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Es tevi mīlu

von

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Cerība

Vor mehr als vier Jahren traf ich ihn zum ersten Mal.

Bereits in der allerersten Pause nach der allerersten Stunde an der neuen Schule unterhielten wir uns zum ersten Mal. Er war nett, lächelte viel und es wirkte ehrlich. Wir saßen mit drei anderen unserer neuen Mitschüler in der Cafeteria und redeten darüber, warum wir diesen Weg gewählt hatten. Ich fand Florian toll, wie er erzählte, was er sich vorstelle, was er nach den drei Jahren Fachgymnasium vorhatte, und so weiter... Ich konnte ihn die ganze Zeit nur ansehen, auch wenn ich es als bloßes Interesse abtat.
 

Am nächsten Tag, am ersten richtigen Schultag, setzte Florian sich neben mich.

„Ist hier noch frei?“, grinste er und legte seine Tasche auf den Tisch vor sich.

„Jetzt oder davor?“

Er zuckte mit den Schultern und grinste noch breiter. „Also okay, wenn ich hier sitze?“

„Tu, was du nicht lassen kannst...“ Ich unterstrich die Worte mit einem Lächeln, damit er wusste, wie sie gemeint waren.

„Sehr schön, dann wird das jetzt mein Platz!“, malte er ein Ausrufezeichen darauf. Er sah sich im Raum um, wo auch langsam die anderen ihre neuen Plätze fanden, blickte zur Tafel. „Außerdem sieht man von hier aus gut.“

Ich stimmte dem zu und wollte dann irgendwas anderes sagen, als der Lehrer in den Raum kam und sofort seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Wir bekamen einen kurzen Vortrag und dann eine Aufgabe, die wir zu erfüllen hatten. Während wird unsere Utensilien hervorsuchten, kam mir Florian mit einem Mal ganz nahe. Erschrocken erstarre ich, obwohl ich eigentlich zurückweichen wollte.

„Weißt du, warum ich mich hier hergesetzt habe?“, fragte er mit einem Blick auf den Tisch.

„Warum?“, fragte ich, mich aus meiner Erstarrung lösend und mit dem Blick ein Stück zur Seite weichend.

„Weil du mir sympathisch bist.“ Er zog die Mundwinkel nach oben. „Ist es okay, wenn wir Freunde werden?“

Ich zog meine Augenbrauen in die Höhe und sah ihn überrascht an, konnte nur nicken und es mit einem „Klar“ unterstreichen. Ich wunderte mich sehr über diese Direktheit.
 

Tatsächlich freundeten wir uns sehr schnell an. Es war sofort das Gefühl da, auf einer Wellenlänge zu liegen, auch wenn wir merkten, dass wir gar nicht so viel gemeinsam hatten. Das störte nicht, wir lachten dennoch sehr viel, alberten herum, und ich fühlte mich zunehmend wohl in seiner Nähe.

Wenn wir ins Kino gingen, denn entschieden wir abwechselnd, welcher Film es sein sollte, und am Ende konnten wir oft stundenlang diskutieren, da wir komplett unterschiedlicher Ansicht waren.

Wenn es um Computer- und Konsolenspiele ging, war der Unterschied noch größer, doch Florian schaffte es, mich für Rollenspiele zu begeistern, und fortan duellierten wir uns regelmäßig.

Clubs und Diskos waren da auch so eine Sache. Ich ging nicht gerne in die großräumigen Diskos, da ich mich da irgendwie fehl am Platz und verloren fühlte. Ich traf mich lieber mit ein paar Personen in einer Bar, damit man sich unterhalten konnte, was sich in Diskos als schwierig darstellt. Florian hingegen liebte das Licht, die laute Musik und die Menschenmenge, die eine solche Location zu bieten hatte. Manchmal überredete er mich, mit ihm da hin zu gehen und auch wenn ich jedes Mal Spaß hatte, wollte ich solche Abende nicht wirklich wiederholen.

Ein weiterer Unterschied war Sport. Während er total auf Fußball abfuhr, konnte ich dem noch nie etwas abempfinden. Ohnehin trieb ich lieber selbst Sport, als anderen dabei zuzusehen. Auch Abende vor der Glotze mit einem Bier in der Hand konnten mich nicht davon überzeugen, zweiundzwanzig ballgeilen Männern zuzusehen. So überredete ich Florian dazu, mit mir ein paar Sachen auszuprobieren. Dem Klettern folgten Badminton und Tennis, Besuche im Fitnessstudio und sogar Kanu fahren. In der Abwechslung fanden wir Spaß, auch wenn wir meistens auf Squash zurückgriffen, da die Halle direkt bei mir um die Ecke lag. Oft kamen wir so verschwitzt zurück und duschten erstmal ausgiebig, wobei es nicht selten vorkam, dass wir beide uns gleichzeitig im Bad befanden. Ich fühlte mich wohl damit, mochte seine Nähe und empfand sie nicht als peinlich. Sein nackter Körper gefiel mir und zog mich auf gewisse Weise an, doch wirklich verstand ich das nicht – oder wollte ich es nur nicht?
 

Fast ein Jahr nach Schulbeginn stellte ich dann fest, dass es neben alle dem einen noch viel größeren Unterschied zwischen Florian und mir gab – auch wenn es mir eigentlich klar war. Ich hatte nur zuvor nie darüber nachgedacht.

Es war der Abend, an dem er mir seine neue Freundin vorstellte.

Schüchtern saß das Mädchen bei mir im Zimmer und er erzählte, wie er sie kennengelernt hatte. Bei einem der Diskobesuche... und ich fragte mich, wo ich zu dem Zeitpunkt wohl gerade gewesen war.

Ich sah das Mädchen an und ich wusste, dass ich sie nicht mochte. Dabei konnte ich mir nicht mal erklären, woher das eigentlich kam. Sie war lieb und nett, sah hübsch aus und nach dem, was Florian erzählte, schienen sie auch zusammenzupassen – doch anstelle mich für ihn zu freuen, suchte ich irgendeinen Fehler an ihr, irgendetwas, was es mir erlaubte, sie zu hassen.

Nachdem Florian und Angie weg waren, saß ich noch lange in meiner stillen Wohnung und fragte mich, was es eigentlich war, das mich störte. Ich verstand es nicht, doch ich verstand, dass es mir zuwider war, mir Florian mit Angie intim vorzustellen.

Ob es daran lag, dass ich auf Männer stand und Frauen nichts abempfinden konnte?
 

~ * ~
 

Meinen ersten Gedanken bezüglich Homosexualität hatte ich in der Grundschule, als ich mich fragte, ob ich mich in meinen Banknachbarn verlieben könnte. Dies ist auch die einzige prägnante Erinnerung, die ich an jene Zeit habe, doch ich weiß auch, dass mich die Gedanken schnell wieder verließen.

In der fünften Klasse war ich dann zum ersten Mal mit einem Mädchen zusammen. Wir waren zu jung, um uns zu küssen, doch wir hielten Händchen und gingen Eisessen und alles was man in dem Alter halt macht. Eigentlich hätte sie auch meine Schwester sein können.

Diese Irgendwie-Beziehung hielt ein Jahr, dann ging sie auseinander. Drei Monate später küsste ich das erste Mal ein Mädchen – beim Flaschendrehen. Ich fand es ekelhaft feucht und verstand nicht, wie die anderen das tun konnten. Doch aus diesem Drang heraus, dass so was halt alle machten, kam es nicht nur zu weiteren Küssen, sondern als ich vierzehn war auch zum ersten Mal Sex. In der ersten Zeit danach dachte ich, dass ich von Glück sprechen konnte, heute nicht Vater zu sein, da wir es in aller Eile ohne Kondom getan hatten – aber eigentlich, so wurde mir etwas später klar, brauchte ich diesbezüglich eh nur wenig Sorge haben, denn ich war ja noch nicht mal gekommen.

Nach diesem merkwürdigen Erlebnis frage ich mich wieder, was denn eigentlich Schwul zu bedeuten hatte und ob es möglich wäre, dass ich es war. Ich beobachtete Mädchen und Jungen und fragte mich, wo der Unterschied für mich lag. Nur darin, dass ich mit Jungen einfach mehr anfangen konnte?

Mit den Jahren hatte ich zwei weitere heterosexuelle Beziehungen, auch wenn sie mich nicht erfüllten. Sie hielten nicht besonders lange, da die Mädchen wohl auch merkten, dass ich mich nicht voll und ganz auf sie einlassen konnte. Wieder und wieder fragte ich mich nun, was es wohl brauchte, um Schwul zu sein... da ich aber nie wirklich einen Jungen begehrt oder mich in einen verliebt hatte, wusste ich nicht, ob ich jetzt eigentlich schwul war oder doch nur beziehungsunfähig.
 

Meiner Schulzeit folgten eine zweijährige Ausbildung und der Zivildienst. Selbst dies brachte mich nicht zu einem Ergebnis, auch wenn ich bemerkte, dass ich Männern mehr hinterher sah als Frauen. Solange es da nicht eine Person gab, die mein Herz eroberte, wollte ich mich in keine der Sparten einordnen, wollte ich mich vor mir selbst weder als hetero- noch als homosexuell abstempeln.
 

Ob dieser Tag jetzt gekommen war?

Nachdenklich forschte ich an jenem Tag, als Florian und Angie gegangen waren, noch im Bett nach einem Stempel, den ich mir aufdrücken könnte. Hatte ich meine Person gefunden?, fragte ich mich immer wieder und konnte nicht einschlafen. Viel mehr als das, verfolgte mich aber der Gedanke, dass es schon komisch wäre, dass ich es nicht schon vorher bemerkt hatte. Nur weil er jetzt plötzlich eine Freundin hatte, sollte ich mir meinen Gefühlen bewusst werden?
 

Dass genau das der Fall war, bestätigte mir der folgende Tag. Ihn wie immer begrüßen wollend, mit einem lockeren Spruch auf den Lippen, stand ich sprachlos vor ihm und hatte das Gefühl, vor eine Wand der Erkenntnis gelaufen zu sein.

Ich merkte, dass seine Augen tiefer waren, als sie schienen, und zum ersten Mal erinnerten sie mich an einen strahlendblauen Sonnentag.

„Was ist los?“, wurde mit der Hand vor meinen Augen herumgewedelt.

Ich schüttelte nur den Kopf.

„Schau mich nicht an, als hättest du einen Geist gesehen!“, schlang er den Arm um meine Schulter, wie er es oft tat, doch zum ersten Mal schienen die Stellen in Flammen aufzugehen, an denen er mich berührte.

Erschrocken wich ich zur Seite, stammelte etwas von Toilette und verschwand in diese Richtung. Erst als ich vor einem Waschbecken angekommen war, hielt ich inne. Ich spritzte mir eine Ladung kalte Flüssigkeit ins Gesicht und sah zu, wie sie mein Gesicht hinunterlief. Meine Wangen glühten unter der Nässe hervor.

„Scheiße!“, flüsterte ich meinem Spiegelbild zu.

Es konnte doch nicht wirklich wahr sein, dass ich mich verliebt hatte.
 

Ob ich ein Problem damit hatte, schwul zu sein?

Nein, es war nicht die Homosexualität. Mit dem Stempel hatte ich keine Probleme. Mehr lag mein Problem darin vergraben, dass ich mich in meinen besten Freund verliebt hatte, einfach so, ohne Vorwarnung, förmlich von einen Tag auf den anderen. Warum hatte ich es denn nicht schon vorher bemerkt?

Während ich zurück zum Klassenraum ging und mir die nassen Haarsträhnen hinter die Ohren schob, erinnerte ich mich an einen Satz, den ich mal irgendwann irgendwo gelesen hatte, und der vorzüglich auf meine bescheuerte Situation passte:

„Keine kann so ehrlich sein, dass er sich nicht selbst belügt.“
 

~ * ~
 

Besonders in den ersten Tagen war es ungeheuer schwierig, mir nichts anmerken zu lassen. Wann immer Florian mich berührte – und das tat er schon damals oft – musste ich mich davor zurückhalten, nicht erschrocken zur Seite zu springen. Ich hatte mich nie von derartiger Nähe stören lassen, ich durfte jetzt nicht damit anfangen. Florian war nicht dumm, wahrscheinlich hätte er solche Anzeichen sofort bemerkt – dachte ich zumindest.
 

Mit der Zeit wurde es leichter, damit umzugehen. Es war zwar unglaublich schwierig, interessiert und nicht eifersüchtig zu tun, wenn er über seine Freundin sprach, aber ich schaffte es sehr gut.

Glücklicherweise hörte Florian auch schnell damit auf, mir eine Freundin suchen zu wollen, als ich ihm sagte, dass ich grundlos im Moment einfach kein Interesse daran hätte. Er erklärte mich zwar für verrückt, aber damit konnte ich leben.
 

Ich schmachtete, wann immer wir zusammen waren. Es war schwer, dies nicht zu tun. In meinen Augen war Florian ein Traum von einem Mann. Sein Körper war wunderschön, sowohl angezogen als auch nackt, wie ich immer wieder unter größter Selbstbeherrschung feststellen konnte. Seine Augen waren wie dafür geschaffen, in ihnen zu versinken, und seine Lippen luden zum Küssen ein. Manche Nacht lag ich wach in Betrachtung von ihm, wenn er mal wieder beschlossen hatte, bei mir schlafen zu wollen, da ihm seine Eltern auf den Sack gingen. Solche Nächte stellten mich mehr und mehr auf die Probe, da er es nicht einsah, mein Schlafsofa zu benutzen, wenn ich doch ein großes Bett hatte. Fast Haut an Haut lag er also neben mir, berührte mich neckisch kitzelnd oder strich mir durchs Haar, welches er mal als unglaublich weich bezeichnet hatte, und schlief dann ohne jeglichen Schutzwall neben mir ein. Wenn er bloß wüsste, wie sehr ich ihn besonders in solchen Nächten begehrte.
 

Solange er eine Freundin hatte, stand es für mich außer Frage, ihm die Wahrheit zu sagen. Als er sich kurz vor den Abiprüfungen von Angie trennte, war dieser Grund zu Nichte gemacht. Lange und oft grübelte ich in den Folgetagen darüber, ob ich es ihm sagen sollte, doch ich beschloss immer wieder, es nicht zu tun. Ich wollte unsere Freundschaft nicht gefährden, wollte die zärtlichen Berührungen nicht verlieren – ich wollte ihn nicht verlieren.

Also schmachtete ich weiter und wir schrieben uns für Universitäten und Fachhochschulen ein. Florian und ich wählten die Selbe. Er, da sie in der Stadt lag, und ich... naja, vielleicht auch wegen ihm. Ich glaube vor Jahren hatte ich eigentlich vorgehabt, nach meinem Abitur wegzuziehen – doch jetzt konnte ich das nicht mehr. Ich wollte doch in seiner Nähe sein!
 

~ * ~
 

Kurz vor Beginn des Studiums zog Florian aus seinem Elternhaus aus. Zwar musste er ab sofort arbeiten gehen, um das finanzieren zu können, aber er hielt es einfach nicht mehr länger aus. Ich verstand ihn gut, war ich doch bereits während meiner Ausbildung in eine eigene kleine Wohnung gezogen.

Ich half Florian beim Umzug. Er tapezierte und strich alle Wände neu und riss die alten Küchenmöbel heraus. In Dreck und Farbe verbrachten wir in seiner kleinen Wohnung Nächte zusammen, die ich nie vorbeigehen lassen wollte. Vielleicht kann man sagen, dass sie uns noch dichter zusammenschweißte als wir es ohnehin schon waren.

Dies machte es natürlich nicht gerade leichter für mich, denn ich wusste, dass da noch immer Worte waren, die ich nicht sagen konnte.
 

~ * ~
 

Und dann, vor etwas mehr als einem Jahr begann unser Studium.

Ob sich viel seither verändert hat? Nur in gewissen Bereichen. Florian und ich verbringen weniger Zeit zusammen, da er fast jeden Tag arbeiten muss. Manchmal überlege ich mir dann, mir vielleicht auch eine Arbeit zu suchen, doch entschied ich mich aus Faulheit, wie ich zugeben muss, nie dafür. Ich bin nun mal ein Kind reicher Eltern, die problemlos meine Miete und Unterhalt bezahlen können, und auch wenn ich mich dann und wann dafür schäme, gefällt es mir doch eigentlich ziemlich gut.

Meistens ist es am Wochenende, dass Florian und ich gemeinsam etwas unternehmen. Manchmal sind es die Partys an der FH, manchmal eine Bar oder Disko, manchmal Kino, aber meistens gemeinsame Abende vor meinem oder seinem Fernseher, mit Konsolen-Pads oder Chips in der Hand. Natürlich genieße ich solche Abende in vollen Zügen, mehr noch als vorher, da ich ihn ansonsten fast nur während der Zeit in der FH zu Gesicht bekomme oder an den Wochenenden, die wir meist nicht bei einem von uns Zuhause verbringen, wobei dann auch fast immer Nina oder jemand anders mit von der Partie ist.
 

Innerhalb dieser letzten Jahres ist in mir die Frage, ob es ihm sagen soll, immer lauter geworden. Ich habe außer meiner Homosexualität kein ein einziges Geheimnis vor ihm, und dass es so ein großes ist, macht mir immer wieder ein schlechtes Gewissen. Ich würde so gerne offen mit ihm sein, mich nicht verstellen müssen, doch traue ich mich bis heute nicht.

Aber wieso nicht? Bin ich so überzeugt davon, dass er es nicht verstehen wird?

Nein, eigentlich nicht. Florian ist ein sehr offener, ein toleranter Mensch. Eigentlich kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, dass er ein Problem mit Homosexualität hat – würde er mich sonst so oft berühren, mir durch die Haare fahren oder seinen Kopf beim Fernsehen an meine Schulter legen?

Ich denke nicht, und selbst wenn ich manchmal heimlich diese Annäherungen noch anders deute, traue ich mich doch nicht, offen mit ihm zu sein. Die Angst, abgewiesen zu werden, ist dermaßen groß, dass ich kein Wort herausbringe, sobald ich versuche, es ihm zu beichten.
 

Andris, den ich kurze Monate nach Semesterbeginn kennengelernt habe, erklärt mich deshalb regelmäßig für verrückt. Ihm habe ich meine Gefühle Florian gegenüber schnell erzählt, da er für mich die erste Person darstellte, die mich verstehen konnte. Eigentlich hatte ich vor ihm nämlich noch nie einen anderen Schwulen getroffen.

Andris’ Reaktion war, dass er mich verwundert ansah, mich fragte, wie es sein könnte, dass ich Florian nach so langer Zeit noch nichts gesagt hatte, wie es sein konnte, dass er vor allem noch nichts bemerkt hatte.

Lange Gespräche führte ich mit Andris bezüglich dieses Themas und langsam schob er mich noch weiter in die Richtung des Geständnisses. Er könne nie mit einem solchen Geheimnis leben, meinte er, nicht vor seinem besten Freund. Ohnehin fände er es schwer, nicht offen schwul sein zu können und je weiter die Uhr sich dreht, desto mehr kann ich ihm nur zustimmen.
 

Wann ich es nun also Florian sagen will?

Ich weiß es nicht, egal wie oft ich mir sage, dass es bald geschehen sollte. Je mehr Tage vergehen, umso länger verheimliche ich ihm dies, desto länger belüge ich ihn... und je mehr Zeit vergeht, desto weniger habe ich das Gefühl, mit dieser Lüge leben zu können...
 

~ * ~
 

Mittlerweile ich es Freitagabend, der 27. Oktober. Ausnahmsweise muss Florian nicht so lange arbeiten und hat deshalb angekündigt, noch bei mir vorbeizukommen.

Durch meine Wohnung huschend, suche ich jede Ecke nach möglicher, noch vorhandener Unordnung ab. Wieso ich das fast jedes Mal tue, weiß ich eigentlich gar nicht, immerhin hat Florian mich schon in den schlimmsten Situationen erlebt.

Um neun Uhr beginne ich, das Essen vorzubereiten. Er wird garantiert hungrig sein, wenn er von der Arbeit kommt, da bin ich mir sicher.

Um halb Zehn klingelt es.

„Wow, wie das hier duftet!“, schnuppert er anerkennend und hängt seine Jacke an die Garderobe.

„Der Auflauf ist noch im Ofen, sollte aber in zehn Minuten fertig sein.“

„Wunderbar, ich hab solchen Kohldampf!“

„Hab ich’s mir doch gedacht“, grinse ich und gehe in die Küche.

Florian folgt mir.

„Wie war die Arbeit?“

„Wie immer... stressig und anstrengend. Paul hatte heute Stress mit Michael und die beiden haben die ganze Bude zusammengeschrien... aber ansonsten...“ Er verzieht das Gesicht. „Macht es dir was aus, wenn ich Duschen gehe? Der Maschinengeruch will mich einfach nicht loslassen.“

„Wozu fragst du überhaupt?“

„Höflichkeit?“

„Bei mir?“

„Stimmt, du hast recht“, lacht er und zieht mich an sich. „Hach, du bist schon eine prächtige Hausfrau, ich danke dir!“ Mir wird durch die Haare gefahren und er wickelt sich eine meiner Wellen um die Finger, kitzelt mich damit am Ohr.

„Genug jetzt!“, drehe ich mich um und drohe ihm mit dem Salatbesteck.

Mit einer eleganten Handbewegung verschwindet Florian aus der Küche und lässt mich mit puterrotem Gesicht zurück. Ich fächle mir mit dem Salatbesteck uneffektiv Luft zu und stecke es dann in die Schüssel, welche ihren Platz auf dem Tisch findet. Vor dem Ofen auf dem Boden lasse ich mich nieder und schaue dem Käse beim Braunwerden zu, während das Wassergeräusch aus dem Bad mir andere Bilder vor die Augen malt.
 

Nach einem, um mich selbst zu loben, superleckeren Essen, welches Florian nur in Shorts zu sich genommen hat, schicke ich ihn dazu an, sich endlich was anzuziehen. Vor meinem Schrank stehend wählt er sich ein Shirt, während ich mich aufs Bett sinken lasse.

„Aber auf ne Hose verzichte ich. Hier ist es viel zu warm“, protestiert er, was mich grinsen lässt.

„Das kommt durch den Ofen. Ich hätte die Tür zumachen sollen.“

„Macht ja nichts.“ Er dreht sich mit einem grünen Shirt in der Hand um. „Ist das neu?“, fragt er, während mir der Atem stockt. „Äh... ja“, nicke ich schnell und wende meinen Blick ab, als er hineinschlüpft. Ich hatte es Andris eigentlich am Dienstag wiedergeben wollen, aber irgendwie ist es nach dem Waschen mit den anderen Shirts in meinem Schrank gelandet.

„Das ist irgendwie nicht dein Stil“, zieht Florian wieder meinen Blick auf sich. Er sieht an seinem Oberkörper hinunter und zeigt auf die verwirrenden Muster und Farben. An ihm sieht es ganz anders aus als an Andris. Besser? Ich bin mir nicht sicher...

„Ist doch nur für Zuhause“, verteidige ich, obwohl ich ihm eigentlich zustimmen müsste. Wenn er wüsste, dass es mindestens einen Mann auf dieser Welt gibt, der dieses Shirt in der Öffentlichkeit trägt... Verstohlen grinse ich bei dem Gedanken.

„Okay, akzeptiert.“ Er lässt sich neben mir fallen. „Was gucken wir?“

„Ich hab daran gedacht“, halte ich ihm eine Videotheks-DVD-Hülle vor die Nase und sehe belustigt zu, wie er sie öffnet und dann das Gesicht verzieht.

„Mist, und ich dachte, ich wäre im Kino darum herumgekommen.“

„Bist du, aber jetzt gibt’s sie zum Ausleihen und ich konnte mir doch nicht die Gelegenheit entgehen lassen, mit dir dies wunderbare Werk zu begutachten...“

„Hab ich ne andere Wahl?“

„Nö...“

Er verdreht gespielt genervt die Augen, kneift mich in die Seite und zieht mich dann mit sich zur Wand, an der schon ein paar Kissen platziert sind.

„Na dann los, damit ich’s hinter mir hab“, meint er.

„Dafür musst du mich loslassen, damit ich die DVD einlegen kann.“

„Ich stelle mir einfach vor, dass sie schon läuft. Kann auch nicht langweiliger sein...“, deutet er auf die schwarze Mattscheibe.

Kopfschüttelnd befreie ich mich aus seinem Griff und stehe auf.

„Du wirst schon sehen, er wird dir gefallen!“

„Das hast du schon zu oft behauptet, als dass ich dir noch glauben würde.“

Ich winke ab und lege die DVD ein, dimme das Licht und lasse mich dann wieder neben ihm nieder. Sogleich wird mir der Arm um die Schulter geschlungen.
 

Nach dem Film hat sich Florians Verdacht bestätigt: er war unglaublich langweilig.

„Hab ich doch gesagt!“, grinst er auf meine Erkenntnis hin und blickt mich siegessicher an. „Du solltest öfter auf mich hören!“

„Letztes Mal hat dir der Film gefallen, den ich ausgewählt habe!“, protestiere ich.

„Leeetztes Mal.“ Er macht eine wegwerfende Handbewegung. „Aber dieser war einfach nur mies.“

„Du hast ja gewonnen...“

Damit stehe ich auf und schalte den Fernseher ab. Dem Bad einen Besuch gewidmet, kommt Florian mir oben ohne entgegen. Ich schlüpfe an ihm vorbei, zurück in mein Zimmer, wo ich das Bett zum Schlafen vorbereite.

Dann hebe ich das Hemd vom Boden auf, schnuppere kurz daran, wie es nun nach einer anderen Person, nach Florian riecht und lasse es im Wäschekorb landen. So kann ich es Andris ja schlecht wiedergeben... obwohl er es bestimmt witzig fände.

Im Bett sitzend, krabbelt Florian über mich hinweg. Ich schalte das Licht ab und sinke ins Kissen, welches ich aber gleich darauf unter meinem Kopf hervorhole. Im Licht der Straßenlaterne drehe ich mich Florian zu, der gerade das Gesicht zum Gähnen verzieht.

„Und nu?“, fragt er.

„Was nun?“

Ein schwer zu erkennendes Schulternzucken, bevor er die Hand ausstreckt und mich am Hals krault.

„Was hast du so die Woche erlebt, von dem ich nichts weiß?“

„Ich war mit Nina Eisessen und einkaufen“, widerstehe ich dem Drang, die Augen zu schließen und mich dem Kraulen hinzugeben.

„Wie kam’s?“

Lügend lasse ich die Schultern zucken. „Einfach so.“

„Hat sie was Besonderes erzählt?“

„Nö.“ Ich spüre wie mir heiß wird und bin froh, dass das Licht ausgeschaltet ist.

„Und bei dir?“, frage ich dann.

„Nichts. Arbeit und noch mal Arbeit...“ Es klingt nachdenklich.

„Das ist alles?“, hake ich aufgrund des Tonfalls nach.

„Ja, das ist alles.“ Er zieht die Hand zurück und dreht sich auf den Rücken. Seine Stimme war fast schon kühl, was sich nun wie Wall zwischen uns staut.

Ich versuche sein Gesicht zu erkennen, was aber nicht funktioniert. Seufzend drehe ich mich ebenfalls auf den Rücken. Stille hängt zwischen uns und ich frage mich, woher sie plötzlich kommt. Den Kopf drehend, erkenne ich seine offenen Augen. Irgendwas scheint ihn zu beschäftigen. Am liebsten würde ich nachfragen und normalerweise würde ich das auch tun, doch heute hält mich irgendwas davor zurück. Vielleicht die kaum merkliche Distanz zwischen uns.

Gerade noch überlegend, wie ich sie überwinden kann, lassen mich seine nächsten Worte zusammenzucken.

„Lukas, ich... muss mit dir reden...“, klingt seine Stimme matt und fast schüchtern. Es lässt mich aufhorchen.

„Worüber?“, frage ich zögernd. Was mag ihm so wichtig sein, dass er es so ankündigt?

„Ich hätte es dir vielleicht schon früher-“ Er bricht ab und ich höre das feste Schlucken, bevor er leise weiter spricht: „Ich habe mich verliebt.“

Alles in mir wird stocksteif und ich starre ihn an.

„In... wen?“

„Ich... naja... das ist nicht so einfach...“

Ich sehe, wie er die Arme hebt und die Hände vor die Augen legt. Mein Herz beginnt zu hämmern bei diesen schüchternen Worten. Ich kenne ihn so nicht.

„Es ist schwierig... weißt du...“ Vor dem nächsten Wort macht er eine wirklich ausgiebige Pause, betont es dann ungewöhnlich stark: „Sie... ist ne gute Freundin... ich hab es lange nicht bemerkt, doch dann ist es einfach passiert... ich will die Freundschaft nicht gefährden, da ich mir sicher bin, nicht ihr... Typ zu sein...“

Es ist, als würde mit einem Mal alles um mich herum in Aufruhr geraten. In diesem Trubel starre ich ihn an, während mein Herz fester und fester zu schlagen beginnt. Ich schaffe es nicht, mir ein Lächeln zu verkneifen, spüre, wie ich rot werde. Ist es zu blauäugig anzunehmen, dass dies gerade eine indirekte Liebeserklärung an mich war?

„Ich-“

„Lass uns schlafen!“, unterbricht er mich und dreht sich weg. „Ich hab meiner Mutter versprochen, dass ich ihr morgen früh helfe.“

Abgebrochen bringe ich jetzt keinen Ton mehr hervor. Mein überfüllter Kopf versagt mir den Dienst. Ich versuche, meine Atmung zu verlangsamen, während ich mich zwinge, die Augen zu schließen. Okay, ganz ruhig Lukas, so lange kannst du jetzt auch noch warten!, rede ich mit mir selbst.

Nach weiteren schweigenden Minuten kann ich nicht anders, als doch etwas dazu zu sagen.

„Du... solltest es ihr sagen“, spiele ich sein Spiel mit, indem ich mich in die weibliche Position hinein schiebe.

„Mhm...“, kommt es neben mir, während er sich wieder zu mir dreht. „Wahrscheinlich hast du Recht.“

Gleichzeitig spüre ich das Tasten seiner Finger an meinem Arm und ich greife nach seiner Hand.

„Gute Nacht“, kommt es leise und sanft neben mir, als er sie fest drückt.

„Gute Nacht“, lächle ich und versuche, nicht all zu glücklich zu klingen. Ich nehme die Wärme der Hand in mir auf und kuschle mich enger in meine Decke, auf Florians unregelmäßigen Atem lauschend und seine Worte wieder und wieder im Kopf wiederholend.

Wenn ich das Andris erzähle! Mit dem Gedanken, wie er wohl reagieren wird, schlafe ich irgendwann ein, noch immer durch Florians Finger berührt.
 

ENDE KAPITEL 2



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Kommentare zu diesem Kapitel (7)

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Von: abgemeldet
2008-10-12T11:38:48+00:00 12.10.2008 13:38
Oha. Zuerst dachte ich das mich dieser Rückblick in die Grundschulzeit usw. nicht interessiert. Das es irgendwie einfach nicht passt, aber jetzt hat mir das Kapi ausgesprochen gut gefallen. Muss gleich weiterlesen, will ja wissen wen Florian jetzt liebt.
Von: abgemeldet
2008-05-18T19:33:45+00:00 18.05.2008 21:33
oy...das ist mal wieder schön^^

mir tut lukas schon richtig leid...und ich kann Mel_Vyneard nur zustimmen: wehe er liebt jemand anderen!

*seufz*

ich kanns kaum erwarten weiterzulesen!!!!

ciao^^
Von:  Mel_Vineyard
2008-05-12T22:15:05+00:00 13.05.2008 00:15
ja da muss ich zustimmen!
wehe wenn sich florian in jemand anders als lukas verliebt hat!! *droh*
das wär echt blöd!

schreib bitte ganz schnell weiter damit wir nicht alle so lang warten müssen!

Mel
Von:  UmbrellaXD
2008-05-12T16:05:09+00:00 12.05.2008 18:05
Wahhhh, meeehr >O<

Es..ist ganz sicher nciht er, oder? Q___Q
Es.. ist sicher diese Nina, oder wer auch immer >___>
Aber.. ich hoffe trotzdem XDDDD

Lg Umi~<3
Von:  Rees
2008-05-12T15:36:09+00:00 12.05.2008 17:36
hallöchen...
wieder mal nen echt tolles kap.
ich hoffe inständig für dich, dass florian sich in lucas verliebt hat, ansonsten gibts schläge^^ *grins*
ne aber es wäre wirklich schön, wenn es so wäre. die beschreibungen, wie die beiden miteinander umgehen, lässt ja so einige vermutungen zu.
ich hoffe, dass es bald weiter geht.
lg Rees
Von:  Yumicho
2008-05-12T15:17:17+00:00 12.05.2008 17:17
Muuuuh, tolles Kappi *-*
Schnell weiterschreiben, hab in den letzten Tagen schon unter Wahnvorstellungen & Entzugserscheinungen gelitten xD [Kein Scherz! ^^]

Schreibseeeeeeln.
& ich schließe mich der Meinung meiner Vorkommentatorin an, wer weiß, was jetzt noch kommt... xD

Grüßchen & Kekse dalässt, Bu <3
Von: abgemeldet
2008-05-12T14:54:58+00:00 12.05.2008 16:54
Hey...
Ich hab mir schon bei der Beschreibung von Florians Verhalten gedacht, dass, so wie er mit Lukas umgeht, das auch nicht ganz so ist, wie sonst zwischen besten Freunden... aber ich bin mir trotzdem nicht sicher, ob er sich nicht doch zu früh freut... ich würde mir da an seiner Stelle keine Hoffnungen machen... aber wer weiß^^
Ich hoffe, es geht bald weiter... ich will wissen, in wen er sich wirklich verliebt hat, den ich traue dem Frieden noch nicht so ganz :)
LG cada :)


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