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The Reverse Side of Love

Liebe ist ein Spiel [Kare/Yurei]
von

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Die Kehrseite der Liebe

Liebe. Was ist das schon?

Sie bringt einen nicht weiter im Leben. Liebe ist nur ein Wort. Ein Wort für ein Gefühl, ein dummes Gefühl. Menschen bilden sich ein, aufrichtig zu lieben, doch bleibt ihre Liebe nicht wie versprochen für immer erhalten. Zu schnell werden sie besitzergreifend, lassen dem Objekt ihrer vermeintlichen Liebe keine Luft zum Atmen.

Liebe ist ein Wort. Ein Wort ohne grosse Bedeutung. Obwohl... doch. Wahre, ernst gemeinte, aufrichtige Liebe gibt es. Irgendwo im tiefsten Innern der Menschen ist sie Versteckt, doch viele können oder wollen sie nicht sehen. Oder auch, dieser kleine Funke ist erloschen. Erloschen durch eine schicksalhafte Erfahrung, die man früher oder später in seinem kurzen Leben machen wird. Erloschen durch die Blödheit einiger Menschen, welche die Liebe ernst nehmen und sich für immer, bis ans Ende aller Tage aufeinander einlassen und ein Kind bekommen, um schliesslich im Streit auseinander zu gehen. Zum Beispiel. Was bleibt dem Kind?

Nichts.
 

Ob ich jemals geliebt habe?

Oh ja, ich habe geliebt.

Sehr sogar.

Aufrichtig.

Auch wenn meine Liebe nicht wirklich mit dem gleichen Gefühl erwidert wurde, ich war glücklich. Es hätte besser sein können, ja, aber ich war zufrieden mit dem was war. Ich war glücklich, wie es war.

Bis der Horror begann.

Blind vor Liebe, bemerkte ich nicht mehr, was um mich herum geschah, doch das wohl Schlimmste war, als ich langsam an meinen Gefühlen zu zweifeln begann. Ich zweifelte daran, ob das, was ich fühlte richtig war, bis ich schliesslich an meinen Zweifeln zerbrach. Mein ohnehin schon schwaches, verletztes Herz verwelkte. Verwelkte wie eine Rose, die zu lange ohne Wasser auskommen musste – oder weil die zu viel davon kostete?

Doch anstatt zu versuchen, sie wieder aufzupeppen, zerstörte ich sie nur weiter, indem ich ihr noch mehr davon gab. Ich benutzte das Wort ‚Liebe’, um ihr Spiel zu spielen. Eine tote Rose kann nicht wiederbelebt werden, genauso, wie auch tote Gefühle nicht mehr wiederbelebt werden können. Das Einzige, was eine Chance hat, von neuem in all ihrer Schönheit zu erblühen, sind die Ableger davon. Keimlinge, doch wird es nie dasselbe wie das Alte sein.

Habt ihr schon mal eine Rose geschenkt bekommen?

Eine dunkelrote Rose, dunkler als Blut?

Ja, wenn diese Blumen verdorren, werden sie beinahe schwarz. Die Dornen werden schärfer und die Gefahr grösser, sich an ihnen zu verletzen. Wenn das passiert, wird das Leben zur Hölle, die Liebe zur Qual. Du machst dir selber Vorwürfe, wie du nur so dumm sein konntest, warum du dich darauf eingelassen hast! Du fragst dich wie, warum, wieso...?

Die Antwort wird sein: weil ich liebte.
 

Doch hast du schon jemals versucht, Liebe mit Liebe – und denk dran, Liebe ist nicht gleich Liebe – zu verdrängen?

Weil du unsicher warst?

Versuche es nie, es macht dich noch unglücklicher und verzweifelter, als du ohnehin schon bist. Lass es bleiben, die Vorwürfe werden schlimmer und du wirst so verstrickt in diesem Netz sein, dass du nicht mehr wieder herausfindest. Vielleicht, nur vielleicht, hält dir ein Freund einen Wegweiser hin, doch letztendlich musst du selber entscheiden, welchen Weg du gehen willst. Aber suche auf jeden Fall eine Lösung, schlage nicht die Flucht ein. Flucht ist in so einer Situation das Schlimmste, was du machen kannst. Nicht nur du, sondern auch die andern werden damit leiden, weil sie es nicht verstehen werden.

Von wo ich das wissen will?

Ich habe es am eigenen Leibe erfahren. Wenigstens beinahe. Und ich bin fast daran zerbrochen. Mein Leben war nicht besonders schön, doch wurde es durch dieses Gefühl namens Liebe fast unerträglich. Ich hatte mich verliebt. Es war eine Liebe, die eigentlich nicht sein durfte. Eine verbotene Liebe. Eine Liebe mit vielen Hindernissen, die es zu überwältigen gab. Hindernisse, an denen ich kläglich scheiterte. Oder?

Oder hatte mein Scheitern etwa eine neue Liebe hervorgebracht?
 

Was ich jedoch weiss, und da bin ich mir sicher, für mich heisst lieben, leiden. Aus Liebe entwickelt sich der reinste Horror, aus dem, wie in einem Labyrinth, nur schwer wieder herauszufinden ist.
 

Wer ich bin?

Mein Name ist Ray Kon und ich bin gerade mal 17 Jahre alt.

Ich habe euch neugierig gemacht, nicht wahr?

Nun, ich werde euch meine Geschichte erzählen. Von jenem schicksalhaften Tag, als alles begann, bis hin zu... aber das werdet ihr ja selber lesen.

Nehmt euch Zeit, es ist eine lange Geschichte...

Schmerzliche Tatsachen

Unsanft wurde ich wach, aus meinem Albtraum gerüttelt. Schweissgebadet, am ganzen Körper zitternd und mit weit aufgerissenen Augen schreckte ich aus meinem unangenehmen Schlaf auf und ich wäre auf dem Boden gelandet, hätten mich nicht zwei starke Arme aufgefangen und davor bewahrt, Bekanntschaft mit dem harten Asphalt zu machen.

Ich sah mich um, während ich mich an den warmen Körper klammerte.

Was tat ich mitten in der Nacht, irgendwo in der Stadt, auf einer Bank?

Langsam kehrten die Erinnerungen zurück, tröpfelten in mein Gedächtnis, wie Wasser aus einem fast versiegten Brunnen.
 

° ~ * t * ~ ° Flashback ° ~ * t * ~ °
 

Verkrampft hielt ich mir die Ohren zu, versuchte auf etwas Anderes zu hören als das Gebrüll meiner sich streitender Eltern.

Das ging jeden Tag so. Seit wann wusste ich nicht genau, ich habe aufgehört zu zählen, doch so schlimm wie heute war es noch nie.

Ich zog die Decke über den Kopf, hoffte, sie würde das Geschrei ein wenig abdämpfen, doch vergeblich. Meine Eltern hatten sich ins Schlafzimmer – welches sich direkt neben meinem befand – begeben und schrieen sich erneut an.

So konnte das einfach nicht mehr weitergehen. Ich selber bekam kaum noch Schlaf, dunkle Augenringe zierten mein schmales Gesicht, ich wurde immer dünner, als ob ich nicht so schon dünn genug wäre, die Leistungen in der Schule gingen den Bach hinunter, fielen ins Bodenlose.

Ich ertrug das Alles nicht mehr, wollte weg, weit weg, den Stimmen meiner Eltern entkommen. Also stand ich wieder auf, zog mich an, packte das Nötigste zusammen und verschwand, hier hielt mich nichts mehr.

Meine Eltern bemerkten mich nicht, hörten nicht die Türe, die leise ins Schloss fiel.

Doch wo sollte ich hin?

Ich konnte schlecht irgendwo antanzen und fragen, ob sie ein Platz für mich zum Schlafen hätten, ob die Couch eventuell noch frei wäre.

Freunde hatte ich nicht wirklich, denn in der Schule galt ich als Aussenseiter, Outsider. Und die wenigen, mit denen ich ab und zu mal ein Wort wechselte, wären sicher nicht begeistert davon, dass ich mitten in der Macht vor ihrer Haustür stehen würde.
 

Nach zwanzig Minuten ziellosen Umherirrens, bemerkte ich nicht weit von mir entfernt eine Kneipe. Entschlossen stapfte ich darauf zu, trat ein und liess meinen Blick umherwandern, bis ich zuhinterst in einer dunklen Ecke ein freies Tischchen erblickte.

Ich quetschte mich durch das Gedrängel der Stühle - denn dieser Laden war eindeutig überfüllt - und liess mich auf den Holzstuhl plumpsen. Sofort kam eine junge Kellnerin auf mich zu, unglaublich, dass sie bei dieser Chaosbude hier den Überblick behalten konnte.

„Kleiner, bist du nicht ein bisschen zu jung, um so spät nachts noch alleine unterwegs zu sein?“

Ich sah sie mit müden Augen an.

„Mich vermisst sowieso Niemand.“

Sie starrte mich verdattert an, wusste nicht, was sie jetzt tun oder sagen sollte.

„Könnte ich eine Cola haben?“, fragte ich sie und die Rothaarige schien aus ihrer Starre zu erwachen, froh darüber, dass ich etwas gesagt habe.

Ich brauchte jetzt etwas Koffeinhaltiges, sonst würden mir noch die Augen zufallen und Kaffee mochte ich nicht sonderlich.

„Kommt sofort“, nuschelte sie und verschwand.
 

Ich starrte betrübt auf das halbleere Glas vor mir, meine Gedanken bei meinen Eltern.

Ob sie sich wieder vertragen hatten?

Hatte ihr Streit nun für immer ein Ende gefunden?

Würde er jemals enden?

Oder würden sie sich noch in der Hölle anschreien?

Hatten sie überhaupt gemerkt, dass ich nicht mehr da war?

Wie würden sie reagieren, wenn sie es merkten?
 

Fragen über Fragen und niemand hatte eine Antwort für mich.
 

Eine sanfte Stimme unterbrach mich bei meinen Gedankenzügen.

„Kleiner, es ist zwei Uhr, wir schliessen. Tut mir leid, aber du musst gehen.“

Ich nickte, trank die letzten Schlücke meines Getränks aus, schnappte mir meinen Rucksack und verliess die Kneipe.

Toll. Jetzt stand ich wieder mutterseelenallein auf der Strasse, niemand, zu dem ich hätte gehen können. Nach Hause wollte ich nicht.
 

Eine halbe Stunde lang irrte ich nun schon in dieser mir völlig unbekannten Gegend umher, hatte null Ahnung, wo ich ungefähr sein könnte.

Ich war erschöpft, k.o. Einige Schritte von mir entfernt entdeckte ich eine Bank, lief erfreut auf sie zu und liess mich auf das Holz fallen. Keine Sekunde später fielen mir die Augen zu und eine düstere Wolke albtraumreichen Schlafs umhüllte mich, verdammt ähnlich der Realität.
 

° ~ * t * ~ ° Flashback Ende ° ~ * t * ~ °
 

„Hey, Kleiner! Alles in Ordnung?“

Ich sah auf und blickte direkt in zwei wunderschöne, rubinrote Augen. Ich spürte, wie mir das Blut in den Kopf schoss und befreite mich von meinem Retter, setzte mich aufrecht auf die Bank.

„Alles bestens, danke.“

Abgesehen davon, dass ich von zu Hause ausgerissen war, kein Dach mehr über dem Kopf hatte, nicht wusste, wo ich war oder wo ich hin sollte und dass es hier draussen recht kühl war und ich mir nur eine dünne Jacke angezogen hatte, ja, abgesehen von dem und einigen anderen, eher nebensächlichen Sachen, ging es mir nicht schlecht.

Ich bemerkte, wie der fremde junge Mann mich pausenlos anstarrte und sah ihn fragend an. Er zögerte, doch dann stellte er mir die Frage, die ihm schon die ganze Zeit über auf der Zunge lag.

„Sag mal, was machst du hier so alleine? Um diese Zeit?“

Ich antwortete nicht, glotzte stattdessen auf meine Hände.

„Also, du musst es mir nicht sagen, aber ich würde dir zuhören. Bist du etwa von zu Hause weggelaufen?“

Ich nickte, sagte weiterhin kein Wort. Erstaunt sah ich auf, als ich ihn leise lachen hörte. Er sah aus, als würde ihn das Ganze amüsieren.

„Kleiner, ich verstehe dich, das hab ich auch gemacht. Also wenn du einen Schlafplatz suchst, kannst du zu mir kommen, ich wohne alleine und dann kannst du mir morgen alles erzählen, okay?“

Er grinste, als er meinen Gesichtsausdruck bemerkte. Ich musste wirklich dämlich ausgesehen haben. Aber das passierte ja nicht jeden Tag, dass man von so einem lieben Kerl, der, nebenbei bemerkt, extrem gut aussah, aufgegabelt wurde.

Er schnappte sich meinen Rucksack und sah mich fragend an.

„Keine Angst, ich will dich nicht ausrauben. Na los, komm jetzt. Oder hast du Angst?“, grinste er.

Zögernd trat ich neben ihn und er schlug den Weg zu einem grossen, fast leeren Parkplatz ein, wo wir vor einem schwarzen Sportwagen stehen blieben. Ein Mercedes. Mir fiel die Kinnlade runter.

„Ist das deiner?“

„Jep. Geiler Schlitten, was?“

Ich nickte ehrfurchtsvoll. Ja, wirklich ein Prachtstück der Extraklasse. Er stieg ein und warf meinen Rucksack auf den Rücksitz, ich blieb unentschlossen stehen. Auffordernd sah er mich an und öffnete die Tür des Beifahrersitzes.

„Kommst du?“

Er lächelte mich an. Meine Entscheidung stand fest, ich stieg ein. Ich hatte schliesslich nichts zu verlieren. Mit einem lauten Dröhnen fuhr er rückwärts aus dem Parkplatz und rollte dann fast lautlos über die Strassen.
 

Nach einer viertel Stunde hielt er vor einer riesigen Villa an. Ungläubig riss ich die Augen auf.

„Du wohnst doch nicht etwa ganz alleine hier, oder?“, fragte ich ihn, ohne meinen Blick von dem Anwesen zu wenden.

„Abgesehen von einigem Personal, doch.“

Ich riss den Kopf herum, glotzte ihn an. Er grinste.
 

Erschöpft trottete ich hinter ihm her, zwei endlos lange Treppen hinauf. Er zeigte mir mein Zimmer, welches mehr einer Wohnung glich und erklärte mir, dass es eine kleine Klingel an der Wand neben dem Bett eingebaut hatte, die ich betätigen konnte, wenn ich irgendetwas brauchen würde. All die Informationen drangen nur gemächlich in mein Hirn ein und ich nickte langsam.

„So, jetzt aber ab ins Bett mit dir, sonst schläfst du mir noch im Stehen ein.“

Er gab mir einen Klaps auf den Hintern und schob mich Richtung Bett.

„Schlaf dich erst mal so richtig aus. Gute Nacht.“
 

Ich liess mich auf das Bett sinken, welches sofort nachgab. Ein Wasserbett!

Ich glaube, das war die erste Nacht seit langem, in der ich traumlos und wirklich lange schlief.
 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*
 

Ich blinzelte, rieb mir den Schlaf aus den Augen. Ich blinzelte noch mal und starrte die Decke an. Das war definitiv nicht die Decke meines Zimmers. Es klopfte. Ich zögerte, bevor ich ein leises „ja?“ von mir gab. Die Tür flog auf und ein etwas untersetzter Mann plapperte sogleich drauf los, fasste sich jedoch kurz.

„Der werte junge Herr wünscht sie in einer halben Stunde zum Frühstück in den Speisesaal. Bis dahin können sie sich im Badezimmer zurecht machen.“

Ich sah ihn an, verwirrt und mit einem riesigen Fragezeichen über dem Kopf schweben. Sein Lächeln verschwand nicht.

„Das Badezimmer befindet sich gleich hier links.“

Er zeigte auf eine Tür gegenüber meinem Bett. Ich nickte langsam und erhob mich, der Bedienstete machte sich aus dem Staub. Auf einem Stuhl sah ich meinen Rucksack. Ich schnappte mir das Nötige und verschwand durch die Tür, um zu duschen und mich frisch zu machen.
 

Langsam verzweifelnd hastete ich durch die unendlich langen Gänge und Korridore, suchte nach diesem Saal, wo auch immer der war. Seit zehn Minuten irrte ich nun schon umher und es war kurz nach zehn Uhr, was hiess, dass die halbe Stunde vorüber war.

Langsam legte ich die Hand auf eine Türklinke und öffnete vorsichtig die Tür, steckte meinen Kopf ins Zimmer. Es war riesig und mitten drin stand ein Tisch, für zwei gedeckt. An einem Platz sass der junge Mann, der mich gestern aufgegabelt hatte. Dieser sah mich nun etwas tadelnd aus seinen wunderschönen, rubinroten Augen an. Sofort schoss mir Blut in die Wangen.
 

„Ich hab... den Speisesaal nicht gefunden“, nuschelte ich.

Ein amüsiertes Lächeln legte sich auf seine Lippen.

„Verständlich. Setz dich und iss, du bist ja ganz abgemagert.“

Ich tat wie geheissen, konnte mich jedoch nicht entscheiden, was ich essen sollte, die Auswahl war einfach zu gross.

Während dem Essen fragte er mich allerlei Dinge und ich antwortete ihm brav, erzählte die ganze Geschichte. Dann kam die Frage, die ich eigentlich als die Erste erwartet hatte.

„Sag mal, wie heisst du eigentlich, und wie alt bist du?“

Ich sah auf meinen Teller.

„Ich heisse Ray Kon und bin 17 Jahre alt.“

„Kai Hiwatari, 21. Freut mich.“

Er streckte mir seine Hand entgegen und ich schüttelte sie freudig lächelnd.
 

Nach dem Frühstück zeigte er mir die ganze Villa und ich konnte mir weiss Gott nicht alles merken. Dieses Anwesen zählte etwa fünfzehn Schlafzimmer, zehn Badezimmer, eine riesige Küche und diverse sonstige Unterhaltungsräume wie Fitnessraum, Bibliothek und noch vieles mehr und, was natürlich nicht fehlen durfte, die Bar, überladen wie sie war, brachen die gläsernen Regale fast in sich zusammen.

Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus, doch möchte ich hier nicht alleine Leben, wie Kai, er kam sich doch bestimmt furchtbar einsam vor.
 

Es war Mittag und wir beendeten eine Partie Billard, die Kai natürlich haushoch gewann. Ich habe ihn schon richtig ins Herz geschlossen, auch wenn ich ihn noch nicht wirklich gut kannte. Und ich musste mir eingestehen, dass ich ihn verdammt süss fand.
 

Nach einem ausführlichen Gespräch während dem Mittagessen hatte ich ihn davon überzeugt, wenigstens noch eine Woche bei ihm wohnen zu dürfen. Er maulte zwar ein bisschen, erklärte sich jedoch damit einverstanden. Ich hatte also eine Woche Zeit, ihn besser kennen zu lernen. Doch wir mussten nochmals bei mir vorbei, da ich weder Klamotten, noch sonstige Sachen dabei hatte, die im Leben wichtig waren.
 

Während der dreiviertelstündigen Fahrt in seinem Mercedes, ertappte ich mich immer wieder dabei, wie ich Kai von der Seite her anstarrte. Aber ich konnte nichts dagegen tun, er zog meinen Blick einfach wie magisch an. Er hatte so eine Ausstrahlung, die mich einfach faszinierte.
 

Kai parkte das Auto am Strassenrand. Mir fielen sofort die vielen Leute auf, die sich vor unserem Haus versammelt hatten, darunter einige Polizisten, die die Menschenmenge zurückhielten, und die Sicht ins Haus versperrten. Ich begann mich durchzukämpfen, dicht gefolgt von Kai. Als ich unter der Absperrung durchschlüpfte, hielt mich eine Polizistin auf, die mich ernst anguckte.

„Kleiner, du darfst hier nicht rein!“

„Aber ich wohne hier!“

Sie zerrte mich zur Seite und sah mich dann aus mitleidigen Augen heraus an.

„Kleiner, es tut mir leid, aber ... deine Eltern ...“

„Was ist mit ihnen?“

„Sie sind tot.“

Geschockt sah ich sie an. Meine Kehle wurde schlagartig trocken, Tränen sammelten sich in meinen Augen. Eine Hand legte sich auf meine Schultern und zog mich mit sanfter Gewalt weg. Weg vom Haus, von meinen Eltern, weg von den Polizisten, den Menschen, weg vom Lärm, den neugierigen Blicken.
 

Die erste Träne kullerte über meine Wange. Ich schluchzte und vergrub das Gesicht in den Händen. Ich fühlte, wie mich jemand zu sich zog, sanft die Arme um mich legte und mich leicht hin und her wiegte. Haltsuchend klammerte ich mich an dem schwarzen Stoff eines Hemdes fest.

„Es tut mir leid“, flüsterte mir Kai ins Ohr. Ich schniefte, sah ihn aus verheulten Augen an.

„Kai, bitte lass uns gehen. Ich will nicht länger hier bleiben.“

Er nickte, deutete mir jedoch noch einen Moment zu warten und verschwand Richtung Haus. Wenige Minuten später kam er mit einer Sporttasche wieder. Ich schenkte ihm ein dankbares Lächeln. Kai hatte mir meine Sachen mitgebracht. Es war ja nicht viel und hatte locker darin Platz.

Unerwartet Erwartetes

Den Rest des Abends und auch viele darauf folgende Tage, schloss ich mich in meinem Zimmer ein. Ich liess mich nicht blicken, wechselte mit keinem ein Wort, zog mich vollkommen zurück. Kai schien es zu verstehen. Er drängte mich nicht, stellte mir keine Fragen. Ich hätte ihm sowieso nicht geantwortet, auch wenn es unhöflich war, immerhin durfte ich bei ihm wohnen. Vorübergehend.
 

Regelmässig liess mir Kai Essen hochbringen, manchmal kam er sogar selber vorbei. Doch ich rührte es nicht an, ich hockte einfach nur auf meinem Bett und starrte Löcher in die Luft. Kai schüttelte nur den Kopf darüber, ihn freute es gar nicht, dass ich nichts ass, denn ich sollte ja zu- und nicht noch mehr abnehmen.
 

Am Abend ging ich früh zu Bett, auch wenn ich nicht einschlafen konnte und mich hin und her wälzte. Später suchte ich mir ein Buch und vergrub mich darin. Ich versuchte es zumindest, denn ich konnte mich nicht konzentrieren.

Wie sollte es nur mit mir weitergehen?

Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es bereits nach Mitternacht war.
 

Plötzlich klopfte es leise an der Tür und Kai trat, nur mit Boxershorts bekleidet, ein. Auch er schien in dieser Nacht keinen Schlaf zu finden. Er kam auf mich zu und setzte sich neben mich auf die roten Lacken. Gespannt beobachtete ich jede seiner Bewegungen. Er schaute mich nicht an.

„Willst du es mir erzählen?“

Mir klappte der Mund auf. Ungläubig starrte ich ihn an und ohne dass ich es wollte, begann ich ihn anzuschreien.

„Wie kannst du so etwas blödes Fragen?“

Okay, ich wusste zwar nicht, was daran blöd war, aber wegen irgendeinem, mir unbekannten Grund, nervte es mich total.

„Wie würdest du dich fühlen, wenn deine Eltern plötzlich tot wären, für immer aus deinem Leben verschwinden würden und du es nicht einmal hast verhindern können?“

Ich wusste mittlerweile, was passiert war. Mein Vater hatte endgültig die Nerven verloren, eine Pistole gepackt, meine Mutter erschossen und sich schliesslich selber ins Jenseits befördert. Und ich konnte mich nicht einmal von ihnen verabschieden, ich war einfach abgehauen, ohne ihnen Bescheid zu sagen.

„Du hast doch keine Ahnung, wie das ist!!“, brüllte ich ihn mit Tränen in den Augen wütend an. Langsam drehte sich Kai mit emotionslosem Gesichtsausdruck zu mir um. Kalt funkelten mich seine rubinroten Augen an.

„Du hast recht, ich weiss nicht, wie das ist. Immerhin ... hab ich sie nie kennen gelernt.“

Ich stockte.

Wie bitte?

Was sagte er da?

Sofort tat mir mein Anfall von vorhin leid.

„Tut mir leid, das wusste ich nicht. Aber du hast es mir ja nicht erzählt.“

„Du hast mich nicht gefragt.“

Tränen stiegen in mir hoch und liefen mir heiss über die Wangen, tropften auf das Kopfkissen. Hemmungslos begann ich zu schluchzen. Ich kam mir so blöd vor. Immer machte ich alles falsch.

„Hey, was ist los? Hör auf zu heulen!“

Doch ich hörte nicht auf. Unaufhaltsam kullerten nur weitere Tränen über meine Wangen. Kai sah mich fassungslos an. Ich sass da in Boxershorts vor ihm, mit verstrubbelten, rabenschwarzen Haaren, total verheult und Kai wusste nicht, was er tun sollte, solche Situationen war er nicht gewohnt. Doch anstelle wegzulaufen, was er sicher am liebsten getan hätte, hob er die Hand und wischte mir die Tränen weg. Dann betrachtete er mein Gesicht, während seine Hand unter einem Kinn ruhte.

„Hör auf, das steht dir nicht“, flüsterte er sanft.

Ich schniefte und kämpfte gegen das erneute Augenwasser an.

„So ist’s schon besser“, zufrieden lächelte er mich an, „du bist richtig süss, wenn du lachst, weißt du!?“

Mir schoss die Röte ins Gesicht und ich drehte den Kopf weg.

<Ray, das meint er nicht so, wie du’s gerne hättest! Denk nicht daran. Der ist bestimmt nicht schwul, so gut wie er aussieht wäre das doch ein zu grosser Verlust in der Frauenwelt.>

Kai kletterte währenddessen ganz auf mein Bett und krabbelte auf mich zu. Ich schaute ihm in die Augen, die mich verführerisch anblitzten.

<Nee, oder?>

Ohne mich zu wehren liess ich mich in die flauschigen Kissen drücken. Kai kniete über mir, sein Gesicht näherte sich dem Meinen und seine Lippen kamen gefährlich nahe. Ich spürte seinen warmen Atem auf der Haut, ich erschauderte leicht. Kai kam immer näher, sah mir direkt in die Augen. Ich verlor mich darin, gebannt, war unfähig mich zu bewegen.

„Wie niedlich du aussiehst, wenn du rot bist...“, hauchte er mir entgegen.
 

Keine drei Millimeter trennten uns vor einem Kuss, mein Herz raste und hämmerte mir lautstark gegen die Brust.

Endlich, nach einer Unendlichkeit des Wartens, wie es mir vorkam, legten sich seine Lippen auf meine. Sie waren weich und warm und ein Gefühl des Glücks durchströmte mich, überrollte mich wie eine Welle süssen Wassers.

Sanft liess er seine Zunge darüber gleiten und ich öffnete, wenn auch zögernd, denn ich wusste, was er dann machen würde, meinen Mund.

Spielerisch forderte er die Meine zum Spiel auf, ich machte mit, denn es gefiel mir, das musste ich zugeben. Dieses Gefühl, die Schmetterlinge in meinem Bauch waren gänzlich neu für mich.

Aber warum tat er das?

Wollte er mich damit nur trösten, oder meinte er es ernst?

Wollte er mich letztendlich nur auf andere Gedanken bringen?
 

Schliesslich lösten wir uns voneinander, wir rangen nach Luft und die Sommervögel (Schmetterlinge) flatterten noch immer in mir rum.

„Du solltest jetzt schlafen.“

Kai stand auf, durchquerte den Raum und schloss die Tür hinter sich.

Na toll!

Wie sollte ich denn bitteschön nach so einer Aktion einschlafen können?

Was dachte sich dieser Volltrottel eigentlich dabei?

In mir herrschte das reinste Chaos, ich konnte keinen einzigen klaren Gedanken fassen. Ich wusste nur eins:

Ich hatte mich in diesen gutaussehenden Idioten verliebt...
 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

Einige Wochen später

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*
 

Ich spürte, wie sich jemand auf mein Bett setzte. Die Matratze gab nach. Verschlafen öffnete ich die Augen.

“Uaah!“

Mit einem halben Herzinfarkt schreckte ich auf. Jemand hatte sich über mein Gesicht gebeugt und dieser Jemand war niemand anders als Kai. Prompt krachten unsere Schädel gegeneinander. Ich liess mich stöhnend zurück in die weichen Kissen sinken und rieb mir die Stirn. Na das war ja eine Art, den Morgen zu beginnen...!!

Böse funkelte ich Kai an.

„Was sollte das eben? Ich hatte fast nen Herzstillstand!“

Er verzog keine Miene.

„Dir auch einen guten Morgen.“

Ich seufzte und schaute ihm in die rubinroten Augen. Das Blut schoss mir in die Wangen und eine Verkehrsampel war im Vergleich zu mir ein Lacher. Und dann sah ich seine weichen Lippen vor mir...

„Hey, hörst du mir überhaupt zu?“

Hä? Was, wie, wann, wo?

Huch, hatte er grade was gesagt?

Verdutzt sah ich ihn an.

„Ha – hast du… was gesagt?“

Genervt verdrehte er die Augen, seufzte tief und wiederholte dann seine Frage.

„Hast du Lust heute in den Freizeitpark zu gehen?“

Freizeitpark?

War das ein Scherz?

Das passte so überhaupt nicht zu ihm.

Kai hob eine Augenbraue.

„Willst du, oder willst du nicht?“

Mein Kopf schnellte hoch. War das eben ein Hoffnungsschimmer in seiner Stimme?

„Klar, und ob! Wird sicher lustig!“
 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*
 

Wir waren jetzt schon einige Stunden im Freizeitpark und wir, nun ja, ich sage wohl besser ich, hatte irre viel Spass bei der ganzen Sache. Die Freude und Lust auf Achterbahnen hatte Besitz von mir ergriffen und die tragische Geschichte von meinen Eltern immer weiter zurückgedrängt, bis ich kaum mehr daran dachte und der vorgestrige Tag in Vergessenheit zu geraten schien. Es freute ihn zwar, als Kai dies bemerkte, doch er liess es sich nicht anmerken. Und trotzdem, er hatte alles nur für mich getan, denn es war nämlich schwer zu glauben, dass Kai freiwillig in einen Vergnügungspark gehen würde. Und wenn ihn jemand mitschleifen wollte, musste er erstens verdammt viel Mut aufweisen, da es nicht ausgeschlossen blieb, dass er demjenigen gleich den Kopf abriss und zweitens musste er einen schlagfertigen Grund abliefern und ein überzeugendes Auftreten darbieten, sonst traten höchstwahrscheinlich die Folgen ersteres in Kraft und auch so wäre er dagegen. Und dann fragte er mich, ob ich mitgehen wollte!? Klarer Fall: er wollte mich ablenken. Ablenken von den Geschehnissen der letzten Wochen, von meinen Eltern, meinem Vater, der so kaltblütig im Streit meine Mutter und anschliessend sich selbst erschoss und einen 17 jährigen Jungen alleine zurückliess, mich.
 

Ich blieb stehen und seufzte tief, kaum überhörbar und mit einem traurigen, ja fast sehnsüchtigen Blick einem Jungen, vielleicht drei Jahre jünger als ich, hinterherstarrend, der freudestrahlend auf die nächste Bahn zulief, seine Elter im Schlepptau. Sie schienen so glücklich. Wie sie lachten, wie einen echte Familie, die nichts zu trennen können schien und die in jeder Situation zueinander halten würde.
 

Eine Hand legte sich auf meine Schulter und ich fuhr erschrocken herum, sah in ein Paar besorgt aufblitzende, rubinrote Augen. Gequält versuchte ich ein Lächeln, doch Kai sah mich weiterhin ernst an, sein Blick schien in mich einzudringen und meine Seele und Gedanken zu röntgen und wie in einem offenen Buch zu lesen.

Er öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch ich liess ihn nicht zu Wort kommen, denn hinter ihm entdeckte ich etwas höchst interessantes, das meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Ich hob dein Arm und zeigte darauf. Kai folgte meinem Blick.

„Ich hab Hunger.“

Und wie zur Bestätigung des eben Gesagten, gab mein Magen ein lautes knurren von sich.

„Wir haben doch erst grad was zu Mittag gegessen!?“

„Na und? Ich hab Hunger!“

Das hatte er wahrscheinlich nicht mehr gehört, denn er war schon Richtung Stand gegangen und zog seinen Geldbeutel aus der Hosentasche, nicht ohne jedoch die Augen zu verdrehen. Eilig lief ich ihm hinterher.

„Warte! Du weißt doch gar nicht, was ich essen möchte!“

Tja, so wie es aussah, wusste ich es selbst nicht so genau, denn ich starrte die Speisekarte geschlagene zehn Minuten an, bevor ich mich endlich für den Gemüsereis entscheiden konnte.

„Möchte der werte Herr noch ne Cola dazu?“, fragte er gekünstelt.

Ich schüttelte den Kopf.

„Nein danke, aber ein Wasser ohne Kohlensäure.“

Ungläubig sah er mich an.

„Bitte?“, presste er mit hochgezogenen Augenbrauen hervor.

Ärgerlich guckend gab ich schnippisch zurück: „Was? Noch nie nen 17 jährigen Jungen gesehen, der ein einfaches Wasser ner Cola vorzieht?“

„Nein, ehrlich gesagt nicht.“

„Ouh...“

Das hätte ich mir eigentlich denken können.
 

Einige Minuten später sassen wir an einem kleinen Tischchen im Sonnenschein und Kai beobachtete mich scheinbar amüsiert, wie ich meinen Reis in mich hineinstopfte.

„Eigentlich finde ich’s ja gut.“

Ich unterbrach kurz meine Nahrungszufuhr und schaute ihn fragend an.

„Was denn?“

„Dass du endlich mal was isst, du bist viel zu dünn!“

„Ach so“, gab ich noch von mir und löffelte munter weiter.
 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*
 

Der Nachmittag ging dem Ende zu und in weiniger als einer Viertelstunde würde der Park schliessen. Doch ich wollte unbedingt noch auf eine letzte Bahn, bevor wir gingen.

Da Kai auch nach meinem Flehen keine Auswahl treffen wollte, beschloss ich, einfach auf die nächstbeste zu gehen. Als ich jedoch die Wägen erblickte, wollte ich am Liebsten wieder umkehren.

Warum tat mir das Schicksal so was nur an?

Es waren Zweiplätzer, aber nicht nebeneinander, sondern einer musste dem andern zwischen die Beine sitzen.

Während Kai es sich im hintersten Wagen gemütlich machte, blieb ich unschlüssig stehen.

„Du wolltest auf diese Bahn, dann komm jetzt aber auch!“

Das fiese Grinsen auf seinen Lippen blieb mir nicht vorenthalten. Ich stieg ein, setzte mich zwischen seine Beine und lehnte mich nach hinten. Kai schloss den Sicherheitsbügel und die Fahrt konnte beginnen.
 

An meinem Rücken spürte ich ganz deutlich die Wärme Kais und sein Atem, der warm über meine Haare strich. Mir wurde heiss und mein Herz raste, vergleichbar mit den Flügelschlägen einer Libelle.

Als Kai dann auch noch seine Arme um mich legte, weil ich in einer Haarnadelkurve ziemlich durchgeschüttelt wurde, gab es mir den Rest, es war endgültig um mich geschehen, die Röte schoss mir ins Gesicht und schien sich so schnell nicht wieder verabschieden zu wollen...

Die haarsträubende Fahrt war vorbei und die Bahn bremste so stark ab, dass ich beinahe nach vorne geflogen wäre, hätten mich nicht zwei starke Arme festgehalten und an einen Körper gedrückt.

„Aufpassen, Kleiner!“, hauchte er mir ins Ohr und sein warmer Atem kitzelte mich am Hals. Schlagartig wurde ich noch röter, wenn das überhaupt möglich war.

Die Bahn hielt an, die Sicherheitsbügel lösten sich und ich sprang auf, lief die Treppe hinunter zum Ausgang, als ich aus den Augenwinkeln sah, dass Kai neben mich getreten war.
 

Bei der Heimfahrt konnte ich mein Mundwerk nicht halten, plapperte, überhäufte ihn mit meinen Bedankungen und wie sehr es mir gefallen hätte. Kai schmunzelte leicht in sich hinein. Oder war das ein schelmisches Grinsen?

„Aber ab morgen hab ich dann weniger Zeit für dich. Es gibt hier noch Leute, die arbeiten müssen.“

Ich nickte. Das war klar.

„Und übermorgen bekommen wir Besuch.“

Ich legte den Kopf schief und sah ihn fragend an.

„Besuch?“

„Ja, ein alter Freund von mir aus Kindertagen. Ich hab ihn seit einiger Zeit nicht mehr gesehen und wir haben beschlossen, dass er mal wieder zu mir kommt. Ansonsten müsste ich nach Russland und was sollte ich dann mit dir machen?“

Ich schaute wieder nach vorne. Ein langjähriger Freund Kais kam also übermorgen und blieb sicherlich einige Tage hier, wenn er in Russland wohnte. Wer weiss, vielleicht war er ja ganz nett...?

Hochglanz in Lederhosen

„Haach!“

Mit einem lauten Seufzen liess ich mich ins Bett zurückfallen. Dieser Tag war doch einfach sterbenslangweilig. Kai war bei der Arbeit und allein gab es weiss Gott nicht wirklich viel zu tun. Lesen, schön und gut, aber darauf hatte ich nun absolut null Bock. Ich tastete nach der Fernbedienung des Fernsehers und zappte alle Kanäle in Rekordzeit durch. Schnulzfilme, Kinderkram, irgendwelche Ärzte-Serien, Dokumentationsfilme über Fische...

Oh Mann! Als ob mich das interessieren würde!

„Blubb“, gab ich genervt von mir und schaltete dann die Kiste mit dem Plasma-Flachbildschirm ab. Angestrengt dachte ich nach. Was konnte man in dieser Riesenvilla so alles machen?

Gedanklich begann ich die Räume durchzugehen und blieb bei einem ganz bestimmten hängen. Dem Pool. Ohne noch lange darüber nachzudenken, kramte ich eine Badehose aus einer Schublade, schnappte mir ein Handtuch und verliess mein Zimmer. Kai hatte mir zwar nie offiziell erlaubt, seine Räume zu benutzen, aber verboten hat er es mir auch nie und er kann nicht erwarten, dass ich nicht wenigstens einmal ins Pool springe.
 

Herrlich, das kühle Nass auf der Haut zu spüren. Wasser hatte schon immer etwas Beruhigendes für mich. Wie es sich in jede noch so kleine Ritze drängt, so weich ist und gleichzeitig Katastrophen anrichten kann.

Meine Haare schwebten in einer schwarzen Wolke um mich herum. Ich sollte mir mal überlegen, sie abzuschneiden. Manchmal können sie nämlich echt nerven.
 

Nachdem ich etwa zwei Stunden im Wasser gelegen bin und sich meine Haut angefangen hat, langsam aufzulösen, stieg ich schliesslich wieder raus und trocknete mich ab.

<Mann, die ist ja ganz schrumpelig!>

Meine Haarpracht klebte überall an meinem Körper und ich wusste schon ganz genau, was ich als nächstes tun werde. Fluchen.

„Scheisse!! Noch länger und ich steh drauf! Mist, verdammter!“

Grummelnd verzog ich mich tropfend durch das ganze Haus ins Badezimmer, schälte meine nasse Badehose von meinem Körper und stand unter die Dusche, um mir das Chlor abzuwaschen. Von diesem Zeug bekam ich immer trockene Haut, strohige Haare und rote Augen, als ob man meinen könnte, ich hab nächtelang durchgeheult.
 

Die feuchten Haare im Nacken zusammengebunden, auf meinem Bett sitzend, schmierte ich mir Bodylotion auf die Haut. Ich war da sozusagen ziemlich besessen drauf. Meine Haut musste immer schön weich und zart sein und gut riechen, sonst hatte ich das nervende Gefühl, Spinnen würden mir über den ganzen Körper laufen und das war echt nicht lustig, zumal ich Spinnen und sonstiges Krabbelviehzeugs nicht ausstehen kann.

<Bei mir ist irgendwie n Mädchen verloren gegangen.>

Gerade cremte ich mir eines meiner Beine ein, als es an der Haupttüre läutete. Ich schreckte auf. Wer konnte das sein? Ich war der einzige im Haus, die Bediensteten gönnten sich grade ne Pause. Also musste Wohl oder Übel ich die Tür aufmachen gehen.

Hastig band ich mir das weisse Handtuch um die Hüfte, vergass, die Tube wegzulegen und stürmte mit ihr in der Hand die Treppen runter, auf dem ganzen Weg Tropfspuren von meinen Haaren hinterlassend.
 

Zögernd öffnete ich die Tür und wäre am Liebesten aus den Latschen gekippt, aber wie hätte das denn ausgesehen?

Vor mir stand ein junger Mann, etwa im Alter von Kai und genauso verdammt gutaussehend wie er. Er trug eine schwarze Jeans und einen schwarzen Rollkragenpullover, alles anliegend, so dass seine Spitzenfigur umso mehr zur Geltung kam. Er war gross und schlank und hätte genauso gut ein Model sein können.

Als er mich bemerkte, nahm er seine Sonnenbrille ab und schaute mich verwundert an. Sein Blick brachte mich zum Schmelzen, diese tiefgründigen Augen leuchteten mich an wie zwei eisige Saphire.

„Ui, wer bist du denn?“

Es dauerte ein Bisschen, bis ich mich wieder fassen konnte.

„Ähm... ich wohn hier. Vorübergehend.“

Freundlich lächelte er mich an und zeigte somit seine makellosen weissen Zähne.

„Kai hat mir nicht erzählt, dass er einen Mitbewohner hat! Kann ich reinkommen?“

„Ah, ja natürlich, tut mir leid. Kann ich helfen?“

Ich deutete auf seine Sporttasche.

„Nee, lass ma“, grinsend sah er mich von oben bis unten an, „sonst rutscht dir dein Handtuch noch runter.“

Schelmisch zwinkerte er mir zu und ich, völlig vergessen, dass ich direkt aus der Dusche kam und nichts ausser einem Handtuch trug, lief dunkelrot an.

Er fuhr sich durch die feuerroten Haare, die ihm bis auf die Schultern fielen.

„Danke, aber ich weiss wo ich hin muss. Du kannst dir was anziehen gehen. Ausser natürlich“, fügte er hinzu und seine Augen nahmen diesen gewissen Glanz an, „du fühlst dich wohl so rumzulaufen.“

<Also ich hätte nichts dagegen!>, dachte er sich noch, als er mir hinterher sah, wie ich auf dem Absatz kehrt machte und die Treppen in den dritten Stock wieder hoch stürmte.
 

In meinem Zimmer atmete ich erst mal tief durch. Was musste dieser Typ auch solche Anspielungen machen?

Und so gut aussehen?

Und... wie hiess er eigentlich?
 

Nachdem ich mir etwas angezogen und die Haare endgültig getrocknet hatte, machte ich mich wieder auf den Weg nach unten, in der Hoffnung, Kais Freund vielleicht in ein Gespräch verwickeln zu können.

Als ich in den Raum trat, war niemand da, aber eine Hochglanzzeitschrift lag achtlos auf dem Salontischchen rum. Neugierig, wie ich war, hob ich sie hoch und drehte sie erst mal um, da die Vorderseite unten gelegen hatte. Ich stockte, blinzelte verwundert, schaute dann noch mal auf das glänzende Cover. Es bestand kein Zweifel. Zu sehen war ein junger Mann mit feuerroten Haaren und eisblauen Augen. Der, der eben gekommen war. Kais Freund!

Wie Puder legte sich die Röte um meine Nase, als mein Blick vom Gesicht abschweifte und den Rest begutachtete. Der Rest, das hiess sein nackter Oberkörper und die knallenge Hüfthosen die er trug und offenbar aus Leder und nicht gerade geschlossen waren, was einem einen tiefen Einblick verschaffte, würde er nicht eine Hand davor halten. Der Titel stach mir rot ins Auge, passend zu seinen Haaren. „Sexy Tala“, war da zu lesen.

„Gefällt’s dir?“

Zutiefst erschrocken drehte ich mich um. Da stand er. Lebensecht. In seiner vollen Grösse. Und Schönheit. Tala. Vorausgesetzt, das war wirklich sein Name.

„Nun?“

Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Dunkelrot angelaufen starrte ich Richtung Boden. Doch das Grinsen, welches seine Lippen umspielte, blieb mir nicht verborgen.

„Schon gut. Ich bekomm die sowieso immer gratis. Kannst es behalten. Wenn du willst, mach ich sogar ein Autogramm drauf.“, lachte er herzlich.

Darauf wusste ich allerdings noch weniger zu erwidern, als vorhin. Den Kopf leicht schief gelegt, beäugte er mich von oben bis unten.

„Du bist nicht gerade das, was die Leute gesprächig nennen, nicht?“

Darauf konnte ich jedoch sehr wohl etwas antworten. Sicher war ich gesprächig, wenn nicht gerade ein gutaussehender Typ hinter mir stand, der zufällig auch noch Fotomodell und Sexsymbol war. Ich konnte nur eine Gegenfrage stellen. Zu mehr war ich nicht in der Fassung.

„Ist Tala dein richtiger Name?“

Okay, diese Frage war zwar irgendwie etwas doof, aber man konnte ja nie wissen. Und ich sollte recht behalten. Er lächelte.

„Nein, das ist mein Pseudonym. Ich heisse Yuriy.“

„Yuriy... Schöner Name...“, sagte ich mehr zu mir selbst.

„Danke, aber das musst du meinen Eltern sagen.“

Seine makellosen Zähne blitzten mir entgegen, als er mir eines seiner unwiderstehlichen Lächeln schenkte. Plötzlich fiel mir etwas ein.

„Kai sagte aber, dass du erst morgen kommen solltest!“

Yuriy legte einen Finger an den Mund und schaute angestrengt nachdenkend an die Decke.

„Hm... Kann schon sein... Ach, egal, jetzt bin ich hier und geh nicht wegen einem Tag wieder zurück. So genau nehm ich das nicht. Und Kai wird es hoffentlich auch nicht allzu sehr stören. Wie wär’s, hättest du Lust, eine Runde Billard mit mir zu spielen? Keine Sorge, ich bin ne Niete in solchen Sachen“, fügte er noch hinzu, als er mein Zögern bemerkte.
 

Aus einer Runde wurden jedoch ziemlich viele und ich wusste nicht genau wie viele ich verloren hatte, aber gewonnen hatte ich ganz bestimmt keine Einzige. Wir hatten es ziemlich lustig und ich lachte eine Menge, er schien wirklich ein lockerer Typ zu sein, denn er liess so manchen Spruch fallen, den ich ihm nie zugetraut hätte.

Total erschöpft liess ich mich auf die Couch, die neben dem Tisch stand, fallen und pustete erst mal hörbar die Luft aus. Yuriy setzte sich neben mich und liess sein Blick auf mir ruhen. Ich schloss die Augen und sah wieder einige Ausschnitte der letzten Stunden an meinem inneren Auge vorbei gleiten. Sein Hintern, der sich deutlich von seinen Hosen abzeichnete und jedes mal wenn er sich bewegte, verführerisch wippte. Genüsslich leckte ich mir bei dieser Erinnerung über die Lippen.

„An was denkst du?“

Ich öffnete die Augen und schaute den Fragenden an, dessen Gesicht verkehrt herum zu mir runtergebeugt war. Ich lächelte verschmitzt.

„Das sag ich dir nicht.“

Gespielt beleidigt zog er eine Schnute und drehte sich mit vor der Brust verschränkten Armen von mir weg. Einige Sekunden lang herrschte Stille, einzig unterbrochen von den Geräuschen unseres Atems, dann brachen wir in schallendes Gelächter aus. Wir verstanden uns wirklich blendend, doch für Aussenstehende musste es aussehen, als ob wir vollkommen auf Drogen stünden. Noch immer mit einem breiten Grinsen auf den Lippen liess ich mich wieder nach hinten fallen und landete, unabsichtlich, mit dem Kopf auf Yuriys Schoss. Doch diesen schien das nicht zu stören, im Gegenteil, er legte nur eine Hand auf meinen Bauch und mit der anderen spielte er mit einer Strähne meines schwarzen Haares. Ich seufzte.

Plötzlich hörte ich an meinem Ohr ein lautes Rumoren. Yuriys Bauch hatte sich bemerkbar gemacht und schien sich über die fehlende Nahrung zu beklagen. Ich lachte belustigt, als er eine gequälte Grimasse zog und hielt mir eine Hand vor den Mund, um nicht laut loszuprusten.

„Ich hab schon seit heute Morgen nichts mehr gegessen!“, warf er mir empört zu.

Ich warf einen Blick auf die Uhr und diese zeigte an, dass schon bald sechs Uhr war. Höchste Zeit also, für den Russen, etwas zwischen die Zähne zu kriegen. Ich schüttelte seine Hand ab und erhob mich, warf ihm einen Blick zu, der ihm zu Verstehen gab, dass er mir folgen solle.
 

In der Küche drückte ich ihn in einen Stuhl und stellte erst mal ein Glas Milch vor ihn auf den Tisch, selber füllte ich mir auch eins ein, da ich Milch über alles liebte und trank gierig einige Schlucke. Yuriy grinste, als er das sah.

„Kleines Kätzchen also, hm?“

Ich lief rot an. Ich mochte es, wenn mich jemand Kätzchen oder Katerchen nannte. Ich fühlte mich so wohl bei diesen lieben Worten.
 

Eine halbe Stunde später hatte ich eine leckere, chinesische Mahlzeit zubereitet und ich hatte sogar genug gemacht, dass es auch für Kai noch reichen würde, sollte er nach Hause kommen.

Yuriy beäugte währenddessen misstrauisch die Essstäbchen, die ich ihm auf den Tisch gelegt hatte.

Wie sich herausstellte, hatte er auch keinen blassen Schimmer, wie er damit umzugehen brauchte. Mühsam unterdrückte ich mir ein Kichern und setzte mich dann neben ihn, nahm ihm die Stäbchen aus den Fingern, schaufelte einen Happen Reis darauf und führte es ihm zum Mund.

„So macht man das! Und jetzt du“, sagte ich amüsiert und schaute ihm dabei zu, wie er es langsam in den Griff bekam. Aber eben nur langsam. Ständig fiel der Reis und das Gemüse runter, doch tapfer versuchte er es weiter. Er wollte gerade ein Stückchen Hühnchen erhaschen, da fiel es wieder mal runter. Er seufzte gequält auf und lehnte sich nach hinten, raufte sich entmutigt die feuerroten Haare. Irgendwie tat er mir leid.

„Mund auf“, sagte ich, er glubschte mich verwirrt an, öffnete jedoch dankbar und genüsslich den Mund, anscheinend liess er sich gerne von andern füttern, da flog mit einem Mal die Türe auf und Kai trat in die Küche, bemerkte uns, wie wir in unserer Tätigkeit erstarrten und schaute von mir zu Yuriy und wieder zurück. Ich brachte meine Bewegung zu Ende und stand dann lächelnd auf.

„Kai! Ich hab dir auch was zu Essen gemacht!“

Mit diesen Worten und rot angelaufen verschwand ich in der Tür. Kai sah unterdessen neugierig zu seinem Freund und zeigte mir hinterher.

„Was war das denn bitte sehr?“, fragte er ihn ungläubig. Yuriy grinste.

„Er hat mir nur beigebrach mit Stäbchen zu essen.“

Kai zog eine Augenbraue hoch.

„A... ha.“

Eigentlich wollte er mir Billard beibringen...

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

„Bitte... küss mich!“

Was war denn das?

Grummelnd kniff ich die Augen zusammen, doch es wollte nicht weg. Langsam öffnete ich die Augen und blickte direkt in blendendes Sonnenlicht. Fluchend presste ich sie wieder zu.

Ich wusste ja, dass ich nicht bei mir zu Hause war, daran hatte ich gewöhnt, aber auch seit ich hier bei Kai war, ist mir nie aufgefallen, dass Sonnenstrahlen es schafften, bis an mein Kissen zu gelangen.

Nun, wenn das Licht nicht weggehen wollte, drehte ich mich eben weg. Mit noch immer geschlossenen Augen rollte ich mich auf die andere Seite, doch mit einem Poltern und einem harten Aufprall, landete ich auf dem Boden. Schlagartig wurde ich wach und blickte verwirrt um mich. Ich seufzte. Jetzt wusste ich, wieso ich in der Sonne lag. Gestern war ich offenbar zu müde, um mich richtig hinzulegen, liess mich einfach aufs Bett fallen und war sofort eingeschlafen.

„Heute kann’s nicht mehr schlimmer kommen“, murrte ich angesäuert und rappelte mich auf. Ein Stich in der Lendengegend liess mich zusammenzucken und ich stöhnte gequält auf. Mist, daran hatte ich doch nicht gedacht! Und dem Schmerz entsprechend, war es nicht nur schön gewesen, sondern auch verdammt wild. Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen und ich bemerkte, dass diese leicht geschwollen waren. Kam wohl vom heftigen Knutschen.
 

Ich streckte mich gähnend und zog mir dann mein Hemd von gestern aus, dackelte in das Bad und gönnte mir erst mal eine wohltuende, warme Dusche.

Als ich mein Zimmer eine Stunde später verliess, um etwas zum Frühstück zu essen, lief ich geradewegs Yuriy in die Arme. Wortwörtlich, denn als ich scharf um eine Ecke bog, stiess ich mit dem rothaarigen Russen zusammen, wäre fast an ihm abgeprallt und auf meinem Hintern gelandet, welcher dann noch mehr geschmerzt hätte, als er ohnehin schon tat, hätte er nicht reflexartig seine Arme um mich geschlungen und mich festgehalten.

„Autsch!“

Ich zuckte zusammen. Yuriy sah mich fragend an. Seine Hand lag auf meinem Rücken. Er drückte noch mal zu und ich stöhnte auf, Yuriy zog eine Augenbraue hoch. Ohne mich vorzuwarnen, drehte er mich um und zog mir das Shirt hoch, damit er freie Sicht auf meinen Rücken hatte. Dort bemerkte er einen grossen, runden, blauvioletten Fleck. Ich fluchte.

„Scheiss Billardkugel!“

„In der Tat, sieht nicht schön aus. Komm mit, ich schmier dir was drauf.“

Mit diesen Worten packte er mich am Arm und zerrte mich hinter sich her, Richtung Badezimmer und Sanitäterschrank. Kurz kramte er dort drin rum, bis er fand, wonach er suchte und sich mit entschlossenem Gesichtsausdruck zu mir umdrehte. Eine blaue Tube befand sich in seiner rechten Hand. Kurzerhand setzte er sich auf die Kloschüssel und schaute zu mir hoch, stand ich doch noch immer im Türrahmen und machte keinerlei Anstalten, ihm entgegenzukommen.

„Komm schon.“

Ich blinzelte und legte den Kopf schief, wollte ich doch mal das Dummerchen spielen.

„Wohin soll ich denn kommen? Ich bin doch schon da.“

Yuriy verdrehte die Augen und seufzte ein bisschen genervt auf. Ich lächelte.

„Hat der da oben dir ne Antwort gegeben? Konnte er dir helfen?“

„Bitte was?“

„Na, Gott!“

Ein verwirrter Blick seitens Yuriy erinnerte mich daran, dass ich eigentlich der Naivling spielen und nicht ihn so aussehen lassen wollte. Die Tube, die sich noch immer in dessen Hand befand, musterte ich offensichtlich interessiert, auch des Rothaarigen Aufmerksamkeit wurde auf den Gegenstand gerichtet. Er stand auf und schritt auf mich zu, packte mich am Handgelenk und zog mich mit sich vor das Klo. Na prima. Und jetzt?

Yuriy setzte sich wieder und ich stand noch immer unwissend davor, guckte ihn an, als ob ich neugierig warten würde, dass etwas Aufregendes passiert. Yuriy hielt noch immer mein Handgelenk, zog mich daran hinunter, so dass ich auf seinem Schoss landete. Hastig, dass ich nicht wieder aufstehen und fliehen konnte, schob er mir mein Shirt über die Schultern und strich mir sanft über meinen blauen Flecken. Ich stöhnte auf, als ich die kalte, auf gewisse Weise wohltuende Salbe auf meiner Haut spürte.

Als die zähe Flüssigkeit auf meinem ganzen Rücken verteilt war, was eine Ewigkeit gedauert hat, sprang ich mit einer leichten Röte im Gesicht von seinem Schoss auf, doch eine Hand hielt mich fest und zerrte mich zurück, diesmal jedoch nicht mit dem Rücken, sondern mit dem Bauch zu ihm gewandt, was hiess, dass ich rittlings auf ihm sass.

„Wie sagt man doch so schön?“

„Weiss nicht, was meinst du denn?“, fragte ich nichts wissend mit einer Gegenfrage und lief knallrot an. Yuriys Gesicht kam meinem näher und ich konnte schon seinen warmen Atem auf meiner Haut spüren. Er flüsterte etwas Unverständliches. Ich beugte mich zu ihm runter, um ihn besser verstehen zu können, als plötzlich die Tür aufging und ein graublauhaariger Russe in der Tür stand, uns mit einem nichts aussagenden Blick musterte. Geschockt und erschrocken drehte ich mich zu ihm um, sah ihm in seine wunderschönen, rubinroten Kristalle.

„W-was machst d-du hier?“

Er sagte nichts, ich hielt die Spannung kaum noch aus und wollte ihn schon aufbrausend anmeckern, als er auf die Tube in Yuriys Hand zeigte und sagte: „Ich hab die hier gesucht. Als ich heute Morgen geduscht hab, hab ich bemerkt, dass meine Schultern und mein Rücken zerkratzt sind.“

Sofort entdeckte ich eben genannte Kratzer, die lang und blutig Kais blasse Haut zierten. Schuldgefühle stiegen in mir hoch und unbemerkt begutachtete ich meine Fingernägel, die es wirklich dringend nötig hätten, wieder mal gestutzt zu werden.

Doch seine Stimme, mit einem unsicheren Unterton, holte mich aus meiner Versteinerung.

„Und... was macht ihr hier?“

Yuriy grinste bis zu beiden Ohren seinen Freund an und erwiderte sicher: „Ich hab Rays Rücken eingekremt, er hat da nen fetten blauen Fleck, musst du wissen.“

Ich spürte sofort Kais Blicke auf mir ruhen und meine Nackenhärchen stellten sich leicht auf.

„A-ha.“

Mehr sagte er nicht. Einfach nur ‚a-ha’. Es war schrecklich. Wir schwiegen uns an, keiner sagte ein Wort und keiner machte Anstalten, etwas zu unternehmen. Mir wurde es zu viel. Ich erhob mich, befreite mich und die Tube aus Yuris Griff und drückte Letzteres in Kais Hand. Dann verschwand ich. Mein Shirt lag noch immer irgendwo auf dem Boden im Badezimmer, in dem meine beiden Mitbewohner standen und sich anschwiegen.
 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*
 

Gelangweilt schlenderte ich durch das Anwesen, keinen Schimmer, was ich tun sollte, als ich mal wieder am Schwimmbad vorbeilief und in Gedanken versunken davor stehen blieb. Glatt spiegelte dass Wasser mein Spiegelbild wider. Sollte ich?

Wieso eigentlich nicht. Ich wohnte hier, also durfte ich auch baden gehen. War ja sowieso nicht das erste Mal.

Da ich nicht noch alle Stockwerke hinauflaufen wollte, zog ich mich aus, die Boxershorts liess ich an, das war mir nun doch zu riskant und sprang in das kühle Nass.

Gedankenversunken liess ich mich auf der Oberfläche treiben und starrte die Decke mit dem Mosaik des Wassergottes Poseidon an. Was hatte ich mir eigentlich gedacht?

Warum hab ich es zugelassen?

Ich schloss die Augen.

„Ich weiss es nicht...“

„Was weisst du nicht?“

Erschrocken über das plötzliche Auftauchen einer anderen Person, das ich gar nicht mitbekommen hab, schluckte ich eine grosse Menge Wasser und hustete heftig.

„Yuriy, was... was machst du hier?“

„Njo, Kai ist arbeiten gegangen und ich dachte, ich könnte auch mal Gebrauch hiervon machen.“

Er stieg ins Wasser und schwamm auf mich zu, liess mich nicht aus den Augen. Aus irgendeinem Grund verkrampfte sich mein Körper. Aber das war lächerlich. Das Wasser war kühl und ich bewegte mich nicht. Vielleicht lag es daran.

Einen halben Meter vor mir stoppte er plötzlich und stand ab. Na toll. Ich konnte nicht stehen, da ich mindestens einen halben Kopf kleiner war als er. Das war doch so unfair.

Er guckte mir weiterhin nur stumm in die Augen, ich konnte nicht darin lesen, was er vorhatte, aber etwas sagte mir, dass es mir nicht gefallen wird. Unsicher zog ich die Augenbrauen zusammen.

„Sag mal...“

Ich nickte, um zu zeigen, dass ich ganz Ohr war.

„Warum wohnst du eigentlich hier bei Kai? Ich meine, ihr kennt euch ja noch nicht so lange, oder lieg ich da falsch?“

Bedrückt und auf meiner Unterlippe kauend senkte ich die Lider und blickte zur Seite.

Sollte ich es ihm sagen?

„Ich...“, begann ich stockend, doch ein Kloss steckte in meinem Hals und hinderte mich daran, Yuriy meine schicksalhafte Geschichte zu erzählen.

„Du musst es mir nicht sagen, wenn du nicht willst!“, unterbrach dieser mich hastig, doch er wurde von Sekunde zu Sekunde neugieriger. Ich winkte ab, schluckte den Kloss hinunter und lächelte ihn lieb an.

„Schon gut. Also, das alles begann mit dem Streit meiner Eltern, ich bin weggelaufen...“
 

Nachdem ich geendet hatte, sah Yuriy mich traurig an.

„Tut mir leid, das hab ich nicht gewusst.“

Ich lächelte ihn gequält an.

„Das macht doch nichts. Es ist besser, wenn du es weisst.“

Yuriy liess den Blick nicht von mir, sah mich an und trauerte mit mir. Bis er die Hand ausstreckte und auf meine Wange legte. Ohne ein Wort zu sagen wischte er mir mit dem Daumen eine kleine Träne weg, die sich ein Weg über mein Gesicht suchte. Er blieb weiterhin stumm, zog mich in eine Umarmung und drückte mich fest an sich, ich wehrte mich nicht, das war im Moment das, was ich am meisten brauchte. Denn auch wenn alles nun schon einige Zeit her war und diese Worte schon leichter über meine Lippen gingen, so schmerzten sie noch immer zutiefst und weckten unangenehme Erinnerungen.

Sanft drückte er mich ein kleines Stück von sich weg und betrachtete mich. Sein Finger glitt mir zärtlich über meine Lippen und ich schloss entspannt die Augen. Ein weiches Lippenpaar wurde auf die Meinen gelegt und hauchte mir einen kleinen Kuss auf.

„Du solltest aus dem Wasser steigen, deine Lippen sind schon ganz blau und kalt.“

Mit diesen Worten und ohne weitere Vorwarnung hob er mich im Wasser hoch und trug mich zu seinem Badetuch, da ich selbst keines dabei hatte, setzte mich darauf und wickelte mich ein. Ich zitterte am ganzen Körper und hatte es bis jetzt noch nicht einmal gemerkt. Ich seufzte, kuschelte mich weiter in das grosse Tuch und gleichzeitig lehnte ich mich an Yuriys Brust, welcher die Arme gleich um mich legte und mir somit noch wärmer gab.

Ich starrte vor mich hin und redete kein Wort mit ihm und auch er hockte einfach nur da und hielt mich fest. Wahrscheinlich dachte er darüber nach, was ich ihm vor einigen Minuten gesagt hatte. Ich blickte zu Boden. Wie er wohl darüber dachte?

Er war so still und ich machte mir Sorgen, was er jetzt von mir hielt.

Ich guckte ihn genauer an. Er war schon verdammt hübsch, wie ihm die roten Haare verspielt ins Gesicht hingen. Seine Lippen waren schmal und erinnerten mich an diese von Kai. Ob sie sich genauso schön anfühlten?

„Yuriy?“, hauchte ich kaum hörbar. Er sah mich an, als wäre er bis eben noch tief in Gedanken versunken gewesen. Geschickt drehte ich mich in seiner Umarmung zu ihm um, setzte mich rittlings auf seine Oberschenkel.

„Yuriy“, ich lehnte mich nach vorne und näherte mich seinem Gesicht, ich konnte seinen warmen Atem auf meiner Haut spüren.

„Yuriy... bitte... bitte, küss mich.“

Ich überwand die letzten nervigen Zentimeter und legte meine Lippen auf seine. Die Augen halb geschlossen, liess ich sie ganz zufallen.

Es war nicht richtig, was ich da tat, eine leise Stimme, tief in meinem Innersten, bat mich aufzuhören. Ich ignorierte sie einfach. Diese leise Stimme kam von meinem Verstand, doch mein Herz sagte etwas Anderes. Das war im Moment etwas, was ich dringender brauchte als mein Gewissen. Ich wollte Jemanden fühlen, wissen, dass ich nicht alleine war.

Zaghaft legte ich meine Arme um seinen Nacken, da umschlangen mich die Seinen besitzergreifend um die Taille und zogen mich fest an ihn ran. Ich öffnete auffordernd den Mund und liess ihn Eintritt gewähren. Obwohl ich auf seinen Beinen sass, zog er sie zu sich, dass er im Schneidersitz da hockte und ich noch ein bisschen näher an ihn rutschte und somit der Kuss intensiviert wurde. Jetzt waren wir nicht mehr auf Augenhöhe, ich war nun grösser als er. Das feurige Zungenspiel, das darauf folgte, wurde in unregelmässigen Abständen durch kleine Tränen meinerseits versüsst.

Ich löste mich von ihm, schob ihn von mir weg und blickte zur Seite auf den Boden. Ich betrog mich selbst, mit dem was ich da bot. Ich liebte Kai und ich war mir sicher, dass er auch etwas für mich empfand, wenn auch nicht so viel wie ich für ihn, aber ich bedeutete ihm etwas. Und damit betrog ich nicht nur mich selbst, sondern auch noch Kai und Yuriy, denn was wenn er meinte, ich machte das, weil ich mich in ihn verliebt hatte?

Es war einfach alles zu kompliziert und in meinem Kopf herrschte ein gewaltiges Chaos, das mich am vernünftigen Denken hinderte.

Doch wieso sollte ich nicht? Immerhin waren Kai und ich nicht zusammen und es bedeutete mir nicht viel. Klar, es war ein weiterer Typ in meinem Leben, dem ich den Kopf verdrehte, aber was hinderte mich schon daran ausser der Liebe zu Kai?

Und was hiess schon Liebe?

Meine Eltern liebten sich so sehr, dass sie heirateten und ein Kind bekamen und doch endeten sie so...

Nein, mir sollte das nicht passieren. Besonders nicht jetzt in der Blüte meiner Jugend die andere ‚Pubertät’ nennen.
 

Ich erhob mich und drehte mich zum Pool um, langsam schritt ich auf das ruhige Gewässer zu. Die eine Hand auf dem Geländer, die andere über die Wasseroberfläche streichend, warf ich Yuriy einen auffordernden Blick über die Schulter zu.

Wasserspiele

Dieser stand nun auch auf und bewegte sich auf mich zu, ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen. Ich stand mit dem Rücken zu ihm, doch ich spürte genau, wie er mir immer näher kam und ich lockte ihn in das tiefere Gewässer. Ohne ein Wort folgte er mir, musterte mich von oben bis unten, jeden Quadratzentimeter meines Körpers und merkte ihn sich genau.

Als ich bis zum Bauch im Wasser stand, blieb ich stehen, drehte mich jedoch nicht um. Ich wartete. Darauf, dass Yuriy knapp hinter mir stehen blieb und mich umarmte. Ich seufzte genüsslich und schloss die Augen, als ich seine warmen Hände über meine Brust streicheln spürte und legte meinen Kopf nach hinten auf seine Schulter. Leicht öffnete ich meine Lippen, in der Hoffnung, Yuriy würde dieses Signal verstehen und in der Tat, er legte eine Hand an meine Wange und schob meine Gesicht leicht in seine Richtung, dann legte er seine Lippen auf meine. Eine Zeit lang verharrten wir in dieser Position, dann drehte ich mich, ohne den Kuss zu unterbrechen, zu ihm um, schlang meine Arme um seinen Nacken und zog ihn langsam nach unten ins Wasser. Als das kühle Nass uns bis knapp unter das Kinn reichte, löste ich mich von ihm, schaute ihm tief in die eisblauen Augen und tauchte ganz ins Wasser ein. Ein zufriedenes Lächeln legte sich auf Yuriys Lippen und deutlich sah er meinen zierlichen Körper unter Wasser schweben. Er holte tief Luft und tauchte dann selber unter. Kaum hatte er die Augen geöffnet und erblickte mich vor sich, zog er mich mit starken, doch zugleich sanften Griff an den Beinen zu sich. Ich lächelte sanft und umschlang besitzergreifend Yuriys Hüfte mit meinen Beinen, den Kopf mit meinen Armen. Ganz nah zog ich ihn an mich und verschloss Yuris Lippen zu einem leidenschaftlichen Kuss.

Schneller als gewöhnlich ging uns die Luft aus und Yuriy zog mich, ihn noch immer mit Armen und Beinen umschlungen, aus dem Wasser. Er war gross genug um zu stehen. Doch anstelle den Kuss ganz zu lösen, wurde er noch leidenschaftlicher, das Feuer, das in uns brannte war kaum mehr zu ersticken. Ich atmete heftig in den Kuss, unregelmässig hob und senkte sich meine Brust, presste sich gegen die Seine. Seine Hände strichen mir brennend über den Rücken, hinterliessen prickelnde Spuren auf meinen Oberschenkeln, fuhren heiss über meine Haut. Plötzlich stiess ich mit dem Rücken an die Wand des Beckens und wir wurden noch näher aneinander gedrückt. Er presste sich gegen mich, nagelte mich fest. Erstickt stöhnte ich in den Kuss hinein. Mir war die Luft ausgegangen. Als wir den Kuss lösten, legte ich den Kopf in den Nacken und schloss die Augen, und sofort konnte ich Yuriys Lippen an meinem Hals spüren. Sanft küsste er sich meine Schulter entlang, zog meinen Arm aus der Umklammerung, überhäufte ihn mit Küssen, bis er zu meiner Hand gelangte. Mit verschleiertem Blick und leicht geöffneten Lippen sah ich zu, wie er mit seiner Zunge meinen Finger nach oben hin ableckte und ihn schliesslich ganz in seinem heissen Mund verschwinden liess. Die Hitze in meinem Körper liess mich aufkeuchen, als er leicht an meinem Finger saugte und mich dabei mit seinen saphirblauen Augen verführerisch anblickte. Dieser Typ machte mich wahnsinnig! Ich wollte mehr von ihm, er hat mich gierig gemacht. Langsam zog ich meinen Finger aus seinem Mund, er folgte ein wenig mit seinem Kopf, führte ihn an meine vor Verlangen bebenden Lippen und streifte leicht die Seinen. Ich spürte, dass auch er mehr wollte, er kam mir entgegen, seine Augen waren geschlossen. Doch ich wich ihm spielerisch aus, so gut es ging, lockte ihn, entwischte ihm abermals. Mit geöffneten Lippen strich ich seine Wange entlang, atmete stockend in sein Ohr, knabberte kurz an seinem Ohrläppchen. Mit einem Mal wurde ich von seinen starken Armen an die Wand zurückgedrängt, er presste meine Hände neben meinen Kopf und sah mir mit funkelnden Saphiren in die Augen. Ein rötlicher Schimmer hatte sich auf seine blassen Wangen gelegt. Ein bisschen ausser Atem sah ich ihn von unten an, wartete, dass etwas passierte. Meine Brust hob und senkte sich, mein Herz hämmerte gegen meine Rippen, die Hitze in meinem Körper drohte mich zu ersticken. Yuriys Lippen verzogen sich zu einem schelmischen Grinsen.

„Soso, der kleine Kater will also spielen!“

Ich antwortete auf sein Geflüster, indem ich meinen Mund zu einem Lächeln verzog. Er zögerte keinen Augenblick, da spürte ich schon seine Zunge auf meinem Hals, wie sie feurige Spuren hinterliessen. Er löste eine Hand neben meinem Kopf, die er augenblicklich unter mein Bein schob, das ihn immer noch umschlang, und mich mit einem kleinen Ruck an der Beckenwand nach oben schob. Seine Zunge glitt hinunter, spielte mit meiner Brustwarze. In mir explodierte ein Feuer, mir wurde schwindelig. Mit meiner Hand, die nun frei war, klammerte ich mich an seiner Schulter fest. Er löste die andere Hand und ich musste mich sofort irgendwo festhalten. Da kam mir der Beckenrand gerade günstig. Yuriy liess seine Hand unter meine Boxershorts gleiten und zog sie runter. Doch ich klammerte mich mit meinen Beinen um ihn und hinderte ihn daran, sie mir auszuziehen. Stattdessen steckte ich meine Füsse in die Seinen und strampelte sie ihm ab, über seinen Hintern, runter soweit ich kam, bis meine Beine gestreckt waren. Als er sich bewegte, um sie gänzlich loszuwerden, konnte ich deutlich seine Erregung spüren. Vor meinen Augen verschwamm alles. Er streifte mir nun doch noch meine Boxershorts ab, welche nun mit seinen im Wasser schwebten.

Durch diesen Unterbruch hatten sich unsere Körper voneinander getrennt und ich nutzte diese Möglichkeit, Yuriy von mir weg zu schubsen, mir meine Shorts zu schnappen und auf die andere Seite des Pools zu schwimmen. Wie genau ich die Kraft dazu aufbringen konnte, war mir unklar, denn mein ganzer Körper fühlte sich an wie weiche Butter. Yuriy blieb zuerst nur verdutzt stehen und starrte die Wand an, an der ich bis eben noch gehangen hatte, doch dann packte er seine Shorts ebenfalls und folgte mir, der ihm immer wieder einen Blick zuwarf. Es fehlten nur noch einige wenige Meter bis zur Treppe, die aus dem Pool herausführten, da hatte er mich auch schon eingeholt. Er hielt mich am Fuss fest und zog mich zurück. Sofort schlang er von hinten die Arme um mich und drückte mich gegen sich.

„Du bist tatsächlich wie eine kleine Katze“, hauchte er in mein Ohr. Ich drehte mich um und streckte den Kopf ein wenig nach oben, dann leckte ich ihm genüsslich über die Lippen. Geschickt fing er meine Zunge ein und fing seinerseits an, mich wild zu küssen. Schritt um Schritt ging ich nach hinten, bis ich an die Treppe stiess, brav folgte er mir, als ich mich auf diese Treppe setzte. Seine Hände fuhren meinen Körper hinunter, meine Beine entlang bis zu den Knien, welche er mit sanftem Druck spreizte. Ich stütze mich mit meinen Armen ab und setzte mich eine Stufe weiter nach oben. Er folgte mir weiter und legte sich zwischen meine Beine, die ich mittlerweile eine wenig angewinkelt hatte. Ich stütze mich nur noch mit den Ellbogen auf, doch seine Hand auf meiner Brust drückte mich weiter nach unten, bis ich auf der Treppe lag. Mit dieser Hand fing er meine ein, die er nach oben drückte und mich festhielt, die andere schob er in meine Kniekehle, hob mich sanft an. Ich schlang meine Beine um ihn und er, noch immer mit mir in ein heisses Zungenspiel verwickelt, drang langsam in mich ein. Ich konnte nicht anders, ich unterbrach den Kuss und stöhnte auf, stöhnte in sein Ohr, bei jedem Stoss, mal leiser, mal lauter, was ihn ebenfalls aufkeuchen und fester zustossen liess. Bebend suchte ich seine Lippen, küsste ihn heftig atmend, biss ihm in die Unterlippe, krallte mich mit einer Hand in seinen Haaren fest. Sein Rhythmus wurde schneller, heftiger, fester. Ich konnte ihn nicht weiter küssen, ich brauchte Luft, die Hitze erdrückte mich beinahe, ich stöhnte ihm laut in die Ohren, drückte mich an ihn, ihn tiefer in mich hinein, was ihn scharf die Luft einziehen und keuchen liess. Abermals stiess er zu, ich riss den Mund auf, bäumte mich unter ihm auf, riss den Kopf nach hinten. Ein letzter, heftiger Stoss, ich kam, stöhnte, schrie im fast ins Ohr, ein Aufbäumen meinerseits drückte ihn nochmals fest in mich, und er ergoss sich mit einem heftigen Keuchen in mir. Eine Weile verharrten wir in dieser Position. Mein Körper bebte noch immer heftig, als er meine Hand losliess und ich ihn an mich drückte. Da er noch immer in mir war, liess ihn diese Bewegung abermals aufkeuchen. Ich musste grinsen.

„Das findest du also witzig? Mal schauen, ob du das ebenso witzig findest!“

Er hob mich auf, drehte sich so, dass er nun auf der Treppe und ich rittlings auf ihm sass. Mein Gewicht drückte ihn wieder weiter in mich, ich zog die Luft ein.

„Ah!“, entwich es rau meiner Kehle. Yuriy zog mich an der Hüfte näher zu sich, stiess mich wieder ein wenig weg. Doch dieses Spiel erregte nicht nur mich wieder neu, sondern auch der rothaarige Russe begann wieder zu keuchen.

„Nein, Yuriy, hör auf, stopp, das reicht“, rang ich unter Atemnot hervor.

„Ich dachte, es gefällt dir zu spielen?“, raunte er mir ins Ohr, und biss leicht in meinen Hals.

„Aber... Yuriy, ich kann nicht mehr, ich...“, hauchte ich so gut ich konnte, doch die rhythmischen Bewegungen liessen mich leise aufstöhnen. Ich krallte meine Fingernägel in seine Schultern, legte den Kopf in seinen Nacken. Hatte ich schon erwähnt, dass dieser Typ mich wahnsinnig, machte? Obwohl ich eigentlich nicht mehr wollte, nicht mehr konnte, löste er in mir dieses Verlangen aus, nicht aufzuhören, was ich ihm deutlich machte, indem ich ihm einen bestimmten Satz ins Ohr flüsterte.

„Yuriy, nimm mich!“
 

Mein Spiel hatte begonnen.

Ein verlockendes Angebot

Die Tage vergingen. Ich musste nach meiner Auszeit, die ich genommen hatte, wieder zur Schule. Kai nahm mich immer auf seinem Weg zur Arbeit mit. Abends assen wir alle drei zusammen am grossen Tisch, redeten und lachten und erzählten uns, was durch den Tag so alles geschehen ist. Ich fühlte mich wie in einer Familie. Kai hatte mich sozusagen aufgenommen, Yuriy hatte mitgeteilt, dass er seine Ferien verlängert hatte und somit insgesamt zwei Wochen bei uns blieb, und ich, ich schlief abwechslungsweise mit Kai und Yuriy, ohne dass sie es mitkriegten, dass ich es mit dem jeweils anderen tat. Oder sie liessen sich einfach nichts anmerken. Sie fragten auch nie, warum ich so abweisend war, wenn wir zu dritt waren. Ich denke, sie glaubten, ich wollte nicht, dass der andere etwas mitbekam, dass zwischen uns etwas lief. Das war auch wirklich so. Wie hätte ich ihnen denn erklären sollen, dass ich sie mit dem jeweils anderen betrog? Yuriy hätte es wahrscheinlich nichts ausgemacht, aber Kai hätte mich bestimmt rausgeschmissen. Und wo sollte ich dann hin? Ausserdem ging es nicht mehr lange und dann musste Yuriy wieder nach Russland zurück. Schliesslich war er ein gefragtes Model und wurde von Aufträgen und Anfragen überhäuft.

Eines Abends, Kai war gerade geschäftlich unterwegs und würde erst spät wieder kommen, lagen wir in seinem Bett, Yuriy rauchte eine Zigarette und ich sah ihm dabei zu, wie er den gräulichen Rauch zuerst genüsslich tief einatmete und dann ausblies. Ich hatte mich bereits an den Rauch gewöhnt.

„Warum rauchst du eigentlich, Yuriy?“, wollte ich wissen. Diese Frage brennte mir schon lange auf der Zunge. Er sah mich aus und stiess den Rauch aus.

„Weiss nicht. Es ist irgendwie beruhigend, weißt du? Ausserdem nimmt es das Hungergefühl.“

Ich liess meinen Blick über seinen nackten Körper gleiten. Er war wirklich dünn. Die Rippen waren deutlich zu sehen und die Hüftknochen standen heraus. Er schien wirklich kein Gramm Fett zu haben.

„Wie kannst du nur so dünn sein, obwohl du so viel isst?“, fragte ich weiter, denn immer wenn wir zusammen assen, stopfte er nicht gerade kleine Mengen in sich hinein. Yuriy drehte sich zu mir um.

„Wie oft am Tag siehst du mich essen, Ray?“

Ich musste nicht lange überlegen.

„Du isst nur einmal am Tag?“, fragte ich ein wenig schockiert. Na da verwunderte mich überhaupt nichts mehr. Yuriy nahm noch einen letzten Zug seiner Zigarette, dann drückte er sie im Aschenbecher auf dem Nachttisch aus. Er nickte und stiess aus.

„Nichts Besonderes, man gewöhnt sich daran. Und du musst ja nicht viel sagen, du bist genauso dünn.“

„Aber ich bin auch noch jünger!“, wehrte ich mich.

„Wie alt bist du denn? Mit diesem Körper dürftest du für einen normalen Jungen höchstens vierzehn sein, sonst wäre es schon ungesund. Aber dein Gesicht sieht älter aus. Achtzehn?“, riet er, während er seinen Blick über meinen Körper streifen liess.

„Siebzehn“, korrigierte ich ihn. War ich wirklich so dünn? „Kai sagt die ganze Zeit, dass ich mehr essen sollte.“

Von Yuriy hörte ich ein amüsiertes Lachen.

„So? Dann hat er also ein neues Opfer gefunden. Darum nervt er mich nicht mehr damit. Vielleicht hat er auch endlich eingesehen, dass es nichts bringt. Und überhaupt, der werte Herr Hiwatari muss gar nichts sagen. Noch vor vier Jahren sah er nicht viel dicker aus. “

Ich nickte. Ausser den Muskeln konnte ich bis jetzt nicht mehr entdecken als Haut und Knochen.

„Ich wollte eben keine solche Muskeln. Ausserdem gehört das zu meinem Job. Hast du schon mal ein dickes Model gesehen? Mit einem BMI von über siebzehn? Völlig unmöglich.“

Ich wusste schon, was er meinte. Ein Model musste leicht und elegant über den Laufsteg schweben. Ausserdem sahen Kleider an dünnen Leuten einfach besser aus.

„Wie lange machst du das jetzt schon?“

„Was denn? Modeln?“, fragte er nach. Ich nickte. „Mit sechzehn habe ich angefangen in Werbespots mitzumachen, bis ich etwa ein Jahr später entdeckt wurde. Dann wurde ich als Hintergrundfigur fotografiert und bald mal in Katalogen abgebildet. Alles etwa im Einjahrestakt. So hat das Ganze angefangen. Ich hab mich immer weiter hinaufgearbeitet. Zu meinem jetzigen Manager kam ich mit zwanzig. Also vor zwei Jahren. War kein einfacher Weg“, erinnerte er sich zurück. Unglaublich. Ich war echt sprachlos. Er war ein Jahr jünger, als ich es jetzt bin. Wahnsinn. Yuriy blickte mich amüsiert an.

„Kannst deinen Mund wieder schliessen“, sagte er amüsiert und zog die Mundwinkel nach hinten. Mir war tatsächlich die Kinnlade runtergefallen. Nicht viel, nur ein bisschen, auf jeden Fall war mein Mund geöffnet.

„Was ist eigentlich mit dir?“, fragte er mich unerwartet und liess sich nach hinten ins Kissen fallen, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und sah mich erwartungsvoll an. Die blickte fragend zurück.

„Was meinst du?“

„Hast du dir schon mal Gedanken darüber gemacht, was du machen willst, wenn die Schule fertig ist? Geht ja nicht mehr lange bei dir. Nur noch einige Wochen, nicht wahr?“

Ich nickte. Ja, die Berufsschule ging nur ein Jahr und das war in einigen Wochen zu Ende. Aber was hatte ich danach vor?

„Ich weiss nicht so genau. Eigentlich habe ich mir noch gar nie richtig Gedanken darüber gemacht. Die Zukunft schien mir immer so weit entfernt“, erklärte ich ihm meine Situation. Er sah mich an und sagte nichts, dann stand er plötzlich auf und ging zu einer Kommode. Aus einer Schublade zog er eine dicke Mappe. Als er wieder zurück ins Bett kam, hielt er sie mir unter die Nase. Ich nahm sie vorsichtig und schaute ihn fragend an.

„Was ist das?“

„Mach auf, wirst schon sehen!“

Also öffnete ich die Mappe. Heraus kamen Fotos. Auf jedem dieser Fotos war Yuriy abgebildet. Sie waren wirklich wunderschön. Am Anfang waren sie noch eher schlicht, dann wurden sie immer prunkvoller, je älter er wurde, wie ich dem Datum entnahm. Einige der Fotos waren Titelblätter von berühmten Zeitschriften, andere Werbeplakate, und nochmals andere, wo er für Markenkleider Modell stand. Viele waren auch einfach Fotos, die für irgendetwas anderes geschossen wurden. Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.

„Gefallen sie dir?“, fragte Yuriy, der es offensichtlich gemerkt hatte. Ich nickte mit grossen Augen.

„Sie sind einfach... wow!“

Er lächelte zufrieden.

„Ich habe noch mehr, aber das sind meiner Meinung nach die besten.“

Ehrfurchtsvoll blätterte ich weiter und erblickte einen rothaarigen Engel, über und über mit schwarzen Rosenblättern bedeckt, die es vom verdunkelten Himmel herunterregnete. Es sah einfach überirdisch aus.

„Und was meinst du?“

Ich schaute ihn fragend an, wusste nicht, was er meinte.

„Würdest du dir so etwas zutrauen?“

Yuriy sah mich direkt an. Ich riss die Augen auf. Hastig schüttelte ich den Kopf.

„Neeeeeein, nie im Leben!“

Er lachte.

„Ach komm schon, ist ja nicht schwer. Musst nur hinhalten“, flüsterte er gegen Schluss und kam mir dabei immer näher, hauchte mir einen Kuss auf den Hals.

„Du meinst... ich soll Model werden?“, fragte ich mit rauer Stimme. Irgendwie war der Gedanke daran absurd und trotzdem, so fotografiert zu werden erschien mir wie ein Traum. Ich blickte nochmals auf das düstere Engelsbild. Das Angebot wäre schon sehr verlockend. Yuriy hatte sich unterdessen genüsslich meinem Hals gewidmet.

„Mmh, ja warum nicht? Bei deinem Aussehen. Deinem Körper“, nuschelte er und drückte mich ins Kissen, beugte sich über mich und küsste mich. Ich schloss die Augen, genoss es. Doch dann wandte er sich plötzlich von mir ab.

„Ich geb dir meine Nummer. Auf der bin ich immer erreichbar, ausser ich habe gerade einen Termin. Ruf mich an sobald die Schule zu ende ist. Und dann kommst du für einige Wochen zu mir. Okay?“

Mit grossen Augen glotzte ich ihn an.

„Nach Russland?“, fragte ich ihn, als würde das auf der anderen Seite der Erde liegen.

„Ja, ich übernehme natürlich die Flugkosten“, sagte er, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Als er seine Nummer auf ein Blatt Papier gekritzelt hatte, steckte er es in die Mappe und übergab sie mir erneut.

„Kannst sie solange behalten. Soll dich noch ein wenig überzeugen, wenn ich das schon nicht konnte. Aber ich will sie wiederhaben!“, fügte er mahnend hinzu. Ich nickte und nahm sie, als wäre es der grösste Schatz.

„Danke!“

Ich meinte es wirklich ernst. Er offensichtlich auch.

„Gerne“, lächelte er, „und nun Abmarsch, sonst kommt plötzlich Kai noch nach Hause und stellt blöde Fragen.“

Er hatte recht. Also sammelte ich meine Klamotten ein, die mal hier, mal da auf dem Boden lagen, zog mich an, schnappte Yuriys Fotomappe, die ich von nun an wie mein eigener Augapfel hüten werde, und huschte aus dem Zimmer, nicht ohne vorher noch nach links und rechts zu schauen. Man konnte ja nie wissen.
 

In meinem Zimmer angelangt, legte ich die Mappe vorsichtig in die Schublade meines Nachttischschränkchens und zog mich dann aus, um unter die Dusche zu hüpfen. Die Dusche war eine Wohltat, das kühle Nass perlte von meiner nackten Haut ab und löste den vertrockneten Schweiss, die Überreste von vergangener Stunde. Eigentlich, überlegte ich mir, während ich mir das Wasser über den Kopf laufen liess, eigentlich könnte ich auch mal die Badewanne ausprobieren. Seit ich hier war hatte ich immer nur geduscht oder war im Pool, aber die Badewanne habe ich noch nicht benutzt. Dabei ist es etwas vom ersten, was einem auffiel, wenn man das Bad betrat. Sie war gross und mit Gold verziert und einfach nur wunderschön. Wenn man darin sass, kam man sich bestimmt vor wie ein König. Aber leider eignete sich eine Badewanne nicht, wenn man Haare waschen wollte, ansonsten hätte ich sofort die Dusche ausgeschalten, wäre hinausgehüpft und hätte Wasser hineingelassen. Aber ich musste unbedingt Haare waschen, also liess ich es bleiben. Ich hatte schliesslich noch genügend Zeit. Wenn Kai mich nicht aus unerfindlichen Gründen hinausschmiss. Aber dafür gab es keinen Grund. Folglich hatte ich noch mehrere Wochen Zeit.

Ich massierte mir mein wohlriechendes Shampoo in die Haare. Ich benutzte dieses Shampoo nun schon seit Jahren, aber irgendwie wollte mir nicht einfallen, nach was es duftete! Vielleicht irritierte mich auch einfach die grüne Farbe. Als es schön schäumte, wartete ich noch einen Augenblick, dann wusch ich es aus und drückte mir eine anständige Portion Pflegespülung in die Handfläche. Bei meinen Haaren konnte es nie genug sein. Es dauerte auch eine Ewigkeit, bis es regelmässig verteilt war, so dass es bestimmt schon genügend Zeit hatte einzuwirken und ich alles hinaus spülte. Dann wrang ich meine Haarpracht aus, stakste aus der Dusche und wickelte sie zu einem Turban in ein grosses weisses Handtuch ein. Splitternackt, wie ich noch war, ging ich zurück ins Zimmer. Dort suchte ich eine frische Boxershorts und meine Bodylotion, setzte mich aufs Bett und begann mich einzuschmieren.

Kurze Zeit später, ich hatte gerade die Beine und Arme fertig und wollte mich gerade dem Bauch zuwenden, da klopfte es an der Tür.

„Jaaah?“, fragte ich gedehnt. Die Tür wurde geöffnet und Kai steckte den Kopf herein.

„Hallo Ray, alles okay bei dir?“

„Klar, alles bestens, bei dir? Komm doch rein!“

Er nickte und betrat mein Zimmer.

„Ich wollte dich fragen ob du schon was zu Abend gegessen hast“, erklärte Kai sein Erscheinen, doch ich ging nicht gross darauf ein.

„Du kommst gerade richtig, kannst du mir den Rücken eincremen? Das wäre unglaublich lieb von dir“, fügte ich noch hinzu, um ihn ja dazu zu bringen. Doch das wäre nicht mehr nötig gewesen, er hätte es auch so getan. Ich streckte ihm die Tube entgegen und drehte ihm den Rücken zu. Die Haare hatte ich vorhin aus dem Tuch befreit und sie fielen mir über die Schulter. Was Kai wohl für ein Gesicht gemacht hätte, hätte er mich so gesehen!

„Iiih, kalt“, jammerte ich, als er die Creme direkt auf meine Haut tröpfelte. Ich zog eine Schnute. Kai lachte.

„Also, was ist, hast du schon was gegessen?“

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Einerseits würde ich gerne mit Kai essen, andererseits dachte ich an Yuriy, der seine Figur durch einmaliges Essen pro Tag hielt. Und ich hatte schon etwas zu Mittag gegessen. Andererseits konnte ich auch später anfangen so zu leben.

„Was gibt es denn?“

„Irgendwas Italienisches. Tintenfisch glaube ich“, versuchte er sich zu erinnern. Unterdessen hatte er meinen Rücken fertig eingeschmiert und ich zog mir ein T-Shirt über den Kopf, bedankte mich bei ihm mit einem leichten Schmatzer auf die Wange.

„Okay, ich komme! Ich liebe Tintenfisch“, fügte ich noch strahlend hinzu.

Geheime Telefongespräche

Die zwei verlängerten Wochen, in denen Yuriy hier war, vergingen viel zu schnell und ich konnte es gar nicht fassen, als ich seine gepackten Taschen sah. Er hatte viel mehr dabei als er ankam, was daran lag, dass er sich aufgrund der verlängerten Ferien einige seiner Sachen nachschicken liess. Ich würde ihn fürchterlich vermissen, das wusste ich schon jetzt. Seine lockere Art stand so tief im Kontrast zu Kais ständig ernster Miene und liess die Zeit wie im Nu verfliegen.

Kai und ich hatten abgemacht, dass wir ihn bis zum Flughafen begleiten würden, egal, wie sehr er sich dagegen sträuben würde. Tatsächlich sah er schnell ein, dass man uns nicht abschütteln konnte und so liess er sich mit dem Auto zum Flughafen chauffieren. Da der Flug erst in einer Stunde gehen würde, gingen wir noch in eines der überteuerten Cafés und tranken eine Cola.

Yuriy wurde von allen Seiten gemustert, doch niemand wagte ihn anzusprechen. Zwei Mädchen, die an uns vorbei liefen, tuschelten hinter vorgehaltenen Händen. Ich glaube, sie waren sich nicht hundertprozentig sicher, dass er Yuriy alias Tala war, da er erstens in Zivil, das heisst, mit lockeren Bluejeans und einem weissen Tanktop, herumlief und zweitens da er eine grosse Sonnenbrille aufgesetzt hatte, was ihn meiner Meinung nach noch mehr wie eine Berühmtheit aussehen liess. Aber jedem das Seine. Was zählt, war, dass wir nicht von jedem kreischenden Mädchen angehüpft wurden. Vielleicht lag es aber auch an Kai, der mit einen verschränkten Armen und dem bösen Blick aussah wie ein Bodyguard.

Als es dann endlich soweit war, begleiteten wir ihn noch bis zum Gate, wo wir uns lange verabschiedeten.

Zuerst umarmten sich Kai und Yuriy fest. Kai klopfte ihm auf die Schultern.

„Pass auf dich auf, altes Haus. Und wenn du mal wieder Zeit haben solltest, so nebenbei, per Zufall, dann kommst du einfach vorbei, okay?“

Yuriy grinste ihn an und nickte, dann wandte er sich zu mir. Er drückte mich an sich.

„Und vergiss nicht anzurufen!“, flüsterte er mir ins Ohr, so leise, dass Kai es garantiert nicht hören, geschweige dann verstehen konnte. Ich nickte leicht und flüsterte zurück.

„Versprochen!“

Dann liess er mich los und drückte mir frech einen Kuss auf den Mund. Ich wollte gerade etwas erwidern, da war er auch schon im Gate verschwunden. Kai, der meinen erschrockenen Blick offenbar falsch deutete, lachte amüsiert auf.

„Keine Sorge, das macht er bei allen.“

Ich nickte nur, zum Zeichen, dass ich verstanden hatte. Dann gingen wir, ohne noch einmal einen letzten Blick zurückzuwerfen.

Im Auto war es merkwürdig ruhig. Weder Kai noch ich sagten ein Wort. Beide schienen wir in Gedanken versunken. Ich zählte schon jetzt die Tage, bis ich nach Russland gehen konnte. Mittlerweile war ich fest davon überzeugt, dass ich das machen wollte und wenn ich wirklich, wie Yuriy gesagte hatte, eine gute Chance hätte, würde ich diese nutzen. Das einzige, was mir Leid tat, war, dass ich Kai verlassen musste. Aber ich musste mich entscheiden. Ich wusste, dass es ihm gegenüber nicht fair war, da er mich aufgenommen und für mich gesorgt hat, aber ich musste auch an mich und meine Zukunft denken. Und diese lag in Russland.

Zuhause ging ich ohne viele Worte auf mein Zimmer. Ich liess mich auf das Bett fallen und zappte die Programme durch. Schliesslich entschied ich mich, mir irgendwelche Cartoons anzusehen. Doch es dauerte nicht lange, und ich war eingeschlafen. Seit langem kam ich nicht mehr zu genügend Schlaf. Auch hier nicht.

Ich wachte erst wieder auf, als sich mein Bauch meldete. Ich schaute auf die Uhr. Es war bereits nach acht. Zu Mittag hatten mir alle zusammen gegessen; ein letztes Mal, wie Kai fand, wäre schon angebracht. Es gab griechischen Salat und sonst allerlei griechische Speisen. Doch ich mochte nur die Vorspeisen, die Hauptgänge schmeckten nicht besonders. Allerdings gab es davon auch viel mehr und ich schlug richtig zu. War ja wirklich lecker. Aber das war nun acht Stunden her und ich hatte schon wieder Hunger. Ich dachte an Yuriy und seine einmal-am–Tag-essen-reicht-Taktik. Doch schliesslich stand ich auf und ging in die Küche. Dort stand immer was im Kühlschrank. Sogar mein Lieblingsjoghurt. Ich schnappte mir das auch sofort und begann, an den Tisch gelehnt, das Joghurt in meinen Mund zu löffeln. Als ich fertig war, warf ich den Becher in den Müll, den Löffel in die Abwaschmaschine. Ich war gerade zu faul, auch nur einen kleinen Löffel abzuwaschen. Als ich die Küche verliess und am Wohnzimmer vorbei lief, wäre ich beinahe in Kai hineingelaufen, der gerade mit saurer Miene hinauskam. Erschrocken sah ich ihn an.

„Kai, was ist denn los?“

„Aaach, ich habe gerade telefoniert.“

„Schlechte Nachrichten?“, fragte ich weiter.

„Ja. Es läuft nicht ganz so wie es sollte. Diese faulen Säcke. Auf die ist einfach kein Verlass“, wetterte er.

„So schlimm?“

„Kein Weltuntergang. Auch keine Katastrophe. Auf die ist einfach kein Verlass. Und das nervt. Was hast du eigentlich gerade gemacht?“, wechselte er gekonnt das Thema. Offenbar wollte er nicht darüber reden. Mir egal, es interessierte mich auch nicht so doll. Ich zuckte mit den Schultern.

„Hab gerade was gegessen.“

Kai nickte und sah dann auf die Uhr.

„Hast du Lust mit mir einen Film zu schauen? In ein paar Minuten fängt einer an, der würde mich interessieren.“

Ich nickte und lächelte.

„Aber nicht im Wohnzimmer, das ist so ungemütlich“, stellte ich eine Bedingung. Ich hatte keinen Bock, wie blöd neben Kai auf dem Sofa zu sitzen und in den Bildschirm zu glotzen. Er sah mich fragend an. Offenbar schien er das nicht zu verstehen.

„Wieso? Wo willst du denn schauen?“

„In deinem Zimmer. Weißt du“, begründete ich und trat nahe an ihn ran, „mir ist gerade so nach Kuscheln. Auf deinem Bett kann ich in deinen Armen liegen, auf dem Sofa nicht. Und dein Zimmer gefällt mir so.“

Ich hauchte ihm einen Kuss auf den Hals. Er grinste und nickte.

„Okay, dann lass uns hoch gehen, der Film fängt auch schon bald an.“

Innerlich verdrehte ich die Augen. Der Film war mir eigentlich scheissegal. Ich wollte nur in Kais Armen liegen und ihn ganz dicht bei mir spüren.

Vom Film bekamen wir schliesslich nicht einmal die Hälfte mit. Irgendwann hatte wir begonnen, mit unseren Händen sanft unter die Kleider, über unsere Körper zu gleiten, darauf folgten Küsse und bald flogen Shirts und Hosen auf den Boden, wir lagen eng umschlugen und uns wild küssend auf dem Bett.
 

Am nächsten Morgen am Montag wurde ich durch ein Klingeln geweckt. Unter meinem Arm regte sich etwas. Es war Kai, der nach dem Wecker tastete und ihn ausschaltete. Dann drehte er sich zu mir um, gab mir einen leichten Kuss auf den Mund. Ich blinzelte ihn verschlafen an.

„Guten Morgen.“

„Morgen“, nuschelte ich zurück.

„Es ist sechs Uhr, wann musst du aufstehen?“

„Halb sieben“, antwortete ich gähnend und zog mir dann die Decke über den Kopf. Kai lächelte, was ich natürlich nicht sah. Dann stand er auf, und meine Wärmequelle war verschwunden.
 

Tatsächlich zog mir Kai eine halbe Stunde später die Decke weg und scheuchte mich aus dem Bett.

„Nur noch fünf Minuten“, bettelte ich, und versuchte, die Decke wieder einzufangen, jedoch ohne Erfolg. Schmollend sah ich ihn an. Er war ein furchtbarer Pünktlichkeitsmensch. Taumelnd stand ich auf und begab mich in sein Bad, stieg unter die Dusche. Dann zog ich einen seiner Morgenmäntel an und da ich mich nun frischer und wacher fühlte, sah ich mich fähig, in mein eigenes Zimmer zu gehen.

Kurz nach sieben Uhr erschien ich in der Küche, wo schon ein Tee auf mich wartete. Ich trank morgens nur Tee. So früh brachte ich nichts zu essen runter. Und da Kai morgens nicht ohne seinen Kaffee auskam, machte es ihm nichts aus, für mich gleich Wasser mitzukochen.

Punkt viertel nach verliessen wir die Villa und stiegen in seinen Mercedes ein. Zwanzig Minuten danach verabschiedete ich mich und verschwand im Schulhaus. An die Blicke, die mir zugeworfen werden, seit ich jeden Morgen von einem teuren Sportwagen vorgefahren wurde, hatte ich mich gewöhnt. Auch an das Getuschel. Laut mir war Kai ein Bekannter meiner Eltern, laut den andern war er mein Freier.

In der Schule wurden wir allmählich auf das Berufsleben spezialisiert, das wir schliesslich schon bald beginnen sollten. Beinahe sämtliche Schüler meines Jahrgangs hatte schon eine feste Lehrstelle. Ich hatte mich bis jetzt noch nicht einmal danach umgesehen. Aber jetzt hatte ich, praktisch von einem Tag auf den andern, die Hoffnung auf eine Karriere. Allerdings hatte ich schon ein bisschen Angst, wenn ich mir vorstellte, dass es nicht klappen könnte. Was machte ich dann? Das war auch der Grund, wieso ich es niemandem sagte. Sie würden mich nur auslachen.
 

So vergingen die Tage, und als diese Woche vorbei war, war noch immer nichts Interessantes passiert. Alles, was seit Yuriys Abreise geblieben war, war der Alltag. Diese schicksalhafte Nacht, als Kai mich auf der Parkbank gefunden hatte, die mein ganzes Leben veränderte, lag nun schon mehrere Wochen zurück. So lange lebte ich nun schon bei Kai. Und es dauerte nur noch drei Wochen, bis die Schule zu Ende war und ich zu Yuriy nach Russland reisen würde. Und ich hatte es Kai noch immer nicht gesagt.

Auch eine Woche später hatte ich es noch immer nicht über das Herz gebracht. Wie sollte ich es ihm beibringen? Schon der Gedanke an sein Gesicht, das er machen würde, versetzte mir einen Stich.
 

Am Wochenende vor der letzten Schulwoche rief ich dann Yuriy an. Er war gerade unterwegs und bat mich, in einer halben Stunde nochmals anzurufen. Dann habe er Zeit für mich. Also wartete ich und sah alle paar Minuten auf die Uhr. Doch es waren erst zwanzig vergangen, da klingelte das Telefon.

„Ja?“

„Hallo Ray!“, drang die fröhliche Stimme Yuriys durch den Hörer, „schön deine Stimme zu hören. Wie geht es dir?“

„Gut, danke. Und dir?“

„Mir auch. Nur gerade ziemlich viel los, werde mit Terminen überhäuft!“

„Ach so. Stör ich gerade irgendwie? Ich kann auch ein andermal wieder anrufen.“

„Nein, nein, keinesfalls! Ich hab gerade Pause. Es geht erst in einer Stunde weiter. Du rufst sicher an um mir zu sagen, dass du bald Ferien hast, richtig?“

Ich grinste.

„In einer Woche.“

„Dann willst du mein Angebot also annehmen und nach Russland kommen?“

„Ja, ich denke schon.“

„Ach komm schon Ray, ich kann doch spüren, dass du in Wahrheit hellauf begeistert bist. Nicht so zurückhaltend!“, lachte Yuriy in den Hörer. Natürlich hatte er Recht. Aber das sagte ich ihm nicht. Stattdessen zweifelte ich an der Geschichte.

„Aber Yuriy, was ist, wenn das nicht klappt?“

„Na ja, was soll da schon gross passieren? Aber hey, solange du nicht zwanzig Kilo zunimmst, wird da nicht viel Kritik kommen. Ich weiss nämlich, dass sie schon seit längerer Zeit ein neues Model suchen. Bis jetzt haben sie einfach noch keines entdeckt.“

„Und wenn ich ihnen auch nicht gefalle?“

Yuriy lachte. Lachte er mich aus?

„Mein kleines Kätzchen! Vertrau mir, sie werden begeistert sein!“

Ich seufzte und hoffte, dass es so sein würde.

„Aber Yuriy, wie komm ich denn zu dir?“, stellte ich ihm die Frage, wegen der ich ihn eigentlich angerufen hatte.

„Mit dem Flugzeug.“

„Ja klar, aber wie komm ich an den Flughafen?“

„Mit dem Taxi?“

„Aber ich habe doch kein Geld.“

„Brauchst du auch nicht, ich habe dort ein Konto. Ich ruf da mal kurz an, sage denen, sie sollen dich da und um diese Zeit abholen und dorthin fahren, fertig.“

Ich war irgendwie erleichtert. Yuriy schien wirklich alles möglich zu machen.

„Okay, und was ist mit dem Flug?“

„Den zahl natürlich auch ich.“

„Danke, aber wann geht der?“

„Ich würde vorschlagen du fliegst gleich am Samstag.“

„Ja, dann kann ich gehen, wenn Kai arbeitet. Das trifft sich ganz gut.“

„Du hast es ihm nicht gesagt, nicht wahr?“

„Nein. Ich konnte nicht. Aber ich schreibe ihm noch einen Brief und erkläre ihm alles.“

„Okay, ich denke, er wird’s überleben.“

„Jah...“

Eine kurze Stille trat ein, dann meldete sich Yuriy wieder zu Wort.

„Um welche Zeit möchtest du denn fliegen? Am Nachmittag? Oder lieber gleich morgens?“

„Am Nachmittag. Sonst habe ich keine Zeit zum packen.“

„Okay, ich habe alles eingegeben. Dein Flug geht um fünf Uhr, dann bist du um ein Uhr in der Nacht Ortszeit hier. Du fliegst vierzehn Stunden.“

„Hääh??“

„Zwischen uns liegen etwa 20'000 Kilometer und sechs Zeitzonen, mein Lieber. Das ist durchaus möglich.“

„Aber... wo bist du denn überhaupt?“

„In Moskau.“

„In Moskau?“, wiederholte ich. Ich wusste nicht, ob ich überrascht, oder geschockt sein sollte, oder beides.

„Ja, was hast du denn gedacht? Ich sei in irgendeinem gottverlassenen Dorf?“

„N-nein. Ich weiss doch auch nicht was ich gedacht habe. Ich hab einfach vergessen wie gross Russland ist.“

„Ich merk’s!“, lachte er amüsiert.

„Okay, vergessen wir das. Wann werde ich denn vom Taxi abgeholt?“

„Nun ja, normalerweise müsstest du mindestens eineinhalb Stunden vorher beim Check-In sein, aber da du First-Class fliegen wirst, reicht eine halbe Stunde.“

Er wollte eigentlich noch weiter reden, aber ich unterbrach ihn.

„Wie? Warum First-Class?“, fragte ich verdutzt.

„Also bitte, ein zukünftiges berühmtes Model fliegt doch nicht mit Normalsterblichen!“, tadelte er, und ich hörte eine Spur Spott in seiner Stimme.

„Okay, wenn du meinst.“

„Ja. Also ich werde dir das Taxi auf drei Uhr schicken, das sollte gerade gut aufgehen. Und ich hole dich dann in Moskau am Flughafen ab.“

„Okay. Danke Yuriy, du hilfst mir wirklich sehr, ich weiss gar nicht, wie ich das wieder gutmachen soll.“

„Ach, lass mal, ist mir eine Freude!“

„Trotzdem danke.“

„Gern geschehen.“

„Ach und Yuriy“, kam mir plötzlich in den Sinn, „wie komme ich eigentlich an das Ticket?“

„Sie schicken es dir. Kein Problem, in drei Tagen hast du’s. Hast du gerade noch eine Frage?“

Ich überlegte kurz, doch bis jetzt schien alles geklärt zu sein.

„Nein, glaube nicht.“

„Gut, und wenn doch, rufst du einfach wieder an. Ich muss dann mal weiter.“

„Okay.“

„Hat mich gefreut, von dir zu hören.“

„Ja, ich auch.“

„Bis dann, bye!“

„Ja, ciao.“

Ich legte auf und auf meinen Lippen breitete sich ein breites Grinsen aus. Na, war doch alles gut gelaufen. Ich freute mich richtig. Den Samstag konnte ich kaum erwarten.

In die Zukunft

Mein Tag war endlich gekommen. Kai war bei seiner Arbeit. Ich war alleine zu Hause. Ich hatte den Wecker auf zehn Uhr gestellt. So hatte ich genügend Zeit, meine Sachen zu erledigen, zu packen, und Kai meinen Brief auf den Tisch zu legen. Ich hatte es ihm noch immer nicht gesagt. Stattdessen hatte ich ihm einen langen Brief geschrieben.

Um halb zehn wurde ich wach. Musste an der Aufregung liegen. Aber da ich nicht mehr einschlafen konnte, obwohl ich mit Kai gestern noch lange auf war, stand ich auf und wie jeden Morgen schnurstracks ins Bad, um mir die Haare zu waschen und die Zähne zu putzen. Ich blieb lange unter der Dusche stehen. Meine Haut wurde schon ganz schrumpelig. Als ich dann aus dem Badezimmer trat, meine Haare zu einem dichten, feuchten Zopf geflochten, waren immerhin schon eineinhalb Stunden vergangen. Vorsichtig holte ich meine Sporttasche aus der obersten Abteilung meines Schrankes und warf sie auf das Bett. Dort schmiss ich alles an Kleider und Krimskrams rein, das ich hatte, separat, in eine Umhängetasche, all das, was ich während des Fluges brauchen würde. Als mein Schrank leer und die Tasche voll war, begab ich mich zum Tischchen neben dem Bett. Dort in der unteren Schublade war die Mappe, die Yuriy mir zusammen mit seiner Nummer gegeben hatte, vor nun fast einem Monat. Obendrauf, in einem Couvert, lag das Ticket. Vorsichtig legte ich beides auf das Bett neben die Tasche. Dann öffnete ich die oberste Schublade und kippte den ganzen Inhalt hinein. Als auch das Nachttischchen und die Kommode geleert waren, verfrachtete ich alles neben die Tür. Die Mappe und das Ticket hatte ich in die Umhängetasche gesteckt. Ich ging zurück zum Bett, schüttelte Kissen und Decke kräftig aus und strich alles glatt. Mit einem letzten Blick durch das Zimmer versicherte ich mich, dass ich nichts vergessen hatte. Ich hob Sport- und Umhängetasche auf und öffnete die Tür, warf einen letzten Blick zurück in das Zimmer, das zwei Monate lang meines war. Jetzt sah es aus, als wäre ich gar nie da gewesen. Mit einem Seufzer schloss ich die Tür und ging ins Wohnzimmer. Dort schaute ich auf die grosse Wanduhr und stellte fest, dass es schon nach ein Uhr war. In meiner Hosentasche fühlte ich den Brief. Ich zog ihn heraus. Er war ein bisschen zerknittert. Auf dem Umschlag stand gross ‚Kai’.
 

Das Wohnzimmer war immer der erste Ort, an den er ging. Ich legte den Brief auf das Salontischchen. Dann sah er ihn wenigstens sofort, dachte ich.

Eine Weile schaute ich den Brief an. Ich überlegte nichts, ich stand einfach nur da und starrte den Brief an. Doch dann wandte ich mich um und ging in die Küche, um mir etwas zu essen zu machen.
 

Kurz vor drei Uhr, ich hatte sogar noch abgewaschen und mir die Zähne nochmals geputzt, klingelte es an der Tür. Davor stand der Taxifahrer. Ich hatte ein Glück, dass Kai nie abschloss, wenn er zur Arbeit ging. Immerhin war immer jemand im Haus, auch wenn es nur jemand vom Personal war.

„Guten Tag, sind sie Ray Kon?“, fragte er freundlich. Ich nickte. „Wunderbar, dann kommen sie bitte mit mir. Ich nehme ihre Tasche“, fügte er noch an, als ich mich bückte um sie aufzuheben, und hängte sie sich über die Schultern. Dann ging er voran, ich im Schlepptau hintendrein. Beim Taxi angekommen, hielt er mir die Türe auf, und als ich eingestiegen war, schloss er sie wieder und legte dann die Tasche vorsichtig in den Kofferraum. Ich kam mir ein bisschen bescheuert vor. Aber nur ein bisschen. Irgendetwas sagte mir, dass ich mich daran gewöhnen musste.

Lange blickte ich der Villa nach, als wir abfuhren, bis ich sie aus den Augen verlor, weil wir um eine Ecke bogen. Dann starrte ich durch das Fenster nach draussen, mein Blick verlor sich irgendwo in der Gegend. Während der ganzen Fahrt sagte ich kein Wort. Erst als er mich noch bis nach drinnen zum Check-In begleitete, bedankte ich mich freundlich bei ihm und wollte ihm einige Münzen Trinkgeld geben, die ich mühsam zusammengekratzt hatte, doch er lehnte lächelnd ab. Dann eben nicht.

Lange stand ich nicht an, da ich erste Klasse flog und der grosse Haufen bereits eingecheckt hatte. Ich wartete dementsprechend auch nur kurz, dann wurden wir durch Lautsprecher aufgefordert, durch das Gate zu gehen und in den Flieger nach Moskau zu steigen.

Die Frau, die die Tickets ansah und den Passagieren die Plätze zuwies, sah mich merkwürdig an, doch dann zeigte sie in ein Abteil, das bei Weitem gemütlicher aussah als der Rest. Ich setzte mich an meinen Fensterplatz und guckte hinaus. Weit unten sah ich irgendwelche Männer in Uniformen rumrennen und Gepäck schleppen. Ich schaute auf die Uhr. In zwei Minuten war es soweit. Dann gab es kein Zurück mehr. Der Pilot begann auch schon, uns zu begrüssen. Mein Blick war jedoch schon wieder in weite Ferne gerichtet und meine Gedanken ganz wo anders.
 

Kai war unterdessen zu Hause angekommen. Wie gewöhnlich legte er den Autoschlüssel neben der Eingangstür in eine Schale auf den Schuhschrank, zog die Schuhe aus und ging in die Küche, um ein Glas Wasser zu trinken. Es war ruhig im Haus. Der kleine Chinese schlief bestimmt, immerhin wurde es letzte Nacht mal wieder spät. Oder er sass in der Badewanne, die er so mochte. Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen.
 

Aus irgendeinem mir unerfindlichen Grund konnte ich alles, was gerade passierte, mit ansehen, als stünde ich daneben. Kai ging nicht ins Wohnzimmer, wie ich eigentlich dachte. Er stieg die Treppen zum zweiten Stock hinauf. Sachte klopfte er an eine Tür. Stille.

„Ray?“

Keine Antwort. Vorsichtig öffnete er die Tür.

„Ray, bist du wa-?“

Er erstarrte mitten in seiner Bewegung, blickte fassungslos in den Raum. Er war leer. Hastig schloss er die Tür wieder. Hatte er sich etwa im Zimmer geirrt? Er eilte den Gang entlang, öffnete jede Tür, blickte hinein. Nichts. Er rannte runter, in die Küche, zum Pool, in den Spielraum, er suchte jeden Raum ab. Immer noch nichts. Von seinem schwarzhaarigen Chinesen fehlte jede Spur. Verzweifelt liess er sich auf das Sofa im Wohnzimmer fallen, sein Stammplatz. Da fiel sein Blick auf einen Umschlag, der auf dem Tischchen lag. Drei zierliche Buchstaben bildeten seinen Namen. Er packte den Brief, riss ihn auf. Hastig überflog er die ersten Zeilen, blinzelte, zog die Augenbrauen zusammen, las das ganze Geschriebene aufmerksam durch.
 

Lieber Kai

Als erstes musst du wissen, wie unendlich dankbar ich für all das bin, was du in den letzten Monaten für mich getan hast. Ich weiss nicht, was ich ohne dich gemacht hätte. Du hast meinem Leben wieder einen Sinn gegeben. Du warst immer da, wenn es mir schlecht ging, hast mich getröstet, mir Halt gegeben, wenn ich dich brauchte. Du hast mir sofort alles anvertraut, obwohl wir uns kaum kannten. Ich habe diese Zeit bei dir unglaublich genossen. Den Tag im Vergnügungspark werde ich nie vergessen! Er wird einer meiner schönsten in meiner Erinnerung sein. Und wer weiss, vielleicht kann ich eines Tages auch irgendetwas für dich tun?
 

Kai, wenn du diesen Brief liest, bin ich nicht mehr da. Es tut mir leid, dir das auf diese Weise erklären zu müssen, aber ich brachte es nicht übers Herz, es dir direkt ins Gesicht zu sagen. Du weißt, meine Schulzeit ist zu Ende und für mich beginnt ein neuer Lebensabschnitt. Ich muss nun auch arbeiten gehen. Ich hatte mich zwar nie gross bemüht, eine Lehrstelle zu finden, aber... Vor etwa vier Wochen wurde mir dann etwas angeboten, das ich nicht ablehnen konnte.
 

Kai, wenn du diesen Brief liest, sitze ich bereits im Flugzeug Richtung Moskau. Yuriy meinte, ich hätte gute Chancen auf eine Karriere als Model. Ich zögerte lange, doch schliesslich habe ich sein Angebot, zu ihm nach Russland zu kommen, angenommen. Wenn ich wirklich eine Chance habe, mich in dieser Branche zu behaupten, dann möchte ich es versuchen. Meine Zukunft liegt nun etwa 20'000 Kilometer von dir entfernt. Bitte verstehe das. Und bitte sei Yuriy nicht böse, schlussendlich war es doch meine Entscheidung.
 

Ich habe dich wirklich sehr ins Herz geschlossen und es tut unglaublich weh, dich auf solch eine brutale Weise zurückstossen zu müssen. Trotz allem hoffe ich, dass sich unsere Wege nicht endgültig trennen! Denn ich weiss, wie es ist einen geliebten Menschen zu verlieren. Auch wenn es diesmal meine Schuld ist.
 

Bitte verzeih mir!
 

In Liebe

Ray
 

Es war Abend. Draussen verfärbte sich der Himmel langsam über Orange zu Rot, und schliesslich zu Dunkelviolett. Ich war in meinem Sitz eingeschlafen, die Gedanken zuletzt bei Kai. Das Essen, das mir hingestellt wurde, habe ich nicht angerührt. Es sah schon unappetitlich aus. Ich flog nun schon seit über vier Stunden, folglich war es in Tokio neun Uhr abends. In Moskau erst drei Uhr nachmittags. Ich drehte den Kopf auf die andere Seite und schloss die Augen wieder. Das Fliegen erschöpfte mich irgendwie. Es dauerte nicht lange, da schlief ich wieder ein. Meine Gedanken schweiften hin und her zwischen dem, was vor mir lag, und dem, was ich hinter mir liess.
 

Kai sass auf einem Sessel vor dem Kamin. Es war dunkel. Das flackernde Licht des Feuers warf grosse, verschwommene Schatten an die Wand. Das Holz knisterte. Auf einem Tischchen stand ein Glas. Drei Eiswürfel schwammen im russischen Alkohol. Kai starrte gedankenverloren in die gelb-orangen Flammen. In einer Hand hielt er einen Brief. In der anderen ein dünnes, silbernes Kettchen. Es war für mich bestimmt. Kai hatte es auf dem Nachhauseweg in einem Schaufenster gesehen. Dabei dachte er an mich. Er kaufte es. Wollte mich damit überraschen.

Er drückte die Faust fest zusammen. Schon wieder. Es war genau wie damals. Da war es nicht anders gewesen. Jetzt war es schon wieder passiert. Ein letzter Blick auf den Umschlag mit den geschwungenen Buchstaben, dann warf er ihn in die züngelnden Flammen. Er starrte das Papier an, das im Bruchteil einer Sekunde vom Feuer verschlungen wurde und dann als Asche in sich zusammenfiel. Dabei verfärbte sich das Feuer hellrot. Feuerrot. Eisblau.

>Yuriy<
 

~end~



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Kommentare zu dieser Fanfic (14)
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Von:  kuma-chan
2012-06-20T15:18:22+00:00 20.06.2012 17:18
Hiya,
ich habe durch Zufall deine FF entdeckt und find sie echt super. Hatte beim Ende sogar Traenen in den Augen. Armer Kai...(ist mein Liebling ^^). Schon hart, auch wenn man die Beweggruende von Rei schon verstehen kann. So ist das halt in dem Alter. Naivitaet und Blauaeugugkeit...
Aber nun gut.
Ich finde du hast ne wirklich gute FF geschrieben ^.^ Gern weiter so. Vllt eine aus Kais Sicht. Das wuerd mich irgentwie noch mal interessieren. Also seine intimsten Gedanken bezuegl. Reis.
Oink! ^_^
Von:  --Lucy--
2011-01-25T00:47:53+00:00 25.01.2011 01:47
Huhu
habe durch zufall deine FF entdeckt und find sie echt super! Mag KaixRay eh und da dacht ich mir "Hmm..Tala findste doch auch toll, also warum mal nicht diese FF mit den zweier pairing lesen?" also hab ich das auch getan und bin echt angetan von dieser FF =)
Die Story ist gut, der Arme Kai^^ Ich glaub jedoch Kai könnte ihnen nach Russland folgen und irgendwas unüberlegtes tun..hmm..naja ich lass mich überraschen xD

Hoffe du schreibst schnell weiter und würde mich freuen wenn du mir evtl ne ens schreiben könntest wenn du nen neues Pittel hochgeladen hast *grins*

Ach ja mal noch ne Frage...Das nächste Kapitel wird das in der FF hochgeladen oder machst du da sozusagen ne neue auf?

mlg yuri
Von:  Alex_Dryden
2011-01-11T20:57:07+00:00 11.01.2011 21:57
Hallu...
Also ich hab deine FF heute durch Zufall gefunden und es hat mich echt interessiert...und folglich hab ich sie gelesen^^
Ich danke dir für diese Tolle Geschichte auch wenn ich das Ende total traurig fand...*Kai tröst* Mein armer Kai...
Aber sie ist voll gut geschrieben und auch die Story ist toll...ich würd nur gern wissen was dieses Geheimnis ist, was Kai und Tala verbindet??? Ich hoffe deine Fortsetzung kommt schnell ich will weiter lesen^^
Also echt super toll^^
*knuddel*
*Kekse geb*
*wink*

bye Guave_Lexi
Von:  Jackie20
2010-09-20T20:59:57+00:00 20.09.2010 22:59
klasse kapitel
kai ist ziemlich sauer
ist er auf ray so sauer oder wegen yuriy?
und was meint er genau wie damals?
oh ich hoffe das ray nichts falsches gemacht hat
schreib schnell weiter
bye
Von:  Jackie20
2010-08-29T20:05:55+00:00 29.08.2010 22:05
tolles kapitel
ich frage mich ob ray fliegt oder doch nicht
was wird dan aus den armen kai werden
er wird sicher nicht sehr begeistert sein oder
scjhreib schnell weiter
bye
Von:  Chiibii
2010-08-22T17:56:31+00:00 22.08.2010 19:56
Ich korrigiere...2 Leser xD~
Naja, du hast bestimmt noch mehr, aber nicht jeder macht ein Kommi >_>
*hust*

Freu mich, dass du weiter schreibst *_*
Ich mag die FF und dein Schreib-Stil ♥
Auch wenn mich Ray's Art bissl aufregt >_>
aber is echt mal was anderes ;p

Schreib schnello weiter ^_^
Von:  caramel-bonbon
2010-08-18T18:41:50+00:00 18.08.2010 20:41
wow, ich hab tatsächlich noch einen leser! ^^
freut mich, tausend dank! ^^
Von:  Jackie20
2010-08-18T09:06:20+00:00 18.08.2010 11:06
schön das du weiter schreibst
ich finde deine ff toll
sie gefällt
freu mich wenn es weiter´geht
schreib schnell weiter bye
Von:  Anime-Freak_18
2009-05-11T17:47:19+00:00 11.05.2009 19:47
Hey,
ich wollte dir mal ein Lob aussprechen, ich find deinen Schreibstil wirklich gut und würde mich freuen wenn du weiterschreiben würdest.

Sorry, hab leider keinen Plan wie ich ein ordentliches Lob schreiben könnte. *unschuldig grins* ;)

Aber ich fänds echt klasse, wenn du weiter schreiben würdest. ;)
Von: abgemeldet
2008-12-20T10:24:35+00:00 20.12.2008 11:24
Hm, irgendwie bin ich gerade ins Zweifeln gekommen, ob ich weiterlesen soll, da mir doch einige Klischees begegnen, und ich habe das gefühl dfass die Storyline der Ff sich einzig und allein darum dreht ein Pair zusammen zu bringen ohne Hintegrundstory und sowas mag ich nich so gerne...
Hm, ich weiss nich... sei mir nich böse, aber ich werde hier wohl aufhören zu lesen.
An und für sich schreibst du wirklich gut, red dir da nichts anderes ein, ich erkenne durchaus Potetial, nur fehlt mir gerade das gewisse etwas...
Trotzdem lass dich nicht unterkriegen und dennoch viel Spaß beim Weiterschreiben.
lg, Katze


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