Verzeihung heischend anblinkerten, aber alles, was ihn mit Kälte und Bitterkeit bedachte, war der dahinschwindende Nachmittag, welcher vor der düsteren Nacht floh.
 

Wieder hallte die Stimme an sein Ohr, eindringlicher nun, ängstlicher als noch zuvor und Blake erkannte sie. Sie gehörte zu einem Mädchen, ein Mädchen, das seinen kleinen Bruder auf ähnliche Weise liebte wie er und sich oft um ihn sorgte, wie wohl auch jetzt, aber scheinbar nicht nur um Dennis, sondern nun ebenso um ihn. Aber seine Antwort auf ihren Ruf blieb aus, er weigerte sich, ihr zu verraten, dass er sich ganz in ihrer Nähe befand, schob die hässliche Wahrheit beiseite, dass sein Bruder nicht da war, wo er sein sollte – beschützt an seiner Seite. Nochmals rief sie nach ihm, der Verzweiflung nahe, wie er aus der Unsicherheit ihres Klanges entnahm. Ob sie sich genauso fühlte wie er jetzt? Die Gewissheit im Herzen, etwas verloren zu haben, was nicht so einfach ersetzt werden konnte?
 

Er spürte, wie etwas seine Haare am Hinterkopf streifte und erschauderte unter der Berührung. Langsam, beinahe so bedächtig, wie die Erde sich drehte, wandte er sich um, aber dort war niemand. Nur eine bunte, selbstgestrickte Wollmütze breitete sich wie ein greller Farbtupfer auf dem öden Weiß des Schnees aus. Wie betäubt ließ sich Blake auf die Knie sinken, das Kleidungsstück nicht aus den Augen lassend. Beinahe liebevoll glitten seine Finger über den groben Stoff, als versuchten sie Antworten nach dem Verbleib des kleinen Jungen zu finden, dessen Kopf noch am Nachmittag als Zuhause für die Mütze gedient hatte, doch alles, was die schnell einsetzende Dunkelheit ihm entgegenspie, waren unheilvolle Befürchtungen und nie gekannte Angst um seinen kleinen Bruder, den die hervorrückende Nacht mit seinem düsteren Maul verschluckt hatte.
 

„Danny ... .“

Away from the sun

Lieben Dank an Lina-san und s-a-m für die Kommis, hier nun die versprochenen Winchesters in ihrem Element.
 

Viel Spaß!

Über weitere Anregungen und Kommentare würde ich mich sehr freuen.
 

Eine Charakterbeschreibung werde ich die nächsten Tage für Diejenigen, welche die Serie nicht so gut kennen, entwerfen und on stellen.
 


 

1. Kapitel: Away from the sun
 

Monroe, Washington, zur selben Zeit
 

„Dean, wie viel von diesen Dingern willst du eigentlich noch hemmungslos in dich hineinstopfen?“ Ungeduldig mit den Fingern auf den schmucklosen Tisch des Diners klopfend, in dem er und sein nimmersatter Begleiter saßen, starrte Sam Winchester auf das in Zeitlupe herunterlaufende Fett des Burgers, der sich in den Händen seines älteren Bruders befand, welcher mit einem überglücklichen Ausdruck im Gesicht herzhaft hineinbiss. Den großen Bissen wie ein Hamster genüsslich von einer Backe in die andere schiebend, dauerte es eine Weile, bis der Angesprochene antwortete.
 

„Bisch isch satt bin“, erklärte Dean dem Jüngeren und entblößte mit einem frechen Grinsen die halb zerkleinerten Brocken seines Opfers, das sich leblos in seinem Mund tummelte. Mit einem angeekelten Stöhnen auf den Lippen wandte Sam den Blick von dem sich über ihn amüsierenden Haufen ohne Anstand ab und blickte sich missmutig, aber ohne ein bestimmtes Ziel vor Augen, in dem Diner um. Warum konnten sie nicht endlich fahren? Fürs Wurzeln schlagen würden sie später immer noch genug Zeit haben, aber nun galt es, IHN zu finden und IHN für das zur Rechenschaft zu ziehen, was er ihnen angetan hatte. Nichts anderes brannte dem jüngeren Winchester mehr unter den Fingernägeln als dies.
 

„Sammy“, murrte sein Gegenüber, das den Nahrungsbrei endlich heruntergewürgt und mit einem herzhaften Rülpsen verabschiedet hatte. „Darf man nicht mal mehr in Ruhe was essen?“ Mit gespieltem Vorwurf, welcher sein Antlitz gekonnt zierte, musterte Dean den jungen Mann vor sich, mit dem er bereits seit mehreren Wochen nach etwas auf der Suche war, das sich als schwieriger zu finden gestaltete, wie die berühmte Nadel im Heuhaufen. Aber dieser schenkte ihm nur eine äußerst verärgerte Grimasse und sprang im selben Augenblick so hektisch von seinem Stuhl in die Höhe, dass dieser laut quietschend über den Fußboden schabte und zig Augenpaare sich an ihn und seinen Bruder hefteten.
 

Der Ältere der Zwei kaute ungerührt weiter, nachdem er sich den Rest seines Essens in den Mund geschoben hatte und zuckte nicht einmal mit der Miene, als Sam nachhaltig die Hände auf den Tisch schlug, so dass dieser gefährlich zu wackeln begann. Misstrauisches Raunen glitt durch den Raum wie eine feindselige Wolke, so dass Dean seinen Bruder mit warnenden Blicken bedachte, der diese jedoch wie ein trotziges Kind in den Wind schlug.
 

„Ich – will – jetzt – weiter“, verlangte er und seine blaugrünen Augen funkelten in zorniger Unbeherrschtheit unheilvoll in dem dämmrigen Licht des eher schäbigen Diners, in dem sie Halt gemacht hatten. Leise seufzend schüttelte der junge Mann mit dem raspelkurzen, aber vorwitzigen Haarschnitt den Kopf. Er konnte den Jüngeren ja irgendwo verstehen, was seine brodelnde Haltlosigkeit, die ihn nie lange an einem Ort verweilen ließ, anging. Das, nach dem sie auf der Suche waren, hatte wohl nicht nur ihre Mutter vor Jahren getötet, sondern nun auch noch Sams Freundin Jessica auf dem Gewissen, da die Todesarten sich auf grotesk anmutende Weise glichen. Seitdem erkannte er seinen Bruder nicht mehr wieder. Nur von dem einen Gedanken besessen, das Etwas, welches damals ihr glückliches Leben zerstört hatte, zu vernichten, hastete der äußerst hochgewachsene Winchester jedem noch so kleinen Hinweis hinterher, den es aufzuspüren gab, um das zu finden, was ihr Dad als Dämon klassifiziert hatte.

Zu Sams Missfallen hatte es John den Jungs allerdings untersagt, nach der übernatürlichen Kreatur zu forschen, da sich diese seiner Meinung nach als äußerst gefährlich erwies und er es vorzog, seine Söhne lieber in Sicherheit vor dem puren Bösen zu wissen als mittendrin. So hatte er ihnen zu entschlüsselnde Koordinaten und Nachrichten in seinem Tagebuch zurückgelassen, die sich als Aufgaben in Form von Jobs herausstellten, welche die Jungs erledigen sollten, solange sich das Familienoberhaupt damit beschäftigte, was Sam so manche schlaflose Nacht bescherte.
 

Solch einen Job hatten sie soeben in Everett hinter sich gelassen, den Geist einer verschmähten Ehefrau vernichten, die ihren Mann, der sie mit einer anderen betrogen hatte, seitdem verstärkt aggressiv heimsuchte. Eigentlich keine schwere Aufgabe für die Beiden, sollte man meinen, bis sich herausstellte, dass nicht nur eine hintergangene Ehefrau, die ihr Leben aufgrund dessen vorzeitig beendet hatte, existierte und sie dafür sämtliche Gräber hatten ausheben dürfen, samt mehrerer Gebeine salzen und verbrennen. Anschließend hatten sie dem Mann ordentlich ins Gewissen geredet, dass er sich doch nun lieber an eine Auserwählte halten sollte, sofern ihm sein Weiterbestehen lieb war, denn auf weitere Umgrabarbeiten des Nachts auf Friedhöfen hatten sie nun für die nächste Zeit die Nase gestrichen voll.
 

Während der Weiterfahrt hatte ihn Sam beinahe an den Rand der Weißglut getrieben mit seinem ewigen „Wir müssen Dad finden, um gemeinsam nach der Wahrheit zu suchen“, bis Dean mit quietschenden Reifen und einer manifesten Wut im Bauch auf den Parkplatz dieses Diners gerauscht war. Seinen verdutzten Bruder hatte er einfach im Wagen sitzen gelassen, bis dieser ihm wie ein verlorenes Schaf, das seiner Herde abhanden gekommen war, mit einer beleidigten Schnute im Gesicht hinterher getrottet war. Nun saßen sie hier außerhalb von Monroe und dem Kleineren der Winchesters war bewusst, dass seine Antwort, die er für den störrischen Esel parat hatte, der sich vor seinen Augen wie ein solcher aufführte, nicht in den Kram passen würde.
 

„Setz – dich wieder hin“, kam es im Befehlston über seine Lippen, was jedoch nur dazu führte, dass der Jüngere entrüstet die Augen aufriss und damit begann, ein stummes Duell mit seinem Bruder auszufechten, welches er auch stets gewann. Resigniert gab er auf und versuchte es auf andere Art und Weise, etwas, das Sam rasch an sein gutes Benehmen zurück erinnern würde, auf das er soviel Wert legte.
 

„Sammy ...“, begann er und ließ seinen Blick im Raum umherschweifen, was sein Familienmitglied ihm prompt gleichtat und für einen Moment in seiner Bewegung erstarrte.
 

„Oh ...“, entfuhr es dem Größeren unangenehm berührt, nachdem er bemerkt hatte, dass die Szenerie zwischen ihm und seinem Bruder nicht verborgen geblieben war. Neugierige, wie auch argwöhnische, sogar feindselige Blicke ruhten eher auf ihm als auf Dean und so setzte er sich vielleicht etwas zu hektisch wieder auf seinen Stuhl zurück, dabei versuchend, die forschenden Augenpaare aus seinem Hirn zu bannen.
 

„Na, haben wir uns jetzt wieder beruhigt?“ Dean beobachtete den Jüngeren, wie er mit sich rang; einerseits missfiel es ihm, vor seinem älteren Bruder klein beizugeben, andererseits wollte er nicht vor den anderen Gästen von einem Fettnäpfchen ins nächste treten. So entschied er sich für den Mittelweg, denn geschlagen war er erst dann, wenn das Blut aufhörte, durch seine Adern zu pumpen.
 

„Nein, hab ich nicht!“, zischte es deswegen leise, aber auch möglichst aufmüpfig durch seine zusammengebissenen Zähne, die er wie ein verstimmter Tiger gefletscht hatte. „Ich verstehe nicht, warum wir nicht endlich nach Dad suchen können. Was hält uns denn noch hier, Dean, außer deine ...“, er sah spöttisch auf die beachtliche Zahl von Tellern herab, die der Kleinere von ihnen in Rekordzeit sauber geputzt hatte, „unstillbare Gefräßigkeit.“
 

„Danke, das fass ich als Kompliment auf“, raunte ihm die Fressmaschine entgegen und sah ihn bestimmend an, was Sam mehr hasste als alles andere. Bevor er jedoch weitersprach, schob sich Dean etwas weiter über den Tisch zu ihm heran und stützte das Kinn auf eine seiner Hände, so dass nicht alles, was er nun mit seinem Bruder zu besprechen hatte, in fremde und dafür ungeeignete Ohren drang.

„Was ist los mit dir, Sam? Was soll das?“
 

„Was soll was?“, stellte sich der Angesprochene absichtlich unwissend, während er es dem Älteren gleichtat und seine Hand, in die er sein Kinn legte, leicht vor den Mund schob, denn die Wissbegier um sie herum nahm erneut zu. Vermutlich benahmen sie sich noch immer zu auffällig.
 

„Du machst mich noch wahnsinnig!“, knirschte Dean durch halb zusammengepresste Lippen, während die Ohren um sie herum gespitzt wurden, aber alles, was darauf folgte, war Sams berühmtes Naserümpfen, das stumm seine langsam überschäumende Wut signalisierte und den Älteren der Geschwister fassungslos die Augen verdrehen ließ. „Ich verstehe deine Eile nicht“, raunte dieser ihm möglichst leise zu. „Dieser Dreckskerl, der das Mum und Jessica angetan hat, wird schon nicht platzen und überhaupt, wie willst du ihn ohne geeignetes Equipment vernichten? Meinst du etwa, der rennt schreiend davon, wenn wir ihm ne Ladung Schrotsalz verpassen?“ Die Augenbrauen fragend hochziehend und auf eine passable Antwort wartend, die er sicherlich und das wusste er, präsentiert bekommen würde, lehnte sich der grünäugige junge Mann auf seinem Stuhl zurück, die Hände lässig hinter dem Kopf verschränkend. Amüsiert betrachtete er seinen Bruder, der ihn so griesgrämig anstarrte, als wäre er die dreiköpfige Hydra, die es zu vernichten galt und Sam Herkules, der nur auf eine Chance zum Zuschlagen wartete, welche er sofort ergriff, ob sie sich ihm nun bot oder nicht.
 

„Warum hat uns Dad diese ganzen Jobs überlassen? Wieso dürfen wir uns ihm nicht anschließen, um diesen miesen Kerl endlich zu stellen?“ Den letzten Satz hatte das lange Elend unter Berücksichtigung ihrer vielen Zuhörer so leise von sich gegeben, dass der Ältere unter ihnen mehr von seinen Lippen abgelesen hatte, als dass die Worte an sein Ohr gedrungen waren. Angestrengt strich sich Dean nach diesen Fragen, die ihn bereits seit Wochen begleiteten, mit den Händen, welche soeben noch als gemütliches Kopfkissen gedient hatten, über sein Gesicht. Es fühlte sich stachelig an wie der Körper eines Igels und er musterte seinen Bruder, der nicht viel besser aussah – beide hatten seit beinahe zwei Tagen keinen Rasierer gesehen und auch kein Bett. Schwerfällig ließ er sich wieder nach vorne gleiten und legte die Unterarme auf den Tisch, um sich sofort darauf mit den Fingern durch das streichholzkurze Haar zu fahren.
 

Wie oft hatte er sich selbst diese Fragen gestellt, seit ihr Vater allein losgefahren war und ihn, Dean, zurückgelassen hatte?
 

„Sam ...“, begann er und wollte soeben seine Erklärung dafür dem Jüngeren unterbreiten, als zwei klobige Hände beinahe ihren gesamten Tisch einnahmen und sie aufgeschreckt wie zwei Tauben auseinander stoben.
 

„Na, Jungs?“, dröhnte es über ihren Köpfen wie eine Werksirene zur Mittagszeit und die Brüder starrten zögerlich empor zu dem Besitzer dieses Organs, als wären sie zwei ungehorsame Schüler, die etwas ausgefressen hatten. „Alles in Ordnung bei euch?“
 

Sam kniff die Augen zu engen Schlitzen zusammen, nachdem die unangenehm klingende Stimme ähnlich einer alles zerstörenden Lawine durch seine Ohren gedonnert war und sah zu seinem Bruder hinüber, der sein gewohnt lässiges Grinsen aufgesetzt hatte.
 

„Natürlich ist es das“, versuchte Dean den relativ gut ausgestatteten Kellner des Diners so überschwänglich zu beruhigen, wie es ihm möglich war. Einen Rauswurf oder sogar ein Handgemenge wollte er mit diesem Riesen von einem Mann, gegen den Sam sogar wie ein winziges unschuldiges Vorschulkind wirkte, nicht provozieren. Vermutlich hatten die Menschen in dieser Gegend schon eine Menge schlechter Erfahrungen mit Teilzeithitzköpfen wie ihnen gesammelt.
 

„Mein Kumpel hier und ich“, er klopfte Sam vielleicht etwas zu hart auf die Schulter, so dass dieser ihn mit tödlichen Blicken bedachte, „hatten nur eine kleine Meinungsverschiedenheit darüber, was wir zum Nachtisch nehmen, nicht wahr, Sammy?“ Deans Augenbrauen tanzten Tango über den Wimpern, während er seinem Bruder unter dem Tisch einen gehörigen Tritt gegen das Schienbein verpasste, ahnte er doch, dass der Jüngere, um ihm eins auszuwischen, womöglich nicht unbedingt anbeißen würde.
 

„Aaaaaahahahaha, ja, sicher, das hatten wir“, presste der Braunhaarige mit leicht verzogener Miene hervor, sich dabei angestrengt auf die Unterlippe beißend, um nicht den Fluch, der ihm bereits auf der Zunge lag, auszuspeien.
 

„Jaaaaaaa, was könnten Sie uns denn empfehlen?“, fragte der Ältere der Winchesters mit perfekt inszeniertem Interesse und strahlte den Kellner so hinreißend an, dass sich bereits einige der Gäste gelangweilt wieder ihrem eigenen Teller widmeten und der Hüne nicht wirklich wusste, was er davon halten sollte.
 

„Apfelkuchen“, antwortete er daher nur dumpf und starrte diese beiden eigenartigen Vögel an wie der Henker die zum Tode Verurteilten.
 

„Apfelkuchen!“, freute sich der Kleinere von ihnen wie ein Schneekönig und schlug sich begeistert mit der Hand aufs Knie, was seinem größeren Kumpanen nur ein gequältes Lächeln entlockte. „Bringen Sie uns doch bitte zwei Stück davon und“, er winkte ihn zu sich herunter, wobei ein riesiger Schatten auf die Brüder fiel, „meines mit extra viel Sahne, ja?“
 

„Wie Sie wünschen“, murmelte der Gigant leicht verwirrt über die rasche Zähmung dieser Zwei, welche sich soeben noch wie fauchende Wildkatzen benommen hatten und wankte zurück hinter den Tresen.
 

„Wow, wirklich nett hier, wenn sie einem gleich so etwas auf den Hals hetzen“, bemerkte Dean belustigt und musterte fragend seinen Bruder. „Stimmt was nicht, Sam?“
 

„Stimmt was nicht, Sam?“, machte dieser ihn übertrieben nach und starrte ihn fassungslos an. „Was soll der Quatsch, Dean?“ Seine Stirn hatte sich so sehr in Falten gelegt, dass er ohne große Mühe einer Bulldogge Konkurrenz machen konnte. „Wieso verhinderst du mit aller Macht, dass wir endlich aufbrechen? Und warum habe ich von Tag zu Tag mehr das Gefühl, dass du Dad vielleicht gar nicht finden willst?“
 

Das erheiterte Grinsen seines Gegenübers erstarb von einem Moment zum anderen. „Was hast du da gerade gesagt?“ Leise Wut umspülte sein Inneres ähnlich der donnernden Brandung, welche die Felsen namenloser Küsten umtoste.
 

„Du hast es genau verstanden, weshalb soll ich es also wiederholen?“ Sam sah ihn, seiner Meinung nach, eine Spur zu hart an. Sollte dieses Verhalten nicht langsam abflauen, würde Dean wohl, anstelle ihres Vaters, Maßnahmen ergreifen müssen, wie so oft. Seit ihr Dad auf der Jagd nach dem Dämon war, der ihre kleine, aber glückliche Familie zerstört hatte, musste der Ältere der Winchester-Brüder häufiger als es ihm lieb gewesen war, in die Rolle des Erziehers und Beschützers schlüpfen. Wie früh hatte ihm ihr Vater bereits eine geladene Waffe in die Hand gedrückt, bevor er mal wieder für mehrere Tage verschwand und ihn damit beauftragt, sich und Sammy auf diese Weise zu schützen. Für andere Jungen in diesem damaligen Alter wäre das sicherlich toll und aufregend gewesen, aber für ihn wurde es bald zu einem Job, den er so ernst nahm und gewissenhaft bearbeitete wie nichts anderes.
 

Und nun musste er sich von diesem vorlauten College-Boy, den mal all die Jahre bemuttert hatte, anhören, dass er den Mann, der außer seinem Bruder der einzige auf der Welt war, den er als einen Teil seiner Familie bezeichnen konnte, nicht wünschte zu finden?
 

Seine Hand ballte sich zu einer Faust, die begann, vor lauter Aufgebrachtheit zu zittern wie die wehrlosen Blätter an einem sturmgebeutelten Ast. Hätte er sich nicht aufgrund ihres jetzigen Aufenthaltsortes respektzollend zurückhalten müssen, würde Sam sicherlich bereits an irgendeiner Wand kleben, grob von ihm selbst an den Hemdaufschlägen gepackt und Zurechtweisungen ausstoßend. Aber in diesem Fall starrte Dean ihn nur ermahnend an, während sein Gesichtsausdruck Bände sprach. Zu seinem wachsenden Verdruss war der Jüngere allerdings längst seit Jahren dagegen immun und musterte ihn gleichzeitig wie ein trotziger Zwölfjähriger, der sich nichts mehr gefallen ließ, schon gar nicht von seinem älteren Bruder, geschweige denn von seinem Vater. Mit diesem war er kurz vor seiner College-Zeit vermehrt heftigst aneinander geraten, bis zu dem Punkt, an dem John sich ihm gegenüber geäußert hatte, dass, wenn er jetzt ginge, auch nicht mehr wiederzukommen bräuchte. Der Ältere der Geschwister hatte sich mehr als nur einmal der Hilf- und Ratlosigkeit übergeben gefühlt, wenn unschöne Worte hin- und hergeflogen waren, stand er doch stets zwischen den Fronten seiner beiden dickköpfigen Verwandten.
 

„Apfelkuchen“, riss ihn eine leicht mürrisch klingende Stimme aus seinen trüben Gedanken, so dass er unvorbereitet hochfuhr und dem riesenhaften Wesen, das sich Kellner nannte, beinahe das Tablett aus der Hand schlug. Sam schien es nicht anders zu ergehen, er zuckte zusammen wie eine beleidigte Katze, der man einen dummen Kosenamen gegeben hatte und musterte den Koloss vor sich wie das achte Weltwunder.
 

„Hier“, murrte es weiter und zwei Hände so groß wie Schaufeln wuchteten mit einer eigenartigen Eleganz die Teller an ihren Platz. „Für Sie auf besonderen Wunsch mit extra viel Sahne.“ Mit prüfendem Blick beäugte der junge Mann seinen Nachtisch, welcher unter der weißen und süßen Pracht gänzlich verschwunden zu sein schien.
 

„Viel wird hier wohl groß geschrieben“, murmelte er und piekste mit seinem Zeigefinger durch die Leckerei, der erst auf etwas Härteres stieß, nachdem er vollständig darin verschwunden war.
 

„Haben Sie damit etwa ein Problem?“, bellte es herausfordernd aus luftiger Höhe und Knöchel knackten angriffslustig wie die schmelzende Eisfläche eines zugefrorenen Sees.
 

„Nein, haben wir nicht, es ist alles wunderbar, alles bestens, nicht wahr, Dean?“ Sam schickte ein gekünsteltes Lächeln hinauf in höhere Gefilde, die ihm selbst nicht fremd waren und trat seinem älteren Bruder genüsslich auf den Fuß, als dieser sich noch immer leise über den Kuchen, wenn man ihn dann darunter erahnen konnte, beschwerte.
 

„Auuuuuu, was zum …?!“, krakelte der Gemarterte sofort los, nachdem ein harter Schuhabsatz ziemlich unsanft seine Zehen küsste, aber der selbst ernannte Folterknecht fuhr ihm rasch und gekonnt über die Lippen.
 

„Vielen Dank, es wird uns sicher schmecken“, säuselte der Jüngere der Winchesters überaus freundlich dem Kellner entgegen, der nur noch perplex den Kopf schüttelte. „Könnten Sie uns danach bitte die Rechnung bringen?“
 

Deans Kopf fuhr aus der Sahne, in die er sich schon halb vergraben hatte, so dass er nun eher Ähnlichkeit mit Santa Claus aufwies, während der Hüne mit einem halblaut gemurmelten „Sicher, nichts lieber als das“ davonging.
 

„Was soll das heißen, die Rechnung?“, zischte er sein Gegenüber an, das ihn selbstzufrieden betrachtete, als der Kellner verschwunden war. „Und übrigens, ich verklag dich auf Schmerzensgeld.“
 

„Das war nur die Revanche für mein Schienbein und das soll heißen, wir fahren gleich“, erwiderte der junge Mann mit dem Wuschelkopf giftig.
 

„Wir fahren gleich? Nichts da, ich kann mich schon nicht mehr daran erinnern, wie sich ein Bett anfühlt und du verlangst von mir, dass ich mir den Arsch ein weiteres Mal platt sitze? Vergiss es!“ Dean stopfte sich ärgerlich seinen Nachtisch in den Mund, auch wenn dieser mehr aus Sahne als aus Kuchen bestand. Seinetwegen konnte sich sein Bruder ja eine weitere Nacht um die Ohren schlagen, um seinen Verrücktheiten hinterher zu eilen, aber er wollte endlich mal wieder weiche Kissen unter seinem Kopf spüren und nicht die harte Rücklehne des Impalas im Nacken.
 

„Du kannst ja gerne hier bleiben“, sprach Sam das aus, was er dachte, „aber ich will Dad finden und dafür mache ich auch gern mal die Nacht zum Tag.“
 

„Von mir aus, aber beschwer dich hinterher nicht bei mir, wenn du irgendwann tot aus den Latschen kippst. Du siehst ja jetzt schon aus wie ein Geist“, bemerkte der Ältere und es klang kein wenig beleidigend so wie sonst, wenn sie sich in den Haaren lagen, denn die Erscheinung des Jüngeren wuchs wirklich langsam an den Rand der Besorgnis. Dunkle Ringe lagen unter den blaugrünen Augen des dunkelhaarigen Mannes, während sich zwischen die sonst eher vor Gesundheit strotzende Gesichtsfarbe ein beinahe kalkfarbenes Weiß gemischt hatte.
 

„Na und?“, schnappte Sam widerspenstig, die verborgene Sorge in der Stimme seines Bruders nicht bemerkend. „Für mich zählt nur eines und … .“
 

„Jajaja“, unterbrach ihn Dean genervt, „und dafür bringen wir uns auch gerne um die Ecke, oder was?“
 

„Idiot!“
 

„Schlampe!“
 

„Wollt ihr Jungs wirklich heute noch fahren?“
 

Verstört hielten die Angesprochenen in ihrem Überhand nehmenden Streit inne und suchten den Verfasser dieser Frage, der sich als Mann mittleren Alters zwei Tische weiter von ihnen entpuppte. Er trug eine Kappe der Lakers und zupfte etwas nervös an dem Kragen seines blaugrau karierten Hemdes herum, als die stechenden Blicke der beiden jüngeren Männer an ihm kleben blieben.
 

„Was geht Sie das an?“, blafften die Beiden synchron ähnlich erprobter Sänger eines Chores etwas mehr als gereizt zurück, so dass sich der Mann wie von einer Druckwelle erfasst an die Lehne seines Stuhles presste. Verunsichert kreisten seine Pupillen hin und her, während die Brüder ihn misstrauisch musterten.
 

„Nun ja ... ich, ähm ...“, verhaspelte er sich fahrig und spielte mit seinen langen, dünnen Fingern, so dass Sam bereits befürchtete, er könnte sich die hageren Gliedmaßen verknoten, sofern sie ihn noch länger auf diese Weise anstarrten.
 

„Aus welchem Grund wollen Sie das wissen?“, fragte er daher weitaus sanfter als zuvor, was ihm ein verwundertes Stirnrunzeln seines Bruders einbrachte, dessen Ärger längst noch nicht verraucht war. Sam konnte die ganze Sache doch nicht einfach unter den Tisch kehren ... .
 

„Na, so, wie es scheint, habt ihr wohl noch nicht nach draußen gesehen“, kam es plötzlich viel selbstbewusster über die Lippen des ihnen unbekannten Mannes und er nickte zu einem der vielen Fenster, die sie zu drei Seiten umrahmten. Der Jüngere der Winchesters folgte seiner Andeutung und staunte nicht schlecht, was da so unschuldig vor dem blankgeputzten durchsichtigen Glas herumtanzte.
 

Unterdessen beobachtete der junge Mann mit dem Haarschnitt, der dem Rücken eines Igels nicht unähnlich war, ihren zuvor noch weitaus verängstigender wirkenden Gesprächspartner relativ argwöhnisch. Viel zu selbstsicher im Vergleich zu den bereits vergangenen Momenten zwischen ihnen sah der Lakers-Kappenträger hinaus und schien sich beinahe darüber zu freuen, was er dort erhaschte.
 

„Es schneit“, bemerkte Sam keineswegs erfreut, „und das nicht gerade wenig. Vielleicht ..., vielleicht sollten wir doch noch bis morgen hier bleiben, Dean, auch, wenn ich damit nicht unbedingt einverstanden bin.“ Jedoch erfolgte seitens seines Bruders keine nennenswerte Reaktion, die er prompt erwartet hatte, was sein Eingeständnis betraf. Üblicherweise wäre ihm jetzt einer der berühmten Sprüche seines Familienmitgliedes um die Ohren gefegt, aber alles, was ihm antwortete, war der Mann, der ihn auf das schlechte Wetter aufmerksam gemacht hatte.
 

„Das ist eine gute Entscheidung, Junge. Hier in den Bergen kann der Schnee recht schnell zu einer tückischen Falle werden, wenn man mit dem Auto unterwegs ist. Und so, wie es aussieht, wird es die ganze Nacht über durchschneien. Ich halte es ebenfalls für besser, vorerst hier zu bleiben, nebenan gibt es ein recht gutes Motel, wenn ihr euch beeilt, bekommt ihr noch ein Zimmer.“ Aber der Braunhaarige hörte ihm nur mit halbem Ohr zu und beäugte stattdessen fragend seinen Bruder.
 

„Dean? Hast du mir zugehört?“ Erneut kam keine Rückantwort und Sam bemerkte, dass sein Gegenüber mit dem typisch wachsamen Blick, der ihn stets an einen jagenden Habicht erinnerte, jeden Anwesenden in dem Diner taxierte. Ein resignierendes Seufzen glitt über die Lippen des Jüngeren. Suchte sein ehrgeiziger Partner jetzt selbst hier nach einem Fall, wo es keinen gab?
 

Die grasgrünen Augen des älteren Winchesters zogen über die Häupter der Gäste samt Angestellten hinweg wie ein dicht dahingleitendes Flugzeug im Landeanflug. Er hatte ihre verstohlenen Blicke bemerkt, nachdem der Typ mit der abgetragenen Basketballkappe angefangen hatte, von dem Schneetreiben zu reden, was Dean übrigens nicht entgangen war, genauso wenig Sams Unsicherheit gegenüber dem Wetterumschwung und den vermutlich daraus resultierenden schlechten Straßenverhältnissen. Allerdings hätte er nicht unbedingt damit gerechnet, dass der Collegeboy bei dem bisschen Puder vom Himmel gleich einen auf Panik machte.
 

„Dean?“ Ein weiteres Mal hallte die Stimme des Jüngeren an sein Ohr; wiederholt ignorierte er das Drängen seines Gefährten, der langsam auf seinem Stuhl herumzappelte wie ein ungeduldiger Vierjähriger, der er nach Deans Meinung auch manchmal noch war.
 

„Lass uns fahren, Sam.“ Geräuschvoll schob Dean seinen Stuhl zur Seite, fummelte lässig einen Zwanzigdollarschein aus seiner Jackentasche und legte diesen auf den Tisch. „Das müsste wohl reichen, denke ich, einschließlich Trinkgeld für die entzückende Bedienung“, zwinkerte er dem riesenhaften Kellner zu, der ihn nur düster betrachtete, im gleichen Augenblick aber wie ein liebestolles Häschen aufsprang und zwei weitere Teller mit Apfelkuchen hervorzauberte.
 

„Nein, nein, bleiben Sie doch noch. Der nette Herr dort hat recht“, er nickte in Richtung des Flanellhemdträgers, der zustimmend mit dem Finger an seine Kappe tippte, „Sie sollten wirklich bis morgen früh hier bleiben, das Wetter kann hier oben zu dieser Jahreszeit recht scheußlich werden.“ Geschwind drapierte er die verlockende Fortsetzung des Nachtisches vor die Nasen der Brüder, von denen einer jedoch sehr zur Überraschung des anderen hart blieb.
 

„Das ist sehr nett, aber wir müssen los“, erwiderte Dean, sehr zur nicht zu übersehenden Enttäuschung des Kellners, welcher plötzlich von einem gefühllosen Stein zu einem wahren Stiefellecker mutiert war. „Komm endlich, Sam.“
 

Auffordernd sah er seinen Bruder an und machte eine Bewegung mit dem Kopf in Richtung der Tür, aber der Jüngere machte keinerlei Anstalten aufzustehen.

„Ich finde, sie haben recht“, äußerte sich dieser zu dem verlockenden Angebot, die Nacht über nicht in einem schlingernden Auto zu verbringen, das sicherlich niemand fand, wenn es in den nächsten Straßengraben rutschte. „Morgen früh sind die Straßen bestimmt größtenteils sicherer befahrbar als jetzt, also macht es mir nichts aus zu warten.“ Deans Augenbrauen rutschten wie ein Turbofahrstuhl in die Höhe, nachdem die Worte seines Bruders an sein Gehör gedrungen waren, während der Kellner, Mr. Käppi und der Rest der Angestellten ihnen einladend zulächelten. Nun gut, wenn es auf diese Tour nicht klappte, musste er es eben auf die harte versuchen.
 

„Keine Widerrede, wir fahren jetzt“, sagte er harsch, flitzte um den Tisch herum und riss den Braunhaarigen am Arm in die Höhe, der sofort empört versuchte, sich loszumachen und seinen Bruder mit Schimpftiraden überhäufte, bei denen Dean angestrengt nachdachte, ob er tatsächlich in all den Jahren der richtige Umgang für den Jüngeren gewesen war.
 

„Schluss jetzt, Sammy!“, knurrte er ungehalten und drehte den Arm seines ungewollten Kontrahenten auf den Rücken, was ein entsetztes Raunen unter den Gästen und Angestellten des Diners zu Tage förderte. Wieder waren alle Blicke auf sie gerichtet, aber dieses Mal sah keiner von ihnen weg, als der ältere Winchester sie wütend musterte; eher hatte er den Eindruck, dass sie diese Auseinandersetzung zwischen den Brüdern guthießen und sich wohlig daran labten.
 

„Aber nein, ich bitte Sie“, hob der Kellner die muskelbepackten Arme beschwörend in die Höhe, „wir können das doch auch vernünftig klären. Bitte kommen Sie doch zur Einsicht.“
 

„Ja, Dean, da bin ich auch für, du brichst mir übrigens gleich den Arm, verdammt!“, jaulte Sam in seinem tatsächlich etwas zu grobem Griff, den der Kurzhaarige aber keineswegs nach der eindringlichen Beschwerde seines jüngeren Bruders lockerte.
 

„Du wirst mir noch dankbar dafür sein, Sammy, was ich hier tue“, raunte er dem sich wehrenden Riesenbündel zu und schob es in Richtung Ausgang.
 

„Also dann, vielen Dank für die übereifrige Fürsorge“, rief er über seine Schulter hinweg denen ihnen nachschauenden Anwesenden zu, „aber das Riesenbaby hier verpasst sonst noch seine nächste Impfung beim Doc, wenn wir uns nicht beeilen.“
 

Ein wütendes Schnauben, das ihn eher an ein relativ unzähmbares Pferd erinnerte und nicht an seinen Bruder, den er noch immer ziemlich unsanft vor sich herstieß, begleitete seinen raschen Abgang aus dem Diner. Die beiden Stücke Apfelkuchen mit einem letzten wehmütigen Blick bedenkend, traten er und Sam aus dem Diner hinaus in das eiskalte Schneetreiben.
 

„Kann ich dich jetzt wieder loslassen, ohne, dass du mich schlägst?“, vergewisserte Dean sich vorsichtshalber bei dem Jüngeren, der zornig auf seiner Unterlippe herumkaute, als sie auf dem reichlich beleuchteten Parkplatz standen.
 

„Muss ich mir noch überlegen“, knurrte es aus der Kehle Sams wie aus der eines übel gelaunten Wolfes, welcher sich jeden Moment auf sein Opfer stürzte.
 

„Na dann, ich kann das auch noch stundenlang aushalten“, erwiderte der Ältere relativ ungerührt und verstärkte den Druck auf den Arm seines Bruders, der protestierend aufquietschte.
 

„Aaaaaaah, Dean, verdammt! Ist ja schon gut, ich werd nichts tun, okay?“

„Na, also. Schon besser“, tönte es zufrieden in Sams Rücken, während er fühlte, dass sein Bruder endlich seinen Arm losließ. Düster in die vom Schnee verwirbelnde Dunkelheit starrend rieb er sich das schmerzende Körperteil, bereit, jeden Moment sein ach so nettes Familienmitglied anzufahren, ob es nun vollkommen verrückt geworden sei, als dieses ihn erneut am Arm fasste, dummerweise auch noch an dem bereits malträtierten und ihn hinter sich her zu ihrem Wagen riss.
 

„Bist du jetzt total bekloppt geworden, Dean Winchester?!“, kreischte es über den ganzen Parkplatz, so dass einige Krähen, die sich soeben über die daneben gefallenen Essensreste aus den Mülleimern hermachten, laut krächzend davonflogen. „Was soll dieser ganze Mist?! Erst willst du nicht los und dann plötzlich ganz schnell. Aus dir werde ich echt nicht schlau“, mokierte sich Sam schimpfend über seinen Bruder, der die Beifahrertür aufriss und den Jüngeren grob hineinschubste, dafür jedoch nur neue Beschwerden erhielt. „Das geht mir jetzt langsam zu weit, ich kann noch selber einsteigen, Mann!“, brüllte der Dunkelhaarige gegen die zugeworfene Tür, während Dean schon um den Impala herumeilte und seine eigene aufstieß, um sich in das Fahrzeug zu werfen.
 

„Ach wirklich?“, fragte er mit einem ironischen Grinsen auf den Lippen, was Sam zu einem zornigen Naserümpfen veranlasste, doch bevor er irgendetwas darauf erwidern konnte, wurde er seiner Meinung nach etwas zu schmerzhaft in den Sitz des Impalas gedrückt, während sein Bruder und er den Parkplatz mit quietschenden Reifen verließen.
 

Während sich die Lichter des Wagens langsam in der Ferne verloren, traten erst eine, dann nach und nach mehrere Gestalten aus dem Diner, dem der ältere Winchester regelrecht entflohen war. Unbeeindruckt von den feuchten Schneeflocken, die sich sofort an ihre Körper hefteten und dort eiskalte Nässe zurückließen, versammelten sie sich auf dem Parkplatz und starrten den längst verschwundenen Brüdern hinterher. Schwarz wie Onyxe konkurrierten ihre sich plötzlich verfärbten Augen mit der Dunkelheit.
 

„Das wird dem Meister gar nicht gefallen“, murmelte der Hüne und ließ die Knochen seiner Schaufelhände knacken.
 

„Wird es nicht, aber er sagte, wir sollten sie nicht mit Gewalt festhalten oder sie gar verletzen, vor allem nicht den Auserwählten“, erwiderte der hagere Mann und riss sich die Kappe vom Kopf, um sie ausgiebig zu mustern. „Mann, ist die hässlich, das nächste Mal suche ich mir einen anderen Körper aus.“

„Was sollen wir nun tun? Ihnen folgen?“, wollte der Riese neben ihm wissen.
 

„Nein. Er wird ihn bekommen, so oder so. Wenn nicht heute, dann an einem anderen Tag. Sam Winchester wird bald Geschichte für die Menschheit sein und uns einen neuen Weg ebnen.“
 

Uuuh *grusel* ^^

Na, hat es gefallen?

Falls ja, schiebe ich gerne noch einige Kapitel nach.

Bis dann

Mariko

Destiny´s path

Danke an meine lina-san und s-a-m, dass ihr an mich denkt *knuddel*

Dieses Kapitel ist etwas länger geworden als vorgesehen, aber ich denke, das trübt den Lesespaß ja keinesfalls.

Also dann, viel Vergnügen!
 


 

2. Kapitel: Destiny´s Path
 

„Wo lang, Sam?“ Deans Stimme klang äußerst fordernd, nachdem er schon einige Male dieselbe Frage an seinen Bruder gestellt hatte, aber dieser zog es eher vor, schmollend zu schweigen, seit sie auf die waghalsige Art des Älteren davongebraust waren.
 

„Verdammt, jetzt sag endlich, wo ich lang fahren muss, ich kann kaum etwas sehen bei diesem weißen Mist vor der Scheibe!“, fauchte der sonst so leidenschaftliche Impalafahrer angesäuert, während die Scheibenwischer ächzend versuchten, ihrem Dienst nachzukommen.
 

„Hättest ja nicht losfahren müssen, selber schuld“, murrte der Angekeifte und starrte verdrießlich hinaus in das Schneegestöber, das vor der Dunkelheit tobte. Irgendwie erinnerte ihn dieser Anblick auf skurrile Art und Weise an das schwarzweiße Störbild eines Fernsehgerätes.
 

„Ach ja? Hätte ich nicht?“ Man müsste schon taub sein, um nicht zu bemerken, wie schwer es dem älteren Geschwisterteil fiel, die Beherrschung zu wahren. „Gut, das nächste Mal, wenn wir in einem Diner voller Dämonen hocken, lasse ich dich eben zurück, wenn dir das besser gefällt.“
 

„Dä-Dämonen?“ Sam schluckte hart und wagte einen vorsichtigen Blick zur Fahrerseite. „Du willst damit sagen, dass ...?“
 

„Ja, verdammt!“, fiel ihm Dean barsch ins Wort. „Das war ein beschissenes Dämonennest und wir mittendrin!“ Immer noch aufgebracht über den beinahe ungünstigen Ausgang ihrer Flucht schlug er hart auf das Lenkrad, so dass sein Bruder unvorbereitet zusammenzuckte. Danach legte sich beklemmendes Schweigen wie eine erdrückende Decke zwischen die beiden Jäger, welche unterschiedlicher nicht sein konnten. Und doch hatten sie eines gemeinsam – sie waren Brüder und das Schicksal, welches sie teilten, hatte sie noch fester zusammengeschweißt als normale Geschwister. Deswegen legte Dean auch des öfteren eine übertriebene Fürsorge gegenüber des Jüngeren an den Tag, was diesen meist zur Weißglut trieb. Aber nun fühlte sich der junge Mann mit dem Wuschelkopf, der vorwiegend so aussah, als hätte ein Sturm seine wahre Freude daran gehabt, wie ein blutiger Anfänger, da er die Gefahr, in der er und sein Familienmitglied sich befunden hatten, nicht erkannt hatte.
 

„Tut mir leid“, nuschelte es daher undeutlich in die Stille hinein, so dass der Fahrer des pechschwarzen Wagens leicht überrascht die Stirn kraus zog und ein belustigtes Grinsen über seine Lippen huschte.
 

„Entschuldige, was hast du gesagt? Ich hab dich nicht verstanden“, tat er absichtlich vollkommen ahnungslos und sah seinen kleinen Bruder erwartungsvoll an, dem vor Entrüstung die Kinnlade hinunterfiel. Da gab man schon mal zu, dass man im Unrecht gewesen war und der hatte nichts anderes zu tun, als das ins Lächerliche zu ziehen.
 

„Du hast es ganz genau verstanden, also tu nicht so“, grollte es wie ein nahendes Gewitter aus Sam´s Kehle, der seinen Beifahrer gereizt musterte. Dieser erwiderte seinen Blick jedoch mit todernstem Unwissen und zuckte kopfschüttelnd die Schultern.
 

„Da ist nicht einmal ein Hauch an meine Ohren gedrungen“, erklärte Dean theatralisch und zeigte mit einer Hand auf seine Lauscher, während die andere sicher am Lenkrad ruhte.
 

„Sicher, natürlich, absolut gar nichts“, erwiderte der Jüngere mit anschwellend gereizter Stimme und verengte die Augen zu gefährlich kleinen Schlitzen.

„Ehrlich, du kannst mir glauben, nicht einmal ein Mucks ist in meine Sinne gekrochen“, übertrieb es der Ältere mit seiner nicht wahrheitsgemäßen Schilderung maßlos, bis sein vor sich hinknurrender Partner buchstäblich vor Wut an die Decke ging.
 

„Verdammt, Dean! Was willst du hören? Dass ich blind wie ein Maulwurf und dumm wie eine Gans war und die Situation daher absolut verkannt habe? Ist es das?“ Vor lauter Aufgebrachtheit hektisch atmend starrte er seinen Bruder an, aber der hatte nur ein amüsiertes Grinsen für den jüngeren Winchester übrig.

„Okay, vielleicht war es ja so, womöglich habe ich mich einfach zu sehr in Sicherheit gewähnt und daher alle Warnzeichen übersehen, weil ich zu sehr daran gedacht habe ... .“
 

„... Dad zu finden?“, unterbrach ihn Dean und dieses Mal war keine Spur von Spott aus seiner Äußerung hervorzuhören, eher eine für Sam nicht nachvollziehbare Art von Bitterkeit und Besorgnis.
 

„Möglich“, antwortete er daher nur knapp und drehte sich langsam zum Fenster, ohne wirklich etwas zu sehen. „Aber es ist ja noch mal gutgegangen, oder nicht?“

„Ja, heute, da einer von uns auf der Hut war, aber was, wenn du allein gewesen wärst, Sam?“
 

Der Angesprochene spürte die fragenden Blicke seines Bruders, welche sich wie Magneten an seinen Nacken hefteten. Tief im Inneren war ihm bewusst, dass Dean recht hatte, aber sein trotziger Stolz, der den seines Familienmitgliedes in manchen Fällen noch bei weitem übertrumpfte, verbat es ihm vehement, dies einzusehen.
 

„Ich kann dir nicht immer den Arsch retten, Prinzeschen, also pass gefälligst besser auf, von wem du dir ne Übernachtungsmöglichkeit andrehen lässt, sonst könnte dies deine letzte Nacht sein.“
 

„Aber den Kuchen fressen ...“, warf Sam mit vorgehaltener Hand murmelnd ein und musste unwillkürlich grinsen, nachdem Dean ein missmutiges „Hast du was gesagt?“, durch den Impala streute und dem Braunhaarigen einen eher freundschaftlichen Stoß in die Rippen versetzte, was dieser nicht lange auf sich sitzen ließ.

Für einen Moment balgten sie sich spielerisch im Auto wie zwei kleine Jungs, die sie einst gewesen waren. Sam versuchte, Dean einen Stift, den er aus dem Handschuhfach gefingert hatte, ins Ohr zu stecken, während der Ältere schimpfend wie ein Rohrspatz danach schlug und seinen kleinen Bruder mit den nettesten Bezeichnungen überschüttete, die ihm so spontan einfielen. Nach einer Weile besann sich der Wuschelkopf dann jedoch eines Besseren, zudem die Straßenverhältnisse aufgrund des Wetters längst nicht mehr die besten waren und der Wagen bei ihren Kindereien bereits gefährlich schlingerte, was Dean allerdings meisterhaft im Griff hatte.
 

Plötzlich fiel Sam die Frage seines Bruders wieder ein und er wühlte die arg mitgenommene Straßenkarte hervor, eiligst die kleine Taschenlampe anknipsend, die ihm mit der Karte förmlich in die Finger fiel.
 

„Wo sind wir eigentlich?“

„Das würde ich gerne von dir wissen, Klugscheißer. Wer ist denn hier mein Navigationsgerät, hm?“
 

Ein Seufzen rollte über die Lippen des Jüngeren. Degradiert vom angehenden Anwalt zum simplen Kartenleser und das auch noch vom eigenen Bruder, was Besseres konnte ihm wirklich nicht passieren.
 

„Mal sehen“, begann er und suchte mit einem Finger den letzten Ort, an dem sie erfolgreich ihren letzten Job abgeschlossen hatten. „Ah, hier“, verkündete er, „wir sind von Everett über Monroe gefahren und haben dort angehalten, weil DU“, er betonte es extra langgezogen und überdeutlich, was Dean ein muffeliges „Pah“ entlockte, „Hunger hattest, der, wenn man es genau nimmt, uns eigentlich erst in diese Situation gebracht hat.“
 

„Lenk nicht ab, außerdem hast du auch etwas gegessen“, widersprach der Ältere. „Und weiter?“
 

„Tja, weiter weiß ich nicht, da du wie ein Irrer losgedüst bist und sämtliche Straßenschilder in Lichtgeschwindigkeit an mir vorbeigezogen sind.“
 

„Das heißt?“, fragte Dean weiter mit militärischer Genauigkeit, die Straße nicht aus den Augen lassend, da die Schneeflocken allmählich Golfballgröße einnahmen und sein Sichtfeld massiv einschränkten.
 

„Das heißt soviel wie, ich hab keine Ahnung, wo wir sind“, erklärte Sam wenig begeistert und suchte vergeblich nach irgendwelchen Hinweisschildern in dieser gottverlassenen Gegend.
 

„Na, prima“, schloss sich ihm der Ältere bärbeißig an. „Und was nun? Soll ich umdrehen und den Brotkrumen folgen, die du hoffentlich ausgestreut hast und nicht von Krähen gefressen wurden?“
 

„Wir werden einfach bis zur nächsten Kreuzung fahren müssen, die ausgeschildert ist, was anderes fällt mir nicht ein“, überhörte der jüngere Winchester Deans sarkastischen Ausflug in die Märchenwelt. Dann ließ er seine Taschenlampe wie ein hektisches Spotlight über die auf seinem Schoß ausgebreitete Straßenkarte wandern. „Ich denke, wir sollten Richtung Portland ausweichen, das liegt weiter im Süden“, schlug er nach einigen Minuten des Überlegens zuversichtlich vor.

„Dann könnten wir dem Wetter womöglich davonfahren, denn dort schneit es so früh noch nicht.“
 

„Klingt nicht schlecht“, erklärte sich der Ältere einverstanden und trat, sehr zu Sams Unbehagen, stärker auf das Gaspedal. „Dann auf zur nächsten Gabelung.“
 

Es dauerte dank Deans halsbrecherischem Fahrstil gar nicht allzu lang, bis die Beiden sich an einer Kreuzung wiederfanden, die sogar noch beschildert war. Allerdings hatte der zunehmende Schneefall ein dickes Tuch um die rettenden Hinweise gespannt und so waren die Brüder genauso schlau wie vorher.
 

„Toll, und nun?“, beschwerte sich der menschliche Igelverschnitt schlecht gelaunt hinter dem Steuer, während er frustriert nach draußen auf die vielsagenden Schilder starrte. Ein fassungsloses Grunzen erklang von der Seite und Dean starrte fragend seinen Bruder an, der sich an der Tür zu schaffen machte und aus dem Wagen kletterte.
 

„Was hast du denn jetzt vor? Spazieren gehen?“
 

„Oh ja, sicher, was sonst?“ Sam warf ärgerlich die Arme zur Seite, bevor er weitersprach. „Die Schilder vom Schnee befreien, damit wir erkennen können, was draufsteht. Was hast du denn gedacht?“
 

Der Ältere zog einen unschuldigen Flunsch. „Na ja, bei dir weiß man ja nie.“
 

Ungelenk und leise schimpfend stakste der Braunhaarige durch den Schnee und bemerkte erst jetzt, als die Kälte in seine Schuhe kroch, wie stark und vor allem auch sehr schnell die Temperatur gesunken war. Eine unangenehme Gänsehaut breitete sich über seinen gesamten Körper aus und ließ ihn frösteln, während die Flocken sanft und lautlos mit seinem Leib verschmolzen. Es wurde wirklich Zeit, dass sie hier verschwanden; er hatte ja im Prinzip nichts gegen dieses Wetter, aber es erschien einem nun mal weitaus angenehmer, wenn man die richtige Kleidung dabei trug und das tat er bei weitem nicht, genauso wenig wie Dean.
 

Bei den Schildern angekommen begann er mit bloßen Händen, sie frei zurubbeln oder eher gesagt, er versuchte es, denn das Eis, was sich bereits darauf gebildet hatte, gestaltete sich als äußerst hartnäckig und widerstand seiner Aktion vehement. Resigniert und mit bereits blau anlaufenden Fingern ließ er nach einer Weile davon ab und schlurfte, die Hände rasch in den Hosentaschen verbergend, zurück zum Wagen. Sich wortlos in den Impala hineinfallen lassend, bemühte er sich, das Zittern zu unterdrücken, was seine Glieder befallen hatte und ihn so rasch nicht verlassen mochte.
 

„Was ist los?“, drängte sich die Stimme seines Bruders dazwischen. „Schon fertig mit der Streichelzoo-Aktion? Viel gebracht hat es aber nicht oder ich bin schon schneeblind geworden.“
 

„Der Schnee ist bereits festgefroren“, murrte Sam, den Sarkasmus des älteren Winchesters mutwillig umgehend. „Wenn du willst, kannst du ihn ja ablutschen, ist sogar gratis, auch die Bauchschmerzen, die man danach bekommt.“
 

Herausfordernd funkelten die blaugrünen Augen auf und taxierten den Mann neben sich, der beinahe etwas überrascht die Brauen in die Höhe zog.
 

„Also, Sammy, ich bin entrüstet. Wer hat dir bloß dieses schlechte Benehmen beigebracht?“
 

„Du.“
 

Darauf fand Dean keine Worte, denn im Großen und Ganzen hatte der Jüngere recht mit seiner Behauptung. Er war nun mal der große Bruder, von dem man sich nicht nur die guten, sondern auch die schlechten Eigenschaften abguckte. Seit sie zusammen unterwegs waren, hatte sich der Wuschelkopf eine Menge seiner spöttischen Schlagfertigkeiten abgeschaut und wandte diese nur zu gerne während ihrer Auseinandersetzungen an, um sich mit ihm zu messen.
 

„Wir sollten ... weiterfahren“, fiel ihm daher nur ein, setzte den Wagen in Gang und fuhr auf seine gewohnte Weise rasant an, um im selben Moment über die halbe Straße zu schlingern.
 

„Willst du uns umbringen?“, kreischte Sam hysterisch an sein Ohr und klammerte sich an seinem Sitz fest, als wäre dieser ein Rettungsring auf hoher See.
 

„Sehe ich etwa so aus?“, brüllte Dean zurück und gab sich Mühe, das dunkle Gefährt wieder auf die sichere Spur zu bringen, was sich jedoch als außerordentlich schwierig erwies, da der Untergrund so gefroren wie eine Eislaufbahn war. Erst nach einigen, die Verdauung umkehrenden Umdrehungen bewegte sich der Impala wieder annähernd mit der Front nach vorne über die Straße, allerdings weitaus langsamer als noch zuvor. Dean hielt das Lenkrad dabei umklammert wie den Leib einer Frau, die er gerade zu Bett getragen hatte, während sein jüngerer Bruder genug damit zu tun hatte, seine Herzfrequenz auf ein gesünderes Maß zu verringern.
 

„Das machst du ... nie wieder“, presste Sam atemlos hervor und wischte sich den Schweiß von der Stirn, welcher trotz der Kälte, die nun auch langsam in das Innere des Wagens hineinkroch, seine Schläfe hinuntertropfte.
 

„Was? Uns den Arsch retten?“, knurrte der Angesprochene zurück und konzentrierte sich angestrengt auf den Weg, der sich nur ab und zu zwischen dem störenden schneeweißen Niederschlag zeigte. „Ich habe überhaupt nichts getan, außer anzufahren. Wenn dann die Straße meint, ein Eigenleben entwickeln zu müssen, ist das nicht meine Schuld.“
 

Der Jüngere öffnete schon den Mund zu einem dementsprechenden Kommentar, beließ es dann aber bei einem müden Seufzen und schüttelte widerstandslos den Kopf, so dass die braunen Zotteln danach in alle erdenklichen Richtungen abstanden und ihn aussehen ließen, als hätte er mit einer Steckdose geflirtet. Dann wurde sein Blick plötzlich starr und er drehte sich so schnell zu seinem Bruder herum, dass dieser erschrocken aufquiekte wie eine Sau im Angesichte mit dem Metzger.
 

„Was ist denn in dich gefahren? Sitzt du auf ner Reißzwecke?“
 

„Welchen Weg hast du gewählt?“, entgegnete der Jüngere nur und überhörte die Äußerung seines Sitznachbarn, der mit seinem Gebrumme wohl versuchte, die lustig umhertanzenden Flocken zu vertreiben.
 

„Hä? Wie? Was meinst du denn damit? Meinst du wirklich, dass das jetzt der richtige Zeitpunkt ist, um zu philosophieren?“ Deans Verwirrung über die ihm eigenartig erscheinende Frage seines Bruders war nicht zu überhören, zudem er tatsächlich annahm, dass der Jüngere mit ihm nun hochgreifende Gespräche führen wollte.
 

Genervt blies Sam sich die fransigen Haare aus der Stirn. „Wo bist du an der Kreuzung langgefahren? Bist du links oder rechts oder geradeaus gefahren?“ Er betonte jedes einzelne Wort wie jemand, der mit einem kompletten Idioten sprach, sehr zum Ärger des Älteren, der neben ihm auf dem Sitz beinahe explodierte.
 

„Ich weiiiiiiiiiß, was du meinst!“, motzte dieser angepisst und warf dem jüngeren Winchester vernichtende Blicke zu, der sich nur mit Mühe ein amüsiertes Grinsen verkneifen konnte.
 

„Und?“
 

„Und was?“
 

„Woooo bist du denn nun ...?“
 

„Jajaja, schon gut, schon gut“, unterbrach Dean das Frage-und-Antwort-Spiel und kratzte sich nachdenklich am Kopf, um daraufhin ratlos in die wirbelnde Düsternis zu starren. „Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht.“
 

„Was soll das heißen, du weißt es nicht?“, polterte der Hüne los, allmählich die Geduld verlierend.
 

„So, wie ich es sage“, verteidigte sich sein Bruder lautstark und griff fester nach dem Lenkrad, nachdem ihnen ihr Gefährt unter dem Hintern erneut drohte wegzurutschen. „Als das Baby hier nach dem Anfahren einfach mit uns loszischte wie eine außer Kontrolle geratene Achterbahn habe ich leider nicht darauf geachtet, wohin es von selbst abgebogen ist oder auch nicht. Zufrieden?“
 

„Nein, irgendwie nicht“, stöhnte Sam und ließ sich nach hinten in den Sitz fallen.
 

„Okay, das nächste Mal lasse ich uns halt vor den nächsten Baum knallen, achte aber genau darauf, wo wir lang schlittern, besser so?“
 

Der Größere der Beiden atmete hörbar aus und verdrehte die Augen. Deans Sarkasmus würde ihn eines Tages noch einmal in die Raserei treiben und ihn womöglich zum Mörder mutieren lassen. Aber zu diesem Zeitpunkt war eine kindische Zankerei darum, wer nun Schuld an ihrer Misere trug, alles andere als angebracht. So schüttelte er nur verneinend den Kopf und vergrub sein Geistesgut in die feinen Zeichnungen der Karte, die verblüffenden Blicke seines Bruders, der es wohl nicht fassen konnte, dass er so rasch kapitulierte, ignorierend.
 

„Hör zu, Dean“, begann er wenige Minuten später und der Angesprochene drehte leicht den Kopf in seine Richtung, ihm aufmerksam zunickend. „Wir müssen nur darauf achten, durch welche Orte wir fahren, denn sie liegen alle an dem Highway Richtung Portland. Der erste von ihnen, den wir passieren, sofern du richtig abgebogen bist, wäre Fall City.“
 

„Na, wenn es mehr nicht ist, Kinderspiel“, kommentierte der Ältere zuversichtlich und wollte schon das Gaspedal durchtreten, bis ihm jedoch einfiel, dass sie dies schneller ins Jenseits befördern würde als nach Portland. „Tja, das wird dann wohl dauern.“
 

„Du kennst doch das Sprichwort, langsam kommt man auch ans Ziel.“
 

„Ja, aber ich hasse langsam, wenn ich in so einer irren Kiste sitze.“ Dean warf seinem Bruder einen vielsagenden Blick zu, der dem Jüngeren ein vergnügtes Kichern entlockte, was die angespannte Stimmung zwischen ihnen ein wenig vertrieb. Etwas entkrampfter als noch zuvor sahen sie nun ihrem Bestimmungsort entgegen und ein jeder von ihnen freute sich auf ein warmes weiches Bett, auf dem sie ihre müden und allmählich durchgefrorenen Glieder wie vor sich hinräkelnde Katzen ausstrecken konnten.
 

Aber sehr lange hielt sich diese Zuversicht nicht in ihren Gedanken, denn nach bereits über einer Stunde Fahrt zeigte sich keine Kleinstadt mit den üblich des Nachts beleuchteten Straßen auf ihrem Weg, den sie entlang fuhren. Hilflos brütete Sam erneut über der Karte und studierte sie wie ein wichtiges Fundstück aus längst vergangenen Epochen.
 

„Das verstehe ich nicht“, gab er einige Momente später von sich und legte besorgt die Stirn in Falten.
 

„Was?“, kam es leicht beunruhigt von der Seite, denn sobald der Größere der Winchesters etwas nicht eruieren konnte, bedeutete das meist nichts Gutes.
 

„Wir hätten längst, auch bei diesem Schneckentempo, mit dem wir vorankriechen“, Dean zog eine gekränkte Schnute und streichelte tröstend seine zweitgrößte Leidenschaft, „die nächste Stadt passieren müssen“, schob Sam, am Geisteszustand seines Bruders zweifelnd, nach. Wenn es um den Wagen ging, verstand der Ältere einfach keinen Spaß. Der Dunkelhaarige überlegte, ob es nicht vielleicht besser gewesen wäre, mit silbernen Metallfelgen und einem röhrenden Auspuff zur Welt zu kommen, verwarf diese ulkige Vorstellung aber sogleich wieder. Dean würde ihn, sobald es um seine Sicherheit ging, tausend Stufen über den Impala heben.
 

Andererseits käme er um eine Standpauke keineswegs herum, sollte er dem nachtschwarzen Gefährt unansehnliche Beulen oder Kratzer zufügen. Wieder eines dieser Dinge, die sie nicht teilten. Für Sam war der Impala nicht mehr als ein Auto, welches einen von Punkt A nach Punkt B beförderte, wenn man es wünschte, Dean bedeutete die alte Kiste weitaus mehr. Vielleicht lag dies aber auch zum Teil daran, weil sie einst ihrem Dad gehört hatte.
 

„Hörst du mir überhaupt zu, Sammy?“, quäkte die Stimme seines Bruders plötzlich dazwischen und seine Gedanken suchten das Weite wie vom Wind durcheinander getriebene Rauchschwaden.
 

„Was?“, fragte der Angesprochene verwirrt und sah den kleineren Winchester mit großen Augen an.
 

„Das gibt´s doch nicht“, seufzte dieser und knetete mit einer Hand angestrengt seine Stirn, auf der kleine Wutfalten im Takt eines unhörbaren Liedes aufzuckten. „Ich laber mir hier den Mund fusselig und du starrst wie ein begeisterter Welpe auf einen nicht vorhandenen Knochen.“
 

„Hä?“
 

„Was war es denn diesmal? Clowns oder Zwerge?“
 

„Dean ... .“
 

Der Ältere schmunzelte erheitert, als er bemerkte, wie sein kleiner Bruder die Nase entzürnt kraus zog, was ihm eine unmissverständliche Warnung anzeigen sollte. Schon als sie noch Kinder waren, hatte Sam dies stets vor einem darauf folgenden Wutausbruch getan, was Dean allerdings jedes Mal zu einem schallenden Lachen animiert hatte, da der Jüngere einfach zu lustig aussah, wenn er diese putzige Angewohnheit zur Schau trug.
 

„Also, was ist nun? Wo sind wir oder eher gesagt, was meinst du, wo wir sein könnten?“ Er wusste, dass sein Bruder in dieser Beziehung genauso schlau wie er war, aber er wollte seine Meinung dazu hören, denn normalerweise hatte Sam immer eine hilfreiche Antwort parat, auf die man bauen konnte.
 

„Das kann ich erst sagen, sobald eine Stadt in Sicht kommt“, erwiderte der Wuschelkopf und vertiefte sein Wissen erneut in die für Dean verworrenen Pfade ihres Heimatlandes, während dieser aufmerksam Ausschau nach den Lichtern der nächsten Kleinstadt hielt.
 

„Da, da!“, rief es eine halbe Stunde später dann begeistert aus der Kehle des Fahrers und wie ein aufgeregtes Kind, das zum ersten Mal eine Sternschnuppe erblickt hatte, streckte er den Finger aus und zeigte auf einen verwaschenen Schein am Horizont, der immer größer wurde.
 

„Na also“, zeigte sich Sam zufrieden, rollte die Karte mit einem Male zusammen wie ein Fernrohr und lugte, ähnlich eines Kapitäns, der ein Schiff befehligte, hindurch. „Sehr gut, Steuermann, Ziel liegt auf zwölf Uhr, draufhalten, aber sinnig, denken Sie an die Untiefen“, tönte es übertrieben wichtigtuerisch durch den Impala, während die arg gebeutelte Karte weitere Spuren ihrer Reise erleiden musste.
 

„Aye, Cap“, salutierte Dean flott und grinste frech übers ganze Gesicht. „Festhalten, ich lasse das Baby wie eine Lady durch die meterhohen Brecher tanzen.“
 

Ein flüchtiges Lächeln huschte über Sams blasse Wangen, welche von den vielen Nächten, in denen er nur wenig oder gar keinen Schlaf gefunden hatte, zeugten. Manchmal mussten diese Kindereien, die ihre Sorgen kurzzeitig zweitrangig erscheinen ließen, einfach hinaus. So ließ sich ihr Leben, welches sich so sehr von dem der Normalsterblichen unterschied, meist einfacher ertragen und trieb einen nicht an den Rand des Wahnsinns, den man tagtäglich erlebte.
 

„Öhm, Leavenworth?“, platzte es leicht verwirrt aus dem Mund seines Bruders, der soeben die halb vom Schnee zugedeckten Buchstaben des Ortsschildes korrekt zusammenfügte, an dem sie gerade vorbeirollten „Sagtest du nicht Fall City?“
 

Ein ernüchtertes Seufzen schlich sich über Sams Lippen und sofort wühlte er die Karte auseinander, um nachzusehen, in welche Breitengrade sie sich nun tatsächlich verirrt hatten, aber es war bei weitem nicht so einfach, unter den unzähligen Orten, welche ihm von dem Papier entgegen starrten, diesen Namen herauszufiltern. Seine Augen brannten und er war hundemüde. Ein verstohlener Blick in Richtung des Älteren verriet ihm, dass es diesem nicht anders ging, allerdings konnte es Dean perfekt verbergen und überspielen.
 

„Was jetzt?“, fragte dieser genau das, was auch die Gedanken des größeren Winchesters ordentlich durcheinander wirbelte wie ein Luftzug wichtige Papiere.

„Soll ich umdrehen?“
 

Aber Sam starrte nur wortlos hinaus auf die vom fahlen Licht erhellten Straßen, die leer und ausgestorben wirkten wie sein Kopf. Er fühlte sich mit einem Male so ausgebrannt wie der unabkömmliche Chef einer Firma, der vergessen hatte, was die Wörter Urlaub und Feierabend bedeuteten.
 

„Sam!“ Deans Stimme wand sich durch die allmählich an Macht gewinnende Gleichgültigkeit wie ein scharfkantiges Messer und vertrieb ein wenig die Düsternis, welche sich ohne Vorwarnung des Herzens seines Bruders bemächtigt hatte.
 

„Was?“, knurrte dieser ähnlich eines mürrischen Tigers, den man bei seinem ausgiebigen Mittagsschlaf gestört hatte und wandte sein Interesse erneut der öden Kargheit zu, die sich ihnen beim Verlassen der Stadt in ihrer vollen Pracht präsentierte. Man hätte meinen können, sie befänden sich bereits Meilen von jeglicher Zivilisation entfernt, so, wie die Gegend um sie herum anmutete, aber Fakt war, dass sie erst vor wenigen Augenblicken die letzten Häuser von Leavenworth hinter sich gelassen hatten.
 

„Mir reicht´s, ich dreh um“, verlor der Fahrer des Wagens langsam die Geduld, was das schweigsame Etwas direkt an seiner Seite betraf und machte bereits Anstalten, den Wagen auf der eisglatten Straße zu wenden, bis sich der Körper neben ihm regte und zwei Hände ihm ohne Vorwarnung in das Lenkrad griffen und der Wagen daraufhin quietschend zurück in die Spur schlingerte. „Bist du verrückt, Sammy?!“, keifte Dean sofort los und wischte die Grabscher seines Bruders davon wie zwei lästige Staubfusel.
 

„Nein, ich nicht, aber du, wie es scheint“, giftete es leicht eingeschnappt zurück, während sich Sam zurück in seine Ecke drückte wie ein geprügelter Hund.
 

„Und was ist so falsch daran, zurück zu fahren und an der Kreuzung eine andere Richtung einzuschlagen?“, wollte der Ältere wissen. „Zumindest sollten wir diese Möglichkeit noch in Betracht ziehen oder hast du etwa eine bessere Idee?“
 

„Gerne, wenn du noch einmal Berg- und Talfahrt mit möglicher Todesfolge spielen möchtest“, krakelte es von jüngerer Seite, was den jungen Mann mit dem raspelkurzen Haarschnitt vor Ärger die Zähne aufeinander pressen ließ.
 

Dummerweise hatte Sam damit nicht ganz unrecht. Die Gegend, welche sie vor Leavenworth passiert hatten, war von nicht zu verachtenden Gebirgsketten durchzogen, auf denen sich der Schnee wie fröhliche Bergziegen tummelte. Von der Straße, die nach Deans Meinung nur aus halsbrecherischen Kurven bestand, mal ganz abgesehen. So gesehen kam es bei dieser Witterung tatsächlich einem Himmelfahrtskommando gleich, wenn er den Wagen in die entgegengesetzte Richtung steuern würde.
 

„Gut, wie du willst, dann halt weiter auf der Straße ins Nirgendwo“, grummelte das selbst ernannte, momentane Winchester-Oberhaupt und tippte das Gaspedal so sanft an, wie er einer Frau übers Gesicht streichen würde. Sam stierte finster hinaus, hoffend, dass die nächste Kreuzung ihnen mehr Erleuchtung als die vorige bringen würde. Doch durch den dichten Schneefall übersahen Beide nur Minuten später die nächstbeste Gelegenheit, noch einen Weg nach Portland zu finden und so rauschte die Abzweigung mit den ebenfalls dick zugeschneiten Hinweisschildern ungesehen an ihnen vorbei.
 

Daher geschah es, dass sie an der darauffolgenden Weggabelung, die gleichermaßen hilfreiche Auskünfte von sich gab wie alle anderen, mit ratlosen Mienen hinaus in das ihnen unbekannte Gebiet starrten. Nach einer nicht wirklich aussagekräftigen Diskussion mit seinem Bruder, der ungefähr so gut gelaunt wie eine gefürchtete Schwiegermutter mit ihm agierte, entschied Dean, einfach links abzubiegen. Und dies nicht, weil es vielleicht den Ansichten von Sam entsprach, der nur noch „Tu doch, was du willst“ vor sich hinmurrte, sondern er einfach beschlossen hatte, nach seiner Intuition zu fahren, wenn schon nichts Gescheites aus dem Mund des Jüngeren troff, was ihm vielleicht hätte weiterhelfen können.

Nachdem sie jedoch die nächste Stadt passierten, die leider ebenfalls nicht im Entferntesten in der Nähe ihres Zielortes lag, erreichte die Frustration nie gekannte Ausmaße.
 

„Orondo ... echt klasse.“ Sams untrüglicher Sarkasmus ließ keinen Irrtum darüber offen, dass er womöglich jeden Augenblick platzen würde. „Habe ich schon erwähnt, dass du dich total verfahren hast?“ Die letzten Worte verließen vielleicht ein wenig überlaut die Kehle des Dunkelhaarigen, der seinen Bruder mit den Blicken eines grimmigen Drill-Sergeants musterte.
 

„Ist ja auch kein Wunder, wenn mein Navigationsgerät nicht mehr mit mir redet“, knurrte ihm der Ältere nur schlechtgelaunt entgegen.
 

„Oh ja, natürlich“, antwortete der jüngere Winchester mit gespielter Erkenntnis und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Was hätte ich denn deiner Meinung nach sagen sollen? Neuberechnung der Fahrtroute?“
 

Das rief jedoch nur ein unzufriedenes „Pah“ hervor, welches sein Partner verdrießlich ausstieß.
 

„Wir können nicht zurück über die Berge, das ist Wahnsinn bei dem Wetter! Wir hätten in der vorigen Stadt anhalten sollen, um dort die Nacht zu verbringen“, ereiferte sich Sam aufgeregt.
 

„Ach ja? Und mit den netten Typen aus dem Diner ein Spiel anschauen?“ Dean warf seinem Bruder von der Seite her einen ernsten Blick zu, der sofort verriet, dass er damit keine Späße trieb.
 

„Du meinst, sie sind uns gefolgt?“ Gehetzt und mit einer gewissen Furcht in der Stimme sah der Jüngere über seine Schulter hinweg auf den Weg, den sie bereits zurückgelegt hatten, aber glücklicherweise bohrten sich keine grellen Scheinwerfer eines bedrohlich wirkenden Autos in ihre Rücken. Nur die allgegenwärtige Dunkelheit der Nacht mir ihren unzähligen kleinen, vom Himmel wirbelnden Schneeflocken ergoss sich in aller Pracht hinter ihnen. Und doch beruhigte ihn diese Tatsache keineswegs, da er zu keinem Zeitpunkt die Möglichkeit in Erwägung gezogen hatte, dass die Dämonen sich an ihre Fersen heften könnten.
 

Innerlich fröstelnd drückte er sich tiefer in den Sitz des Impalas, der leise schnurrend durch die Winterlandschaft tuckerte.
 

„Na ja, die Möglichkeit besteht zumindest“, äußerte sich der Fahrer des Wagens, das nicht zu übersehende Unbehagen des Dunkelhaarigen mit wachsender Verwunderung aufnehmend. Normalerweise stiegen bei Sam die Panikpegel nicht sogleich in schwindelerregende Höhen. Schließlich begleitete ihn das Wissen um all diese Dinge, die andere Menschen als nicht ernstzunehmende Schauergeschichten abtaten, bereits seit der Kindheit. Daher betrachtete er so etwas eher mit der eiskalten Abgebrühtheit eines Jägers und nicht mit den verschreckten Augen eines kleinen Jungen. Aber genauso und nicht anders wirkte er nun auf den Älteren, der sich erneut den Kopf über seinen Bruder zerbrach, welcher nach all den zurückliegenden Ereignissen des öfteren Verhaltensweisen an den Tag legte, die ihm fremd und neu waren. Ebenso die wirren Gefühlsschwankungen, die Sam plötzlich überfielen wie ein Gewitter, welches sich ohne Vorwarnung über das ahnungslose Land hinwegschob.
 

„Aber dank des Babys hier“, Dean tätschelte vertraut und liebevoll das Lenkrad seines Wagens, „werden sie sicherlich aufgegeben haben.“ Grinsend lugte er zu seinem Beifahrer hinüber, der wenig begeistert seine Blicke erwiderte.
 

„Sicher“, seufzte der Dunkelhaarige ihm entgegen und kämmte sich mit den Fingern die wirren Strähnen aus der Stirn. „Bei der irren Geschwindigkeit, mit der du den Impala über die Straße scheuchst, kann uns nicht einmal ein Dämon einholen.“
 

Der Ältere grunzte beleidigt einige für Sam nicht verständliche Worte nach diesem beißenden Seitenhieb und beobachtete griesgrämig wie ein alter Herr, dem man anständig auf den Schlips getreten war, die sorglosen kleinen Schneeflocken, die ihn bald in den Wahnsinn trieben. Hatte er sich denn tatsächlich schon wieder verfahren, weswegen dieses dumme weiße Zeug überhaupt nicht weniger wurde?
 

„Wenn das so weitergeht, können wir uns bald Skier an die Reifen pinnen“, wehte ihm nochmals der scharfzüngige Spott seines Gefährten entgegen, der sich immer weiter in etwas steigerte, das Dean ebenso in Rage brachte.
 

Die nächste Bemerkung, welche sich genüsslich in einer Welle des Hohns suhlte, ließ auch nicht lange auf sich warten. Es schien beinahe so, als wollte Sam mit diesen Anspielungen seinen momentanen Gefühlszustand überdecken, was ihm jedoch nur kläglich gelang.
 

„Geh ich richtig in der Annahme, dass wir uns eher auf den Nordpol zu bewegen als nach Portland?“ Seine Stimme klang dabei wie die eines Jury-Mitgliedes von „Irgendwas sucht den Superstar“, welches einem Teilnehmer soeben gekünstelt freundlich erklärte, dass dieser lieber in einem Kuhstall singen sollte, damit die Kühe vor Schreck noch mehr Milch gaben.
 

„Ich weiß gar nicht, was du hast“, antwortete der ältere Winchester daher kühl, den aufwallenden Zorn über diese gehässig klingenden Worte mühsam dabei unterdrückend. „Es ist doch alles in Ordnung.“ Das letzte, was er jetzt wünschte, war ein eskalierender Streit, der sich aus diesem makabren Blödsinn entwickeln würde, sobald er Sams Äußerungen nachgab.
 

„Oh, wie eine lahme Ente auf einer eisglatten Straße entlang tuckern mit der ständigen Gefahr dabei im Kopf, dass eine leichte Betätigung der Bremse uns gegen den nächsten Baum schleudert, findest du also vollkommen in Ordnung.“
 

„Ich habe alles unter Kontrolle“, behauptete der Angesprochene, seine Stimme zitterte jedoch dabei vor Wut wie eine angezupfte Geigensaite. Noch etwas in der Art und er würde sich sicherlich vergessen.
 

„Natürlich“, stichelte der Hüne und sah ihn so giftig an wie eine gereizte Kobra, die es leid war, den Bewegungen dieser gottverdammten Flöte vor ihrer Nase zu folgen. „So, wie vorhin, als du meintest, unser Essen wieder nach oben befördern zu müssen. Und übrigens, der Ort, an dem du gerade vorbeigeschlichen bist, war wieder einmal nicht im entferntesten Sinne in der Nähe von Portland.“
 

Mit einem raschen Seitenblick folgte Dean dem angedeuteten Nicken seines Bruders und erhaschte noch den Namen der Kleinstadt, die im Dunkel der Nacht und den umherwirbelnden Störfaktoren nur schlecht zu erkennen war, hätten nicht hier und da einige Lichter in den Häusern gebrannt.
 

„Farmer ...“, murmelte er, den angestauten Frust im Bauch seines Bruders ignorierend. „Klingt doch ganz hübsch, richtig heimelig.“ Die darauf folgende Explosion direkt neben ihm fegte jegliche mühsame Unterdrückung seiner eigenen Empfindungen davon, als wirbelte ein alles zerstörender Hurrikan über ihre Köpfe hinweg.
 

„Du bist ein noch größerer Sturkopf als Dad!“, fauchte Sam und schmiss die Karte wutentbrannt vor die unschuldige Scheibe des Impalas, der dies schweigend hinnahm. „Im Verschleiern von Tatsachen steht ihr euch in Nichts nach, bloß nicht zugeben, dass etwas nicht stimmt, man könnte es ja merken.“

Der Ältere versuchte noch, tief Luft zu holen, um seinem bereits brodelnden Selbst ein Quäntchen an Beruhigung zurückzuführen, was sich allerdings als sinnlos erweisen sollte.
 

„Ach, das ist also der Grund, weswegen du dich wie ein trotziges Kind benimmst! Es ist also mal wieder wegen Dad!“, bellte Dean in derselben Manier zurück und legte dabei seinen Fuß schwerer auf das Gaspedal, ohne es überhaupt zu wollen.
 

Sofort machte der Wagen einen gewagten Hüpfer nach vorne, was aber sogar von beiden unbemerkt blieb, da sie mit ihren Gedanken zu sehr an ihrem sich steigernden Konflikt fest hingen. „Er ist nicht einmal hier und schon beginnst du wieder, gegen ihn zu wettern. Wenn das so weitergeht, bin ich beinahe froh, dass wir noch nicht auf ihn getroffen sind.“
 

„Was sagst du da?“ Die Stimme seines Bruders klang gleichzeitig entsetzt und verärgert. Unglauben strahlte aus den blaugrünen Augen, nachdem die Worte des Kleineren dessen Mund verlassen hatten und dem eh bereits angekratzten Verhältnis zwischen ihnen noch stärkere Wunden zufügten.
 

„Na, gib es doch zu, du und Dad, ihr würdet euch sofort wieder an die Gurgel gehen, sobald ihr euch trefft, so war es doch schon immer“, prognostizierte Dean, die Wahrheit am Schopfe packend, jedoch dabei kein wenig realisierend, dass es dem Jüngeren nicht um diese Tatsache ging, sondern um etwas ganz anderes.
 

„Du ... bist froh, dass wir noch nicht ... auf ihn getroffen sind?“, stammelte Sam atemlos, den Kopf dabei entgeistert schüttelnd. „Und das ... wegen mir?“
 

„Ja, ich meine, was haben wir denn davon, wenn du ihm wie eine mit scharfer Munition geladene Knarre begegnest?“, fragte der Ältere relativ sorglos, die veränderte Stimmlage und Körperhaltung des Dunkelhaarigen dabei unbeabsichtigt nicht bemerkend. „Ich habe keine Lust, mich schon wieder zwischen euch hochexplosive Pulverfässer zu quetschen, jedes Mal mit demselben Ergebnis, dass ich nicht recht weiß, auf welche Seite ich mich schlagen soll.“
 

Seine eigene Ungeduld, John zu finden, um einige Stufen zurückfahrend, bemerkte Dean gar nicht, dass Sam bereits nicht mehr zuhörte.
 

„Mum ist tot, Jessica ist tot“, kam es tonlos über die Lippen des jüngsten Familienmitgliedes, was den Fahrer des Wagens alarmiert zur Seite schauen ließ. „Der einzige, der eine Antwort darauf haben könnte, ist Dad und du“, er hielt plötzlich inne und schaute seinen Bruder an, die sonst so lebhaften Augen düster wie der Tod, „fürchtest um eine mögliche Konfrontation zwischen uns?“ Der letzte Teil des Satzes war eiskalt an die Ohren des jungen Mannes mit dem Kurzhaarschnitt gedrungen, so dass ihm mit einem Male fröstelte. Das war nicht mehr der unbeschwerte Sam, den er vor einiger Zeit von seinem Wunsch nach einem normalen Leben weggezerrt hatte, um ihren Vater zu suchen. Neben ihm saß nur noch ein dunkler Schatten, der einzig und allein von einem Gedanken beherrscht wurde, seit sie Stanford zum zweiten Mal verlassen hatten – Rache.
 

„Es ist nicht so, wie du denkst“, verteidigte Dean sich daher rasch, damit der Jüngere nicht noch tiefer in diese gefährliche Trübheit hinabglitt, die seiner eh verletzlicheren Seele großen Schaden zufügte. „Ich halte es nur für besser, dass du erst einmal von deinem Trip, der nur gerade so nach Frustration schreit, runterkommst, bevor wir ihm begegnen, das ist alles.“
 

„Ich weiß nicht, was du meinst, mir geht es gut“, erwiderte der Braunhaarige mit einer gewissen Bitterkeit; seine Stimme bebte dabei wie der aufgezehrte Körper eines Pferdes, das meilenweit ohne eine ruheschöpfende Pause gerannt war. Als ihm für einen kurzen Augenblick das Bild von Jess vor den Augen erschien, wie sie oft vor ihm gestanden hatte, mit ihrem liebevollen und aufmunterndem Blick, hatte er das Gefühl, jemand würde ihn von hinten brutal umschlingen und ihm den Brustkorb zerquetschen, was seiner Aussage Lügen strafte.
 

Dean seufzte besorgt, nachdem er den gequälten Ausdruck auf dem Antlitz seines kleinen Bruders bemerkte. Es wäre ihm lieber, Sam würde endlich darüber reden, anstatt sich hinter seiner aufgestauten Wut und der rasenden Ungeduld, die ihn überhaupt noch am Leben hielt, zu verstecken. Sollte sich nicht bald etwas an dem Zustand des Jüngeren ändern, würde es ihn eines Tages von innen heraus zerstören, was er jedoch niemals zulassen würde, soviel war sicher. Schließlich war es sein Job, Sammy zu beschützen und den nahm er mehr als ernst.
 

„Hey“, begann er daher vorsichtig, die Tonlage gewollt sachlich und beruhigend wählend, um nicht einen erneuten Ausbruch des Hünen neben ihm zu riskieren, der sich angespannt in den Sitz presste, als befände er sich in einer Achterbahn, die jeden Moment in die Tiefe raste. „Ich kann ja verstehen, wie du dich fühlst, aber ... .“
 

„Das bezweifle ich“, fuhr ihm sein Beifahrer unwirsch über den Mund und musterte ihn mit einer Gefühlskälte, die einfach nicht zu seinem Bruder passte. „Auch, wenn es für mich nichts ändert, aber du weißt kein bisschen, was das bedeutet, da du die Frauen wechselst wie deine Unterwäsche.“
 

Leicht gekränkt verzog der ältere Winchester das Gesicht. Das hatte gesessen. Und ärgerlicherweise hatte Sam damit nicht einmal so unrecht. Die längste Beziehung zum anderen Geschlecht hatte nicht einmal ein Jahr gehalten und oft war er selbst es gewesen, der sich wie ein Hund aus der sicheren Falle einer als zu ernsthaft anmutenden Zweisamkeit gewunden hatte.
 

Die einzige Frau, die er für immer verloren hatte, war ihre Mum. Jedoch war ein damals Vierjähriger nicht in der Lage gewesen, solch Trauer diesbezüglich zu empfinden, wie er sie erst Jahre später entwickelt hatte und sie noch immer mit sich herumtrug. Manchmal dachte er darüber nach, wie viel einfacher es für sie alle wäre, wenn Mary noch unter ihnen weilte. Vielleicht hätte sie es geschafft, mit ihrer unabdingbaren Liebe Sammys Kummer ans Tageslicht zu befördern, um ihm so die erdrückende Last, welche er sich selbst auferlegt hatte, von den Schultern zu nehmen. So musste er selbst es versuchen, doch ihm war bewusst, dass er damit niemals so erfolgreich sein würde wie eine Mutter, der das Talent dafür bereits in die Wiege gelegt wurde.
 

„Okay, ich kann nicht verstehen, wie du dich fühlst“, gab er daher nach einer kurzen Pause des Schweigens zu, „aber bist du wirklich der Meinung, alles in sich hinein zu fressen macht es einfacher?“ Mit einem leichten Vorwurf, der sich hart auf seinen sonst eher unbekümmert wirkenden Gesichtszügen abzeichnete, sah er seinen Bruder an. „Ich meine damit die Alpträume, du wachst nachts schreiend auf, wenn du dann überhaupt mal schläfst und behauptest jedes Mal, es sei alles in Ordnung. Ganz zu schweigen von diesen Visionen, die dich seit einiger Zeit nicht mehr loslassen. Wie lange soll das noch so weitergehen, Sam?“
 

Einen Augenblick lang schwieg der Angesprochene zu den Tatsachen, die ihn seit dem Tod seiner Freundin faktisch jede Nacht heimsuchten, bis ein widerborstiges „Tss“ durch das Innere des Impalas schallte und er uninteressiert an diesen Worten hinaus in das düstere Nichts starrte.
 

„Das habe ich mir gedacht“, murmelte Dean, dieses Verhalten vorausahnend. „Wer verschleiert denn hier die Tatsachen, hm? Du bist manchmal keinen Deut besser als Dad oder ich.“ Ein verstimmtest Zischen stieß ihm daraufhin wie ein aggressiver Schlag in die Seite, während ihn ein Paar blaugrüne Augen mit warnenden Blicken bedachte. „Du brauchst mich gar nicht so anzusehen, Sammy“, räumte der Ältere ein, jeden Versuch, ihn von diesem Thema abzulenken, mit einer herrischen Handbewegung beiseite schiebend. „Entweder, du kriegst dich langsam wieder ein, oder ich setz dich in der nächsten Stadt ab und suche allein weiter nach Dad.“ Protestierendes Keuchen wurde hörbar, aber der kleinere Winchester redete ungerührt weiter. „Du bist nicht nur für dich allein in diesem Zustand eine Gefahr, sondern auch für mich. Ein Jäger muss all seine Sinne beisammen haben und darf nicht zulassen, dass diese durch so etwas, mit dem du dich zurzeit selbst zugrunde richtest, aus den Fugen geraten. Erinnere dich, was vor zwei Wochen in Redmond beinahe passiert wäre, als du Gerüchte hörtest, wo ER, nach dem Dad sucht, sich aufhalten könnte.“
 

„Das wirfst du mir jetzt noch vor?“ Entrüstung schwang in der Stimme des Jüngeren mit, während er sich an ihren beinahe durch ihn vermasselten Job erinnerte.
 

Sie hatten versucht, dem Übel auf die Spur zu kommen, das in verschiedener Gestalt Lügen und Intrigen verbreitet hatte, um so die Menschen einer Kleinstadt gegeneinander aufzubringen. Nachdem sie den Missetäter, einen Dämon, gestellt hatten, hatte sich dieser Sams momentane Schwäche zunutze gemacht und ihm vorgegaukelt, zu wissen, was seiner Freundin passiert war und warum. Daraufhin hatte der verblüffte junge Mann, welcher sich nach dem Tod des Mädchens an alles hoffnungsvoll klammerte, was ihn in irgendeiner Hinsicht näher an die Hintergründe ihres mysteriösen Ablebens heranbrachte, die Waffen sinken lassen und auf weitere erklärende Worte des Feindes gewartet, die jedoch eher in Form eines tödlichen Schlages auf ihn zugewallt waren. Wäre sein Bruder nicht so schnell an seiner Seite gewesen, um ihn wegzustoßen, hätte ihn womöglich Schlimmeres als der Tod ereilt.
 

„Gut, ich war unvorsichtig, das gebe ich zu“, räumte der jüngere Winchester zähneknirschend ein, nachdem das Erlebte erneut seine Gedanken aufgewühlt hatte.

„Aber was, wenn er tatsächlich etwas wusste? Musstest du es gleich wieder auf deine Tour machen und ihn sofort austreiben, nachdem ich mit dem Kopf einen Stein geknutscht hatte und es daher nicht verhindern konnte? Er hätte vermutlich Informationen für uns gehabt und wir wären dadurch bedeutend viele Schritte weiter.“
 

Der Ältere musterte ihn, als hätte Sam ihm soeben erzählt, dass er an die Existenz von Zwergen und Elfen glaubte.
 

„Sammy“, seufzte er daher wie ein gestresster Vater, dem langsam die unerschöpfliche Geduld abhanden geriet, „du weißt doch genauso gut wie ich, dass die Mistkerle Gedanken lesen können und dir deswegen das erzählen, was du hören willst. Wenn sie dieselbe Eigenschaft wie Pinocchio hätten, würde sich ihre Nase bereits zigmal um die Welt wickeln.“
 

„Ja, schon gut, das weiß ich alles“, schnaubte der Hüne widerwillig und verzog das Gesicht, da Dean wieder diesen Tonfall annahm, in dem er stets als Kind zu ihm gesprochen hatte und der ihn immer daran erinnern sollte, dass er der Ältere war und in solchen Fällen das Sagen hatte. „Aber wie können wir sicher sein, dass er wirklich die Unwahrheit gesagt hat? Was, wenn er uns einen Hinweis geben wollte, wenn er ...?“
 

„Es reicht jetzt, Sam!“, fuhr ihm Dean energisch dazwischen, seine grasgrünen Augen blitzten gefährlich in der vorherrschenden Düsternis des Impala auf wie die zornig zusammengekniffene Iris eines aufgebrachten Drachen. „Ich hab genug von diesem ständigen ´Wenn` und ´Aber`, es ist mir egal, was er wusste oder nicht. Alles, was über die Lippen dieser Kreaturen kommt, ist die bloße Lüge. Meinst du, die Menschen dieser Stadt sind von allein so durchgedreht? Hättest du ihm etwa geglaubt, wenn er dir erzählt hätte, warum Jessica sterben musste? Genauso die Behauptung, er würde den Verursacher kennen. Stell dir vor, er hätte dir den Namen eines Unschuldigen genannt, wärest du dann losgezogen und hättest vermutlich jemanden getötet, der mit der Sache rein gar nichts zu tun hat?“
 

Er wusste, dass er sich keine Antwort von dem Jüngeren erhoffen konnte, aber als nicht einmal eine Reaktion auf seine Standpauke folgte, sah er verdutzt zur Seite.
 

Das schummrige Licht der Armaturen, welches das Innere des Wagens nur schwach beleuchtete, schaffte es nicht, den finsteren Schatten, der sich wie eine unheilbringende Wolke auf das Antlitz seines Bruders gelegt hatte, zu vertreiben. Nur die unnatürliche Blässe, die seine Wangen seit Tagen bevölkerte, stach gelegentlich hindurch wie das energische Licht der Sonnenstrahlen, die sich durch ein herannahendes Unwetter gruben.
 

Dean konnte nicht sagen, ob es allein nur der Gesichtsaudruck des Jüngeren oder auch die allmählich vorherrschende Kälte von außen war, die in ihm ein Unwohlsein auslöste, was er seit Jahren nicht gespürt hatte. Er wusste nicht, ob sich Sam nun Gedanken darüber machte, was er soeben gesagt hatte oder ob es etwas anderes war, das durch den Kopf seines Beifahrers geisterte. Instinktiv wünschte er sich im Stillen, dass es eher auf das erstere hinauslief, alles andere ließ nur wieder seine Besorgnis um den viel zu großen Jungen, der ihn seit einigen Jahren fast um einen Kopf überragte, auflodern wie unruhige Flammen.
 

„Manchmal habe ich das Gefühl, es wäre besser, wenn es mich nicht gäbe“, gab die schockierende Äußerung, welche ohne Vorwarnung die Stille zwischen ihnen zerfetzte, Deans Befürchtung neue Nahrung.
 

„Was?“, keuchte dieser erschüttert auf, das Lenkrad gefährlich dabei verreißend, als er den Blick seines Familienmitgliedes suchte, das jedoch starr ins Leere sah. „Sam, was redest du da für einen Schwachsinn?“
 

Die Stimme seines Bruders klang beängstigend monoton, als er antwortete. „Ich meine nur, irgendwie hat mit mir ja alles begonnen. Mum kam um, weil sie mich vor dem Dämon beschützen wollte, der in meinem Kinderzimmer war, so hat Dad es doch erzählt, er hat sie schreien hören, also muss er vor meinem Bettchen gewesen sein.“
 

„Sam ...“, unterbrach ihn der Ältere aufgewühlt, er wollte das alles nicht hören, es stimmte nicht, er sollte sich das nicht einreden, aber der Wuschelkopf sprach ungerührt weiter, als hätte er Dean nicht gehört.
 

„Und Jessica ... sie würde noch leben, wenn es mich nicht gegeben hätte, ich meine, warum tut er das? Wieso tötet er die Menschen, die mir etwas bedeuten? Wird er dich auch holen, Dean? Werde ich dich eines Tages auch blutend unter einer Zimmerdecke finden? Und Dad? Das will ich nicht!“ Sein Atem wurde immer hektischer, kalter Schweiß bildete sich auf seiner Stirn, die in tiefen Falten lag, während er die Fäuste so stark geballt hatte, dass aus seinen Fingern alle Farbe wich.
 

„Hör auf, Sam“, bat sein großer Bruder eindringlich, während ihn die Sorge um den Anderen beinahe auffraß, „hör auf, du weißt, dass das Quatsch ist.“ Aber der Angesprochene schien vollkommen woanders zu sein, die Worte erreichten seine Sinne keineswegs, sondern prallten an ihm ab wie die zielsicher abgefeuerten Kugeln eines Gewehres an einem perfekt geschmiedeten Katana.
 

„Mum könnte noch leben, zusammen mit Dad, sie wären glücklich, ohne Leid und Angst, sie hätten dich, du würdest wie ein ganz normaler Junge aufwachsen, frei von dem Wissen, was es wirklich da draußen gibt und nicht im ganzen Land herumkurven und dein Leben hiermit verschwenden, mit mir ... .“

Er stockte, als die Stimme seines Bruders wutentbrannt, aber auch der Verzweiflung nahe an seine Ohren prallte wie ein außer Kontrolle geratenes Flugzeug an eine Gebirgskette.
 

„Verdammt, Sam, es reicht! Es reicht!“, schrie Dean außer sich vor Zorn über all das, was den Lippen des Jüngeren entflohen war, der darunter zusammenfuhr, als hätte ihn ein wild umherzuckendes Stromkabel gestreift. „Du hast nichts damit zu tun, dass alles so ist, wie es ist und ich will dieses Leben mit keinem anderen auf der Welt eintauschen, solange es meinen kleinen Bruder beinhaltet!“
 

Sprachlos sahen sich die Beiden an, der Jüngere überwältigt von den Worten des älteren Winchesters, der, ohne darüber nachzudenken, die Straße dafür vollkommen außer Acht gelassen hatte. Es dauerte nicht weniger als einige Sekunden, bis Sam sich wieder einigermaßen gefangen hatte, die aufkommenden Tränen rasch verbergend, indem er den Kopf zur Seite drehte, aber für die Zwei war es wie eine halbe Ewigkeit.
 

„Dean, ich ...“, begann er und es klang wieder ganz nach dem guten alten Sam, den der Kleinere kannte und schätzte. „Ich ... es ...“, suchte der Hüne nach einer passenden Entschuldigung, die ihm jedoch nur mühsam durch die halb zugeschnürte Kehle kroch. Erneut nahm er einen Anlauf, aber plötzlich wurden seine Augen riesig und Panik zeichnete sich auf seinen noch jungenhaften Zügen ab, während der Blick des Bruders die ganze Zeit auf ihm ruhte. Verwirrt zog der junge Mann mit dem Igelschnitt die Brauen in die Höhe, begriff aber leider kostbare Momente zu spät, als seine Aufmerksamkeit sich wieder der Straße zuwand, was den Dunkelhaarigen so sehr entsetzte.
 

„DEAN! PASS AUF!“, brüllte Sam aus Leibeskräften und warf die Arme schützend vor den Kopf, nachdem ein gelbfarbenes, großes Fahrzeug wie aus dem Nichts vor ihnen auftauchte. Instinktiv riss der ältere Jäger, ohne lange darüber nachzudenken, das Steuer in die andere Richtung, um nicht mit dem Hindernis, welches erschreckend nah an die Karosserie ihres Wagens kam, zusammenzuprallen. Dabei vergaß er leider, dass der Asphalt unter den Rädern des Impalas nicht die Bodenhaftung besaß, die er sonst vorwies, wenn kein Schnee und Eis ihn bedeckten.
 

Das dunkle Gefährt der Winchesters überschlug sich mühelos wie ein Blatt im Wind, das von diesem über das Land getrieben wurde und kam erst zum Stillstand, als es, wieder mit dem Dach nach oben, gegen zwei junge Birken am Straßenrand stieß, die mit einem dumpfen Ächzen auf den uneingeladenen Gast antworteten. Eine unheimliche Stille folgte dem metallischen Knirschen und Quietschen von Blech, welches nur von dem erschrockenen Keuchen eines Menschen unterbrochen wurde, der aus dem Führerhaus des Abschleppwagens sprang, den die Brüder beinahe gerammt hätten.
 

Der Geruch von auslaufendem Öl stach Dean in die Nase und brachte ihn zurück in die grausame reale Welt, die ihn mit brachialen Schmerzen begrüßte, welche beinahe seinen Brustkorb sprengten.
 

„Auuuuu“, stöhnte er gepeinigt auf und versuchte, sich vorsichtig zu rühren, dabei prüfend, ob auch noch alles heil an ihm war. Das Ergebnis war gar nicht mal so mangelhaft, wie er befürchtet hatte. Er konnte seine Beine bewegen und sein Rücken schien auch okay zu sein, nur seine Rippen schmerzten, als hätte ein Elefant darauf Rumba getanzt. Aber all das war zweitrangig, als ihm sein Wagen einfiel.
 

„Oh nein“, stieß er etwas bedrückt hervor. „Dad wird mich umbringen, wenn er das sieht. Hättest du mich nicht ein wenig eher warnen können, Sam?“
 

Keine Antwort erreichte ihn, nur die alles verschlingende Lautlosigkeit der draußen herrschenden Eiseskälte, welche sich langsam seines Herzens bemannte.
 

„Sam?“ Die Sorge um den Impala schmolz dahin wie der Schnee unter der warmen Frühlingssonne. Etwas Feuchtes platschte in regelmäßigen Abständen auf einen harten Untergrund. Unendlich langsam drehte er den Kopf zu Seite und erstarrte. Hellrotes Blut tropfte im Takt eines lautlosen Marsches auf den Boden des Autos, fein wie ein Rinnsal lief es an der Schläfe seines kleinen Bruders entlang, der reglos mit dem Kopf an dem bereits Eisblumen bildenden Fenster auf der Beifahrerseite lehnte. Seine Lider waren geschlossen und er regte sich nicht, als Dean ihn mit äußerstem Bedacht an der Schulter berührte und ihn sanft rüttelte.
 

„Sammy, mach keinen Mist, wach auf, hörst du?“, keimte in dem Älteren eine nie gekannte Angst um den Bruder auf, den er geschworen hatte, zu beschützen. „Komm schon, mach die Augen auf!“
 

Aber es schlug ihm nur eine beklemmende Welle des Schweigens entgegen und die Blässe, welche die Wangen des Jüngeren für sich eingenommen hatte, schien noch um mehrere Nuancen zugenommen zu haben.
 

„SAM!“
 

Deans Stimme gellte schmerzerfüllt durch die Nacht, ungehört von Demjenigen, dem sie galt.

All that I´m living for

3. Kapitel: All that I´m living for
 

Fahrig rissen die Hände des jungen Mannes mit dem kurzen Haar an dem Gurt, den er glücklicherweise auf dieser Fahrt angelegt hatte, sonst wäre diese wohl seine letzte gewesen. Mit einem leisen Klicken schnappte die längliche Sicherheitsvorkehrung zurück in ihre Halterung, nachdem seine zitternden Finger schließlich den Knopf zum Lösen gefunden hatten. Sofort schob sich Dean angestrengt Richtung Beifahrersitz auf seinen Bruder zu, der noch immer keinen Laut von sich gab, geschweige denn eine Regung zeigte. Der Verzweiflung nahe sah er den Jüngeren an, die linke Gesichtshälfte, mit der er vermutlich frontal gegen die Armaturen des Wagens gestoßen war, begann bereits, leicht anzuschwellen und sich blau-grün zu färben, während auf der Stirn eine beträchtliche Platzwunde prangte, aus der ohne Unterlass sich Blut einen Weg ins Freie suchte. Die helle Jacke schmiegte sich an der linken Schulter bereits schwer und nass aufgrund der rot leuchtenden Flüssigkeit an seinen Körper, träge verließ das lebenswichtige Elixier in mehrere Richtungen sein natürliches Gefängnis und sammelte sich mit leisen platschenden Tönen auf dem Wagenboden. Dass dieser dabei vermutlich irreparable Schäden davontrug, da das Blut ebenso seine Spuren in der Sitzpolsterung hinterließ, interessierte den sonst eher empfindlich darauf reagierenden Besitzer in keiner Weise. Die Wahrnehmung des älteren Winchesters war nur auf eines beschränkt – seinen Bruder.

„Sammy, ich weiß, dass deinen Dickkopf so schnell nichts erschüttern kann“, zog Dean den Bewusstlosen lächelnd auf, aber in der nächsten Sekunde sanken seine Mundwinkel mit einem hilflosen Ächzen gen Erdboden, nachdem seine Finger die klaffende Wunde an der Stirn berührt hatten, die Ähnlichkeit mit einem ihm angähnenden Schlund aufwies. „Verdammt“, zischte es zwischen denen vor Ungewissheit um seinen Bruder zusammengepressten Lippen hervor. Er wusste nur zu gut, dass mit Kopfverletzungen nicht zu spaßen war, vor allem dann nicht, wenn die Betroffenen lange besinnungslos blieben. Deswegen war es unglaublich wichtig, ihn schnellstens zurück in die Wirklichkeit zu bringen, egal, auf welche Weise und wenn er ihn dafür anschreien und mit Taubheit strafen musste.

„Schau mich an, wenn ich mit dir rede“, schoss es in gröberen Tönen von den Lippen des etwas kleineren Winchesters. „Du kannst mich von mir aus beschimpfen, wirf mir an den Kopf, was du willst, aber ...“, er schluckte angestrengt, sein Hals fühlte sich plötzlich so trocken an wie durch die Luft gewirbelter Wüstensand und seine soeben noch recht voll klingende Stimme, die an das dominante Gebrüll eines Löwen erinnerte, wirkte nun hohl und leblos wie der verlassene Bau eines Tieres, als er weitersprach. „Bitte ... wach auf.“

Aber sein Gesuch an den Jüngeren verklang ungehört in der beklemmenden Stille des lautlos fallenden Schnees, der die Welt mit Schweigen umhüllte.

Bebend vor Ungewissen und voller Furcht vor der Wahrheit, die ihn vermutlich mit der Wucht eines heranrasenden Trucks treffen würde, legte er seine Finger an die Halsschlagader des Dunkelhaarigen. Zuerst vermutete er mit einem bangen Empfinden in der Magengegend, dass es sein eigenes Herz war, was das Gefühl an den Fingerkuppen auslöste, aber dann stellte er unendlich erleichtert fest, dass es sich dabei doch um Sammys Pulsschlag handelte, der zaghaft und langsam an seine Finger klopfte. Sein eigener raste hingegen wie ein erstklassiges Rennpferd dahin.

Ein dankbares Aufatmen dehnte seinen Brustkorb auseinander und ließ ihn im selben Moment schmerzhaft wieder zusammenfallen. Verdammt, er hatte vergessen, wie weh das tat! Hoffentlich hatte er sich keinen der netten, aber sehr dünnen Knochen, welche verhinderten, dass seine Lunge ungeniert herumschlabberte, gebrochen, denn wie sollte er sonst ohne fremde Hilfe seinen Bruder hier herausbekommen, wenn dieser selbst dazu zurzeit nicht in der Lage war. Er konnte ihn ja schließlich nicht hier lassen; bei der Witterung dauerte es nicht lange und aus Sam wäre der längste Eisstiel der Geschichte geworden. Also, Zähne zusammenbeißen und das Stechen tausender Messer ignorieren, die wie hungrige Schnäbel von Vögeln auf der Jagd nach fetten Würmern Löcher in seine Brust rissen.

Behutsam, da er nicht wusste, ob Sam ebenso weitere Verletzungen erlitten hatte, die unsichtbar verblieben, sofern sie sich im Inneren seines Körpers abspielten, löste er den Gurt, der den Leib des Jüngeren umschlungen hielt. Er war froh, dass sein Beifahrer sich das tatsächlich Leben rettende Stück umgelegt hatte. Nicht immer fuhren die Beiden angeschnallt durch das Land, was, wenn er so darüber nachdachte, doch recht rücksichtslos gegenüber ihrer Sicherheit war. Hätten sie in diesem Fall mal wieder darauf verzichtet, lägen sie nun wahrscheinlich mehr dem Tode als allem anderen nahe auf dem kalten Asphalt, die Knochen zerschmettert.

Er verscheuchte rasch diese finsteren Gedanken und schnappte sich den Kragenaufschlag der Jacke des Dunkelhaarigen, um ihn aufrecht in den Sitz zu ziehen, damit er nicht aus der Tür herausfiel, sobald Dean diese aufgestemmt hatte. Durch diese plötzliche Bewegung schien er jedoch die Lebensgeister seines Partners geweckt zu haben, denn ein leises Stöhnen erklang dicht neben dem Ohr des Älteren, der hoffnungsvoll innehielt.

„Sam?“ Ein weitere Reaktion hallte durch den Wagen, kräftiger als zuvor und der kleinere Winchester beugte sich vor und nahm die bleichen Wangen seines Bruders zwischen die Hände. „Sammy? Kannst du mich hören? Ist alles okay mit dir?“ Und zu seiner Überraschung erhielt er dieses Mal sogar eine Antwort.

„Ich weiß nicht ... ob es für mich okay ist ... mit einem kompletten ...“, der Jüngere holte tief Luft, als kostete es seine ganze Kraft, diese Worte aus seiner Kehle hervor zu holen, „Idioten in einer ... verbeulten Blechbüchse ... festzustecken.“ Quälend langsam hoben sich seine Lider und er blitzte den Älteren vor seinen Augen mit dem gewohnt spitzbübischen Blick, der immer aus einer pikanten Mischung von Amüsiertheit und Wut bestand, an. „Wo hast du bloß deinen Führerschein gemacht, Dean? Bei Dad?“

„Wenn ich ganz ehrlich sein soll, hat mir noch nie eine Beleidigung von dir soviel Freude bereitet wie jetzt, Sammy“, bemerkte der Angesprochene mit einem erleichterten Grinsen auf den Lippen und schlug seinem Beifahrer vergnügt auf die Schulter, was mit einem gefauchten „Au, spinnst du?“ kommentiert wurde und Dean ihn sogleich liebevoll einen Waschlappen nannte, der postwendend weitere Knurrattacken nach ihm aussandte.

Vermutlich hätten sie sich, trotz der mittlerweile beißenden Kälte, die sich unbarmherzig durch ihre dünne Kleidung fraß, noch weiter gekabbelt, wäre da nicht ohne Vorwarnung eine Stimme zwischen ihren eigenen aufgetaucht, die sie nicht zuordnen konnten.

„Hallo? Hallo, können Sie mich hören? Sind Sie verletzt?“, erschall es von draußen und die Brüder hörten hastig näher kommende Schritte, die sich durch den Schnee knirschend verstärkten. Sie konnten nicht sehen, wer ihnen da entgegen eilte, da sämtliche Fenster des Wagens bereits zugefroren waren; genauso wenig wusste der Fremde, ob die Insassen des Autos, welches durch sein Vergehen von der Straße abgekommen war, unbeschadet daraus hervorgegangen waren oder nicht. Panisch ruderte er mit den Armen, um den Rest des Weges nicht auf der eisglatten Straße auszurutschen und stiefelte schnaufend durch den kniehohen Schnee auf den recht zerbeulten Wagen zu, bei dessen Anblick sich ihm beinahe das Herz zusammenzog – ein 67er Chevy Impala! Der Besitzer würde ihm, sofern er noch unter den Lebenden weilte, das Fell über die Ohren ziehen.

„Wer das wohl sein kann?“, schlich sich Sams Stimme misstrauisch an Deans Gehör, während sein Bruder versuchte, etwas durch das Eisblumenmeer auf ihren Scheiben zu erkennen. „Vielleicht einer der Dämonen aus dem Diner?“

„Nur einer?“ erfolgte die Antwort des Älteren prompt. „Dann kennen sie uns aber sehr schlecht.“

„Vielleicht warten die anderen auf der Straße. Schließlich können wir nicht sehen, was draußen vor sich geht.“

„Du denkst an eine Falle?“ Darüber hatte Dean nicht nachgedacht. Sicher, man sollte diese Höllenbrut niemals unterschätzen, vermutlich hatten sie einen der ihren vorgeschickt, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Und dann, sobald sie das mittlerweile noch schützende Umfeld des Impalas verließen, würden sie über die Beiden herfallen.

Sam nickte, während seine linke Hand hinter den Rücken und hinunter zum Ansatz seiner Hose wanderte, wo nicht gerade selten eine Waffe zwischen seiner Haut und dem Hosenbund steckte. „Nur für den Fall“, zischte er seinem älteren Bruder zu, wechselte den hervorgezogenen Revolver in die rechte Hand und versteckte ihn zwischen dem Sitz und der Tür.

„Okay, keine schlechte Idee“, pflichtete ihm der junge Mann mit dem raspelkurzen Haarschnitt bei und machte ebenfalls Anstalten, seine Schusswaffe aus ihrem Versteck zu holen, jaulte aber bei dem Versuch, seinen Arm nach hinten zu strecken, schmerzerfüllt wie ein Hund, dem man auf den Schwanz getreten war, auf. Leicht irritiert, aber mit einer unverhohlenen Spur von Sorge sah Sam ihn an und verzog beinahe mitempfindend das Gesicht.

„Geht’s dir auch gut?“, hakte er vorsichtig nach, sein eigenes Befinden, welches den Älteren noch vor wenigen Augenblicken beinahe um den Verstand gebracht hatte, ganz nach hinten schiebend, obwohl die Nässe und Schwere des Blutes an seiner Kleidung ihn langsam frösteln ließ.

„Nicht wirklich“, keuchte Dean und hielt sich zähneknirschend den Brustkorb, der seine Anwesenheit unbedingt mal wieder hatte ankündigen müssen. „Bist du vielleicht auf mich draufgefallen, als der Wagen sich überschlagen hat?“

Sam gab ein empörtes Geräusch von sich, zog die Stirn kraus wie ein Mastiff und legte sogar den Kopf leicht schief, so dass der Ältere schon vermutete, sein Bruder würde gleich aus Protest losbellen. „Sehr witzig, dann müssten deine Gurte aber elastisch wie Gummiband sein, Dean“, grollte er jedoch nur und entsicherte mit einem geschickten Griff seine Waffe.

„Halloooo?“, ertönte es erneut von draußen und jemand klopfte energisch gegen die Fahrertür des Impalas, so dass dem jüngeren Winchester vor Schreck der Revolver aus den Händen glitt und auf den Boden direkt neben seinen Füßen fiel.

„Wow, klasse, Sammy“, bemerkte Dean ironisch und grinste anmaßend. „Genau da gehört das gute Stück auch hin. Ich muss sagen, ich fühle mich außergewöhnlich sicher in deiner Gegenwart.“ Ein zorniges Schnauben wühlte sich ihm vom Fußraum des Autos entgegen, während der Besitzer des ihm nicht freundlich gesonnenen Geräusches versuchte, seine Waffe von dort unten aufzuklauben. Als er jedoch den kühlen Griff seines Revolvers bereits in seinen Fingern fühlte, explodierte plötzlich in seinem Kopf ein gleißendes Licht, heller als tausend Sonnen und ein Stich, ähnlich wie der grazile Streich eines Dolches, fuhr aggressiv durch seine Nervenstränge und ließ ihn keuchend hochfahren. Schnell warf er das Schießeisen in den Schoß seines Bruders, der ihn beunruhigt musterte und hielt sich die linke Kopfhälfte.

„Sam?“ Fragend legte Dean seinem jüngeren Familienmitglied die Hand auf die Schulter. „Eine Vision? Oder ...?“, aber der jungenhafte Hüne neben ihm schüttelte nur leicht das Haupt, sofern das überhaupt schmerzfrei möglich war.

„Nein“, stieß er angestrengt zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Nein ... mir geht’s gut, denke ich.“ Die Lippen aufeinandergepresst sah er seinem älteren Bruder in die Augen, beziehungsweise versuchte er es, verlor aber bereits nach wenigen Sekunden, da er befürchtete, Dean könnte die Unwahrheit über das Gesagte in seiner Iris aufblitzen sehen. Rasch wandte er den Blick ab und starrte auf den Boden. Er wollte nicht, dass sein Partner sich um ihn sorgte, das tat dieser seiner Meinung nach schon zu oft, als es gut für ihn war. Deshalb ließ er die Tatsache, dass sein Kopf sich anfühlte wie ein Basketball, der soeben frenetisch durch ein wichtiges Spiel gedribbelt wurde, lieber schweigend unter den Tisch fallen.

„Es sieht schlimmer aus, als es ist“, versuchte er den etwas kleineren Mann neben sich mit einem an der Grenze zur Überzeugung abstürzenden Grinsen, das eher an den gequälten Ausdruck eines Pferdes erinnerte, welches sein erstes Brandzeichen erhielt, zu beruhigen. Aber der Angesprochene zog nur skeptisch die Augenbrauen in die Höhe, zudem Sams aufgesetztes Lächeln vom einen Augenblick zum anderen erstarb, nachdem er das ganze Blut an seiner Kleidung bemerkt hatte und Dean mit einem „Ist das etwa alles meins?“ Gesichtsausdruck bedachte.

Bevor der Ältere jedoch in irgendeiner Form darauf eingehen konnte, polterte es ein zweites Mal gegen das Fenster direkt neben ihm und dieselbe Stimme von vorhin rief eindringlich und deutlich ängstlicher als zuvor: „Hallo! Wer auch immer hier drin ist, bitte, antworten Sie doch!“

Dean warf einen skeptischen Blick hinüber zu seinem jüngeren Bruder, der verwundert die Stirn kraus zog, sich aber sofort eines Besseren belehrte und so etwas zunächst lieber sein ließ, fühlte sich dies doch jedes Mal so an, als ob einem jemand die Haut bei lebendigem Leibe herunterzog.

„Bist du immer noch der Meinung, dass das da draußen jemand ist, der uns feindlich gesonnen ist?“, zischte der Kurzhaarige dem Riesen neben sich zu, dem die Skepsis über seine vorherige Vermutung buchstäblich im Gesicht geschrieben stand. Erstens klangen Dämonen nicht gerade wie furchtsame Lämmer, die einen Wolf unter sich erblickt hatten und zweitens wiederholten sie ihre Fragen ungern mehrmals, sondern handelten aufgrund ihrem chronischen Mangel an Geduld postwendend.

Der ältere Winchester gab seinem Beifahrer dessen Revolver zurück und deutete mit einer knappen Kopfbewegung an, diesen wieder an seinen gewohnten Platz zurückzuführen, was der Jüngere auch sofort tat. Dann entschloss er sich zu einer angemessenen Antwort auf das mittlerweile ins Panische abdriftende Gerufe des ihnen Unbekannten.

„Wir sind soweit okay!“, rief er durch das zugefrorene Glas hindurch und zog eine Grimasse, nachdem sich seine Rippen protestierend meldeten, als wollten sie sagen, dass das ja wohl die größte Lüge sei, die er sich jemals in seinem Hirn zurechtgesponnen hatte.

Ein erleichtertes Keuchen grub sich zu ihnen hindurch und man hörte ihren noch gesichtslosen Retter murmeln: „Dem Himmel sei Dank, ich hab sie nicht umgebracht.“

Verwirrt sahen die Brüder sich gegenseitig an. Nicht umgebracht? War er etwa das gelbe Etwas gewesen, in das sie beinahe hineingerauscht waren oder vielmehr, gehörte es ihm?

„Können Sie die Türen von Innen aufstemmen?“, rief die männliche Stimme hoffnungsvoll und man hörte ihn erneut durch den Schnee stapfen, der sich knirschend seinen festen Schuhsohlen ergab. Sofort kamen die beiden jungen Männer der Aufforderung nach, aber sowohl die Fahrer- als auch die Beifahrertür klemmten und ließen sich aus dem Wageninneren nicht öffnen.

„Es klappt nicht!“, rief Dean. „Womöglich hat sich die ganze Karosserie verzogen, ziehen Sie von draußen, ich drücke mich dagegen, vielleicht funktioniert es dann!“ Gesagt, getan rüttelte der Mann am Griff des Impalas, während der ältere Jäger sich mit aller Kraft gegen die Innenverkleidung der Tür lehnte, dabei aber schmerzerfüllt aufstöhnte.

„Meinst du, das war so eine gute Idee?“, argwöhnte Sam neben ihm und deutete mit einem Finger auf seine eigene Tür. „Vielleicht hätte ich lieber ...“, aber der junge Mann mit dem Bürstenschnitt motzte sofort dazwischen.

„Pah, ich krieg das schon hin, Sammy, bin ja schließlich kein Warmduscher!“, posaunte er es hinaus in die Welt und purzelte ohne Vorwarnung kopfüber in den eiskalten, feuchten Schnee, als die Tür mit einem schwungvollen Ruck ihren Bemühungen nachgab.

„Buaaaaaaah!“, kreischte es angewidert aus der nassen Masse wie eine dem Ekel ausgesetzte Frau, der gerade eine dicke Ratte über die nackten Füße gehuscht war, während Sam auf seinem Sitz kaum noch Luft bekam vor Lachen. Prustend schlug er sich auf die Schenkel, nachdem sein Bruder schimpfend und tausend Flüche ausstoßend den Kopf aus dem Schnee zog und bereits zum zweitem Mal innerhalb weniger Stunden Santa Claus ähnlicher sah, als er dachte.

„Hör auf zu gackern, Sam! Das ist nicht lustig!“, versuchte der Ältere, den Dunkelhaarigen zu maßregeln, dem bereits dicke Lachtränen über die Wangen kullerten.

„Oh doch, das ist es und wie!“, amüsierte sich sein jüngeres Familienmitglied ungeniert weiter und wischte sich mit dem Jackenärmel die Spuren der Schadenfreude davon. Keiner der Beiden beachtete in diesem Moment ihren unbekannten Retter, der die Brüder überrascht musterte, was ihr eigenartiges Verhalten betraf, bis er sich entschied, dem vor Wut keifenden Jungen zu seinen Füßen aufzuhelfen.

„Kommen Sie“, bot er ihm seine Hand an, „ich ziehe Sie hoch.“

Erstaunt, da er den Mann für die wenigen Sekunden, in denen er sich herrlich vor allen blamiert hatte, aus seinem Hirn gestrichen hatte, starrte Dean hinauf. Ein vertrauenswürdiges Lächeln begegnete ihm, es war ehrlich und ohne irgendwelche Hintergedanken. Dankbar griff er nach der Hand und war beinahe erstaunt, wie leicht und ohne Anstrengung der Andere ihm auf die Füße half. Aber vielleicht lag dies auch einfach daran, dass er sich selbst wie zweimal gegessen und wieder ausgespuckt fühlte. Unwillkürlich verkrümmten sich seine Gesichtszüge, als die überaus netten Knochen in seinem Brustkorb ihn wieder einmal daran erinnerten, dass er sich nicht hastig und übereifrig bewegen sollte. Besorgt legte sich die Stirn des Mannes vor ihm in Falten. Freundliche braune Augen forschten rasch nach möglichen sichtbaren Verletzungen, fanden aber keine, was ihn jedoch nicht unbedingt beruhigte.

„Sind Sie in Ordnung?“, wollte er daher wissen. „Oder haben Sie sich bei dem Unfall irgendetwas getan?“

Aber anders als von dem Fremden erwartet, machte Dean nur eine wegwerfende Handbewegung und sah zum Wagen hinüber, in dem noch immer Sam saß, der bereits Anstalten machte aus dem Wrack zu klettern.

„Mein Bruder“, begann der ältere Winchester und zeigte auf den jungen Mann mit dem Wuschelkopf, der verwundert innehielt, was er eh hätte tun müssen, da er einfach eine Nummer zu groß war, um sich wie ein Regenwurm aus diesem Gefängnis zu winden.

„Ihn hat es ziemlich übel erwischt“, erklärte der Kleinere unter ihnen und fasste nach den Armen des Anderen, um ihn heraus zu ziehen. „Wenn Sie jemandem helfen wollen, dann ihm, mir geht es soweit gut“, spielte er die Situation herunter, ächzte allerdings wie ein alter Herr um die Achtzig, als er sich bemühte, den viel Größeren aus dem Fahrzeug zu holen, der sich dabei beschwerte wie ein Teenager, den man noch füttern wollte.

„Dean, verdammt, ich krieg das schon hin, lass los!“, fauchte Sam aufgebracht und versuchte, die Hand seines Bruders wegzustoßen, sauste jedoch plötzlich wie eine Rakete nach vorne und plumpste verdutzt auf den Fahrersitz, nachdem jemand anderes kräftig zugepackt hatte.

„Wow, danke“, murmelte er und sah hinaus ins Freie, was dem Unbekannten bezüglich seines recht erschreckenden Anblickes ein entsetztes nach Luft schnappen entlockte.

„Meine Güte!“, entfuhr es dem Fremden, nachdem er die blutbesudelte Kleidung an dem Hünen entdeckte, einschließlich der recht hässlichen Kopfwunde. „Das tut mir so leid, ich habe nicht damit gerechnet, dass bei diesem Wetter und zu dieser Uhrzeit hier noch jemand lang fährt, sonst hätte ich sicherlich nicht meinen Wagen so auf die Straße gestellt.“

„Schon gut“, warf Sam sofort ein, der ein wenig das Gefühl hatte, dass Dean dem armen Kerl einen gehörigen Schreck hatte einjagen wollen, indem er seinen kleinen Bruder so vorführte. Dann bemerkte er aber mit wachsender Verwirrung, nachdem er ihm einen tadelnden Blick zuwarf, dass dem wohl nicht so war, denn der Ältere nickte nur stumm auf die Antwort des Braunhaarigen, das Gesicht keineswegs zu einem hämischen Grinsen verzogen.

„Ähm, es ist ja noch alles dran an uns“, versuchte Sam den armen Kerl zu beruhigen, der nun nach seinem Anblick nervlich am Ende zu sein schien. „Und was den Wagen betrifft“, er sah betreten zu seinem Bruder hinüber, der ihm nur mit einem hilflosen Schulterzucken begegnete, was ihn erneut stutzen ließ, „ den kriegt sicherlich irgendjemand wieder hin.“ Sehr überzeugend klangen diese Worte hingegen nicht, sah der Impala doch eher so aus wie eine Konservendose, auf die ein Elefant aus Versehen getreten war.

„Oh, was das angeht, das lassen Sie bitte meine Sorgen sein“, mischte sich die Hilfsbereitschaft des Fremden enthusiastisch dazwischen. „Ich besitze eine Autowerkstatt gleich in der nächsten Stadt, wenn man der Straße hier folgt.“ Er machte eine lockere Handbewegung den Weg hinunter, den die Brüder befahren hätten, sofern ihn nicht etwas in die Quere gekommen wäre.

„Ah, das erklärt also den Abschleppwagen“, bemerkte Dean augenzwinkernd und deutete mit dem Kopf in Richtung des quietschgelben Gefährtes, welches verlassen am Straßenrand verweilte. „Aber wieso waren sie damit mitten in der Nacht unterwegs?“ Das Misstrauen in seiner Stimme war nicht zu überhören, was bei Sam im ersten Moment auf Entrüstung stieß, dann aber Vernunft vor gutem Benehmen walten ließ. Sicher, sie wussten nicht, wer der Typ war und was er hier draußen wollte, so dass das Nesthäkchen unter den Winchesters sich kleinlaut eingestehen musste, dass es noch einiges von seinem älteren Bruder zu lernen hatte, wie zum Beispiel nicht jedem nett wirkenden Dahergelaufenen zu vertrauen, mochte er noch so unbedarft auf einen wirken.

„Nun, ich denke, das ist eine meiner Angewohnheiten, die ich mir wohl nie abgewöhnen werde“, verwischte die Stimme des Unbekannten Sams Gedanken wie ein flinkes Putztuch hartnäckigen Dreck. „Bei solch einer Witterung fahre ich oft raus und sehe nach, ob jemand mit seinem Wagen liegen geblieben ist, nur hatte ich bei Ihnen Beiden nicht die Absicht, es herauf zu provozieren, zumal ich gerade wieder nach Hause wollte.“

Der junge Mann mit den blaugrünen Augen staunte über soviel Courage, was die freiwillige Hilfsbereitschaft ihres Retters anging und lächelte ihm bewundernd zu, was dieser freundlich erwiderte, jedoch hatten sie die Rechnung nicht ohne den Besitzer des im Sterben liegenden Impalas gemacht, der missbilligend grunzte.

„Sie fahren also hieraus und zocken die armen Teufel ab, die bei diesem Wetter im Graben landen? Wirklich bemerkenswert“, spie er seine Vermutung verächtlich hinaus, während Sam sprachlos die Kinnlade hinunterfiel. Irgendwie konnte er es sich nun gut vorstellen, wie es war, zwischen zwei Fronten zu stehen und sich weder für den einen, noch den anderen entscheiden zu können, denn dasselbe geschah soeben mit ihm selbst.

„Nein, das verstehen Sie falsch“, verteidigte sich der Fremde entsetzt über die Behauptung seines Gegenübers und schüttelte hektisch den Kopf. „Ich tue das unentgeltlich, es ist einfach nur ein freiwilliger Dienst gegenüber den Menschen, die sich bei diesem Wetter ohne zu überlegen auf die Straße trauen.“

„So wie der hier“, konnte Sam den Mund nicht halten und deutete auf Dean, der vor Wut rot anlief, aber es vorzog, nichts darauf zu erwidern. Es reichte schließlich, in ein Fettnäpfchen zu treten, da musste man nicht gleich von dem einen ins nächste springen.

„Es ... tut mir leid“, gab er daher leise zu, nachdem sein Zorn ein wenig verraucht war, was in dem Kopf des Jüngeren die Anzahl der konfusen Begebenheiten beinahe auf einen Rekordstand brachte und ihm langsam unheimlich erschien. „Sie müssen verstehen, ich ...“, aber der um einige Jahre Ältere unterbrach ihn sanft lächelnd und legte ihm, als würden sie sich schon Ewigkeiten kennen, die Hand auf die Schulter, was der junge Mann verblüfft verfolgte. Auch Sams Augen wurden plötzlich groß wie Kuchenteller, während sein Verstand mit der nächsten Reaktion seines Bruders argwöhnte. Die fiel jedoch anders aus als erwartet. Und er wusste auch, warum.

„Ich weiß, was Sie meinen und wenn ich ehrlich sein soll, hätte ich vermutlich nicht anders gehandelt“, erwiderte der Fremde und zwinkerte ihnen zu. „Man kann nie wissen, was für Gestalten man hier draußen begegnet, einmal hat mich ein Pärchen, das ich aus einer Schneewehe gezogen habe, ausgeraubt, schön war das nicht. Daher nehme ich Ihnen Ihre Reaktion nicht übel. Und Sie haben es getan um der Sicherheit Ihres Bruders willen, habe ich recht?“

Verblüfft starrte Dean den Mann an, dann sein jüngeres Familienmitglied, das genervt die Augen verdrehte.

„Okay, schön, aber ich bin schon groß und kann auf mich selbst aufpassen, aber das interessiert hier irgendwie niemanden, hab ich recht?“, blaffte Sam angepisst, was die übertriebene Fürsorge betraf, die nun auch noch jemand anderes, den sie gar nicht kannten, laut kund tat. Ungelenk, was bei seiner Größe kein Wunder war, presste er sich aus dem zusammengestauchten Auto hervor und kam wackelig auf die Beine, um im selben Moment in den Genuss einer Ameise zu kommen, die sich auf die Gondel eines Kettenkarussells verirrt hatte. Deans Kopf rauschte in Lichtgeschwindigkeit an ihm vorbei, dann der des Unbekannten, darauffolgend der Impala, danach die verschneite Landschaft und wieder alles von vorne, nur mit dem kleinen feinen Unterschied, dass sich der Erdboden mit seinem reinen Weiß bei jeder Umdrehung etwas näher an ihn herantastete. Dazwischen blubberte eine grausam entstellte Stimme, die in etwa so klang wie der schleimige Jabba aus Krieg der Sterne „Sammy?“ an sein Ohr, was so sehr in seinen Gehörgängen dröhnte wie eine Überschalljet, der sich dort hinein verirrt hatte. Der Boden drückte sich ihm dabei ungeduldig entgegen wie die schäumende Gischt des Meeres, in die ein Klippenspringer jeden Moment furchtlos eintauchte. Allerdings fühlte sich dieser danach nicht von finsterster Schwärze umschlungen, die Sam nun einhüllte wie ein erdrückendes Tuch.

All das dauerte kaum weniger als drei Sekunden, welche nach seinem überhasteten Verlassen des Wagens vergangen waren.

Dean konnte gar nicht so schnell reagieren, nachdem er panisch bemerkte, wie sein Bruder plötzlich die Augen verdrehte und in sich zusammenfiel wie die zu Asche schrumpfenden Holzscheite eines Feuers. Hastig griff er nach einem Arm des Jüngeren, der leblos zur Seite schlackerte, als sei er aus Gummi, jedoch dabei vergessend, dass der Dunkelhaarige aufgrund seiner Größe nicht gerade ein Fliegengewicht war und er selbst nach den unfreiwilligen Purzelbäumen erheblichen Schaden genommen hatte. Keuchend vor Schmerz wurde er mit zu Boden gerissen, während seine Rippen sich dabei anfühlten wie Geigensaiten, die soeben von einem verhältnismäßig aggressiven Virtuosen bearbeitet wurden. Die Sehnen des Armes, mit dem er versuchte, Sam in irgendeiner Weise vor dem harten Aufprall zu bewahren, schrieen lautlos auf vor Qual und obwohl er sich dazu zwang, die Finger seines Bruders nicht aus den seinen zu lösen, sprach sein Körper eine andere Sprache. Er fühlte nur noch, wie ihm die Hand des Bewusstlosen entglitt und er selbst hilflos zur Seite fiel, mit den Knien in dem klirrend kalten Schnee versinkend. Aus den Augenwinkeln heraus sah er, wie der Kopf des viel zu großen Jungen direkt auf die am Straßenrand liegenden Steine, die Ähnlichkeit mit Straußeneiern zeigten, aufschlagen würde und er kniff, enttäuscht von sich selbst, die Lider fest zusammen.

Er hatte doch versprochen, auf ihn aufzupassen ... .

Ein unerwarteter Luftzug strich plötzlich kalt in seinen Nacken wie die Hand eines Toten, so dass er ruckartig den Kopf drehte und mehr als überrascht in das freundliche Gesicht des noch immer Unbekannten blickte, der Sammy sicher in seinen Armen aufgefangen hatte.

„Sie sollten besser auf das achten, was Ihnen wichtig ist“, lächelte dieser, aber seine dunklen Augen teilten diese Heiterkeit nicht, sondern schwammen in tiefen Schatten einer Trauer, die Dean nicht wusste zu deuten, so dass er verwundert die Brauen in die Höhe zog.

„Keine Ursache“, erwiderte sein Gegenüber amüsiert über das verdatterte Gesicht, von dem er annahm, dass es seiner überirdischen Geschwindigkeit, den Jungen aufzufangen, galt, und musste lachen, als der ältere Winchester hektisch mit den Augen blinkerte, als wäre er aus einem langen Schlaf erwacht.

„Ahm ... ich“, stammelte der junge Mann und fuhr sich etwas unbeholfen durch das raspelkurze Haar, was danach elektrisierend zu knistern begann. „Danke.“ Dann stemmte er sich mit einem unterdrückten Ächzen in die Höhe und trat an die Seite seines zur Hälfte am Boden liegenden Bruders, um sich direkt vor ihm auf die Knie sinken zu lassen.

„Ich nehme Sie Beide am besten mit in die nächste Stadt und Ihren Wagen auch“, schlug der Fremde vor und machte Anstalten, sich den Arm des Bewusstlosen um die Schulter zu legen, damit er ihn auf die Beine ziehen konnte, aber Dean schüttelte abwehrend den Kopf, so dass er innehielt und ihn fragend ansah.

„Ich denke, das sollte ich tun“, erklärte der Jäger und grinste schief. „Denn sonst werde ich Ihren Worten wohl kaum gerecht, oder?“

Erstaunen glitt über das Gesicht des Anderen wie feiner Regen, der seinen Weg aus den geöffneten Himmelstoren suchte. Jedoch sammelte sich Güte in den feinen Lachfalten, nachdem er beobachtete, wie der Ältere der Brüder sich den Arm des riesenhaften Jungen um die Schulter legte und sich gemeinsam mit ihm nach oben drückte, dabei jedoch schnaufte wie ein Walross, das seine gewaltigen Massen aus den Wellen an Land schleppen musste. Schmunzelnd bewegte sich der Fremde zu seinem in der Dunkelheit hervorstechenden gelben Abschleppwagen hinüber und räumte, nachdem er in das Innere des Gefährts gekrochen war, die geräumige Vorderbank im Führerhaus frei, damit die Jungs auch bequem darauf Platz nehmen konnten, sofern ihr Weg hierher nicht Jahre dauerte, wie es zurzeit den Anschein hatte.

Dennoch bewunderte und respektierte er die Entscheidung des jüngeren Mannes, sich trotz seiner Verletzungen selbst um den dunkelhaarigen Hünen zu kümmern, dessen Wohlergehen ihm möglicherweise weitaus wichtiger war als das eigene.

Mit verschränkten Armen, um der voranschreitenden Kälte entgegen zu wirken, lehnte er sich an seinen Wagen und wartete auf das so unterschiedlich auf ihn wirkende Duo, das von seiner Geschwindigkeit eher Ähnlichkeit mit einem Rentnerehepaar auf Sonntagsspaziergang aufwies.

Dean hatte vergessen, wie schwer Sam war, wenn dieser ungewollt ein Nickerchen hielt, als er ihn vorsichtig in die Höhe stemmte. Sämtliche Rückenmalessen, welche sich von seinem wissenschaftlichen Standpunkt her erst im fortgeschrittenen Alter in ihm tummeln würden, feierten von Jetzt auf Gleich eine wilde Party auf seiner Wirbelsäule und verwüsteten dabei, was sich ihnen in den Weg stellte. Sein Körper schrie wie ein egoistisches Kind danach, den Größeren einfach fallen zu lassen, damit man sich um das eigene Wohl kümmern konnte, aber Dean steckte das kreischende Balg einfach in eine der hintersten Ecken seiner Wahrnehmung und schleifte Sammy tapfer weiter mit sich wie einen zu vollen Müllsack, der kurz vorm Bersten stand. Selbst, wenn man ihm beide Arme oder Beine abreißen würde, stände der Jüngere stets an erster Stelle.

Trotz allem konnte es sich der Kurzhaarige nicht verkneifen, dementsprechende Beschwerden an den Tag zu legen, was seine unehrenhafte Version als Halbsänfte betraf.

„Mann, mit was hat dich Dad damals gefüttert?“, keuchte der kleinere Winchester und zog den Jüngeren dichter an sich heran, als dieser drohte, von seiner Schulter zu rutschen. „Manchmal glaube ich, dass er dir irgendetwas unter die Cornflakes gemischt hat. Mit Sicherheit hat er von irgendeiner Farm Aufbaufutter für kümmerliche Kälbchen geklaut und gedacht, er könnte dir damit etwas Gutes tun. Damals warst du ja echt ein Wicht gegen mich.“

„Dean ... .“ Ein eher genervtes als schmerzerfülltes Stöhnen erklang plötzlich dicht neben seinem Ohr und der Angesprochene hätte seine beschwerliche Last beinahe vor Schreck fallen lassen, wäre ihm nicht im letzten Moment in den Sinn gekommen, wer da ziemlich mies gelaunt versuchte, mit ihm zu kommunizieren.

„Sammy?“ Die Stimme des Älteren klang so erfreut, als hätte man ihm gerade erzählt, dass er für ein ganzes Jahr einen All you can eat-Gutschein für ein Lokal seiner Wahl gewonnen hatte. „Geht’s dir gut?“

„Natürlich“, knurrte der Andere, bis ihm mit einem Male gewahr wurde, dass sein Bruder ihn halb über die Straße schleppte. „Was tust du da?“, kam es ihm teils verwirrt, teils ärgerlich über die Lippen. Seine Füße schleiften wie nutzlose Anhängsel über die vereiste Straße, auf der sich der Kleinere nur mit Mühe halten konnte.

„Aufpassen, dass du nicht schon wieder den Boden küsst, bist ja schließlich nicht der Papst, oder?“, gab Dean spöttisch grinsend zurück, insgeheim jedoch unendlich erleichtert, dass sein ständig in Schwierigkeiten geratenes Anhängsel wieder unter den Lebenden weilte. Er hatte schon befürchtet, Sams Kopfverletzung wäre doch um einiges ernster, als zunächst von ihm angenommen.

„Egal, lass mich los, ich kann selbst gehen“, verlangte das lange Elend ungeduldig und begann, mit den Armen zu wedeln wie ein gerade flügge gewordenes Vogelkind, was ihm allerdings nur perfekt auf einer Seite gelang. Auf der anderen hielt ihn der Ältere so fest, als wäre er ein Schraubstock und Sam das gefangene wehrlose Stück Holz, dem jegliche Fluchtmöglichkeit verwehrt blieb.

„Ja, sicher, das hab ich gesehen“, erwiderte der ältere Winchester mit recht ironischem Unterton in der Stimme und amüsierte sich königlich über den schmollenden Gesichtsausdruck seines Bruders, der noch immer leise murrend versuchte, sich aus dem Griff des Kleineren zu winden, jedoch ohne Erfolg.

„Sam, verdammt! Hör auf, so herumzuzappeln wie ein Kleinkind!“, mokierte sich Dean allerdings nur wenige Augenblicke später, nachdem die Fuchtelattacken des Jüngeren überhand nahmen und zunehmend die Intensität seiner eigenen Blessuren anfachten wie ein außer Kontrolle geratenes Buschfeuer.

„Dann lass mich endlich loooooooos“, quengelte der Dunkelhaarige und warf seinem Bruder, der ihn maßregelnd anstarrte, Blicke zu, die sicherlich das Himalaja-Massiv zum Einsturz gebracht hätten, nicht aber Dean.

„Das kannst du dir abschminken“, grollte dieser daher ungehalten zurück und umfasste das Handgelenk des Hünen stärker, welcher sich gerade wie eine Schlange aus seinem Griff winden wollte.

„Mann!“, quiekte Sam aufgebracht wie eine Sau, der man soeben die Ferkel wegnahm und verzog wütend das noch sehr jugendlich wirkende Antlitz. „Was soll das ganze Theater? Ich kann laufen, schau her.“ Er zeigte zum Beweis auf seine Füße, die sich zwar etwas unsicher, aber dennoch weitaus fester über die rutschige Straße bewegten als die seines älteren Geschwisterteils, das aufgrund seiner zusätzlichen Last und der dadurch verbundenen Anstrengung immer wieder darauf achten musste, nicht zu stürzen.

„Das ist mir egal“, konterte Dean jedoch sofort, ohne die Quadratlatschen des Jüngeren in Augenschein zu nehmen, der vor Aufgebrachtheit begann, sich aufzuplustern wie ein Hahn, welcher Auge in Auge mit einem Kontrahenten stand. Aber bevor er seine Beschwerden lauthals hervorbringen konnte, redete der um gut einen Kopf kleinere Winchester an seiner Seite weiter und diese Aussage verwandelte Sams aufbrausende Empörung in betretenes Schweigen.

„Ich will nicht, dass dir etwas passiert, das ist alles.“ Es war nur ein einfacher Satz mit simpel gewählten Worten und doch bewirkten sie, dass der Ärger des Jüngeren verrauchte wie Nebel, der sich im stärker werdenden Licht des Tages auflöste. Stumm vergrub er die Augen halb unter den Lidern und starrte auf seine ausgelatschten Turnschuh, die mit jedem Schritt ein wenig vor seinem Sichtfeld verschwammen.

Womöglich hatte Dean ja recht. Vielleicht ging es ihm tatsächlich nicht so gut, wie er selbst es behauptete und jegliches Unwohlsein bestritt, aber niemals würde er das vor seinem Bruder zugeben. Und das nicht, weil sein Stolz es ihm verbat, nein, er mochte es schlichtweg nicht, wenn der Ältere sich Sorgen um ihn machte. Denn seit dem viel zu frühen Tod ihrer Mutter hatte Dean die Beschützerrolle instinktiv an sich gerissen, von der Sekunde an, als das verheerende Feuer Sams Kinderbettchen zerfraß. Er machte dies mit einer Selbstverständlichkeit, welche sein eigenes Wohlbefinden stets zurückstellte.

Und Sam wusste, warum Dean das tat.

Der Braunhaarige war außer ihrem Dad der Einzige, den der nicht auf den Mund gefallene junge Mann noch hatte. Sonst war da niemand, außer vielleicht Onkel Bobby, bei dem sie einen Teil ihrer Kindheit verbracht hatten. Niemand sonst, zu dem Dean solch eine familiäre Bindung hätte aufbauen können. Und da John zurzeit einfach unauffindbar war und es vermutlich sogar wünschte, aus welchem Grund auch immer nicht gefunden zu werden, war Sam der einzige Mensch in Deans Leben, der ihm in gewisser Weise nahe stand.

Genau das machte den großen schlaksigen Jungen plötzlich unendlich traurig. Im Gegensatz zu seinem Bruder hatte er Freunde an der Uni, die ihn auch jetzt noch mit Mails bombardierten und ihn darin regelmäßig fragten, wie es ihm ginge und was er so machte. Sogar in einer ernsthaften Beziehung hatte er gelebt, aus der vermutlich, wäre der tragische Tod Jessicas nicht dazwischen gekommen, noch weitaus mehr geworden wäre.

Seinem Bruder war all dies verwehrt geblieben. Er hatte es sich zur Regel gemacht, groß keine Freunde um sich zu scharen; zu oft geriet man in Erklärungsnot, mit was man sein täglich Brot verdiente. Genauso verhielt es sich mit den Frauen, welche Dean oft und gerne umschwirrten wie hungrige Bienen eine schmackhaft anzusehende Blume. Kaum wurde es zu ernst und sprach sie davon, ihn ihren Eltern vorzustellen, verabschiedete sich der junge Mann mit dem flotten Bürstenschnitt meist Hals über Kopf und ohne eine weitere Erklärung bezüglich seiner Ansichten.

Dean war in diesem Leben voller Einsamkeit und dem Wissen um das Böse genauso stark verankert wir ihr Vater. Und genau das war es, was Sam für sich selbst nicht wünschte, aber gezwungen war, sich dem zu stellen. Denn solange sie nicht den gemeinsamen Mörder ihrer Mutter und den Jessicas gefunden hatten, blieb ihm keine andere Wahl, sich wieder mit diesem Leben, was er versucht hatte, für immer hinter sich zu lassen, abzugeben.

„Sammy? Alles okay?“, wühlte sich die Stimme seines Bruders wie ein Sturm durch seine trüben Gedanken und wirbelte diese in alle erdenklichen Himmelsrichtungen davon.

„Ja ...“, gab er tonlos zurück, was allerdings nicht sehr glaubwürdig klang und schenkte dem Älteren ein gezwungenes Lächeln, das Dean ebenso gekünstelt erwiderte und ein leises Seufzen in die Nacht hinausschickte. Er kannte diesen Gesichtsausdruck, welcher das Antlitz des Jüngeren in letzter Zeit des öfteren beherrschte wie ein strenger Regimentsführer seine Armee. Dem kleineren Winchester war bewusst, dass Sam sich nach seinem vorherigen Leben sehnte, aber gleichzeitig mit dem bitteren Verlust seiner Freundin kämpfte und dem daraus resultierenden Wunsch nach Vergeltung.

Es war ihm selbst nicht ganz recht gewesen, den schlaksigen Wuschelkopf vor einiger Zeit von seinem Glück wegzuzerren, hatte er doch mit eigenen Augen gesehen, wie gut dieses neue Dasein seinem kleinen Bruder tat. Kein Nomadenleben mehr, in dem man von einem schäbigen Motel zum nächsten zog, keine Angst mehr um das eigene Wohlbefinden, sobald man einem übernatürlichen Wesen gegenüberstand, das nur auf Vernichtung alles Menschlichen programmiert war.

Dean hatte sich als Kind schnell damit angefreundet, es als selbstverständlich betrachtet, dass sie anders als andere Gleichaltrige aufwuchsen und es sogar auf eine bizarre Art und Weise toll gefunden. Sam dagegen hatte sich all die Jahre keinesfalls daran gewöhnen können und des öfteren gegen die Auffassungen ihres Vaters rebelliert, was der Ältere beileibe nicht wagte. Innerlich war er jedoch ein wenig neidisch darauf, dass er es nie auch nur versucht hatte, die Ansichten Johns in Frage zu stellen.

Nun ebenfalls in Grübeleien versunken bemerkte er zunächst kaum, wie jemand die Last von seiner Schulter nahm und seinen sonst eher dagegen protestierenden Bruder mühelos in den großen gelben Truck schob.

„Ihr seid wirklich ein merkwürdiges Gespann“, bemerkte der Besitzer des Gefährts schmunzelnd und rieb sich amüsiert das Kinn, als Dean herausfordernd die Unterlippe vorschob und dabei Ähnlichkeit mit einem schlecht gelaunten Orang Utan aufwies. „Aber nichts für ungut“, warf der Mann gleich hinterher, hielt die Tür zu seinem Wagen auf und deutete hinein. „Im Inneren ist es warm.“

Der Blick des anderen schweifte jedoch voller Schmerz über das arg zerbeulte Blech des rabenschwarzen Gefährtes, welches einsam und verlassen neben den beiden recht mitgenommen wirkenden Bäumen am Straßenrand verweilte.

„Keine Sorge, ich zieh den Impala gleich da weg und lade ihn auf den Hänger“, deutete der hilfsbereite Unbekannte Deans gequälten Gesichtsausdruck richtig und bewegte sich auf die Hinterseite des Abschleppwagens zu. Während der ältere Winchester sich ins Fahrerhaus mühte und dabei vor Respekt in Gedanken vor jedem noch rüstigen Rentner den Hut zog, da er sich soeben selbst wie solch einer fühlte, hörte er, wie ihr Helfer die Seilwinde klarmachte, um sein geliebtes Baby in Schlepptau zu nehmen.

Sein anderes Ziehkind saß schweigsam neben ihm, kein Mucks kam über die sonst selten stillstehenden Lippen des Jüngeren, wenn ihn etwas beschäftigte.

„Von dem lässt du dich ohne zu motzen in seine Karre hieven, aber bei mir machst du einen Heidenaufstand, als ich verhindern wollte, dass du ne Reise gen Erdboden gewinnst“, zog Dean Sam mit der Tatsache auf, dass der Hüne die Hilfe der anderen Beiden wohl doch bitter nötig gehabt hatte. „Aber egal, mit mir kann man es ja machen“, beschwerte er sich affektiert und verzog die Lippen zu einem breiten Grinsen, das man selbst bei tiefster Nacht noch hätte sehen können und wartete. Jeden Augenblick müssten ihm die giftigen Kommentare seines Bruders entgegensprühen wie ätzende Säure, aber aus einem ihm unerklärlichen Grund geschah gerade dies nicht.

„Sam trägt Frauenunterwäsche und nimmt einen Teddy mit ins Bett.“

Nichts.

„Hey, hörst du mir überhaupt zu?“

Wieder keine Reaktion.

„Okay, das mit dem Teddy hab ich nicht so gemeint ... uaaaaaaah!“, kreischte Dean plötzlich erschrocken los, als der Kopf seines Bruders von der Schwerkraft übermannt auf seine linke Schulter plumpste. Instinktiv riss er die Arme hoch, so dass er den Denkapparat des größeren Winchesters wie ein Katapult in die Höhe beförderte, wo er hingehörte.

„Huaaaaaah!“, schrie Sam beinahe im perfekt einstudierten Kanon hinterher und fuhr regelrecht in seinem Sitz zusammen. „Willst du mich umbringen?“

„Das könnte ich eher dich fragen“, entgegnete der Ältere und hielt sich theatralisch das Herz. „Das nächste Mal sag Bescheid, wenn das Sandmännchen vorbeikommt, bevor ich hier Selbstgespräche führe und mir dabei total bescheuert vorkomme.“

„Du hörst dich doch gerne reden, was macht das dann für einen Unterschied?“ Sams feixendes Gesicht wirkte unter der Maske von eingetrocknetem Blut und den langsam in Erscheinung tretenden Hämatomen, die sein linkes Auge zuschwellen ließen, wie frisch einem Horrorfilm entstiegen. Deans Sorge um den Jüngeren ließ die nicht ernst gemeinten Kabbeleien zwischen ihnen sofort wieder in den Hintergrund treten, nachdem er das übel verletzte Gesicht genauer betrachtete.

„Mann, Alter“, sagte er und legte die Stirn in Falten. „In den nächsten Wochen werden dich wahrscheinlich die Frauen nicht mal mit dem Hintern ansehen.“

„Wow, das war genau das, was ich jetzt zur Aufmunterung brauchte. Danke, Dean“, gab sein kleiner Bruder bissig zurück und drückte sich mit einem erschöpften Gähnen tiefer in das Polster der Rückbank, auf der sie saßen.

„Kein Ursache“, grinste der Ältere zurück und tätschelte Sam die verwuschelten Haare wie ein verständnisvoller Vater. „Du weißt doch, ich helfe, wo ich kann.“

Aber mehr als vor Zorn sprühende blaugrüne Augen und ein müdes, eher angestrengt klingendes „Ja, sicher“ war aus dem Jüngeren nicht mehr herauszupressen. Und Dean musste sich selbst etwas kleinlaut eingestehen, dass es ihm nicht anders ging, nur mit dem kleinen feinen Unterschied, dass in seinem Schädel womöglich keine Rockband in Tinnituslautstärke herumdröhnte.

„So, euer Wagen ist so fest vertäut wie ein Schiff im Sturm und sicher den Wogen entrissen“, lenkte ihn die freundliche Stimme ihres Retters ab, der flink in sein Gefährt sprang und einige Hebel und Knöpfe darin betätigte. Ein monotones Surren drang an die Ohren des älteren Winchester, bis die stabilen Seile der Winde sich strafften und der Fremde den Motor seines Trucks aufheulen ließ. Durch den gewaltigen Außenspiegel konnte Dean den kurz vor einem Totalschaden stehenden Impala hinten auf dem Schlepper erkennen – irgendwie war er zu diesem Zeitpunkt mehr als erleichtert, dass sie ihrem Dad noch nicht begegnet waren.

„Ich bin übrigens Marty“, erwähnte der Fahrer des gelben Ungetüms und nickte den Brüdern freundlich zu. Dem Älteren fiel auf, dass der Fremde, den sie nun endlich namentlich benennen konnten, das Förmliche vom Anfang ihrer Begegnung abgelegt hatte und nun eher in einem kumpelhaften Ton zu ihnen sprach.

„Dean“, stellte er sich knapp vor und deutete mit dem Zeigefinger auf den Jüngeren, dessen Kopf wieder gefährlich in die Schräglage kippte. „Das ist Sam.“

„Hmm?“, machte dieser und schielte zwischen halb geöffneten Lidern in Richtung der Person, von der er annahm, dass sie ihn gerufen hatte.

„Schlaf lieber weiter, Dornröschen“, empfahl der kleinere Jäger erheitert, jedoch unfähig, die Sorgenfalten, welche sich auf seiner Stirn bildeten, zu verbergen. Sam schmiss ihm noch ein recht undeutlich gemurmeltes „Idiot“ ans Hirn, bevor er in einen unruhigen Schlummer fiel.

„Das sollte sich lieber ein Arzt ansehen, wenn wir in der Stadt ankommen“, warf Marty seine Bedenken bezüglich des schlafenden Jungen ein und suchte kurz Deans Blick, welcher beunruhigt auf dem mitgenommenen Antlitz seines Bruders ruhte. John hatte sie stets belehrt, nur dann Ärzte aufzusuchen, wenn sich einer von ihnen tatsächlich in Lebensgefahr befand; es war besser, sich mehr im Hintergrund zu halten, um nicht zu sehr aufzufallen. Aber woher sollte der junge Mann mit dem frechen Haarschnitt wissen, ob es Sammy so schlecht ging, dass er ihn tatsächlich in fachkundige Hände geben musste? Der Jüngere beschönigte doch sowieso ständig seinen faktischen Zustand, wenn man ihn danach fragte.

„Ich glaube, dann muss ich ihn vorher besinnungslos schlagen“, erwähnte Dean daher auf die Bemerkung des Mechanikers, der verwundert aufsah. „Er ist da doch recht eigen.“

„Verstehe“, erwiderte Marty und entblößte seine gepflegten Zähne. „Aber ich denke, er ist trotz allem in guten Händen, auch ohne Arzt.“

Wieder einmal verblüffte dieser Typ den älteren Jäger auf ein Neues. Obwohl er sie nicht einmal eine Stunde kannte, wurde Dean das Gefühl nicht los, dass der Fremde ihnen direkt bis auf die Seele blickte und dort das unzerstörbare Band der Brüder entdeckt und schätzen gelernt hatte.

Wortlos drehte er das Haupt zu Seite und starrte hinaus in die schneeweiße Winterlandschaft, die sich am Horizont mit einem sternenlosen und pechschwarzen Nachthimmel abwechselte. Einige leerstehende Viehkoppeln zogen an ihnen vorbei, umsäumt von großzügigen Stallungen und angrenzenden Farmhäusern, in denen ab und zu noch ein Licht brannte.

„Wohin fahren wir?“, fragte er nach einer Weile, während er sich die Jacke auszog und seinen kleinen Bruder damit zudeckte, welcher trotz der angenehmen Wärme im Wagen zu zittern begonnen hatte.

„Coulee City“, antwortete Marty und stellte die Heizung noch etwas höher, Dean dabei mit einem „Ich halte es doch für besser, wenn er zu einem Arzt geht“ Blick bedenkend. „Da befindet sich meine Werkstatt und auch mein Zuhause. Ich werde euch Jungs dort an dem Motel absetzen und euren Wagen zu mir bringen. Natürlich ist die Reparatur kostenlos“, bemerkte er augenzwinkernd.

„Danke, das ist ...“, begann der ältere Winchester verblüfft über dieses Angebot, wurde aber sofort von dem Fahrer des Wagens unterbrochen. „ ... wohl das Mindeste, was ich tun kann, schließlich seid ihr durch mein Verschulden zu Schaden gekommen.“ Dann schien ihm etwas einzufallen, was ihn wohl bereits die ganze Zeit über beschäftigte, denn er musterte ihn interessiert und auch etwas argwöhnisch, so, wie ihn der Jäger noch vor nicht allzu langer Zeit selbst angesehen hatte. „Was habt ihr hier draußen eigentlich gesucht? Man hat doch im Radio eine Meldung herausgegeben, bei dem Schneefall des Nachts die Straßen in dieser Gegend zu meiden.“

Jetzt war es an Dean, in Erklärungsnot zu geraten wie ein auf frischer Tat ertappter Schüler, der die Prüfungsergebnisse gestohlen hatte. Ein wenig wütend sah er zur Seite. Immer, wenn man Sam am meisten brauchte, nahm dieser gerade eine Auszeit. Was also tun? Eine Geschichte erfinden, die daraus bestand, ihnen mal wieder eine falsche Identität anzudichten? Oder sollte er einfach mal so handeln wie sein Bruder?

„Na ja, wie soll ich sagen“, begann der junge Mann mit den grasgrünen Augen und wich dem fragenden Blick seines Gesprächspartners falsche Nervosität andeutend aus. „Wir haben uns einfach total verfahren.“ Meine Güte, wenn Sammy das jetzt hören könnte, er wäre sicherlich mehr als stolz auf ihn, da er zum ersten Mal seit langem keine Lügengeschichten aufgetischt hatte, was ihr Job des öfteren von ihnen verlangte.

Dennoch schien gerade die Wahrheit bei Marty auf Granit zu stoßen, denn er schenkte Dean einen nicht gerade überzeugten Gesichtsausdruck und riss die Augenbrauen verwundert in die Höhe. „Verfahren? Diese Einöde hier ist besser ausgeschildert als so manche Großstadt. Und in jedem Ort, den ihr passiert habt, gibt es Tankstellen, die rund um die Uhr besetzt sind.“ Was soviel heißen sollte wie „Warum habt ihr nirgendwo gefragt?“

„Sagen wir es mal so“, blieb der ältere Winchester jedoch gewohnt ruhig und zog die Mundwinkel keck nach oben, „die sogenannten Hinweisschilder hatten mehr Ähnlichkeit mit einem Eis am Stiel und sahen sich nicht mehr in der Lage, uns anzuzeigen, welchen Weg wir wählen sollten. Und mein sonst so eifriger Kartenleser hier“, er deutete ein Kopfnicken in Richtung seines schlafenden Bruders an, der nervös mit den Brauen zuckte, „hielt es für angemessener, in einen Streik zu treten. Und den Gefallen, nach dem Weg zu fragen, wollte ich ihm daher ganz sicher nicht tun.“

„Verstehe“, gab der Andere leicht grinsend zurück, jeglichen Argwohn nach dieser Aussage vermeintlich beiseite schiebend, und fuhr sich über das dunkle dichte Haar, was danach genauso durcheinander wirkte wie Sams Schopf. „Dann kann man wohl sagen, wart ihr echt am Arsch.“

„Meine Rede“, bestätigte Dean die saloppe Ausdrucksweise des Fahrers, beruhigt, dass dieser nicht noch weitere Fragen stellte, aber wie so immer, hatte er die Rechnung ohne den Wirt gemacht.

„Was suchen zwei Typen aus Kansas hier mitten im Winter?“ Die Art, wie er es sagte, klang keineswegs mehr so freundlich und zuvorkommend. „Ich will keine Lügen hören.“

Verdammt! Warum mussten diese Kleinstadtleute ständig so übertrieben skeptisch sein? Und zudem auch noch auf die Kennzeichen ihnen fremder Autos achten? Nun blieb ihm keine andere Wahl mehr als ihm etwas vorzuflunkern, auch, wenn er es bei diesem Mann lieber vermieden hätte, da er ihnen so selbstlos half. Andererseits hatte er keine Lust, Sam zu erklären, warum sie, verpackt in Zwangsjacken, auf die fensterlosen Wände einer Gummizelle starrten.

„Okay, erwischt“, erwiderte er daher und kratzte sich, dabei perfekt seine Beschämung vortäuschend, am Hinterkopf, dem forschenden Blick Martys hilflos ausgesetzt. „Sam und ich stammen aus Lawrence, Kansas, und arbeiten dort neben unserem Studium für eine beinahe unbedeutende Wochenzeitung, die unser Vater leitet. Wir hatten ihm versprochen, während unserer Semesterferien etwas für ihn auszuarbeiten und sind daher mit dem Wagen los. Allerdings waren wir in einem Diner am Rande von Monroe keine wirklich gern gesehenen Gäste; vermutlich mögen die Leute dort Schreiberlinge unserer Sorte nicht so, wie wir es uns wünschten. Das Ende vom Lied war, dass wir recht überstürzt von dort aufgebrochen sind und sämtliche Straßenschilder ignoriert haben. Alles andere dürfte bekannt sein.“

Stille trat zwischen sie wie eine unsichtbare Wand und Dean überlegte angestrengt, was er tun sollte, wenn ihm der Mechaniker diese Geschichte, welche doch zumindest zu einem kleinen Teil der Wahrheit entsprach, nicht abkaufen würde. Sammy schnappen und aus dem fahrenden Wagen springen? Praktisch, wenn sie einen recht schnellen und unkomplizierten Weg in Richtung Friedhof suchten, unpraktisch, da der Igelverschnitt von einem Jäger das Leben einfach zu sehr liebte und sich für den Jüngeren an seiner Seite verantwortlich fühlte.

„Wow“, unterbrach ihn jedoch die erste Reaktion Martys auf sein erfundenes Erlebtes und verwischte seine Grübeleien im Nu. „Und ich dachte, ich hätte einen verdammt schlechten Tag gehabt.“

Dean wusste hinterher nicht mehr, wie viele Tonnen an Gestein ihm vom Herzen gepurzelt waren, aber man hätte sicherlich damit die Rocky Mountains nachbauen können. Er überlegte, ob er den Älteren auf das soeben Gesagte ansprechen sollte, um weiteren unangenehmen Fragen über sich und Sam zu entgehen, aber der Schwarzhaarige redete, nun anscheinend jegliche Zweifel, welche die Brüder betrafen, beiseite gelegt, ungezwungen drauf los.

„Ich muss mich entschuldigen, dass ich so misstrauisch bin, aber in unserer Stadt geschehen zurzeit Dinge, die nicht sehr erfreulich sind und da begegnet man natürlich Fremden mit Skepsis.“

Der junge Mann nickte verständnisvoll, ging jedoch anschließend sofort interessiert auf die Bemerkung ein.

„Was für Dinge?“

Allerdings gab sich Marty etwas bedeckt, was das betraf und wich Deans Frage zu seiner Enttäuschung recht geschickt, aber auch mit einer gewissen Traurigkeit in der Stimme aus. „Nichts, womit ich noch mehr Menschen belasten möchte.“

So gab es für den älteren Winchester kein praktisches Hintertürchen mehr, durch das er weiteres erfragen konnte, ohne nicht aufdringlich und unhöflich zu werden. Daher zog er es lieber vor, sich auf ein wenig Small Talk mit dem Fahrer des Schleppers einzulassen, wollte er nicht ebenso einschlafen wie Sam, denn vollkommen traute er ihrem Retter noch immer nicht, mochte er noch so nett und hilfsbereit sein.

Nach einer Weile lockeren Gesprächs stellte sich heraus, dass der Mechaniker genauso autoversessen wie Dean war und sogar seinen Musikgeschmack teilte. Hätte es der junge Mann nicht besser gewusst, er hätte Marty sicherlich für einen verlorenen Onkel gehalten, den ihr Dad vergessen hatte zu erwähnen. Und bestimmt wäre ihr schwärmerischer Anflug voller Anekdoten über Rock und klassische Wagen der Sechziger weitaus amüsanter für Dean gewesen, fräße nicht die bange Gewissheit ein hässliches Loch in seinen Magen, dass mit seinem Bruder irgendetwas nicht stimmte.

Sams Kopf war bei dem Gerüttel, das sicher nicht nur an der keineswegs einwandfreien Bodendecke, sondern bestimmt auch an den jahrelang nicht gewechselten Reifen des Schleppers lag, wieder auf die linke Schulter seines älteren Bruders gepurzelt. Der ließ sich diese ungewollte Annäherung aber ausnahmsweise mal gefallen, hatte er doch dabei das Gefühl, dass der Jüngere dadurch etwas ruhiger geworden war.

Trotz seiner großen Sorge um den Wuschelkopf schlich sich ein schadenfrohes Grinsen auf Deans Lippen, während er Sams friedliches Gesicht betrachtete. Wüsste der Schlafende, was er hier gerade tat, er würde seinen älteren Bruder zweifellos ohrenbetäubend laut zur Rede stellen, warum er ihn daran nicht gehindert hatte. Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte Dean sogar, ob er ein Foto von dieser seltenen Idylle zwischen ihnen machen sollte, verwarf es aber eiligst wieder. Erstens hielt er es für angebrachter, Sam für die nächsten vierundzwanzig Stunden lieber nicht zur Weißglut zu bringen und zweitens war die Gefahr zu groß, dass jemand sein Handy in die Hände bekam, von dem er es auf keinen Fall wünschte, wie zum Beispiel eine heiße Braut, die nach diesem Anblick vermutlich schneller das Weite suchte, als Dean die richtigen Worte zur Erklärung finden konnte.

Den überschwänglichen Redefluss seines Gesprächpartners durch seine Überlegungen etwas in den Hintergrund geschoben bemerkte er gar nicht, wie sie an einem freundlich gestalteten Ortsschild vorbeituckerten, auf dem weiß getünchte Segelboote und frei laufende Pferde zu interessanten Freizeitaktivitäten einluden, die man bei diesem Wetter jedoch eher auf den nächsten Frühling vertagen sollte. Erst, nachdem Martys fröhlicher Erzählstil plötzlich verstummte und Dean beiläufig aus dem Fenster schaute, an dem kleine Einfamilienhäuser wie flüchtende Hasen vorbeihuschten, suchte der ältere Winchester nach einer Bestätigung in dem Gesicht des Mechanikers, dass sie ihr vorübergehendes Ziel erreicht hatten.

„Willkommen in Coulee City“, bekräftigte der Schwarzhaarige seine Vermutung und lächelte, aber es lag nicht die gewohnte Sorglosigkeit darin, welche sein sonst auf jeden sympathisch wirkendes Erscheinungsbild ausmachte.

„Die Stadt, in der alles begonnen hat ... .“

The end has only begun

So, ich dachte mir, nach langer Zeit der Abstinenz poste ich mal wieder was.

Also, wer ellenlange Kapitel nicht zu ätzend und anstrengend findet, der schreibe mir doch mal seine Meinung zu dem Weitergang dieser FF, please *euch mit großen Puppyaugen anstarrt*
 

4. Kapitel: The end has only begun
 

Verwunderung schlich sich in Deans Gehirnwindungen wie alles verhüllender Nebel zwischen dicht gedrängtes Astwerk, nachdem diese Worte sein Gehör streiften. War es nur Einbildung gewesen, was sich da über die Lippen des Mechanikers geschlichen hatte, während sich dessen offenes und freundliches Gesicht zu einer Maske aus Hass und Eiseskälte verzerrte und von einer beängstigenden Dunkelheit umhüllte Augen beinahe boshaft in die Nacht starrten? Irgendwie passte dieses Verhalten nicht mehr zu dem Mann, der ihnen so uneigennützig seine Hilfe angeboten hatte und sich sogar um ihre Gesundheit sorgte, vor allem um Sammy, der seinem älteren Bruder einen protestierenden Schnarcher ins Ohr röhrte, als dieser sich bequemer hinsetzen wollte und so den Jüngeren im Schlaf störte. Durch dieses unerwartete Geräusch aufgeschreckt begegneten sich die Blicke beider Männer und Dean bemerkte, wie die Finsternis vom Antlitz des Älteren schwand wie eine mondlose Nacht, welche durch die Sonnenstrahlen des anbrechenden Tages vertrieben wurde.

„Ist irgendetwas?“, fragte Marty so sorglos, wie es ihm möglich war und lächelte dem Jäger voller Unbeschwertheit entgegen, konnte aber die Restspur des verräterischen Schattens auf seinem Gesicht nicht vollkommen abschütteln, was den vorhandenen Argwohn Deans weiter schürte wie ein gefräßiges Feuer.

„Nein“, antwortete er daher vielleicht auch etwas zu rasch, wie er selbst danach befand und zuckte belanglos mit den Schultern, den zuvor recht forschenden Blick durch das Fenster in die dunkle Nacht hinausschickend. Schweigen breitete sich anschließend zwischen ihnen aus wie undurchsichtiger Dunst, der klamm und schwer auf dem Land lag. Dennoch und sogar seiner übertriebenen Vorsicht spottend, missfiel es Dean, den Anderen denken zu lassen, dass er ihm in irgendeiner Weise misstraute.

„Was ist denn das für ein See?“, ließ er demzufolge rasch gekünsteltes Interesse aufflackern und schaute bemüht wissbegierig in die Richtung des Gewässers, das sich wie ein Maulwurf einen Weg durch die hügelige Landschaft gefressen hatte.

„Oh, das ist ...“, begann Marty etwas unsicher und sah Dean wie jemanden an, der zuvor etwas gesagt hatte, was besser in seinen nur für ihn selbst zugänglichen Gedanken hätte bleiben sollen, „der Banks Lake. Zu dieser Jahreszeit wird er oft zum Schlittschuhfahren genutzt, vor allem von den Kindern ... .“ Wieder dieser abwesende Blick, der in unheimlicher Düsternis versank.

Aus den Augenwinkeln des älteren Winchesters wirkte der See plötzlich wie ein dunkler gähnender Schlund, der seine Besucher mit seiner Eiseskälte umschlang und nie wieder aus der tödlichen Umarmung entließ. Irgendwie war Dean froh, ihn hinter sich zu lassen, auch, wenn er das Gefühl hatte, dass etwas sich an ihre Fersen heftete und ihnen folgte. Verwirrt strich er sich mit einer Hand über das Gesicht. Es wurde Zeit, dass er seine verworrenen Gedanken beiseite legte und den Weg in ein weiches und warmes Bett fand. Er musste damit aufhören, hinter jedem und allem einen Fall zu vermuten.

„Wie weit ist es noch bis zum Motel?“, fragte er daher und betrachtete beiläufig die an ihm vorbeiziehende Stadtbibliothek in der West Main, aus deren Fenstern noch Licht die Straße erhellte.

„Studenten“, schüttelte der Mechaniker über diesen Anblick den Kopf und ließ Deans Bitte um Auskunft ungewollt zu Boden fallen. „Stecken sogar in den Semesterferien ihre Nasen in die Bücher und das um diese Uhrzeit. Man sollte ihnen den Hintern versohlen.“ Als ihm daraufhin nur ein leicht verstörter Ausdruck aus grasgrünen Augen begegnete, besann er sich wieder auf die an ihn gerichteten Worte.

„Nur noch ein paar Häuserblocks entfernt. Es liegt am Rand der Stadt direkt neben dem Highway.“ Dann grinste er plötzlich und jegliche Betrübtheit, gepaart mit der unpassenden Kälte, die zuvor noch seine eher gewohnt freundlichen Züge beherrscht hatte, fiel von ihm ab wie hinfort gewehter Staub. „Aber ich werde einen kleinen Umweg nehmen, damit ihr wisst, wo meine Werkstatt zu finden ist.“

Mit vor Stolz geschwellter Brust fuhr er absichtlich mit gedrosselter Geschwindigkeit, wenn man das, was sie vorher gefahren waren, überhaupt in eine höhere Geschwindigkeitskategorie einordnen konnte, an einem etwas heruntergekommenen, aber doch in grotesker Weise leicht eindrucksvoll anmutenden kleinen Gebäude vorbei. Eine selbst zusammengebastelte, jedoch hier und da defekte Leuchtreklame blinkerte Dean penetrant entgegen, so dass er geblendet die Augen zusammenkniff.

„Keegan´s Car Repair?”, fragte er nicht wirklich begeistert, während Marty eifrig nickte, dann allerdings auch ein wenig die Nase rümpfte, nachdem ihm die beschädigten Birnen auffielen und das ganze eher wirkte wie „Keega´s Au Pair“ und damit hatte er sicherlich nichts zu tun.

„Na ja, ein wenig verbesserungsbedürftig“, gab er schmunzelnd zu und beschleunigte vorsichtig seinen Schlepper, denn auch die Straßen der Stadt waren von einer geschlossenen Schneedecke überzogen wie ein Lebkuchenhaus mit Zuckerguss. „Aber der Laden läuft und das ist das Wichtigste. Die nächstgrößere Werkstatt ist über fünfzig Meilen von hier entfernt, was mein Vorteil ist. Jeder kommt erst zu mir, bevor er seinen Wagen bis dahin von jemandem abschleppen lässt.“

Dean nickte nur zustimmend und rang sich ein freundliches Lächeln ab. Er war mittlerweile so müde, dass Sams Kopf auf seiner Schulter wirkte wie dreißig Bowlingkugeln, auf denen es sich noch zusätzlich ein Mammut bequem gemacht hatte. Der Anblick eines Bettes würde ihn nun eher in frohlockenden Jubel versetzen als ein Dutzend spärlich bekleideter Hochschulstudentinnen, die sich lasziv in einem Meer aus Tausenddollarnoten räkelten. Und vermutlich ging es seinem Bruder dabei nicht anders, wenn dieser es nicht einmal bis zum Motel abwarten konnte und ihn als Bett missbrauchte.

„So, da sind wir“, drangen endlich die geheiligten Worte an sein Gehör und Dean sah hinaus auf das Gebäude, welches sich unaufhaltsam näher an sie heranschob. Vor dem weitläufigen Parkplatz prangte an einem länglichen Holzschild, das von einem unübersehbaren Pfeil gekrönt wurde, in nun des Nachts blutroten Lettern der Name ihrer vorübergehenden Bleibe – Ala Cozy Motel. Klang in irgendeiner Hinsicht weitaus glamouröser als all die anderen Absteigen, in denen sie bis jetzt untergekrochen waren. Ob dies sich auch in Natura so ergab, würde sich zeigen.

Sie hielten direkt vor dem Haupteingang, in dem die Rezeption lag, nur brannte dort kein Licht mehr, was kein Wunder war, denn zu dieser Jahreszeit barsten die Motels üblicherweise nicht aus den Nähten. Die Umgebung rund um Coulee City etwa als Wintersportdomizil zu beurteilen käme dem Vergleich nahe, das Death Valley als Trinkwasserreservoir zu bezeichnen. Außer ihnen parkte nur ein anderes Auto hier, welches eher auf Dean wirkte, als hätte es aufgrund des Wetters eine Zwangspause einlegen müssen und wäre nicht freiwillig an diesem Ort, da in den Fenstern überall kleine Palmen und obszön grinsende Sonnen klebten. Noch so ein potenzielles Opfer, was sich hierher verirrt hatte.

Flink wie ein junger Gott sprang Marty aus seinem Truck, während Dean sich herausquälte, als sei er ein alter Herr von hundert Jahren, der zudem gerade eine beidseitige Hüftoperation hinter sich gebracht hatte. Dabei vergaß er unbeabsichtigt Sam, der wie ein Stein zur Seite fiel und auf den Sitz krachte, auf dem soeben noch sein Bruder gesessen hatte. Ein erstickter und zugleich empörter Schrei bohrte sich in den Rücken des Älteren, der sich verdutzt, aber sofort mit einem anschwellenden schadenfrohen Lächeln auf den Lippen zu dem Besitzer des Lautes umwandte, gleichzeitig den nachfragenden und voller Sorge erklingenden Ruf des Mechanikers im Ohr, der auf die Beifahrerseite hetzte.

„Dean, duuuu ...“, knurrte Sam wie ein verstimmter Panther und stemmte sich schnaufend in die Höhe, dabei fürsorglich von Marty unterstützt, der sich an dem älteren Winchester vorbeigedrängelt hatte und sich beinahe durch sein übertriebenes Hilfsangebot in den langen Armen des dunkelhaarigen Jungen verhedderte. Ihn mit höflichen Dankesbekundungen sanft beiseite schiebend, nahm Sam seine ganze Engelsgeduld zusammen, um nicht jeden Moment vor Wut zu platzen und diese womöglich noch an dem Verkehrten auszulassen, während Marty sich dezent in den Hintergrund bewegte und seine Nase gen Haupteingang des Motels richtete.

„Fandest du das etwa lustig?“, fragte der jüngere Bruder überflüssigerweise und zog eingeschnappt die Luft ein, als Deans Schultern vor Lachen zu beben begannen. Ungelenk stieß Sam die Beine aus dem Wagen und robbte wie ein unbeholfenes Hundebaby hinaus, um daraufhin gleichzeitig eine kostenlose, aber keinesfalls angenehme Rutschpartie über den Parkplatz zu gewinnen.

„Uaaaaaaaaah!“, brüllte er und ruderte wild mit den Armen, so dass Marty vor Schreck fast die Türklinke abriss, welche er soeben zum Öffnen hatte betätigen wollen. Abrupt wandte er sich um und starrte mit weit aufgerissenen Augen auf die Szenerie, die sich ihm unbewusst bot. Der jüngere Winchester versuchte verzweifelt sein Gleichgewicht auf dem rutschigen Untergrund wiederzuerlangen, was in etwa so wirkte wie der missglückte Landeanflug einer Ente in zehn Meter hohe Wellen. Zu allem Unglück steuerte er dabei unausweichlich auf seinen älteren Bruder zu, der dies erst ernsthaft registrierte, als es bereits zu spät war.

„Sam? Sam! Denk nicht mal daran“, warnte ihn Dean eindringlich, während der soeben Gemahnte in sein Hoheitsgebiet schlidderte und sich unsicher an die Arme des Kleineren klammerte, hoffend, so seine ihm abhanden gekommene Balance wiederzufinden. Eigenartigerweise wurde der junge Mann mit dem kecken Kurzhaarschnitt dabei für den Bruchteil einer Sekunde an einen Tag aus ihrer Kindheit erinnert, an dem ihr Dad sie auf einem zugefrorenen See hatte spielen lassen. Sam hatte sich damals die ganze Zeit über hilfesuchend an sein Bein geklammert, um nicht zu stürzen, da ihm der äußerst rutschige Untergrund keinesfalls geheuer gewesen war.

Aber erstens war Sammy heutzutage kein zweijähriger Zwerg mehr und zweitens auch nicht das Fliegengewicht, welches man kaum an seinem Rockzipfel gespürt hatte, wenn er mal wieder an einem klebte, entweder aus Misstrauen zu etwas oder aus brüderlicher Liebe.

Ebenfalls den Halt auf der glitschigen Schneemasse verlierend stürzte er haltlos nach hinten, den Hünen, der noch versucht hatte, sich in die andere Richtung zu stemmen, damit sie nicht fielen, dabei mit nach unten reißend, da Dean nun seinerseits nach Sams Arm gegriffen hatte. Die Berührung der kalten und leider gefrorenen Schneemasse unter ihnen gestaltete sich beinahe schmerzhafter, als der Ältere den Unfall mit ihrem Wagen in Erinnerung hatte. Ein Aufkeuchen mühevoll unterdrückend schloss er kurz die Augen und hätte sie vermutlich auch lieber geschlossen gehalten. Denn das, was sich beim Öffnen der Guckgeräte in sein Gesichtsfeld zwängte, war nichts anderes als sein riesenhafter Bruder, dessen Körper jeden Moment mit dem seinen kollidieren würde. Wegrollen war zwecklos, zudem dann Sammys eh bereits angeschlagener Kopf erneut den Boden küssen würde, was keinesfalls in Deans Ermessen lag. Genauso wenig konnte der Dunkelhaarige seinen Sturz abfangen, wie der Ältere an Sams panischem Gesichtsausdruck ablesen konnte, da der Hüne zur Seite weggerutscht war und so keine Möglichkeit fand, sich mit den Händen auf dem Boden abzustützen.

So kam der kleinere Winchester in den fraglichen Hochgenuss einer arg gebeutelten Landebahn, auf die gerade eine tonnenschwere Boeing zur Landung ansetzte, nachdem sein Bruder frontal mit seinen spitzen Beckenknochen, die aus dem dazugehörigen schlaksigen Leib ragten, in seine eh bereits angeschlagenen Rippen knallte. Eine Welle von glühend heißem Schmerz überflutete seine Sinne wie eine Woge aus kochender Lava und er biss sich vor lauter Anstrengung auf die vor Kälte aufgesprungenen Lippen, um Sam nicht jeden Augenblick in die Gruppe geplagter Menschen mit lebenslangen nervtötenden Ohrgeräuschen zu stoßen.

„Verdammt, Dean, das tut mir so lei ...“, stammelte der Jüngere sofort peinlich berührt los, nachdem er die vollständigen Auswirkungen seines in Pein ausartenden Missgeschickes bemerkte, wurde aber von seinem älteren Bruder, der sich so etwas wie Schwäche keinesfalls anmerken lassen wollte, postwendend recht harsch unterbrochen.

„Geh gefälligst von mir runter!“, giftete dieser gewohnt mürrisch, wenn ihm etwas absolut nicht passte und versuchte, den Riesen von sich herunterzuhieven, der ihn für einen Moment recht perplex anstarrte, obwohl das Wissen um die Reaktionen des anderen fest in ihm verankert war.

Ein etwas zu grober, jedoch nicht böse gemeinter Stoß gegen seinen Brustkorb, welcher knurrend und vor lauter Ungeduld von seinem Familienmitglied ausgeführt wurde, da Sam seiner Aufforderung nicht schleunigst Folge leistete, ließ den Jüngeren der Beiden haltlos nach hinten taumeln. Unbeholfen und unter Deans plötzlich von Erschrecken durchzogenem Antlitz gab er sich alle Mühe, nicht denselben Zusammenprall mit dem Boden zu erleben wie sein Bruder, der hektisch nach seinen Händen griff, um dem angeschlagenen Kopf des Fallenden mit nicht noch weiteren ernsthaften Beulen zu beglücken.

Allerdings war die Sorge des älteren Winchesters vollkommen unbegründet, denn vorbeugend, was weitere Verletzungen betraf, presste Sam sein Kinn gen Brustkorb und landete so nur etwas unsanft auf seinem Rücken. Dabei hatte er jedoch die Rechnung nicht ohne seinen Bruder gemacht, der durch seine überflüssige Hilfsaktion nun den großen Jungen als rettendes Auffangtuch benutzte. Ächzend atmete der Dunkelhaarige aus, als Dean wie ein Sack Kartoffeln quer über ihn fiel und sich der eine Teil seiner geöffneten Jacke wie die schützenden Flügel eines Vogels, der gerade auf seinem Nest gelandet war, über seinem Gesicht ausbreitete.

„Verschwinde von mir!“, nuschelte er durch den Stoff hinweg und kämpfte sich aus der fusseligen Umarmung hervor, hielt aber sofort inne, nachdem er Deans schmerzerfülltes Stöhnen als Antwort erhielt, umso mehr er sich bewegte.

„Hey, Alter, ist alles okay mit dir?“, fragte er voller Sorge in der Stimme, was der Angesprochene mehr hasste als den übelsten und boshaftesten Dämon, dem sie jemals begegnet waren.

„Nein“, kam es daher äußerst sarkastisch zwischen rasselnden Atemstößen über die Lippen des Kleineren, der es angestrengt in Angriff nahm, dieser verdrießlichen Lage zu entfliehen. „Ich liege zum Spaß auf dir herum, habe gerade überlegt, warum ich das nicht öfters mache.“

Ein belustigtes Lächeln lief über Sams halbwüchsige Züge hinweg wie eine Meute vorwitziger Wiesel und ließ ihn noch jungenhafter erscheinen, als er es ohnehin schon war.

„Idiot“, kicherte er unter der Last seines großen Bruders, der ihn herausfordernd musterte.

„Schlampe“, gab dieser daraufhin vermeintlich vollkommen unberührt zurück, bis ein Grinsen aus seinen verärgerten Zügen herausbrach, als sei es Wasser, das einer beinahe ausgetrockneten Quelle entsprudelte. Für einen kurzen, jedoch ungemein kostbaren Moment keimte in beiden etwas auf, ein Wunsch, den Sam im Gegensatz zu Dean zumindest für einige Zeit gelebt hatte – normal zu sein. Auch, wenn der Ältere es sich nur in seinen stummen Gedanken eingestand, hegte auch er manchmal die Sehnsucht nach dem Unwissen um das Übernatürliche. Aber der Traum war in jener Nacht zerplatzt, als ihrer beider Mutter voller Sorge in das Kinderzimmer des Jüngeren gestürmt war, um dort ihren Tod vorzufinden.

Tief in seinem Herzen wusste Dean, dass Sammy irgendetwas damit zu tun haben musste, gerade jetzt, wo nun Jessica ebenfalls auf dieselbe entsetzliche Weise ums Leben gekommen war, aber die brüderliche Liebe zu dem Wuschelkopf drängte stets seinen Verstand in den Hintergrund und befahl ihm, dem keine Beachtung zu schenken.

„Hast du das ernst gemeint, du solltest das öfters machen?“, riss ihn Sams abgehackt klingendes Organ aus seinen trüben Überlegungen, denen er in letzter Zeit gehäuft nachhing. Ein wenig verklärt sah er auf seinen kleinen Bruder hinab, der auf ihn wirkte, als müsste er dringendst einen gewissen Ort aufsuchen, bevor es zu spät war. „Ich bekomme hier nämlich langsam keine Luft mehr“, widerlegte der Hüne sofort Deans Verdacht und stieß die Luft prustend wie ein Blasebalg aus.

„Na ja“, begann der ältere Winchester und grinste verschlagen von einem Ohr zum anderen, während er kaum Anstalten unternahm, von seinem lebenden Untergrund herunterzukrabbeln, da er es liebte, den Jüngeren gepflegt auf die Palme zu treiben. „Ich dachte, du solltest auch mal erfahren, wie sich ...“, aber bevor er seine anstößigen Sprüche, welche Sam sicherlich die Schamesröte auf die blassen Wangen getrieben hätten, unter Menschen bringen konnte, packte ihn jemand von hinten am Kragen seiner Jacke und riss ihn wie einen jungen Hund, der den Kopf voller Flausen hatte, in die Höhe.

„Meine Güte“, seufzte es hinter ihm angestrengt und ein wenig tadelnd, „einen Sack voller Flöhe zu hüten ist bei weitem einfacher.“ Sich verlegen am Hinterkopf kratzend sah Dean in das bekannte Gesicht des Mechanikers, der verständnislos das Haupt schüttelte. Da brachte man diese Beiden zu einer Unterkunft, damit sie sich von ihrem Unfall erholen konnten und sie hatten nichts Besseres zu tun, als sich wie zwei kleine Jungs in den Schnee zu werfen, um natürlich anschließend aufgrund ihrer Verletzungen von selbst nicht wieder auf die Beine zu kommen.

Rasch suchte der Ältere den Blick seines noch am Boden liegenden Bruders, der sich ein belustigtes Schmunzeln ebenfalls nicht verkneifen konnte. Marty erinnerte von Sekunde zu Sekunde immer mehr an ihren Dad, zumindest in manchen Punkten waren sie sich unheimlich ähnlich, so auch, was den soeben ausgesprochene Satz betraf. Beinahe dasselbe hatte John seinen Jungs damals bereits um die Ohren gehauen, als sie außer Rand und Band wie zwei junge Mustangs um ihn herum gerannt waren, einer den anderen jagend, die tadelnden Worte ihres Vaters dabei im glucksenden unbeschwerten Juchzen untergehend.

Keiner der Brüder erwähnte auch nur eine Silbe zu Martys Worten. Stumm trafen sich ihre Blicke, als wäre in jedem von ihnen die Erinnerung an diesen einen unersetzbaren Augenblick aus ihrer Kindheit erschienen. Dean schickte ein kurzes dankbares Kopfnicken in die Richtung des Mechanikers und streckte seine Hand aus, um seinem noch immer am Boden liegenden Bruder aufzuhelfen, der nach einigen Versuchen, dies selbst zu tun, matt zurückgefallen war, jedes Mal dabei hektisch mit den Augen zwinkernd, als verschwömme sein Sichtfeld wie ein gehässiges Trugbild, das einem frohlockend etwas vorgaukelte.

Wieder nagte die niemals aus seinem Leben verschwindende Sorge an dem kleineren Winchester wie gefräßige Raupen an grün strahlenden Grashalmen, die sich hilfesuchend gen Himmel wandten. Aber der hochgewachsene, breitschultrige Körper des dritten Mannes in ihrer Runde schob sich lautlos vor ihn und zog den Jungen ohne große Mühe zurück auf die leicht zitternden Beine, das Gesicht dabei leicht zu Dean gewandt, der ärgerlich die Lippen schürzte.

„Ich habe keine Lust, eure Gliedmaßen ein weiteres Mal zu entwirren“, erwiderte Marty nur mit ernster Miene auf das trotzig anmutende Gesicht des Jüngeren und schritt ohne ein weiteres Wort an ihm vorbei, im Rücken Deans verdutzt kraus gezogene Stirn, der ihm murrend nachstarrte.

„Was hat er gesagt?“, wollte sein jüngerer Bruder wissen, dem die Reaktion des Älteren keineswegs entgangen war und taumelte unsicher an seine Seite, dieses Mal jedoch tunlichst vermeidend, sich an seinem Familienmitglied festzuhalten, in dem Wissen, was sonst erneut geschehen könnte.

„Nichts wichtiges“, knurrte Dean nur und machte eine belanglose Geste mit dem Arm, dann wurde sein leicht wütender Gesichtsausdruck jedoch weich, als er den Hünen beinahe sorgenvoll betrachtete, was Sam ein genervtes Grummeln entlockte. „Du solltest lieber aufpassen, dass man wegen dir nicht noch eine neue Disziplin bei der Olympiade erfindet – auf die Nase knallen in graziler Performance und zwar möglichst oft in kürzester Zeit.“

„Ha ha, wirklich superlustig“, entgegnete der hochgewachsene Junge kein wenig begeistert von diesem Vorschlag.

„Ich meine es ernst, Sam. Du wärst dort ungeschlagener Meister“, setzte der Kleinere dem ganzen noch eins drauf und wich lachend aus, nachdem sein Bruder einen rügenden Schlag antäuschte und sich damit beinahe wieder selbst aufs Parkett schickte, hätte Dean ihn nicht im letzten Moment an der Jacke gepackt.

„Siehst du? Meine Rede“, scherzte er, aber nur einen Augenblick später verschwand der bissige Übermut aus seinen dunklen Pupillen, nachdem Sam, qualvoll dabei das Gesicht verziehend, sich an die Stirn fasste und begann, rasch nach Halt zu suchen.

„Hey, alles in Ordnung, Sammy?“ Der ältere Winchester fasste den Taumelnden rasch bei den Schultern und musterte ihn eingängig unter zusammengezogenen Brauen, die sich wie zwei das Fell sträubende Hunde einander näherten. Aber der Angesprochene strich die helfende Geste matt von dannen und drängte sich unsicheren Schrittes an seinem Bruder vorbei, die Augen dabei trüb vor Schmerz.

„Lass uns lieber endlich reingehen“, umging er beinahe forsch die Nachfrage des anderen, der ihm verwirrt nachstarrte, die Stimme dabei zitternd wie ein zu dünner Ast, der den launigen Böen des eiskalten Winters ausgesetzt war. „Ich erfriere hier nämlich bald.“ Dies murmelte Sam jedoch so leise, dass Deans Gehör nicht einmal ein Schwingen in der Luft vernahm. Missmutig stopfte er die langsam blau anlaufenden Hände in seine klammen Jackentaschen, deren Stoff nun nicht nur durch die Feuchtigkeit des Blutes schwer an ihm haftete, sondern auch aufgrund des Schnees, dessen Nässe sich in jede Pore gesaugt hatte. Die wachsamen Augen seines Bruders im Genick betrat er hinter Marty, der bereits auf sie wartete, die Anmeldung des Motels.

Weitaus angenehmere Temperaturen als draußen wehten den drei Männern um die Nase, nachdem sie die Tür zur eisigen Außenwelt hinter sich geschlossen hatten. Ein kleine Lampe stand auf dem Tresen direkt vor ihnen und behellte den Vorraum schwach aber ausreichend. Daneben war auf dem dunklen Holz eine typische Klingel befestigt, die man betätigte, sofern sich niemand am Empfang befand, was zu dieser Uhrzeit nicht verwunderlich war, da sie die Mitternachtsstunde schon lange hinter sich gelassen hatten. Deans Hand schwebte bereits über dem metallisch glänzenden Objekt wie ein Raubvogel über seiner mit den Blicken erhaschten Beute, doch Marty hielt ihn, bevor der Jüngere auch nur das schrille Geräusch durch das ganze Gebäude jagen konnte, vehement davon ab, indem er nach seinem Handgelenk griff.

„Hey, was zum ...?“, schnappte der an seiner Vorgehensweise Gehinderte wutentbrannt und blitzte sein Gegenüber zornig an, das ihn jedoch mit stummen Warnungen bedachte, die Bände sprachen. Eigenartigerweise senkte Dean nach nur wenigen Sekunden der lautlosen Zwiesprache unter ihnen leicht den Kopf, so dass Sam, der die ganze Sache alarmierend beobachtet hatte, da er sich der geringen Hemmschwelle seines Bruders bewusst war, nun recht verstört dreinschaute, dass der Ältere ohne ein weiteres Aufmucken kleinlaut nachgab. Fragend zog er die Schultern in die Höhe und machte mit den Händen eine erklärungsbedürftige Geste, wurde jedoch von dem Kurzhaarigen lediglich mit einem eigensinnigen Grunzen abgespeist, was keinerlei weitere Andeutungen auf die sich soeben zugetragene Szenerie gestattete.

Indes schlängelte sich Marty am Tresen des Empfangs vorbei und steuerte auf die dahinterliegende Tür zu, so dass sich die Brüder, den nicht einmal lang zurückliegenden Vorfall in den Hintergrund drängend, verdutzt ansahen.

„Darf er das überhaupt?“, fragte Dean wie ein kleines Kind seine Mutter, als würde er gerade jemandem beim Stehlen beobachten. Normalerweise wartete man doch am Empfang, bis der Besitzer des Motels auftauchte, nachdem man wie jeder Andere die Klingel betätigte und huschte nicht einfach in den Privatbereich der Besitzer.

„Vielleicht kennt er die Leute hier ja recht gut“, raunte ihm sein jüngeres Familienmitglied erklärend zu und geduldete sich einfach, was weiter geschah.

„Deinen Optimismus und das bedingungslose Vertrauen in jeden möchte ich haben“, grunzte ihm der junge Mann mit den raspelkurzen Haaren entgegen und ignorierte Sams beleidigten Nasenrümpfer, welcher in der Masse an eingetrocknetem Blut wirkte wie das Verschieben einer Bergkette inmitten brodelnder Lava.

Ein leises Klopfen richtete ihre volle Aufmerksamkeit wieder ihrem Retter zu, der dieses Geräusch gerade eben ausgelöst hatte. Nach einigen Sekunden der Stille antwortete eine leicht verschlafene, weiblich klingende Stimme, gefolgt von einem Poltern und dem Umdrehen eines Schlüssels, der in das Türschloss gesteckt wurde. Knarrend schob sich die Tür einen Spalt auf; eine Sicherheitskette verhinderte, dass sie sich vollständig öffnete und so stierte ein Paar braunfarbener großer Augen, umrahmt von fließendem glatten dunklen Haar, durch den entstandenen Schlitz, was Dean sofort vollkommen gefangen nahm. Eifrig reckte er den Hals, um mehr von der unbekannten Schönheit zu sehen, die etwas schüchtern zu dem hochgewachsenen Mann vor ihrem Zimmer aufsah. Sam verdrehte nur angesichts dieser vorauszuahnenden Tatsache genervt die Augen und versetzte seinem Bruder einen nachhaltigen Klaps gegen den Hinterkopf, was dieser knurrend kommentierte. Bevor er jedoch dem schlaksigen Hünen eine verbale Meinung an seinen Denkapparat schleudern konnte, kroch die liebliche Stimme dieses zauberhaften, ihm noch unbekannten Wesens in seine Sinne.

„Mr. Keegan?“, sie klang überrascht und etwas besorgt, aber keinesfalls ängstlich. Sofort entdeckte sie die Brüder hinter dem ihr bekannten Mann und sog entsetzt die Luft ein, nachdem sie die klaffende Wunde an der Stirn des Größeren bemerkte.

„Lauren ...“, begann Marty nach einer passenden Erklärung für ihr nächtliches und unangemeldetes Auftauchen zu suchen, aber da stürmte die Angesprochene bereits an dem Mechaniker vorbei, Sams malträtiertes Gesicht aus unmittelbarer Nähe mit den umsorgten Ausdruck einer Frau betrachtend. Ein wenig verlegen lächelte der jüngere Winchester sie an und hoffte, mit seinem unbeschwerten Ausdruck, der sein Antlitz zierte, sie ein wenig von ihrer Beunruhigung um ihn abzubringen. Sein Bruder starrte derweil recht verdrießlich aus der Wäsche, hatte er doch eher gehofft, dass dieses grazile rehähnliche Geschöpf eher ihm verfiele und nicht Sammy, der aussah, als hätte er mit einer Kreissäge geschmust.

„Was ist passiert?“ fragte sie an Marty gerichtet und wirkte vor dem Dunkelhaarigen wie eine kleine Ziertanne, die Bekanntschaft mit einem Mammutbaum machte.

„Wir hatten einen kleinen ... Unfall“, schnellte es jedoch prompt aus Sam heraus und er schickte ein entschuldigenden Grinsen an den eigentlich Angesprochenen der gestellten Frage, welcher bereits den Mund zu einer Erklärung geöffnet hatte. Dem Wuschelkopf war nicht wohl dabei, dass sich jemand um ihn sorgte. So gut es ging, spielte er daher ihre derzeitige Situation herunter und bemühte sich, das zitternde Wanken in seinen Beinen zu verbergen. Dummerweise gelang ihm das nicht vor Dean, dessen Argusaugen bereits wieder über ihm wachten.

„Ein Unfall, an dem ich nicht ganz unschuldig war“, beendete Marty in seine Richtung nickend die Schilderung dessen, was ihnen zugestoßen war und unterbat Sams Einflüchte, die kurz davor waren, dessen Mund zu verlassen, mit einer bestimmenden Geste, so dass der Jüngere der Brüder verstummte, bevor er weiteres dazu berichten konnte. Verwundert musterte ihn der kleinere Winchester; normalerweise ließ sich der College-Boy doch von niemanden etwas sagen, geschweige denn, verbieten. Ihr Dad hatte diese trotzige Angewohnheit doch ständig zu spüren bekommen, sofern Sammy nicht mit seinen Entscheidungen zufrieden gewesen war. Aber jetzt stand der Größere nur verzagt lächelnd neben ihm, bemüht, seine immer stärker zitternden Glieder unter Kontrolle zu halten, was Dean Sekunden zu spät bemerkte.

„Deswegen habe ich die Jungs hierher gebracht, das war das mindeste, was ich für sie tun konnte“, hörte der Dunkelhaarige wie durch Watte den Mechaniker weiterreden und versuchte dabei, die bunten Lichter, welche plötzlich wie tanzende Glühwürmchen vor seinen Pupillen auftauchten, wegzublinzeln. Hektisch rieb er sich die Augen, kniff sie fest zusammen und riss sie danach wieder auf, um festzustellen, dass es sich eher noch verschlimmert hatte. Ein Schleier hatte sich über sein Sichtfeld gelegt, welches zusehends vor ihm verschwamm. Irgendetwas begann damit, die Umgebung rundherum aufzufressen; ihm war, als würde er durch einen Tunnel schauen, der immer schmaler wurde, bis er gänzlich verschwand und nur noch tiefste Schwärze zurückließ.

Vollständig von allen ignoriert beobachtete Dean ein wenig grimmig, wie das hübsche Ding bei Martys Schilderung der Sachlage verständnisvoll nickte und dabei immer wieder mit ihren großen Rehaugen sorgenvoll Sam fixierte, der scheinbar regelrecht unter ihrem Blick zu schrumpfen begann, denn plötzlich fehlte der allgegenwärtige Wuschelkopf an seiner Seite. Das erste, was ihm in die Sinne fuhr wie ein Pfeil, der sein Ziel nicht verfehlte, waren Laurens schreckgeweitete Augen, die etwas direkt neben ihm anpeilten. Es dauerte eine weitere, sich in die Unendlichkeit dehnende Sekunde, bis Dean begriff, was sich an seiner Seite abspielte. Als er bemerkte, wie Marty mit ausgreifenden Schritten auf ihn, oder besser gesagt, auf das neben ihm zustürmte, drehte er den Kopf und sah voller Bestürzung, wie sein Bruder geschwächt auf seine eingeknickten Beine gesunken war und nun drohte, zur Seite zu kippen. Ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden schnellte Dean sofort vor dem Jüngeren in die Knie und fing den ohnmächtigen Körper mit ausgebreiteten Armen auf, so dass Sam direkt in diese fiel. Mit einem schmerzerfüllten Ächzen, da der Hüne gegen seine arg gebeutelten Rippen geprallt war, drückte der ältere Winchester seinen Bruder an sich und redete leise auf ihn ein.

„Hey, Sammy, komm schon, wach wieder auf. Du kannst gleich genug schlafen, das verspreche ich dir.“ Als er keine Antwort erhielt, lächelte Dean traurig und wuschelte Sam das Haar durcheinander, wobei er sich nicht einmal große Mühe geben musste.

Ein leises Schniefen erklang neben ihm und er hob erstaunt den Kopf. Lauren stand dicht bei ihnen und rieb sich sichtlich gerührt die sanft dreinschauenden Augen.

„Sie müssen ihn sehr gern haben, wenn Sie sich so um ihn kümmern“, erwähnte sie zaghaft und wich ein wenig verschämt seinem waldgrünen Blick aus, während sie, ohne es zu bemerken, zig Knoten in das Band ihres Kapuzensweaters gezaubert hatte.

„Na ja, er ist mein kleiner Bruder“, erklärte Dean und stöhnte plötzlich angeekelt auf. „Hör auf, mich voll zusabbern, Sammy, ich dachte, das hätten wir hinter uns, nachdem du aus den Babystramplern rausgewachsen bist“, schimpfte er mit seinem bewusstlosen Anhängsel, das tatsächlich unwillkürlich etwas auf seiner Schulter verteilte, was da nicht hingehörte.

Ein heiteres Lachen stahl sich über die Lippen der jungen Frau und sie schenkte dem älteren Winchester solch ein überirdisch liebes Lächeln, dass er Sam beinahe fallen gelassen hätte.

„Komm, Junge, ich helfe dir, ihn hochzuheben“, mischte sich Marty mit in das Geschehen und griff dem Dunkelhaarigen unter den einen Arm, während Dean, noch vollkommen in Laurens liebliche Geste versunken, den anderen übernahm. Doch kaum stemmte er sich, dabei ebenso das halbe Gewicht seines Bruders tragend, in die Höhe, schoss ein alles betäubender Schmerz durch seinen Brutkorb, der ihn keuchend taumeln ließ. Gequält presste er die Arme um den Leib und hielt sich diesen stöhnend, bis in ihm die Gewissheit hinaufstieg, dass er Sammy losgelassen hatte.

Schlagartig wandte er den Kopf zu dem riesenhaften Jungen, der bereits zum zweiten Mal binnen weniger Minuten zur Seite stürzte, da sein Gewicht ihn aus Martys Griff gerissen hatte, der, ins Leere tastend, versuchte, ihn vor dem Aufprall zu schützen. Seine beißenden Schmerzen ignorierend riss Dean die Arme nach vorn, um seinen Bruder doch noch zu erreichen, aber jede Bewegung trieb ihm die Tränen in die Augen, so dass seine Glieder wie die verletzten Flügel einer Fliege hilflos zusammenzuckten und wieder an seinen gepeinigten Leib zurückfielen.

Schließlich war es Lauren, die Sam von einer weiteren unsanften Begegnung mit dem Fußboden abhielt. Flink wie eine dahingleitende Elfe war sie an seine Seite geeilt und hatte seine Schultern ergriffen. Schlaff lag seine Stirn nun auf ihrer Schulter und Dean könnte schwören, dass sie etwas rot um die Nase wurde, was einen gewissen Anflug von Eifersucht in ihm auslöste. Trotz allem war er ihr unendlich dankbar und schmunzelte über ihre sich verfärbenden Wangen, die ihn an die Morgenröte eines anbrechenden Tages erinnerten.

Erleichtert aufseufzend, dass nichts Schlimmeres geschehen war, machte sich Marty erneut daran, den Jungen hoch zuhieven, nun jedoch mit Hilfe von Lauren, die trotz ihres zarten Erscheinungsbildes einige Quäntchen an Kraft aufzubieten hatte.

Die Zähne zusammenbeißend verharrte Dean kniend am Boden, die beiden so unterschiedlichen Menschen dabei beobachtend, wie sie seinen Bruder auf einen Stuhl im Flur setzten und Lauren ihn festhielt, damit er nicht herunterrutschte. Nachdem der Schwarzhaarige sich davon überzeugt hatte, dass Sam mit Laurens Unterstützung auch sitzen blieb, ging er an einen kleinen weißen Schrank, der nicht weit von ihnen entfernt an der Wand hing. Ein großes rotes Kreuz prangte für alle sichtbar darauf. Mit einem leisen Quietschen öffnete Marty den Medizinschrank und holte ein kleines Fläschchen daraus hervor. Dies hielt er dem Bewusstlosen unter die Nase, der binnen weniger Sekunden plötzlich ruckartig die Augen aufriss.

„Riechsalz“, murmelte Dean und bemerkte alarmiert Sams wachsende Verwirrung, als dieser in den ersten Momenten nach seinem Erwachen nicht einordnen konnte, wo er sich befand und wer die Menschen um ihn herum waren. Erst, als er seinen älteren Bruder am Boden ausmachte, schienen sich die Wolken um seinen Verstand zu lichten.

„Dean!“, rief er und wollte schon aus dem Stuhl hochschnellen, wovon Lauren ihn jedoch sanft, aber bestimmt abhielt. „Bist du okay?“

Soeben Angesprochener musste sich beherrschen, nicht laut loszulachen. Da kippte ihm der Hosenscheißer aus den Latschen und beschäftigte jeden im Raum damit, ihm zu helfen und dann wollte er auch noch wissen, ob er, Dean, in Ordnung sei, obwohl er diese Frage eigentlich eher an sich selbst hätte richten müssen.

„Natürlich bin ich okay“, erwiderte er vielleicht etwas zu schroff, Sams Uneinsichtigkeit gegenüber seines eigenen Körpers damit tadelnd und sah ihn ärgerlich an, was zur Folge hatte, dass der Jüngere leicht verstört die Brauen in die Höhe schob, dann aber zu grinsen begann, was Dean mit einer Grimasse quittierte. Der hünenhafte Junge kannte seinen Bruder mindestens genauso gut, wie der ihn durchschaute und er wusste, dass Dean sich niemals die Blöße geben würde, nicht vor seinem kleinen Bruder und schon gar nicht vor dem holden weiblichen Geschlecht.

„Dann ist ja gut“, wisperte er daher kaum hörbar und versuchte vorsichtig, sich von seiner Sitzgelegenheit hochzustemmen, was jedoch nur mit Laurens Hilfe einigermaßen gelang. Er fühlte regelrecht, wie ihm das Blut aus dem Hirn vermehrt in die Füße schoss und seine Sicht erneut verschwamm, dann aber wiederkehrte, nachdem er mehrmals kräftig durchatmete. Es war beinahe, als säße er im Impala und starrte auf die regennasse Scheibe, welche nur ab und zu durch die Wischer vom trüben Niederschlag befreit wurde.

Freundlich in Laurens Richtung nickend gab er der jungen Frau zu verstehen, dass sie ihn wieder loslassen konnte, aber die langhaarige Schönheit schüttelte nur verneinend den Kopf und zerrte ihn an seinem Arm hinter sich her.

„Ähm ... Dean?“, drehte Sam hilfesuchend den Kopf in Richtung seines Bruders, der dem ungewöhnlichen Pärchen überrascht nachsah.

„Der kommt auch mit“, befahl das Mädchen und in ihrer Stimme lag etwas, das keine Widerrede duldete, so dass sich der Braunhaarige bedingungslos mitschleifen ließ. Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte er, wie Marty Dean auf die Beine helfen wollte, aber der jüngere Mann schlug die Hilfe des anderen wortlos aus und drückte sich vom Boden allein in die Höhe, allerdings nicht ohne ein schmerzerfülltes Zischen, welches ein ruckartiges Zucken über Sams Antlitz schickte. Hätten sie sich nicht so kindisch im Wagen gezankt, wäre all das vermutlich gar nicht passiert. Warum musste er auch immer auf sein Recht pochen und mit dem Kopf durch die Wand? Hätte er sich doch nur dieses eine Mal zurückgehalten, dann müsste Dean nicht wegen ihm leiden, dann säßen sie hier jetzt nicht fest, während dieser gottverdammte Dämon weiter mordend durch das Land zog.

Die Hand des Mechanikers forsch abschüttelnd stand der ältere Winchester mit einem halb unterdrückten Ächzen umständlich wie eine Frau, der man den Krückstock gestohlen hatte, auf und stolperte hinter Sam und Lauren her, die auf den Wartebereich für Gäste des Motels zusteuerten, in dem ein paar gepolsterte Stühle auf sie warteten. Martys sorgsamen Blick im Nacken, der an ihm haftete wie die Augen einer überfürsorglichen Schwanenmutter an ihren Küken, musste er sich mit größter Mühe einen gehässigen Spruch verkneifen, der bereits an seinen Lippen kitzelte. Schließlich meinte es der Ältere nur gut mit ihm und seinem Bruder, dennoch hasste Dean solch ein Überangebot an Umsicht wie nichts anderes und war froh, wenn Marty das eher an Sam ausließ als an ihm.

Mit gemischten Gefühlen sah er zu, wie Lauren Sam in einen der Stühle drückte und ihn beunruhigt beäugte, nachdem dieser bereits erneut fahrig mit den Augenlidern zu klimpern begann und sich unsicher an die Armlehnen seiner Sitzgelegenheit klammerte. Erneut meldete sich in dem kleineren Winchester eine bittende Stimme, dass es sich bei seinem Bruder nur um eine harmlose Gehirnerschütterung handelte, die ihn so fertig machte und nicht um etwas Ernsteres.

„Habt ihr Jungs eigentlich kein Gepäck dabei?“, riss ihn Marty unvorbereitet aus seinen Überlegungen und Dean starrte ihn für einen Augenblick an wie einen Frosch, der eine Fliege in der Größe eines Hochhauses erblickt hatte, bis er begriff.

„Ähm ... natürlich, draußen im Kofferraum ...ach du scheiße“, die letzten Worte hatte er eher an sich selbst gerichtet, so dass sie mehr wie ein unverständliches Murmeln an die Ohren der anderen drangen. Sam aber hatte das entsetzte Grunzen seines Bruders richtig gedeutet und fuhr, als hätte er sich auf einen Igel gesetzt, so überstürzt in die Höhe, dass er beinahe Lauren mit seinem Kopf besinnungslos schlug, die sich über ihn gebeugt hatte, um die Wunde an seiner Stirn zu begutachten. Für den Bruchteil einer Sekunde sahen sich die Winchesters an; jeder wusste, was der andere dachte und es war an Dean, die Sache möglichst unauffällig abzubügeln, sonst würden sie frühestens dann, sobald Marty sich den Wagen genauer ansah, von einer ganzen Armee Cops abgeholt.

„Ah ...ich glaub, mir wird wieder schwindelig“, flunkerte Sam den Unwissenden theatralisch etwas vor und sank zurück in seinen Stuhl, sich bei Lauren mit einem jungenhaften Lächeln dafür entschuldigend, dass er ihr solch einen Schreck eingejagt hatte.

„Dann ... geh ich mal raus und hole eure Sachen, Jungs“, bot sich der Mechaniker hilfsbereit an, damit Dean bei seinem Bruder bleiben konnte. Der Hüne stieß daraufhin abgehackt die Luft aus und verzog das Gesicht zu einer panischen Grimasse, was das dunkelhaarige Mädchen sofort vollkommen verkehrt deutete und ihm voller Sorge die Hand an die unverletzte Wange legte. Sams Herz machte einige wohlige Hüpfer, als er die warme weiche Haut an der seinen spürte, obwohl er dies mit seiner Geste keineswegs bezweckt hatte. Das belustigte Grinsen seines älteren Familienmitgliedes brannte sich beinahe auf seinem Antlitz ein, als er in dessen Richtung schaute.

„Mach endlich, dass du hinterher kommst“, formte der Wuschelkopf lautlos mit seinen Lippen und zwinkerte Lauren in der nächsten Sekunde ertappt an, nachdem diese ihn relativ verdutzt betrachtete und darüber nachdachte, ob dieser junge Mann vielleicht doch etwas zu stark mit dem Kopf aufgeprallt war.

Still in sich hineinlachend trollte sich Dean seines Weges und erwischte Marty noch gerade an der Tür zum Ausgang.

„Warten Sie, ich komme mit. Schließlich habe ich ja den Schlüssel, oder nicht?“

Die Stirn in Falten legend drehte sich der Mechaniker um, während der Ankömmling das silberne „Sesam öffne dich“ vor seinen Augen hin- und herbaumeln ließ. Gerade wollte er danach greifen und somit den Jüngeren in seine Schranken verweisen, als dieser den Schlüssel wieder an sich riss und in seiner Hosentasche vergrub.

„Entweder wir gehen beide oder gar keiner“, schlug er dem Älteren mit einem herben Ton in der Stimme vor, der einen Schauder über Martys Rücken trieb. Das Lächeln war gänzlich verschwunden. Ein Paar grüne Augen blickten ihm fordernd entgegen und zeigten ihm auf, dass es dem Jungen ernst war.

„Okay“, gab er sich lieber rasch geschlagen, bevor er noch etwas Unangenehmes heraufbeschwor, sofern er sich gegen den Kleineren der Brüder stellte. „Gehen wir halt zu zweit zum Wagen.“

„Sehr gut, die Einstellung gefällt mir besser“, stimmte ihm Dean süffisant grinsend zu und klopfte ihm beinahe freundschaftlich auf die Schulter, worunter der ältere Mann jedoch misstrauisch zusammenzuckte. Er wusste nicht, was er von diesem Jungen halten sollte, der sich so sehr um seinen kleinen Bruder sorgte, aber gleichzeitig mit diesem plötzlich berechnenden Verhalten seinen Argwohn weckte. Hoffentlich verbargen die Brüder nicht irgendwelche Leichen im Keller. Was, wenn er unbewusst zwei Kriminellen Zuflucht gewährt hatte und nun sogar Lauren in Gefahr brachte?

Diese Meinung geriet jedoch ein wenig ins Wanken, nachdem Dean die Tür lautlos wie ein Einbrecher hinter ihnen schloss und die eiskalte Luft ihren Atem gefrieren ließ. Rasch packte er den verblüfften Mann am Arm und zog ihn einige Schritte vom Motel fort, als befürchtete er, dass in irgendeiner dunklen Ecke neugierige Ohren lauerten, welche die nächsten Worte nicht zu interessieren hatten.

„Hören Sie“, begann der ältere Winchester, während seine nachtschwarzen Pupillen nervös von einer Seite zur anderen glitten, was Marty zu einem Stirnrunzeln veranlasste. „Falls ich in Ihnen eben den Eindruck geweckt habe, dass mein Bruder und ich Dreck am Stecken haben, dann kann ich Sie beruhigen.“ Beinahe beschwörend sah er ihn an.

„Das höre ich gern“, antwortete der Ältere wenige Sekunden später erleichtert und verzog das zuvor ernsthaft anmutende Gesicht zu einem gutherzigen Schmunzeln. „Ich mag euch Jungs nämlich und es wäre schade, wenn ich euch anschwärzen müsste.“

Dean schickte ihm ein dankbares Lächeln entgegen, kratzte sich dann aber, die Luft zischend zwischen zusammengebissenen Zähnen einsaugend, am Hinterkopf.

„Wie es scheint, gibt es da aber trotzdem etwas“, deutete der Mechaniker diese Geste richtig, woraufhin der Junge zustimmend nickte. „Etwas, wo ich meine Nase nicht hineinstecken soll, hab ich recht?“

„Bingo“, bestätigte der kleinere Winchester und fragte sich dabei insgeheim, ob ihn das relativ gelassene Verhalten des anderen Mannes nun eher beruhigen oder Verdacht schöpfen lassen sollte. Tat er äußerlich nur so, während es in seinem Inneren aufgeregt brodelte und er sich überlegte, wo und mit welchen Worten er die Brüder verpfeifen konnte? War es richtig, sein Vertrauen in diesen Fremden zu legen? Er seufzte leise in sich hinein. Die Antwort darauf würde sich ihm erst präsentieren, wenn es vermutlich bereits zu spät war.

„Es geht um den Kofferraum“, begann er daher nach lautlosem Ringen mit sich selbst zu erklären.
 

We walk in your footsteps

Though I've had my ups and downs

And I'll stand in the silence

Until I figure it out
 

One might fall and the other will stand

And one might give where the other won't bend

The night is bright as the sun
 

I'm never gonna know

Never gonna look back

Never gonna know where we would have ended up at

The end has only begun
 

So stop counting the hours

Live out in the world

Cause I've been chasing the answers

And they don't want to be found
 

One might fall and the other will stand

And one might give where the other won't bend

The night is as bright as the sun
 

I'm never gonna know

Never gonna look back

Never gonna know where we would have ended up at

The end has only begun
 

Well the day

Tonight feels like a million miles away

And these times just won't change

Life just stays the same

I'd give anything to see the light of day
 

Cause I've been too far away

To hear you whispering
 

They say one might fall and the other will stand

And one might give where the other won't bend

The night is as bright as the sun
 

I'm never gonna know

Never gonna look back

Never gonna know where we would have ended up at

The end has only begun
 

Well the day

Tonight feels like a million miles away

And these times just won't change

Life just stays the same

I'd give anything to see the light of day
 

What you do

No one can decide it's up to you

And who you are is what you choose

These times when the world falls apart

Make us who we are
 

~ The end has only begun – Lifehouse ~

Handful of sorrow

5. Kapitel: Handful of sorrow
 

Sam starrte gedankenlos und ohne wirklich etwas zu sehen auf die gegenüberliegende Wand des Flures, in dem er saß und auf Lauren wartete, die nach Deans und Martys Verschwinden losgegangen war, um Verbandsmaterial zu holen. Er hatte sie zwar davon abhalten wollen, da er selbst die Meinung vertrat, dass sie sich keineswegs die Mühe bei ihm machen musste, aber sie hatte ihm nur tadelnd den Finger auf die Nase gelegt und war ihres Weges gegangen.

Nachdem nach fünf Minuten noch niemand wieder eintraf, begann er vor Eintönigkeit sich für die vielen Fotografien zu interessieren, die gerade aufgereiht den gesamten Korridor von Anfang bis Ende zierten. Szenen von Rodeos waren darauf zu erkennen; Männer wie Frauen in dementsprechender Kleidung, die sich darin versuchten, auf dem Rücken eines wilden Mustangs zu bleiben. Auch Lauren konnte er unter all den Leuten ausmachen, sie stand fröhlich winkend neben einem gescheckten Pferd, auf dem ein junger Mann in ihrem Alter saß, der liebevoll zu ihr hinunterlächelte.

Unwillkürlich musste Sam grinsen. Er fragte sich, ob sich sein Bruder schon irgendwelche Chancen bei dem Mädchen ausgerechnet hatte und sah bereits dessen enttäuschtes Gesicht, sofern er erfuhr, dass die Kleine bereits vergeben war. Denn dieser Blick auf dem Foto sagte mehr als tausend Worte, da war sich der jüngere Winchester hundertprozentig sicher.

„Gefallen sie Ihnen?“ Lauren war so geräuschlos neben ihm aufgetaucht, dass er unvorbereitet auf ihre Anwesenheit ein wenig zusammenzuckte. Normalerweise hätte ihm ihr Kommen doch auffallen müssen. Schließlich hatten das jahrelange Training und die Jagden seine Wahrnehmung um ein Mehrfaches im Vergleich zur Normalsterblichen gesteigert. Oder lag es einfach daran, dass er zum einen hundemüde und zum anderen Deans Baby mit voller Wucht geküsst hatte?

Mühevoll unterdrückte er ein Gähnen, um sie nicht zu beleidigen und ihr einen falschen Eindruck von seiner Meinung zu geben.

„Da hatte jemand ein glückliches Händchen“, beurteilte er die Bilder ehrlich, da er ihr nicht sagen wollte, dass er nichts von Rodeos hielt.

„Mein Vater hat sie geschossen“, erklärte sie mit einem gewissen Stolz in der Stimme und setzte sich ihm gegenüber, eine große Tasche neben sich stellend. „Jedes Bild steht für ein Festival, es ist das einzige größere Ereignis hier in der Stadt, mehr hat Coulee City außer seiner Naturschönheiten und Sehenswürdigkeiten nicht zu bieten.“

„Das klingt irgendwie nach ´Eigentlich möchte ich hier furchtbar gerne weg, aber ich kann nicht, weil ich sonst jemanden enttäuschen würde´“, schmunzelte Sam und biss sich anschließend vor Schmerz auf die Lippe, als Lauren mit einem in Desinfektionsmittel getränktem Tuch begann, seine Wunde zu säubern.

„Ich glaube, das muss ich klammern, fürs Nähen ist die Verletzung nicht mehr frisch genug“, erwiderte sie auf seine Feststellung, als ob sie diese nicht vernommen hatte, doch dann seufzte sie und ließ das Tuch sinken. Für einen Moment sahen sie sich an, zwei vollkommen verschiedene Menschen und doch hatten sie beide etwas gemeinsam. Und ein jeder von ihnen erkannte es, ohne zunächst ein Wort daran zu verschwenden. Sam war der erste, der sich nach einigen Sekunden des Schweigens wieder fing.

„Du sagtest nähen geht nicht mehr? Was bist du? Eine Hobby-Ärztin?“

„Nein.“ Sie unterdrückte ein Lachen und strich ihr langes Haar, welches sich wie eine Flut über ihr Gesicht ergoss, zurück hinter die Ohren. „Eher eine Krankenschwester ohne abgeschlossene Ausbildung.“

„Warum das?“ Er schaute sie etwas irritiert an, nachdem sie eine kleine zugeschweißte Tüte aufriss und daraus die kleinen Klämmerchen entnahm, welche die Wundränder zusammendrücken und die Heilung beschleunigen sollten. Sofort bemerkte sie seinen beinahe misstrauischen Blick und begann dieses Mal tatsächlich zu lachen.

„Keine Sorge, ich weiß, was ich tu, schließlich habe ich das alles lernen müssen.“ Flink zog sie sich Handschuhe über die Finger und brachte die kleinen Wunderteile mit größter Sorgfalt, wie er im Stillen bewundernd bemerkte, an der dementsprechenden Stelle an. „Das sollte halten und auch seine Funktion erfüllen.“ Zufrieden betrachtete sie ihr Werk. „Und jetzt wollen Sie vermutlich wissen, warum ich das alles hingeworfen habe.“

Sam nickte still und konzentrierte sich darauf, den brennenden Schmerz, den das Desinfektionsmittel noch immer verursachte, zu ignorieren.

„Meine Mutter wurde krank – Krebs“, berichtete sie und wurde plötzlich ganz still. Sich auf die Unterlippe beißend klebte sie einen Tupfer mit zwei Streifen Pflaster über die geklammerte Stelle. Sam hätte schwören können, Tränen in ihren Augenwinkeln glitzern zu sehen.

„Das ... das ist schlimm“, brachte er nur hervor und wagte es kaum, sie anzusehen. Er wusste zwar, wie es war, jemanden zu verlieren, aber einen Menschen, den man über alles liebte, leiden und verfallen zu sehen, das konnte und wollte er sich nicht vorstellen.

„Am Anfang sah es zunächst sehr schlecht aus“, erzählte sie mit dumpfer Stimme weiter und krampfte ihre langen schlanken Finger in ihre etwas zu große Jogginghose. „Die Ärzte machten meiner Mutter wenig Hoffnung, sie sagten, ihr Tumor wäre bereits zu groß und zudem noch bösartig, als dass die Operation und die anschließenden Therapien viel Erfolg bringen würden. Aber meine Mum ist eine Kämpferin, sie gibt so schnell nicht auf. Sie hat alles tapfer und stillschweigend über sich ergehen lassen. Und am Ende hat sie die Ärzte zum Staunen gebracht.“

„Sie ist also wieder vollständig genesen?“, wollte Sam wissen und sah Lauren erwartungsvoll an.

„Ja oder eher gesagt, fast“, antwortete die junge Frau, während sie mit einer langen Haarsträhne spielte. „Man sagte ihr, sie müsse sich sehr zurücknehmen, was ihr weiteres Leben beträfe. Kein Stress mehr, viel Ruhe, keine körperlichen Überanstrengungen. Die Krankheit hat ihren Körper sehr ausgelaugt, all diese Faktoren könnten zu einem erneuten Ausbrechen führen.“

„Lass mich raten, das ist der Grund, weswegen du sozusagen den Job gewechselt hast“, tippte der Wuschelkopf mehr als richtig, denn Lauren nickte bejahend. „Hast du es freiwillig getan oder haben deine Eltern ... ?“

„Meine Eltern würden mir nie im Weg stehen, was mein Leben betrifft!“, fuhr sie ihm plötzlich wütend dazwischen, so dass Sam überrumpelt zurückwich und mit dem Hinterkopf gegen die Rückwand schlug.

„Auuuuu ...“, stöhnte er und hielt sich gepeinigt seinen Denkapparat, in dem nun nicht mehr ein Dutzend kleiner Männer seine Schädelwand mit Spitzhacken bearbeiteten, sondern eine ganze Armee. Bestürzt griff Lauren nach seinen Armen, die sich vollkommen verkrampften, während seine Hände versuchten, seinen Kopf zu sprengen.

„Es tut mir so leid, bitte, ich wollte das nicht, ich war nur mit einem Mal so wütend, als ich das hörte und da ...“, sie hielt inne, als er aufsah und ein versöhnliches Lächeln versuchte, das jedoch ein wenig unglücklich anmutete.

„Nein, wenn, dann muss ich mich entschuldigen“, beruhigte er sie sanft, nachdem die Armee zur Hälfte in die Mittagspause marschierte. „Ich sollte nicht etwas vermuten, von dem ich gar nichts weiß.“

Sie atmete einmal tief durch. „Es war meine eigene Entscheidung. Meine Eltern haben soviel für mich getan, dass ich dachte, es wäre nun an mir, ihnen etwas davon wiederzugeben.“

Sam nickte verständnisvoll und bedeutete ihr, weiterzuerzählen.

„Sicher hätte mein Vater jemanden einstellen können, der ihn bei der Arbeit im Motel unterstützt, aber in der Vergangenheit haben wir damit schlechte Erfahrungen gemacht und deswegen habe ich sofort meine Hilfe angeboten. Sie wollten es natürlich nicht, da es ihnen wichtiger war, dass ihre Tochter eine vernünftige Ausbildung in der Tasche hat.“

„Was ja auch klug ist“, ergriff Sam ein wenig Partei für Laurens Eltern und war plötzlich von dem sehnsüchtigen Wunsch erfüllt, dass sein Vater damals auch soviel Verständnis ihm gegenüber an den Tag gelegt hätte, als er aufs College wollte und dies mit bösen Worten hatte durchsetzen müssen.

„Sicher“, stimmte ihm Lauren zu und begutachtete noch einmal kritisch ihr Werk an Sams Stirn. „Aber würdest du wegen so etwas deine Familie im Stich lassen?“

Er hatte nicht einmal bemerkt, dass sie ihn plötzlich nicht mehr wie einen Fremden anredete, so sehr brachte ihn ihre Frage aus der Fassung.

Ohne an ihr eigenes Wohl für die Zukunft denkend hatte dieses Mädchen das getan, was sein Vater von ihm verlangt und er wütend ausgeschlagen hatte – für die Familie dazusein, wenn es die Situation hinterfragte. Die ganze Zeit über hatte er die Menschen, welche ihm am meisten bedeuteten, sich selbst überlassen, hatte kein Interesse gezeigt, an ihrem Schicksal teilzunehmen und sogar vor Jessica störrisch geschwiegen, wenn diese mehr Details über seinen Bruder und seinen Dad erfahren wollte.

Nun schämte er sich beinahe ein wenig dafür. Er war schließlich nicht der einzige Mensch auf der Welt, der für so etwas seine Träume und Hoffnungen beiseite schieben musste. Es gab zig Andere verstreut auf jedem Breitengrad der Erde, denen es ähnlich ergangen war wie ihm – allerdings hatten diese nicht ihr halbwegs normales Leben gegen die Jagd auf blutdürstige Untote, krallenbewehrte Mondsüchtige oder sadistische Höllenkreaturen eintauschen müssen. Was das betraf, war er tatsächlich ein Sonderfall.

„Sam?“ Laurens beunruhigt klingende Stimme ließ ihn unangenehm berührt erkennen, dass er sie in den soeben verstrichenen Sekunden angestarrt haben musste, ohne auch nur jegliche Reaktion zu zeigen. „Ist auch wirklich alles in Ordnung?“ Mitfühlend wanderte ihre kleine zarte Hand in Richtung seiner unversehrten Wange und wollte erneut über die noch immer jugendlich anmutende Haut des Hünen streichen, doch dieser wich ruckartig zur Seite aus, was seinen Stuhl in eine gefährliche Schräglage brachte.

Natürlich genoss es Sam wie jeder andere Mann auch, wenn ihn eine Frau liebevoll berührte und geschah es, wie in Laurens Fall, nur aus einem behutsamen Anflug von Sorge, aber seit es sich in sein Wissen geschlichen hatte, dass sie ihr Leben bereits mit jemand anderem teilte, fühlte er sich unter ihrer Berührung keinesfalls wohl. Es war nicht richtig und er wehrte sich dagegen, es als angenehm zu empfinden, wollte er für dieses Mädchen nicht noch Gefühle entwickeln, die ihn eher ins Unglück als in alles andere stürzten. Sie glich von ihrem Verhalten so sehr einem gewissen blondhaarigen Mädchen, dem er versucht hatte, all seine Liebe zu schenken, um sie dafür sterbend an einer Zimmerdecke vorzufinden.

Die Augenlider niedergeschlagen senkend drehte er sich noch mehr zur Seite, um der einfühlsamen Geste Laurens zu entgehen, bemerkte dabei aber kaum, dass seine Sitzgelegenheit nur noch auf einem Bein stand und mit ihrem Gast darauf dem schiefen Turm von Pisa ähnlicher sah als beabsichtigt.

Lauren, welche das drohende Missgeschick sofort bemerkte, sprang mit weit ausufernden Armen, um Sam festzuhalten, sollte dieser mit seinem Stuhl zu Boden fallen, nach vorne, aber der große Junge deutete ihre lautlos angebotene Hilfe falsch. In dem festen Glauben, sie wollte ihn umarmen, kippte er mit dem Möbelstück etwas zu schwunghaft ungewollt dieses Mal von der Seite nach hinten und konnte sich nicht mehr rechtzeitig mit seinem Gewicht nach vorne abfangen. Mit einem nur halb unterdrückten Schrei auf den Lippen verschwand er schon wieder gen Erdboden, der eine gewisse Macht auf seine stetige Anwesenheit ausüben musste, jedoch nicht, ohne Lauren unbeabsichtigt mitzureißen, die noch versucht hatte, ihn von der drohenden Erdkundestunde abzuhalten. Auch ihr entwich ein erschrockener Ausruf, dem ein laut polterndes Geräusch, gepaart mit dem Splittern von Holz, folgte.

Im selben Moment flog die Eingangstür zum Motel auf und herein kamen zwei alarmiert wirkende Gestalten, die rasch über den Flur eilten, um den beiden Menschen, dessen Schreie sie aufgeschreckt hatten, zur Hilfe zu kommen. Dean hatte soeben seine Hand auf die Klinke gelegt, Marty dicht hinter ihm stehend, als der halb erstickte Laut seines jüngeren Bruders, gefolgt von dem panischen Ausruf des Mädchens an seine Ohren gedrungen war. Sofort war er hereingestürmt, die Angst um den Größeren ein tiefes Loch in seinen Magen grabend. Hatte der Wuschelkopf wieder das Bewusstsein verloren? Falls ja, würde er ihn notfalls zu einem Arzt prügeln, ohne Rücksicht auf Verluste.

Was er allerdings dann in der Nische des Wartebereichs für die Gäste des Motels vorfand, verschlug ihm zum ersten Mal seit langem die Sprache. Sein aufgewühlter Begleiter, welcher die Taschen der Jungs quer auf seinem Oberkörper verteilt trug, erging es augenscheinlich nicht anders. Mit einem dumpfen Geräusch fielen die bis zum Rand vollgestopften Reiseutensilien der Brüder zu Boden und Marty stierte wortlos und mit offenem Mund auf die Szenerie, die sich ihm bot.

Sam lag hilflos wie eine Schildkröte, die auf ihren Panzer gefallen war, auf den Überresten des Stuhles, welche sich ringsherum am Boden verteilt hatten und ruderte hektisch mit den Gliedmaßen. Sein Blick war jedoch starr auf seine Untermieterin geheftet, die sich krampfhaft und mit vor Schreck geschlossenen Augen an ihm festgeklammert hatte, nachdem er wieder einmal die niederen Gefilde aufgesucht hatte. Langsam hoben sich ihre Lider, als sie die stoische Ruhe bemerkte, die sich in jede kleinste Ritze des Motels gefressen hatte und lief von einer Sekunde zur nächsten puterrot an. Ihre kleine, fein geschwungene Nase berührte beinahe die des jungen Mannes, auf dem sie ungeniert lag und bereits Wurzeln schlug. Vollkommen entgeistert sah sie ihn an, unermesslicher Scham stieg in ihr auf und doch rührte sie sich zunächst keinen Zentimeter, bis die belustigt klingende Stimme seines älteren Bruders in ihre Sinne drang.

„Meine Güte, Tiger, konntest du dich nicht etwas zurückhalten? Das arme Mädchen ist ja ganz verschreckt“, spottete Dean unbeirrt los und fing sich sofort einen ärgerlichen Blick des am Boden Liegenden ein, der ihn vermutlich am liebsten sonst wohin verwünscht hätte. Dann trat der ältere Winchester auf Lauren zu, um ihr aufzuhelfen, damit er schleunigst einige Pluspunkte bei ihr sammeln konnte, aber sie sprang sofort wie eine flüchtende Gazelle in die Höhe und rückte, rasch seinen grasgrünen Augen ausweichend, ihre Kleidung wieder in eine ordentliche Form. Verwundert trat Dean einen Schritt zurück, abwechselnd auf seinen jüngeren Bruder hinabsehend und Lauren taxierend, die wie ein in die Ecke gedrängtes Tier dastand und nervös ihre Finger knetete.

„Es tut mir leid“, huschte es zerknirscht über ihre zarten Lippen und sie lächelte Sam, der verwundert die Brauen in die Höhe zog, was postwendend ein schmerzhaftes Ziehen in seine linke Gesichtshälfte schickte, entschuldigend an. „Ich habe gedacht, ich könnte ihn noch auffangen“, erklärte sie dann weiter an Dean gewandt ihre in eine womöglich ganz andere Richtung anmutende Lage, „aber ... .“

„ ... aber du bist ja nun mal nicht Arnold Schwarzenegger“, grinste der Angesprochene und wich rasch dem zutretenden Bein seines Bruders aus, das knapp an seinem Fuß vorbeischnellte. „Und da bin ich froh drüber.“ Sein verführerischstes Lächeln aufsetzend sah er sie an, aber die junge Frau antwortete nur mit einem vergnügten Schmunzeln und biss sich feixend auf die Unterlippe, was Dean jedoch in einem Anflug von lautloser Schwärmerei für diese elfengleiche Kreatur komplett übersah. „Weißt du, selbst ich hätte diesen Hosenscheißer von einem kleinen Bruder nicht festhalten können, von daher gesehen brauchst du dir da absolut keine Vorwürfe machen.“ Er unterstrich diese Aussage noch mit einem ernsthaften Nicken und zwinkerte ihr keck zu, was ihr ein ungläubiges Seufzen entlockte, welches er als ein Zeichen von unmissverständlicher Bewunderung betrachtete.

„Vielleicht könnte mal irgendjemand diesem ... Hosenscheißer hoch helfen“, mokierte sich Sam wenig begeistert auf dem kalten Fußboden, während er die ganze Zeit über, seit Lauren ihn nicht mehr als Auffangmatte benutzte, versuchte aufzustehen. Wären diese lästigen Punkte vor seinen Pupillen und dieses allmählich an seinen Nerven reibende Schwindelgefühl nicht drauf und dran, zu seinen ständigen Begleitern zu werden, hätte er es sicherlich bereits mehrere Male geschafft, aber so sank er immer wieder geschwächt zu Boden, hoffend, dass niemand den wahren Grund dafür erkannte.

Eine kräftig wirkende Hand umfasste behutsam sein nach oben gestrecktes Handgelenk, um ihn hochzuziehen, während Sam sich bereits einen dementsprechenden Kommentar zu Deans Verhalten und netten Koseworten bereitlegte. Doch als er hochsah und den Mund öffnete, die Worte bereits an seiner Zunge kitzelnd, sah er in das freundliche Gesicht des Mechanikers, der sich über ihn gebeugt hatte und ihn mit solcher Leichtigkeit zurück auf die Beine stellte, als sei er eine vom Wind getriebene Feder.

Aber der zuvorkommende Ausdruck auf dem Antlitz des Älteren schlug augenblicklich in Sorge um, als Sam aufgrund des etwas zu überstürzten Aufrichtens seiner Person wie ein schutzloser Küstenstrich von einer Welle beängstigender Übelkeit überrollt wurde. Hastig schlug er die Hand vor den Mund, als er spürte, wie ihm das reichhaltige Abendessen einschließlich des in Sahne ertrinkenden Apfelkuchens bereits von Innen vor die Lippen klopfte. Dean, der noch immer heftigst seinem Flirt verfallen war, welcher jedoch nicht auf Gegenseitigkeiten beruhte, fiel das Missempfinden seines Bruders erst auf, nachdem dieser längst kurz davor war, seinen hochgewürgten Essensbrei auf dem fein gesäuberten Parkett des Motels zu verteilen.

„Wo ist ...?“, rief Marty alarmiert, sich den größeren Winchester halb unter den Arm klemmend, was gar nicht so einfach war.

„Den Gang runter und dann links!“, erwiderte Lauren sofort und machte Anstalten, ihm hinterher zu eilen, aber der Schwarzhaarige bedeutete ihr, bei dem Älteren der Beiden zu bleiben. Es reichte schließlich, wenn sich einer das kommende Desaster mit ansehen musste. Ein wenig überrumpelt schaute Dean seinem leicht grün angelaufenen Bruder und dem Mechaniker nach, wie sie um die Ecke verschwanden. Er hörte nur noch das hektische Aufstoßen einer Tür und die keineswegs appetitanregenden Würgegeräusche Sams, welche immer wieder von trockenen Hustenanfällen unterbrochen wurden. Aufgewühlt und mit einem schlechten Gewissen, welches ihm den Hals abschnürte, trat er schon einen Schritt vor auf dem Weg zum Besucher-WC, wurde aber von der jungen Frau, welche den Geräuschen ebenfalls beunruhigt lauschte, aufgehalten.

„Mach dir keine Sorgen um ihn, Mr. Keegan ist ja bei ihm“, versuchte sie ihn zu beruhigen und deutete mit einem Kopfnicken auf den einen verbliebenen, noch intakten Stuhl. Nach einem letzten, etwas unglücklichen Blick in Richtung der gar nicht abklingen wollenden unappetitlichen Laute ließ Dean sich seufzend in das Möbelstück fallen und legte müde den Kopf in die Hände. Er wurde den an ihm nagenden Verdacht einfach nicht los, dass hinter Sammys Kopfverletzung mehr steckte als nur eine harmlose Gehirnerschütterung. An die daraus resultierende Diskussion, dass es in diesem Fall besser wäre, einen Arzt aufzusuchen, mochte er gar nicht denken. Sam würde gegen diesen gut gemeinten Vorschlag so sehr rebellieren, wie er das auch stets gegen Dads Anweisungen tat.

„Es wäre sicherlich nicht verkehrt, den Kopf deines Bruders röntgen zu lassen, nur, um ganz sicher zu gehen, dass alles okay ist“, schlug eine weibliche Stimme direkt vor seinem verborgenen Antlitz ein wenig aufmunternd vor. Erschöpft hob er den Kopf und blinzelte in das liebevoll lächelnde Gesicht Laurens, die vor ihm in die Hocke gegangen war und ihn aus großen Rehaugen sanft musterte. Dean musste bei ihrem unschuldig wirkenden Anblick unwillkürlich schmunzeln. Irgendwie war sie recht süß, machte sich um ihn und seinen kleinen Bruder viele Gedanken, obwohl sie die Beiden so gut wie gar nicht kannte, genau wie Marty.

„Ich befürchte, dann muss ich ihn erst krankenhausreif schlagen, bis ich ihn verbal dazu überredet habe“, erwiderte der ältere Winchester und zog belustigt die Brauen in die Höhe, nachdem er die Reaktion des Mädchens auf seinen Spruch bemerkte. Mit gespieltem Entsetzen riss sie ihre dunkelbraunen Augen weit auf, brach dann aber in ein leises Kichern aus, was Dean mit einem heiteren Lachen beantwortete. Dass sein Brustkorb dabei auf- und abhüpfte wie ein spielwütiger Welpe machte die um Bruchteile von Sekunden aufgelockerte Situation schlagartig zunichte. Mit vor Schmerz zusammengebissenen Zähnen hielt er sich den vorderen Oberkörper, während seine Rippen die von ihnen eigentlich schützenden Lungen als Schaschlikfleisch missbrauchten. Sternchen tanzten vor seinen Augen einen wilden Reigen und hätte Lauren ihn nicht alarmiert am Arm gepackt und ihn zurück in die Wirklichkeit gerissen, er wäre vermutlich haltlos in den tiefen Schlund, der sich bereits gähnend vor ihm auftat, gefallen. Ihre aufgeregt klingende Stimme dröhnte blubbernd und undeutlich an seine Ohren, Sams nicht abklingen wollende Würgegeräusche, die noch immer den Gang des Korridors füllten, dafür um so klarer und lauter.

Sicher … Sam … .

Die Lippen tapfer aufeinander pressend straffte er seinen Leib und setzte sich wieder aufrecht auf seinem Stuhl hin. Er durfte jetzt nicht schlappmachen, er musste wach bleiben, für seinen Bruder. Was, wenn diese Menschen ihre Freundlichkeit nur vorgaben? Ihre Sorge vortäuschten? John hatte sie gelehrt, dass Misstrauen eine gesunde Eigenschaft war, die Leben retten konnte und wie oft hatte es das schon getan? Sammy legte einfach zuviel Vertrauen in ihm wildfremde Leute, er wog ja sogar ab, ob in ihren übernatürlichen Feinden, die sie bekämpften, nicht doch noch ein Quäntchen Gutes schlummerte, bevor die Brüder sie tatsächlich vernichteten. Sicher, er war ein ausgezeichneter Jäger mit einem vortrefflichen Spürsinn für gewisse Dinge, aber leider auch eine Spur zu gutgläubig. Deswegen konnte es sich Dean keineswegs erlauben, ein ungewolltes Schläfchen einzulegen, nicht, bis Sam wieder da war, wo er hingehörte – an seine schutzspendende Seite.

Angenehm kühle Finger legten sich plötzlich an seine Haut unterhalb der Stelle, die ihm der Gurt schmerzhaft abgepresst hatte und er sah überrascht auf, Laurens hochrote Wangen, welche wie die gleißenden Farben der glühenden Abendsonne durch ihr davor gefallenes Haar schimmerten, dicht an seinem Körper.

„Was zum …?“, fuhr er sie bezüglich ihrer unterdrückten Scheu ihm gegenüber leicht verwirrt an, hielt aber sofort inne, als ihre zartgliedrigen Hände behutsam über seine Blessuren fuhren und diese sachkundig untersuchten. Verdammt, fühlte sich das gut an! Sein Glück, dass es ihn nicht wie Sammy am Kopf erwischt hatte, das wäre sicherlich nicht mal halb so schön wie dies hier.

Ein verzücktes Seufzen glitt ihm wohlwollend über die Lippen, so dass nun Lauren ihrerseits verstört innehielt und ihn abschätzend betrachtete, sein Hemd noch mit der einen Hand hochhaltend.

„Tut … tut es sehr weh?“, fragte sie zögerlich, jedoch mit dem Hintergedanken im Kopf, dass seine vermeintlichen Schmerzenslaute nicht im Geringsten mit dem zufrieden wirkenden Gesichtsausdruck zusammenpassten, der sein Antlitz ungeniert zierte.

„Oh ja“, versuchte er sie allerdings von dem Gegenteil zu überzeugen und sah so gequält drein wie ein ausgesetzter Hund, den man vorher noch grün und blau geschlagen hatte, aber so perfekt, wie sein jüngerer Bruder dies stets schaffte, gelang es ihm nicht. „Ist mit Sicherheit einiges gebrochen, hab ich recht?“ Ich flehe dich an, mach weiter!

„Ähm, nein“, erwiderte sie und musste sich ein belustigtes Grinsen verkneifen, als er eine beinahe enttäuschte Schnute zog. „Aber der Gurt hat sich tief in die Haut gegraben und dort etwas zurückgelassen, dass dem Grad einer Verbrennung ähnelt.“ Kritisch beäugte sie die dunkelroten Veränderungen oberhalb Deans Rippen, welche er selbst noch gar nicht bemerkt hatte. Die Stirn in Falten gelegt betrachtete er seine linke Seite, die auf ihn wirkte, als hätte man ihn quer durch ein Meer aus glühenden Kohlen geschleift. Hübsch sah das bei weitem nicht aus, aber er konnte es wenigstens im Gegensatz zu Sam unter seiner Kleidung verbergen. Hier und da hatten sich aber bereits blaue Flecken auf rotem Untergrund gebildet, die einen recht gemeinen Schmerz in seinem Innenleben verursachten, sobald man darauf drückte.

„Aber das ist wohl nicht alles, oder?“, fragte er etwas zerknirscht, sich nun tunlichst wünschend, er hätte gerade das Maul nicht soweit aufgerissen.

„Nein, leider nicht“, bestätigte sie seine Vermutung und nickte zustimmend, dabei über die bläulichen Verfärbungen streichend, was in Dean gleich zwei Emotionsstränge auslöste, welche irgendwie nicht zueinander passten, zumindest nicht in seiner Vorstellung – Folter und Zärtlichkeit. „Dadurch, dass … der Gurt sich mit einem Ruck so straff gezogen hat und du mit voller Wucht hineingefallen bist, haben deine Rippen ziemlich üble Quetschungen erlitten, gleichzusetzen mit Prellungen. Das ist meist schmerzhafter als ein Bruch, aber zum Glück schneller wieder Geschichte“, sprach sie weiter, seine seltsam anmutende Fratze versuchend zu deuten, die sich ihr unverblümt präsentierte, als sie hin und wieder vorsichtig zudrückte, um herauszufinden, wie viele Rippen in Mitleidenschaft gezogen wurden.

„Wie kommt es, dass du … so viel darüber weißt?“, interessierte sich Dean nun auch für ihren enormen Wissensschatz und verkniff sich in letzter Sekunde ein malträtiertes Stöhnen, als ihre Finger die schlimmste Stelle streiften.

„Diese hier scheint angebrochen zu sein …“, murmelte sie ganz in Gedanken bei ihren Untersuchungen, schmunzelte aber, nachdem die Frage des Anderen zu ihr durchgedrungen war. „Komisch, dein Bruder fragte dasselbe.“

„Ach, hat er?“, hakte Dean beinahe etwas beleidigt nach. Dem Riesen schien sie ja einiges anvertraut zu haben, so, wie sie sich angesehen hatten.

„Ja, hat er“, grummelte es plötzlich hinter ihm schlechtgelaunt und der ältere Winchester wandte sich vielleicht etwas zu schwunghaft dem Besitzer dieser ihm doch recht bekannten Stimme zu und knirschte vor Pein mit den Zähnen, nachdem seine Rippen unvorteilhaft mit dem umliegenden Gewebe seines Körpers schmusten.

„Sammy“, blinzelte er seinen jüngeren Bruder verschmitzt an, der wie aus dem Nichts hinter ihm aufgetaucht war und versuchte dabei, so sorglos wie eh und je zu wirken, was ihm jedoch misslang. „Wieder zurück vom Brillenknutschen? Siehst ja schlimmer aus als Shrek, wenn ich das mal so bemerken darf.“ Er versuchte ein unbekümmertes Grinsen, welches jedoch in das ´freundliche` Lächeln einer Hexe abdriftete, die soeben Hänsel und Gretel Einlass in ihre bescheidene Hütte gewährt hatte.

Wie hatte es der College-Boy nur geschafft, sich an ihn heranzuschleichen, als wäre er ein schwerhöriger Hirsch, der zudem noch vergessen hatte, sein Hörgerät zu aktivieren?

Unbewusst zog er ein Gesicht wie nach dem Genuss einer äußerst wirkungsvollen Zitrone und konnte es mehr schlecht als recht verbergen, dass seine Hand an die Stelle wanderte, welche von dem Gurt seines Babys liebkost worden war.

„Dean.“ Aufgeschreckt ließ sich der Hüne in die Knie sinken und legte seinem Bruder eine Hand auf die Schulter, welche dieser sofort murrend abschüttelte. Ein Seufzen entfuhr Sams Kehle und er stieß auf Laurens weichen Blick, die ihm hilflos zulächelte. Kaum begegnete man dem Kleineren der Jungs mit einem Anflug von Fürsorge, schob dieser das gutgemeinte Angebot angewidert von sich, als handelte es sich dabei um verdorbenes Essen.

„Ich bin okay, Sam“, versuchte Dean dem Jüngeren klarzumachen, bevor dieser ihm unmissverständlich zu verstehen gab, dass dies keineswegs der Fall war und ihn selbst in ein Krankenhaus schleifte. Das kam absolut nicht in Frage, bei ihm waren schließlich nicht ständig die Scheinwerfer ausgegangen inklusive heißem Flirt mit dem Erdboden.

„Ja, sicher“, gab der Wuschelkopf allerdings nur zurück und richtete sich mit einem Grinsen wieder auf, sofort eine helfende Hand am Oberkörper, da er wiederholt leicht strauchelte. Er nickte dankbar in Richtung Marty, der ihn allerdings mit einem tadelnden Kopfschütteln bedachte, was mehr aussagte, als tausend Worte.

Ein mütterlich-fürsorglich geprägter Blick stach ihm wie eine ihren Job ernstnehmende Hornisse frontal in den Leib, nachdem das leichte Aufflammen seines angekratzten Allgemeinzustandes jemand ganz Bestimmtem absolut nicht entgangen war.

„Ich bin auch okay!“, keifte er sofort zu seinem älteren Bruder hinunter, ohne sich vorher zu vergewissern, dass es auch dieser gewesen war, der ihn aus sorgsamen Augen gemustert hatte. Aber anstatt der grasgrünen Iris des kleineren Winchesters strahlten ihm die in sanften Erdtönen anmutenden Sehorgane Laurens entgegen, die sich nun zu kleinen wütenden Schlitzen verzogen, nachdem der übergroße Junge sie so ankrakelt hatte.

„Ähm ... öh“, machte Sam etwas zerknirscht, während Dean sich die Hand vor den Mund halten musste, um nicht gleich laut loszuprusten. Voller Ärger warf er dem Kurzhaarigen vernichtende Blicke zu, die an diesem jedoch abprallten wie Taschentücher an einer Dartscheibe.

„Ihr Zwei seid echt unmöglich!“, polterte die junge Frau ohne Vorwarnung los und warf die Hände entrüstet in die Höhe, dabei jedoch den Kleineren der beiden Männer mit einem ungewollten Kinnhaken eindeckend, der ihn mit einem überraschtem Stöhnen vom Stuhl beförderte, direkt hinein in Sams hastig aufgerissene Arme.

„Dean!“, stieß dieser alarmiert aus und gab sich die größte Mühe, den Älteren möglichst behutsam aufzufangen, damit er seine arg gebeutelten Rippen nicht noch mehr in Mitleidenschaft zog. Aber im selben Augenblick zog ein unbeschreiblicher Schmerz wie eine Armada abgeworfener Speere durch sein Hirn, woraufhin er sich mit einem unterdrückten Stöhnen an seine Stirn griff, geschwächt dabei an die Wand sinkend. Dean segelte währenddessen nicht gerade galant an ihm vorbei und wäre vermutlich, ganz nach dem altbewährten Muster seines kleinen Bruders, mit dem Fußboden kollidiert, hätten ihm nicht zwei helfende Hände unter die Achseln gegriffen und neben den Jüngeren gedrückt.

„Hey, Sammy“, presste der Ältere unter zusammengebissenen Lippen hervor und musterte den Dunkelhaarigen angestrengt, die nervenden irrsinnig farbreichen Sterne vor seinem Antlitz dabei wegblinkernd. Er war doch hier nicht in einem Disneyfilm, wieso waren diese Dinger so quietschbunt, als hätte er ein gewisses Kraut geraucht, welches er niemals auch nur in die Hände nehmen würde?

„Was?“, knurrte der Angesprochene und bemühte sich darum, seine ständig verschwimmende Sicht wieder scharf einzustellen, da Dean auf ihn wirkte wie ein zerlaufendes Ölgemälde.

„Hast auch schon mal besser ausgesehen, Alter“, schmunzelte der kleinere Winchester und zog die Brauen amüsiert in die Luft, nachdem Sam vor Unglauben leicht nach Luft schnappte.

„Danke, das gebe ich gerne zurück“, erwiderte er daher bissig und verschränkte die Arme vor dem Oberkörper, schenkte seinem großen Bruder jedoch nur Sekunden später ein erheitertes Lächeln und kicherte leise in sich hinein. Grinsend sahen sie sich an, die beiden Personen, welche besorgt vor ihnen knieten, vollkommen dabei vergessend. Erst, als Marty leicht vorwurfsvoll die Stimme erhob, wandten sich ihre Blicke etwas zerknirscht dem Älteren zu.

„Auf einen Haufen Kindergartenkinder ist leichter zu achten als auf euch zwei Chaoten“, seufzte er und fuhr sich leicht genervt durch das nachtschwarze Haar. Dann wandte er sich an Lauren, er klang müde und auch ein wenig gereizt, was man ihm nach all dem Erlebten nicht verdenken konnte. „Brauchst du mich hier noch oder kann ich dich mit den Beiden allein lassen?“

Sie schüttelte verneinend auf den ersten Teil seiner Frage den Kopf. „Ich komm schon klar, Mr. Keegan, keine Sorge.“

„Gut.“ Trotz der seinen ganzen Körper einnehmenden Müdigkeit stand er schwungvoll, als hätte soeben der Wecker nach einer erholsamen Nacht geklingelt, auf und bewegte sich langsam, ohne ein großes Wort des Abschiedes, auf die Haupttür des Motels zu. Doch bevor er die Klinke zum Öffnen herunterdrückte, wirbelte er plötzlich herum und zeigte mit dem Finger ermahnend auf die beiden jungen Männer, die ihn verblüfft musterten.

„Wehe, mir kommt etwas zu Ohren, was ich absolut nicht gutheiße, dann solltet ihr euch schleunigst nach einer neuen Bleibe in einem anderen Universum umsehen, ist das klar?“

„Was denn zum Beisp ... prpff“, frotzelte es vorlaut aus Deans niemals still stehendem Plappermaul, welches Sam rasch und mit einem entschuldigenden Ausdruck im Gesicht versiegelte, indem er ihm ohne Rücksicht auf Verluste die Hand vor die Lippen klatschte.

„Sicher haben wir das verstanden, nicht wahr, Dean?“ Dessen Augen glühten jedoch wie das niemals erlöschende Feuer eines frisch ausgebrochenen Vulkanes, während Sam seine andere Hand an den Nacken des Älteren legte und dem ausbleibenden Nicken kräftig nachhalf.

Kichernd beobachtete die junge Frau diese beiden so ungewöhnlichen Männer, welche sich ständig gegenseitig aufzogen, als seien sie noch zwei freche Schuljungen mit nichts als Flausen im Kopf.

„Au, verdammt!“, quiekte der jüngere Winchester protestierend auf, nachdem Dean ihm mit einem angewiderten Gesichtsaudruck in die Finger gebissen hatte. „Hast du nicht schon genug gegessen?“

„Glaub mir, du schmeckst nicht besonders“, antwortete der Kleinere neckend, während sich Sam wie ein Kleinkind die gequetschten Finger in den Mund steckte. „Aber du hast mir ja keine andere Wahl gelassen, was hatten deine Grabscher auch in meinem Gesicht verloren? Ich steh da nicht wirklich drauf.“

„Du bist echt ein Idiot, Dean.“

„Danke, du Schlampe.“

Knurrend wie zwei rivalisierende Wölfe, die sich um ein Stück Fleisch stritten, was nur einen satt machte, musterten sich die Brüder herausfordernd.

„Also, ich gehe jetzt, gute Nacht“, grollte es plötzlich etwas ungehalten dazwischen und sie hörten, wie sich eine Tür leise quietschend öffnete. „Schlagt euch doch von mir aus die Köpfe ein. Wozu hat man euch eigentlich hierher gebracht? Kaum zu glauben.“ Das massive Holz ächzte leicht, als die Tür ins Schloss fiel und Marty leise weiter vor sich hinschimpfend in der noch immer wirbelnden schneeweißen Masse verschwand. Sein Truck heulte einmal kurz auf wie ein sterbendes, sich dem ewigen Schicksal ergebenes Tier und wühlte sich anschließend dröhnend durch die eiskalte Nacht, bis er nicht mehr zu hören war.

Für einen Moment saßen, beziehungsweise hockten die drei jungen Leute auf dem Boden des Korridors und starrten sich wortlos an, bis Lauren mit einem Male ein amüsiertes Glucksen entfuhr, das sie anfangs noch versuchte, hinter vorgehaltener Hand zu verbergen. Dann aber brach es aus ihr hinaus wie eine ungezügelte Herde von wilden Pferden, die wild und frei in den Schoß der Natur sprengten. Und es dauerte nicht lange, bis die Brüder ihr dabei Gesellschaft leisteten.

Dean war der Erste der Beiden, der auf Laurens glockenhelles Gelächter mit einem gutgelaunten Pruster antwortete, was Sam zunächst mit einem leicht entsetzten Ausdruck auf seinem in allen Blautönen angelaufenen Antlitz abtat. Aber nachdem ihm der Ältere spaßeshalber freundschaftlich in die Rippen knuffte und dabei so vergnügt übers Gesicht strahlte wie damals, als ihr Dad ihm erlaubt hatte, den Impala das erste Mal zu fahren, fiel auch Sam in das unbeschwerte Lachen der anderen Beiden mit ein.

Es war, als sprengte eine unbekannte Macht alle Mauern der Düsternis und Schwermütigkeit so leichfertig davon wie ein Pferdehuf den Staub, über den er hinwegglitt. Das erste Mal nach Jessicas grausamen und viel zu frühen Tod verspürte Sam wieder so etwas wie Heiterkeit sein in Finsternis getauchtes Herz erfüllen, hielt die kostbare Unbeschwertheit eines unschuldigen Kindes, wenn auch nur für einen kurzen, aber somit unersetzbaren Moment, Einzug in seine betrübte Seele. Wie ein Feuer, dessen Glut sich beinahe dem Tod überantwortet hatte, explodierte es in ihm, vertrieb die dunklen Schatten und wärmte sein Inneres mit einem Gefühl, welches er beinahe für immer verloren hatte.

Die Sorgenfältchen in die hinterste Ecke seines Selbst verbannt betrachtete er die beiden anderen – seinen Bruder und Lauren – denen es vermutlich ähnlich erging wie ihm und doch lagen wieder Welten zwischen ihnen. Sie alle Drei wussten, was Leid bedeutete, aber Sam war Derjenige, der es am schwersten ablegen konnte und es am meisten leugnete.

Erst, nachdem sich Deans heiteres Gegacker in ein abgehacktes Keuchen verwandelte und er sich mit einer gequälten Grimasse den Brustkorb hielt, erlebte der Frohgemut der jungen Leute einen kurzzeitigen Dämpfer. Sofort huschte ein Schatten wie ein dahingleitender Vogel über das Gesicht des jüngeren Winchesters und er musterte den Hustenden mitfühlend, was ihm allerdings postwendend ein genervtes Augenrollen einbrachte.

„Sammy, sieh mich nicht so an, als würde ich jeden Augenblick vor die Hunde gehen“, gab Dean grollend seinen Kommentar zu der Fürsorge seines Bruders ab, der unruhig auf den Knien neben ihm hin- und herrutschte.

„Komisch, du wirkst aber so auf mich“, konnte es sich der Wuschelkopf nicht verkneifen und wich dem auf ihn zusausenden Handrücken buchstäblich in letzter Sekunde und mit einem frechen Grinsen auf den Lippen aus.

„Schluss jetzt!“, mischte sich Lauren wie eine gestrenge Lehrerin, die einen Streit zwischen ihren Schülern schlichten wollte, ein, lächelte aber umgehend, als Dean eine gespielt beleidigte Schnute zog. Gemeinsam mit Sam zog sie den sich vehement dagegen wehrenden kurzhaarigen jungen Mann in die Höhe und drückte ihn vorsichtig in den Stuhl. Dean schickte daraufhin ein mühseliges Seufzen hinaus in die Weiten des Flures, beobachtete aber das Mädchen wissbegierig dabei, wie sie in ihrer großen Tasche wühlte, aus der sie das Verbandsmaterial für den Jüngeren entnommen hatte.

„Was hast du vor?“, wollte dieser auch prompt wissen.

„Ich habe irgendwo eine schmerzlindernde Salbe für Prellungen und Abschürfungen“, erklärte sie durch den Vorhang ihrer dichten Haare hindurch, welche ihr Gesicht vollkommen bedeckten. „Wo ist sie nur?“

„Damit schmiere ich dich aber nicht ein“, weigerte sich Sam angewidert und schüttelte sich, nachdem er dem fragenden Blick seines großen Bruders begegnete, der ihn feixend beobachtete.

„Brauchst du auch nicht“, erwiderte Lauren und warf ihr Haar wie einen eleganten Vorhang nach hinten. Triumphierend, als hätte sie soeben den heiligen Gral entdeckt, hielt sie eine arg misshandelte Tube in die Höhe, deren Aussehen davon zeugte, schon oft benutzt worden zu sein. „Zeig mir doch noch mal die Stelle.“

Deans Gesicht erhellte sich mit einem Schlag, als würde die Sonne aufgehen, nein, eher eine ganze Armada von lichtspendenden Sternen. Bereitwillig zog er sein Hemd in die Höhe und wirkte so zufrieden wie noch nie. Ein verzücktes Seufzen stahl sich über seine Lippen, nachdem Lauren ihm sanft einen dünnen Film auf die betroffenen Hautpartien auftrug, während Sam mit lautlos geflüsterten Bemerkungen versuchte, an so etwas wie ein gutes Benehmen zu plädieren, welches der kleinere Winchester aber irgendwann einmal irgendwo in gutem Gewissen zurückgelassen hatte, es nicht zu benötigen.

„Sag mal, Lauren“, warf Dean zwischen den angestrengt zurückgehaltenen Lauten der Verzücktheit ein, „hast du keine Angst?“ Irritiert hielt sie inne und sah erst ihn, dann Sam fragend an, der gespielt unwissend mit den Schultern zuckte, aber schon ahnte, worauf sein Bruder hinauswollte. Mühsam unterdrückte er ein Schmunzeln, hoffend, dass die Enttäuschung nicht zu arg ausfallen würde.

„Na ja, du scheinst ja ganz alleine hier zu sein, ich meine, es ist doch möglich, dass sich hierher auch mal recht ... ungehaltene Typen verirren, oder?“

„Du meinst, so was wie ... dich?“, konterte sie recht geschickt und zwirbelte ihr Haar provokativ lächelnd auf einen ihrer schlanken Finger.

„Ja ... äh, nein!“, rief er unvorbereitet auf ihre Antwort aus und sah ärgerlich zu seinem Bruder in die Höhe, der kaum noch an sich halten konnte. „Ich meine ... du weißt schon.“ Wütend auf sich selbst starrte er Löcher in den Fußboden; das war ja noch nie vorgekommen, dass seine gewohnte Schlagfertigkeit ihn verließ, sobald eine Frau seine Geheimwaffe gegen ihn verwendete.

„Nun“, begann sie und tauschte mit Sam ein verschwörerisches Lächeln aus, das Dean beinahe zur Weißglut brachte. Was wusste sein kleiner Bruder, das ihm vorenthalten wurde?

„Dank Travis fühl ich mich hier recht wohl, solange meine Eltern in Florida einen Teil des Winters verbringen.“

Wer zum Teufel ist Travis?

Unwissend zog Dean die Augenbrauen in die Höhe und wartete auf eine Erklärung, welche ihm jedoch bereits laut ins Hirn schrie, aber er ignorierte dies geflissentlich.

„Er verbringt hier seine Semesterferien, studiert Medizin im vierten Semester. Kurz bevor ihr hier eintraft, ist er über seinen Lehrbüchern eingenickt, eifrig, wie immer.“ Ein versonnener Ausdruck huschte über das Gesicht der jungen Frau, während sie über diesen Anblick nachdachte.

Oh, oh, ich ahne Schlimmes!

„Dieser Travis ist also dein Freund“, streute Sam Salz in die offene Wunde und das Nicken Laurens ließ das Kartenhaus des älteren Winchesters krachend in sich zusammensinken.

„Der auf dem Bild“, folterte der Jüngere ihn weiter und deutete auf die eine Fotografie an der Wand. Sie zeigte Lauren und einen Typen auf einem Schecken. Und verdammt, der sah nicht mal übel aus!

„Ja, wir haben uns im Krankenhaus kennen gelernt, als ich noch dort gearbeitet habe und er ein mehrwöchiges Praktikum absolvierte“, schwärmte das dunkelhaarige Mädchen und betrachtete voller Stolz das Bild, was ihn im vollen Dress eines Rodeoreiters präsentierte. „Und er war sofort Feuer und Flamme für unsere Festivals.“

Dean brauchte gar nicht aufsehen, um das breite Grinsen seines Bruders in voller Pracht zu erleben. Nun war es an dem Jüngeren, dem lebensspendenden Gigant am Firmament ernsthafte Konkurrenz zuteil werden zu lassen.

„Ich glaub, ich geh jetzt schlafen“, brummelte der Ältere in die von unsichtbaren Blümchen und Herzchen erfüllte Luft, während er sich ächzend in die Höhe drückte, Sams hilfreiche Griffel mit warnenden Grunzlauten zur Seite schiebend und seine Tasche etwas umständlich schulternd. Der Jüngere tat es ihm gleich und klaubte seine ebenfalls vom Boden auf, wo Marty ihn hatte fallen lassen sowie seine Umhängetasche mit dem Laptop, den er überall mithin schleppte.

„Ähm ... ja“, murmelte Lauren und blinkerte mit den Lidern, als wäre sie aus einem wunderschönen Traum erwacht. „Es wird Zeit.“

Sie drückte Sam den Schlüssel für das Zimmer in die Hand und wünschte beiden eine gute und vor allem erholsame Restnacht, bevor sie sich umwandte und auf den Tresen zuhielt. Der größere Winchester schickte ihr noch ein dankbares Lächeln hinterher und wankte eher, als dass er ging, seinem Bruder hinterher, der schon ungeduldig mit dem Griff der Haupttür spielte. Aber bevor dieser die Klinke hinunterdrückte, drehte sich Sam noch einmal um und rief der jungen Frau etwas hinterher:

„Er wird doch nicht wirklich sauer sein, oder? Ich meine Marty.“

Ihr glockenhelles Gelächter erfüllte auf seine Frage den Raum mit Wärme.

„Mr. Keegan? Nein.“ Aber dann erstarb ihr herzlicher Ausdruck im Gesicht und warf trügerische Schatten auf ihre Wangen. „Er war nur einmal erbost, aber das ist lange her, sehr erbost ... .“

„Was?“, rief Sam, sie hatte diese Worte nur gedankenverloren vor sich her gemurmelt, so dass nicht einmal ein verständlicher Fetzen bei ihm angelangt war, von Dean ganz zu schweigen, der das Antlitz fragend verzog.

„Ach, nichts Wichtiges. Geht lieber, bevor ihr noch hier im Stehen einschlaft, dann bin ich Travis sicherlich eine Erklärung schuldig.“ Mit einem leicht angedeuteten Winken drehte sie sich um und verschwand hinter der Tür des Wohnbereiches.

„Travis, Travis, ich hör immer nur Travis“, motzte Dean unzufrieden herum und betätigte den Türgriff. „Sehen wir zu, dass wir endlich hier verschwinden. Komm, Sammy.“

Flink stieß er die Tür auf und wurde sofort von einem eisigen Hauch in Empfang genommen, der ihm sprichwörtlich das Blut in den Adern gefrieren ließ. Abrupt blieb er stehen und verzog missfallend das Gesicht, als ihm die Schneeflocken gegen die Wangen klatschten wie kleine Soldaten, die sich zum Angriff abgeseilt hatten, um ihren Feind dementsprechend zu begrüßen. Prompt rannte Sam in ihn hinein, da er mit den Gedanken und auch mit seinem Blick noch völlig woanders war.

„Verdammt, Dean! Wieso bleibst du stehen?“, wollte er wissen und starrte ihm wütend auf den Hinterkopf, in dem sich bereits die Flocken wie glückliche Schneeglöckchen tummelten.

„K ... kalt“, bibberte der Ältere und machte bereits Anstalten, sich rückwärts wieder in das Gebäude zu schieben, hatte aber die Rechnung ohne Sam gemacht, der ihn kommentarlos in die lebendig gewordene Kühltruhe drückte. Seufzend fasste ihn der Hüne am Arm, nachdem Dean sich keinen Zentimeter weiter vorwärts bewegte und mit den Zähnen klappernd die bis ins Unendliche reichenden Schneemassen betrachtete, welche vor nichts und niemandem Halt machten.

„Hey, was soll das?“, beschwerte sich dieser auch sofort, als sein kleiner Bruder ihn kommentarlos hinter sich herschleifte, mühsam darauf bedacht, die Taschen nicht von seinen Schultern gleiten zu lassen. Denn der allzu bekannte Schwindel versuchte bei der geringsten Anstrengung erneut Herr über Sams Sinne zu werden, so dass der Junge den Einwand des kleineren Winchesters einfach ignorierte und Dean weiter hinter sich herzog, die protestierenden Beschimpfungen einfach an sich abprallen lassend. Erst, als sie nach ein paar Schritten, die dem Jüngeren wie ein halber Tagesmarsch erschienen, an ihrer Zimmertür ankamen, lehnte sich Sam schwer keuchend dagegen, Deans üble Verwünschungen mit einem Ruck verstummend, nachdem dieser das Gesicht seines kleinen Bruders in Augenschein nahm.

„Sammy ... .“ Dean schrak bestürzt zurück, als sein Blick über die aschfahlen Wangen des Hünen wanderte, die nur durch die blauverfärbten Prellungen die erschreckende Ähnlichkeit mit einer Maske des Todes verhinderten. Schweiß tropfte dem Dunkelhaarigen von der Stirn und verwandelte sich direkt nach dem Verlassen der Haut in winzige Eiskristalle, die lautlos auf dem Boden zersprangen. Von einem Moment zum anderen ließ der kurzhaarige junge Mann seine Tasche zu Boden gleiten und hastete auf seinen Bruder zu, der auf ihn wirkte, als würde er jeden Augenblick das Bewusstsein verlieren und an der Tür hinunterrutschen, an welcher er schwer atmend lehnte. Doch bevor Dean dem Jüngeren seine Hilfe anbieten konnte, streckte dieser abwehrend seine Hand aus und schickte dem Älteren ein, wie er von sich dachte, beruhigendes Lächeln entgegen, das jedoch eher an einen schaurig grinsenden Halloween-Kürbis erinnerte.

„Schon ... okay“, sackte Sams Stimme zwischen den abgehackt wirkenden Atemzügen hindurch wie losgetretener Sand zwischen zerklüfteten Felsen. Mühevoll stieß er sich von der Tür ab und versuchte, die von seiner Schulter gesunkenen Taschen aufzunehmen, aber Dean nahm ihm diese schweigend aus der Hand, das Antlitz zu einem vorwurfsvollen Ausdruck verzogen, als der Jüngere protestieren wollte.

„Schließ endlich auf, bevor ich dich hier draußen noch zudecken muss“, gab er seinem kleinen Bruder unmissverständlich zu verstehen, seiner Aufforderung ohne Aufmucken nachzukommen. Sam sah ihn für einen Augenblick zerknirscht an. Auch, wenn Dean vielmehr den typischen Befehlston, welchen er von ihrem Dad übernommen hatte, in seine Anordnung gelegt hatte, so war für ihn selbst die unterdrückte Sorge mehr zum Vorschein gekommen, als es dem kleineren Winchester vielleicht lieb war. Es war nicht seine Absicht gewesen, den Älteren mit seinem Zustand zu belasten, der ihm mittlerweile ebenfalls im wahrsten Sinne des Wortes Kopfzerbrechen bereitete.

„Sam ... die Tür.“ Deans Organ hallte wie ein weit entferntes Nebelhorn durch seine Gehörgänge und der hochgewachsene Junge schrak sichtlich zusammen. Ein wenig desorientiert sah er den etwas Kleineren an, der ihn teils genervt, teils besorgt betrachtete.

„Die Tür, richtig.“ Etwas ungeschickt fummelte Sam den Schlüssel aus seiner Jackentasche hervor und steckte ihn mit zitternden Händen ins Schloss. Ihm war ebenso kalt wie seinem Bruder, aber die Unsicherheit seiner Finger war nicht das Resultat dieser frostigen Winternacht, obwohl er sich nichts sehnlicher wünschte, dass dem so wäre.

Mit einem hörbaren Klicken entriegelte sich die Tür und der jüngere Winchester stieß sie im selben Atemzug auf, blieb aber, bevor er die angenehme Wärme des Zimmers willkommen hieß, voller Verblüffung unter dem Türrahmen stehen, so dass nun Dean seinerseits mit ihm zusammenprallte.

„Was zum ...?“, knurrte dieser hinter ihm und rieb sich aufgebracht den Riechkolben, versuchte aber gleichzeitig einen Blick ins Zimmer hineinzuerhaschen, indem er sich auf die Zehenspitzen stellte und über Sams Schulter schielte, was sich als gar nicht so einfach erweisen sollte. Was er jedoch davon zu sehen bekam, raubte auch ihm für den Bruchteil einer Sekunde die Sprache.

„Wow, wo sind wir denn hier gelandet?“, presste er hervor, nachdem er sich wieder gefangen hatte. „Im Hilton?“ Ungläubig glotzte er die helle Tapete an, die keine Spur von Verunreinigungen oder Alter aufwies. Nirgendwo war eine zerstörte Stelle auszumachen, sie wirkte auf die Brüder, als sei sie erst vor wenigen Stunden angebracht worden.

Angenehm überrascht zerrten die Beiden ihr Gepäck hinein in den Raum, der nun für einige Tage ihr Zuhause sein sollte und sahen sich weiter um. Die Möbel waren einfach, aber gut gepflegt. Testversessen schlug Dean auf die schwere Decke des Bettes direkt vor ihm und atmete hörbar verblüfft aus, als sich keine Staubwolke ihren Weg nach oben bahnte. Seine Lippen verzogen sich beeindruckt und er suchte den Blick seines Bruders, welcher es sich bereits auf dem anderen Bett bequem gemacht hatte.

Ein Grinsen fuhr über Sams Gesicht, nachdem er Deans übermäßiges Staunen bemerkte, aus dem dieser scheinbar gar nicht mehr allein herausfand. Aber auch er musste im Stillen zugeben, dass ihr Zimmer in einem bemerkenswerten Zustand war. Wie oft waren sie in Absteigen gelandet, in denen die Zudecken ihrer Betten Löcher aufwiesen, hineingefressen von Motten; wo Schimmel an den Wänden klebte oder die Tapeten daran nur noch zu erahnen waren oder auch Badezimmer, bei deren Anblick sie es vermutlich vorgezogen hätten, in einer Pfütze zu baden. Alles in allem hatten sie es dieses Mal gut erwischt; der Teppichboden war zwar nicht mehr der Neueste, aber er war sauber und auch die Bettwäsche roch, als hätte man sie soeben aus einem gut duftenden Blütenmeer gezogen. Seufzend vor Behaglichkeit ließ er sich in die weichen Daunen sinken und verschränkte die Hände hinter seinem Kopf.

„Man muss auch mal Glück im Leben haben“, murmelte er versonnen und bemerkte plötzlich, wie schnell sich die Müdigkeit über seine Sinne legte wie ein schweres Tuch. Durch seine immer schwerer werdenden Lider sah er noch, wie Dean zustimmend nickte und sich seine Boots auszog, die er neben sein Bett stellte.

Doch plötzlich fuhr etwas ins Sams dahinschwindende Gedanken und er riss die Augen alarmiert auf. Schlagartig drehte er seinen Kopf in Richtung Dean, der gerade damit beschäftigt war, sein halbes Waffenarsenal aus seinen Verstecken am Körper zu befördern und dies unter dem Kopfkissen zu verbergen, damit es stets griffbereit war.

„Ist irgendetwas?“, fragte der Ältere argwöhnisch, nachdem er Sams eigentümliche Reaktion bemerkt hatte. Umständlich setzte sich dieser halb auf und legte die Stirn leicht in Falten, seinen Bruder dabei nicht aus den Augen lassend.

„Was ist los, Sammy?“, wiederholte Dean und verzog die Lippen zu einem Schmunzeln, da der Jüngere auf ihn wirkte wie jemand, der gerade gehört hatte, dass die Welt doch eine Scheibe sei. Aber sofort wich die Belustigung von ihm, als ihm noch etwas anderes in den Sinn kam. „Etwa eine Vision?“ Sofort ließ er sich auf der Bettkante des Dunkelhaarigen nieder und musterte ihn eingehend.

„Nein, ich warte“, kam es allerdings nur von anderer Seite und Deans Besorgnis tauschte den Platz mit ansteigender Verwirrung.

„Worauf? Auf den Weihnachtsmann? Dafür ist es noch ein paar Wochen zu früh”, witzelte der kleinere Winchester herum und biss sich amüsiert auf die Unterlippe, als Sam genervt mit den Augen rollte.

„Klar, haha. Sehr witzig, wirklich.“ Der Hüne schüttelte über soviel Einfallsreichtum leicht den Kopf; energischere Ausflüge sollte er für die nächste Zeit ausklammern. Selbst diese kleine, nur angedeutete Bewegung reichte aus, um ihn der wildesten Achterbahn-Simulation aller Zeiten auszusetzen. Tief durchatmend konzentrierte er sich wieder auf sein Anliegen.

„Was hast du ihm gesagt?“

„Wem?“ Dean hasste es, wenn Sam mit etwas begann und er ihm absolut nicht folgen konnte, geschweige denn wusste, worauf sein Bruder hinauswollte.

„Marty, wem sonst? Oder hast du gleich mit der ganzen Stadt über den Inhalt des Kofferraums gesprochen?“ Die letzten Worte hatten gehässiger geklungen, als es beabsichtigt war. Geräuschvoll schickte Sam ein Räuspern hinaus und mied den in Ernsthaftigkeit versunkenen Blick des Älteren. Er wusste ja selbst nicht, was mit ihm los war. So leicht, wie in letzter Zeit waren sie in den vergangenen Wochen nicht mal aneinander geraten. Sam hatte langsam das Gefühl, dass seine Hemmschwelle immer mehr zusammenschrumpfte, genau, wie die Ozonschicht. Er musste versuchen, sich mehr zusammen zu nehmen. Dean hatte ja recht, er durfte sich nicht zu sehr von seinen negativen Gefühlen leiten lassen, die ihn seit Jessicas Tod mehr und mehr beherrschten.

Doch das, was sein Bruder dann von sich gab, warf jegliche gute Vorsätze mit einem Mal wieder über den Haufen.

„Ich habe ihm die Wahrheit gesagt.“

Sick and tired

Yohoo!

Da bin ich wieder mit dem nächsten Kapitel, ganz speziell für Sky2 *dich lieb knuddelt*. Danke, dass Dir meine FF so gefällt.

Und jetzt viel Spaß mit 15 Wordseiten *grins*
 

6. Kapitel: Sick and tired
 

“Bist du von allen guten Geistern verlassen, Dean Winchester?!” Sams entsetztes, aber bei weitem eher zornig klingendes Gebrüll schickte eine winzige, dennoch fühlbare Druckwelle durch die kurze Haarpracht des Angekreischten, der für einen Moment recht dankbar war, dass das Motel außer den Besitzern und noch einem anderen Gast fast unbewohnbar war.

„Sammy, nun beruhig dich ...“, versuchte Dean seinen kurz vor einem Schlaganfall stehenden Bruder zu besänftigen, der vollkommen aufgewühlt die Arme in die Höhe schmiss, als wollte er irgendjemanden darum anflehen, Hirn vom Himmel zu werfen.

„Ich soll mich beruhigen?“, schoss es entrüstet über die Lippen des Jüngeren, der mittlerweile vom Verhalten mehr einem kurzatmigen Asthmakranken glich und die Augen dabei soweit aufriss, dass Dean beinahe Angst und Bange wurde, sie könnten gleich aus ihren Höhlen herauspurzeln. „Was zum Geier beinhaltet denn die Wahrheit alles?! Unsere übernatürlichen Aktivitäten gleich mit eingeschlossen?! Hast du ihm erzählt, dass wir mit dem Inhalt des Kofferraumes fröhlich durchs Land tuckern und Dinge abknallen, die man sich nicht mal im Traum vorstellen könnte?!“

„Sam ... .“ Der ältere Winchester gebot sanft Ruhe, indem er seinem Bruder eine Hand auf die Schulter legte, in der Hoffnung, der Wuschelkopf würde sich von seiner aufsteigenden Rage verabschieden und in beschaulichere Gefilde zurückkehren, aber weit gefehlt.

„Lass mich ausreden!“, zischte der Dunkelhaarige ihn rabiat an und wischte seine freundliche Geste davon wie ein lästiges Insekt, so dass Dean ein ungläubiges Raunen nur schwer unterdrücken konnte. „Was hat Dad uns gelehrt? Das, was wir tun, existiert nur für uns und andere Jäger, niemals für einen Außenstehenden. Und du, Dean, du, der immer das getan hat, was Dad wollte, der immer gehorcht hat und niemals widersprochen hat, gerade du sollst es gebrochen haben? Das Versprechen, was wir ablegen mussten?“

Die Stimme des Jüngeren wurde plötzlich mit jeder Silbe, die seine Kehle verließ, leiser, das vor Wut verzerrte Antlitz weicher, bis nur noch ein zu groß geratener, verwirrt wirkender und viel zu müder Junge vor Dean saß, der das, was er soeben gesagt hatte, womöglich selbst kaum glauben konnte. Leise seufzend setzte sich der etwas kleinere Mann mit dem wiesengrünen Blick neben seinen Bruder, der ihn sofort mit einem leicht zweifelnden und misstrauischen Gesichtsausdruck bedachte.

„Weißt du, Sammy“, begann Dean wichtigtuerisch und klopfte dem Angesprochenen freundlich auf ein Knie, was dieser mit ansteigendem Argwohn registrierte. „Manchmal muss man bestimmte Opfer bringen, auch, wenn diese schwerwiegende Konsequenzen mit sich ziehen.“

Mit einem gekonnten Sprung, der eher dem eines Hochleistungssportlers ähnelte und nicht jemandem, der noch vor kurzem bei der kleinsten hektischen Bewegung den Boden aufgesucht hatte, hob Sam vom Bett ab und sah sich gehetzt um, als würde er bereits die aus Deans Aussage resultierenden Polizeisirenen hören. Stumme Vorwürfe, verursacht durch das nach seiner Meinung unvorteilhafte Verhalten seines Bruders, gruben zwar unangenehm zwickende Löcher in seine Magengrube, entwichen aber nicht mehr lauthals seiner Kehle. Sprachlos und die Fassung schweigend mit jeder verstreichenden Sekunde etwas mehr einbüßend, starrte er den Älteren an, welcher so ruhig und entspannt auf ihn wirkte, als sei überhaupt nichts geschehen.

Konnte es wirklich sein, dass Dean so etwas Dummes getan hatte? Nein, das passte doch gar nicht zu ihm. Schließlich war das Innenleben seines Kopfes weitaus intakter bei dem Unfall geblieben, als es für den hochgewachsenen Jungen der Fall war.

Forschend betrachtete Sam den auf seinem Bett Sitzenden, während dieser fragend die Augenbrauen in die Höhe zog und seinerseits den Hünen vor ihm anstierte. Er wirkte so unschuldig auf ihn wie ein kleines Kind, das brav immer all das tat, was man von ihm verlangte und niemals protestierte.

Er hatte doch wohl nicht ...? Wenn dem so wäre, dann würde er ihn ... . Oder auch mehr als das.

„Dean, ich warne dich, wenn du versuchst, mich hochzunehmen, dann gnade dir was weiß ich alles.“ Sams Lippen hatten sich in einen hauchdünnen Strich verwandelt, nachdem diese Warnung ohne große Wirkung an dem kleineren Winchester wie harmlose Wattebäuschchen abgeprallt war, denn dieser verzog plötzlich das Gesicht zu einem hämischen Grinsen.

„Duuuu …“, grollte der Jüngere verstimmt und fuhr sich mit der einen Hand durchs Haar, welches aufgeregt zu knistern begann. „Du bist echt das Letzte.“

„Die Letzten werden die Ersten sein“, wusste Dean es besser, legte seinen Zynismus aber rasch beiseite, als Sams Gesichtsfarbe erneut in ein beunruhigendes Kreidebleich abrutschte und sich dieser abwesend wirkend mit schmerzverzerrter Miene an die Stirn griff.

„Whoah, Sammy! Komm, setz dich schnell!“, forderte er seinen Bruder behutsam auf und fasste ihn rasch beim Arm, den Wuschelkopf unendlich vorsichtig zum Bett führend. Schatten der Besorgnis glitten wie dahinziehende Regenwolken über sein Antlitz, als er den hochgewachsenen Jungen auf die Matratze drückte und ihn dabei beobachtete, wie dieser unsicher mit den Handflächen seine Umgebung abtastete.

Unbeholfen sank Sam auf das weiche Bett und wäre beinahe nach hinten gestürzt, hätte sein älterer Bruder ihn nicht die ganze Zeit am Arm festgehalten. So übte Dean eiligst einen sanften Druck auf den Oberarm des Jüngeren aus und half ihm, eine möglichst bequeme Sitzposition einzunehmen. Geduldig wartete der Ältere, bis Sam seine Hand von der verkrampften Stirn löste und sich sein Körper allmählich wieder entspannte. Hektisch blinzelte der Jüngere mit den Augen, riss sie weit auf und rieb sie sich angestrengt, als wollte er etwas, das dort nicht hineingehörte, schnellstens entfernen.

„Sam, du weißt, was das bedeutet?“, erinnerte ihn sein großer Bruder sachlich, aber mit einem besorgten Unterton in der Stimme, erntete daraufhin jedoch uneinsichtiges Murren.

„Die Antwort ist nein und außerdem geht es schon wieder“, brummte der Angesprochene auf den stummen Befehl, einen vermutlich viel zu übergenauen Weißkittel aufzusuchen, der ihn sicherlich für mehrere Tage in eine Klinik steckte. Das kam absolut nicht in Frage für ihn. Dass er jedoch für mehrere Sekunden lang von tiefster Schwärze umhüllt war und dies bei vollem Bewusstsein erlebt hatte, erwähnte er gegenüber Dean lieber nicht, obwohl es in ihm selbst eine unglaubliche Angst heraufbeschworen hatte. Plötzlich nichts mehr sehen zu können, obgleich man seine Lider weit aufgeklappt hatte, war so erschreckend gewesen, als sei man gestorben und schwebte nun als Geist über seinem leblosen Körper.

Nachdem Dean seinem verbohrtem Bruder ein unnachgiebiges Augenrollen entgegen gesandt hatte und nun entschied, dass es an der Zeit war, dem Jüngeren zu zeigen, wer hier die Hosen an hatte, überrollte Sam ihn rasch mit einem weiteren Dementi gegen die noch unausgesprochene Zurechtweisung.

„Und zudem, wenn ich meinen Hintern in ein Krankenhaus schieben soll, bist du der Erste, den ich mitnehme und das nicht als Begleitung.“

Nun war es an Dean, seinen Bruder mit einem trotzigen Blick zu strafen. Entschieden verschränkte er die Arme vor seinem Brustkorb, leider etwas zu schwunghaft, denn seine angeschlagenen Rippen ächzten dabei wie morsche Schiffsplanken, über die ein gut beleibter Mann stolzierte.

„Siehst du, was ich meine?“ Sam verzog die Mundwinkel amüsiert nach oben, als der Ältere missmutig seine Hände in den Hosentaschen versenkte und den anschwellenden Schmerz, der durch seinen Oberkörper schoss, unter größter Anstrengung verbarg. Das war typisch für Dean. Andere mit schon fast krankhafter Sorgfalt bemuttern, aber sobald man selbst einmal in eine Lage geriet, die bei einem genau das als zwingend notwendig gestaltete, bloß rasch alles abwiegeln. Es war ja nichts. Es ging ihm gut. Blendend. Ja, natürlich.

Ein Seufzen entfuhr dem jungen Mann mit dem braunfarbenen Haar. Sein Bruder würde sich, was das betraf, wohl nie ändern. Er konnte sogar schon den Kopf unter dem Arm mit sich herumtragen und würde wahrscheinlich von sich behaupten, es sei alles okay. Andererseits war Sam in dieser Hinsicht meist keinen Deut besser, wie er sich still und heimlich eingestehen musste, aber im Hinblick auf Dean kannte er seine Grenzen, wusste, wann der Zeitpunkt gekommen war, sich in helfende Hände zu begeben, während der Ältere lieber solange wartete, bis jemand hektisch einen Defibrillator neben ihn schob.

Dennoch gab ihm die Sache mit seinem Kopf ordentlich zu denken. Er hatte schon des öfteren, gerade in der Zeit seines knallharten Trainings, welches ihr Dad an ihnen vollführt hatte, Kopfverletzungen erlitten, wenn er unglücklich gestürzt war, jedoch niemals mit solchen Nachwirkungen. Ständig verschwamm ihm die Sicht, sah er alles undeutlich, als wäre er unter die Brillenträger gegangen und hätte vergessen, sein Nasenfahrrad aufzusetzen. Ähnlich verhielt es sich mit seinem Gleichgewicht. Hätte er es nicht besser gewusst, würde er glatt behaupten, er befände sich auf einem in Seenot geratenen Schiff, welches sich im Sturm aufbäumte wie ein dem Tode nahes Tier.

Vermutlich wäre Sam auch der unausgesprochenen Bitte seines Bruders nachgekommen, wenn in ihm nicht das brodelnde Verlangen nach Vergeltung lautlos aufgeschrieen hätte. Er konnte und wollte es sich jetzt nicht leisten, sie mit ungeplanten Krankenhausaufenthalten zu belasten, wo ihr Vater dem Dämon doch bereits so dicht auf den Fersen war.

Sam wollte dabei sein, wenn sie ihn stellten, wollte ihm in die gefühlskalten Augen blicken und ihn fragen, warum das alles geschehen musste. Wieso ihre Familie, ihre Mum? Weshalb Jessica? Was hatten sie ihm getan, was hatte er ihm getan, dass alle, die er liebte, durch den Dämon starben?

Würde es Dean und Dad etwa ebenso ergehen?

Nein. Entschlossen ballte er eine seiner Hände zu einer Faust, die zitternd wie ein altersschwacher Schmetterling über dem Bett schwebte, auf dem er saß.

Er würde es nicht zulassen, dass es soweit kam, niemals wieder. Nicht noch einmal wollte er einen geliebten Menschen vor seinen Augen sterben sehen, ohne etwas dagegen unternehmen zu können, nie wieder diese Hilflosigkeit spüren, die ihn bis in seine Träume verfolgte. Deswegen hoffte er inständig, dass Marty den Impala schnellstens reparierte und sie von hier verschwinden konnten, um weiter nach ihrem Vater zu suchen.

Da war doch noch was ... Marty ... der Impala ... . In letzter Sekunde widerstand er dem Drang, sich mit der Handfläche an die Stirn zu schlagen.

„Was hast du ihm gesagt?“, sprudelte es daher sprunghaft wie das Wasser einer frischen Quelle aus Sams Mund, so dass Dean, der sich mittlerweile auf dem anderen Bett niedergelassen und seinen kleinen Bruder die ganze Zeit über sorgsam gemustert hatte, vor Schreck zusammenzuckte, als hätte er gerade in ein überaus ekliges Spinnennetz gefasst.

„Wem soll ich was gesagt haben?“, wollte er wissen, während er seine Purzelbaum schlagenden Gedanken versuchte zu ordnen. Sams unwilliges Knurren brachte ihn im ersten Moment nicht unbedingt weiter, genauso wenig das unfreiwillig komische Augenverdrehen, welches der Jüngere vor ihm mit schmerzverzerrter Miene praktizierte und Dean schon ein passender Spruch dazu auf die Lippen rutschte, er ihn aber lieber rasch hinunter schluckte. Sie hatten sich in den letzten Stunden schon oft genug in der Wolle gehabt und dem Wuschelkopf tat es sicherlich nicht gerade gut, wenn sie diese schon fast chronisch anmutende Angewohnheit zu dieser späten Nachtzeit fortsetzten.

Warum konnte Sammy nicht gleich auf den Punkt kommen? Immer diese dumme Raterei. Leise in sich hineingrummelnd verschränkte er die Arme hinter dem Kopf und lehnte sich nach hinten in das einladend weiche Kissen, während sein Geschwisterteil ihn muffelig und vor Ungeduld beinahe platzend betrachtete. Er war selbst müde und gereizt und hegte nicht den Wunsch danach, in seinem nach Schlaf schreienden Hirn wie ein Maulwurf in der Erde herumzuwühlen, um für seinen Bruder eine passende Antwort auf dessen Frage zu finden, die er momentan nicht zuordnen konnte. Der Tag war bereits unausgesprochen bescheiden für ihn verlaufen. Erst verschrottete er halb sein heißgeliebtes Baby und Sammy gleich mit, dann wurde ihnen ein Zwangsurlaub in einem nicht gerade aufregenden Kaff angehängt und zu guter Letzt lehnte ein weibliches Geschöpf seine überaus unwiderstehlichen Annäherungsversuche kokett ab. Schlimmer konnte es keinesfalls mehr werden. Der einzige Lichtschimmer am Horizont hinter all den düsteren Wolken, welche ihn wie nach Blut lechzende Fledermäuse umschwärmten, war die kostenlose Reparatur seines Wagens, zu der er jedoch noch einige warnende Worte hatte anmerken müssen.

Prompt schnellte er aus seiner halb liegenden Position in die Höhe und hätte beinahe seinen Bruder, der sich ein wenig über ihn gebeugt hatte, mit seinem Kopf besinnungslos geschlagen, wäre dieser nicht durch seine ausgeprägten Sinne vorzeitig gewarnt worden.

„Du meinst die Sache mit dem Kofferraum“, rief Dean so freudig aus, als hätte er die richtige Antwort auf die Eine Millionen Dollar-Frage der ganzen Welt mitgeteilt, während Sam wie ein vor Wut krächzender Papagei, dem man den Keks geklaut hatte, leise vor sich hinschimpfte.

„Wirklich beeindruckend, Albert Einstein, ich dachte schon, du kommst nie drauf“, bemerkte der Jüngere gehässig und begann nebenbei in seiner Reisetasche zu wühlen, die er neben sein Bett hatte fallen lassen. „Also? Ich warte. Was hat sich dein durchtriebenes Hirn wieder ausgedacht?“

Dean wollte ihm schon etwas Deftiges vor den Latz pfeffern und ihn fragen, ob das der Dank dafür wäre, dass er ihnen beiden wohlweislich den Arsch vor einem Haufen unangenehmer Cops gerettet hatte, als er Sams verschmitztes Grinsen während seiner letzten gesprochenen Worte bemerkte. Schwungvoll schwang er seine Beine über den Bettrand und setzte sich komplett auf.

„Nun denn, verehrter Bruder“, begann er übertrieben geschwollen wie ein Adliger zu reden, der die Nase um einige Meter zu hoch in der Luft trug, was dem Jüngeren ein amüsiertes Glucksen entlockte. „Höre und staune.“

„Na, da bin ich aber gespannt.“

„Ich habe ihm einfach erzählt, dass wir FBI-Agenten sind.“ Dean schien vor Stolz über seine glorreiche Idee beinahe zu platzen.

„Du hast ... was?“ Sam dachte, er hätte sich vielleicht verhört. Niemand würde ihnen Beiden in dieser Aufmachung und mit diesem Wagen abkaufen, dass sie Federal-Agents waren. Zudem wirkten sie ohne den dementsprechenden Aufzug tatsächlich so jung wie sie waren. Mal ganz abgesehen von ihrem Betragen, was ebenso wenig auf die stets korrekt untereinander agierenden und perfekt nach außen scheinenden Agenten schließen ließ. Alles in allem hatte Dean Marty sicherlich eine Knarre an die Schläfe halten müssen, damit dieser ihm unter Todesangst Glauben schenkte.

„Du hast mich schon verstanden“, gab der Ältere unzufrieden zurück, enttäuscht über die Reaktion seines Bruders, die gar nicht so ausgefallen war, wie er sich dies erhofft hatte. „Ich habe ihm einfach meinen Ausweis unter die Nase gehalten.“

„Und das hat er so ohne weiteres geschluckt?“ Sams Stimme klang zweifelnd. Marty war kein Dummkopf, im Gegenteil.

„Nein, so leicht hat er es mir dann doch nicht gemacht“, gestand Dean und nestelte an seiner Jacke herum. „Allerdings habe ich das bei ihm auch nicht anders erwartet.“

„Das heißt, du hast ihn auf eine nette Märchenstunde a la Winchester mitgenommen.“

„So kann man es auch nennen, Sammy, aber es war nicht gerade simpel, ihn zu überzeugen.“ Umständlich versuchte er nebenher den Ärmeln seiner Jacke zu entfliehen, ohne dabei seinen murrenden Rippen weiteren Schaden zuzufügen, bis sein Bruder ihm wortlos bedeutete, sich umzudrehen. Mit einem Ruck zog ihm der Jüngere das Kleidungsstück vom Körper, was Dean ein dankbares Aufseufzen entlockte. Hauptsache, Sam musste ihm nicht bei den anderen Klamotten ebenfalls zur Hand gehen. Vor Abneigung gegen solch eine Vorstellung verzog er für einen kurzen Moment das Gesicht, als wäre er barfuss in eine riesige haarige Ratte getreten, bevor er weiter erzählte.

„Er wollte wissen, wieso ich ihn angelogen habe und ... .“

„Angelogen?“, unterbrach ihn Sam und zog verwirrt die Nase kraus, was kleine weiche Wellen auf seinem Nasenbein schlug. Für den Bruchteil einer Sekunde musterte ihn Dean irritiert, dann fiel ihm jedoch ein, dass sein Bruder nichts von der an den Haaren herbeigezogenen Geschichte wusste, die er Marty auf ihrem Weg zum Motel aufgetischt hatte.

„Richtig, du hast ja Dornröschen gespielt, hätte ich beinahe vergessen.“

„Dean.“ Die brodelnde Ungeduld seines Bruders sprang ihm beinahe buchstäblich ins Gesicht wie ein paarungsbereiter Frosch, der seine Nase mit einer lasziv quakenden Fliegentöterlady verwechselte. „Komm endlich zur Sache.“

„Okay, ich hab ihm, während du süß wie ein Baby am Schlummern warst ... hey, denk an meine Rippen!“ Geschickt wich er dem angedeuteten Faustschlag des Jüngeren aus, der diesen mit einem unmissverständlichen Grollen begleitete, antwortete aber darauf mit einem so breiten Grinsen, welches, sofern die Möglichkeit bestanden hätte, sich durch seine Augäpfel weiter gegraben hätte. Sam dagegen sah ihn an wie eine Miesmuschel, die mit dem falschen Fuß aufgestanden war.

„Also? Ich warte.“

„Jaaaa, während du dalagst und ich darüber nachdachte, dass du mit diesem Aussehen glatt Werbung für Babys Gutenacht-Brei machen könntest ... verdammt, das war doch nur ein Scherz!“, schob Dean halb lachend und halb quiekend nach, da ihm sein Gegenüber einen deftigen Tritt gegen das Schienbein verpasst hatte, welches sich der kleinere Winchester nun ächzend rieb. „Verstehst du denn keinen Spaß?“

„In dem Fall nicht.“ Sam strich sich mit beiden Handflächen müde über das in allen erdenklichen Farben leuchtende Antlitz und zuckte kurz zusammen, nachdem er etwas zuviel Druck auf seine verletzte Gesichtshälfte ausgeübt hatte, was den Älteren mit schuldbewusster Miene zur Seite sehen ließ. „Dean, normalerweise wäre ich auf der Stelle eingeschlafen, egal, was noch alles aus deinem Mund geflossen wäre, aber diese Sache ist mir extrem wichtig, denn ich würde gerne wissen, ob ich dich in den nächsten Minuten erschießen muss oder nicht.“

„Öhm ... das meinst du doch jetzt nicht im Ernst, oder?“ Der junge Mann mit dem frechen Kurzhaarschnitt musterte ihn ein wenig entgeistert und suchte in Sams Augen nach einem hilfreichen Hinweis, der ihn sofort enttarnte, aber es schien, als hätte der Jüngere ein unsichtbares Schutzschild um seine Iris gesponnen, die nichts von dem preisgab, was er dachte und weiterhin ausheckte.

„Du willst mich wohl auf den Arm nehmen, Collegeboy“, murrte der Impala-Liebhaber, nachdem er keine Antwort von Sam erhalten hatte und dieser ihn noch immer so todernst anstarrte, als befände sich Dean auf der Anklagebank eines Gerichtes und sein jüngerer Bruder mimte vor ihm den knallharten Anwalt.

„Klar will ich das oder verstehst du etwa keinen Spaß?“

Deans Kinnlade fiel herunter wie die außer Kontrolle geratene Schaufel eines Baggers, während sich der hochgewachsene Winchesterjunge spitzbübisch auf die Unterlippe biss und ein aufquellendes Lachen versuchte zu unterdrücken.

„Das gibt’s doch nicht“, rief der Ältere aus und schlug sich mit der flachen Hand aufs Knie. „Schlägt mich mit meinen eigenen Waffen, unglaublich. Schäm dich, kleiner Bruder, hast du denn keinen Respekt mehr vor der Weisheit und der Schönheit?“

„Sind die irgendwie verwandt mit dir?“, kicherte Sam und riss die Augen vor gespielter Panik auf, als Dean sich mit einem Kriegsschrei auf ihn stürzte und trotz seiner stark schmerzenden Verletzungen mit dem riesenhaften Jungen balgte, als seien sie zwei tapsige Welpen, die sich übermütig auf dem Boden hin- und herrollten. Dean piekste seinem Bruder in die Seite, so dass dieser wie eine alte Legehenne zu gackern begann, sich aber sofort revanchierte, indem er dem Älteren lachend an den kurzen Haaren zog, was der Gemarterte mit einem recht überzogenen Schrei kommentierte.

Von ihrem nicht ernstzunehmenden Handgemenge mehr als abgelenkt bemerkten sie nicht, wie jemand hektisch die Tür zu ihrem Motel-Zimmer aufschloss und eintrat. Prustend vor Lachen verwüsteten sie das komplette Bett, bis mit einem Male die Tagesdecke, welche sich zu Dreiviertel bereits auf dem Boden befand, sie auf dem letzten Viertel mit nach unten beförderte. Ein abgehackter und recht überraschter Aufschrei suchte sich synchron seinen Weg über die Lippen der Brüder, die hart auf ihren vier Buchstaben landeten und mit zusammengekniffenen Lidern unsanft an ihre Blessuren erinnert wurden, sich jedoch amüsiert unter ihren halb geschlossenen Augenlidern musterten.

Noch immer hatte keiner von ihnen Beiden bemerkt, dass sich jemand Drittes in ihrem Zimmer befand und sie mehr als perplex anstarrte. Erst ein bedächtiges Räuspern fegte die Unvorsichtigkeit der zwei Jäger davon und ließ sie auf ihre antrainierten Instinkte zurückgreifen. Dean riss seine Taurus mit einem solch eleganten und flinken Ruck hinter seinem Rücken hervor, dass Wild Bill Hickok vermutlich vor Neid erblasst wäre, hätte er Zeuge dieser Aktion sein dürfen. Sogar der grimmige Gesichtsausdruck des älteren Winchester passte perfekt zu einem berüchtigten Revolverhelden, allerdings ließ sich dieser eher auf seine angeknacksten Rippen und nicht auf eine neuentdeckte Kaltblütigkeit gegenüber seines potenziellen Opfers zurückzuführen.

Sam reagierte nur um den Bruchteil einer Sekunde später als sein Bruder, was ohne Zweifel daran lag, dass seine Sinne erneut Achterbahn durchs Weltall mit ihm spielten. Fahrig wie ein Betrunkener nach einer erfolgreichen Kneipentour griff er mehr zur Seite als nach hinten, vollkommen vergessend, dass seine Waffe gar nicht mehr an ihrem Platz steckte, an dem er sie vermutete. Dean hatte sie, nachdem der Jüngere diese in seinen Schoß geworfen hatte, blitzschnell in seiner Jackentasche verschwinden lassen und sie noch nicht wieder ihrem Besitzer ausgehändigt. Der wiederum bekam einen Zipfel der Tagesdecke zu fassen, auf der sie noch immer halb saßen und zielte damit so selbstsicher auf die junge dunkelhaarige Frau, welche ihr Zimmer betreten hatte, dass diese nicht wusste, ob sie nun in schallendes Gelächter ausbrechen oder lieber vor Schreck das ganze Motel zusammenkreischen sollte.

Voller Entsetzen, nachdem er Lauren als ihren Störenfried erkannt hatte, ließ Sam seine ´Waffe` sofort sinken und schrumpfte, als würde er sich furchtbar schämen, in seiner sitzenden Position am Bett angelehnt in sich zusammen. Auch Dean wandte die Mündung seiner Taurus von der jungen Frau ab und steckte den Colt zurück in sein Versteck, dort allzeit bereit für weitere unangemeldete Besucher. Schweigend suchte er zunächst den Blick seines Bruders, der ihn genauso nervös anblinkerte wie damals in den Situationen, bevor sie eine saftige Standpauke ihres Vaters zu hören bekamen, bis er ihn wieder auf Lauren richtete. Aber bevor der Ältere der Beiden etwas als Erklärung hervorbringen konnte, ergriff das Mädchen selbst die Initiative.

„Ich ... ähm“, druckste sie herum und spielte wieder verlegen mit den Kapuzenbändern ihrer Sweatjacke. „Ich dachte ... euch wäre etwas passiert, deswegen ...“, sie hielt den Zweitschlüssel des Motelzimmers in die Höhe und machte eine erklärende Geste mit den Händen. Als die beiden Männer verwundert die Brauen in die Höhe zogen und sie begriff, schüttelte sie rasch den Kopf.

„Nein, nein, ich bin euch nicht gefolgt“, wischte sie unmissverständlich den Verdacht der Brüder hinfort, diese auf Schritt und Tritt beobachten zu wollen. „Ich habe nur noch mal schnell etwas Salz auf dem Weg rund um das Motel gestreut, nachdem ich, als ihr wegwart, nach dem Wetter gesehen habe. Wenn sich hier nämlich einer auf die Nase legt, müssen meine Eltern für alles aufkommen. Und da hörte ich Schreie, die ich als die euren erkannt habe. Darum bin ich hierher, nur darum.“ Verunsichert sah sie zu Boden.

Dean war es, der sich ihrer erbarmte, denn Sam, welcher sonst stets diese Rolle übernahm, wirkte eher auf ihn wie ein neugeborenes Fohlen, das noch nicht ganz begriffen hatte, wozu Beine eigentlich gut waren.

„Schon gut, wir sind dir ja nicht böse“, sagte er zu ihr und hielt sie noch für einen Moment zurück, da sie es lieber vorzog, schleunigst ihrer peinlichen Lage zu entfliehen, obwohl die Winchesters dazu weitaus mehr Gründe in petto hatten als sie. „Es ist nur so, dass wir es nicht gewohnt sind, unter solch einer Fürsorge zu stehen.“ Keck zwinkerte er ihr zu, so dass zur Antwort ein warmes Lächeln ihre Lippen zierte.

„Deswegen auch die Waffe?“, hakte sie in einem Atemzug nach, was Deans Grinsen von einem Augenblick zum anderen aus dieser Welt fegte. Sam hingegen starrte von seinem Fußbodenplatz die Beiden an, als befände er sich auf dem Zuschauerrang eines Tennisplatzes; seine Iris schob sich in einem eingependelten Rhythmus von seinem Bruder zu Lauren und wieder zurück.

„Diese Lady hier“, Dean klopfte knapp über seinem Gesäß auf die Stelle, an der sich die Taurus vor neugierigen Blicken verbarg, „ist unverzichtbar, wenn man wie wir oft unterwegs ist und das in so einsamen Gegenden wie hier. Man weiß ja nie, wer da an die Tür klopft und sei es noch so ein hübsches unschuldiges Ding, was da gerade vor mir steht.“

Ehrliche Bewunderung glitt aus seinen grünfarbenen Augen auf sie herab und brachte sie für einen Moment aus der sie wie einen schützenden Panzer umhüllenden Fassung, während der junge Mann vor ihrem Angesichte alle Register eines gut ausgebildeten Casanova versuchte zu ziehen. Sein warmer Blick vereinnahmte sie vollständig und sich diesem zu entziehen, gestaltete sich als beinahe unmöglich. Aber auch nur beinahe. Wenn sie etwas gelernt hatte, dann dieser Sorte Mann zu widerstehen, welche sie einst fast an den Abgrund ihres Seins getrieben hatte.

Mit größter Mühe versuchte Dean seinem Gegenüber durch sein Verhalten das Auftauchen der Waffe aus dem Gedächtnis zu streichen, obwohl er sich bei Lauren aufgrund ihres wirklich hübschen Aussehens keine große Mühe dabei geben musste, war es doch die Wahrheit, die er ihr entgegenbracht hatte. Es war zwar nichts unbedingt Ungewöhnliches, einen Colt zu besitzen, aber er befürchtete, dass seine doch etwas zu rasch ausgeführte Reaktion auf ihr unangemeldetes Erscheinen in ihr sicherlich Misstrauen angefacht hatte, um das er sich nun bemühen musste, dies besser äußerst gering zu halten. Er bemerkte, dass Sam ihn besonders aufmerksam beobachtete; normalerweise hätte der Jüngere ihm bereits ein Protest andeutendes Räuspern an den Kopf geworfen und ihn somit seinem maßlosen Flirttaumel entrissen, aber sein Bruder schien zu verstehen, auf was er hinausarbeitete und ließ ihn agieren.

Allerdings hatte sich Dean den Ausgang seines Planes anders erdacht.

Die soeben noch angenehm von seinen Worten überrascht anmutenden Gesichtszüge Laurens wurden plötzlich ausdruckslos und gefühlskalt, als stände vor ihm eine knallharte Geschäftsfrau und nicht das unschuldig naiv wirkende Mädchen, für das er sie hielt. Selbstbewusst baute sie sich vor ihm auf, stützte die schmalen Fäuste in die Hüften und kippte ihr Becken lässig zur Seite. Für einen winzigen Moment betrachtete sie ihn aus dieser Haltung, spürte seine wachsende Verblüffung, die über sie nahezu greifbar hinwegrollte. Dann jedoch löste sich eine Hand von ihrer Hüfte und ihre grazil wirkenden Finger wanderten forsch wie nach Erfolg süchtige Bergsteiger sein Brustbein hinauf, bis ihr Zeigefinger sanft aber bestimmt seine Nasenspitze berührte, was seine eh auf Kuchentellergröße mutierten Augen zum Schielen nötigte.

„Solange ich hier das Sagen in diesem Etablissement habe, will ich keine Waffe mehr in meinem Blickwinkel wissen“, kam es bestimmt aus ihrer Kehle. „Habe ich mich klar genug ausgedrückt?“

„Sicher, natürlich.“ Das kam vom Fußboden, auf dem Sam noch immer wie ein vergessener Farbtopf verweilte. Hastig nickte er, als sie in seine Richtung sah, was ihm jedoch sofort eine dementsprechende schmerzvolle Erinnerung an das gegebene Versprechen einbrachte. Seine Zähne vor Pein in die Unterlippe versenkend presste er seinen Rücken gegen das Bett, vor dem er saß und wartete, den Kopf keuchend zurücklegend, ab, dass der Anfall vorüberging.

Laurens soeben noch harter Blick wurde weich wie frisch gefallener Schnee, als sie den jüngeren Winchester sorgenvoll musterte, der ähnlich eines angeschossenen Tieres hilflos auf dem Boden kauerte. Dennoch musste sie zunächst ihren Standpunkt festigen, bevor sie sich ihm zuwenden konnte, denn der Ältere der Beiden hatte sich zu ihrer ausdrücklichen Festlegung einer bestimmten Regel, die in dieser Einrichtung herrschte, noch nicht geäußert.

„Nun?“, fragte sie und sah ihn fordernd an, konnte allerdings das leichte Zittern in ihrer Stimme nicht verbergen. Es kam nicht gerade häufig vor, dass sie diesen Teil ihrer Persönlichkeit zu Tage förderte. Die meisten Leute in ihrer Umgebung kannten sie als nettes, hilfsbereites und eher schüchternes Mädchen; dass sie noch andere Eigenschaften in sich verbarg, die so manchem vor Verwunderung das blanke Staunen ins Antlitz gebrannt hätte, ahnten und wussten nur die wenigsten. So ähnlich erging es nun auch Dean.

„Ja ... von mir aus“, knurrte er sie an, von sich selbst enttäuscht, dass sein Plan nicht aufgegangen war. Ruckartig wandte er sich von ihr ab und huschte an die Seite seines Bruders, der, von den Folgen des Anfalls benommen, versuchte, sich auf das Bett zu stemmen.

„Okay ...“, wisperte ihm Lauren nach, während er dem Jüngeren unter die Achseln griff und ihn in die Höhe zog.

„Es geht schon wieder“, quetschte Sam hervor, hielt sich jedoch dankbar an Deans Arm fest, der den Hünen vorsichtig auf sein Lager bugsierte. Der kritische Blick des kleineren Winchesters sagte mehr als tausend Worte, als er sein Geschwisterteil ausgiebig musterte.

„Soll ich ... noch mal nach ihm sehen?“, mischte sich die Stimme der jungen Frau mit einem Male dazwischen. Verschwunden war ihre Selbstsicherheit, fort ihre knallharte Überlegenheit, mit der sie sogar einem Dean Winchester getrotzt hatte. Nun war sie wieder die sanfte und zurückhaltende Lauren, welche jeder kannte und sie wusste nicht, welche Seite sie an sich mehr hasste.

„Nein“, antwortete Dean vielleicht etwas zu schroff, denn die junge Frau zuckte sichtbar zusammen und er verstand langsam, wenn es ihn auch sehr wunderte. In dem armen Ding lebten zwei unglückliche Seelen, die hin und wieder um die Vorherrschaft kämpften und keine davon konnte sich dafür entscheiden, welche das Mädchen vollkommen ausfüllen sollte. Seiner Meinung nach musste sie versuchen, einen Mittelweg für sich zu finden, mit dem sie sich selbst gerecht wurde. So streute sie mit ihrem Verhalten nur Verwirrung zwischen die Menschen und tat sich dabei nichts Gutes. „Wir kommen schon klar“, gab er ihr, nun weitaus freundlicher dabei klingend, zu verstehen. Sam, der von seinem Bruder fürsorglich gegen ein großes Kissen, welches sich am Kopfende des Bettes befand, gedrückt worden war, knuffte dem Älteren leicht in die Seite. „Und keine Waffen“, wiederholte Dean noch einmal nachdrücklich und salutierte frech.

Ein befreiendes Grinsen stahl sich auf die kirschroten Lippen Laurens, bevor sie sich umwandte und das Zimmer lautlos verließ, zuvor noch ein geflüstertes „Danke“ durch den Raum schickend.

„Dafür verlangen wir aber auch höchste Verschwiegenheit, was die andere Sache anbelangt!“, rief ihr Dean noch hinterher, erntete aber nur ein vergnügtes Kichern, was ihn brummend die Augen verdrehen ließ.

Nachdem die Tür leise klackend ins Schloss gefallen war, sahen sich die Brüder für einen Augenblick schweigend an.

„Auch für dich existieren Grenzen, Dean, wie man an diesem Beispiel sehr gut sehen konnte“, scherzte Sam trotz seiner wieder Überhand nehmenden Kopfschmerzen amüsiert und wartete auf den spektakulären Ausbruch direkt neben ihm, der wiederum zu seinem Erstaunen ausblieb.

„Tja, scheinbar habe ich meinen Meister gefunden“, bemerkte sein Gegenüber nur bewundernd und zog die Augenbrauen leicht nach oben, als würde er die unausgesprochene Herausforderung Laurens annehmen. „Aber dafür lohnt es sich zu kämpfen.“

„Du bist echt unmöglich, Alter“, stöhnte Sam genervt auf und presste sich müde in das Kissen in seinem Nacken, welches ihn stumm in seinen großen weißen Schwingen barg. „Wann wirst du begreifen, dass sie nicht auf dich anspringt?“, nuschelte er zwischen den weichen Daunen hervor.

„Es gibt keine, die nicht scharf auf mich ist“, behauptete Dean großspurig und verzog seine Lippen zu einem Grinsen, nachdem sein Bruder entrüstet nach Luft schnappte und mit den Augen rollte.

„Du gibst wohl nie auf, oder?“

„Niemals, das steht mir einfach nicht.“

„Au Mann“, blubberte der Jüngere aus seinem Kissen hervor wie ein Ertrinkender zwischen haushohen Wellen. Träge räkelte er sich auf dem viel zu gemütlichen Bett, während er seinem Bruder dabei zusah, wie sich dieser auf verhältnismäßig umständliche Art und Weise seiner Boots entledigte. Knurrend wie ein alter Bär, der nicht mehr fit und gelenkig genug war, um ein Bienennest hoch im Baum zu erreichen, versuchte Dean seine Schuhe loszuwerden, indem er vor Bequemlichkeit, aber auch aufgrund seiner eingeschränkten Beweglichkeit, den Vorderfuß gegen den Hacken presste, ohne die Schnürsenkel jedoch dabei vorher gelöst zu haben. Leise kicherte Sam in sich hinein, nachdem einer der Schuhe plötzlich durch den ungewohnten Druck, den man auf ihn ausgeübt hatte, im hohen Bogen quer durch den Raum flog und eine kleine Stehlampe dabei umkegelte.

„Verdammter Mist!“, knurrte Dean ärgerlich, während er sich bei dem nächsten Kandidaten redlich bemühte, dass es dieser seinem besohlten Kollegen nicht gleichtat.

Sam hätte zu gerne einen bissigen Kommentar dazu abgegeben, aber er war mittlerweile so müde und angeschlagen durch den Unfall, dass sich seine Augenlider bereits selbstständig machten. Dennoch war da irgendetwas in seinem Unterbewusstsein, das ihm keine Ruhe und vor allem noch keinen Schlaf gönnte. Warum nur fiel es ihm einfach nicht ein? Es war, als hätte es jemand aus seinem Hirn hinfort geblasen wie ein Blatt, das der Wind von seinen Brüdern getrennt hatte.

„Was ist los, Sammy?“, wühlte sich mit einem Male die Stimme seines Bruders durch die bleierne Müdigkeit und der Angesprochene riss unvorbereitet die Lider wieder in die Höhe. „Willst du dich gar nicht zusammen mit mir an meinem unvergleichlichen Einfallsreichtum weiden?“

„Hä?“, war alles, was Sam daraufhin einfiel, seinen Bruder unverständlich musternd, der ihn ebenso mit krausgezogener Stirn betrachtete.

„Du warst doch eben noch, bevor uns das süße Mäuschen besuchte, so scharf darauf zu wissen, was ich Marty alles an netten Teddybären aufgebunden habe“, entgegnete Dean und wartete auf die hoffentlich eintretende Erleuchtung bei seinem Bruder.

Dem fiel es buchstäblich wie Schuppen von den Augen, fragte sich aber gleichzeitig erstaunt, wie er das vergessen konnte. „Natürlich will ich alles darüber wissen, schließlich hängt dein Weiterbestehen davon ab. Aber bitte die Kurzform, der Sandmann streut gerade ganze Strände über mein Hirn.“

Nach einem kurzen aufmuckenden „Pah“, was Sams Bemerkung über das vermutliche Ableben seines Geschwisterteiles betraf, sofern die Geschichte, welche er Marty aufgetischt hatte, ihr Verderben bedeuten könnte, begann Dean zu berichten.

„Ich sagte ihm, dass wir zu einer Sondereinheit gehören, die undercover arbeitet und deswegen nicht so geleckt in Erscheinung treten wie die Herren in ihren geschniegelten Anzügen.“

„Und das hat er dir abgenommen?“

Dean sog hörbar die Luft ein, bevor er antwortete. „Nein, nicht sofort. Der Mann ist vielleicht einiges, aber nicht auf den Kopf gefallen, was es mir nicht einfach machte, ihn davon zu überzeugen. Erst, als ich erwähnte, dass man uns in diese Gegend abkommandiert hatte, um etwas ganz Bestimmtem nachzugehen, änderte sich plötzlich sein gesamtes Verhalten. Er wirkte mit einem Male verunsichert, ja, sogar beinahe verängstigt auf mich.“ In diese Gedanken verstrickt wie im klebrigen Netz einer Spinne kratzte sich der ältere Winchester grübelnd am Kinn, so dass die kleinen Bartstoppeln einen protestierenden Reigen aufführten. „Ich weiß nicht, wie es dir geht, Sam, aber mit diesem Typen stimmt irgendetwas nicht. Während du in seinem Truck schliefst, machte er eigenartige Andeutungen, die ich nicht verstanden habe, vor allem über dieses Kaff hier.“

„Dean“, seufzte Sam und ärgerte sich im selben Moment darüber, dass er auf die Aussage seines Bruders überhaupt einging, wollte er doch nur eines – Schlaf. „Könntest du mal damit aufhören, hinter jedem für dich verdächtig angehauchten Wort oder Verhalten einen Fall zu wittern? Das ist ja schon krankhaft.“

„Und ich sage dir, da ist was faul“, entgegnete sein Gegenüber vollkommen überzeugt von seinem Verdacht, die Anmerkung Sams auf seinen geistigen Zustand vollständig ignorierend und sah den Jüngeren bestimmt an, der sich murrend einen Teil seines Kissens über das Gesicht zog.

„Und ich glaube, du wirst langsam paranoid“, presste Sam durch die weichen Daunen hindurch und fing sich daraufhin sofort einen Tritt gegen seinen noch beschuhten Fuß ein, was Dean angesichts der harten Sohlen seines Bruders leise aufjaulen ließ.

„Selbst schuld“, bemerkte der Hüne lakonisch, als der nun Fußlahme ihn wütend anblitzte. „Mich interessiert eher, was du ihm zum Inhalt des Kofferraumes gesagt hast. Du hast ihm doch hoffentlich etwas dazu verklickert, oder?“ Das beklemmende Bild eines von Spezialeinheiten umstellten Motels schwirrte Sam erneut im Kopf umher und er schauderte ungewollt.

„Natürlich“, knurrte Dean nahezu beleidigt, dass der Dunkelhaarige es tatsächlich anzweifelte, diese Sache auf clevere Art und Weise abgewickelt zu haben. „Ich habe ihn glauben lassen, dass im Kofferraum streng geheime Akten und auch unsere Ausrüstung lagern. Sollte er auch nur daran denken, diesen zu öffnen, wird sein Leben nie wieder wie zuvor sein.“

„Wow. Und das hat tatsächlich funktioniert?“ Sam konnte kaum glauben, wie sich jemand von so einer haarsträubenden Lüge hatte einwickeln lassen. Andererseits besaß sein Bruder jedoch ein unglaubliches Talent, unglaubwürdige Geschichten so zu verpacken, dass jeder sie ihm abkaufte. Sicher war so auch Marty auf ihn hereingefallen.

„Zu meinem Erstaunen ja“, antwortete der Ältere und lächelte stolz, was seine Kreativität betraf. Vergessen waren Sammys indirekte Andeutungen, mal einen Nervenklempner aufzusuchen. „Er sagte, wir sollen uns im Laufe des Tages unseren Kram abholen, damit er mit der Reparatur beginnen kann. So wären wir zumindest aus dem Schneider.“

„Zum Glück. Dann kann ich ja jetzt endlich schlafen“, flutschte es erleichtert über Sams Lippen und ein seliger Ausdruck legte sich auf sein erschöpftes Antlitz.

„Ist das etwa alles, was du dazu zu sagen hast?“ In Deans Stimme schwamm ein warnender Unterton, der den Jüngeren hätte aufhorchen lassen sollen, aber dieser war mittlerweile so müde, dass er selbst dies nicht mehr wahrnahm.

„Wie meinst du das?“, fragte er daher unbedarft wie ein kleiner Junge, der die Situation vollkommen verkannte.

„Zum Glück? Dann kann ich ja jetzt endlich schlafen?“, ahmte der kleinere Winchester sein Geschwisterteil nach, welches ihn verdutzt musterte. „Wie wäre es mit ´Klasse gemacht, Dean, du hast uns den Arsch gerettet´.“

Sam lachte kurz auf, nachdem er begriff. „Den Arsch gerettet, Dean? Den Arsch gerettet? Wer hat uns denn erst in diesen Schlamassel hineingeritten? Wer hat denn gemeint, sein Baby müsste mal ein anderes Vehikel knutschen, bevor es dann doch lieber mit Bäumen vorlieb nahm?“

Deans Mund klappte auf und wieder zu, sein Zeigefinger hob sich in die Luft, als wollte er dem Jüngeren eine gehörige Lektion erteilen, doch dann senkte sich seine Hand zurück auf sein Knie und er sprang unerwartet hektisch von dem Bett in die Höhe, auf das er sich niedergelassen hatte.

„Ich bin dann mal im Bad“, murmelte er nur wie abwesend und schloss die Tür mit einem leisen Klicken hinter sich, einen höchst verwirrten jüngeren Bruder zurücklassend, der ihn sprachlos aus seinem Kissen hinterher starrte.
 

Hände legten sich beidseitig auf die kühle Keramik des Waschbeckens, während ihm sein Spiegelbild ausgelaugt und ungepflegt entgegensah. Dunkle Schatten zierten die Partie unterhalb der Augen, als wäre er in Verkleidung eines Vampirs, der tagelang keinen Tropfen Blut mehr zu schmecken bekommen hatte, an Halloween unterwegs. Sein Drei-Tage-Bart hätte sicherlich auf die holde Damenwelt anziehend gewirkt, wären da nicht die unverkennbaren Spuren der Erschöpfung und die Zeichen des Schmerzes gewesen, die tiefe Furchen in sein Antlitz gruben und somit alles zunichte machten. Mürrisch blickte er sein eigenes Gegenüber an, welches ihm mit vor Zorn sprühenden grünfarbenen Augen antwortete.

„Ja, Dean, er hat recht.“ Finger umklammerten ihr Ziel so fest, dass die Haut an seinen Knöcheln weiß hervortrat. „Du hast ihn beinahe umgebracht, deinen eigenen Bruder.“ Pein schoss durch jede Faser seines Körpers, brachte seine um den Rand des Waschbeckens verkrampften Gliedmaßen fast zum Bersten, aber er hatte es nicht anders verdient. Die Qual, welche ihn annähernd bei lebendigem Leibe verschlang, erinnerte ihn mit jeder Schmerzwelle, die durch seinen Körper jagte, an das Vergehen gegen sein eigen Fleisch und Blut.

„Was hätte Dad nur dazu gesagt? Was hätte er gesagt, wenn sein Lieblingssohn nun nicht mehr hier wäre?“

„Hör auf damit!“, knurrte Dean sein Spiegelbild ermahnend an und kam sich im selben Moment wie ein kompletter Vollidiot vor. Was tat er hier? Zwiegespräche mit seinem Unterbewusstsein führen, welches sich an seinen unterschwelligen Gefühlen weidete und längst vergessene Empfindungen aufwallen ließ? Ja, er hatte eine zeitlang so etwas wie Eifersucht auf seinen kleinen Bruder verspürt, immer dieses >Dean, pass auf Sammy auf<, >Dean, lass deinen Bruder nicht aus den Augen<, welchen pubertierenden Jungen nervte das nicht?

Aber Sammy war außer seinem Dad alles, was er noch hatte. Und Sammy liebte ihn, wie ein kleiner Bruder den größeren nun mal liebte.

Das durfte nicht noch einmal geschehen, nie wieder.
 

Unentschlossen durchbohrte der zu groß geratene junge Mann mit seinen Blicken regelrecht die soeben zugefallene Badezimmertür, durch die sein älteres Geschwisterteil wie von der Tarantel gestochen verschwunden war. Hatte er etwas Falsches gesagt? War Dean nun gar sauer auf ihn und verkroch sich schmollend auf der Klobrille?

Nein. Ein amüsiertes Lächeln spiegelte sich auf Sams Lippen wieder. Das passte nicht zu seinem Bruder, absolut nicht. Und generell nahm er dann die andere Tür, welche in die Welt hinausführte und nicht in die Keramikabteilung.

Trotzdem brachte ihn Deans sonderbares Verhalten regelrecht zum Grübeln. Es konnte doch unmöglich sein, dass er bei dem Älteren irgendeinen wunden Punkt getroffen hatte und dieser nun, um seine Wunden zu lecken, dem Ganzen einfach entflohen war.

Dass er selbst dieser wunde Punkt war, kam ihm keinen Augenblick überhaupt nur in den Sinn.
 

Eiskalt perlte das Wasser, welches leise wispernd wie der Wind dem Wasserhahn entfloh, von Deans Gesicht, nachdem er das erfrischende Nass über seine Haut hatte gleiten lassen. Es weckte sogar ein wenig seine müden Lebensgeister, obwohl er genau das als letztes in dieser ereignisreichen Nacht bezweckte, wollte er sich doch gleich aufs Ohr hauen und am liebsten drei Wochen durchschlafen. Umständlich griff er nach dem Handtuch direkt neben dem Waschbecken und rubbelte sich trocken, bevor er, dabei seinen verspannten Nacken massierend, seinen kleinen Zufluchtsort wieder verließ.

„Hey, Sammy, das Bad ist fr …”, krakelte er quer durchs Zimmer, möglichst darauf bedacht, besonders unauffällig zu klingen, stockte aber jäh mittendrin, als er seinen jüngeren Bruder plötzlich reglos auf dem Bett entdeckte.

„Sammy! Was zum ...?“, entfuhr es Dean aufgeschreckt aufgrund dieses Anblickes, während er spürte, wie seine Beine vor Angst weich wurden. Tausend Dinge schossen ihm durch den Kopf, als er zunächst stockend einen Fuß vor den anderen setzte, bis er die letzten Schritte förmlich zu dem scheinbar Bewusstlosen rannte. Dort angekommen ließ er sich schwer neben dem Bett auf die Knie sinken, die Wangen des Größeren vorsichtig mit den Händen berührend. Er war kurz davor, ihn aus der gefährlichen Dunkelheit, in welcher der Hüne sich wohl rettungslos verloren hatte, zu reißen, als sich ein leises Schnarchgeräusch in seine Gehörgänge wühlte. Entgeistert musterte Dean sein jüngeres Familienmitglied, das sich plötzlich wohlig wie ein schnurrender Kater unter seinen Händen wand, die noch immer auf dem Antlitz Sams ruhten. Ruckartig zog der Ältere seine Gliedmaßen von dannen und schickte ein ärgerliches Grunzen in Richtung seines Bruders, der nur einen schmatzenden Laut dafür übrig hatte.

„Eins schwör ich dir, Sam“, versprach der ältere Winchester vor Unmut knurrend, gleichzeitig aber auch über alle Maßen erleichtert, „wenn du noch mal so was durchziehst, dann schlag ich dich so grün und blau, dass selbst Dad dich nicht mehr wiedererkennt.“

Sich neben seinen Bruder auf das eigene Bett setzend betrachtete er ihn einen Moment. „Obwohl … ich glaube, da muss ich mir gar keine so große Mühe mehr geben“, kam er dann letztendlich zu der Schlussfolgerung, was das Gesicht des Schlafenden betraf und grinste breit.

Nachdem er sich seiner Jeans und seines Hemdes entledigt hatte, streckte Dean sich völlig fertig und die vergangenen Stunden in Windeseile Revue passierend genüsslich auf seinem Ruhelager aus, seinem jüngeren Anhängsel noch gähnend ein „Gute Nacht, Sammy“ zuwerfend. Doch bevor seine nach dem Schalter der Nachttischlampe tastenden Finger die wohlverdiente Ruhe endgültig einläuten konnten, fiel ihm plötzlich ein, dass Sam noch in voller Montur auf seinem Bett lag, inklusive Schuhe.

„Oh Mann“, stöhnte der seines ihm gebührenden Müßigganges Beraubte und bequemte sich murrend wie ein Schulkind, das man viel zu früh geweckt hatte, aus seiner Decke, die er bereits wärmend um sich geschlungen hatte. Miesepetrig dreinschauend musterte er das lange Elend von Mensch, das gänzlich ahnungslos vor ihm ausgestreckt lag, bis er sich leise schimpfend und bei sonst was beschwerend an die Arbeit machte, Sam von seinen übergroßen Tretern zu befreien.

„Uaaah“, keuchte er dabei angewidert und rümpfte die Nase. „Wann hast du dir zum letzten Mal die Füße gewaschen, Bruderherz?“ So weit wie nur irgendwie möglich entfernte er die ausgelatschten Turnschuhe des Jüngeren, damit sie ihm in seinem Schlaf keine übelriechenden Träume von überdimensionalen Kompostwerken bescherten. Anschließend machte er sich noch an der vor Blut starrenden Jacke Sams zu schaffen, indem er den Dunkelhaarigen behutsam in eine sitzende Position zog und das Kleidungsstück vorsichtig von seinem Körper trennte. Die vor Kälte klamme Sweatjacke, welche darunter zum Vorschein kam, sah nicht besser aus als ihr Vorgänger, so dass Dean sich dazu entschied, auch diese zu entfernen. Sein Bruder lag dabei schwer in seinen Armen und zuckte ab und zu im Schlaf zusammen, unverständliches Zeug dabei murmelnd. Solange jedoch die Worte „Feuer“ und „Jessica“ nicht darunter waren, beunruhigte es den kleineren Winchester nicht weiter. Sam benötigte dringend eine Nacht ohne das Durchleben seiner Erinnerungen an das Geschehnis, was ihn eigentlich erst wieder auf den Weg des Jägers gestoßen hatte.

Das zum Vorschein gekommene Shirt kritisch begutachtend legte Dean seinen jüngeren Bruder wieder zurück in das weiche Kissen; das Blut hatte sich glücklicherweise nicht noch weiter in die tieferen Schichten von Sams Kleidung vorgewagt. Etwas umständlich kramte der Ältere die Zudecke unter Sam hervor, der sich vermutlich in seinem nun ein wenig unruhig anmutenden Schlaf fühlen musste wie ein Surfer auf der besten Welle seines Lebens.

„Eigentlich habe ich gedacht, nachdem du als Dreijähriger sagtest, du könntest dich alleine an- und ausziehen, dass ich all das nie wieder tun muss, aber ich hab mich wohl geirrt. Tja, wir werden halt nicht jünger, hab ich recht?“ Leise lachend deckte er den Hünen, welcher mit einem Male eine Grimasse zog, als hätte er jedes Wort verstanden, zu.

„So und nun, schlaf gut, Sammy.“ Mit einem liebevollen Ausdruck in den Augen zog er die Decke noch ein klein wenig höher, bevor er die schmutzigen Sachen seines Bruders aufhob und in die Dusche warf, um sie in kaltes Wasser einzuweichen, sofern dies noch etwas bringen mochte. Erst dann legte er sich selbst zur Ruhe, den wieder zunehmenden reißenden Schmerz, welcher von seinen Rippen verursacht wurde, krampfhaft ignorierend und sich zu einer Kugel zusammenrollend, was ihm ein wenig von der Pein nahm. Erst dann ließ er die Woge ungeduldig brodelnder Dunkelheit von ihrem fesselnden Strick und übergab sich ihr kampflos.
 

Ziellos und nicht wissend, wo er sich befand, lief er eine leicht gewundene Treppe hinauf. Obwohl ihm dieser Ort fremd und unwirklich erschien, strahlte er etwas Bekanntes aus, das ihn unangenehm frösteln ließ. Dennoch strebte nichts in seinem Inneren danach, herauszufinden, wo er war und aus welchem Grund. Er wollte nur fort von hier. Dieser Ort machte ihm Angst. Es war nicht richtig, hier zu sein.

Und doch zog ihn etwas hierher, ein lautloser Ruf, der seine Füße zum Weitergehen drängte, seinen Geist aber in Alarmbereitschaft versetzte.

Ehe er es sich versah, stand er vor einer Tür, einer simplen Holztür, die, wie es den Anschein hatte, zu einer Wohnung führte. Wie von selbst legte sich seine Hand auf den Griff, um sich Einlass zu gewähren, während alles in ihm danach schrie, dem kalten Metall, was seine Haut in Eis verwandelte, den Rücken zu kehren. Verbissen wehrte er sich gegen sein Tun, doch es war, als hielte ihn etwas mit aller Macht hier fest.

Dann, ohne Vorwarnung und ohne einen Laut öffnete sich die Tür und schwang nach innen auf, ihn wie einen Fisch an der Angel mit hinein reißend. Von dem unerwarteten Schwung überrascht stieß er hart gegen ein Bett, was mitten in dem Raum, in den er geschleudert worden war, stand und setzte sich prompt auf seinen Allerwertesten. Es dauerte einen Moment, bis sich seine Sicht wieder klärte und er nun begriff, wo er sich befand.

Es war ihr altes Appartement, seines und Jessicas. Es sah noch genauso aus wie vor dem verheerenden Brand, als sei nie etwas geschehen. Unangetastet von allem Bösen. Sogar die Kekse, die seine Freundin ihm zu seiner Rückkehr gebacken hatte, standen auf dem kleinen Tisch nahe der geöffneten Tür, der kleine Zettel mit ihrer Botschaft der Zuneigung zu ihm sichtbar herausragend.

Automatisch wanderte sein Blick zur Decke über dem Bett, auf das Schlimmste gefasst und vorbereitet, kurz davor, die Augen vor Bestürzung wieder abzuwenden, aber dort war nichts außer simplen Holzlamellen, die ihm unversehrt entgegen starrten. Verwirrt kam er wieder zurück auf die Beine und sah sich erneut um. Alles war so, wie er es kannte, wie er es verlassen hatte, alles, außer einer Sache.

Das Leben hatte diesem Ort den Rücken gekehrt.

Alles hatte seine persönliche Note, seinen eigenen Geruch, seine bestimmte Atmosphäre. Immer, wenn er hierher gekommen war, hatte es nach Zuhause gerochen, nach Jessicas Parfum, dem frisch bezogenen Bett, ihrem herrlichen Essen, mit dem sie ihn ständig verwöhnte oder nach neuen Blumen, die sie oft und gerne anschleppte. Eine angenehme Wärme war ihm stets entgegen geschwappt, sobald er ihre gemeinsame Wohnung betreten hatte, so dass er sich sofort wohl gefühlt hatte.

Hier war nichts.

Nicht einmal die Geräusche der Nacht drangen hinein, als existierten sie einfach nicht.

Alles, was er spürte, war eine unsagbare Leere, die ihn von Innen drohte, zu zerfressen.

Ohne lange zu zögern, eilte er zur Tür, um all dem zu entfliehen, aber diese schien sich immer weiter von ihm zu entfernen. Umso schneller er rannte, desto weiter rückte sie fort, bis sie nur noch ein winziger Punkt in der sich ausbreitenden Unendlichkeit war.

Und dann - nach für ihn unendlich langsam verstreichenden Minuten - fiel sie mit einem ohrenbetäubenden Krachen in die Angeln und raste an ihn heran wie ein außer Kontrolle geratener Schnellzug. Schmerzhaft prallte sie gegen seinen Körper, der nicht mehr rechtzeitig zur Seite hatte springen können und beförderte ihn unsanft auf den Boden.

Stöhnend rappelte er sich auf die Beine zurück und riss, die wachsende Panik im Genick, voller Verzweiflung am Türgriff, doch nichts regte sich, egal, wie heftig er daran rüttelte. Nach einer Weile platzte die Haut an seinen Fingergelenken durch die starke Reibung auf und Blut wand sich wie eine jagende Schlange an seinen Händen hinunter.

Plötzlich schien sich die Welt um ihn herum zu verzerren, bizarre Schatten tanzten mit einem Male an der Wand und auf dem Holz der Tür einen unwirklichen Reigen, während das soeben noch vorherrschende Halbdunkel nun in einen grelles Gelborange getaucht war.

Zögerlich und mit bis zum Halse schlagendem Herzen wandte er sich um, die blaugrünen Augen leicht zur Decke gerichtet, bereit, das Unabwendbare wieder und wieder zu erblicken, wie schon so oft. Es verfolgte ihn jede Nacht seit ihrem grausamen Tod, den er hatte miterleben müssen und egal, was er schon dagegen versucht hatte zu unternehmen, nichts half.

Doch erneut zeigte sich ihm kein lebloser und vor Angst erstarrter Körper an der Zimmerdecke, denn es war nichts dergleichen mehr vorhanden, an der er hätte hängen können. Nur eine undurchsichtige Wolke voll beißendem Rauch, der wabernd in flammenden Orangetönen über ihm schwebte, präsentierte sich seinen vor Unglauben geweiteten Augen. Hastig drehte er sich nochmals zur Tür um, in der stummen und bangen Hoffnung, sie würde sich nun endlich für ihn öffnen, damit er dem, was auch immer kommen mochte, aus dem Weg gehen konnte, aber die einzige Fluchtmöglichkeit verschwand ohne Vorwarnung vor ihm wie die Flamme einer ausgeblasenen Kerze.

Und das Bild, welches sich anstatt dessen zeigte, mochte er ebenso nicht in sich aufnehmen, wie das, was sich ihm unvermindert und mit aller Härte in den Rücken bohrte.

Er befand sich nicht mehr in ihrem gemeinsamen Appartement, sondern inmitten eines Meeres der Zerstörung. Verkrüppelte Bäume reckten ihre toten Äste in seine Nähe, es gab keinen Punkt an ihnen, der nicht voller Hilflosigkeit den lodernden und an ihnen kostenden Flammen ausgeliefert war. In sich zusammenfallende Büsche lieferten sich kampflos der sengenden Hitze aus, die über sie hinwegfegte wie ein erbarmungsloser Heuschreckenschwarm.

Es gab nichts auf dieser weiten Ebene, was nicht in Flammen stand, selbst der Boden, auf dem er verweilte, schien sich in flüssiges Feuer verwandelt zu haben und unter seinen Fußsohlen zu pulsieren. Er spürte, wie die Hitze in seine Füße kroch und seine Beine hinaufstieg, bereit, sich in seinem ganzen Körper zu verteilen und dasselbe mit ihm zu machen, was den einst lebendig und grün gewesenen Pflanzen und vermutlich auch anderen Lebewesen hier geschehen war. Aber egal, wie sehr er dagegen ankämpfte, er konnte sich keinen Zentimeter bewegen, weder vor, noch zurück.

Und dann - hörte er etwas, etwas, das sich von allem anderen abhob. Zwischen all dem Knistern, Knacken und Prasseln wehte die Feuersbrunst eine Stimme zu ihm herüber, eine Stimme, lieblich und sanft wie die Berührung durch eine Frau.

„Sam ...“, wisperte sie leise wie der Wind, der des nachts flüsternd durch die Äste strich.

Er erstarrte von einer Sekunde zur nächsten, sein Herz vergaß für einen langen und quälenden Moment seiner üblichen Arbeit nachzugehen.

„Jess ...“, antwortete er der Stimme heiser und plötzlich wurde ihm, trotz der erbarmungslosen Hitze, eiskalt.

Between the shadows

7. Kapitel: Between the shadows
 

Ein vager Schatten zeichnete sich hinter dem lodernden Vorhang der Zerstörung ab, zerfiel in wirbelnde Fetzen, die wie ein Schwarm fliehender Vögel auseinander stoben, bis sie sich wieder zu einem Ganzen zusammensetzten.

Er wagte es nicht, sich zu rühren, es war, als würde sich sein Körper nicht mehr an seine Existenz erinnern, nachdem sie zwischen dem Feuer hervortrat, ihre langen lohfarbenen Haare ein einziges auf- und abwallendes Inferno. Ihre einst so sanften meerblauen Augen glühten blutrot wie Rubine und doch betrachteten sie ihn nicht mit Hass oder Verachtung, sondern mit einer schier unsagbaren Liebe. Haut löste sich von ihrem Leib und sank als Asche hinab, um lautlos in der Luft zu zerfallen, bevor sie den Boden auch nur berührte. Das frische hellrote Fleisch pulsierte dabei unter der abblätternden Haut wie ein hektisch schlagendes Herz, feine Verästelungen, in denen das Feuer wie flüssige Lava wütete, zogen sich über ihr ganzes Dasein.

Unfähig, seinen Blick von ihr abzuwenden, stand er da, um Fassung ringend bis ins tiefste Mark erschüttert.

„Sam ...“, durchbrach ihre Stimme wieder und wieder seine Sinne, die sich vor Sehnsucht nach ihr verzehrten, aber auch gleichzeitig Abneigung und Furcht dagegen entwickelten. Es klang, als würde trockener Sand aus ihrer Kehle fließen, während sich ihre Lippen bewegten.

„Sam ... wo bist du nur gewesen?“ Kummer und eine Spur von Enttäuschung schwangen in ihrer Frage mit, was sich schwer wie das dunkle Tuch der Nacht auf sein Herz legte.

„Jess ... es tut mir so leid“, brachte er nur wispernd zustande, ihr Anblick war mehr, als er in der Lage war, zu ertragen. Für den Bruchteil einer Sekunde spiegelte sich nach seinen ernst gemeinten Worten Hass auf ihrem Gesicht wider, brach dann jedoch wie hauchdünnes Glas und ließ nur Verzweiflung und Angst zurück.

„Wo warst du Sam, als man mir DAS angetan hat?“

Den Tränen nahe, die sicherlich auf ihrer lodernden Haut in zischendem Dampf verklungen wären, zeigte sie auf die klaffende Wunde, welche unausweichlich ihren Unterleib vereinnahmte. Blut lief, durch die vorherrschende Hitze träge und zäh, ihre nackten Beine hinab, die nur zur oberen Hälfte von einem Nachthemd bedeckt wurden.

Stumm starrte er auf ihre Verletzung, die allerdings nicht wohlweislich zu ihrem viel zu frühen Tode geführt hatte und kämpfte darum, den Verstand nicht zu verlieren. Wie oft hatte er sie gesehen in seinen Träumen, über ihm an der Decke gefangen, das Antlitz vor Entsetzen verzerrt, die Augen vor Furcht weit aufgerissen, tief im Herzen die Hoffnung nicht verlierend, dass er sie retten möge und doch wissend, dass alles verloren war?

Und nun sah er sie wieder, aber dieses Mal sprach sie mit ihm, klagte ihn an und er musste miterleben, wie ihr Körper immer mehr zerfiel.

Ein Zittern lief durch seinen Leib, als er versuchte, die aufkommenden selbstquälerischen Schluchzer zu verbergen und er wandte seinen Blick von ihr ab, was sie verständlicherweise als eine abwehrende Geste verdeutlichte. Ihre empfindsam anmutenden Züge verhärteten sich wie gefrorener Schnee, bevor sie ihre Meinung über sein Verhalten kundtat.

„Dein Bruder war dir wohl wichtiger als mein Leben.“

Ihre Worte waren schlimmer als der Schmerz eines Dolches, den man in sein Herz rammte und wieder hinauszog, denn obwohl er wusste, dass dies ein Traum und somit nicht seine ums Leben gekommene Freundin war, welche vor ihm stand, hatte er sich die ganze Zeit nach ihrem Tod gefragt, ob sie vielleicht genau das von ihm gedacht haben könnte, während sie langsam und qualvoll gestorben war. Dennoch bemühte er sich vor ihr darum, sie vom Gegenteil zu überzeugen.

„Nein, Jess! Nein! Aber …“, keuchte es daher entsetzt aus seiner staubtrockenen Kehle, die mühselig in der menschenfeindlichen Luft nach Sauerstoff rang, selbst hier in der Unwirklichkeit seines eigenen Bewusstseins noch darauf bedacht, niemand Außenstehenden an der Wahrheit über sein Leben teilhaben zu lassen, was ihrem Verdacht noch mehr Nahrung verlieh.

„Aber? Warum hast du mir verschwiegen, was du tust? Was du bist?“

„Was ich bin?“, wiederholte er voller Verwirrung, dabei gedankenlos zur Seite schiebend, dass sie sich in dieser surrealen Welt wohl aber durchaus bewusst war, zu was ihn sein Dad seit seiner Kindheit gedrängt hatte. „Was soll das heißen?

Ein beinahe triumphierendes Lächeln, das seine durcheinander gewirbelten Empfindungen noch stärker miteinander verflocht, huschte über ihr mehr und mehr entstelltes Antlitz. Langsam schritt sie näher, obwohl es eher so schien, als trügen sie die leise knisternden Flammen zu ihm, welche ihre Füße bis zu den schmalen Gelenken umhüllten. Er spürte, wie die erbarmungslose Hitze, die mit ihrem Näherkommen noch an Intensität zuzunehmen schien, jede Pore seines Köpers durchdrang und sein Blut zum Kochen brachte.

Bei ihm angekommen, strich sie ihm liebevoll über die glühende Wange, was ihn wie nach einem gezielt geführten Peitschenhieb zusammenzucken ließ. Hilflos wand er sich unter ihrer Berührung und versuchte, vor ihr zu fliehen, doch seine Glieder gehorchten nicht dem stummen Befehl, den sein Hirn panisch aussandte. So blieb ihm nichts anderes übrig, als ihr durch den voranschreitenden Verfall geprägtes Gesicht anzustarren, was ihn verzückt anlächelte. Angewidert schloss er die Augen.

„Das weißt du nicht?“, führte sie verführerisch säuselnd ihre begonnene Unterhaltung fort und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. Es fühlte sich für ihn an wie ein Brenneisen, das man zischend in seiner Haut vergrub. Mühevoll unterdrückte er einen Schmerzenslaut.

„Armer Sammy.“ Ihre Stimme troff nur so von gespieltem Mitleid über sein Unwissen und seine Qual. „Niemand hat dir etwas gesagt? Niemand hat dir erzählt, was in dir schlummert?“

Verständnislosigkeit wühlte sich in seinen jungenhaften Blick, seine Augen waren voller Fragen, aber auch mit tiefer Abneigung gegen diese falsche Jessica gefüllt.

Ohne Vorwarnung schlang sie die Arme um ihn und drückte ihn tröstend an sich, das Feuer dabei um sie herumtanzend wie die Gäste auf einer Hochzeit. Nachdem er den Moment der Überraschung überwunden hatte, versuchte er krampfhaft, sich von ihr zu befreien. Ihre unerwartete Nähe war für ihn vergleichbar mit einer brennenden Hauswand, die auf ihn gestürzt war, doch egal, wie sehr er sich gegen sie wehrte, es zeigte keinen Nutzen für ihn.

„Wenn du bei mir bleibst, Sammy, dann verspreche ich dir, dass es niemals geschieht, niemand wird dir dann mehr wehtun, nie wieder. Bleib bei mir, für immer und ewig“, bat sie ihn eindringlich und strich ihm vertraut durch das dunkle Haar, das leise unter ihren verdorrten Fingern zu knistern begann.

„Jess …“, flüsterte er, versuchte sogar, beruhigend zu klingen, damit sie einlenkte, aber ihr Griff um seinen ihr ausgelieferten Leib wurde unbarmherzig wie der eines Schraubstockes. Plötzlich bemerkte er, dass die kleinen Flämmchen, die auf ihr tanzten, als wären sie ein natürlicher Bestandteil ihres Selbst, sich an seine Kleidung hefteten und damit begannen, den Stoff wie hungrige Biber anzunagen. Was sie danach als ihr Eigen betrachten würden, wagte er gar nicht, sich auszumalen.

„Jess, lass mich los!“, flehte er verzweifelt, aber es schien, als wäre ihr Körper mit dem seinen verwachsen. Ihre Hände waren wie flüssiges Wachs in seinem Rücken versunken.

„Jess! Bitte!“, schrie er panisch, jedoch mit dem unzerstörbaren Wissen behaftet, dass es so gut wie unmöglich war, ihre miteinander verschmolzenen Leiber wieder zu trennen, was sie ihm sofort bestätigte.

„Bald sind wir wieder zusammen, Sam, für immer und ewig, ohne, dass uns je wieder irgendjemand auseinander bringen kann.“

Eine heranrauschende Feuerwalze spiegelte sich in seinen entsetzten, blaugrünfarbenen, nun lodernd orangerot glühenden Augen nieder, nachdem er über Jessicas Schulter hinwegsah. Seine Lippen fuhren bereits auseinander, um einen letzten Laut auszustoßen, der alles sein würde, was diese Zerstörungswut für Bruchteile von Sekunden noch von ihm übrig lassen sollte. Er spürte, wie ihn die gleißende Glut bereits sanft liebkoste, bevor sie ihn mit ihrem vernichtenden Gebrüll verschlang.

Und er schrie.

Und wachte auf.

Brüllend vor Angst und Panik fuhr Sam von seinem Bett hoch. Sein zitternder Brustkorb hob und senkte sich dabei so heftig wie die über den Boden gleitenden Fesseln eines galoppierenden Pferdes. Es dauerte unendliche Sekunden, bis er registrierte, wo er war und mit wem. Mit gehetztem Blick starrte er seinen Bruder an, der ihn, von dem ohrenbetäubenden Lärm geweckt, verstört musterte.

„Alles okay, Sammy?“, nuschelte Dean schlaftrunken und stützte sich leicht mit dem Ellenbogen ab, um den Jüngeren besser sehen zu können. Nachdem ihn der Schrei Sams aus seinen Träumen gerissen hatte, waren seine Finger sofort zu der kleinen Lampe auf dem Nachttisch gewandert und hatten sie angeknipst. Und nun wartete er auf eine plausible und hoffentlich ehrliche Antwort, die er allerdings vermutlich, wie er befürchtete, nicht präsentiert bekommen würde.

„Äh, ja. Natürlich“, bestätigte Sams Aussage Deans Vermutung. Der angespannte und vor unermessbarer Furcht verzerrte Gesichtsausdruck des Hünen straften seiner Worte Lügen.

„Wie du meinst“, ließ sich der Ältere jedoch dieses eine Mal ohne Einwände abspeisen, was den jüngeren Winchester bis ins höchste Maß verblüffte.

„Wenn du drüber reden willst …“, aber dann seufzte er und zog sich die Decke halb über den Kopf. „Was mache ich hier eigentlich?“, hörte Sam seinen Bruder mit sich selbst diskutieren und neigte dabei den Kopf leicht schief wie ein aufmerksamer Hundewelpe. „Das ist ja so, als wollte ich einer Schildkröte beibringen, einen Stock zu apportieren.“

Nach einigem unverständlichem Gemurre kroch das regelmäßige und leise Atemgeräusch eines Schlafenden unter der Zudecke Deans hervor, der prompt wieder eingedöst war. Sam musste trotz dieses zu echt und sehr verstörend wirkenden Traumes mit einem Male über das Verhalten seines Bruders grinsen und zwang sich gleichzeitig dabei, seinen noch immer hektisch hinfort fließenden Atem auf ein gesundes Maß zu reduzieren. Seufzend ließ er seinen Oberkörper wieder auf die weiche Matratze hinabsinken und bemerkte erst, als sein Shirt sich dabei etwas zu eng an seinen Leib schmiegte, dass er vollkommen nassgeschwitzt war. Prüfend wanderte seine Hand unter das Kleidungsstück und er erschrak. Dies war kein Angstschweiß, wie er nach besonders lebhaften Alpträumen normalerweise auftrat. Seine Haut glühte wie ein ausgetrockneter Landstrich unter sengender Sonne und das nicht nur am Oberkörper. Auch seine Jeans klebte an ihm unangenehm feucht, als sei er in ein unangekündigtes Wetter geraten. Selbst sein Haar hing wirr und nass in der Stirn. Entgeistert strich er es nach hinten und hielt plötzlich inne, die Luft leise zischend vor Schmerz dabei ausstoßend. Geronnenes Blut funkelte ihm im Licht der kleinen Lampe entgegen, starr klebte es an seiner rechten Hand, mit der er versucht hatte, die Tür zu öffnen.

Die Tür … .

Das Feuer … .

Jess … .

Mit einem stummen Paukenschlag war alles wieder da, so lebendig und greifbar für ihn, dass er am liebsten laut aufgestöhnt hätte. Aber er wollte nicht, dass Dean etwas bemerkte, dass er erfuhr, was ihm widerfahren war. Es reichte, wenn sein Bruder von seinen anderen Träumen wusste. Dies hier wollte und konnte er ihm jetzt noch nicht berichten. Er wusste ja selbst nicht einmal, was es bedeutete. Und es missfiel ihm, den Älteren mit noch mehr Sorgen zu überhäufen.

Gähnend verbarg er seine verletzte Hand unter der Decke, nur für den Fall, dass Dean eher wach werden sollte und rollte sich leicht zur Seite, die Lider fest zusammenpressend und auf den erlösenden Schlaf wartend. Doch dieser kam nicht, um ihn mit fortzunehmen auf eine traumlose und erholsame Reise.

Erst, als die Sonne sich zögerlich einen Weg über den Rand der schneebedeckten Welt hinaufsuchte, sank Sam vor lauter Erschöpfung in einen unruhigen Schlaf, der nicht minder erschreckend und kräftezehrend war wie der vorige.
 

Ein monotones dumpfes Klopfen, das Dean sich fühlen ließ wie ein allem ausgelieferter Baumstamm, der von einem unbeherrschten Specht bearbeitet wurde, weckte den älteren Winchester recht unsanft aus seinem tiefen Schlummer. Reichlich unzufrieden darüber, dass wer oder was auch immer ihm nicht mehr an Ruhe gönnte, blinzelte er einige Male, um herauszufinden, an wem er seine langsam wie ein Reisbeutel aufquellende Wut auslassen durfte. Zunächst verdächtigte er Sam dieser unverschämten Ruhestörung, vermutete er doch, dass dieser mal wieder wie gewohnt die Tastatur seines Laptops quälte, aber Fehlanzeige. Die Silhouette seines jüngeren Bruders war nirgendwo anders auszumachen als unter der Bettdecke und sein elektronischer Gefährte schlummerte schuldlos in der großen Umhängetasche.

Daher verstrich aufgrund seiner immer wieder überhand nehmenden Müdigkeit einiges an Zeit, bis sein griesgrämiger Blick am Fenster ihres Motelzimmers hängen blieb und was er da sah, hätte ihn am liebsten aus dem Bett gesprengt.

Eine sommersprossige kecke Stupsnase drückte sich neugierig gegen das kühle Glas, während kleine knubbelige Finger im Rhythmus eines tropfenden Wasserhahnes gegen ihr Hindernis patschten. Schachtelhalmgrüne Augen, welche den seinen gar nicht mal so unähnlich waren spähten interessiert in jede erdenkliche Ecke des Zimmers. Der dazugehörige, mit Schokolade verschmierte Mund verzog sich jedoch zu einem gehässigen Grinsen, nachdem die kindliche Iris ihn und seinen schlafenden Bruder streifte, der von alldem nichts bemerkte.

Wieso nur hatten sie vergessen, die Vorhänge in der vergangenen Nacht zuzuziehen?

Dean brauchte die Kunst des Lippenlesens nicht zu beherrschen, um sich auszumalen, was dieser Rotzbengel plötzlich vom Stapel ließ und damit seine Erziehungsberechtigten auf seine Entdeckung aufmerksam machte.

Genervt verdrehte der ältere Winchester die Augen.

Wie oft wurden sie milde belächelt, weil sie sich zusammen ein Zimmer nahmen? Beinahe jedes Mal brannte sich dies in ihrer beider Rücken. Er würde auch zu gerne wissen, ob einer der unzähligen Motelbesitzer, bei denen sie eingekehrt waren, vor ihren Türen gehorcht hatte, ob da etwas geschah und hinterher arg enttäuscht wurde, da natürlich nichts weiter passierte, was diese sich ausgemalt hatten. Aber irgendwie amüsierte es Dean dagegen stets, da sein Bruder sich aufgrund dieser unausgesprochenen Vermutung herrlich aufregen konnte.

Bevor die beiden Enddreißiger vor dem Fenster allerdings ebenfalls den Spannerkonsum ihres Sohnes nachahmten, klaubte Dean seinen einen Schuh, den er nicht halb durchs Zimmer gekickt hatte, vom Boden auf und warf ihn gegen das Fenster, an dem dieser mit einem lauten Knall abprallte. Vollkommen unvorbereitet auf diese Gegenattacke fuhr der Junge wie unter einem Stromschlag zusammen und verzog, unzufrieden über den Ausgang seines Streiches, beleidigt das Gesicht. Dean schickte ihm daraufhin ein triumphierendes Lächeln entgegen und provozierte den Kleinen nur noch mehr, als er ihm frech die Zunge zeigte.

Dem kugelten vor Verblüffung beinahe die Augäpfel aus den Höhlen, bevor er sich abrupt umwandte und von den Holzdielen der Veranda auf den Parkplatz lief, das rote Wuschelhaar dabei wie ein glühendes Feuer vor schneeweißer Pracht auf- und abwippend.

Der Jäger konnte sich ein Grinsen nur schlecht verkneifen, als er den Jungen schreien hörte: „Mami, Mami, der Mann da in dem Zimmer hat mir die Zunge herausgestreckt!“

„Einer der Gründe, warum ich Kinder nicht wirklich ausstehen kann“, murmelte er und sank gähnend zurück in sein Kissen, das ihn warm und weich empfing. Aber zugegeben, er war damals in dem Alter keinen Deut besser gewesen.

Wie oft hatte er die Leute in Motels durch die Fenster beobachtet, bis ihr Dad davon Wind bekam und ihn an einem Ohr davor weggezerrt hatte. Anschließend hatte er sich Vorträge über gutes Benehmen anhören müssen und dass er doch ein Vorbild für Sammy darstellte, der die Streiche seines Bruder jedoch nur belächelt, aber nicht nachgemacht hatte. Außer das eine Mal, weil Sam es so lustig gefunden hatte, wie die alte Mrs. Sandforth von dem Süßigkeitenladen eines kleinen Kaffs, dessen Namen er vergessen hatte, vor Angst herumquiekte wie ein hyperaktives Ferkel, nachdem die Brüder ihr eine vergammelte Plastikmaus vor die Füße geworfen hatten. Dummerweise hatte Mr. Sandforth die Zwei dabei erwischt, wie sie sich über die kurz vor einem Herzinfarkt stehende, an einer Mausphobie leidende Frau amüsiert hatten.

Dean taten seine Pobacken immer noch weh, als er daran dachte und doch war es die Schläge wert gewesen. Sammy hatte die Nachwehen ihres Streiches weniger lustig gefunden und sich danach mehr auf seine Schulbücher konzentriert als auf die Narreteien seines Bruders.

„Dad hat sich umsonst Sorgen gemacht, Sam“, richtete der Ältere seine Meinung an den Jüngeren. „Ein so schlechter Umgang war ich wohl doch nicht für dich, ich meine, du hattest einen super Highschoolabschluss, bist aufs College gegangen und wärst fast in einer schicken Anwaltskanzlei versauert ... .“

Plötzlich hielt er inne und starrte etwas betreten an die Decke. Ja, er hatte verhindert, dass aus seinem kleinen Bruder ein stinklangweiliger Anwalt mit einem normalen, glücklichen und vor allem sicheren Leben wurde. Ein Leben mit seiner Freundin Jessica, die vielleicht noch unter ihnen weilen könnte, wenn er Sam nicht aus Stanford weggeholt hätte. Ja, er hatte dem Jüngeren gesteckt, dass er selbst vermutlich ebenfalls getötet worden wäre, sofern er doch bei ihr geblieben wäre, aber allmählich war sich Dean da nicht mehr so sicher wie am Anfang. Was, wenn Sam sie doch hätte beschützen können? Wenn sie aus dem Haus hätten fliehen können?

Mit einem Male kam er sich unendlich mies vor. Trug er etwa die Schuld an dem Tod des Mädchens? Er hatte seinem Bruder vorgeworfen, nicht an die Sicherheit ihres Dads zu denken, aber womit hatte alles geendet? Dass sie ihn nicht, wie vorgesehen, aufgespürt hatten. Und Sam war hin- und hergerissen gewesen zwischen Jess und ihrem Dad. Dabei hatte er doch für sie beide dasselbe empfunden – Liebe.

Unbehaglich drehte sich Dean zur Seite, so dass sein Blick auf den noch immer Schlafenden fiel, dessen Decke sich nicht wirklich da befand, wo sie sein sollte. Er wunderte sich, dass sein Bruder bei dem Lärm, den der Rotzlöffel und auch der durchs Zimmer segelnde Schuh veranstaltet hatten, nicht aufgewacht war, wo er doch sonst einen eher leichten Schlaf besaß. Etwas ungelenk versuchte er, sich in die Höhe zu stemmen und verzog prompt das Gesicht, nachdem seine Rippen sich wie im Kampf umherwirbelnde Macheten in seinem Körper meldeten.

„Meine Güte“, stöhnte er und presste die Hand gegen die schmerzenden Stellen, als besäße diese unangeahnte Heilkräfte. „Jetzt weiß ich, wie sich Trampoline fühlen.“

Noch einmal unternahm er die voller Anstrengung liegende Bemühung, sich aufzusetzen, aber selbst aus der Seitenlage sah er keine Möglichkeit, seinem Bett zu entfliehen, so sehr behinderten ihn seine teils angebrochenen, teils geprellten Rippen. Schwer atmend von dieser Schufterei, die ihm im Endeffekt keinen Erfolg in Sicht brachte, ließ er sich wieder zurück in sein Kissen gleiten.

Es konnte doch wohl nicht sein, dass ... .

Nein, also wirklich nicht, er brauchte doch bei so etwas Simplem keine ...

... Hilfe?

Ein genervter und zugleich geschlagener Ausdruck schlich sich klammheimlich auf sein Antlitz wie ein Kind, das des Nachts unerlaubt Süßigkeiten aus dem Kühlschrank entwenden wollte.

„Sam?“ Keine Antwort, nicht mal eine Reaktion erfolgte auf seinen Ruf. Nun gut, dann etwas lauter.

„Sammy!“ Ein Knurren, unwillig, der nun halb gebrüllten Aufforderung zu folgen, glitt über die trockenen Lippen des Schlummernden, der sich, das Gesicht dabei grantig verzogen, auf den Bauch rollte und seinen gesamten Kopf in dem großen Kissen vergrub.

Dean starrte ihn voller Unglauben mit offenem Mund an. Musste er jetzt wirklich zu drastischeren Maßnahmen greifen, damit sein Bruder aufwachte und er sich der Peinlichkeit gegenüberstellte und dessen Hilfe forderte? Ein letztes Mal bemühte er sich, es allein zu schaffen, aber wieder protestierte sein geschundener Körper mit aller Macht dagegen und er sank kraftlos zurück.

So blieb ihm wohl keine andere Wahl .. .

Verschlagen grinsend postierte er seine Hand am Rahmen seines Bettes und legte los.

„Verdammt, Sammy!“, brüllte er voller Dramatik, Angst und Erschrecken in sein hektisches Keuchen legend, das wie eine Flutwelle durch das Zimmer rollte. „Sie sind hier! Sie haben uns gefunden, wir müssen verschwinden, verdammt!“ Dabei schlug er heftig gegen das Holz seines Ruhelagers, um den Anschein eines ausgebrochenen Kampfes vorzutäuschen.

Von einer Sekunde zur nächsten war Sam wach. Damit hatte Dean genau das erreicht, was er geplant hatte. Allerdings aber auch etwas anderes.

Wie ein Katapult schoss der jüngere Winchester in die Höhe, die panischen Schreie seines Bruders in seinen Ohren wiederhallend wie das schreckliche Auseinanderreißen von geworfenen Bomben im Krieg. Voller Ungewissheit über das Schicksal des Älteren sah er sich nervös um, bis ihm das amüsierte, aber auch leicht entschuldigende Grinsen des Gesuchten direkt ins Gesicht stach.

„Morgen, Sammy“, strahlte ihm Dean vergnügt entgegen und biss sich ertappt auf die Unterlippe, nachdem sein Bruder ihn schlecht gelaunt und mit winzig kleinen Augen anstarrte.

„Dean, duuuuu …“, knurrte der aus seinem Schlaf Gerissene wie ein Wolf, dem man die Beute unerlaubt entrissen hatte, als er bemerkte, dass alles nur eine mies ausgeklügelte Farce des Älteren war, bis plötzlich ein grell gleißender Blitz in seinem Kopf explodierte. Mit einem gequälten Aufschrei verdrehte Sam die Augäpfel so weit, dass nur noch das Weiße darin zu sehen war. Gleichzeitig bohrten sich seine Handflächen dabei in sein Antlitz, als könnte er so den hinter seiner Stirn hämmernden Schmerz für immer vertreiben. Sein Oberkörper krümmte sich dabei extrem stark zusammen, dass seine von den vorausgehenden Ereignissen erschöpften Muskeln beinahe drohten zu reißen.

Der kleinere Winchester verfolgte den unvorhergesehenen Anfall seines Bruders mit entsetzter Miene. Mehrmals versuchte er dabei, seinem Bett zu entfliehen, um Sam zu halten, ihm Mut zuzusprechen, dass alles wieder in Ordnung kommen würde, obwohl er das bei diesen schrecklichen Bildern, welche sich ihm nun boten, kaum glauben mochte. Aber es gelang ihm nicht. Wieder und wieder fiel er hilflos zurück, sich im Stillen dafür scheltend, dass er nicht darüber nachgedacht hatte, welch Konsequenzen sein dummer Plan mit sich ziehen könnte, stumm dabei hoffend, dass sich Sams Attacke so schnell von dannen machte, wie sie über ihn gekommen war.

Der Atem des Jüngeren rasselte so hektisch durch seine Lungen, dass er befürchtete, sie würden jeden Augenblick auseinander bersten. Kalter Schweiß hatte sich wie feinster Morgentau auf seine Haut gelegt und ließ ihn mit einem Male unangenehm frösteln, so dass sein gesamter Körper nicht nur vor Anstrengung bebte. Seine Finger, die sich verzweifelt gegen seine Schläfen bohrten, waren bereits so verkrampft, dass er nur ihre Gegenwart an seiner Stirn, nicht aber ihre Existenz mehr spürte. Er fühlte sich, als würden tausend Nadeln in sein Hirn gebohrt und wieder herausgerissen, um erneut ihr Ziel zu finden.

Und dann ... war es so plötzlich vorbei, wie es ihn überfallen hatte. Wie ein Raubtier, das ihn von hinten angesprungen hatte, ohne ihn jedoch dabei zu töten, schlich es sich wieder von dannen, um in den Schatten auf den nächsten Angriff zu lauern.

Schwer atmend strich er sich die feuchten Haare aus dem Gesicht und sah zu Dean hinüber, der ihn voller Sorge und mit einer gehörigen Portion an Schuldgefühlen musterte.

„Sam ...“, die Stimme des Kurzhaarigen klang geknickt, „hätte ich das geahnt ... es tut mir leid.“ Dean schluckte betreten und fand den Fußboden mit einem Male viel interessanter, nachdem ihn Sams große Hundeaugen mit ihrem verletzlichen Ausdruck streiften. Er hätte seinen Bruder mit diesem Blödsinn fast umgebracht und Sam sagte gar nichts, fuhr nicht aus der Haut, wie es sonst seine Angewohnheit war. Er starrte ihn nur schweigend an mit diesem Blick, der Eisberge zum Schmelzen bringen konnte.

„Du bist aber auch echt ein Idiot.“

Überrascht fuhr Deans Kopf wieder in die Höhe und er begegnete einem frech grinsenden, viel zu großen Jungen, der mittlerweile die Beine über das Bett geschwungen hatte und auf dessen Kante saß, um ihn zu betrachten.

„Schlampe“, rutschte es ihm aus der Kehle und ein erleichtertes Lächeln suchte sich einen Weg auf seine Lippen. Einen Moment sahen sich die Beiden feixend an, doch dann verzog Sam kurz das Gesicht und grub Halt suchend seine Finger in die Bettdecke.

„Sammy! Was ...“, entfuhr es Dean voller Sorge und ein reflexartiger Stoß schoss durch seinen Körper, der befahl, sich um den Jüngeren zu kümmern, doch selbst nach diesem Adrenalinschub war es ihm nicht möglich, alleine aufzustehen. Ein angestrengtes Stöhnen unterdrückend kapitulierte er ein weiteres Mal.

„Es geht schon wieder“, presste sein Bruder schwach hervor und rieb sich tief durchatmend das Gesicht. Erst jetzt bemerkte Dean, wie schlecht Sam aussah und er erschrak. Dunkle Ringe zierten unter seinen Augen das beinahe weißgrau verfärbte Antlitz, während seine Wangenknochen viel zu weit vorstanden. Ein dünner Schweißfilm glänzte matt auf der Stirn des Winchesters, die sich zur Hälfte bis über das linke Auge hin in blau-lila schimmerndes Terrain verwandelt hatte. Alles in allem sah Sam noch viel schlimmer aus als noch vor wenigen Stunden, bevor sie sich hingelegt hatten.

„Aber was ist mir dir?“, riss ihn die müde Stimme seines Bruders aus den trüben Gedanken.

„Was?“ Im ersten Moment wusste er nicht so recht, auf was Sam hinauswollte, doch dann senkte er niedergeschlagen das Haupt. Der College-Boy war weitaus angeschlagener als er selbst und machte sich nun auch noch Sorgen um ihn.

„Ach ... nichts“, gab er deswegen nur murmelnd zurück und zog die Bettdecke etwas höher.

„Deaaaaan“, bohrte der Hüne sofort nach und stemmte fordernd die geballten Fäuste in die Hüften.

„Es ist nichts, wirklich“, beteuerte Angesprochener und vermied den Blickkontakt mit seinem Bruder, der hörbar und voller Unglauben die Luft ausstieß.

„Ach ja? Und warum stehst du dann nicht auf?“

„Weil ... es ... so schön warm unter der Decke ist.“

Aus Sams Mund drang ein Seufzen und er kratzte sich leicht genervt den Hinterkopf. Das Leben mit Dean war nicht immer einfach, manchmal hatte er das Gefühl, mit einem verbohrten Kleinkind unterwegs zu sein und nicht mit einem erwachsenen Mann.

„Und weswegen hast du mich dann geweckt?“ Der bevorstehende Siegestaumel, bald die Wahrheit zu erfahren, war kaum zu überhören, nachdem Sam diese Frage an seinen Bruder gerichtet hatte.

„Ähm ... damit du schon mal Frühstück holst, weil ich solch einen Hunger hab?“ Dean klimperte nervös mit den Wimpern wie ein kleines Mädchen, welches verbergen wollte, dass es bei seiner kleinen Schwester Friseur gespielt hatte.

„Glaub ich eher nicht“, erwiderte der Jüngere mit fester Stimme und lächelte triumphierend, während der kleinere Winchester unruhig auf seiner Matratze hin- und herrutschte. Warum nur schämte er sich plötzlich so sehr dafür? Weil er sich Sammy gegenüber nicht schwach fühlen wollte? Weil er es verabscheute, um Hilfe zu bitten, die er lieber anbat, als sie entgegenzunehmen?

„Verdammt, ich komm alleine nicht hoch!“, schnauzte er ohne Vorwarnung sein Gegenüber an, das vor Verblüffung zusammenzuckte. Dann begann Sam laut loszulachen, was Deans ohnehin schon von Düsternis befallene Miene noch mehr in die Dunkelheit zog.

„Was ist daran so komisch?“, wollte er wissen, die Stimme voller Wut verzerrt und seinen Bruder missmutig dabei beobachtend, wie dessen Schultern vor Vergnügen bebten.

„Was daran so komisch ist?“ Sam zauberte sein unwiderstehliches Lächeln hervor, mit dem er bereits als kleines Kind unwissend jeden Erwachsenen bestochen hatte und sie aufgrund dessen oft umsonst Süßigkeiten in die Hand gedrückt bekommen hatten, sehr zur Freude Deans. „Dass du es einfach nicht zugeben wolltest, obwohl ich mich darüber absolut nicht lustig gemacht hätte. Ich habe es nämlich schon geahnt.“

„Na toll und ich mach mich dafür zum Affen“, grollte der ältere Winchester angepisst und schmollte in seine bis zur Nase hochgezogene Decke hinein.

„Das ist doch deine Spezialität“, kicherte der Riese von einem Bruder vor ihm belustigt und wich quietschend dem in seine Richtung geworfenen Kopfkissen von Dean aus, das zielgenau auf ihn zugesegelt kam. „Hey, aber du solltest mich schon am Leben lassen, wenn du irgendwann mal deine Schlafschaukel verlassen willst“, schalt Sam ihn lachend und stellte sich an die Seite des Bettes, die Arme in Richtung des Älteren ausgestreckt. „Pfoten her, ich zieh dich hoch. Und zier dich nicht so“, schob er gleich eine freundlich gemeinte Ermahnung nach, als Dean ihn böse und zunächst uneinsichtig anstarrte. Dann jedoch legte der ältere Winchester seufzend seine Hände in die geöffneten Handflächen des Jüngeren, stutzte aber für einen Moment verblüfft, nachdem er frische Hautabschürfungen, an denen noch das geronnene Blut klebte, in der rechten Hand seines Bruder bemerkte. Aber dieser packte kräftig, bevor Dean überhaupt etwas dazu sagen konnte, zu und riss den Älteren schwungvoll in die Höhe, was der Gemarterte mit einem überraschten Schmerzenslaut quittierte, der Sams Trommelfell gehörig zum Vibrieren brachte.

Endlich, dennoch mit gewissen Opfern, von seiner drohenden Bettlägerigkeit befreit, saß Dean stoßweise atmend auf der Bettkante und hielt sich, griesgrämig wie ein unfreundlicher alter Herr dreinschauend, seine Rippen, die sich anfühlten, als hätten sie seine Lungenflügel in einen Schweizer Käse umgewandelt.

„Liebevoller ging es wohl nicht, hm?“, wandte er sich streitsüchtig an seinen Bruder, der soeben im Bad kritisch seine blutbesudelte Kleidung in Augenschein nahm, welche Dean vorm Schlafengehen in kaltes Wasser eingeweicht hatte. Kopfschüttelnd ließ der Angesprochene seine Sachen in die Dusche zurückgleiten, zog aber den Stöpsel, damit das Wasser ablaufen konnte und machte sich langsam daran, alles auszuwringen, denn tatsächlich waren die meisten Spuren des Unfalls aus dem Stoff verschwunden.

„Wenn, dann solltest du dich bei dir selbst beschweren, Dean“, konterte der Dunkelhaarige sofort und wickelte die nassen Kleidungsstücke in ein Handtuch, das er zunächst in eine Ecke ihres Badezimmers legte. „Ich habe den Impala nicht gegen die Bäume gesetzt, falls du das vergessen hast.“

„Klugscheißer“, murmelte Dean so leise, dass es normalerweise niemand außer ihm hätte hören dürfen, aber Sams nachtschwarze Pupillen ruckten aufmerksam wie die goldenen Augen eines sich auf der Jagd befindenden Luchses in seine Richtung und verengten sich warnend. Der ältere Winchester bemerkte dies sofort und zuckte ertappt zusammen, tat aber im nächsten Augenblick so unbedarft, als hätte er diese Äußerung gar nicht fallen gelassen.

„Was?“, fragte er daher seinen Bruder, der ihn noch immer durchdringend musterte und erhielt dafür lediglich ein resigniertes Seufzen, welches ihm ein siegessicheres Lächeln entlockte.

Sich im Stillen für die Uneinsichtigkeit Deans ärgernd, spülte Sam die Blutspuren aus der Dusche mit kaltem Wasser hinfort. Er war zu müde, um sich mit seinem gerne das letzte Wort haben wollenden Familienmitglied anzulegen und zog es daher lieber vor, zu kapitulieren, des Friedens und der Ruhe Willen. Ihm war bewusst, dass dem Älteren die ganze Sache mehr als leid tat, nur nutzte er zu gerne jede sich ihm bietende Situation aus, um den Jüngeren zu ärgern, was dieser nach den vergangenen Stunden aber überhaupt nicht lustig fand.

Schweigend verließ Sam nach seiner Säuberungsaktion das Bad und sah seinen großen Bruder auffordernd an.

„Was ist? Willst du dich etwa so den Bräuten präsentieren?“, fragte der Wuschelkopf und verzog wie ein weibliches Wesen angewidert das Gesicht, während sein Blick abschätzend über die Gestalt des noch immer auf dem Bett Sitzenden wanderte.

„Meinst du etwa, du siehst besser aus?“, motzte Dean sofort zurück und sah beleidigt weg, was Sam ein Schmunzeln entlockte.

„Nein, ich denke, so, wie wir im Moment aussehen, können wir uns für die Wahl zu ´Washington sucht den Super-Gangster oder Super-Penner` zur Verfügung stellen.“

„Dann lieber Super-Gangster, das klingt nach mehr Stil“, warf Dean ein und mühte sich aus seiner sitzenden Lage in die Höhe, Sams plötzlich einsetzende Hilfsbereitschaft mit einem genervten Kopfschütteln ablehnend, dann aber ohne Vorwarnung nach dem rechten Handgelenk seines Bruders greifend, was dieser mit einem überraschten Keuchen kommentierte, da der Kurzhaarige nicht unbedingt sanft damit umging. Aus reinem Reflex heraus öffnete der Hüne zähneknirschend die soeben noch geballte Faust und sah zornig weg, als sein Bruder die großflächige Abschürfung auf der Handinnenfläche mit Argwohn betrachtete.

„Was ist das?“, wollte Dean sofort wissen, Sam dabei ernst fixierend, der es jedoch lieber vorzog, der kleinen Sitzecke in ihrem Zimmer seine gesamte Aufmerksamkeit zu schenken.

„Meine Hand?“, antwortete er patzig und schnappte plötzlich unvorbereitet nach Luft, nachdem der kleinere Winchester prüfend über das bloßgelegte Fleisch strich.

„Witzig, wirklich“, entgegnete Dean und entließ den Jüngeren seiner Umklammerung, ihn dabei jedoch mit in Falten gelegter Stirn im Auge behaltend. „Wo hast du das her?“

„Vom Unfall, denke ich. Was weiß ich?“, erwiderte Sam und zuckte uninteressiert mit den Schultern, dem abwägenden Blick seines Geschwisterteiles dabei jedoch ständig ausweichend. Im Stillen hoffte er, dass sein Bruder die Lüge annahm und nicht weiter darüber nachdachte, aber er kannte Dean dummerweise zu gut, als dass dieser sich so schnell damit zufrieden gab. Deswegen versuchte er, den nach der Wahrheit bohrenden grasgrünen Augen standzuhalten, aber sein blaugrüner Blick huschte nervös hin und her wie ein Haken schlagender Hase auf der Flucht vor dem Jäger.

„Soll ich dir sagen, was ich denke?“ Der Kurzhaarige stellte sich direkt vor ihn und obwohl er beinahe einen Kopf kleiner als Sam war, kam dieser sich plötzlich um mehrere Meter winziger vor, was vermutlich an der wechselnden Tonlage Deans lag, die mit einem Male so autoritär klang wie die eines Drill-Sergeants. Was keinesfalls heißen sollte, dass der Wuschelkopf sich davon komplett einschüchtern lassen würde. „Ich denke, dass du nicht die Wahrheit sagst.“

„Ach ja?“ Sam spürte, wie sein Blut vor langsam hervorbrodelnder Aufgebrachtheit zu kochen begann. „Und woher willst du das so genau wissen?“ Sein guter Vorsatz, jedem drohenden Streit aufgrund seines eher mangelhaften Zustandes aus dem Weg zu gehen, schwand mit jeder verstreichenden Sekunde, die Dean ihn herausfordernd musterte.

„Nachdem Eure Hoheit Dornröschen meinte, ständig ein Schläfchen halten zu müssen“, knallte dieser dem Jüngeren süffisant vor die Füße. „Da war nichts an deiner Hand, die war so glatt und unversehrt wie ein Babypopo.“

„Vielleicht solltest du aufpassen, dass der Babypopo dir nicht gleich die Dornen von Dornröschen in den Hintern rammt“, giftete Sam blindwütig zurück, während er die Nase gereizt rümpfte und damit einem streitsüchtigen Pferd, das die Nüstern blähte, gar nicht mal so unähnlich war. „Kümmere dich lieber um deinen eigenen Kram!“, wetterte der Jüngere sofort weiter, bevor Dean auf die vermutlich nicht ganz ernstgemeinte Drohung seines Bruders reagieren konnte und mit einem recht verdattertem Blick ins Antlitz gepresst dastand.

„Es ist doch egal, was mit meiner Hand passiert ist! Es ist lediglich ein Kratzer, mehr nicht, hast du verstanden?! Nichts, worum man sich Gedanken machen sollte, kapiert?“ Schnaufend vor Wut um Deans übertriebene Fürsorge schnappte sich Sam seine Reisetasche und polterte damit in Richtung Bad davon.

„Äh ... wo willst du hin?“, schickte der ältere Winchester ihm hinterher und suchte krampfhaft in seinem Hirn nach den passenden Worten, um nicht als Verlierer aus dieser Sache hervorzugehen, aber es meldete sich nichts bei seinen Lippen an, was in irgendeiner Weise überzeugend und vor allem kaltschnäuzig, wie es ja sein Stil war, geklungen hätte.

„Ich dachte ... ich sollte zuerst ins ...“, kam es nur kleinlaut aus seiner Kehle geschlichen, als Sam ihm einen recht zornigen Blick zuwarf und die Tür hinter sich zuknallte.

„ ... Bad.“ Er zuckte förmlich zusammen, nachdem die Tür ins Schloss geworfen wurde und starrte sie noch immer an, nachdem sein Bruder längst in dem dahinter liegenden Raum verschwunden war.

Missmutig warf Sam seine Tasche in eine Ecke direkt neben seine nasse Kleidung, die er aus der Dusche geholt hatte und setzte sich auf den heruntergekippten Deckel der Toilette, das Gesicht tief in den Händen verborgen.

Warum nur hatte Dean damit anfangen müssen? Konnte er nicht einmal in seinem Leben seine Nase aus den Angelegenheiten seines kleinen Bruders fernhalten? Er schätzte es zwar, dass der Ältere sich Gedanken um ihn machte und ihn nicht mit seinen Sorgen komplett allein ließ, aber was zuviel war, war zuviel. Demnächst würde Dean vermutlich schon ausrasten, wenn er irgendwo einen blauen Fleck an ihm bemerkte und sei dieser noch so winzig. Meine Güte, er war doch nicht aus Zucker! Weshalb behandelte sein Bruder ihn nur wie eine Vase, die bei der leichtesten Erschütterung stürzen und in tausend Teile zerbersten könnte?

Langsam ließ Sam seine schlanken Finger durch das dunkle Haar bis zum Hinterkopf gleiten und starrte blind auf den schlichten Vorhang der Dusche.

Lag es an dem viel zu frühen Verlust ihrer Mutter? War Dean deswegen immer so besorgt um ihn? Hatte er Angst um ihn, dass ihm Ähnliches, vielleicht sogar Schlimmeres widerfahren könnte? Aber wieso?

Fragend bohrten sich seine Augen in die dumpfen Pastellfarben direkt vor ihm, welche seinem nach Antworten gierenden Blick stumm begegneten.

Verdammt, er war doch nicht mehr der neunjährige Junge von damals, der Angst vor dem Ding unter seinem Bett hatte. Musste er dies denn ständig beweisen?

Mit einem resignierten Seufzen drückte er sich von dem Toilettensitz in die Höhe und schob seine Gestalt vor den Spiegel über dem Waschbecken. Im ersten Moment, als sich sein Selbst ihm gegenüber präsentierte, wollte er schon Alarm schlagen und den Unbekannten, der dort aufgetaucht war, überwältigen, bis ihm gewahr wurde, dass es sich bei diesem heruntergekommenen Häuflein Elend, was ihm starr entgegensah, um keinen Fremden handelte. Zögerlich hob er eine Hand und strich sich über die eingefallenen Wangen, welche sich während seiner Zeit mit Jessica oft zu einem herzhaften Lachen verzogen hatten, in das alle mit eingestimmt hatten. In den vergangenen Wochen war dies jedoch eher selten geschehen.

Zum Teil konnte er nun die Sorge seines Bruders um ihn verstehen. Wenn dieser sich ihm so präsentieren würde, wäre seine Reaktion der Deans sicherlich nicht unähnlich. Gedankenverloren betrachtete er, nachdem er sich von dem pflegebedürftigen Anblick seiner Selbst losgerissen hatte, seine rechte Handinnenfläche, deren Wundränder zwar stark gerötet waren, sich bereits aber wieder zusammenfügten. Plötzlich fuhr er bestürzt zusammen. Glaubte Dean etwa, er hätte sich, um die Schatten von seiner gepeinigten Seele zu nehmen, selbst verletzt? Nun gut, er hatte ihm dies ja recht glaubhaft präsentiert, nachdem er so streitsüchtig und kalt darauf reagiert hatte. Da war es kein Wunder, wenn falsche Vermutungen in den Überlegungen des anderen heranwuchsen. Trotzdem hoffte er, dass Dean so etwas von ihm nicht dachte und einfach nur annahm, dass er mit dem falschen Fuß aufgestanden war und somit schlechte Laune vorprogrammiert war.

Sich prüfend über die verletzte Seite seines Gesichtes streichend beugte er sich hinunter zu seiner Tasche und kramte den Rasierapparat samt Zahnbürste und -creme hervor. Nach einer ausgiebigen Rasur und dem Reinigen seiner Beißwerkzeuge sah das Leben beziehungsweise er selbst gleich ein wenig besser und ansprechender aus.

Halbwegs zufrieden mit dieser Feststellung wandte er sich um und entledigte sich schnell seiner Kleidung, um der Dusche den heißersehnten Besuch abzustatten. Als das angenehm warme Wasser wie eine weiche Feder über seine Haut strich, vergaß er für einen kostbaren Moment, wer er war und was seine Bestimmung auf dieser Welt beinhaltete. Er genoss einfach den Augenblick und verdrängte alles andere aus seinem Kopf, was ihn belastete. Und mit einer gewissen Sehnsucht tief in seinem Inneren fühlte er, wie sehr er sich nach solch einem Leben sehnte – ohne Sorgen und Ängste, ob man den nächsten Tag noch erlebte oder von einer dieser Höllenkreaturen erledigt wurde, die er und sein Bruder jagten. Genau dasselbe wünschte er sich für Dean, der nur das Dasein eines Jägers kennen gelernt hatte und sich an das wenige Kind- und Glücklichsein vor dem Ableben ihrer Mutter kaum erinnerte.

Die Augen dabei lächelnd geschlossen haltend lehnte sich Sam an die durch das heiße Wasser leicht angewärmte geflieste Wand in seinem Rücken und stellte sich dabei vor, wie es wäre, wenn der Dämon in jener schicksalhaften Nacht seinem Kinderzimmer keinen Besuch abgestattet hätte. Aus ihm und Dean wäre sicherlich etwas ganz passables geworden, denn auch, wenn sein Bruder schulmäßig nicht so einzigartig dagestanden hatte wie Sam, so war er keinesfalls dumm. Nein, bei Dean war es eher Faulheit und die Gewissheit, eh keinen normalen Job erlernen zu müssen, gewesen.

Und wer weiß, vielleicht hätte einer von ihnen ihre Eltern schon zu Großeltern gemacht. Wie stolz und glücklich hätten die Beiden darauf reagiert, eine nächste Generation an Winchesters begrüßen zu dürfen.

Aber das Leben eines Jägers war nun einmal gefährlich und ernsthafte Beziehungen zu pflegen, aus denen tatsächlich eines Tages etwas entwachsen könnte, so gut wie unmöglich. Zu groß war das Risiko, dass die eigenen Lieben zu Opfern eines rachsüchtigen Schattenwesens wurden und das war etwas, was nur die wenigsten Jäger jemals gewagt hatten, einzugehen.

In seine Vorstellungen von solch einem Leben versunken, das einem Normalsterblichen vermutlich als zu langweilig erschienen wäre, für die Brüder aber unerreichbar war, griff seine Hand nach dem hauseigenen Duschgel, um dies großzügig zu verteilen. Die Lider dabei noch immer gesenkt haltend, bemerkte er zunächst kaum, wie das Wasser, welches plätschernd dem Duschkopf entfloh, immer lauter zu rauschen begann, bis zu einem Geräuschpegel, der einen an die Intensität eines gewaltigen Wasserfalls erinnerte. Verwirrt öffnete er die Augen und machte Anstalten, das Wasser abzudrehen, da seine Ohren langsam zu schmerzen begannen, aber die Regler ließen sich keinen Millimeter bewegen, während das Ausmaß des mittlerweile an Lärmbelästigung grenzenden Kraches weiter zunahm. Sich gequält zum Teil die Ohren zuhaltend, startete Sam einen erneuten Versuch, das soeben noch angenehme Nass wegzusperren, aber stattdessen wurden die Armaturen plötzlich kochendheiß, so dass er zischend vor Schreck und Schmerz die Hand wegriss. Entgeistert starrte er auf seine Handfläche; es war genau dieselbe Seite, welche er sich an der Tür in seinem Traum verletzt hatte. Verbrannte Hautfetzen hingen wie nutzlose Lianen an ihr herab, das bloße Fleisch wurde unter ihnen sichtbar und sandte stoßartige Wellen aus, die wie glühendheiße Nadeln seinen rechten Arm hinaufkrabbelten. Als wäre dies noch längst nicht genug, erhöhte das aus dem Duschkopf hervorschießende Wasser seine Temperatur um ein Vielfaches und hinterließ feuerrote Stellen auf der Haut seines wehrlosen Opfers, welches nur mühsam einen gequälten Aufschrei unterdrücken konnte.

Von aufsteigender Panik über die sich zuspitzenden und beängstigenden Ereignisse erfüllt, versuchte der junge Winchester, der zur Folterkammer mutierenden Dusche zu entkommen, aber die Schiebetür, welche das einzige war, was ihn noch daran hindern konnte, ließ sich keinen Spaltbreit öffnen. Vergeblich rüttelte er daran, immer wieder schmerzerfüllt zusammenzuckend, sobald ihn ein Strahl des umherspritzenden Wassers, in dem sich Spaghetti bestimmt pudelwohl fühlten, traf. Er spürte, wie die Haut an seinem Rücken bereits abblätterte, als sei sie trockene Rinde eines alten Baumes. Schon öffnete sich sein Mund, um den Namen seines Bruders zu rufen, aber dann verschloss er ihn wieder, verbissen einen eigenen Weg aus dieser Lage suchend. Er war nun mal nicht mehr der kleine Junge, auf den Dean immer hatte achten müssen und das wollte er beweisen.

Die ihn langsam in den sicheren Wahnsinn treibenden Schmerzen stoisch ignorierend, riss er die über dem Rand der Duschtür hängenden Handtücher hinunter, wickelte eines um seine Hüften und das andere um seinen linken Arm. Weit und kräftig damit ausholend schlug er voller Wucht gegen die gläserne Tür, die unter seinem verzweifelten Ansturm erzitterte, aber zu seiner Enttäuschung nicht sofort brach. Dennoch zeigten sich einige Risse in seinem Hindernis, welche sich leise knirschend einen Weg durch das Glas bahnten. Mit seinem gesamten Körper ausholend rammte er die Duschtür, schloss aber augenblicklich zu seinem eigenen Schutz die Augen, als er hörte, wie das Glas unter seiner Anstrengung in tausend Teile zerbarst. Im selben Moment verlor er jedoch den Halt, rutschte auf dem glitschigen Boden der Dusche aus und fiel direkt in das Scherbenmeer, welches sich bereits auf dem Badezimmerboden ausgebreitet hatte. Die unzähligen Splitter bohrten sich wie zig hungrige Mäuler in seine bloßgelegte Haut, die bereits durch das brühendheiße Wasser in Mitleidenschaft gezogen wurde, so dass es ihm dieses Mal misslang, einen Schrei zu unterdrücken.

Zuckend wie ein Fisch auf dem Trockenen, der das lebensnotwendige Wasser benötigte, wand er sich vor Schmerzen auf seinem Bett aus Scherben und machte seine Lage dadurch nur noch schlimmer, obwohl es nicht das Reißen der Splitter war, was er fühlte, sondern das unerträgliche Brennen durch die Verbrühungen. Das Gesicht vor Qual verzogen umklammerte er seine rechte Hand, während hellrotes Blut aus kleineren sowie auch größeren Wunden rann und sich klebrig warm am Boden sammelte.

Durch einen immer dichter werdenden Nebel nahm Sam von draußen ein lautes Gepolter wahr und den Bruchteil einer Sekunde später wurde die Tür zum Badezimmer schwungvoll aufgestoßen. Erst erschien nur der ständige Begleiter seines Bruders, die blank geputzte, im hellen Licht des Raumes funkelnde Taurus, welche angriffslustig und zu allem bereit um die Ecke lugte. Anschließend schob sich langsam und vorsichtig der Stachelkopf des älteren Winchesters hinein, misstrauisch darauf bedacht, jeden Augenblick dem Feind gegenüber zu stehen, der sich klammheimlich hier hinein geschlichen haben musste, um seinem jüngeren Anhängsel zu schaden. Nachdem sein Blick dann jedoch das teils blutige Bündel am Boden streifte, steckte Dean, die Augen schreckgeweitet, seinen Colt sofort weg und stürzte zu seinem kleinen Bruder, der mit flatternden Lidern versuchte, seinen Kopf zu heben.

„Sam! Was, um Gottes willen ...?“ Die Stimme des älteren Jägers versagte für einen Moment vor Entsetzen, nachdem er den zu Schaden Gekommenen am Nacken stützend leicht aufrichtete und nicht gerade wenig Blut ihm dabei aus dem heftig pulsierenden Körper entgegen strömte. „Sammy, was ist hier passiert?“

Aber zu seiner Überraschung erschienen dem jungen Mann, der am ganzen Leib zitternd auf dem kalten Boden saß, die kaum zählbaren Wunden eher zweitrangig. Vielmehr presste er seine rechte Hand gegen den Oberkörper und stieß leise keuchende Geräusche dabei aus.

„Lass ... lass mich mal sehen“, bat Dean, sich mühsam dazu zwingend, die Fassung zu bewahren und griff behutsam nach der Hand Sams, der dies so furchtsam beobachtete wie ein waidwundes Reh die Mündung eines Gewehres. Nur zögerlich gab der Jüngere seine abwehrende Haltung auf und streckte seinem Bruder die Hand entgegen, die Finger starr nach innen verkrampft. Mit äußerster Vorsicht bettete Dean sie in der seinen, den Körper des zu Schaden Gekommenen an sich gelehnt und drückte die zum Zerreißen angespannten Gliedmaßen nach außen, Sams vor Schmerz verzerrte Miene währenddessen im Auge behaltend.

„Gut, schon gut“, beruhigte er den schlaksigen Jungen, als der mehrfach zusammenzuckte und Anstalten machte, sein verletztes Körperteil dem prüfenden Blick des Älteren zu entziehen. „Es ist alles okay, Sam, ich tu dir nicht weh.“ Was auch immer seinem kleinen Bruder geschehen war und Dean war sich mehr als sicher, dass es sich hierbei um keinen simplen Unfall handelte, es hatte gereicht, einen völlig verängstigten Jäger zurückzulassen, der üblicherweise vor nichts zurückschreckte, was in das Übernatürliche hinüberglitt.

„So, jetzt lass mich mal sehen, was da ...“, aber die Worte des Kurzhaarigen versanken ungesagt im Nichts, als das Erstaunen über seine Entdeckung stumm über seinem Kopf zusammenschlug.

Da war nichts, rein gar nichts, zumindest nicht das, was der ältere Winchester erwartet hatte.

Sams Hand war so unversehrt wie ein Neugeborenes, übersah man einmal die bereits von ihm entdeckten, leicht entzündeten Wundränder einer nicht mehr frischen Verletzung.

Blaugrüne Augen starrten ihn verunsichert an, nachdem Dean die Kinnlade ungewollt hinuntergesunken war.

„Dean, was ist denn?“, wisperte der Wuschelkopf heiser, aber Angesprochener antwortete nicht, sondern hielt ihm einfach die Handinnenfläche vor die Nase. Ein ungläubiges Keuchen entfuhr Sam, als er seine Hand betrachtete und nichts von alldem, was seine Spuren dort hineingebohrt hatte, mehr zu sehen war.

Und plötzlich, als hätte es ihn nie gegeben, verschwand auch der reißende Schmerz, welcher sich soeben noch bis zu seinen Knochen gegraben hatte. Dafür überkamen ihn nun die Folgen der in Massen vorhandenen Schnittwunden und er sank benommen in den Griff seines Bruders zurück, die Augen dunkel vor Qual.

„Das ... das gibt es doch nicht, das kann doch nicht ...“, stammelte Sam und seine Stimme bebte dabei wie sein gesamter Körper, während er die Hände vors Gesicht schlug.

Im ersten Moment hatte Dean wirklich Mühe, den Jüngeren zu halten, da dieser ohne Vorwarnung in seinen Armen regelrecht zusammengebrochen war. Als der Dunkelhaarige dann auch noch Wortfetzen vor sich hinstotterte, die beinahe in ein hilfloses Schluchzen abglitten, begann der grünäugige Winchester erst recht, sich mit unsagbaren Sorgen zu beladen.

„Hey, Tiger, ruhig, ganz ruhig“, redete Dean sanft auf seinen Bruder ein und strich ihm das klatschnasse Haar aus der Stirn. „Ich werde dich erst mal nach nebenan bringen, hier ist es ja saukalt.“ Kraftvoll fasste der Ältere dem Häuflein Elend unter die Achseln und zog es hoch, während er im gleichen Augenblick über seine Worte nachdachte. Es war wirklich ungewöhnlich kalt in diesem Raum für ein Badezimmer, das war ihm beim Betreten sofort aufgefallen. Und Sam war nicht unbedingt jemand, der gerne und bei solchen Außentemperaturen mit eisigem Wasser duschte. Im Normalfall hätte es hier feuchtwarm sein müssen, zudem sein Bruder pitschnass war und folgerichtig die Dusche in Benutzung hatte. Aber die Haut des Jüngeren war kühl und bläulich verfärbt, als hätte er stundenlang ohne Kleidung in frisch gefallenem Schnee gelegen.

„Dean, ich versteh das nicht, da war vorhin noch was ...“, bibberte Sam im stützenden Griff seines älteren Familienmitgliedes, welches ihn sachte aus dem Badezimmer führte.

„Das hat Zeit, Sammy“, nahm der Angesprochene seinem Bruder ein wenig den Wind aus den Segeln. „Zuerst müssen wir dafür sorgen, dass du mir nicht komplett ausläufst.“ Ein Nicken in Richtung des Fußbodens zeigte dem Hünen, dass Dean in keiner Weise übertrieb. Unübersehbar zog sich eine Blutspur ähnlich der Schleimspur einer Schnecke hinter ihnen her und Sam fragte sich ernsthaft, wie sie das nur Lauren erklären sollten.

„So, du bleibst da jetzt einen Moment stehen und ich hole noch ein paar Handtücher, damit es hier nicht gleich nach einem Schlachthaus aussieht, okay?“ Der Jüngere nickte bestätigend auf die Anordnung seines großen Bruders hin und schaute ihm hinterher, wie er flink im Bad verschwand und mit einem Stapel blütenweißer Handtücher auf dem Arm, die sicherlich in nur wenigen Minuten nicht mehr so aussahen, zurückkehrte. Eines davon breitete er auf Sams Bett aus und bedeutete ihm mit einem Fingerzeig, sich darauf zu setzen. Dann schnappte er sich das nächste Handtuch und begann damit, die Haare des jungenhaften Riesen trocken zu rubbeln, womit er nicht gerade zimperlich umging.

„Au!“, quiekte Sam entrüstet auf, als sich ein paar Haarsträhnen in dem Frotteetuch verfingen und Dean aus Versehen daran zog. „Wenn du so weitermachst, hab ich gleich ne Glatze.“

„Weichei“, grinste der Ältere zurück und fing sich daraufhin sofort einen bitterbösen Blick ein. „Du solltest dir lieber mehr Gedanken um deine etlichen Schnittverletzungen machen.“

Sofort gab Sam Ruhe und hörte auf, sich über die Trocknungstaktiken seines Bruders zu beschweren. Stattdessen biss er sich schweigend auf die Unterlippe und starrte zu Boden. Dean, der von den Haaren des Jüngeren abgelassen hatte und in seiner Tasche nach dem Verbandskasten wühlte, zog überrascht die Stirn kraus, nachdem der Dunkelhaarige so schnell und ohne aufzumucken kapitulierte. Dennoch vermied er es zunächst, Sam mit Fragen zu beschießen, als er die Erste-Hilfe-Utensilien neben dem Bett abstellte und sich eine gehörige Menge an Pflastern und Verbänden auf die Matratze legte. Er wollte seinem Bruder den nötigen Raum lassen, von selbst zu berichten, was sich im Badezimmer zugetragen hatte.

Aber entgegen seiner Vermutung, Sam würde jeden Augenblick losplappern und das Erlebte kundtun, schwieg der junge Winchester beharrlich und stierte noch immer auf seine Füße, unter die Dean zur Vorsicht auch ein Handtuch gelegt hatte. Leise in sich hineinseufzend begann der Ältere, die Wunden des ungewohnt stummen Jungen zu versorgen. Hier und da reichte ein Pflaster aus, da das Glas nicht sehr tief hineingeschnitten hatte, aber an vielen Stellen, gerade an den Armen und Beinen, musste Dean kleine Kompressen anlegen, die sich sofort gierig mit hellrotem Blut voll saugten. Rasch wickelte er Verbände um die Gliedmaßen Sams, damit diese den Druck der Kompressen noch verstärkten. Sein Bruder verfolgte das Treiben teilnahmslos, die unverletzte Stirn dabei in solch tiefe Falten gelegt, dass sicherlich der Grand Canyon darin noch Platz gefunden hätte. Selbst jemand, der über mangelhafte Menschenkenntnisse verfügte, konnte erahnen, wie stark es hinter den dichten Fransen des Wuschelkopfes arbeitete.

„Also, Sammy“, begann Dean, möglichst darum bemüht, sorglos zu klingen. „Was ist da drin passiert?“

Blaugrüne Augen lösten sich nur mühevoll aus der Starre, die von ihnen Besitz ergriffen hatte und sahen ihn an. Furcht zog über die klare Iris hinweg wie dunkle Wolken an einem soeben noch schönen sonnigen Tag und bestätigten dem älteren Winchester, dass etwas nicht logisch Erklärbares im Bad geschehen sein musste, aber plötzlich kämpfte sich der altbekannte Trotz durch und vertrieb die kürzlich noch vorherrschende Angst ähnlich eines unangekündigten Gewittersturmes, der über das Land hinwegbrauste. Sams Körper nahm eine deutliche Abwehrstellung ein, als seine Lippen sich öffneten, um der Rechtfertigung Platz zu schaffen.

Und Dean wusste, noch bevor die Worte seines Bruders ihn erreichten, dass Sam Gefahr lief, immer weiter auf den dunklen Abgrund seiner Seele zuzuwanken, den helfenden Händen, welche verzweifelt nach ihm griffen, blind ausweichend.

Memories

Nach langer Zeit habe ich mich mal wieder dazu durchgerungen, hier etwas zu posten.

Gerne würde ich wissen, was ihr von meiner FF haltet ... das widerum kann ich jedoch nur erfahren, wenn ihr mir etwas dazu schreibt.

Ich freue mich über jedes Review, sei es noch so kurz oder auch lang.

Traut euch einfach ^^
 


 

8. Kapitel: Memories
 

„Ich weiß es nicht“, kam es tonlos über Sams Lippen und er wich dem fassungslosen Blick seines älteren Bruders schulterzuckend, als ginge ihn dies alles überhaupt nichts an, rasch aus. Einen überraschten Laut ausstoßend schüttelte der kleinere Winchester ungläubig den Kopf, die Starrsinnigkeit des Hünen zum Teufel wünschend.

„Was soll das heißen, du weißt es nicht?“, bohrte er weiter, so schnell würde er sich nicht mit solch einer simplen Antwort zufrieden geben, sah doch das Badezimmer verdächtig danach aus, als hätte sich Sam auf der Flucht vor etwas befunden.

„Es heißt das, was ich bereits sagte“, gab der Jüngere jedoch patzig zurück und begann, nach Deans übermäßiger Hilfsbereitschaft aussehend wie eine lebendig gewordene Mumie, in seiner Reisetasche, die ihm Dean mittlerweile vor sein Bett gestellt hatte, nach sauberer Kleidung herumzuwühlen.

„Sam“, der Ältere griff behutsam nach dem Arm des Gemeinten, vorsichtig darauf bedacht, seinen Wunden keinen erneuten Schaden zuzufügen. Dennoch zuckte der Dunkelhaarige kurz zusammen, aber was Dean anschließend in dessen Augen las, war kein Schmerz, sondern unbändige Furcht. Mit Verwirrung geschlagen entließ der Jäger den Arm seines Bruders wieder in dessen Besitz, welcher seine volle Konzentration erneut der Auswahl seiner Kleidung widmete. Allerdings bemerkte er dabei nicht, dass er sich Dinge heraussuchte, die in etwa so gut zueinander passten wie eine schlecht gelaunte Katze in Begleitung eines tollwütigen Hundes, was, unbemerkt von ihm, durch Dean bereits kritisch und mit hochgezogenen Brauen beäugt wurde.

Ein rot-blau kariertes Hemd lag auf seinem Bett, daneben ein quietschoranges Shirt, welches er sich mal gemeinsam mit Jessica in Palo Alto gekauft hatte, mehr zum Spaß als zum wirklichen Gebrauch. Warum er es überhaupt noch besaß, wusste er nicht wirklich, genauso wenig, wieso er es aus seiner Tasche gekramt hatte.

Oder ... eventuell doch?

Vielleicht, um ihr auf diese Weise nah zu sein? Ihr fröhliches Lachen, welches über ihre Lippen gehuscht war, flüsternd aus der Ewigkeit an seinem Ohr zu spüren, nachdem er das Shirt triumphierend in den Händen gehalten hatte?

Seufzend zog er es von seinem Ruhelager wieder hinunter, nachdem ihm der an seinem Geisteszustand zweifelnde Blick seines Bruders beinahe wie ein ausgehungertes Tier angesprungen hätte und verstaute es möglichst weit unten in seiner Tasche, die Bilder seiner verstorbenen Freundin zwanghaft verdrängend. Beinahe beiläufig zog er ein blaufarbenes, nicht mit quälenden Erinnerungen behaftetes Ersatzteil hervor und schlüpfte etwas ungelenk aufgrund der vielen Verbände und Pflaster, die mit viel Mühe von Dean angelegt wurden und nicht verrutschen sollten, hinein. Die Jeans, in welche er danach den Rest seines langbeinigen Körpers verbarg, war zwar äußerst zerknittert, was an ihrem arg überstürzten Aufbruch nach ihrem letzten Fall lag, aber das war ihm gleich. Schließlich wollte er ja nicht auf einer Hochzeit tanzen.

Nachdem er einen Gürtel durch die Schlaufen am Bund seiner Hose gezogen hatte, da diese sich sonst schneller verabschiedete, als ihm lieb war, was leider auch anzeigte, dass er in letzter Zeit nicht ausreichend aß, bemerkte er erst, dass Dean ihn noch immer nach einer Antwort fordernd anstarrte.

„Was?“, fragte er gereizt wie ein Panther, der stundenlang in sengender Hitze seiner Beute gefolgt war, um diese am Ende aus den Augen zu verlieren.

„Sam, ich bin vielleicht einiges, aber eines auf keinen Fall – blöd“, entgegnete der ältere Winchester in ernstem Tonfall, der ihm eher als ungewohnt anhaftete. „Das Glas, was da in Unmengen auf dem Boden des Badezimmers liegt, zerspringt nicht einfach von Geisterhand. Jedenfalls sah es nicht danach aus“, schob er schnell nach, als er das spöttische Lächeln seines Bruders bemerkte, welches dessen Antlitz derb verzog. Nun gut, natürlich wäre so etwas sicherlich möglich, in ihrem Metier gab es fast nichts, was in das Undenkbare abdriftete, aber hier sah es einfach danach aus, als hätte Sam das Glas selbst zerstört, da es nur an einer Stelle komplett geborsten war. Und diese Stelle zeichnete zwar anfangs unscharf, aber nach ausgiebiger Betrachtung nur zu deutlich den Umriss eines menschlichen Körpers nach.

„Was ich damit sagen will ... was ist da drin passiert, Sam? Und sag nicht wieder, du hättest keine Ahnung. Ich hab doch gesehen, wie durcheinander du warst, als ich dich gefunden habe.“ Auf eine Antwort wartend sah Dean den Jüngeren bittend an, hoffte, dass er sich ihm endlich anvertraute, wie es auch auf ihrer Fahrt durch die Nacht halbwegs geschehen war. Und doch wusste er, dass dies vermutlich nicht eintreten würde, denn schon vor wenigen Stunden hatte der Wuschelkopf bereits abwehrend auf seine Frage reagiert, nachdem er schreiend aus dem Schlaf hochgeschreckt war.

Zaghafte Furchen bildeten sich auf der Stirn des älteren Winchesters, als er darüber nachdachte. Normalerweise war sein kleiner Bruder ein regelrechtes Plappermaul, klatschte ihm unverblümt und ohne Nachhaken seine Sorgen vor die Füße, sich vertrauensvoll daran klammernd, dass Dean alles wieder richtete. Und nun schien es beinahe so, als würde er, was das betraf, arbeitslos werden. Es fiel ihm ungewöhnlich schwer, damit umzugehen, fühlte er sich doch dabei, als hätte sich ein kostbares Bindeglied, das ihn unsichtbar mit Sam verband, für immer unersetzbar gelöst.

„Sam?“ Noch einmal versuchte er, zu seinem Familienmitglied durchzudringen, vorbei an all der Angst und Trauer, die wie unheilvolle Schatten die Fröhlichkeit und Unbeschwertheit vom Antlitz des Jüngeren vertrieben hatten. Aber auch vorüber an grenzenlosem Zorn und Unsicherheit führte Deans Stimme, die er jedoch gewissenhaft sanft gewählt hatte, um nicht einen erneuten Streit herauf zu provozieren. Und siehe da, die höher als in den Himmel ragende Mauer, welche Sam um sich herum errichtet hatte, begann vermeintlich zu bröckeln. Seufzend ließ er die nach oben gezogenen, angespannten Schultern fallen und betrachtete seinen älteren Bruder unter halb gesenkten Brauen nachdenklich, dabei unbewusst die zerknitterten Falten seiner Jeans glatt streichend

„Ich muss wohl ... gestürzt sein, ausgerutscht auf dem nassen Boden, denke ich“, kam es zögerlich wie ein Fuchsjunges, welches zum ersten Mal den sicheren Bau verließ, über seine Lippen gekrochen.

Es war Sam mehr als nur bewusst, dass Dean ihm diese Sache nicht abkaufen würde, nachdem er nach seiner unwahren Aussage rasch den Blickkontakt mit seinem großen Bruder unterbrach und sich lieber für seine nackten Füße interessierte, die langsam zu frieren begannen. Aber er wollte und konnte es ihm nicht sagen, nicht jetzt, nicht bevor ihn diese verwirrenden Dinge endlich verließen, ihm wieder ein halbwegs normales Leben zurückgaben. Es missfiel ihm, Dean mit noch mehr Sorgen zu belasten und sich wie ein lästiges Anhängsel zu fühlen, das den Älteren ständig zurückwarf.

Der wiederum sah plötzlich so aus, als würde er jeden Augenblick wie eine vor dem Ausbruch stehende Supernova zerbersten. Seine Augen zuckten gefährlich im Takt des eigenen Herzschlages und die für ihn bereits unnatürlich anmutende Geduld, welche er sich für den Jüngeren mühevoll bewahrt hatte, war gänzlich in den Weiten des Nirgendwo verschwunden.

Vor steigender Nervosität begann Sam seine Unterlippe mit den Zähnen zu bearbeiten wie ein gieriger Papagei seinen heißersehnten Keks, während seine nachtschwarzen Pupillen unruhig hin- und herhuschten ähnlich kleiner Mäuse, die ängstlich einen sicheren Weg an dösenden Katzen vorbei suchten. Er spürte regelrecht, wie sein Bruder um Beherrschung rang und den Kampf mit jeder dahingleitenden Sekunde mehr und mehr verlor, bis er die Hände zu zitternden Fäusten ballte und diese gehaltvoll seine Oberschenkel küssen ließ. Wutentbrannt nagelte er den Hünen mit seinen schilfgrünen, vor Tadel sprühenden Augen fest, bevor er laut tosend wie der Ozean seine Standpauke vom Stapel ließ.

„Für wie blöd hältst du mich, Sam?!“ Deans Stimme überschlug sich beinahe ähnlich eines waghalsigen Trapezkünstlers, während seine Rippen schmerzhaft, angereizt durch diesen Gefühlsausbruch, wie ausgehungerte Schakale in seine Lungenflügel bissen.

Der jüngere Winchester zuckte angesichts dieses groben Tonfalls kurz zusammen, fing sich aber rasch wieder und betrachtete seinen Bruder besorgt, der sich mit grimmiger Miene die betroffenen Stellen am Oberkörper hielt. Es grämte ihn, zu sehen, dass Dean seinetwegen nun Schmerzen erleiden musste, aber sein Verstand weigerte sich vehement, ihm die Wahrheit zu berichten, obwohl es tief in seinem Inneren regelrecht danach schrie, sich jemandem anzuvertrauen, der ihm nah stand und das war zweifelsohne sein Bruder. Dennoch presste er, gewappnet gegen jegliche weitere Überredungskunst des Älteren, sich zu offenbaren, fest die Lippen aufeinander und sah seinem Gegenüber vorbereitet in die Augen.

Dean schickte einen genervten Seufzer hinaus in die Welt, als er bemerkte, wie Sams Festung, in der er seine Gefühle sorgfältig bewahrte, kurz ins Wanken geriet, dann aber sofort erneut an Beharrlichkeit gewann. Seit dem Tod von Jessica war irgendetwas in dem Jüngeren zerbrochen wie zartes Glas, hatte einen Keil zwischen die Brüder getrieben, den Sam zwar auf einfachstem Wege hätte umgehen können, es aber zurzeit aus Gründen, die Dean nicht kannte, verweigerte. Trotz allem würde er es nicht aufgeben, dem Dunkelhaarigen die Wahrheit aus dem Leibe zu kitzeln. Zuversichtlich unternahm er einen weiteren Versuch.

„Komm schon, Sam. Im Bad war es eiskalt, ich konnte sehen, wie mein Atem in der Luft kondensierte.“ Er hielt kurz inne, wartete auf eine dementsprechende Reaktion des Angesprochenen, der es jedoch eher vorzog, sich mit voller Konzentration in sein Hemd zu quetschen, was gar nicht so einfach war aufgrund der dick gewickelten Verbände.

„Du weißt, was das bedeutet“, schob Dean ungeachtet dessen nach und rückte automatisch den nach innen gerutschten Hemdkragen seines Bruders zurecht, der während seines halb in einen Kampf ausartenden Anziehversuches ein pikiertes Murren hören ließ und das Gesagte des Älteren noch immer achtlos beiseite schob. Diese Reaktion reichte jedoch aus, um das eh halb auseinanderberstende Fass zum Überlaufen zu bringen.

Grober als beabsichtigt packte der kleinere Winchester den Hünen bei den Hemdaufschlägen und riss ihn in die Höhe, den eigenen körperlichen Schmerz, der dabei unweigerlich aufgrund seiner Verletzungen entstand, ignorierend. Sam, der dabei keinerlei Ausweichmöglichkeit besaß, wurde unvorbereitet und voller Überraschung, was diesen Ausbruch an Zorn betraf, zwischen sein eigenes Bett und Dean gepresst, der ihn ungehalten und nicht gerade leise anfuhr.

„Was glaubst du eigentlich, wer du bist?! Führst dich hier auf wie eine unzufriedene Prinzessin, die nur meint, antworten zu müssen, wenn sie sich angegriffen fühlt!“

Etwas mitfühlender, nachdem der Jüngere von einer Sekunde zur nächsten gefährlich an Farbe verloren hatte, was möglicherweise nicht nur an seinen Worten lag, fuhr Dean fort.

„Sam, ich kann mir weiß Gott nicht vorstellen, was du, nachdem, was mit Jess geschehen ist, durchmachst, aber du musst es nicht allein tun!“

Der Ältere holte tief Luft und ließ dem Gescholtenen ein wenig Freiraum, indem er den Griff an seinem Hemdkragen etwas lockerte. „Und außerdem werde ich es mir nicht mit ansehen, wie du dich deswegen total kaputtmachst! Verflucht, ich bin dein Bruder, glaubst du etwa, du könntest es vor mir verheimlichen, was mit dir los ist?“ Prüfend zwängte er seinen Blick in das Antlitz des Jüngeren und öffnete vor Erstaunen ein wenig die nach dem letzten ausgesprochenen Satz soeben noch fest aufeinander gepressten Lippen. Die blaugrünen Augen, welche Sam, um nicht zuviel an Gefühlen preiszugeben, halb unter seinen Lidern verborgen hatte, schwammen in einem Meer von mühsam zurückgehaltenen Tränen, als er sie wieder anhob.

Völlig überrumpelt, was diesen Anblick betraf, glitten Deans Finger vom Stoff des Hemdes, so dass sein riesenhaftes Familienmitglied schwerfällig mit dem Hinterteil auf das Bett in seinem Rücken fiel. Sofort bedeckten lange braunfarbene Fransen die verräterischen Empfindungen, die Sam ungewollt zutage gefördert hatte, da er den Kopf rasch senkte und lieber den Fußboden betrachtete, als das vor Bestürzung verzerrte Gesicht seines Bruders. Dieser suchte im selben Moment krampfhaft nach den richtigen Worten, um dem Wuschelkopf, der diesem gerade alle Ehre bereitete, zu bekunden, dass ihm all das sehr leid tat und er es Sammy mehr als nur gegönnt hätte, ein normales und sorgloses Leben zu führen. Doch mit demselben Atemzug wurde ihm bewusst, dass nichts und niemand seinem kleinen Bruder das zurückgeben konnte, was er für immer unwiderruflich verloren hatte, auch Deans vielleicht tröstende Zusprache, die ihm bereits schwer wie Blei auf der Zunge lag, änderte nichts daran.

„Weißt du was?“, schoss es daher mit einem Mal verhältnismäßig unbekümmert aus der Kehle des Kurzhaarigen, der sich gleichzeitig Mühe dabei gab, ein sorgloses Lächeln hervor zu zaubern. „Du musst es mir jetzt nicht sagen, wenn du nicht willst. Der Tag ist lang, die Woche ebenso und das Jahr ... du weißt schon.“

Sams Kopf ruckte leicht in die Höhe. Ein verwunderter Ausdruck heftete sich an den älteren Winchester, während der Dunkelhaarige ihn unter halb gesenkten Lidern fragend musterte.

„Und jetzt, denke ich, sollte ich mir auch mal etwas Körperpflege gönnen. Da hat man ja das Gefühl, eine Otterherde verfolgt einen die ganze Zeit.“ Prüfend sog Dean den markanten Duft ein, der vor seinem Körper ausging und verzog angewidert das Gesicht. „Buaah, ist ja kein Wunder, dass mich das kleine Sahneschnittchen links liegen lässt.“ Mit gespieltem Vergnügen stolzierte er, als sei nichts gewesen, ins Bad, vorher sich noch beiläufig seine Tasche unter den Arm klemmend, Sams ungläubige Blicke dabei unsichtbare Löcher in seinen Rücken brennend.

Dort angekommen sprang ihm sofort das Chaos der unfreiwilligen Zerstörung ins Gesicht und er trat reflexartig einen Schritt zurück, damit seine nackten Füße nicht schmerzhafte Bekanntschaft mit den unzähligen Scherben am Boden machten.

„Okay, duschen fällt heute aus“, krakelte er aus dem Bad und begann das Splittermeer mit der Klobürste, die glücklicherweise gereinigt war, in eine Ecke des Raumes zu kehren. Mit dem bereits halb getrockneten Blut, das sich wie eine Landkarte auf den Fliesen ausgebreitet hatte, konnte er zwar nicht genauso verfahren, aber ein mit kaltem Wasser benetztes Handtuch tat es ebenso.

„Nun gut, wozu haben wir ein Waschbecken?“, ließ er seine Stimme weiter verlauten, nachdem er das Handtuch in den Wäschekorb geworfen hatte. „Schließlich gibt es nichts auf der Welt, womit ein Dean Winchester nicht fertig wird.“ Eine Katzenwäsche musste in diesem Fall ausreichen und was seine Haare betraf, die waren eh so kurz, dass er sie auch unter einen Wasserhahn gequetscht waschen konnte.

Und was Sammy betraf – da musste er einfach abwarten.

Diese Taktik hatte ihr Dad stets angewandt, nachdem sein Bruder in das schwierige und äußerst nervenaufreibende Alter gekommen war, in dem man oft und gerne seine Probleme, die einen belasteten, für sich behielt. John hatte das trotzige und launenhafte Verhalten seines jüngsten Sohnes einfach ignoriert, nachdem ihm die Nachfragerei zu anstrengend und zeitaufwendig geworden war. Stattdessen überging er die exzentrischen Ausflüge seines Nesthäkchens stets mit zu guter Laune, bis diesem die Hutschnur platzte, da es niemand ernst nahm und seinem Vater geschlagen und wütend über die gebrochene Abwehr alles vor die Füße knallte.

Es gab halt auch weniger anstrengende Methoden, das zu erreichen, was man anstrebte.

„Siehst du, Sam?“, gurgelte Dean aus dem Bad hervor, während sein Kopf halb im Bauch des Waschbeckens verschwunden war. „Das klappt doch wunderbar.“ Dass er dabei den Fußboden in einen seichten Pool verwandelte und sich selbst beinahe die Halswirbel ausrenkte, überging er geflissentlich.

Die schrägen Gesänge beim allmorgendlichen Haare waschen, welche anschließend an Sams Ohren schallten und in etwa so klangen, als würde eine Meerjungfrau im Stimmbruch gerade ertrinken, hellten die trübsinnigen Gedanken, denen der jüngere Winchester noch immer nachhing, allerdings kein wenig auf. Ihm war bewusst, was sein Bruder mit dieser Aktion bezweckte; er erinnerte sich noch allzu gut an die unzähligen Male, die sein Vater mit ihm auf demselben Weg verbracht hatte, um an ihn heranzukommen. Und wie leicht war er jedes Mal zu brechen gewesen.

Aber nun war alles anders. Das Erlebte der vergangenen Wochen hatte den Dunkelhaarigen zu einem vollkommen anderen Menschen werden lassen. Seine heile Welt, die er sich selbst mühevoll errichtet hatte, war in einen niemals zu kittenden Scherbenhaufen zusammengestürzt. In ihm drin schrie es unbändig nach dem Willen, Dean alles zu erzählen, was ihm schwer wie Blei auf der Seele lag und diese wie eine dunkle Wolke vergiftete. Von dem Gefühl, dass man einen Teil seines Herzens brutal herausgerissen hatte, ohne hinterher die klaffende Wunde zu versorgen. Von den schrecklichen Bildern, welche die letzten Minuten in dem viel zu kurzen Leben seiner Freundin zeigten, die ihn Nacht für Nacht unbarmherzig verfolgten. Und nun, seit sie hier waren, von den neuen, noch weitaus furchteinflössenderen Träumen und – wie Sam sie schon vorsichtig zu nennen wagte – Wahnvorstellungen, denen er schutzlos an einem Ort begegnet war, an dem man sich normalerweise sicher fühlte.

Aber er konnte es nicht.

Wollte es nicht.

Weigerte sich regelrecht.

Etwas anderes war bei weitem bedeutsamer, als seine verworrenen Empfindungen, mit denen er lernen musste, alleine umzugehen. Ihren Dad zu finden und den Dämon zur Strecke zu bringen stand an erster Stelle, seine Belanglosigkeiten, wie er sie dumpf einstufte, konnten warten.

Deans gute, aber leider nur gespielte, voller Scherzen steckende Laune ließ den Hünen tief in Schuldgefühle gegenüber seinem Bruder stürzen, der es doch nur gut mit ihm meinte und sich nichts sehnlicheres wünschte, als dass seine kleine große Nervensäge endlich aus der quälenden Lethargie erwachte.

Unweigerlich tauchte plötzlich das Gesicht eines viel jüngeren Dean vor ihm auf, stummer Vorwurf spiegelte sich in seinen schilfgrünen Augen wider, aber auch Verständnis und eine sanfte Spur von Mitempfinden. Er selbst musste den Kopf in den Nacken legen, um den damals Größeren überhaupt ansehen zu können. Ein Kätzchen lag in Sams Armen, sie maunzte kläglich und ihre Glieder lagen in unnatürlicher Konstellation zu ihrem zarten Körper. Blut quoll aus dem einst silbriggrauen Fell hervor und hinterließ dunkle Flecken auf dem Shirt des Jungen.

Er erinnerte sich. Das bemitleidenswerte Tierchen hatte am Straßenrand eines Motels gelegen, in dem sie für ein paar Tage untergekommen waren, wie weggeworfen und nicht mehr gewollt. Sam hatte es liebevoll aufgeklaubt und zu seinem großen Bruder gebracht. Dean bekam alles wieder hin, davon war er damals fest überzeugt gewesen.

Aber es war dann doch alles anders verlaufen und hatte die naive Welt eines zu jener Zeit Sechsjährigen tüchtig ins Wanken gebracht.

„Sammy ...“, die Worte des Älteren erklangen noch so frisch in seinen Ohren wie der süße Tau in der Morgendämmerung das Grün der Natur kitzelte. „Du kannst sie nicht behalten, sie ist sehr krank.“ Behutsam versuchte der sommersprossige Junge dem Kleineren zu erklären, dass das arme Ding sich nie wieder in den wärmenden Sonnenstrahlen des nächsten anbrechenden Tages wohlig würde räkeln können.

„Dann müssen wir ihr erst recht helfen“, entschied Sam dagegen äußerst hartnäckig und drückte das winzige Wesen sachte und schutzgebend an seine Brust, als sich ihr die Hände seines Bruders näherten, um sie von ihm fort zu nehmen. Dem entwich ein resigniertes Seufzen, nachdem er beobachtete, wie sein jüngeres Familienmitglied mit der Katze im Bad verschwand. Niedergeschlagen ließ er sich in den alten, feinen Staub aufwirbelnden Sessel fallen, der in ihrem Zimmer direkt vor dem Fernseher postiert war, bis er plötzlich das Geräusch einer sich öffnenden Reisetasche vernahm. Sofort sprang er aus dem Möbelstück hervor und lief ins Bad. Dort prallte er beinahe mit seinem Bruder zusammen, der einen Verband und Pflaster aus der Notfalltasche ihres Vaters hervorgeholt hatte, welcher diese stets bei seinen Jungs ließ, wenn er allein auf die Jagd ging. Ertappt versteckte der Kleine seinen Fund hinter dem Rücken und schielte, die Zähne entschlossen in der Unterlippe vergrabend, zu Dean hinauf, der hilflos die Schultern hängen ließ, nachdem ihn der bittende Welpenblick wie ein brennender Pfeil mitten ins Herz traf.

„Sam, was machst du da?“, fragte der größere Winchester überflüssigerweise und mit einem leisen Tadel in der Stimme, während seine Augen nicht nur über den dunklen Schopf seines Bruders wanderten, sondern ebenso den arg gebeutelten Leib des verletzten Tieres streiften, welches der Kleinere mit einem Handtuch auf den Toilettendeckel gebettet hatte.

„Das siehst du doch“, antwortete der Angesprochene trotzig und hockte sich mit warmherzigem Blick neben seinen neuen Freund. „Ihr helfen, was sonst? Wenn du es nicht willst, dann werde ich es halt tun.“ Gesagt, getan begann er damit, den Verband anzulegen, obwohl der Körper der Katze eine einzige große Wunde war. Aber ihr Dad ging bei ihnen genauso vor, wenn sie sich weh getan hatten und sobald einige Tage vergangen waren, war nichts weiter zu sehen, als eine kleine helle Narbe.

Müde rieb sich Dean seine schmerzenden Augen und beugte sich zu dem Jungen mit dem nussbraunen Haar hinunter, der verzweifelt versuchte, das hervorsickernde Blut durch die Verbände zu stoppen, aber seine Hände, die mit dem Wickeln so rasch gar nicht nachkamen, hatten sich bereits wieder hellrot gefärbt.

„Sieh mal, kleiner Bruder“, begann er und legte tröstend eine Hand auf Sammys Schulter, die sich sofort verkrampfte. „Für manche Wesen kommt die Zeit eher als für andere und die kleine Lady da ist bald an einem Ort, wo sie es gut haben wird, ohne Schmerzen und Angst. Lass sie gehen.“

Aber Sam fuhr wie von einer Kobra gebissen herum, riss das wimmernde Bündel Fell voller Verzweiflung an sich und wich vor Dean in die hinterste Ecke des Raumes zurück. „Nein!“, schrie er dabei, als bemerkte, wie ihm der Ältere alarmiert hinterher stürzte und presste sich noch weiter in die kleine Nische, die eine Seite des Gesichtes an die kalten Fliesen gelehnt. „Nein! Nein! Lass mich!“

„Sammy ... bitte ...“, appellierte Dean an die doch schon recht ausgeprägte Vernunft seines kleinen Bruders und bewegte sich langsam auf ihn zu, die Hände zu einer beruhigenden Geste ausgestreckt. „Komm, ich weiß, dass das schwer ist, aber du tust ihr nur noch mehr weh.“ Der Junge mit dem frechen Stoppelhaarschnitt wand sich wie ein gefangenes Tier im Griff der Jäger unter Sams atemlosen Schluchzern. „Gib sie mir, bitte, ich verspreche dir, ich werde es schnell machen, damit sie nicht weiter leiden muss. Okay ... Sam?“

Aber sein kleiner Bruder schien von alldem, was Dean ihm entgegenbrachte, nichts wahrzunehmen. Stattdessen wirkten seine tränenumfluteten Augen leer und stumpf wie eine alte Konservendose und starrten, ohne wirklich etwas zu sehen, an dem Älteren vorbei.

„Warum geht immer alles, was ich lieb hab, fort?“, weinte er leise und drückte sein Antlitz in das Fell des sterbenden Tieres. „So wie Mum ... .“ Dann ruckte sein Kopf in die Höhe und sein Blick, plötzlich wieder klar und rein wie ein Gebirgssee, traf den seines großen Bruders. „Du und Dad ... geht ihr irgendwann auch einfach weg und lasst mich allein?“ Seine schmalen Schultern bebten bei diesen Worten so sehr, dass der ganze kleine Leib so durchgeschüttelt wurde, als würde jemand Fremdes an dem Sechsjährigen rütteln.
 

~~~~~~~~~~~~~
 

Sam wusste noch zu gut, wie Dean damals auf diese Frage reagiert hatte. So bleich hatte er seinen Bruder nur erlebt, wenn dieser einmal krank gewesen war. Wortlos und schwankend wie ein Betrunkener hatte er das Badezimmer verlassen, sich Töpfe aus den Schränken geschnappt und etwas von Essen machen gestammelt. Und dann, während Sam im Bad die kleine Katze schluchzend auf ihrem Gang aus dieser Welt begleitete, fing Dean an, erst zaghaft, später überzeugender, Scherze während seiner kläglichen Kochversuche zu reißen. Aus dem Radio dudelte kraftvoll Metallica, was der ältere Junge aus vollem Halse mitschmetterte und wie ein Darsteller am Broadway dazu durchs Zimmer fegte. Erst, als seine wachsamen Augen nach einer Weile es wieder wagten, nach seinem Bruder zu sehen, versagte ihm der aufgesetzte Humor und er ließ hilflos den Kochlöffel zu Boden gleiten, Sammy dabei beobachtend, wie er weinend das fellbedeckte Wesen aus seinem Griff entließ und sich, die Beine mit den Armen fest umschlingend und die Stirn auf seine Knie gelegt, neben sie setzte und dabei seinen Körper hin- und herschaukelte.
 

~~~~~~~~~~~~~~
 

„Hoffentlich ist der nächste Diner nicht meilenweit entfernt. Ich habe einen Monsterkohldampf.“

Die nach Nahrung gierende Stimme seines nimmersatten Bruders riss Sam aus den unerfreulichen Kindheitserinnerungen, die wie dichter undurchdringlicher Nebel seine Gedanken umhüllt hatten und von diesen nur quälend langsam abließen. Fahrig fuhr er sich mit den Fingern über den Oberkörper, um die Knöpfe seines schief und krumm sitzenden Hemdes zu schließen und erstarrte mit einem Male.

Diese Worte … die Worte, denen er als Kind keinerlei weitere Beachtung geschenkt hatte, waren ihm nicht nur damals unüberlegt aus der Kehle entwichen. Erst gestern hatte er sie Dean in seiner Verzweiflung während der Autofahrt durchs schneebedeckte Niemandsland erneut an den Kopf geworfen, sich ihrer Bedeutung für den Älteren keineswegs bewusst, auch, wenn er sie im Zusammenhang weitaus anders gewählt hatte, als an jenem Tage, an dem Sam gewahr wurde, dass man nicht jedes Leben, welches man auserkoren hatte zu retten, bewahren konnte.

Genau, wie er das von Jessica nicht hatte erhalten können für all die, in deren Herzen sie einen Platz gefunden hatte.

Der dicke, unangenehm an den Wänden seines Halses scheuernde Kloß, welcher sich in den vergangenen Minuten ungefragt in seinem Inneren breit gemacht hatte, platzte ohne Vorwarnung auseinander wie ein zu prall aufgeblasener Luftballon. Er fühlte, wie salzige Tränen unaufhaltsam seine Augen füllten, um sich in Scharen wie eine durch übermäßigen Regen abgehende Lawine sein Antlitz hinab zu stürzen. Unbeholfen strich er das klare Nass aus seinen Lidern hinfort, nur, um daraufhin festzustellen, dass es bereits wieder Nachwuchs gezeugt hatte, welcher nun zart und lautlos seinen Weg bestritt.

Jegliche Müh, diese gut verborgenen Emotionen, die ihn in letzter Zeit beinahe den Verstand hatten verlieren lassen, vor seinem Bruder geheim zu halten, war in sich zusammen gesackt wie ein baufälliges Haus. Völlig wehrlos spürte er, wie sich atemlose Schluchzer aus ihrem Gefängnis wühlten und beinahe seine Lunge sprengten, während er versuchte, sie aus Scham zu unterdrücken. Er wollte nicht, dass Dean ihn so sah, so schwach, so völlig unbeherrscht, was seine Gefühle betraf. Sein Bruder hatte sich diesbezüglich weitaus besser im Griff, verstand es, solche Empfindungen, die einen als verweichlicht darstellen könnten, zu verdecken.

Sam keineswegs.

Seit Jessicas Tod flossen die Tränen manchmal schneller, als ihm lieb war. Sie erschienen so überraschend und unangemeldet wie ein unwillkommener Nachbar, bei dem es einem angenehmer wäre, nur dessen Rückenansicht zu genießen.

So wie auch jetzt.

Zitternd wischte sich der jüngere Winchester die Tränen aus seinem mittlerweile leicht geröteten Gesicht, den Oberkörper etwas abgewandt vom Badezimmer, in dem sein Bruder noch immer fröhlich plappernd herumwirbelte. Er hasste es, dass er sich nicht besser unter Kontrolle hatte und es dem Älteren nicht gleichtun konnte. Wieso war es ihm nicht möglich, ebenso eine Rolle zu spielen wie Dean? Die Sorgen beiseite zu kehren und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren? Lag es etwa daran, weil sein Familienmitglied seit seiner Kindheit in dieses Schema gepresst worden war?

Beschütze Sammy, egal, was passiert.

Die mahnenden Worte ihres Vaters an Dean hatte Sam oft vernommen. Aber er war kein kleiner Junge mehr, wollte nicht ständig beschützt werden. Und was sollte das eigentlich immer? Egal, was passiert? War sein älterer Bruder denn etwa nicht wichtig? Wie oft hatte er es miterleben müssen, wie Dean seinetwegen in große Gefahr geraten war, nur, um ihn, den Jüngeren, vor Schrecklichem zu bewahren. Dean hatte dies stets mit einem Lächeln auf den Lippen und ohne weiter nachzudenken getan, seinem Kleinen versichernd, dass alles wieder gut werden würde.

Aber war es das wirklich?

Wenn er recht überlegte, hatten Dean und ihr Vater alles für ihn getan und er hatte es ihnen oft nur mit unzufriedenem Geschmolle oder sogar mit handfesten und lautstarken Auseinandersetzungen gedankt.

Und jetzt saß er hier und heulte wie ein kleiner Junge, dem man das Spielzeugauto im Kindergarten gestohlen hatte. Wie erniedrigend.

Aber dennoch wirkte es auch irgendwie befreiend. Er hatte das Gefühl, dass mit jeder Träne, welche aus seinen Augenwinkeln floh, auch ein Teil der Düsternis, die sich seiner bemannt hatte, verschwand. Zwar kämpfte er noch immer gegen diesen Zustand, in den er zweifelsohne unfreiwillig gerutscht war, an, konnte aber gleichzeitig eine gewisse Wohltat, die sich wie Balsam auf seine Seele legte, nicht leugnen. Aber dem ungeachtet zerriss ihn diese Gegebenheit beinahe in zwei Teile. Ihm war, als stritten zwei Seiten in seinem Inneren um die unanfechtbare Vorherrschaft, die beide mit einem sicheren Triumph erringen wollten. Dummerweise würde niemand als Sieger oder Verlierer daraus hervorgehen, solange er keiner der beiden Kontrahenten genug an Beachtung schenkte.

So versuchte er weiterhin, die kehligen Schluchzlaute, welche sich aus den dunklen Tiefen seines Körpers heraufwühlten wie unverdaute Nahrung, mäßig erfolgreich zu unterdrücken, um parallel dazu den drohenden Schatten zu entrinnen, die wie unsichtbare Geier seinen arg mitgenommenen Geist umkreisten.
 

Dean gab den winzigen Plagegeistern, die in den dunklen und feuchten Ecken jedes Bades lebten, egal, wie sauber man dieses auch halten mochte, seine famoseste Glanzleistung eines Witze reißenden Komödianten. Hätten sie Hände zum Applaudieren besessen oder ein Hirn, welches von der Größe nicht einem Staubkorn glich, sie wären sicherlich bei seiner Eindruck schindenden Vorstellung vor Begeisterung ausgerastet.

Weitaus beruhigter und zufriedener hätte sich der ältere Winchester jedoch gezeigt, wenn ein viel größerer Plagegeist, den er schon seit dessen Geburt ständig am Wickel hatte, im positiven Sinne von seinem vor Scherzen überquellendem Einfallsreichtum angetan wäre. Aber von seinem jüngeren Bruder war kein Ton überschwänglicher Freude, hervorgerufen durch seinen unvergleichlichen Ulk, zu ihm durchgedrungen. Seufzend ließ er das Schlafzimmer fürs erste noch außen vor; vielleicht benötigte Sammy einfach etwas mehr Zeit, um sich seiner selbst bewusst zu werden.

Wenn Dad nur hier wäre ... er hätte Sammy aus dieser Lethargie gerissen, ohne dabei auch nur ein Fünkchen an Kraft zu verschwenden. Dean fühlte sich nach diesem Alleinunterhalter-Auftritt so ausgelaugt wie das Opfer einer Striga. Doch was ihn am meisten wurmte, ließ ihn in tiefste Grübelei gleiten.

Warum konnte er nicht einfach auf den Jüngeren zugehen und das tun, was er stets als großer Bruder tat?

Für ihn da sein, wenn er ihn brauchte.

Was hielt ihn davon ab, hinderte ihn regelrecht daran?

Nachdenklich ließ er sich in die Hocke vor Sams noch feuchten Kleiderhaufen sinken und wickelte diesen aus dem Handtuch, um die gigantischen Sachen seines Bruders in den Seesack für die Waschmaschine zu befördern. Dabei streifte sein Blick die kaum noch erwähnenswerten Blutflecken, welche vor wenigen Stunden noch in einem kraftvollen Rot nicht nur am Stoff ihr beängstigendes Aussehen zum Besten gegeben hatten. Schlagartig und ohne sich dagegen zur Wehr setzen zu können, erschien das schockierende Bild Sams kurz nach dem Unfall wieder vor seinen Augen. Unendlich blass und mit geschlossenen Lidern saß er in sich zusammengesunken im Beifahrersitz des Impalas, so hilflos und angreifbar hatte ihn Dean noch nie gesehen und die bereits überwundene Furcht vor dem Unausweichlichen stieg erneut in ihm auf wie bittere Galle.

Für den Bruchteil einer Sekunde hatte er sich blauäugig der Unachtsamkeit ausgeliefert, was einem von Beiden mehr als nur diese Verletzungen hätte kosten können.

Aufgewühlt schüttelte er den Kopf, als versuchte er, die in seinem Hirn eingebrannten Erinnerungen an den Unfall wie lästiges Ungeziefer fortzuschleudern. Aber wie verbissen er sich auch bemühen würde, er wusste, dass diese Aktion ein von Misserfolg gekröntes Unterfangen bleiben sollte. Selbst heute sah er noch in manchen Nächten vor dem nicht immer mühelosen Einschlafen die Bilder jener Nacht vor sich, welche ihn brutal und ohne Rücksicht walten zu lassen aus seiner heilen Kinderwelt mit einer liebevollen Mutter, einem überglücklichem Vater und einem sorglosen kleinen Bruder gerissen hatten. Manches Mal spürte er sogar die enorme Hitze der Flammen auf seiner Haut brennen, während er in seiner Erinnerung erneut Sammy ins Freie trug, von der damaligen festen Überzeugung besessen, ihr Dad käme jeden Augenblick mit ihrer Mum im Arm hinterher.

Aber John verließ allein das Haus.

Und irgendwann hatte Dean aufgehört zu fragen, warum Mary nicht mehr wie sonst jeden Abend vor dem Schlafengehen an ihren Kinderbettchen stand, um ihren beiden Söhnen liebevoll über den Kopf zu streicheln und ihnen einen sanften Kuss auf die Wange zu hauchen.

Ein ersticktes Schluchzen aus dem Nebenraum verwischte die lebhaften Erinnerungen wie plötzlich aufkommender Wind den sich ausbreitenden Rauch eines Feuers. Verwirrt blinzelte Dean gegen das Bild an, welches ihm sich nach diesem unerwarteten Geräusch plötzlich bot. Ein kleiner Junge mit haselnussbraunem Schopf saß mit angezogenen Beinen auf seinem etwas windschiefen Motelbett. Die verwuschelten Strähnen hingen ihm wie wilde Efeuranken über den Knien, hinter denen er sein Gesicht verborgen hatte, über das heiße Tränen liefen.

„Warum haben alle anderen Kinder eine Mami, nur wir nicht?“, hatte er von Dean wissen wollen. „Haben wir etwas Schlimmes getan, weil sie nicht mehr bei uns ist?“

Den Älteren hatte es damals beinahe das Herz gebrochen, nachdem Sammy ihm diese Fragen gestellt hatte. Selbst war er nicht imstande dazu gewesen, seinem kleinen Bruder eine möglichst plausible und gleichzeitig schonende Form bezüglich des grausamen Ablebens ihrer Mutter zu präsentieren; dafür war er mit seinen zu jener Zeit gerade mal acht Jahren einfach nicht bereit gewesen. Ihr Dad hatte sich dieser angenommen, hatte seinem Jüngsten eine Version geliefert, auf die er noch einige Jahre lang zurückgriff, sofern ihn mal jemand mit sensationsheischendem Mitleid danach fragte.

Bis hin zu jenem Abend im Dezember, kurz vor der Weihnachtsnacht, in der Sam dank Dean nicht nur erfuhr, dass der Weihnachtsmann erstunken und erlogen war, sondern auch, dass die Monster aus seinen Träumen tatsächlich, wenn auch etwas abgeändert, existierten und ihre Mum auf dem Gewissen hatten. Wenn auch nicht direkt aus dem Mund seines großen Bruders.

Dean hatte noch immer ein ungutes Gefühl in der Magengegend, wenn er daran zurückdachte. Wie Sam an das Tagebuch ihres Vaters gelangt war, wusste er bis heute nicht, nur, dass er es irgendwie gefunden hatte und seine Nase solange darin vergraben hatte, bis er alles wusste, was er und John vor ihm geheim gehalten hatten, einschließlich den Umständen um Marys Tod. Dem älteren Winchester wäre wohler dabei gewesen, sein Bruder hätte noch einige Jahre in seiner naiven Kinderwelt verbracht, in denen die Wesen, die sie nun schon lange jagten, nur Ausgeburten zu lebhafter Fantasie waren und nicht direkt der Hölle entstiegen. Seit diesem Tage an war Sam einer von ihnen, ein Wissender, dessen Neugierde um das Übernatürliche anfangs fast beängstigende Ausmaße annahm. Und später, nachdem John auch den Jüngeren das Drill-Programm zum Zweck des täglichen Überlebenskampfes hatte durchlaufen lassen, ein Jäger, wenn auch zu Beginn nur aus sicherer Entfernung, bis er alt genug war, um sich selbst den Kreaturen zu stellen, von denen eine gewiss seine Mutter getötet hatte.

Doch diese anfängliche Begeisterung, jemand Besonderes zu sein, der den ahnungslosen Menschen ihre persönlichen Dämonen vom Hals schaffte, hielt nicht lange an. Zu sehr litt Sam daran, immer wieder die Schule zu wechseln, nie richtige und dauerhafte Freundschaften schließen zu können. Und, was für ihn sicherlich am wichtigsten war, er jedoch nie und ohne dabei den Bruch mit seiner Familie zu riskieren, erlangen würde: Ein ganz normaler Mensch zu sein.

Dean hatte das nie wirklich gestört, er war seit jener Nacht in dieses neue Leben mit hineingewachsen, hatte das alte hinter sich gelassen, aber die schönen und kostbaren Momente mit seiner Mutter für immer in einem unantastbaren Teil seines Herzens bewahrt. Sicher hätte er Sammy ein anderes Leben gewünscht – seines war einfach Schicksal gewesen und ließ sich nicht mehr abwenden – aber ihm war damals trotz allem nicht wohl dabei gewesen, nachdem der jüngere Winchester ihren schützenden Kreis verlassen hatte, um zu studieren. Wie oft hatte er sich die schrecklichsten Dinge ausgemalt, seit sein Bruder in dieser Zeit fort war?

Verschleppt und ausgesaugt von einer Vampirsippe, die Rache an den Winchesters üben wollten, da diese ihre halbe Brut ausgerottet hatten; von einem Dämon gefoltert, den sie ebenfalls mit allen Regeln der Kunst verhört hatten, bis hin zur drohenden Austreibung; in den Tod gerissen von einem Werwolf, dessen Partnerin sie mit einer Silberkugel vernichtet hatten.

Wäre sein Dad nicht regelmäßig in Stanford, natürlich unerkannt, vorbeigefahren, um sich mit eigenen Augen nach dem Wohlbefinden seines Jüngsten zu erkundigen, Dean wäre vermutlich vor Sorge umgekommen, auch, wenn er dies gegenüber Sam nie zugegeben hätte, sondern dann eher von John sprach, als von sich, dem es ja nicht anders ging.

Weitere Laute drangen durch sein Bewusstsein zu ihm vor, welches sich weiterhin ungewollt der Vergangenheit hingegeben hatte. Es klang wie eine kleine hilflose Katze, die hoffnungslos versuchte, Haarbüschel aus ihrem Inneren hervorzuwürgen und diesen aussichtlosen Kampf mit den ungewollten Untermietern verlieren würde.

Hartnäckig schüttelte Dean nochmals sein Haupt, um wieder Herr über seiner selbst zu werden und die oft traurige und entbehrungsreiche Zeit seiner Kindheit hinter sich zu lassen, als er mit einem Mal bemerkte, dass er Sams klamme Kleidung wie ein schutzbedürftiges Baby an sich gepresst hatte.

Wie in jener Nacht ... .



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Kommentare zu dieser Fanfic (15)
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Von:  Sky2
2010-11-23T19:11:37+00:00 23.11.2010 20:11
hallo du,
ich freu mich sehr das du wieder ein kapitel hochgeladen hast!
ich mag deine ff und vor allem deinen schreibstil echt gerne!
die geschichte wirkt bei dir irgendwie immer so lebendig!
deshalb kann ich auch beim besten willen nicht verstehen, warum nicht mehr leute kommis schreiben!
*schulterzuck*

die kindheitserinnerungen waren sehr schön geschrieben und haben sich wirklich super in die geschichte eingefügt!
ich kann nur sagen mach weiter so!
lg sky
Von:  Nochnoi
2010-06-29T16:33:18+00:00 29.06.2010 18:33
Hey!
Ich hatte dir ja versprochen, deine Story zu lesen, bin aber bisher leider nie wirklich dazu gekommen. Doch heute hatte ich mal nen freien Tag, hab mir dann gleich was Freizeit gegönnt und hier mal reingeschnuppert ^^
Und es lohnt sich wirklich!

Schon allein dein Schreibstil ist toll! Du schaffst es wirklich, die Situation einzufangen und zu umschreiben, ohne dich aber gleichzeitig in irgendwelchen langen Beschreibungen zu verlieren. Man bekommt einen guten Eindruck von der Lage und kann sich super hineinfühlen ^^
Außerdem finde ich es sehr schön, dass du nicht sofort mit der Tür ins Haus fällst, sondern es gemächlich angehst. Das tun ja leider nur die wenigsten ...

Und auch die Charaktere triffst du klasse!
Ob es jetzt deine eigenen sind wie die zwei süßen Brüder aus dem Prolog, die man sofort in sein Herz schließt >.< Traurig, dass Danny verschwindet und einen völlig verzweifelten Blake zurücklässt. Ich hätte ihn am liebsten in den Arm genommen und ihm gesagt, dass alles wieder gut wird, weil sicher schon bald die Winchesters auftauchen ;)

Und dann natürlich sofort zu unseren zwei Jungs: Die hast du wirklich 1A getroffen!
Sam mit seiner leichten Ungeduld (oder eher Besessenheit ;p), ihren Vater zu finden und den Dämon zu töten, der ihre Mutter und Jessica auf dem Gewissen hat, und Dean, der sich trotz alledem das Essen nicht verderben lassen will, dessen Jägerinstinkte sich aber sofort melden, als er das seltsame Verhalten der Cafe-Besucher bemerkt. Ich an seiner Stelle hätte auch das Weite gesucht, obwohl ich bei dieser Wetterlage doch leicht besorgt bin, dass ihnen was zustoßen könnte. Oder noch schlimmer: Dem Impala O.o

Ich bin auf jeden Fall sehr gespannt, wohin uns die Geschichte führt, und ich hoffe, dass ich bald mal wieder was Freizeit habe, um weiterzulesen xD

Liebe Grüße
Nochnoi
Von:  Sky2
2010-03-25T21:51:17+00:00 25.03.2010 22:51
hey, schön das du wieder da bist!
hab mich sehr gefreut, als ich gesehen hab das du ein neues kapi on gestellt hast!!
^^

sams traum am anfang war ja wirklich der hammer! wie du das ganze beschrieben hast...wahnsinn!!
und dean kommt nicht alleine aus seinem bett, irgendwie eine lustige vorstellung!!
*gg*
aber was ist denn mit sam los? da muss man sich ja sorgen machen, ich kan dean schon verstehen!

ich bin schon sehr gespannt wie es weiter geht!!
mach weiter so, war wieder ein super kapi!
bis dann
lg sky
Von:  DoctorMcCoy
2010-01-15T13:01:27+00:00 15.01.2010 14:01
So, erstmal muss ich nochmal loswerden, dass ich immer mehr von deinem Schreibstil begeistert bin. Einfach grandios, wie du schreibst. Du benuztst viele schöne Umschreibungen, aber auch nicht zuviel, sodass es langweilig werden würde.

Die ganze Szene während der Fahrt war toll. Eine klassische Winchester-Autofahrt, wenn man mal vom Schnee absieht, was in den Folgen bisher, glaube ich, noch nicht vorgekommen ist. Wie sie erst relativ normal miteinander reden und die Situation dann immer heikler wird. Man kann förmlich den Ausbruch des Streites mitverfolgen. Also sehr schön gemacht.
Was ich auch besonders süß fand, war die Szene mit dem Käptain. Mal ein bisschen Kindereien. Trifft die Brüder sehr gut.
Auch und dafür nochmal ein großes Lob. Du triffst die beiden so genau, dass es schon fast wieder unheimlich ist. Was sie sagen, ihre Bewegungen und Gesten. Einfach klasse.
Besonders die Stelle, wo sich Sam am Anfang entschuldigt und Dean meint, er hätte rein gar nichts gehört. Wie er dann mit dem Finger auf sein Ohr zeigt. Das war so typisch Dean.

Aber jetzt zum Schluss des Kapitels. Also eigentlich sollte ich mir ja um Sam Sorgen machen - was ich natürlich auch tue - aber ich habe genausoviel Angst um dem Impala (ich kann Dean da voll und ganz verstehen).
Cool war der Schluss irgendwie schon. Wie Dean sich erstmal Sorgen um sein Baby macht und dann merkt, dass Sam nicht antwortet. Alles sehr schön dargestellt. Auch dieser letzte Deantypische Schrei nach Sam war klasse.

Bin dann schonmal sehr gespannt, wie es weitergehen wird. Und ob es Sam und dem Impala wieder besser gehen wird.
LG
Lady_Sharif
Von:  DoctorMcCoy
2010-01-13T11:23:09+00:00 13.01.2010 12:23
Super Einstieg in die Geschichte. Es ist nicht so plötzlich, sondern lässt es schön langsam angehen. Das gefällt mir sehr gut. So kann man sich viel besser in die Geschichte einfinden.
Die Szene war sehr typisch für die beiden Jungs und du hast sie übrigens super getroffen. Das hätten wirklich Sam und Dean sein können. Der ganze Streit da im Cafe war wirklich super beschrieben. Als ob man genau neben den Jungs gesessen hätte.
Der Umschwung von den Leuten war aber auch allzu deutlich. Ich glaube, Sam sollte noch ein bisschen mehr trainieren, um so etwas zu erkennen. Aber gut, dass die Dämonen die beiden nicht mit Gewalt dort halten sollten. Sonst hätten sie ein Problem gehabt.
Gut für Sammy, dass sein Bruder so gut aufpasst und auch dementsprechende Maßnahmen ergreift.
Die Szene zum Schluss hat mir auch irgendwie am Besten gefallen. War irgendwie cool.
Wir lesen uns im nächsten Kapitel.
LG Lady_Sharif
Von:  DoctorMcCoy
2010-01-12T11:21:10+00:00 12.01.2010 12:21
So, bin gerade mal wieder voll im Supernatural-Fieber und habe dann direkt mal die FFs durchforstet. Nur leider sind das ja fast alles Wincest-Dinger, die ich überhaupt nicht ausstehen kann.
Und dann bin ich auf deine gestoßen. Schöne Kapitellängen, gute Beschreibungen und ich konnte nicht mehr anders als zu lesen.

Und was für ein Glück, es ist sogar eine richtig fantastische FF. Dein Schreibstil ist toll. Wie du alles langsam beginnen lässt und in die Geschichte einführst. Man bekommt ein richtig schönes Bild von den Kindern. Besonders die beiden Brüder sind einfach zum Knuddeln.
Je weiter ich gelesen habe, desto lieber habe ich sie gewonnen und nur gedacht, hoffentlich verschwindet keiner von den beiden. Hoffentlich erst einer von den anderen Kids. Aber nein, du muss einen direkt quälen.
Mir tat Blake so unendlich leid, wie er da stand und so verzweifelt nach seinem Bruder geschrien hat. Hat mich ein bisschen an Dean erinnert^^

Es hat mich auch gar nicht gestört, dass Dean und Sam nicht dabei waren, immerhin ist das ein Prolog und da sind sie ja so gut wie nie dabei.
Bin dann mal gespannt, wie es weitergeht. Komme aber wahrscheinlich erst in den nächsten Tagen dazu, weiterzulesen.
LG Lady_Sharif
Von:  Sky2
2009-10-23T20:05:11+00:00 23.10.2009 22:05
wie jetzt??
*nochmalnachguckengeht*
ein kapi speziell für mich?? echt jetzt? und dann auch noch über 15 seiten!?!
wahnsinn.......^^
danke schön!!
*dichganzdollzurückknuddelntu*
^^
das freut mich jetzt tooootal!!!!
*gg*

und jetzt zum kapi (also dem eigentlich wichtigen^^)
wirklich klasse! ich frage mich wo du die ganzen ideen bzw. vergleiche immer her hast!?
finde ich echt beeindruckend, niemals würde mir sowas einfallen!!!

Und die beiden können die streitereien nicht lassen!!
*gg*
aber warum wundert das überhaupt noch irgendwen immerhin reden wir hier über sam und dean!!!^^
sam (und dean natürlich auch) hat den schlaf ja wirklich dringend nötig, aber aus den letzten paar zeilen schließe ich einfach mal, dass der anscheinend nicht so erholsam ausfällt wie er sollte!!

ich bin ja mal gespannt, ob ihnen diese FBI-Geschichte wirklich abgekauft oder nicht? aber dean kann ja ziemlich überzeugend sein, wie man weiß!!
allerdings hat er ja seinen meister gefunden oder sollte ich meisterin sagen??
*gg*

also dann ich warte gespannt auf das nächste kapi!!! freu mich schon und mach nur immer weiter so!!
^^
eins muss ich dir aber noch sagen damit du dich nicht wunderst, ich bin die nächsten vier wochen nicht zuhause, das heißt kein oder nur selten net!! ich werde deine ff auf keinen fall vergessen, kommis werden natürlich auf JEDEN fall nachgeholt!!
außerdem muss ich ja unbedingt wissen wie es weiter geht, das heißt mich wirst du nicht so schnell los!!
*gg*

man liest sich
bis dann
lg sky
*nochmalknuddel*

Danke schön!!!!!!^^
Von:  Sky2
2009-10-14T19:28:06+00:00 14.10.2009 21:28
juhhuu, wieder ein neues schön langes kapi!
*gg*
das kapi war total toll! deine vergleiche sind immer sehr bildlich, das gefällt mir! ich kann sowas nicht!!
^^
die beiden sind ja wirklich schlimm! wenn ich marty wäre dann hätte ich den beiden mal ordentlich den kopf gewaschen!!
die beiden sollen doch einfach mal einsehen, dass sie verletzt sind, sich hinlegen und ausruhen!
aber so sind die beiden eben und sie sollen sich auch bloß nicht ändern!!

naja, das ende dieses kapis hat auf jeden fall lust auf mehr gemacht und ich freu mich schon sehr darauf dein nächstes kapi zu lesen!!
bis dann
lg sky
Von:  Sky2
2009-10-07T19:37:27+00:00 07.10.2009 21:37
so jetzt hab ich endlich mal die zeit gefunden auch die restlichen kapis durchzulesen und ich muss sagen sie gefällt mir richtig gut!!
^^
diese kabbeleien zwischen deam und sam sind wirklich amüsant!!
aber ab und zu kabbeln sie sich ein bisschen zu viel, finde ich!
nur ein bisschen...^^

was die länge deiner kapis angeht, du hast recht sie sind wirklich sehr sehr lang!!
aber das stört mich nicht im geringsten, das heißt für mich nur das ich mehr lesen kann!
und das ist nur positiv!
^^
also fasse dich solange du willst, ich bin schon sehr gespannt auf dein nächstes kapitel, deine ff verspricht ja noch sehr interessant zu werden!!
bis zum nächsten kapi
lg sky
Von:  Sky2
2009-10-05T19:28:38+00:00 05.10.2009 21:28
hey du,

ich hab deine ff grad entdeckt!
leider schaff ich es heute grad mal den prolog zu lesen, aber dann bleibt mir mehr für morgen!!!

ich muss schon sagen der anfang ist richtig klasse, hat mich förmlich umgehauen!
ich hätte jetzt auch weiter über die beiden brüder gelesen!!!
^^
aber jetzt tauchen ja dann sam und dean auf und ich bin schon sehr gespannt was als nächstes passiert!!!

also dann man liest sich
lg sky


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