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Spherium

Kaiba/Yuugi
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Yuugiou Duel Monsters gehört Kazuki Takahashi und Toei Animation. Ich verdiene hiermit kein Geld. Diese Geschichte bezieht sich auf den Manga. Vorschläge, Ideen und Kritik sind gern gesehen. Falls ihr Rechtschreib-, Grammatik- oder Logikfehler finden solltet, dürft ihr diese gerne erwähnen. Ich werde, wenn nötig, die Kapitel dahingehend korrigieren, um euch einen optimalen Lesefluss zu ermöglichen. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Der kursive Text ist eine Nacherzählung des Mangas. Die wörtliche Rede ist original aus dem deutschsprachigen Manga Band 30 entnommen. Leider konnte ich die Bildgewalt dieser Szenen mit meinen Fähigkeiten nicht so gut einfangen, aber vielleicht fühlt sich der ein oder andere von euch ja ermutigt nun den Manga zu lesen. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Bitte einen Blick ins Glossar und ins Nachwort werfen. Danke! ;) Komplett anzeigen

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Kapitel 1

Kaiba saß an seinem riesigen Mahagoni-Schreibtisch und arbeitete konzentriert an seinem Laptop. Das rhythmische Klackern der Tastatur war bis in den Flur zu hören. Hastig flitzten seine Finger über die Tastatur und hin und wieder war ein genervtes Raunen zu hören. Es war ein typischer Montag Abend, an dem er, wie gewohnt, seine E-Mails durchging und schnell beantwortete. Er durfte seine Geschäftspartner nicht zu lang warten lassen, ansonsten verloren diese direkt das Interesse an ihm und seiner Holo-Technik. Auf keinen Fall wollte er den guten Namen seiner Firma riskieren. Mit seiner Virtual Reality und Hologramm Technologie hatte die Kaiba Corporation bereits den Markt erobert, aber das war noch lange nicht sein Ziel. Es gab noch viel zu viele Dinge, die er unbedingt tun musste. Oder besser gesagt, Träume, die er sich erfüllen wollte.
 

Zum einen wollte er auch ins Ausland expandieren und dort Kaiba Freizeitpärkte bauen, um so in mehreren unterschiedlichen Branchen vertreten zu sein und seine Machtposition zu stärken. Wenn es eines gab, was er wichtig empfand, dann war es Stärke. Wahre Stärke, die von nichts und niemanden zu erschüttern war. Ein Inbegriff seiner selbst. Sein Ego war so riesig, dass es nicht mehr in diese Dimension passte. Und Kaiba war verdammt stolz darauf, immerhin hatte er sich alles in seinem Leben hart erarbeitet und für seine Position an der Spitze gekämpft.
 

Es gab niemanden, der besser war als er. Plötzlich stoppte er in seiner Bewegung.
 

„Niemand“ stimmte nicht ganz. Es gab eine Person, die es bereits mehrmals geschafft hatte, ihn zu schlagen. Vielleicht war dieser junge Mann auch der Grund, warum er bis heute wie versessen auf Duel Monsters war. Ihre Duelle waren spannend, abwechslungsreich und immer wenn er ihm gegenüberstehen konnte, war er erfüllt von einer Lebensfreude und Anspannung, die ihn alles andere vergessen ließ. Mutou Yuugi war ein absolutes Genie, wenn es darum ging, komplizierte Rätsel zu knacken und ein Spiel zu durchschauen.
 

Immer wenn Kaiba glaubte, dass er einen Sieg erringen konnte und er der festen Überzeugung war, dass sein nächster Zug sein letzter sein würde, überraschte Yuugi ihn und legte einfach eine andere Karte, verfolgte eine ganz andere Strategie. Er passte sich den Umständen an. Kaiba hatte ihn nicht nur als Duellanten zu schätzen gelernt, sondern auch als Menschen. Ihre regelmäßigen Duelle waren aus seinem Leben nicht mehr wegzudenken.
 

Trotzdem hatte er nicht aufgegeben, danach zu streben, Yuugi endlich zu schlagen. Er fieberte diesem Moment entgegen. Wie er sich wohl fühlen würde, wenn Yuugi endlich eine Niederlage kassierte und er seinen rechtmäßigen Platz als König der Spiele einnahm? Dann wäre er endlich der beste Gamer auf der Welt.
 

„Verdammt...“, murmelte er und rieb sich angestrengt sein Nasenbahn. Ein kurzer Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es bereits 19 Uhr abends war und es langsam an der Zeit wurde, nach Hause zu gehen und das Büro zu verlassen. Er drehte sich mit seinen edlem Lederstuhl um und warf einen ausschweifenden Blick auf die Skyline von Domino City. Draußen war es bereits dunkel und die Stadt erstrahlte in bunten Lichtern. Eine Stadt, die von der modernen und qualitativ hochwertigen Technologie seiner Firma profitierte. Mittlerweile erwischte Kaiba sich immer häufiger dabei, Domino City als seine Stadt zu bezeichnen. Von den Reklameschildern bis hin zur U-Bahn Beleuchtung, fast überall prangerte das Logo der KC hervor. Vollkommen egal, was Kaiba machte, er tat es stets im großen Stil.
 

Niemand sollte es auch nur wagen ihn zu unterschätzen. Grummelnd schloss er das E-Mail Postfach und fuhr seinen Laptop hinunter, packte diesen sorgsam in seinen silbernen Metallaktenkoffer und zog sich seinen Mantel über. Er würde Yuugi schon noch schlagen. Ganz egal, was er dafür einsetzen musste. In letzter Zeit hatte Yuugi seine Herausforderungen einfach abgelehnt. Er nannte keine Gründe. Sagte er hätte ein „Privatleben“ und keine Zeit für Duelle. Von wegen, dass er alle Hände voll zu tun hätte.
 

Kaiba knurrte. Dass ihm sein Sieg gegen Yuugi weiterhin verwehrt blieb, kratzte an seinem gigantischen Ego und raubte ihm den Schlaf. Viel zu oft hatte er sein Deck umstellen, neue Strategien durchgehen müssen und immer noch keine perfekte Kontermöglichkeit für Yuugis atemberaubenden Kartenkombinationen gefunden. Vielleicht sollte er noch einmal probieren, diesen herauszufordern. Er musste einfach nur hartnäckig bleiben, dann würde er Yuugi schon vom Thron werfen und selbst die Anerkennung erlangen, die ihm gebührte.
 

Sein Chauffeur Isono fuhr vor und er stieg rasch in seine tiefschwarze Luxuslimousine, auf dessen Motorhaube das Markenzeichen von Toyota erstrahlte. Nur das Beste und Teuerste für einen Mann wie Kaiba. Ein Mann seines Formates durfte ruhig mit seinen Errungenschaften angeben, außerdem liebte es Kaiba, wenn die Menschen zu ihm hoch sahen und ihn bewunderten.
 

»Yuugi, du wirst schon noch für die Niederlagen bezahlen, die ich wegen dir erleiden musste.«, dachte er und betrachtete die Umgebung, die rasend an ihm vorbeirauschte. Isono fuhr möglichst schnell, um Kaiba nicht zu verärgern. Niemand legte sich ungestraft mit Kaiba Seto an. Auch Yuugi nicht.

Kapitel 2

„Die Kaiba Corporation ist wirtschaftlich so stark wie noch nie. Ganz Domino, nein, ganz Japan leckt sich die Finger nach meiner Technologie. Ich habe noch große Pläne was die Zukunft des Kaiba Parks angeht.“
 

„Kaiba-sama, sind Sie sich sicher, dass Hologramme in einem Freizeitpark die Besucher nicht erschrecken wird?“, fragte einer der Männer am großen Tisch, der etwas besorgt aussah. Tuscheln erfüllte den Raum.
 

„Genau das bekam ich damals auch zu hören, als ich die Hologramme für Duel Monsters entwickelt habe. Und wie sieht es heute aus? Beantworten Sie mir die Frage“, kam es scharf von Kaiba.
 

„Duel Monsters mit Hologrammen ist nicht mehr wegzudenken.“
 

„Ich gebe mich mit kleinen Erfolgen nicht zufrieden und setze mir ständig neue Ziele. Die Kaiba Corporation ist zukunftsweisend“, erklärte Kaiba und legte die einzelnen Papiere vor sich zu einem ordentlichen Stapel zusammen und heftete sie in einem Aktenordner ab. Bis eben hatte er die Pläne für seinen neuen Kaiba Park mit den Leitern der einzelnen Abteilungen besprochen. Ein neues Konzept sollte für ordentlich Aufwind sorgen und bis er tatsächlich mit den Entwürfen anfangen konnte, würde er auch Yuugi in einem Duell besiegt haben. Er grinste zufrieden, ehe er sich von seinem Stuhl erhob und den Raum verließ.
 

Schnellen Schrittes bewegte er sich in Richtung Aufzug und fuhr in die oberste Etage, dort wo sich auch sein Büro befand. Seine Sekretärin erwartete ihn bereits und öffnete ihm die Tür. Sie ließ ihn kurz allein, ehe sie wiederkam mit einer Tasse Kaffee, die sie ihm auf den Schreibtisch stellte. Seit mehreren Monaten arbeitete sie hier bereits und wusste, dass das erste, was Kaiba sich wünschte, wenn er hier ankam, ein frisch gebrühter Kaffee war, ohne Milch und ohne Zucker. Bitter. Herb. Aber vor allem belebend.
 

„Kaiba-sama, in Ihrer Abwesenheit haben mehrere Personen angerufen. Unter anderen ihr Geschäftspartner SeigoTec, die einen größeren Auftrag für uns hat, Yuugi Mutou, der auf ihren Wunsch angerufen hat und Matsuka-san, der Probleme bei der Produktion zu haben scheint“, ratterte sie monoton herunter, wurde aber harsch unterbrochen.
 

„Um die geschäftlichen Angelegenheiten können Sie sich kümmern, falls Sie Hilfe brauchen, fragen Sie meinen jüngeren Bruder. Was genau hat Mutou Yuugi gesagt? Nimmt er meine Herausforderung an?“
 

„Nun...“, begann sie mit fester Stimme. Sie atmete tief ein, rückte ihre Brille zurecht und sah ihn mit einem selbstbewussten Blick an. Angst vor ihrem Chef hatte sie nicht, aber sie wusste, dass dieser sehr schnell aus der Haut fahren konnte, wenn man seine Anordnungen nicht befolgte.
 

„...er wünscht, dass Sie zum Kame Game Shop kommen.“
 

„Wie bitte?!“, wiederholte Kaiba laut, schlug dabei mit beiden Händen auf seinen Tisch, so dass der Kaffee überschwappte. Aufgeregt erhob er sich von seinem Stuhl. Seine Sekretärin beeindruckte seine plötzliche Gemütsschwankung nur wenig. Wenn es um Mutou Yuugi ging, war ihr Chef doch sehr schnell Feuer und Flamme. Das hier war eine willkommene Abwechslung, denn so konnte sie sich sicher sein, dass er tatsächlich ein Mensch und kein Roboter war.
 

„Ich habe ihm doch ausdrücklich geschrieben, dass er zum Duel Dom kommen soll!“
 

„Kaiba-sama, brüllen Sie mich bitte nicht an. Klären Sie das mit Mutou-san. Ich kenne die Gründe nicht“, sagte sie mit trockener Stimme, verbeugte sich kurz und verließ das Büro.
 

Grummelnd ließ sich Kaiba wieder in seinen Chefsessel fallen. Super. Wer machte jetzt die Sauerei auf dem Tisch weg? Und was hatte Yuugi vor? Er wusste doch, dass er ein vielbeschäftigter Mann war. Dachte Yuugi ernsthaft, dass er sämtliche seiner Termine über den Haufen werfen würde, nur um einen kleinen Ausflug zum Kame Game Shop zu machen? Er hatte Wichtiges vor. Er durfte seine Arbeit nicht einfach liegen lassen, immerhin hatte er genug zu tun. Mit einem tiefen Seufzer erhob er sich und kramte eine Serviette aus einer Schublade, machte die Sauerei selbst weg. Wer immer diese Sekretärin war, die hatte echt Mumm diese Sauerei hier zu ignorieren. Seine letzte Angestellte hätte sogar den Boden geküsst auf dem Kaiba wandelte. Genau das war auch der Grund, warum er sie versetzt hatte. Kaiba brauchte jemanden mit starkem Willen. Jemand, der auch in der Lage war normal mit ihm zu kommunizieren, wenn er einen schlechten Tag hatte und seine miese Laune ungewollt an seiner Umgebung abließ.
 

Rasch arbeitete er sämtliche E-Mails durch, beantwortete einige Anfragen und schickte Angebote an seine Kunden heraus. Als er endlich ein gutes Stück seiner Aufgaben erledigt hatte, schob er den Computerbildschirm kurz beiseite und griff nach dem Telefon. Ohne lange zu Zögern wählte er die Nummer des Kame Game Shops. Zu seinem Erstaunen ging niemand ans Telefon. Genervt schnalzte er mit der Zunge, ließ sich aber nicht beirren und versuchte es erneut. Auch beim vierten Versuch hob keiner ab. Entweder meinte Yuugi es ernst, dass er zu ihm kommen sollte oder es war gerade wirklich keiner da. Letzteres wagte er zu bezweifeln.
 

Selbst wenn Yuugi nicht da wäre, wäre der alte Knacker oder die Mutter da. Obwohl er sich bei Yuugis Mutter nicht ganz sicher war. Er hatte sie nur einmal gesehen. Und auch nur ganz kurz.
 

Dachte Yuugi wirklich, dass er alles stehen und liegen lassen würde? Ha, da hatte er sich aber geschnitten. Kaiba ließ sich von niemanden Befehle geben, erst recht nicht von irgendwelchen Kids, die keine Ahnung hatten, was das Berufsleben für Verantwortungen mit sich brachte. Gut, dass Yuugi genauso alt war wie er, konnte man ja mal übersehen. Immerhin sah Yuugi mit seiner geringen Körpergröße alles andere als erwachsen aus. Nicht, dass man sich von Äußerlichkeiten beeinflussen lassen sollte. Doch Kaiba musste schmunzeln, wenn sie nebeneinanderstanden, da Yuugi ihn nicht einmal bis zur Schulter reichte.
 

Noch einmal wählte er die Nummer des Kame Game Shops. Gerade als er den Hörer wieder auflegen wollte, nahm jemand ab. Für einen Moment riss Kaiba die Augen verwundert auf. War Yuugi absichtlich nicht ans Telefon gegangen? Auch wenn Kaiba es niemals offen zugegeben hätte, so wusste er mehr über Yuugi und dessen Leben als ihm lieb war. Mit seinem Netzwerk war er in der Lage die ganze Stadt zu beobachten und es gab nichts, das ihm in Domino entging. Auch dass der Trottel Jounouchi einen richtigen Job gefunden hatte – Wunder geschahen immer wieder – war ihm nicht entgangen. Oder dass Yuugi seit Wochen nur selten sein Zuhause verließ.
 

„Kame Game Shop, Sie sprechen mit Mutou!“, ertönte die fröhliche Stimme am anderen Ende des Telefons und Kaiba erkannte den alten Mann sofort wieder. Eigentlich hatte er gehofft, dass Yuugi selbst abhob, aber das war wohl zu viel verlangt. Seufzend verdrehte er die Augen. Zeitverschwendung. In der Zeit, wo er bei diesem Laden angerufen hatte, hätte er mehrere Anfragen beantworten können, stattdessen musste er sich auf Smalltalk mit dem alten Herrn einlassen. Alte Menschen wurden gesprächig, vor allem wenn sie nichts zu tun hatten. Der Kame Game Shop lief nicht sonderlich gut. Kaiba wusste in etwa welche Läden Relevanz besaßen und wer viele Kunden anzog. Kame Games war keinesfalls ein Trendsetter, vor allem nicht mit diesem Sortiment aus dem vorletzten Jahrhundert. Alte Brettspiele? Videospiele waren die Zukunft.
 

„Hier spricht Kaiba. Ich will Yuugi sprechen“, sagte Kaiba in monotoner Stimmlage, um dem Alten hoffentlich verständlich zu machen, dass er keine Zeit für sinnlose Gespräche über Gott und die Welt hatte.
 

„Ah! Kaiba-kun! Ist lange her. Man sieht dich ja gar nicht mehr“, begann der alte Mann und Kaiba spürte sofort wie irgendetwas riss, vermutlich sein Geduldsfaden. Sein Auge zuckte gefährlich.
 

„Ist Yuugi zugegen?“, wiederholte er ruhig möglich und versuchte sich seinen Unmut nicht anhören zu lassen.
 

„Ja, ist er. Ich kann ihn rufen, aber er wird wahrscheinlich eh nicht kommen. Ist ziemlich beschäftigt. Irgendein Projekt oder so“, erklärte der alte Mann und zwirbelte seinen Bart, nicht, dass Kaiba dies hätte sehen können.
 

„Projekt? Für sein Studium?“, fragte Kaiba. Mist, jetzt war er doch neugierig.
 

„Ach, damit ist er doch schon längst fertig! Hat gut abgeschlossen. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet Yuugi, der beinahe wegen seiner schlechten Noten sitzengeblieben wäre, studieren gehen würde und sogar einen recht guten Abschluss schafft.“
 

»Dieser verdammte...! Das interessiert mich alles gar nicht! Das Projekt! Komm doch endlich mal zum Schluss!«, dachte er und ballte seine Hand zur Faust, während er den Kopf leicht hängen ließ und darauf wartete, dass der alte Mann endlich zu Ende gesprochen hatte. Immer dieselbe Leier. Dabei wusste der alte Kerl doch ganz genau, dass er weder Lust noch Zeit für solche Gespräche hatte. Kaiba warf einen Blick auf die Uhr. Bereits zehn Minuten hatte ihm dieses Unterfangen von seinem Tagesplan gestohlen. Zeit, die er wieder aufholen musste und es sah nicht so aus, als würde er endlich den Mund halten und zum Punkt kommen.
 

Stattdessen erklärte Sugorokou, dass Yuugi viel zu wenig essen würde, weil er ja so beschäftigt mit seinem Projekt war. Von früh morgens bis abends saß er vor irgendwelchen Plänen und bastelte etwas. Was genau dies war, erwähnte er nicht. Am liebsten hätte Kaiba ihm ordentlich die Meinung gesagt, aber er wollte nicht 'unhöflich' erscheinen oder das Risiko eingehen, dass der Großvater einfach auflegte und am Ende seine Nummer sperrte. Da Kaiba Yuugis Handynummer nicht hatte, konnte er ihn auch nicht direkt anrufen und ihn herausfordern. Meist forderte Kaiba ihn über die Medien zum Duell oder rief, wie heute auch, beim Laden an, nur um am Ende wieder Anekdoten des Hausherrn zu hören, der viel zu viel redete und weder Punkt noch Komma kannte.
 

„Und was genau ist dieses Projekt denn nun?“, warf er nebenbei ein und hoffte, dass er nun endlich eine Antwort bekam.
 

„Irgendein Spiel. Sieht nach einem Brettspiel aus, aber irgendwie auch wie ein Puzzle.“
 

War das sein Ernst? Kaibas Auge zuckte gefährlich und wäre er ein normaler Teenager mit etwas weniger Selbstbeherrschung gewesen, hätte er vermutlich mit voller Wucht seine flache Handfläche auf seine Stirn geklatscht und ein genervtes Stöhnen zum Besten gegeben. Aber das war er nun mal nicht. Also antwortete er erst mal gar nicht und fasste sich. Ging es noch geheimnisvoller? Eine solche Information war einfach viel zu vage, um klar sagen zu können, was genau Yuugi denn machte. Dass Yuugi Spiele liebte und schon mehrmals eigene Brettspiele gemacht hatte und diese sogar zur Schule mitbrachte, um sie mit seinen Freunden auszuprobieren, war ja wohl nichts Neues.
 

Schon während ihrer gemeinsamen Schulzeit war Yuugi ein absoluter Gamer und hatte stets irgendetwas im Rucksack, womit er die Pausenzeiten füllte und seine Klassenkameraden dazu brachte, neugierig aufzusehen und zu tuscheln. Sein letztes Spiel war ein Würfelspiel, in dem man das Ziel erreichen musste, aber auf dem Weg einige Hindernisse gestellt bekam. Die Zeichnungen waren stümperhaft. Die Regeln lückenhaft und die Idee ein Klassiker. Nichts Besonderes. Durchschnittlich, wenn überhaupt. Kaiba hatte einfach nur gelacht. So gut die Idee auch war, so schlecht war auch die Umsetzung. Yuugi zeichnete gerne. Meistens Duel Monsters oder zumindest Kreaturen, die diesen ähnlich sahen.
 

Das war nun acht Jahre her. Aus der Schule waren sie längst raus, waren ihre eigenen Wege gegangen und hatten sich verändert. Der kleine unschuldige Yuugi, der mehr einem Kind glich, wurde langsam erwachsen. Auch wenn er körperlich immer noch ziemlich schmächtig war, so war er im Gesicht doch gealtert. Er wirkte generell erwachsener, auch wenn sein Charakter sich kein bisschen geändert hatte. Vielleicht hatte er durch sein Studium neue Erfahrungen gesammelt und dazu gelernt. So oder so war Yuugi ein Genie. Zumindest wenn es um Spiele und komplizierte Rätsel ging. Also vermutete Kaiba einfach, dass er nun mehr Ahnung vom Erstellen von Spielen hatte und seine Entwürfe nicht mehr so amateurhaft und unüberlegt wirkten.
 

„Geht es etwas genauer?“, hakte er nach und hob eine Augenbraue.
 

„Hm, hat etwas vom Milleniumspuzzle? Wird auf jeden Fall 4D, wenn es irgendwann mal fertig ist. Er scheint nicht recht voranzukommen und steckt wohl fest.“
 

„Wollte er deswegen, dass ich zum Kame Game Shop komme?“
 

Wollte Yuugi ihn etwa um Hilfe bitten? Darauf konnte er aber lange warten. Er hatte ja nun wirklich genug zu tun. Da blieb ihm wohl kaum noch Zeit, sich um die Projekte anderer zu kümmern, auch wenn es sich dabei um seinen Rivalen handelte.
 

„Na ja, du bist ja ein guter Freund von Yuugi. Da dachte er sicher, dass du ihm helfen kannst.“
 

»Guter... Freund?«, wiederholte er gedanklich und schluckte hart. Bis heute konnte er nicht verstehen, wie Yuugi auf die Idee kam, ihm zu vertrauen. Nach allem, was er ihm angetan hatte. Für Kaiba gab es keine Vergangenheit. Es gab schlicht und ergreifend keine Zukunft, wenn man der Vergangenheit hinterher trauerte, also musste man diese auslöschen und so sehr zerstören, dass sie einen niemals wieder einholen konnte. Nostalgische Gefühle waren ein Zeichen von Schwäche. Das hatte ihm ein gewisser Mann gelehrt. Ein Mann, den er mit jeder Faser seines Körpers verabscheute und auf dessen Antlitz, so vulgär es auch klingen mochte, spucken würde, wenn er denn die Möglichkeit dazu bekommen würde ihn wiederzusehen. Sein Hass und sein Zorn ihm gegenüber war grenzenlos. Aber so sehr er ihn auch hasste, so sehr hatte seine Ausbildung ihn geprägt und zu Erfolg verholfen. Zerstörte man die Vergangenheit, erschuf dies einen strahlenden Weg in die Zukunft.
 

Und weil er so dachte, hatte er verdrängen wollen, was er Yuugi angetan hatte und wie sehr ihn seine erste Niederlage kränkte. Als er gegen Yuugi zum ersten Mal verlor hatte es sein Selbstvertrauen und sein Ego angekratzt. Er hatte jedes Spiel gespielt und zählte als der beste Gamer der Welt. Überall, wo er hinging, wurde er gefeiert, denn er hatte Geschichte geschrieben. Es gab kein einziges Spiel, in dem er nicht an der Spitze war, wo nicht der Name „Kai“ an erster Stelle stand. Jahrelang war er ungeschlagen. Es gab keinen Gegner für ihn.
 

Da er niemanden hatte, mit dem er sich messen konnte, hatte er einen Höhenflug erlitten und hatte wirklich geglaubt, dass er für immer auf diesem Thron bleiben konnte. Bis ein kleiner Junge kam und ihn ohne Schwierigkeit herunter schubste und seinen Platz einnahm. Ein Junge, von dem er zuvor noch nie gehört hatte. Da er so weit oben gewesen war, war der Fall umso tiefer und der Aufprall so schmerzhaft, dass er dies nicht akzeptieren konnte. Er war ein Kämpfer und hatte nie aufgegeben und stets daran gearbeitet, der Beste zu sein.
 

In diesem Wahn, der Beste sein zu wollen, ging er über Leichen. Er hatte sich von der Welt abgeschottet und an nichts Anderes mehr denken können. Rache. Diese Demütigung wollte er ihm heimzahlen. Yuugi sollte leiden, so sehr, dass er niemals wieder aufstand.
 

Kaiba schluckte, erschrocken über seine eigenen Gedanken. Es war nicht seine Art in Erinnerungen zu schwelgen. Für jemanden, der in der Vergangenheit gefangen war, war die Zukunft unmöglich zu erreichen. Dass Yuugi ihm vergeben hatte und ihn sogar als Freund bezeichnete, erstaunte ihn umso mehr. Wie dumm und naiv konnte ein Mensch nur sein? Kaiba bestritt nicht, dass sie Gemeinsamkeiten hatten, aber niemals würde er so weit gehen, diesen überfreundlichen Weichling als seinen Freund zu bezeichnen.
 

„Yuugi und ich sind keine Freunde, sondern Rivalen, Mutou-san.“
 

„Er sieht dich dennoch als seinen Freund an. Rivale oder Freund, wo ist da der Unterschied?“
 

„Sagen Sie ihm, dass er zu mir kommen soll und dass ich keine Zeit habe, ihn zu Hause zu besuchen. Wenn er Kaffee trinken und quatschen will, soll er sich jemanden suchen, der nichts zu tun hat.“ Es war ihm deutlich anzuhören, dass er genervt war und dieses Gespräch so schnell wie möglich beenden wollte.
 

„Kaiba-kun, ich bin kein Botschafter. Wenn du etwas mit ihm klären willst oder dich mit ihm duellieren möchtest, solltest du ihn einfach direkt fragen und dies nicht immer über Umwege tun. Wenn du Yuugi als deinen Rivalen respektierst, wird auch der Weg zu uns nicht zu weit für dich sein. Schönen Tag noch.“
 

Sugorokou legte einfach auf, ohne ihm die Möglichkeit zur Antwort zu geben. Super. Ein 15-minütiges Gespräch hatte ihm den ganzen Tag versaut. Noch tiefer konnte seine Laune nicht mehr sinken, dachte er zumindest. Seine Sekretärin brachte ihm wortlos einen Stapel Briefe und ratterte wie gewohnt den Tagesplan ab, schaute dabei kein einziges Mal nach oben und schenkte auch seiner schlechten Laune keine weitere Beachtung. Obwohl er sie mehrmals wütend angefahren hatte, blieb sie ganz locker und ruhig, ließ sich keinerlei Emotionen ansehen.
 

Genau deshalb hatte er sie eingestellt. Sie blieb unbeeindruckt und führte, ohne auf seine Provokationen einzugehen, ihre Arbeit fort. „Im Übrigen ist in ein paar Tagen Monatsabschluss und die Abteilung zuständig für die Produktion fragt nach der bevorstehenden Inventur und wie viele Leute sie einplanen dürfen, ohne die Planzeit zu überschreiten.“
 

„Um den Monatsabschluss kümmere ich mich persönlich. Stellen Sie nur sicher, dass sämtliche Abteilungen die Unterlagen bis Freitag Mittag fertig haben. Ich möchte nicht die ganze Nacht hier sitzen und Informationen zusammensuchen. Und sagen Sie Yoshita-san er solle sich doch endlich mal eine Schönschrift zulegen! Wer soll diesen Mist denn entziffern können?“
 

„Verstanden.“

Kapitel 3

Kaiba wollte sich gerade dem Briefstapel widmen, als es an der Tür klopfte. Er antwortete nicht und ignorierte den ungeladenen Besucher, der meinte, er könne ihn nach Lust und Laune von der Arbeit abhalten. Er hörte nur, wie seine Sekretärin davon stöckelte, die Tür dabei öffnete und dabei den Gast hineinließ, den Kaiba eigentlich am liebsten wieder wegschicken wollte.
 

„Nii-sama.“, begann der ungebetene Gast und lachte fröhlich. Mokuba war um einiges erwachsener geworden und grinste von einem Ohr zum anderen.
 

„Ich bin mit meinem Projekt fertig geworden und ich dachte, dass wir das mal ordentlich feiern sollten!“
 

Mit seinen 19 Jahren war Mokuba ganz schön schlagkräftig geworden. Im Gegensatz zu Kaiba selbst war dieser selbstbewusst und offen. Allein in den letzten drei Jahren hatte er vier Beziehungen gehabt und war sehr stolz auf seine neueste Errungenschaft. Ein junges Mädchen mit blonden Haaren. Angeblich ein IT-Genie, das ein Händchen fürs Hacken und Programmieren hatte. Wo immer er diese Frau hergeholt hatte, sie war wohl wirklich eine Bereicherung für ihn gewesen. Nicht nur, dass er sehr viel fröhlicher und noch gelassener war als sonst – was Kaiba auch so schon ausreichend zur Weißglut brachte – auch sein Verhalten hatte sich geändert. Er war viel ernster bei der Sache, aber behielt sich stets diese unverwechselbare Art bei, die Kaiba an ihm schätzte. Ohne Mokuba da wüsste er wirklich nicht, was er tun sollte.
 

Obwohl Mokuba selbst genug mit eigenen Projekten zu tun hatte, unterstützte er ihn regelmäßig und gab ihm die Luft zum Atmen, wenn er wieder einmal an seiner Arbeit zu ersticken drohte. Er brachte frischen Wind in seine Firma.
 

„Dafür habe ich keine Zeit, Mokuba. Du weißt, dass ich einen strikten Zeitplan habe.“
 

„Nii-sama...“, stöhnte Mokuba genervt und setzte sich, ohne zu fragen, direkt auf den teuren Mahagoni-Schreibtisch, warf ein Bein über das andere, während er seinen Kopf in den Nacken legte und aufgeregt mit den Fingerspitzen über die Tischplatte hämmerte.
 

„Man ist nur einmal jung und du könntest dir ruhig mal eine Pause gönnen. Du bist ja nur noch am Arbeiten, wenn du nicht aufpasst, liegst du schneller unter der Erde als dir lieb ist.“
 

„Im Gegensatz zu dir habe ich Verantwortung zu tragen, Mokuba.“
 

Mokuba schnalzte mit der Zunge. Er sah zu seinem älteren Bruder auf, aber was das Zwischenmenschliche anging war dieser eine Katastrophe. Immer nur Arbeit, Duel Monsters und sein Drang an der Spitze zu stehen. Für Mokuba war es unverständlich, dass sein Bruder an nichts anderes mehr dachte und selbst gar nicht bemerkte, wie viel Zeit er hier im Büro oder in seinem eigenen Keller verbrachte, wo er insgeheim neue Dueldisks bastelte.
 

„Ich sagte auch nicht, dass du alles hinwerfen sollst. Aber du musst lernen, deinen Angestellten mehr zu vertrauen und diesen auch mehr Aufgaben zu erlassen. Ist es wirklich nötig, dass du jede einzelne Anfrage persönlich bearbeitest? Oder dieser Briefstapel!“
 

Mokuba zeigte auf den großen Stapel neben Kaiba und zog dabei ungläubig eine Augenbraue hoch.
 

„Wozu öffnest du die Briefe überhaupt? Deine wichtigsten Partner antworten dir doch eh über E-Mail! Wer heutzutage ernsthaft Briefe verschickt, lebt in einem anderen Jahrhundert, Seto! Und du selbst sagst doch immer, wie wichtig die Digitalisierung für die Zukunft ist. Das ist unnötig Arbeit!“, erklärte Mokuba in seinem typischen Besserwisserton.
 

Kaiba hasste es, wenn Mokuba ihn belehrte und behandelte wie ein kleines Kind. Immerhin war er fünf Jahre älter und er erwartete etwas mehr Respekt! Nicht, dass Mokuba das sonderlich interessieren würde. Dieser war nun mal auch schon erwachsen und ließ sich nicht den Mund verbieten. Die beiden Brüder waren wie Tag und Nacht und je älter sie wurden, desto mehr gingen ihre Meinungen – insbesondere was die Leitung der Kaiba Corporation anging – auseinander. Mokuba hatte komplett andere Herangehensweisen und pflegte zu den meisten seiner Angestellten eine sehr gute Beziehung. In Mokubas eigener Entwicklungsabteilung wurde sogar jeden Freitag Nachmittag zu Kaffee und Kuchen eingeladen, wo sie gemeinsam über Fortschritte und Probleme sprachen.
 

Die Atmosphäre in Mokubas Abteilungen war tatsächlich vollkommen anders als in seinen eigenen, das konnte Kaiba leider nicht bestreiten. Die Leute dort lachten viel und wirkten generell viel motivierter. Wenn Kaiba sich einmal die Zeit nahm, mit seinen Abteilungsleitern zu reden oder überraschend in deren Büros aufzutauchen, war die Atmosphäre so angespannt, dass einem die Luft zum Atmen förmlich wegblieb. Seine Angestellten hatten Angst vor ihm. Im Normalfall genoss er es, wenn andere ihn fürchteten, doch in seiner Firma brauchte er motivierte Menschen, die nicht direkt einen Kreislaufkollaps erlitten, sofern sie ihren höchsten Chef persönlich sahen.
 

„Du musst echt mal mehr an deinem Teamwork arbeiten, Seto.“
 

Kaiba platzte der Kragen. Erst dieser nervige Sugorokou, der seine Zeit mit Smalltalk verschwendete, dann seine Sekretärin, die einfach nicht zum Punkt kam und ernsthaft glaubte, dass sie ihm seine Aufgaben erklären musste und jetzt auch noch sein Bruder, der ihn so frech von der Arbeit abhielt und dabei noch so unverschämt klugscheißerte.
 

„Runter von meinem Tisch.“, begann er noch relativ ruhig.
 

Mokuba zuckte zusammen. Die Augen seines Bruders waren eiskalt und so abweisend, dass es ihm einen Stich im Herzen versetzte. Rasch hüpfte er wieder runter und stellte sicher, dass er genügend Abstand schaffte. Wenn Kaiba diesen Blick hatte, war nicht mehr mit ihm zu spaßen und er wollte ihn nicht noch unnötig verärgern, indem er ihn provozierte. Mokuba testete gerne seine Grenzen aus und es machte ihm Spaß, seinen älteren Bruder dazu zu bringen, mehr von sich preiszugeben, indem er ihn ein bisschen triezte, aber heute war er wohl etwas zu weit gegangen.
 

„Mokuba. Das ist immer noch meine Firma. Du bist nur der Vize und wie ich meine Firma und meine Abteilungen leite, ist allein meine Sache. Ich nehme deine Vorschläge gerne an, aber ich habe wirklich genug zu tun und kann nicht so wie du einfach meine Arbeit liegen lassen. Ich trage Verantwortung. Für meine Firma, für meine Angestellten, unsere Produkte und den Ruf des Namen Kaiba. Ich kann mir keine Fehler erlauben und ich werde das tun, was ich für richtig halte.“
 

„Ich sage ja auch nicht, dass du das zwingend ändern musst...“, murmelte Mokuba und verschränkte die Arme. Sein kurzes Haar fiel ihm ins Gesicht, als er den Kopf leicht neigte und seinen Gegenüber misstrauisch ansah.
 

„Bist du wirklich glücklich...?“, fragte er dann.
 

Kaiba lachte nur gestellt. Glücklich? Es ging hier nicht um menschliche Gefühle oder darum, was er als Mensch wollte, sondern darum, was das Beste für seine Firma war und wie er der Welt beweisen konnte, dass sich niemand mit Kaiba anlegen konnte. All die Leute, die an ihm und seinen Ideen, seinen Technologien gezweifelt hatten, würden ihn anerkennen und seine Virtual Reality würde die Welt verändern. Er würden den Namen Kaiba reinwaschen und somit die dunkle Vergangenheit, die wie ein erstickender Schatten über ihn lag, endgültig vom Antlitz dieser Welt tilgen.
 

„Mokuba, in diesem Business ist kein Platz für Gefühle. Das solltest du am besten wissen.“
 

Der Schwarzhaarige riss für einen Moment die Augen auf, ehe er sich auf die Unterlippe biss und den Blick abwandte. Sein Bruder spielte darauf an, dass er von Pegasus gekidnappt wurde und dort wie ein Sklave gehalten wurde. Dies war acht Jahre her, doch auch heute dachte er immer wieder daran und wurde von Alpträumen geplagt. Eingesperrt in diesem Turm, umgeben von eiskalten Mauersteinen und einem winzigen Fenster, das ihn Ausblick auf Bäume und Natur gab. Eiskalter Wind und absolute Isolation, während man ihm nur das Nötigste zu essen gab, um ihn am Leben zu erhalten. Die Zeit in dieser Gefangenschaft konnte er nicht vergessen. Mokuba sagte nichts, aber es war ihm deutlich anzusehen, dass Kaiba einen wunden Punkt getroffen hatte.
 

„Mokuba“, begann der Ältere und noch ehe er etwas sagen konnte, wandte sich der Jüngere zum Gehen und vermied es so gut es ging, seinen Bruder anzusehen.
 

„Es tut mir Leid! Warte doch!“, rief er ihm hinterher und stand auf, lief ihm einige Meter hinterher. Er griff ihm am Arm und in seinen blauen Augen war der Schock deutlich abzulesen. Kaiba war selbst am meisten schockiert darüber, was er in seiner Wut gesagt hatte. Wobei er ganz genau wusste, wie sehr Mokuba gelitten hatte und dass dieser das Trauma bis heute nicht überwunden hatte.
 

„Schon gut, Seto. Ich habe verstanden. Du brauchst nichts und niemanden. Auch mich nicht.“
 

Wie sehr Mokuba sich verletzt fühlte, war in dem Beben seiner Stimme zu hören und Kaiba wünschte sich, dass er einfach die Zeit zurückdrehen und sich selbst eine Ohrfeige verpassen könnte, dass er seine Unzufriedenheit an seinem kleinen Bruder ausgelassen hatte.
 

„Seto, du wirst Yuugi niemals schlagen können. Und weißt du warum?“
 

Kaiba sagte nichts und hörte ihm aufmerksam zu.
 

„Yuugi – nein – viel eher der andere Yuugi, hat es dir damals schon gesagt. Solange du diese negativen Gefühle in dir nicht besiegen kannst, wirst du niemals ein wahrer Duellant werden können, geschweige denn Yuugi besiegen.“
 

Mokuba riss sich von seinem Bruder los und ging weiter, ließ die schwere Tür hinter sich zuknallen. Kaiba stand noch einige Minuten fassungslos vor der geschlossenen Tür und überlegte fieberhaft, wie er das wieder gut machen konnte. Es war ihm bewusst, dass Mokuba ihm nur helfen wollte und irgendwo, ganz tief in seinem Inneren, in der hintersten Schublade seines Verstandes, wusste er auch, dass dieser Recht hatte. Diese ganzen Briefstapel, die Anfragen und all diese Kleinigkeiten, die er selbst überwachte, waren einfach zu viel für einen Menschen allein. Auch für Kaiba Seto.

Kapitel 4

Das war das Ende seines Battle Citys. Wie konnte er nur verlieren? Das war unmöglich. Seine Strategie war perfekt. In jeder Hinsicht hatte er seine Schwächen ausgeglichen. Jede Karte war aufeinander abgespielt und es war praktisch unmöglich, dass Yuugi ihn besiegen konnte. Hier oben wollte er stehen, zum Horizont sehen und seine Vergangenheit voll und ganz auslöschen. Doch das konnte er nicht mehr. Jetzt, wo er verloren hatte, war alles umsonst. Wie sollte er Gozaburou nun besiegen? Wie sollte er nun seine Vergangenheit auslöschen? Alles um ihn herum wurde unscharf.
 

Verloren. Verloren. Er hatte verloren. Nur der Sieger überlebte. Wer verlor, starb. So einfach war das. Und trotzdem stand er hier. Lebendig. Er spürte die Demütigung. Dieses Gefühl, dass seine Gliedmaßen taub werden und ihm schlecht werden ließ. Sein Magen drehte sich. Einmal mehr hatte Mutou Yuugi ihn besiegt und nun musste er ihm auch noch Obelisk geben. Sein Ziel war es die Sangenshin zu erhalten und somit der mächtigste Duellant aller Zeiten zu werden. Doch stattdessen stand er hier und hatte einmal mehr verloren. Hatte er überhaupt noch das Recht weiterzuleben? Die Schwachen hatten keine Chance. Kaiba hatte sich stets darum bemüht, stark zu sein. Er musste stark sein, durfte niemals aufgeben und es gab nur den Weg nach vorne.
 

Das hatte Gozaburou ihn gelehrt. Zu verlieren, bedeutete nichts anderes, als das Recht auf sein Leben zu verlieren. Stärke. Er brauchte Macht. Vollkommen verwirrt von diesen Gedanken und diesem inneren Konflikt, blendete er seine Umgebung aus. Verzweiflung. Dunkelheit. Für einen Moment holten ihn seine Ängste aus der Vergangenheit ein und all die Emotionen, die er sonst unterdrückte, brachen über ihn ein, verschlangen ihn und ließen ihn in einem Meer von Hoffnungslosigkeit ertrinken. Wofür hatte gekämpft? Nur für sein Ego? War diese Macht, nach der er strebte, wirklich alles, was es in seinem Leben gab? Mit der Niederlage gegen Mutou Yuugi hatte er nicht nur Battle City verloren, sondern auch sein Licht.
 

„Kaiba. Dein Hass bringt dir niemals den Sieg.“
 

Yuugis klare Stimme erreichte ihn nicht. Sie war wie ein Echo, das ungehört verhallte. Zu groß war der Abstand zwischen ihnen. Zu tief der Abgrund, der sich vor ihm auftat. Hier oben wollte er stehen, auf dem Symbol seiner Rache. Das war sein Ziel. All der Hass, den sein Stiefvater ihn gelehrt hatte, brachte ihm nicht den erwünschten Sieg. Die stärksten Fallen und Zauber hatte er in seinem Deck. Die stärksten Monster. Und dennoch hatte es nicht gereicht.
 

Auch Mokubas Schrei kam nicht bei ihm an. Die Tränen seines Bruders nahm er nicht wahr.
 

„Uns trennt zwar Sieg und Niederlage...“, begann sein Gegenüber. Dieses Mal erreichte ihn die Stimme, sie löste jedoch noch mehr Verwirrung in ihm aus.
 

Aber wir sind gleich stark!!
 

Kaiba zuckte zusammen. Yuugi wagte es tatsächlich, ihn noch zu bemitleiden? Ein Verlierer verdiente es nicht angesehen zu werden. Er musste behandelt werden wie Abschaum. Also war es Yuugis Pflicht ihm den Rest zu geben und das bisschen, das sein Wesen definierte, restlos auszulöschen, um so an der Spitze stehen zu können. Für ihn da gab es auch keinen Grund mehr weiterzumachen. Seine Rache war gescheitert. Er konnte weder Yuugi noch seinen Stiefvater besiegen. Die Erniedrigungen aus der Vergangenheit, all die Scham, seine Ängste und auch sein Trauma würden ihn bis zu seinem Lebensende verfolgen. So konnte er ihn niemals besiegen. Er würde für den Rest seines Lebens in seinem Schatten stehen und niemals wahre Freiheit erreichen.
 

So wollte er nicht leben. Also gab es für ihn nur noch den Tod. Doch sein Kontrahent bemitleidete ihn. Welch Schmach.
 

„Bemitleidest du mich, Yuugi?“, rief er ihm entgegen und zeigte mahnend mit einem Finger auf ihn. Die Hoffnungslosigkeit machte Platz für Wut und Ärger. Hass. Zorn.
 

„Ich sehe, dass du ein starker Duellant bist. Doch eines sage ich dir.“, begann Yuugi mit ruhiger und unglaublich fester Stimme. In seinen Augen lag Wärme. Zuversicht. Mut. Hier vor ihm stand ein Mann, der Niederlagen erlitten hatte und aus diesen gewachsen war. Dieser Blick, diese Amethystfarbenen Augen verschlangen ihn und zum ersten Mal seit Langem erreichten ihn die Worte seines Gegenübers und berührten seine Seele. Etwas, das er verloren geglaubt hatte, kam wieder zum Vorschein.
 

„Du hast nur gegen ein Monster verloren. Das Monster namens Hass, das in dir wohnt. Bei einem Duell kämpfen nicht nur die Kartenmonster. Wut... Trauer... Hass... Gier... Der Feind existiert oft in der eigenen Seele. Sobald du sie alle besiegt hast, öffnet sich der Weg, um ein wahrer Duellant zu werden!“
 

Ihm stockte der Atem. Er hörte den Worten seines Gegenübers aufmerksam zu. Sein Verstand weigerte sich, zu verstehen, was er da sagte, doch sein Herz verstand schon längst. Kaiba Seto war schwach. All die Stärke, die er nach außen zeigte, hatte ihn seine Menschlichkeit gekostet. Um seine Ängste zu vernichten, hatte er seine Seele weggesperrt und nach etwas gesucht, das ihm einen Sinn im Leben gab. Der Sieg über Yuugi – nein, über Gozaburou Kaiba – sollte ihm endlich Frieden geben. Doch er war tot. Der Mann, der seine Seele mit einem Fleischermesser zerstückelt hatte und ihn schwer verwundete, war schon lange nicht mehr da. Er konnte sich nicht rächen. Er konnte die Erniedrigungen, die er über sich ergehen lassen musste, nicht ausmerzen und dieses Gefühl, sich nicht wehren zu können und ohnmächtig Befehlen Folge leisten zu müssen, würde für immer wie ein gigantischer Fels auf seiner Seele lasten.
 

Yuugi wandte den Blick nicht ab. Er betrachtete ihn, als wären sie ebenbürtig. Wie schaffte er es, ihn so anzusehen? Ohne Abscheu? Ohne Hass?
 

„Ohne den schwarzen Drachen in meiner Hand hätte ich verloren. Die Seelenkarte, die ich für meinen Freund aufbewahre... Die Macht der Freundschaft hat mir den Sieg gebracht.“
 

Yuugi hob die Karte hoch und das Bild des Schwarzen Drachen funkelte einmal auf.
 

Nein, Freundschaft brachte einem keinen Sieg! Nettigkeit allein half niemandem. Nettigkeit und Liebe ernährte keine hungrigen Bäuche oder gab einem ein Dach über den Kopf! Nur Macht und Stärke war verlässlich. Dass Yuugis wahre Macht 'Freundschaft' sein sollte, konnte er nicht glauben. Das wollte er nicht akzeptieren. Dies ging ihm gewaltig gegen den Strich und stellte das exakte Gegenteil von dem dar, was er in seinem Leben gelernt hatte. Das Gegenteil von dem, was er ihm gelehrt hatte.
 

„Freundschaft...?!“, keifte er wütend und ballte seine Hand zur Faust, als wollte er seinen Gegenüber ins Gesicht schlagen. Da er dies nicht konnte und körperliche Gewalt auch gegen seine eigenen Prinzipien gingen, nutzte er die Macht der Worte und wollte ihn verbal besiegen.
 

„Albern! Ein so errungener Sieg bedeutet gar nichts! Ich brauche keine Freunde!“
 

Yuugis Blick blieb weiterhin unerschütterlich. In diesen Augen lag Stärke und es war genau diese Stärke, die ihn heute in die Knie zwang. Kaiba wollte sich dies nicht eingestehen und schloss die Augen. Freundschaft...?
 

„Ha. Sprüche klopfen ist das Recht des Siegers. Ich schweige und ziehe mich zurück.“
 

Für einen Bruchteil einer Sekunde zögerte er, doch er war ein rechtschaffener Mann und würde die Regeln des Turniers auch bei sich anwenden. Er holte Obelisk heraus und warf sie ihm entgegen. Für ihn war dieses Turnier zu Ende. Sein Leben wurde verschont und nun konnte er nichts anderes mehr tun, als sich seine Niederlage einzugestehen und einmal mehr über eine neue Strategie nachzudenken. Irgendwann würde er Yuugi besiegen und somit auch seine Vergangenheit, die wie ein Schatten um ihn lungerte und stets drohte ihn in einen unendlichen Sumpf der Verzweiflung zu ziehen.
 

Mokuba verhielt sich unnatürlich ruhig. Entweder hielt er Abstand, um Kaiba nicht noch unnötig mehr zu verärgern und ihm die Zeit zu geben, die Niederlage zu verarbeiten oder aber es lag ihm etwas auf den Herzen, das er nicht aussprechen wollte. Kaiba schenkte dem eigenartigen Verhalten seines Bruders keinerlei weitere Beachtung. Wenn es wichtig war, würde er schon von allein zu ihm kommen. Yuugi würde das Turnier gewinnen. Einen anderen Ausgang akzeptierte er nicht. Auch Jounouchi war wieder von den Toten erwacht und tollte wie ein Hund herum. Diese Freude nervte ihn, aber auch ihm wollte er nicht mehr Aufmerksamkeit schenken als nötig.
 

Einmal mehr hatte er verloren. Trotz der Niederlage fühlte es sich jedoch so an, als hätte er etwas gewonnen. Was genau es war, konnte er nicht beim Namen nennen. Er stieg die Stufen des Turms hinab. Dieses Symbol der Rache war nichts weiter mehr als ein Zeichen seiner eigenen Schwäche und er würde dies mit seinen eigenen Händen vernichten. Zerstörung und Hass verstand er am besten. Die Möglichkeit seine Vergangenheit zu vernichten gab ihm Sicherheit.
 

„Mariks finstere Macht ist bis zur Grenze angewachsen.“ Diese schöne, melodische Stimme erkannte er sofort. Isis kam ihm entgegen und sie schien allein gekommen zu sein, um ihn zu verhöhnen. War sie gekommen, um ihn wieder mit ihren Quatsch des Schicksals zuzutexten und ihn doch noch zum Esoteriker zu konvertieren? Dabei sollte sie schon längst verstanden haben, dass dies bei ihm nichts brachte und sie gegen eine eiserne Wand sprach.
 

„Seto. Du glaubst, Yuugi kann selbst mit den beiden Götterkarten Mariks Deck und Raa nicht besiegen.“
 

Die Wahrscheinlichkeit ging praktisch gegen Null. Er erklärte ihr die Sachlage und machte seinen Standpunkt klar. Für ihn war das Turnier vorbei und er plante, den Turm im Meer zu versenken. Den Zeppelin würde er ihnen da lassen, damit sie die Insel verlassen konnten. Doch diese exotische Frau gab einfach nicht auf. Sie erklärte, dass Yuugi seine Hilfe brauchte und versuchte ihn dazu zu bringen, zu bleiben. Doch für ihn war die Sache erledigt.
 

„Ein Gebet für einen Toten – Perit Cheru.“
 

Kaiba blieb stehen, riss schockiert die Augen auf. Dieses Gefühl, das ihn wie ein Blitz traf und Erinnerungen in ihm weckte, die eindeutig nicht ihm gehörten. Wieso glaubte er, dieses Gebet zu kennen und wieso fühlten sich diese Worte so vertraut an? Schon damals, als er zum ersten Mal im Museum ankam und diese riesige Steintafel sah, war ihm aufgefallen, dass er die Hieroglyphen lesen konnte. Er verstand die Worte und die Botschaft. Zwei Seelen, weit voneinander getrennt, auf der Suche nach einander und dem Ort, der sie einmal mehr verbinden wird. Dass dieser Ort Alcatraz war und diese beiden Seelen der Andere Yuugi und er war klar, doch das wollte er nicht glauben.
 

Isis' Entschluss mit ihrem Bruder in den Tod zu gehen, ihre Loyalität und diese unglaubliche Stärke beeindruckten ihn, doch ihre Worte machten ihn rasend. Wie konnte eine Frau so viel Unsinn reden und nicht einmal merken, wenn ihr Gegenüber kein Interesse zeigte? Sie redete weiter und weiter, bis er es nicht mehr aushielt. Diesen Turm, dieses tolle Heiligtum der Seelen, würde er versenken und sämtliche Spuren zur Vergangenheit tilgen.
 

Als er Mokuba den Befahl gab, den Timer zu stellen, rührte sich dieser nicht. Wieso stellte sich heute jeder gegen ihn? Fragend betrachtete er seinen jüngeren Bruder, der einfach nur den Kopf senkte und nicht reagierte. Kaiba war es gewohnt, dass sein Bruder immer auf ihn hörte. Hätte er ihm aufgetragen den Eiffelturm nach Japan zu bringen, hätte er dies ohne zu zögern getan. Vollkommen egal, wie abwegig und realitätsfern die Forderung. Doch Mokuba stand einfach nur da und stellte sich gegen ihn. Ein Verhalten, das ihm neu war.
 

„Seto! Unser Hass, unsere Wut, die wir in uns tragen... Wir können Yuugi und seine Freunde da nicht mit reinreißen!“
 

Mokubas Augen waren mit Tränen gefüllt, seine Lippen bebten und sein Körper zitterte. Es war das erste Mal, dass Mokuba sich gegen ihn aussprach und das tat weh. Mehr als seine Vergangenheit. Mehr als sein Trauma. Mehr als die Niederlage. Dass Mokuba sich gegen ihn stellte und ihm nicht gehorchte, weckte ihn auf. Erst jetzt wurde ihm bewusst, wofür er gekämpft hatte. Für wen.
 

Er kämpfte für Mokuba. Sein geliebter, kleiner Bruder, der seine Welt erhellte. Wie konnte er das nur vergessen?
 

„Ich... Am Anfang fand ich sie zum Kotzen und habe sie gehasst. Aber auf Pegasus' Insel haben sie todesmutig für mich gekämpft. Sie haben mich gerettet, als ob ich ihr Freund wäre...“
 

Mokuba schluchzte.
 

Dies war das erste Mal, dass Kaiba erkennen musste, dass Mokuba nicht 100%ig hinter ihm stand und dass sie unterschiedlich waren. Aber er hatte dies akzeptiert. Er akzeptierte, dass Mokuba mit Yuugi und den anderen befreundet sein wollte und er hatte ihm nie verboten, sich mit anderen Leuten zu treffen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie mit ihren Weltanschauungen aneinander geraten würden. Auch wenn er selbst keine Freunde brauchte, so brauchte Mokuba diese. Und Kaiba brauchte Mokuba.
 

Was er seinem geliebten Bruder gerade angetan hatte, schmerzte ihn und es war das erste Mal in acht Jahren, dass er wirklich darüber nachdachte, ob er nicht vielleicht doch einen Fehler gemacht hatte. Was nur sollte er jetzt tun? Er musste sich bei Mokuba entschuldigen und die Distanz, die sich zwischen ihnen aufbaute, endlich aufholen. Er wollte Moki nicht verlieren. Er war doch alles, was er in seinem Leben hatte.
 

Bereits damals hatte ihm der Andere Yuugi sehr deutlich gemacht, dass er niemals siegen konnte, weil er dieses Monster in seiner Seele nicht vernichten konnte und erst heute erschloss sich ihm der Sinn der Sinn dieser Worte. Nein, erst heute war er bereit, diese Worte nicht nur mit seinem Herzen, sondern auch mit seinem Verstand zu verstehen. Er hatte Ruhm, Reichtum und Erfolg, doch niemand freute sich mit ihm. Er hatte niemanden mit dem er dies teilen konnte. Außer seinem Bruder.
 

Er ließ sich auf seinem Bürostuhl fallen, das Leder knarzte unter ihm und er verharrte für einige Sekunden bewegungslos, schloss die Augen, ehe er zu seinem Hörer griff und die Nummer der Personalabteilung wählte.
 

„Nakamura-san, ich brauche Ihre Hilfe.“

Kapitel 5

Als er am Abend nach Hause kam und ihn seine zahllosen Bediensteten begrüßten, schenkte er ihnen nicht mehr Aufmerksamkeit als nötig. Normalerweise würde er sich nun sofort in seinem Keller verschanzen und an seinem Dueldisk weiter arbeiten, doch heute fehlte ihm die Lust dazu, da er emotional zu sehr aufgewühlt war. Mokuba war immer noch sauer auf ihn und hatte am Nachmittag sämtliche Nachrichten ignoriert. Auch die firmeninternen Angelegenheiten hatte er selbst nicht angenommen. Obwohl das Kaiba nicht weiter wunderte, immerhin arbeiteten seine Angestellten und er als Team, teilten sich die Arbeit auf, sodass sicher ein anderer die Nachrichten entgegengenommen hatte, auch wenn ihr eigentlicher Chef sie nicht beantwortet hatte.
 

Heute hatte er etwas Neues ausprobiert und dem Chef der Personalabteilung die Anweisung gegeben, sich um die neuen Anfragen zu kümmern und die Post entgegen zu nehmen und zu bearbeiten. Dieser hatte diese Aufgabe auch sehr schnell bearbeitet. Schneller, als es Kaiba lieb war. Vielleicht sollte er, so wie es Mokuba ihm vorgeschlagen hatte, ein paar seiner Tätigkeiten weiterleiten, um so mehr Zeit für sich und seine Projekte zu finden. Dass Mokuba Recht hatte, ärgerte ihn zwar, aber wichtiger war es ihm, sich wieder mit diesem zu vertragen.
 

Auch zum Abendessen erschien Mokuba nicht. Er meldete sich weder telefonisch noch über den neumodischen Nachrichtendienst, die der junge Mann ihm ungefragt auf seinem Smartphone installiert hatte. Gut, wenn Mokuba beleidigt sein wollte, sollte er dies ruhig tun. Er saß einige Minuten in dem großen Speisesaal und wartete ab, ob dieser nicht vielleicht doch hineinplatzte und ihn wie gewöhnlich mit einem Lächeln entgegen strahlte. Nichts dergleichen geschah. Wortlos aß er seinen Teller leer und verzog sich in den Wohnraum, wo er den Fernseher anschaltete und versuchte 'abzuschalten', wie sein jüngerer Bruder es wohl nennen würde.
 

„Kommen wir nun zur Börse! Sato-san, wie sieht es aus?“, fragte der Nachrichtensprecher. Das Bild wechselte und eine junge Frau, die einen Anzug trug, wurde eingespielt, vor ihrem Gesicht hielt sie ein Mikrophon und wies mit einer Hand auf die Anzeigetafeln. Mit Begeisterung erklärte sie die momentane Wirtschaftslage.
 

„Momentan ist die Kaiba Corporation weiterhin Spitzenreiter. Wir haben einen Aktienwertzuwachs von über 5,03% und auch die Prognose sieht phantastisch aus. Seit die KC mit Industrial Illusions fusioniert ist, sieht es so aus, als würde keiner diese Firma jemals von der Spitze werfen können. All Nippon Airways: ein Zuwachs von 0,35%; Sie sehen: insgesamt sieht's aber nicht so rosig aus! In Sekundentakt fallen die Werte. Sowohl Euro, US Dollar als auch Yen haben stark an Wert verloren und die Ölpreise weltweit steigen immer weiter, außerdem – “
 

Kaiba schaltete den Fernseher wieder ab. Dank der Fusionierung von I² und KC war seine Firma so stark wie noch nie. Seit er die Rechte an Duel Monsters erworben hatte, gab es kaum noch Grenzen, die ihn halten konnten. Da Pegasus J. Crawford das Zeitliche gesegnet hatte, hatte Kaiba sich auf ihre vorherigen Vertragsabschlüsse berufen und es geschafft, diese Firma in seine zu integrieren. Er hatte niemanden entlassen. Diejenigen, die bisher auch in der Entwicklung arbeiteten, behielten ihre Arbeit und kümmerten sich weiterhin um neue Kartendesigns. Kaiba konnte natürlich nicht bestreiten, dass ausgerechnet der Weiße Drache einige neue alternative Versionen bekommen hatte, die ihm sehr zugunsten kamen. Auch hatte er eine neue Magiermädchen Reihe in die Welt rufen lassen, von der er Yuugi sämtliche Ausführungen überlassen hatte. Duel Monsters war noch stärker und beliebter geworden, seit das Spiel unter dem Namen KC vertrieben wurde. I² wurde acht Jahre nach Pegasus' Tod zwar immer noch erwähnt, aber das würde sich mit der Zeit schon geben. Kaiba hasste Pegasus für das, was er ihm und seinen Bruder angetan hatte und er hatte keine Sekunde damit verschwendet, den Verlust dieses Mannes zu betrauern.
 

Auch seine neuesten Projekte würden gut ankommen. Hologramme in einem Vergnügungspark würden sicher hilfreich werden und das Erlebnis in einer Geisterbahn bereichern. Er hatte bereits einige Pläne und auch der Erwerb von Grundstücken im Ausland war kein Problem. Und trotzdem konnte er nicht sagen, ob er zufrieden war.
 

War er wirklich glücklich? Er wollte Yuugi in einem Duell schlagen und endlich den Titel als König der Duelle erhalten. Doch war das wirklich alles? Die Duelle mit Yuugi rissen ihn aus seinem Alltag und immer wenn sie sich gegenüberstanden, spürte er wie sein Herz mit Feuer entbrannte und er alles hinter sich lassen konnte. Doch Yuugi nahm seine Herausforderung nicht an. Eine klare Absage. Kaiba staunte darüber, da Yuugi noch nie abgelehnt hatte und er sich den Grund für seine Entscheidung nicht so recht erklären konnte. Ohne weiter darüber nachzudenken, fasste er einen Entschluss. Er lockerte seine Krawatte und verließ sein Wohnzimmer, eilte die Treppen hinab und und verließ sein Anwesen.
 

Mit seinem weißen Sportwagen Koenigsegg CCXR Trevita raste er so schnell durch die Straßen, dass er nur wenige Minuten brauchte, um sein Ziel zu erreichen. Mit Kaiba legte sich niemand an. Den Trevita gab es nur zweimal weltweit und Kaiba hatte sich einen sichern können, sogar in der Farbe seines geliebten Weißen Drachen. Da waren die 4,8 Millionen Yen gut investiert. Sein letzter Sportwagen konnte da absolut nicht mithalten, so dass er ihn Mokuba zum 18ten Geburtstag geschenkt hatte. Da Kaiba mit seinem letzten Wagen auch nur zwei Mal gefahren war, war der auch praktisch ein Neuwagen. Mokuba hatte sich gefreut, nutzte den Wagen aber auch nicht viel häufiger. Man brauchte einen Sportwagen auch nicht unbedingt jeden Tag. Kaiba fand aber, dass dies ein Must-Have war und er wollte keinesfalls auf diesen Luxus verzichten.
 

Als er vor dem Kame Game Shop zum Stehen kam, ließ er den Motor so laut brummen, dass selbst Tote wieder auferstanden wären. Im Haus brannte noch Licht, also hatte er keinen geweckt. Der Laden war seit gut zwanzig Minuten geschlossen, doch das hinderte den Firmenchef nicht daran, trotzdem einzutreten. Das kleine Glöckchen über der Tür läutete und der Ladeninhaber starrte ihn entgeistert an. Vermutlich wollte er den unerwünschten Gast wieder herausbitten, er öffnete seinen Mund einen Spalt breit, schloss diese sogleich, als ihm bewusst wurde, mit wem er es zu tun hatte. Der alte Mann musterte ihn als wäre gerade ein Alien eingetreten. Kaiba trat näher.
 

„Yuugi wollte mit mir sprechen. Ich habe mich zwar nicht angekündigt, aber das wird wohl in Ordnung sein?“, fragte Kaiba mit einem solch desinteressierten Gesichtsausdruck, dass Sugorokou sich nicht sicher war, mit wem dieser nun sprach.
 

„Heute ist aber viel los. Erst der jüngere Bruder und jetzt der ältere. Habt euch gerade verpasst! Mokuba ist mit Yuugi weggefahren.“
 

Kaiba fühlte sich erschlagen. Die ganze Mühe umsonst. Dabei wollte Yuugi doch, dass er kam und nun war er nicht da. Gut, an Yuugis Stelle hätte er auch nicht mit diesem ungewöhnlichen Besuch gerechnet, weshalb er ihm kaum einen Vorwurf machen konnte. Moment.
 

„Mokuba war hier?“, wiederholte er ungläubig und stützte sich am Tresen ab.
 

„Ja, wollte feiern gehen. Yuugi hat widerwillig zugesagt und sie sind vor ungefähr einer halben Stunde weggefahren. Haben sie dich vergessen?“, bohrte der Hausherr nach und machte große Augen, als hätte sich ihm hier direkt vor seiner Nase eine Naturkatastrophe abgespielt. Nun, sozusagen war es auch so. Wer konnte denn schon behaupten, dass man den gefragteste Mann der Welt getroffen hatte? Sicher nicht viele.
 

„Nein. Alles in Ordnung...“, stieß Kaiba hervor und drückte sich vom Tresen weg, drehte sich auf dem Absatz um und wollte wieder gehen, doch der alte Mann ließ nicht locker, nicht, dass er etwas Anderes von diesem erwartet hätte. Geschwätziger alter Kauz!
 

„Wolltest du mit Yuugi über sein Projekt reden?“
 

„Mehr oder weniger.“, erklärte er kurz und knapp, hoffend, dass diese Antwort genügen würde.
 

„Ich habe Tee gemacht und vielleicht kannst du einen Blick auf Yuugis Spiel werfen. Ich liebe Spiele, aber mit Technik kenne ich mich nicht aus.“
 

„Technik?“, wiederholte Kaiba. Yuugi wollte irgendetwas mit Spielen machen, also ging Kaiba davon aus, dass dieser Brettspiele und dergleichen erstellen wollte. Immerhin hatte dieser in ihrer gemeinsamen Schulzeit dieses Eindruck bei ihm hinterlassen. Sollte es ein virtuelles Spiel werden? Yuugi hatte weder die Mittel noch die Möglichkeit ein solches Projekt zu verwirklichen. Nun verstand Kaiba auch, dass Yuugi an seiner Idee verzweifelte und dringend nach Hilfe suchte. Eventuell hatte er in Mokuba seinen Fels in der Brandung gesehen. Mokuba und Yuugi waren ihm beide wichtig und genau diese beiden Menschen, die ihm mehr als alles andere bedeuteten, ließen ihn nun hier zurück.
 

„Plätzchen habe ich auch!“, sagte der Alte und lachte, Kaiba verzog keine Miene und zwang sich dieses Lachen zu erwidern. Die Töne, die er ausspuckte, klangen so schräg und künstlich, dass selbst Sugorokou gemerkt haben musste, wie viel es dem Firmenchef abverlangte, dieses Theaterstück aufrecht zu erhalten. Sugorokou ließ sich aber nichts anmerken und sie betraten das Wohnzimmer. Kaiba staunte darüber, wie winzig und eng der Wohnraum war. Er war seit Jahren seine Villa gewohnt und das gesamte Haus der Mutous war in etwa so groß wie sein Speisesaal. Nicht sonderlich groß also. Kaum zu glauben, dass hier mehrere Personen lebten und zusammen Zeit verbrachten.
 

„Mutou-san, ich danke Ihnen für die Gastfreundschaft, aber ich möchte weder Plätzchen essen noch Tee trinken. Sie können sich ja wohl denken, dass ich ein vielbeschäftigter Mann bin und nicht grundlos diesen Weg auf mich genommen habe.“, erklärte Kaiba dann. Der Blick des alten veränderte sich. Ihm war die Enttäuschung anzusehen. Für einen Bruchteil einer Sekunde fühlte er sich schuldig und es tat ihm beinahe leid, dieses tolle Angebot abgelehnt zu haben, doch dann erinnerte er sich daran, dass er dem alten Mann überhaupt nichts schuldete und es gar keinen Grund gab, sich schlecht zu fühlen. Sollte er doch mit seinem Enkel Kuchen essen! Mit einem Mann von Welt, wie es Kaiba nun mal war, konnte man doch nicht einfach Kuchen – auch wenn es in diesem Fall um Plätzchen ging, was Kaiba mehr oder weniger absichtlich ignorierte – essen. Seine Anwesenheit war ein Privileg.
 

„Verstehe.“, murmelte der Ältere und wies Kaiba dazu an in Yuugis Zimmer zu gehen.
 

Das erste, was dem Firmenchef auffiel, war, dass der Raum unglaublich unordentlich war. Wie konnte ein Mensch hier drin arbeiten geschweige denn leben? Wäsche lag auf dem Bett verteilt und am Boden lagen mehrere Blaupausen, von denen Kaiba nicht sagen konnte, ob diese einen ernsthaften Plan verfolgten oder einfach nur rasch gekritzelt waren. An der Wand hing ein sehr großes Poster von irgendeiner Band. Dem Kleidungsstil der Personen, die auf dem Poster abgebildet waren, nach zu urteilen, mochte Yuugi Visual-Kei, was auch den außergewöhnlichen Modesinn und Yuugis Frisur erklärte. Am Schreibtisch ein Foto, eingerahmt und sehr gut erhalten. Im Gegensatz zum Rest des Raumes wurde dieses sogar regelmäßig entstaubt. Drei lachende Personen, die Yuugi sehr viel bedeuteten und dieser strahlend in der Mitte. Als nächstes fiel sein Blick über den ungewöhnlich aufgeräumten Schreibtisch, auf dem sich ein Stapel Entwürfe, Skizzen, Pappe und Bastelkleber befand.
 

Kaiba schüttelte den Kopf. Wenigstens den Deckel vom Kleber hätte er schließen können!
 

Nicht, dass er von Yuugi etwas anderes erwartete. Er hätte nie gedacht, dass er jemals in Yuugis Jugendzimmer kommen würde. Es fühlte sich eigenartig an, in dem fremden Sachen anderer zu wühlen. Eigenartig, aber auch aufregend. Den großen Entwurf nahm er in die Hand, betrachtete das skizzierte Bild genau und las die Randinformationen durch. Besser gesagt versuchte er diese Schriftzeichen zu entziffern. Sorgfalt und Ordnung ließ zu wünschen übrig. Völlig in Gedanken versunken, setzte er sich auf den Bürostuhl von Yuugi, der unter seinem Gewicht laut ächzte und Kaiba für einen Moment erschrocken die Augen aufreißen ließ, da er befürchtete, dass der Stuhl einfach unter ihm zusammenbrach. Nicht nur, dass die Sitzfläche viel zu klein war, auch hatte er absolut keinen Platz seine Beine auszustrecken.
 

Yuugi war einfach viel zu klein. Sein 'Arbeitsraum' war – sofern man dies überhaupt so bezeichnen konnte – alles andere als professionell und er wagte zu bezweifeln, dass man in so einer Umgebung konzentriert arbeiten konnte. Allein dieses Foto lenkte doch schon von etwaigen Gedankengängen ab, oder diese Kuribohfigur am Bleistift, von der Kaiba eindeutig sehen konnte, dass Yuugi in seinen Gedanken auf ihr herum geknabbert hatte. Kein Wunder, dass Yuugi mit seinem tollen Projekt nicht recht vorankam.
 

Je länger Kaiba sich in Yuugis Zimmer aufhielt, desto mehr gewöhnte er sich an das Chaos und gab immer wieder nachdenkliche Geräusche von sich. Der Entwurf war gut, das Spiel interessant und sehr facettenreich, doch es fehlte der Feinschliff. Eine Sphäre oder mehr eine Kristallkugel war das Spielfeld, was den Spielablauf in die Realität versetzte und dem Spieler sehr viel räumliches Denken abverlangte. Sicher kein Spiel für Kinder oder Menschen, die nicht weit vorausdenken und planen konnten – also in anderen Worten: Jounouchi Katsuya. Hier kam eindeutig Yuugis Genie zum Vorschein. Obwohl Kaiba selbst seit Jahren in dieser Branche tätig war, so erstaunte ihn dieses Spiel und weckte seine Neugierde. Ein Projekt wie dieses konnte man mit einem gebastelten Ball nicht fertigstellen.
 

Da Yuugi nicht da war, konnte er schlecht fragen, ob er einige Verbesserungen durchführen konnte, also umfasste er den Bleistift mit der angekauten Kuribohfigur an der Spitze und zeichnete mehrere Korrekturen ein und schrieb in ordentlichen und gut lesbaren Kanji mehrere Ideen und Anregungen auf den Rand, die Yuugi hoffentlich auffallen würden. Dieses Spiel hatte sein Interesse geweckt.
 

Es erinnerte ihn an Schach, Capsule Monsters, Dungeon Dice Monsters und Duel Monsters. Eine wunderbare Kombination, die eine völlig neue Ebene des Spielens erreichte. Ob Yuugi sich im Klaren war, dass das Spiel hauptsächlich ältere Personen ansprechen würde und nichts für Kinder war? Das Quietschen der Zimmertür, die vorsichtig geöffnet wurde, riss ihn aus seinen Gedanken und ließ ihn verwundert aufsehen.
 

„Kaiba-kun, es ist bereits spät. Du sitzt bereits drei Stunden hier.“, sagte der alte Mann und zog fragend eine Augenbraue in die Höhe. Dafür, dass der Firmenchef kein Interesse an Yuugi gezeigt hatte, nahm er sich nun ungewöhnlich viel Zeit für dessen Projekt. Irgendetwas stimmte hier nicht.
 

„Ich war völlig in Gedanken.“, murmelte Kaiba und rieb sich sein Nasenbein, ehe er sich vom Stuhl erhob und noch einen weiteren Blick auf den Entwurf warf. Da sein Blick so finster war, verrieten seine Augen nicht, woran er dachte, so dass Sugorokou den Kopf schief legte und sich wunderte, was dem jungen Mann vor ihm gerade durch den Kopf ging.
 

„Alles in Ordnung?“, wollte er dann wissen und betrat den Raum, stolperte beinahe über eine achtlos auf den Boden geworfene Jeans, die er dann ergriff, zusammenlegte und aufs Bett ablegte. Yuugi vergaß wirklich alles um sich herum, wenn er sich mal in etwas verbissen hatte und im Moment dachte er an nichts anderes mehr, als dieses Spiel fertigzustellen.
 

„Mutou-san.“, sprach Kaiba klar und deutlich. Seine tiefe Stimme hallte in den Ohren des alten Mannes wieder und er zuckte zusammen.
 

„Sagen Sie Yuugi, dass er morgen um 11 Uhr in mein Büro kommen und dass er mehr Ordnung halten soll. So kann man weder arbeiten noch denken.“
 

Sugorokou war sich nicht sicher, ob die Worte des Firmenchefs nun positiv waren oder nicht.
 

„Mach ich.“, stammelte er dann, während sich Kaiba an ihm vorbei drückte und die Treppen hinunterstieg. Er verabschiedete sich nicht und verließ das Haus.
 

Eigentlich war er gekommen, um Yuugi zu einem Duell herauszufordern und wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Yuugi war der einzige Duellant, der sein Blut in Wallung brachte und ihm den Adrenalinkick gab, den er dringend brauchte, um wieder nach vorne sehen zu können. Ihre aufregenden Duelle waren das einzige, das ihn von der stressigen Arbeit ablenkte und ihm dabei half, sich stets weiterzuentwickeln und danach zu streben, noch besser zu werden. Yuugi war seine Inspiration. Sein lang ersehntes Duell hatte er nicht bekommen, dafür aber etwas genauso Wertvolles. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. Seine langen Finger umgriffen den Lenker und er fühlte das feine Leder unter seiner Haut, das beim Anstellen des Motors leicht vibrierte. Sein Kopf war wieder klar und er wusste, was er tun wollte und wie er Mokuba beweisen konnte, dass ihm etwas an ihm lag. Vielleicht war Yuugis Projekt sein Ausweg aus dem Teufelskreis, den er von selbst nicht auszubrechen vermochte.

Kapitel 6

„Mokuba...“, sagte Yuugi zum wiederholten Male und versuchte den Schwarzhaarigen zu beruhigen, doch dieser hörte nicht auf ihn und schlug wütend mit der Faust auf den Tisch.
 

„Was denkt er eigentlich, was er ist? Mein Vater? Ich bin sein Bruder und er behandelt mich wie ein kleines Kind!“, meckerte er und griff nach seinem Glas, trank dieses komplett aus und ließ dieses knallend auf den Tisch hinabfahren.
 

„Ich bin mir sicher, dass er das so nicht gemeint hat. Kaiba-kun hat sicher nur viel zu tun –“, bevor Yuugi seinen Satz zu Ende sprechen konnte, drehte sich der Jüngere zu ihm um. Das Lokal „Duel Café“ wurde von der KC mitfinanziert, weshalb die Wände auch von Duel Monsters Bildern geziert wurden. Figuren des weißen Drachen begrüßten die Besucher und erinnerten stark an den Kaiba Park. Kaibas Liebe zum Weißen Drachen war überall und immer erkennbar. Die Einrichtung war edel und stach sofort heraus. Die Konkurrenz musste so einiges bieten, um dieses luxuriöse Geschäft von seiner Position als beliebtestes Lokal in ganz Domino, abzulösen. Günstige Preise, viel Auswahl und ein Ensemble, das nur schwer zu überbieten war. Hier passte so ziemlich alles zusammen. Kaiba war nicht nur reich, sondern hatte auch guten Geschmack und einen Sinn für Trends.
 

„Ist mir egal, ob er es gemeint hat oder nicht!“, murrte er und warf Yuugi einen vorwurfsvollen Blick zu.
 

„Ich kapier' nicht, warum du ihn immer noch in Schutz nimmst! Seto verhält sich wie das Letzte. Dir und mir gegenüber.“
 

Yuugi legte seine Stirn in Falten. Mokuba hatte schon ein wenig Recht, aber er konnte dem Chef einer gigantischen Firma, die sehr viel Verantwortung trug, doch keine Vorwürfe machen. Aus diesem Grund hatte Yuugi akzeptiert, dass man Kaiba einfach nie durchschauen konnte und dass es nicht einfach war, mit diesem auf einen grünen Zweig zu kommen. Auch, dass Kaiba mal wieder von ihm verlangte, zum Duel Dom zu kommen, ohne auch nur den kleinsten Hauch von Rücksicht zu zeigen, war ihm nicht entgangen. Kaiba ging es oft nur um sich selbst und er neigte dazu, seine Umgebung und die Menschen, die ihn liebten und brauchten, vollkommen auszublenden, wenn er wieder in seiner Arbeit versunken war oder an neuen Plänen arbeitete.
 

„Ich habe Monatelang – nein JAHRELANG – an dem Videospiel 'Capsule Coliseum' gesessen und heute sind wir endlich fertig geworden. Und es hat ihn überhaupt nicht interessiert!“
 

Yuugi senkte den Blick.
 

„Yuugi, ich weiß, dass du meinen Bruder echt gern hast, aber selbst du musst doch einsehen, dass das echt gemein war.“
 

„I-ich hab ihn nicht gern!“, verteidigte er sich und schämte sich im selben Augenblick dafür, so reagiert zu haben. Diese Reaktion war eindeutig zu überzogen und verriet weitaus mehr über seine Gefühle und Gedanken zu Kaiba, als es nötig war. Gut, dass Mokuba kein Mensch war, der auf solchen Dingen großartig herum ritt. Wäre er mit Honda, Anzu oder gar Ryou unterwegs gewesen, hätten diese noch stundenlang später Witze auf seine Kosten gemacht. Yuugi war sehr zurückhaltend und schüchtern und gerade weil er so war, wie er war, machte er sich viel zu oft viel zu viele Gedanken darüber, was andere von ihm dachten oder wie er anderen Leuten besser gefallen konnte. Nicht, dass er es seinen Freunden übel nehmen würde, wenn diese sich auf seine Kosten amüsierten, trotzdem blieb immer ein bitterer Nachgeschmack und die Frage, ob er nicht doch zu viel von sich offenbart hatte.
 

„Ich meine doch nur, dass er eben nicht so gut zeigen kann, dass ihm etwas an dir liegt!“
 

„Ja, weil er ein emotionaler Krüppel ist.“, grummelte der Jüngere und bestellte sich ein weiteres Glas Matcha Hai, um sich von seinem Ärger abzulenken. Yuugi grinste nur und stützte sich mit seinen Ellbogen am Tisch ab und begann dann mit ruhiger Stimme weiterzusprechen.
 

„Und obwohl du das weißt, bist du bei ihm. Kaiba-kun ist bestimmt glücklich, dass du ihn so viel unterstützt. Vielleicht hat er nicht so wirklich verstanden, wie viel dir Capsule Monsters bedeutet. Jeder hat ein Lieblingsspiel und du hast auch das Recht sauer auf ihn zu sein.“
 

„Ja und ich werde jetzt so lange die beleidigte Leberwurst spielen, bis er sich entschuldigt.“
 

„Und du glaubst ernsthaft, dass das funktioniert?“, wiederholte Yuugi und starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an, sein Mund stand dabei sperrangelweit offen. Das war nicht sein Ernst? Kaiba war niemand, der auf so etwas einging, das müsste er doch am besten wissen!
 

„Keine Ahnung, ist mir aber auch egal. Ich bin erwachsen und alt genug, um auf mich selbst aufzupassen. Auch ohne meinen genialen großen Bruder werde ich mir einen Namen als Spieleentwickler machen und mich doch nicht noch von ihm ärgern lassen.“
 

„Sei nicht zu hart zu ihm.“, kam es mahnend von Yuugi, der den Blickkontakt zu ihm suchte.
 

„Keine Sorge, der überlebt das schon. Man, du machst dir viel mehr Sorgen um ihn als um mich! Dabei brauche ich deinen Trost jetzt und nicht er!“
 

Yuugi kicherte und hielt sich eine Hand vor dem Mund, als wollte er versuchen, sein Lachen zu verstecken. Mokuba ließ einfach nur den Kopf hängen und legte sich dann mit seinem Oberkörper auf den Tresen. Sein kurzes schwarzes Haar fiel ihm ins Gesicht.
 

„Du bist aber auch ein Idiot, Mokuba.“, mischte sich nun eine dritte Person ein, die bis eben nichts mit dem Gespräch zu tun hatte. Der Kellner hinter dem Tresen, ein großgewachsener blonder Mann mit schwarzer Weste, roter Fliege – die eindeutig das Highlight seines Outfits war und sofort herausstach – und Vorbinder, drehte sich zu ihm und stellte dem Angesprochenen ein großes Glas hin. Das Getränk, das er vor wenigen Minuten bestellt hatte.
 

„Und was würdest du tun, Jounouchi?“ Mokuba machte sich gar nicht die Mühe, sich aufzurichten und in seiner Stimme war eindeutig herauszuhören, dass ihn diese Tipps nicht wirklich interessierten, da er von Jounouchis und Kaibas Beziehung zueinander wusste. Dass der Blonde seinen Bruder nicht ausstehen konnte, war ja allgemein kein Geheimnis.
 

Allein schon nach dem letzten Turnier und wie die beiden im Wortgefecht aneinander geraten waren, gab Aufschluss darüber, wie sie übereinander dachten und dass man die beiden nicht unbewacht in einem Raum lassen konnte. Es handelte sich um ein Kartenspiel und eigentlich hätten sie ihre Differenzen im Spiel beilegen sollen, doch Kaiba wäre nun mal nicht Kaiba, wenn er nicht den ein oder anderen provokanten gar fiesen Spruch abgelassen hätte, um den Blonden zu ärgern. Dass das schief gehen musste, war abzusehen und so kam es, dass die beiden sich trotz Liveübertragung einen verbalen Kampf ausfochten und das Kartenspiel selbst in den Hintergrund gerückt war. Bis heute wurde dieses Duell als legendär betitelt und immer wieder in Talkshows gezeigt.
 

Nicht, weil Jounouchi sich blamiert hatte. Tatsächlich war ihr Kampf mit den Worten so amüsant, dass man es schon als Step-up-Comedy bezeichnen konnte, da Kaiba seinem Gegenüber klug verpackte Beleidigungen entgegenwarf, die Jounouchi mal mehr und mal weniger so auffasste, wodurch sie das Publikum so sehr zum Lachen brachten, dass sie diese endlosen Diskussionen und dummen Sprüche bis zum Ende beibehalten hatten, so dass das Ergebnis des Duells so sehr in den Hintergrund rückte, dass viele gar nicht mehr wussten, wer denn nun verloren oder gewonnen hatte.
 

Kaiba hatte mit minimalen Abstand gewonnen. Dass Jounouchi ihn ins Schwitzen gebracht hatte, würde er aber niemals zugeben. Das ließ sein Stolz nicht zu und hier war auch wieder einer der Gründe, warum die beiden sich nicht leiden konnten. Keiner wollte den anderen so recht anerkennen und gerade jemandem wie Jounouchi, der sein Leben lang um Anerkennung und Ruhm kämpfte, gefiel das überhaupt nicht.
 

„Hm... ich würde ihm ordentlich aufs Maul hauen!“, lachte der Blonde, grinste breit und polierte mit einem weißen Tuch, auf dem das Logo der KC prangerte, ein großes Bierglas, das er vermutlich gerade eben aus der Spülmaschine geholt hatte. Die Quittung für diese Aussage bekam er sofort. Plötzlich wurde Yuugi laut.
 

„Katsuya!“, warf Yuugi ein und warf dem Blonden einen so entgeisterten Blick zu, dass diesem sein Lachen im Halse steckenblieb. Bis heute hasste Yuugi Gewalt und wenn Jounouchi solche Ratschläge gab, brachte das den sonst so ruhigen und liebenswerten jungen Mann auf die Palme, so dass er keine Sekunde verstreichen ließ, um diesen zu belehren. Jounouchi murmelte etwas, das wie eine Entschuldigung klang.
 

„Ja, weil es mir sicher hilft, wenn ihn meinen Bruder verprügle. Spinnst du, Jounouchi?“, murrte der Schwarzhaarige und griff erneut nach seinem Glas, spielte mit dem Strohhalm herum und ließ die Eiswürfel im Glas tanzen. War ja klar, dass er von dem Blonden keinen anständige Ratschlag erwarten konnte. Was hatte er auch erwartet?
 

„Rede doch einfach mal mit ihm. Mach dir ganz normal einen Termin bei ihm, dann muss er sich die Zeit nehmen dir zuzuhören. Gib ihm ein Ultimatum. Und wenn er sich nicht dran hält, drohst du ihm damit, dass du dich nach Amerika versetzen lässt.“
 

„Wäre vielleicht keine so schlechte Idee...“, kam es gedankenverloren von dem Schwarzhaarigen.
 

Seine derzeitige Freundin kam ebenfalls aus Amerika und wenn sein Bruder sich nicht an seine Forderungen hielt, könnte er wenigstens den Großvater seiner Freundin kennenlernen. Sie erwähnte, dass dieser ein Wissenschaftler war und sich mit Archäologie auseinandersetzte. Im Moment hatten ihn die Sagen rund um Atlantis gefesselt und er strahlte wie ein kleines Kind, wenn er über die Legenden sprach und anhand von Bildern die Existenz des Steins Orichalcum versuchte zu beweisen. Mokuba hatte zweimal über Skype mit dem älteren Mann gesprochen. Er war sehr nett und aufgeschlossen.
 

Außerdem konnte er auch von Amerika arbeiten und ein Tapetenwechsel tat ihm vielleicht ganz gut und würde ihm neue Ideen für seine zukünftigen Projekte geben. Er könnte das Ganze auch als Firmenreise tarnen, um so mit seinem Entwicklerteam neue Eindrücke zu gewinnen und die Motivation zu steigern. Mokuba wusste, wie wichtig es war, dass Angestellte sich wertgeschätzt fühlten und dass man ihnen auch die Anerkennung für ihre Arbeit gab, die sie auch verdienten. Sein Entwicklerteam war ihm wichtig. Irgendwo waren die Männer und Frauen seiner Abteilung für ihn wie eine Familie geworden.
 

Die letzten drei Jahre hatten sie beinahe jeden Tag miteinander verbracht und er kannte jeden beim Vornamen. Während dieser Zeit hatte er auch Rebecca Hopkins und ihre Genialität sehr zu schätzen gelernt. Sie war unglaublich begabt und hatte mehr Ahnung von Computern und komplizierten Codierungen als er. Jedes Mal, wenn er im Quelltext einen Fehler gemacht hatte, der die Software daran hinderte richtig zu arbeiten, fand sie diesen so schnell, dass er einfach nur erstaunt mit den Kopf nickte. Diese Frau war eine wahre Bereicherung für sein Team und er war froh, dass sie sich ausgerechnet bei ihm vorgestellt hatte.
 

„Weißt du was, Jounouchi?! Das ist eine überraschend grandiose Idee von dir!“
 

„Was heißt hier überraschend?!“ Jounouchis Gesichtsausdruck verriet, dass er von dieser Herabstufung seiner Selbst nicht gerade begeistert war. Yuugi lächelte nur.
 

„Lachst du über mich, Yuugi?“, fragte der Blonde dann und kam seinem Gegenüber sehr nahe. So nah, dass ihre Nasenspitzen sich beinahe berührten. Yuugi schluckte hart, ließ sich aber nicht zurückdrängen. Da Jounouchi merkte, dass sich Yuugi nicht einschüchtern ließ, zog er sich zurück und stellte das Glas, das er mit übertriebener Sorgfalt wortwörtlich auf Hochglanz poliert hatte, zurück ins Regal. Viele Kunden hatte das Lokal an diesem Abend nicht, also konnte er nach Herzenslust mit seinen Freunden reden.
 

Es wurde spät und Mokuba hatte so viel getrunken, dass er anfing wirres Zeug zu reden, so dass Yuugi seinen Chauffeur Isono persönlich anrief und ihn darum bat, ihn abzuholen. Von Kaibas Plänen hatte er keine Ahnung. Auch nicht davon, dass dieser sich in seinem Zimmer aufgehalten hatte. Als er dann nach Hause kam und ihn sein Großvater am nächsten Morgen über seinen ungewöhnlichen Gast erzählte, wäre Yuugi am liebsten vor Scham im Boden versunken. Hätte er gewusst, dass Kaiba tatsächlich zu ihm kommen würde, hätte er vorher sein Zimmer aufgeräumt.
 

Kaiba war niemand, der auf andere hörte und als er sagte, dass Kaiba doch zu ihm kommen sollte, hatte er das mehr im Scherz gesagt als dass es ihm wirklich ernst war. Er ging davon aus, dass dieser ohnehin niemals zu ihm kommen würde.

Kapitel 7

Erst am nächsten Morgen sah er Kaibas Notierungen auf seinem Entwurf und wie er einige Linien ausgebessert hatte. Als er die Worte seines größten Rivalen las, konnte er nicht anders, als einmal laut zu schniefen. Kaibas Schrift war wunderschön und erinnerte ihn mehr an ein Kunstwerk, so dass er sich etwas für seine eigene erbärmliche Handschrift schämte. Dass Kaiba sich die Mühe gemacht hatte, seinen Entwurf zu verinnerlichen und ihm auch noch ein Treffen anbot, um ihm bei seinem Herzenswunsch zu helfen, machte ihn sentimental. Yuugi hatte nie daran gezweifelt, dass Kaiba tief in seinem Inneren ein guter Mensch war. Jemand, der sich um andere sorgte und bereit war, für seinen geliebten Bruder den Tod zu wählen, wenn er ihn damit beschützen konnte.
 

„Ach ja, und du sollst mehr Ordnung halten.“, kam es spöttisch von seinem Großvater, der ein freches Grinsen im Gesicht hatte und die Arme verschränkte.
 

Yuugi murrte leise vor sich hin und schnürte seine Schuhe zu. Obwohl es nur ein Treffen war und er nicht einmal wusste, ob Kaiba ihm wirklich bei seinem Projekt helfen wollte, hatte er sich ungewöhnlich herausgeputzt. Eine weiße Bluse, eine violette Weste und eine dunkle beinahe schwarze Jeans, die seine schlanken Beine betonte und es ihm erlaubte, sich schnell zu bewegen. Nicht, dass er weglaufen wollte. Vor allem nicht vor Kaiba. Wenn es etwas gab, das Kaiba nicht ausstehen konnte, dann war es Schwäche und Menschen, die sich vor Herausforderungen versteckten, anstatt sie zu bewältigen. So viel wusste er von dem Brünetten und vielleicht war es auch genau diese Einstellung, diese Unerschütterlichkeit, die der Firmenchef nach außen hin zeigte, die ihn so sehr faszinierte und dazu inspirierte, niemals aufzugeben und um seine Wünsche zu kämpfen.
 

Yuugi erinnerte sich daran, wie sein Dozent über ihn lachte, als er ihm von seiner etwas anderen Idee erzählte. Ein Spiel, das an Schach und Capsule Monsters erinnerte, wo es das Ziel des Spielers war, die gegnerischen Lebenspunkte mithilfe von ausgeklügelter Strategie zu senken und so das Match für sich zu gewinnen. Ähnlich wie in Dungeon Dice Monsters wollte Yuugi, dass das Spielbrett – eine Kristallkugel die an eine altertümliche Sphäre erinnerte – in verschiedenen Vektoren aufgeteilt wurde, die der Spieler für sich beschlagnahmen musste, um so einen Weg zum Kontrahenten zu schaffen.
 

Kaiba hatte ihm eine Nachricht hinterlassen, die besagte, dass er die Regeln überarbeiten musste und diese klar verständlich umschreiben sollte, so dass man diese schnell verstand, aber sich dennoch einleben musste. Dass dieses Beschreiben eine seiner Schwächen war, wusste Yuugi zu gut. Er hatte viele Ideen und er hatte sich viele Gedanken gemacht, wie der Spielablauf sein sollte, dennoch hatte er selbst auch das Gefühl, dass irgendetwas fehlte und der Entwurf noch lange nicht fertig war. Yuugi hatte sich gewünscht, dass Kaiba ihm half. Sie beiden liebten Spiele. Sie waren eben echte Gamer und jemand wie Kaiba, der ihn immer wieder herausforderte und eine wahre Bedrohung für seinen Titel darstellte, gab ihm Kraft und Motivation, um seine eigenen Spiele zu entwickeln.
 

In gewisser Weise war der Firmenchef Yuugis Vorbild. Langsam kam er dem Firmengelände näher und atmete noch einmal tief durch. Sofort fiel ihm die edle und äußerst teuer aussehende Einrichtung im Eingangsbereich auf. Selbst die Töpfe der Pflanzen sahen kostspielig aus. Yuugi wunderte sich, ob die Töpfe aus Marmor waren. Ungewollt warf er einen Blick auf den Boden. Eindeutig Marmor. Schwarzer Marmor. Der Boden sah aus wie frisch gebohnert. Er konnte sein eigenes Spiegelbild in diesem erkennen und fühlte sich etwas unwohl, da er sich so verloren in all diesem Reichtum fühlte.
 

Kaiba schien die Kombination aus Schwarz, Gold und Weiß zu mögen. Beim genauen Hinsehen konnte Yuugi erkennen, dass die dunklen Wände leicht im Licht schimmerten und wohl mit Goldstaub versehen waren. Die Rezeptionistin starrte ihn bereits eine ganze Weile an, doch er war so sehr damit beschäftigt, seine Umgebung zu betrachten, dass er dies nicht mal bemerkte. Als diese sich dann mehrmals laut räusperte, schreckte Yuugi auf und warf ihr einen fragenden Blick zu. Im Moment erinnerte er wohl mehr an einen Welpen, der nach Hilfe bettelte als an einen zukünftigen Geschäftspartner. Die Frau sagte dazu glücklicherweise nichts weiter und wies ihn dazu an, den Fahrstuhl in den obersten Stock zu nehmen, da Kaiba-sama bereits auf ihn wartete.
 

Yuugi staunte nicht schlecht, als die Frau ihren Chef ganz normal mit '-sama' ansprach. War es etwa unverschämt von Yuugi gewesen, dass er den Brünetten immer noch beim gängigen '-kun' ansprach? Er überlegte fieberhaft, wie er Kaiba am besten gleich anreden sollte. Er wollte nicht unterwürfig erscheinen, da er genau wusste, dass dieser ihn dann nicht mehr ernst nehmen und sich auch noch über ihn lustig machen würde, aber er wollte auch nicht zu freundschaftlich an die Sache herangehen. Er fuhr mehrere Minuten im Fahrstuhl. Genügend Zeit, um über dieses Dilemma nachzudenken.
 

»Wenn ich 'sama' sage, wird er vielleicht sogar sauer. Und 'san' ist so ungewohnt. Wenn ich 'kun' sage, denkt er, dass ich ihn nicht ernst nehme... Arg, was tun? Hätte ich doch nur Katsuya um Rat gefragt!«, dachte er und verzweifelte leicht an diesen Gedanken. Er zuckte zusammen, als ihm eine elektronische Stimme die Etage verkündete. Jetzt war nun wirklich keine Zeit, um sich über so einen Kleinkram den Kopf zu zerbrechen. Atem hätte ihn sicher dasselbe gesagt und ihn dazu geraten, Kaiba bloß nicht denken zu lassen, dass er etwas Besseres wäre. Es wäre wichtig, dass man Kaiba auf selber Augenhöhe begegnete und seinem Ego Paroli bot, wenn man von ihm ernst genommen werden wollte.
 

Auch wenn Yuugi nun älter war und viel mehr Selbstvertrauen hatte und sich seiner nicht gerade schämte, so hatte er immer noch arge Probleme, sich solchen Persönlichkeiten wie Kaiba dominant gegenüber zu verhalten. Yuugi fand nicht, dass er sich verstecken musste, aber gewisse Minderwertigkeitskomplexe fesselten ihn bis heute. Er war einfach viel zu zurückhaltend und achtete etwas zu sehr darauf, sich den Menschen in seiner Umgebung anzupassen, um bloß nicht aufzufallen.
 

Mit Mokuba hatte er über seine Schüchternheit geredet. Wusste Kaiba auch davon? Wie sehr Yuugi sich genierte, das zu sagen, was er sagen wollte und stattdessen lieber Konflikten aus dem Weg ging? Vor der Bürotür angekommen, blieb er einige Minuten stehen, um sich wieder zu sammeln und sich selbst dazu zu ermutigen, jetzt bloß keine Angst oder falsche Scheu zu zeigen.
 

»Du musst dich nicht verstecken! Yuugi, du kannst das! Kaiba ist auch nur ein Mensch!«, sprach er sich selbst gut zu und legte eine Hand auf seine Brust, in der Hoffnung, dass auch sein Herz wieder langsamer schlug und ihm die Nervosität nicht anzusehen war.
 

„Komm endlich rein, Yuugi!“, hörte er plötzlich eine laute Stimme, die ihn so sehr erschrak und aus der Bahn warf, dass er beinahe umgefallen war. Fragend sah er sich um und versuchte herauszufinden, wer ihn angesprochen hatte.
 

Es handelte sich um den Lautsprecher. Kaiba befand sich wohl in seinem Büro und wartete darauf, dass dieser endlich eintrat. Erst jetzt bemerkte Yuugi auch die Überwachungskamera über ihn, die jeden seiner Schritte verfolgte und dem Firmenchef verriet, dass Yuugi wie angewurzelt vor der Tür stand und sich nicht traute endlich anzuklopfen. Dem Firmenchef musste der Geduldsfaden gerissen sein. Anstatt, dass Yuugi, wie von Kaiba bereits gefordert, die Tür öffnete, sah er die Kamera mit großen Augen an. Es waren nur wenige Sekunden vergangen. Zeit, die Kaiba nicht mehr opfern wollte.
 

„YUUGI!“, wiederholte die Stimme noch mal. So laut und fordernd, dass Yuugi sich sofort wieder fasste, an die Tür klopfte und brav darauf wartete, dass er hineingerufen wurde. Dass Kaiba dies bereits indirekt getan hatte, kam ihm gar nicht in den Sinn. Dieser knurrte und antwortete dann äußerst genervt: „Komm rein!“
 

Yuugi tat wie ihm geheißen und sah ihn an, als hätte er den Teufel persönlich vor sich sitzen. Kaiba saß an seinem Schreibtisch, seine Augen wurden durch seinen etwas zu langen Pony so verdeckt, dass sein Gesichtsausdruck finster wirkte und Yuugi das Gefühl hatte, dass er sich in einer Position befand, in der er Ehrfurcht zeigen musste. Seine Beine fühlten sich auf einmal so weich wie Pudding an und er umkrallte den Umschlag in seinen Händen, um sich selbst daran zu hindern, zu zittern. Seine Hände wurden feucht und er biss sich auf die Unterlippe, um sich selbst davon abzuhalten, etwas Dämliches zum Besten zu geben. Obgleich er versuchte, seine Nervosität zu verstecken, so war sie ihm so deutlich anzusehen, dass selbst Kaiba Erbarmen hatte und seine sonst so finstere Miene sich erhellte und er ihn darum bat, Platz zu nehmen.
 

„Uhm...“, begann Yuugi stotternd. Kaiba wusste von Mokuba, dass Yuugi nicht gerade zur der Sorte Mann gehörte, die sofort zum Punkt kam und einen direkt und unverhohlen ansahen. Vielleicht war das auch genetische Veranlagung, da sein Großvater, Sugorokou Mutou, auch schnell vom Thema abschweifte. Yuugi wandte seinen Blick gen Boden, seine Hände zitterten leicht und Kaiba konnte aus seiner Stimme heraushören, wie unsicher dieser war.
 

„Also... ehm... Kaiba-kun“, setzte er wieder an, rügte sich selbst für seine Wortwahl und fing von vorne an. Wieso kam er jetzt auf die Idee ausgerechnet 'kun' zu sagen, wo es sich doch hierbei eindeutig um ein ernstes Gespräch handelte? Am liebsten hätte er sich im nächsten Mauseloch verkrochen und wäre nie wieder raus gekommen.
 

„Ich meine Kaiba-sama“, sprudelte es dann aus ihm heraus. Kaibas Reaktion darauf war so deutlich, dass man sie einfach nicht übersehen konnte. Verständnislos zog er die Brauen hoch, lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück und seufzte, womit er Yuugi nur noch unsicherer werden ließ, so dass dieser wieder von vorne anfing und entschuldigend den Kopf vorneigte. Kaiba hatte immer gewusst, dass Yuugi und Atem in ihrer Persönlichkeit nicht unterschiedlicher sein konnten, aber damit, dass der echte Yuugi so schüchtern war, hatte er nicht gerechnet.
 

„Kaiba-san...?“, kam es dann beinahe fragend von Yuugi, der nun resigniert den Kopf senkte und sich versuchte wieder zu fassen. Mit Kaiba Seto, dem wohl meist gefragten Mann der Welt, in einem Raum und dann noch so eine wichtige Angelegenheit, die geklärt werden musste und das einzige, das ihm einfiel war, sich bis in die Knochen zu blamieren. Na toll. Gut gemacht. Das gab ein Fleißsternchen.
 

„Yuugi, komm wieder runter. Ich schätze es, dass du mich ernst nimmt, aber das ist zu viel des Guten. Nenne mich so, wie du mich sonst auch immer nennst. Es gibt keinen Grund, sich zu verstellen.“
 

Yuugi atmete tief ein und lauschte seinem Herzschlag, befahl seinem Herz sofort langsamer zu schlagen, hob dann seinen Kopf wieder und blickte dem Brünetten direkt in die Augen. Seine Wangen waren leicht gerötet. Bereits in der Schule hatte Yuugi Probleme damit gehabt, seine Gedanken offen kundzugeben und es war der Pharao, der ihm mehrmals gesagt hatte, dass er dringend üben musste vor großem Publikum zu sprechen, wenn er seine Schüchternheit überwinden und ein normales Leben führen wollte. Da dies Atems Rat war, hatte er sich freiwillig dazu gemeldet, die Rede bei ihrer Schulabschlussfeier zu halten und zu seinem eigenen Erstaunen hatte dies besser geklappt als zu Anfang gedacht. Das hatte er natürlich auch Katsuya, Anzu, Honda, Bakura und Otogi zu verdanken, die jedes Mal, wenn er wieder anfing zu stottern oder dabei war, den Mut zu verlieren, ihn ermutigten und ihm Beifall klatschen oder gar wie in einem Fußballstadion laut pfiffen, um ihn von seinen Bedenken abzulenken.
 

Das war nun acht Jahre her und seitdem hatte er es vermieden, vor großen Menschenmengen zu sprechen. Kaiba hatte aus Rücksicht auf ihn ihre Duelle stets so arrangiert, dass sie allein im Duel Dom waren und niemand sie stören konnte. Während seines Studiums war es für Yuugi nie notwendig geworden, große Referate zu halten und wenn er welche hielt, dann meist vor kleinen Gruppen und bekannten Gesichtern, die ihm etwas Sicherheit gaben. Da es sich bei diesem Gespräch mit Kaiba jedoch um seinen Herzenswunsch, sein Projekt, an dem er bereits seit mehreren Jahren tüftelte, handelte, war er jedoch umso aufgeregter. Was wäre, wenn Kaiba sein Spiel für total dumm halten würde?
 

Das würde Yuugis Selbstvertrauen pulverisieren und vielleicht hatte Kaiba bei seinen Notizen sogar Rücksicht genommen, um nicht seine Gefühle zu verletzen. Obwohl er gefasst wirkte, hatte Yuugi tausende von Fragen und Zweifel, die ihn plagten und dazu brachten, sich selbst in Frage zu stellen. War das, was er tat, wirklich gut genug? War er bereits weit genug, um selbst Spiele zu schaffen?
 

„Yuugi, kommen wir zum Punkt. Spherium ist phänomenal.“
 

Angesprochener sah ihn nur perplex an. War das nun im guten oder im schlechten Sinne gemeint? Kaiba musste instinktiv gespürt haben, dass Yuugi seine Worte nicht richtig zu interpretieren wusste, weshalb er sich nun wieder nach vorne lehnte, seine Ellbogen auf dem Schreibtisch abstützte und seine Hände so faltete, dass er sein Kinn auf diesen ablegen und immer noch herausfordernd grinsen konnte. Dieses Grinsen verunsicherte Yuugi etwas, aber er glaubte daran, dass Kaiba ein guter Mensch war und dass man ihm vertrauen konnte. Für einen Moment legte er alle Zweifel und Sorgen ab und fand sein Selbstbewusstsein wieder.
 

„Inwiefern? Findest du es gut genug, um mich zu unterstützen, Kaiba-kun?“
 

»Endlich hat er sich beruhigt...«, schoss es Kaiba durch den Kopf und er ließ sich den Spaß nicht nehmen, seinen Rivalen ein bisschen zappeln zu lassen.
 

„Sag du es mir. Ist Spherium gut genug, dass die KC Geld hinein investiert? Bist du überzeugt von deinem Spiel?“
 

Yuugi schluckte. War Spherium ein gutes Spiel, das mit den hohen Standards und Erwartungen der KC mithalten konnte? In seinem Kopf herrschte wildes Durcheinander. Er liebte Spiele und über Spherium hatte er sich jahrelang Gedanken gemacht. Tag ein und Tag aus hatte er überlegt und sehr viel Zeit in den Entwurf gesteckt. Keine andere Firma wollte ihn und seine Idee haben. Sein Spiel, das er zu gern eines Tages vollendet sehen wollte. Zu unkonventionell, nicht massentauglich, hieß es. Zu kompliziert. Zu anstrengend und langatmig. Da könnte man doch genauso gut Dungeon Dice Monsters spielen. Oder Capsule Monsters. Oder Schach. Wo die Notwendigkeit aus Duel Monsters noch mehr rauszuholen und dieses Franchise bis zum Erbrechen auszuschlachten?
 

Die Kritik, die Yuugi bekommen hatte, hatte ihn dazu gebracht, nicht nur an seinem Spiel, sondern auch an sich selbst zu zweifeln. Außer seinem Großvater und seinen Freunden hatte niemand Interesse oder gar Verständnis gezeigt. Katsuya unterstützte ihn immer. Auf ihn konnte er immer zählen und sie redeten über alles, was sie in ihrem Leben bewegte. Katsuya wusste mehr über ihn, als irgendjemand anders. Doch wenn es um Spiele ging, konnte dieser nicht mithalten. Katsuya liebte Duel Monsters und träumte immer noch davon, seinen Erzfeind Kaiba in einem Duell vernichtend zu schlagen und als Legende in die Geschichte einzugehen und auch so verbrachten die beiden viel Zeit in der Spielhalle oder zu Hause, wo sie dann gemeinsam Videospiele oder analoge Brett- und Kartenspiele spielten. Aber Spherium überstieg Katsuyas Verstand.
 

Er machte ihm keinen Vorwurf. Niemals. Yuugi wusste selbst, dass die Regeln des Spieles dem Spieler selbst Köpfchen abverlangten und er wusste auch, dass Spherium immer noch in der Entwicklungsphase war. Für jemanden, der nicht in seinen Kopf schauen konnte, war es durchaus schwierig, das nachzuvollziehen, was Yuugi dachte. Was dieser sich für sein Spiel vorgestellt hatte. Also wollte er Katsuya damit nicht überfordern und hatte sich die letzten Monate etwas zurückgezogen, um seinen Traum zu verwirklichen und herauszufinden, was Spherium fehlte, damit es ein gutes Spiel wurde, das nicht nur ihn selbst, sondern auch Menschen weltweit begeistern konnte. Er wollte nicht das Franchise ausschlachten, sondern ein Spiel erschaffen, was nicht nur ihm Freude brachte.
 

„Ja, das bin ich. Spherium wird ein Erfolg.“, sagte er dann mit fester Stimme.
 

„Gute Antwort, Yuugi. Das sehe ich nämlich auch so.“, antwortete Kaiba und griff hastig zu einer seiner Schubladen, holte einen Block und einen weißen Kugelschreiber heraus, auf dem mit goldenen Schriftzeichen 'Kaiba Seto' eingraviert war. Der Mann hatte Stil, ging es Yuugi durch den Kopf und musterte seinen Gegenüber weiter, der auf diesen Block wortlos etwas aufschrieb, ohne den Kopf auch nur einmal zu heben. Gerade als Yuugi noch mal auf sich aufmerksam machen wollte, hob Kaiba den Blick und schob ihm den Block entgegen.
 

Moment. Das war kein Block im Sinne von Notizblock, sondern ein Vertrag, wo Kaiba mehrere Häkchen gesetzt hatte und seine eigene Unterschrift drunter gesetzt hatte.
 

„In deinem kleinen Jugendzimmer kannst du nicht arbeiten. Du brauchst einen richtigen Arbeitsplatz und Leute, die Ahnung vom Entwickeln und Programmieren haben. Mit meinem Hologrammsystem und meiner Technik sollte es dir viel leichter fallen, konzentriert bei der Arbeit zu bleiben.“
 

Yuugi sah den Mann vor sich einfach nur fassungslos an. Das musste ein Traum sein. Vielleicht hatte er am Abend doch zu viel getrunken und lag nun bewusstlos in einer Straßenecke? Dabei hatte er extra aufgepasst, nicht zu viel zu trinken, da er Alkohol generell nicht so gut vertrug und das Zeug auch so nicht sonderlich lecker fand. Der Umeshi war zwar lecker, da der Geschmack von Pflaumen überwog, aber auf das Brennen in der Kehle und den bitteren Nachgeschmack konnte er gut und gerne verzichten. Da trank er lieber Calpis oder Ramune, obwohl sein Großvater ihn sicher ausgeschimpft hätte, da zu viel Zucker ungesund wäre und er doch lieber Tee oder Wasser trinken sollte. Aber Mokuba zuliebe hatte er auch etwas getrunken, obwohl er beileibe kein Trinker war oder jemand, der gerne auf Feste oder in Kneipen ging. Da war er lieber zu Hause, saß auf dem Sofa und schaute seinen Lieblingsanime, nur um bei der nächsten Genkidama voller Spannung in seine Packung Teriyaki Kartoffelchips zu beißen und laut vor sich hin zu knuspern.
 

„Yuugi, träum' nicht.“, ermahnte Kaiba ihn und hielt seinem neuen Geschäftspartner den Kugelschreiber vor die Nase.
 

„Ich kann das doch nicht annehmen...“, stammelte Yuugi und nahm den Vertrag in die Hände.
 

„Warum? Nimm dir ein Beispiel an Atem und zeig mal etwas Selbstbewusstsein. Weder du noch Spherium müssen sich verstecken.“
 

„Ich weiß, aber ich habe doch gar kein Geld und...“, brachte er heraus und erwischte sich selbst dabei, wie seine Augen langsam feucht wurden. Wieso waren da plötzlich Tränen? Vor Erleichterung, dass jemand sein Spiel gut fand oder vor Trauer, dass er sich nicht traute, dieses viel zu verlockende Angebot anzunehmen?
 

„Yuugi, die Konditionen sind einfach. Ich unterstütze dich auf eigene Gefahr. Du zahlst gar nichts. Sollte Spherium doch ein Flop sein, habe ich mich geirrt und wir vergessen, was passiert ist. Sollte dein Spiel aber gut ankommen – und glaub mir, das wird es, da ich höchstpersönlich dies abgesegnet habe und alles, was ich anfasse zu Gold zu wird – kannst du mir die Entwicklungskosten zurückzahlen.“
 

„Kaiba-kun...“, murmelte Yuugi und schüttelte den Kopf. Jetzt bloß nicht anfangen zu heulen! Er war doch ein Mann und jemand wie Kaiba ließ sich nicht von Tränen beeindrucken. Er sollte jubeln und lachen, dass sein Wunsch endlich wahr wurde und nicht wie ein Kind schluchzen. Also ergriff er den Kugelschreiber und unterschrieb den Vertrag, ohne weiter über irgendwelche Konsequenzen nachzudenken. Er vertraute Kaiba. Sicher hatte dieser in der Vergangenheit so einiges getan, was nicht gut war, aber dieser eiskalte Mann aus der Vergangenheit existierte nicht mehr. Kaiba wollte ein wahrer Duellant sein und um dieses Ziel zu erreichen, musste er seinen Hass ablegen. Das hatte Atem selbst gesagt. Und auch Yuugi glaubte, dass seine traumatische Vergangenheit ihn daran hinderte, sich selbst zu entfalten und Gefühle zuzulassen. Kaiba war kein schlechter Mensch.
 

„Danke.“ Ein warmes Lächeln lag auf Yuugis Lippen. Ein Lächeln, das Kaiba erwiderte. Dann erhoben sich beide von ihren Stühlen und verneigten sich leicht voreinander.
 

„Im Übrigen gibt es noch eine weitere Voraussetzung.“
 

Yuugi hob den Blick und befürchtete bereits das Schlimmste. Wollte Kaiba, dass er den Kontakt zu seinen Freunden aufgab oder sich gar mit ihm duellierte? Letzteres wäre ja nicht so schlimm gewesen, aber allein der Gedanke, nicht mehr mit Katsuya oder seinen anderen Freunden Zeit verbringen zu können, machte ihn ganz schwermütig.
 

„Solltest du deinen Arbeitsplatz, den ich dir übergebe, auch nur ansatzweise so verdrecken wie dein Zimmer, endet unsere Kooperation. Ist das klar?“
 

Yuugi wurde knallrot. Wie peinlich! Wie sollte er Kaiba denn jetzt noch ins Gesicht sehen?
 

„V-verstanden...“, nuschelte Yuugi nur und hielt sich die Hände vors Gesicht. Kaiba grinste nur. Yuugi war es so offensichtlich anzusehen, dass er sich schämte, dass nicht einmal mehr Kaiba das Verlangen spürte, diesen weiter aufzuziehen. Entweder das, oder er wollte Yuugi nicht wieder in eine Situation bringen, wo ihm die Tränen sichtbar in den Augen standen und dieser panisch einen Ausweg suchte. Immerhin war es nicht so, dass er nicht gemerkt hatte, dass Yuugi Angst hatte. Blind war er immerhin nicht und so viel Einfühlungsvermögen beherrschte Kaiba gerade noch.
 

„Gut, dann lass uns doch noch einen Kaffee trinken und wir reden über alles Weitere und die zukünftigen Abläufe.“
 

„Wie? Jetzt?“ Das Erstaunen in Yuugis Gesicht war ihm so deutlich anzusehen, dass Kaiba sich ärgerte.
 

„Wann denn? Denkst du, ich hätte dich einfach so zwischen meine Termine geworfen und muss dich jetzt möglichst schnell raus scheuchen?“
 

„Nun, Mokuba sagte, dass du nie Zeit hättest. Deshalb dachte ich, dass wir uns beeilen müssen.“
 

Kaiba schluckte hart und für einen Moment verlor er sein Gleichgewicht. Für einen winzigen Moment ließ er seine verletzliche und ängstliche Seite durchscheinen. Einmal mehr wurde Yuugi bewusst, dass der Mann vor ihm ein Mensch war und kein perfekter Roboter, ohne Gefühle oder gar Fehler. Dass die Beziehung der beiden Brüder sich im Laufe der Zeit verändert hatte, war ihm nicht entgangen und auch die lauten Beschwerden Mokubas am Vorabend, hatten ihn in seiner Annahme bestärkt, dass sich langsam etwas ändern musste.

Kapitel 8

Als Kaiba ins Koma fiel, hatte Yuugi den Brünetten regelmäßig im Krankenhaus besucht und ihm Blumen mitgebracht. Yuugi bezweifelte, dass dieser etwas davon mitbekommen hatte und er hatte Mokuba darum gebeten, seinem Bruder nichts zu sagen, aus Angst, dass Kaiba sich in seiner Ehre verletzt fühlen würde und wieder irgendeinen Unsinn machte. In dieser Zeit hatte er mehrmals mit Mokuba gesprochen und das ein oder andere über die Brüder erfahren. Die beiden Brüder waren komplett unterschiedlich.
 

Mokuba zeigte Fürsorge und großen Respekt seinem Bruder gegenüber. Er streichelte ihm behutsam über die Stirn und sprach ihm gut zu, obwohl niemand sagen konnte, ob dieser etwas von seiner Umgebung mitbekam. Sie trafen sich nur während der kurzen Besuchszeiträume und sie sprachen nicht allzu viel miteinander. Über belangloses Zeug. Schule. Spiele. Hobbys. Mokuba war sehr vorsichtig und versuchte, nicht zu viel über sich preiszugeben und Yuugi, der selbst immer befürchtete, etwas Falsches zu sagen, hielt sich auch zurück, da er befürchtete, dass er diese neugewonnene 'Freundschaft' im Keim ersticken würde, sollte er etwas Dummes sagen oder tun.
 

Monatelang ging das so. Immer wieder sahen sie sich. Sie sprachen miteinander und über die Zeit hatte sich Vertrauen zwischen den beiden aufgebaut. Als Mokuba ihn fragte, warum er Kaiba so oft besuchen kam, obwohl die Brüder versucht hatten, ihn und seine Freude in einem Spiel zu töten, gab Yuugi eine simple Antwort.
 

„Weil wir Spiele lieben. Kaiba-kun und ich. Reicht das nicht?“ Und diese Worte, so bedeutungslos und naiv sie auch klingen mochten, hatten die beiden einander näher gebracht. Doch irgendwann kam Mokuba nicht mehr. Sie verloren den Kontakt. Dass Mokuba zu diesem Zeitpunkt entführt worden war, konnte Yuugi nicht wissen. Er war so froh, dass Atem nicht nur für die Seele seines Großvaters gegen Pegasus angetreten war, sondern auch für die Seelen der beiden Brüder.
 

Seit dem Königreich der Duellanten hatte Yuugi regelmäßig Kontakt zu Mokuba. Dank Mokuba hatte Yuugi einiges über Kaiba erfahren und im Laufe der Zeit angefangen, diesen gernzuhaben und sich selbst dabei zu erwischen, diesen als seinen Freund zu bezeichnen, obwohl dieser wohl im Dreieck gesprungen wäre, hätte er dieses Wort in Verbindung mit seiner Person gehört.
 

„Kaiba-kun?“ In seiner Stimme lag Sorge. Er wollte nicht, dass Kaiba sauer auf ihn war und jetzt ärgerte er sich über das, was er gesagt hatte. Wieso musste er auch so blöd sein und sein Angebot hinterfragen? Ein Mann wie Kaiba bot einem schließlich nicht jeden Tag Kaffee an!
 

„Alles in Ordnung. Was hat Mokuba sonst noch so über mich erzählt?“ Kaiba ging vor und steuerte den Nebenraum seines Büros an. Ein großer Tisch und eine bequeme Coach, die extrem teuer aussah, fiel ihm sofort auf. Sollte er hier etwas verschütten, würde Kaiba ihm sicherlich einen Kopf kürzer machen. Das hier musste wohl sein privater Pausenraum sein. Ein riesiger Flachbildschirm verdeckte beinahe die gesamte Wand, direkt neben dem Fenster stand eine große Zimmerpflanze, in dessen Boden eine Figur gesteckt war, die Yuugi leicht schmunzeln ließ. Ein Gartenstecker vom Weißen Drachen. »Irgendwie süß, dass Kaiba in der Hinsicht so tickt... das macht ihn viel sympathischer.«
 

„Ich hoffe, du magst schwarzen Kaffee. Oder soll ich dir etwas anderes bringen lassen?“
 

„Oh! Ehm, danke. Ich trinke alles.“, brachte Yuugi heraus und hätte sich am liebsten selbst für seine Gedankenlosigkeit geohrfeigt. Erstens mochte er keine bitteren Getränke und zweitens war sein Verhalten so unprofessionell, dass er sich ernsthaft fragte, ob Kaiba diese Zusammenarbeit nicht schon bereute.
 

Als er sich auf die Coach setzte, versank er in dieser sofort. Kaiba setzte sich nur einen halben Meter neben ihn hin und griff direkt nach der Kaffeekanne – die selbstverständlich dem weißen Drachen nachempfunden und sicher ein Unikat war – und goss sich etwas von der heißen Flüssigkeit in seine Tasse. Jetzt hätte Yuugi noch Gelegenheit gehabt, dieses freundliche Angebot abzulehnen, aber er ermahnte sich selbst dazu, sich etwas seriöser zu verhalten, also ließ er zu, dass Kaiba auch ihm eingoss.
 

Die Tassen selbst waren ebenfalls Unikate. Da war sich Yuugi sicher. »Bloß nicht fallen lassen. Kaiba-kun wird dir das niemals verzeihen...« In goldener Schrift strahlte ihm das Logo der KC entgegen und am oberen Becherrand befand sich eine Musterung, die ihn an Mosaike erinnerte. Noch bevor er das wertvolle Stück in seiner Hand weiter bewundern konnte, setzte Kaiba das Gespräch fort.
 

„Stimmt etwas nicht? Mokuba muss echt ganz schön gelästert haben, dass du nichts sagst.“
 

„Nein, nein! Hat er nicht!“, verteidigte er sich.
 

»Und wie er das hat! Aber das kann ich Kaiba-kun wohl kaum unter die Nase reiben... oder doch?«
 

„Yuugi, ich weiß, dass du lügst. Mokuba erzählt viel von dir und ich gehe davon aus, dass er auch über mich redet. Du musst das nicht verheimlichen.“, kam es vom Brünetten, der sich einen Schluck von seinem Kaffee gönnte und dabei keine Miene verzog, was Yuugi ziemlich bewundernswert fand. Er tat es ihm gleich, hob seine Tasse und genehmigte sich einen Schluck. Im Gegensatz zu Kaiba konnte er dieses Getränk nicht genießen. Der bittere Geschmack trocknete seinen Mund aus und die Hitze ließ seine Zunge unangenehm kribbeln. Wie konnte Kaiba das Zeug trinken, obwohl es noch so heiß war? Und so verdammt bitter? Im direkten Vergleich zu ihm fand Yuugi, dass er selbst ziemlich kindisch war. Da hätte er lieber einen Milchshake gehabt. Schön süß und belebend.
 

Kaiba grinste nur, als Yuugi die Augen schloss und damit kämpfte, den Kaffee nicht direkt wieder auszuspucken. Es war dem König der Spiele anzusehen, dass er mit diesem exquisiten Geschmack nicht so viel anfangen konnte. Zu sehen, wie Yuugi damit kämpfte, den Kaffee herunterzuschlucken, empfand er äußerst amüsant. Allein dafür hatte sich diese Kaffeerunde gelohnt. Dass sein Gegenüber ihn belustigt angrinste, bekam Yuugi jedoch nicht mit. Viel zu sehr war er damit beschäftigt seine Haltung zu bewahren und wie ein erwachsener Mann zu handeln. Erwachsene Männer tranken gerne schwarzen Kaffee und wenn er mit Kaiba zukünftig arbeiten wollte, musste er sich daran gewöhnen.
 

„Ich will nichts verheimlichen...“, erklärte er dann und setzte die Tasse wieder ab. Der Nachgeschmack von gerösteten Arabicabohnen gefiel ihm eigentlich ganz gut. So wie er Kaiba kannte, war der Kaffee sicher irgendetwas ganz Besonderes und extrem teuer. Der würde sich doch sicherlich nicht mit dem billigen Zeug aus dem Convenience Store zufrieden geben, sondern ließ seinen Kaffee aus dem Ausland importieren. Manchmal fragte er sich wirklich, wie es sein konnte, dass jemand wie er, ein kleiner Nerd mit wenig Freunden und viel zu viel Phantasie, mit so einem reichen Mann befreundet sein konnte. Das musste wohl Schicksal sein.
 

„Du bist total verklemmt, Yuugi. Du musst lernen aus dir herauszukommen. Was machst du, wenn du deine Angestellten anleiten musst? Die werden dich doch nicht ernst nehmen, wenn du dich so zurückhaltend verhältst.“
 

„Das weiß ich, Kaiba-kun. Ich werde mein Bestes geben, damit ich dich nicht blamiere.“, rechtfertigte sich Yuugi. Als er diese Worte aussprach, konnte Kaiba deutlich in seinen Augen lesen, dass er einen wunden Punkt getroffen hatte. Yuugi war schüchtern und zurückhaltend. Es war äußerst zweifelhaft, ob dieser überhaupt in einer Führungsposition richtig arbeiten konnte, weshalb Kaiba von Anfang an nicht vor hatte, ihn allein zu lassen.
 

„Es geht hier nicht um mich, sondern um dich. Du musst lernen mehr Selbstvertrauen zu zeigen, wenn du dieses Projekt wirklich beenden möchtest.“
 

Dass Yuugi das nicht einfach überwinden konnte, war ihm natürlich klar, doch diese Worte mussten gesagt werden, damit dieser endlich verstand, dass er sich ändern musste. Der naive und liebenswerte Junge musste rücksichtsloser werden und lernen, offen seine Meinung zu äußern, ohne sich bereits im Vornherein Gedanken zu machen. Andererseits waren es genau diese Eigenschaften, die ihn so besonders machten und er wusste, dass Yuugi die Bedürfnisse anderer immer vor seine eigenen stellte. Es ging nie darum, was Yuugi wollte. Hätte Yuugi den Mumm gehabt, hätte er ihm schon lange seine Duelle verwehrt und sich nicht von Kaiba dazu drängen lassen, alle paar Monate zum Duel Dom zu kommen, damit er seine Revanche bekam. Kaiba wusste, dass er niemals nein sagen würde, weshalb er diese Freundlichkeit auch schamlos ausgenutzt hatte. Als Yuugi dann anfing, seine Herausforderungen abzulehnen und ihm dreist dazu aufforderte, doch zu ihm zu kommen, hatte Kaiba gedacht, dass dieser endlich den Entschluss gefasst hatte, für seine eigenen Wünsche einzustehen.
 

„Ich schaffe das. Keine Sorge. Ich weiß, dass ich manchmal etwas zu schüchtern bin, aber wenn es um Spherium geht, würde ich es mir niemals verzeihen können, Fehler zu machen, nur weil ich mich nicht getraut habe, den Mund aufzumachen. Außerdem bist du ein gutes Vorbild.“
 

Yuugi lächelte wieder, was Kaiba irgendwie verunsicherte. Er verstand einfach nicht, wie Yuugi ihm gegenüber so freundlich bleiben konnte. Wann hatte er Yuugi zu verstehen gegeben, dass so etwas wie Freundschaft zwischen ihnen existierte? Wie kam Yuugi auf den absurden Gedanken, dass da mehr zwischen den beiden war? Lächerlich, wie er fand.
 

Freundschaft bedeutete nichts weiter, als seine Schwächen zu offenbaren und selbst angreifbar zu werden. Zumindest wollte er das immer glauben. Es war Atem, der ihm sagte, dass er allein durch die Macht der Freundschaft, kämpfen konnte und wenn er an diesen Tag zurückdachte und diesen unerschütterlichen und fest entschlossenen Gesichtsausdruck, wollte ein Teil seines Verstandes diese Worte wirklich glauben. Daran glauben, dass an dieser Freundschaftsnummer etwas dran war. Dass Bindungen zu Menschen etwas verändern konnten.
 

„Solange du den Willen hast, für dein Spiel einzustehen, werde ich auch hinter dir stehen.“
 

„Das...“, flüsterte Yuugi und senkte den Blick, legte seine Hände auf seinen Oberschenkeln ab. Kaiba konnte hinter seinen Ponyfransen erkennen, dass dieser errötete und sorgfältig über seine nächsten Worte nachdachte. Yuugi war in der Hinsicht sehr gewissenhaft und nahm Rücksicht auf seinen Gegenüber, passte sich diesem an, was Kaiba zwar als nicht schlecht abstempeln würde, aber doch etwas schwierig ansah, vor allem wenn es ums Geschäftliche ging.
 

„...bedeutet mir sehr viel. Mokuba sagt oft, dass du distanziert seist und mit niemanden freiwillig arbeiten würdest, aber ich bin froh, dass du doch ganz anders bist.“
 

Kaiba überlegte einen Moment und sah seinen zukünftigen Geschäftspartner eindringlich an.
 

„Inwiefern 'anders'?“
 

„Nach allem, was er von dir erzählte, dachte ich, dass es ganz schrecklich sein muss, mit dir in einem Raum zu sein. Aber eigentlich ist es angenehm. Ich hatte Angst, du würdest dich über mich lustig machen und mich nur herrufen, um mir zu sagen, dass wir nur Rivalen seien und niemals mehr sein wird.“
 

„Yuugi, wir sind auch jetzt keine Freunde, falls du darauf hinaus willst. Ich verstehe nicht, was diese lächerliche Freundschaftsnummer soll. Denkst du wirklich, dass wir Freunde sein können? Du solltest mich hassen. Ich habe versucht, deine Freunde zu töten und dein Großvater hatte wegen mir einen Herzinfarkt. Du weißt, dass ich schrecklich bin.“
 

Yuugi schüttelte den Kopf und hob diesen. Sie sahen sich einen Augenblick in die Augen.
 

„Ich denke nicht, dass das heute noch wichtig ist. Wichtig ist, dass du dich geändert hast. Menschen verändern sich und ich glaube daran, dass du nur Böses getan hast, weil dir selbst Schlimmes widerfahren ist.“
 

Kaiba lachte laut auf. Es passte ihm nicht, dass Yuugi Recht hatte. Dass dieser in seine Seele blickte, obgleich er versuchte, diese vor der Welt zu verbergen. Der einzige, der von dieser Seite wissen durfte, war sein Bruder und niemand anders. Auch wenn Kaiba leugnete, dass jemals mehr als die Rivalität zwischen ihnen sein würde, so musste er sich doch selbst eingestehen, dass dieses Treffen etwas war, dass er vor acht Jahren strikt abgelehnt hätte.
 

Er schätzte Yuugi. Er brauchte ihn. Seine Fähigkeiten als Duellant. Ohne ihn gab es niemanden auf der Welt, der sich mit ihm messen konnte und wenn er diese eine Herausforderung verlor, gab es nichts und niemanden mehr, das ihn inspirierte. Sie waren auf einer Wellenlänge und weil Kaiba das selbst am besten wusste, machte es ihn umso unsicherer, dass er ungewollt Yuugi so nah an sich herangelassen hatte. So nah, dass dieser ihn wirklich als Freund sehen wollte und in der Lage war, in seine Seele zu blicken.
 

„Du hast echt einen an der Waffel! Yuugi, mit deinem freundlichen Getue täuscht du mich nicht und glaub bloß nicht, dass für solche schöne Reden in der Businesswelt Platz ist. Du bist einfach zu naiv.“
 

Yuugi sagte daraufhin nichts, vermied es Kaiba anzusehen. Doch dann fasste er sich wieder. Es war klar erkennbar, dass er nicht nachgeben wollte.
 

„Kaiba-kun. Mokuba entfernt sich immer mehr von dir, weil du so denkst. Was tust du, wenn er eines Tages geht und er dich hier allein zurücklässt? Wirst du es verkraften können, dass du deinen einzigen Bruder von dir abgewiesen hast?“
 

„Yuugi, mein Privatleben geht dich nichts an. Ich sehe keinerlei Grund, dir diese Fragen zu beantworten.“
 

„Schon wieder.“, hauchte Yuugi. Kaiba verengte seine Augen zu Schlitzen. Das war eine Drohung. Diesen Blick kannte Yuugi nur zu gut. Das hielt Yuugi aber nicht davon ab, weiter zu sprechen und das zu sagen, was gesagt werden musste.
 

„Sobald jemand dir deine Fehler aufweist, wirst du sauer. Das ist deine größte Schwäche. Du bist nicht in der Lage mit deinen eigenen Gefühlen umzugehen. Du sagst mir, dass ich mich ändern muss, aber der, der sein Handeln überdenken sollte, bist du.“
 

Weder Boshaftigkeit noch Abscheu lag in seinen Worten. Die ganze Zeit hatte Kaiba gewollt, dass Yuugi seine Gedanken schonungslos aussprach und als er dies tat, erfüllte es ihn einerseits mit Freude, andererseits mit Schrecken.
 

„Ich weiß, wie schlimm es ist, wenn man Menschen verliert, die einem wichtig sind. Erst wenn sie fort sind, wird einem so richtig klar, wie sehr man sie braucht. Und diese Erkenntnis schmerzt.“
 

Kaiba musste nicht lange darüber nachdenken, wen er meinte. Atem hatte auch sein Leben beeinflusst und er war der erste Gegner, den er seiner als ebenbürtig erachtete. Yuugi war anfangs nichts weiter als ein Ersatz, um das Loch zu füllen, das Atem unwissentlich in seinem Leben hinterlassen hatte, doch nach all der Zeit, die vergangen war, war er unglaublich froh, dass er Yuugi ein Teil seiner Welt hatte werden lassen. Dass Yuugi ihm wichtig war, hatte er selbst erst nach Jahren erkannt. Nein, wie wichtig er ihm war und dass er nicht nur seine Fähigkeiten respektierte, wurde ihm bewusst, als dieser zum ersten Mal seine Einladung zum Duel Dom ablehnte. Es war das erste Mal, dass Yuugi seine Herausforderung ablehnte. Das erste mal, dass dieser ihm nicht gehorchte.
 

Kaiba war absoluten Gehorsam gewohnt. Es gab selten jemanden, der es wagte, sich gegen ihn zu stellen oder ihm ins Wort zu fallen. Und wenn doch, überwältigte er seine Gegner mit Worten. Weder Yuugi noch Mokuba ließen sich davon beeindrucken. Es war ihnen egal, dass Kaiba eine höhere Position hatte. Sein Stolz würde noch sein Untergang sein. »Denkst du wirklich, dass ich das nicht weiß?«, dachte Kaiba und nahm einen großen Schluck des bitteren Getränks, um wieder klare Gedanken fassen zu können.
 

„Ich glaube nicht, dass sich Mokuba für dich entscheiden wird. Zumindest nicht nach dem, was er mir gestern erzählt hat.“
 

Kaiba wurde hellhörig.
 

„Ha, du kennst Mokuba nicht so gut wie ich. Er liebt mich und er würde mich niemals zurücklassen.“
 

„Bist du dir da wirklich sicher?“, fragte Yuugi.
 

Die Stille zwischen ihnen war unangenehm und drückend. Kaiba war verärgert, dass aus einer unbefangenen Frage eine solche Konversation geworden war. Plötzlich ging es nicht mehr um Yuugi und sein Spiel, sondern hatte sich das Ganze in eine Lebensberatung entwickelt, die Kaiba gar nicht brauchte. Als keine klare Antwort vom Firmenchef kam, sprach Yuugi weiter.
 

„Du weißt, dass er eine Freundin hat. Sie kommt nicht aus Japan. Er scheint tatsächlich zu planen, mit ihr wegzugehen, wenn du dein Leben nicht in den Griff kriegst.“ Yuugi stoppte für einen Moment, biss sich auf die Unterlippe, ehe er erneut ansetzte.
 

„Kaiba-kun.“
 

Yuugis Worte waren warm und fürsorglich und er spürte, dass er ihm nicht schaden wollte. Dass Yuugi ihm helfen wollte, verletzte seinen Stolz. Er brauchte keine Freunde oder gar Hilfe. Vor allem nicht von Außenstehenden, die den Ernst des Lebens nicht verstanden hatten. Am liebsten hätte er ihn aus seinem Büro geworfen und ihm gesagt, dass er sich nicht einmischen sollte. Yuugi sprach seinen Namen ganz langsam aus und machte eine Pause. Er schien nach den richtigen Worten zu suchen. Es fiel ihm unheimlich schwer, Kaiba so vor den Kopf zu stoßen und dabei auch noch sein Versprechen an Mokuba zu brechen. Mokuba hatte ihm extra gesagt, nichts von seinem Vorhaben an seinen Bruder weiterzuleiten, da dieser sich sonst vorbereiten konnte und sich absichtlich verstellen würde, nur um den Anschein zu erwecken, dass alles in Ordnung war.
 

Und Mokuba hasste es, wenn sein Bruder so tat, als gäbe es keine Probleme. Denn Probleme hatten sie genügend. Sowohl in der Kaiba Corporation als auch in ihrem Privatleben. Die firmeninternen Probleme behob Kaiba rasch und mit Bravur, doch den Frust und den Ärger mit seinem Bruder, staute sich so sehr an, dass ein kleines Gespräch und auch ein toller Ferrari zum achtzehnten Geburtstag nicht darüber hinwegtäuschen konnten, dass etwas nicht stimmte und die beiden Brüder kurz davor standen, auseinander zu gehen. Mokuba war nicht bereit, dies so hinzunehmen. Er wollte seinen lachenden Bruder zurück. Den Bruder, den Gozaburou ihm gestohlen hatte. Der Bruder, mit dem er über sein Leben und seine Wünsche reden konnte. Der Bruder, der ihm zuhörte, wenn er ihm von seinen Gedanken erzählte. Der Bruder, der offen war für neue Ideen und Konzepte. Der Bruder, mit dem er lachen konnte und das Leben genießen konnte.
 

Und das war es auch, was er seinem Bruder in Alcatraz gesagt hatte. Dieser Hass, den Kaiba in sich trug, hatte ihn so sehr verändert, dass Mokuba allmählich das Gefühl bekam, dass sein Bruder nicht mehr existierte. Dass dieser Mensch hinter dem Bürotisch, der fleißig seine Akten ordnete und die Firma anleitete, nicht der Mensch war, den er in seinem Leben brauchte. Dass dieser Mensch, ihn nur emotional runter zog und kein wirkliches Interesse an ihm hatte. Für Mokuba war es klar, dass er sich für seinen Bruder entscheiden würde, wenn es sein musste. Doch sein Bruder war einfach nicht in der Lage, über seine Gefühle zu reden oder diese gar zu zeigen, was ihn zunehmend belastete.
 

„Mokuba ist erwachsen und nicht mehr das folgsame Kind, das dir blindlings hinterherläuft und dabei deinen Aktenkoffer für dich schleppt. Mokuba ist dein Bruder und kein Angestellter. Vergiss das nicht.“
 

„Willst du mir allen Ernstes sagen, dass Mokuba plant, einfach abzuhauen?“
 

„Ich sollte es dir nicht sagen, aber anders hörst du ja nicht zu.“
 

Kaiba war es anzusehen, dass er unzufrieden war. Er griff erneut nach seiner Tasse und leerte diese komplett. Yuugi fragte sich, ob Kaiba noch etwas sagen würde oder ob dieser nun versuchte, das Thema zu wechseln.
 

„Danke für deinen Rat. Trotzdem geht dich mein Privatleben nichts an. Wir sollten uns auf das Wesentliche konzentrieren und sehen, dass wir Spherium voranbringen.“
 

Kaiba blockte ab. Er ließ diese negativen Gedanken nicht zu. Wollte sie nicht wahrhaben. Also war es am einfachsten, nicht weiter auf das Thema einzugehen und keine weitere Sekunde damit zu verschwenden. Sobald Yuugi weg war, konnte er sich genügend Gedanken darüber machen, wie er sich bei Mokuba entschuldigte und ihm beweisen konnte, dass ihm etwas an diesem lag. In letzter Zeit hatten die beiden Brüder sich immer wieder gestritten. Kaiba ging davon aus, dass das an der Pubertät lag. Diese Selbstfindungsphase war sehr wichtig für junge Heranwachsende, weshalb Kaiba glaubte, es wäre das Beste, seinen Bruder einfach machen zu lassen und sich nicht weiter in sein Leben einzumischen. Jetzt fragte er sich, ob er etwas falsch gemacht hatte.
 

Vielleicht hätte er ihn fragen sollen, wie sein Tag in der Schule war. Wie seine Beziehung lief. Kaiba wusste, dass Mokuba bereits mehrere Freundinnen gehabt hatte, jedoch hatte er nie nach diesen gefragt oder sie zu Gesicht bekommen. Die meiste Zeit war er mit Arbeit beschäftigt. Oder tüftelte an einem neuen Dueldisk, um sein nächstes Duell mit Yuugi noch spannender und überwältigender zu machen. Auch hatte er mehr Zeit mit der Planung der Eröffnung des Kaibaparks verbracht, als aktiv nach den Erfolgen seines Bruders zu fragen.
 

„Kaiba-kun. Nicht ich hätte gestern mit Mokuba feiern sollen, sondern du. Dein Leben geht mich nichts an, aber Mokuba ist mein Freund und ich möchte nicht, dass er wegen dir leidet. Spherium ist mir wichtig und ich wünsche mir nichts mehr, als dass ich Spiele entwickeln kann, aber so lange ich mir nicht sicher sein kann, dass es dir und Mokuba gut geht, kann ich mich nicht konzentrieren.“
 

Kaiba schnalzte mit der Zunge und stand auf. Aufgeregt lief er hin und her, blieb dann vor dem Fenster stehen und warf einen Blick auf seine Stadt, den lebhaften Verkehr und die bunten Reklameschilder, die bis in den Himmel noch zu erkennen waren, da ihre Lichter auch tagsüber so hell leuchteten, dass Kunden sich von diesen magisch angezogen fühlten. Von seiner Firma aus konnte er alles überblicken. Den Duel Dom. Die Brücke am Hafen. Seinen Kaiba Park und auch sein Anwesen. Von hier oben war alles so winzig und bedeutungslos. Und trotzdem hatte er mehr Zeit in diese Dinge investiert, als in sein eigenes Glück.

Kapitel 9

„Yuugi. Was bedeutet es, glücklich zu sein?“, wollte er dann von diesem wissen.
 

Er brauchte keine Antwort. Die gab es nicht. Er hielt nichts von diesem esoterischen Mist oder davon, dass die kleinen Dinge im Leben einen bereicherten. Es gab einfach keine Antwort, die ihn zufriedenstellte. Das lag daran, dass sich Kaiba nie die Frage gestellt hatte, ob er glücklich oder unglücklich war. Mokuba war unglücklich. Unzufrieden. Kaiba hatte es nicht bemerkt und das machte ihn wütend. Ha. Was hieß hier, er hatte es nicht bemerkt? Wie Mokuba es passend ausgedrückt hatte: er hatte nie Zeit. Keine Zeit, um über sich selbst nachzudenken, geschweige denn über seinen Bruder. Mokuba war 19 Jahre alt. Alt genug, um zu reflektieren und eigene Schlüsse zu ziehen.
 

„Kennst du die Antwort wirklich nicht?“ Er legte den Kopf schief.
 

„Gibt es denn eine richtige Antwort?“
 

„Nein. Ich glaube, dass glücklich sein bedeutet, dass man mit sich selbst zufrieden sein kann und keine Angst haben muss. Ich bin froh, dass ich Menschen in meinem Leben gefunden habe, die meine Leidenschaft für Spiele teilen. Menschen, die mir gerne zuhören und für mich da sind.“
 

„Ich war nicht für ihn da. Du hattest Recht. Ich laufe vor meinen eigenen Schwächen davon.“
 

»Zerstöre die Vergangenheit und die Zukunft wird erschaffen.«
 

Das waren seine eigenen Worte. Worte, die er wie ein Mantra immer und immer wieder wiederholt hatte, nur um nicht an seinen Peiniger zu denken, der ihn umerzogen hatte und so sehr erniedrigt hatte, dass er Glück nur in Zerstörung empfinden konnte.
 

„Seto! Du bist unachtsam!“, brüllte die laute und strenge Stimme hinter ihm und er spürte den harten Schlag in seinem Gesicht. Gozaburou wollte ihn zum nächsten Firmenleiter erziehen. Er brauchte einen würdigen Nachfahren, der in der Lage war, das Wissen, das ihm vermittelt wurde, nicht nur auswendig zu lernen, sondern so sehr zu verinnerlichen, dass er dies problemlos in jeder Lebenslage anwenden konnte. Eigentlich konnte er von Glück sprechen, dass er bei dieser Charity Veranstaltung teilgenommen und gegen dieses Kind verloren hatte.
 

Hätte ja niemand ahnen können, dass unter diesen verlausten und verwahrlosten Heimkindern ein Kind steckte, das überdurchschnittlich intelligent war und seine harte Ausbildung tatsächlich überstand, ohne sich dabei heulend auf den Boden zu werfen und zu krepieren. Der Stolz dieses Jungen war groß und es würde ihm viel Zeit kosten, diesen Willen zu brechen und den perfekten Nachfolger zu erschaffen. Als er merkte, dass der Junge an einer Aufgabe kurz haderte, schlug er ihm mit voller Kraft mit der Gerte auf die Finger, so dass dieser zusammenzuckte. Er schrie nie. Er weinte nie. Er jammerte nie. Absolut perfektes Material.
 

Seto hatte verstanden, was es bedeutete, ein ungewolltes Kind zu sein. Wenn die Eltern einen nicht wollten, musste man um das Recht zu leben, kämpfen. Wenn die Gesellschaft einen ablehnte, musste man beweisen, dass man es wert war, ein Teil von dieser zu sein. Die Zweifel des Jungen und sein stark ausgeprägter Beschützerinstinkt seinem kleinen Bruder gegenüber waren perfekter Nährboden.
 

„Seto! Wenn du Aufgaben wie diese nicht innerhalb weniger Sekunden lösen kannst, wirst du es niemals zu etwas bringen. Du musst schnell sein. Lass dich von elendigen Gefühlen nicht ablenken, ansonsten wirst du in der Gosse enden und dort verrotten!“, keifte er und schlug einmal mehr zu.
 

Der Junge nickte, sagte aber kein Wort. Ihm lief Blut über das Gesicht und die rote Flüssigkeit tropfte von seinem Kinn, landete direkt auf seinen Unterlagen.
 

„Bist du etwa aufmüpfig?“, murrte der Alte mit der Gerte und schlug mit dieser in seine offene Handfläche, was beim Aufprall ein dumpfes Geräusch auslöste. Dieses Geräusch ließ dem Jungen das Blut in den Adern gefrieren.
 

„Ich habe verstanden, Kaiba-sama!“, sagte er laut und deutlich und setzte mit dem Stift an, rechnete die komplizierten Formeln ohne Hilfe in kürzester Zeit.
 

„Heute gibt es kein Abendessen für dich. Du denkst wohl, du kannst dir alles erlauben, hm?“
 

„Nein, Kaiba-sama. Ich werde alles tun, was Sie von mir verlangen!“
 

„Brav. Sei weiter so fleißig, dann passiert Mokuba auch nichts. Seto. Verlierer sterben. Wenn du nicht der Beste in allem bist, bist du wertlos. Niemand will ein dummes und unnötiges Kind wie dich. Es wäre besser gewesen, deine Mutter hätte dich niemals zur Welt gebracht. Aber ich, Gozaburou Kaiba, bin dein Retter. Ich liebe dich wie meinen eigenen Sohn, deshalb verstehst du sicher auch, dass ich so streng zu dir sein muss, damit etwas Anständiges aus dir wird.“
 

„Ihr habt Recht, Kaiba-sama.“
 

„Trotzdem bekommst du heute nur eine Tasse Tee zum Abendessen. Du musst lernen, dass du direkt zu antworten hast, wenn man mit dir spricht. Du darfst nicht zu lange nachdenken. Wer zögert, zeigt Schwäche.“
 

„Verstanden, Kaiba-sama.“
 

Die Antwort des Jungen kam wie aus der Pistole geschossen. Er wollte seinen Bruder nicht in Gefahr bringen. Er musste ihn beschützen. Er war doch alles, was er noch hatte. Wenn er die Ausbildung von Kaiba überleben wollte, musste er lernen folgsam zu sein. Befehlen blindlings zu gehorchen und das zu verinnerlichen, was ihm gesagt wurde. Langsam aber sicher glaubte er tatsächlich, dass das, was sein Stiefvater ihm sagte, richtig war. Nur wenn er so wurde, wie dieser Mann es von ihm verlangte, würde er in der Lage sein, ein gutes Leben zu führen und seinem Bruder wahres Glück zu bringen. Obwohl er schnell geantwortet hatte und die weiteren Formeln ohne Probleme löste, schlug Gozaburou ihn erneut mit der Gerte.
 

„Deine Handschrift ist erbärmlich! Dabei lernst du bereits seit zwei Wochen die Kunst der Kalligraphie. Seto, das ist nicht gut genug. Bis übermorgen musst du dies verinnerlicht haben, ansonsten weißt du, was dir blüht.“
 

„V-verstanden, Kaiba-sama.“, kam es von dem Jungen, der antwortete wie ein erzogener Soldat.
 

„Stottern ist ein Zeichen von Schwäche, Seto.“
 

Noch ein Schlag. Und noch einer. Er schmeckte sein eigenes Blut, aber kein einziges Mal schrie er auf oder beschwerte sich. Als seine Mathematikstunde vorbei war und Gozaburou sich zum Abendessen verzog, atmete er tief ein. »Moki...«, waren seine einzigen Gedanken, dann taumelte er ins Badezimmer, um sich das Blut abzuwaschen. Er durfte seinen Bruder nicht sehen. Er sollte erst Erfolge vorweisen können. Seto fühlte sich einsam und er wusste nicht, ob er seinen Bruder jemals wiedersehen würde. Die Hoffnung, dass sie sich eines Tages wiedersehen würden und sie gemeinsam lachen konnten, war alles, was ihm blieb. Gozaburou ahnte nicht, dass er sich seinen eigenen Konkurrenten großzog und dass dieser eines Tages ihm seine Firma wegnehmen und komplett umstrukturieren würde.
 

Im Laufe der Zeit wuchs Kaibas Hass. Sein Zorn. Doch er hatte gelernt, nichts davon zu zeigen und seinem gönnerischen Stiefvater, dem er sein Leben verdankte, bedingungslosen Gehorsam zu zeigen, sich niemals etwas anmerken zu lassen und stets alle Befehle zu befolgen. Mokuba entfernte sich von ihm. Sein Ziel verlor er aus den Augen. Seto verlor sich selbst.
 

Er hatte es Atem zu verdanken, dass er in der Lage war, aus der Spirale des Hasses auszutreten. Dass dieses Monster ihn immer noch gefangen hielt, wollte er selbst nicht glauben. Denn er wollte sich niemals mit der Vergangenheit konfrontieren. Sie wegschließen. Doch ihm wurde klar, dass die Vergangenheit ihn festhielt und ihm Angst machte. Dass er von selbst nicht in der Lage war, das zu überwinden, was ihn so sehr einnahm und bis heute sein Leben bestimmte.
 

Er hatte Mokuba nie von den Misshandlungen erzählt. Sie hatten sich nur selten gesehen. Wenn Gozaburou eine Feier besuchte, nahm er seine beiden Kinder mit, nur um in den Medien das Bild eines wunderbaren Mannes vor zu heucheln, der trotz seiner Waffen an Frieden und Liebe glaubte. Diesen Mann, den er in den Medien mimte, gab es nicht und hatte es auch nie gegeben. Kaiba hatte die Gala Abende geliebt, denn sie bedeuteten, dass er seinen Bruder wiedersehen konnte – auch wenn sie nicht miteinander reden durften – und dass er eine Woche vor diesen keine Schläge oder sonstige Misshandlungen zu fürchten brauchte. Er war froh, dass Mokuba bis heute unbehelligt von all dem, was sein Leben und seinen Charakter geprägt hatte, aufwachsen konnte.
 

Gerade weil er seinem Bruder nie die Wahrheit gesagt hatte und diese tief in sich einschloss, fiel es ihm so schwer, andere Menschen zuzulassen oder mit diesen zu agieren.
 

„Kaiba-kun. Lass uns zusammenarbeiten, aber nicht nur, um Spherium zu vollenden, sondern um an unseren Persönlichkeiten zu wachsen. Du sagst, dass ich skrupelloser werden muss und du möchtest, dass Mokuba dich nicht zurücklässt. Ich denke, wir können uns gegenseitig dabei helfen.“
 

„Yuugi...“, sagte dieser nur. Dass Yuugi ihm näher gekommen war und nur wenige Zentimeter von ihm entfernt stehen blieb, hatte er nicht mitbekommen. Er wollte nicht, dass ausgerechnet Yuugi seine Schwächen sah. Niemand sollte sie sehen. Die Narben auf seiner Seele. Obwohl Kaiba ihm keine Antwort gab, war sich Yuugi sicher, dass dieser zugestimmt hatte und dass dieser Vertrag – dass Spherium – ihnen beiden helfen würde, ihre Probleme zu überwinden.
 

Yuugi war zurückhaltend, schüchtern und oftmals viel zu unterwürfig. Während Kaiba kein Blatt vor den Mund nahm, gerne provozierte und pure Dominanz ausstrahlte. Er war jemand, vor dem man sich fürchtete und das wusste dieser selbst am besten. Er spürte es ja jedes Mal, wenn er mit seinen Angestellten sprach oder nur an ihnen vorbeiging.
 

„Wir treffen uns nächste Woche noch mal. Ich werde auch daran denken, dass du keinen schwarzen Kaffee trinkst.“, kam es von dem Firmenleiter und Yuugi starrte ihn nur an.
 

„Ehehehehe...“, lachte Yuugi peinlich berührt und kratzte sich an der Wange. War ja klar, dass dem scharfsinnigen Kaiba so etwas nicht entging.

Kapitel 10

Mokuba lag in seinem Bett und ignorierte das Piepen seines Smartphones, das bereits seit mehreren Stunden versuchte, ihn aus seinem erholsamen Schlaf zu reißen. Gestern Abend hatte er sich dazu hinreißen lassen ein wenig zu viel zu trinken. Zumindest hatte er eine guten Grund, der gefeiert werden musste. Drei Jahre hatte er an Capsule Coliseum gearbeitet und so etwas musste doch gebührend gefeiert werden, nicht wahr? Irgendwie hatte er dennoch schlechte Laune. Und der Grund war wie immer derselbe: sein Bruder.
 

Obwohl er sich eigentlich freuen und feiern sollte, war er einfach nur genervt und wütend. Er grummelte vor sich hin, wissend, dass ihn niemand hören konnte. Am Vorabend hatte er sich mit Yuugi getroffen und vielleicht das ein oder andere alkoholische Getränk zu viel zu sich genommen, weshalb er sich heute nicht sonderlich fit fühlte. Musste wohl der Kater sein, der ihm so aufs Gemüt schlug. Sein Bruder hatte, wie jeden Morgen, pünktlich um 7:30 Uhr das Anwesen verlassen und war in Richtung Firmengelände abgebraust. Er hatte gehört, wie Isono mit quietschenden Reifen vorfuhr. Der arme Kerl kam auch nie zur Ruhe. Mokuba konnte sich nicht an alles erinnern, was er gestern gesagt hatte, aber er wusste, dass er den Entschluss gefasst hatte, Seto zu konfrontieren und zur Not sein Zuhause zu verlassen.
 

Es war nicht so, dass er seinen Bruder hasste, aber so wie es momentan zwischen den beiden lief, konnte er nicht sagen, ob das auf Dauer gutging. Viel zu oft erwischte er sich selbst dabei, über seinen Bruder zu schimpfen und dass er sich sogar wünschte, dass er Fehler machte, damit er ordentlich ausrutschte und wieder runterkam. Arbeit hier, Arbeit da und kaum war man am Morgen aufgestanden und saß im Speiseraum, um sein Frühstück zu sich zu nehmen, redete er nur über Duel Monsters, seine Arbeit oder darüber, dass er Yuugi besiegen wollte. Nie fragte er danach, wie es Mokuba ging. Wie weit er mit seinem Projekt war. Dabei hatte er ihm so oft gesagt, dass er seit drei Jahren an Capsule Coliseum arbeitete.
 

Für jemanden wie Kaiba war Zeit scheinbar zu kostbar, als dass man sich mit den Projekten anderer befasste, auch wenn es sich bei dieser anderen Person um den einzigen Bruder handelte. Vor drei Jahren wäre es ihm egal gewesen. Da war er gerade mal 16 und hatte selbst viel zu viel um die Ohren. Immerhin duldete sein Bruder nicht, dass er die Schule einfach abbrach und auch Mokuba war es wichtig gewesen, einen ordentlichen Schulabschluss zu machen, bevor er ins Arbeitsleben einstieg. Bevor er mit seinem größten Wunschprojekt anfing und Capsule Monsters in virtuelle Form brachte. Glaubte sein Bruder etwa nicht an seinen Erfolg? Von Anfang an hatte dieser nicht sonderlich viel Interesse gezeigt. Keine Zeit.
 

Es waren drei Jahre vergangen, in denen die beiden Brüder nur wenig miteinander sprachen. Arbeit hatte für Kaiba immer Vorrang. Es waren diese drei Jahre, in denen Mokuba genügend Zeit hatte, sich selbst weiterzuentwickeln und sich ein eigenes Leben aufzubauen – eines, in dem er seinen Bruder nicht unbedingt brauchte. Ein Leben, an dem sein Bruder scheinbar nicht teilnehmen wollte. Und dieses Gefühl, dass der einzige Verwandte, der einem mehr bedeutete, als alles andere, einen zurückwies, deprimierte ihn und zog ihn mit jedem neuen Tag noch mehr runter.
 

Mittlerweile war sein Entwicklerteam und Rebecca seine Familie. Eine Familie, die ihm zuhörte, seine Visionen teilte und mit denen er aus tiefstem Herzen lachen konnte. Dinge, die in einer Familie selbstverständlich waren. Nicht so für Kaiba. Der lachte nie. Der weinte nie. Er wurde höchstens wütend. Vor allem dann, wenn man ihn kritisierte oder ihm helfen wollte. Mokuba drückte seinen Kopf ins Kissen und brüllte laut, um seinen Ärger Luft zu machen. Dieser Vollidiot! Das alles machte ihn so wütend.
 

Eventuell war er auch nur so wütend, weil er einen Kater hatte und trotz dieser Kopfschmerzen nur über seinen Bruder nachdachte, der selbst nie Interesse an ihm zeigte. Er griff nach seinem Smartphone und öffnete seinen Nachrichtendienst, tippte mit seinen beiden Daumen hastig eine Nachricht an seine Freundin, die genauso schnell antwortete. Er fragte sich, ob sie nur beim Tippen so geschickt mit ihren Fingern war oder ob sie damit noch ganz andere Dinge konnte.
 

„Guten Morgen!“
 

„Morgen! So 'früh' schon wach? :D“
 

„Ja, ich war gestern etwas zu lange unterwegs! Bin grad erst wach geworden. XD“
 

„Zu lang unterwegs? Heißt wohl, hast die ganze Nacht durch gesoffen!“
 

„Du merkst aber auch alles. ^^;“
 

„Ich bin nicht blöd, Mokuba. Ich habe dich gestern Abend zweimal angerufen und du gingst nicht dran.“
 

„Sorry! Aber mal was ganz anderes: Hättest du Lust auf eine Reise?“
 

„Was ist mit Capsule Coliseum?! Das kommt doch nächsten Monat auf den Markt, sollten wir uns nicht lieber ums Marketing kümmern?“
 

„Ach, das müssen wir ja nicht von hier, oder? Läuft doch eh alles übers Internet. :D“
 

„Wo willst du denn hin? Nach Kyūshū ? Dort gibt es ein großes Ressort.“
 

„Wär' nicht übel, aber ich dachte eher an eine GROSSE Reise. :)“
 

„Ins Ausland etwa?“
 

„Wie wär's mit Amerika?“
 

„Was führst du im Schilde? Irgendetwas stimmt nicht.“
 

„Ach, ich will Seto eins auswischen und dachte, ich hau einfach Mal ab und schau, wie er reagiert!“
 

„Was hat er zum Abschluss unseres Projekts gesagt?“
 

„Kannst du dir doch denken.“
 

„Na gut, er hat es nicht besser verdient! Wann geht es los?“
 

„Wie wär's mit nächster Woche?“
 

Rebecca sagte unnatürlich schnell zu, was ihn irgendwie erleichterte. Sie war sonst so kompliziert und hinterfragte viel zu viel, aber wenn es um Mokubas Problem mit seinem Bruder ging, hatte sie immer ein offenes Ohr. Sie hatten jahrelang zusammengearbeitet und dieses Spiel war auch für sie ein Meilenstein in ihrer Karriere als Entwicklerin. Vermutlich verletzte es ihren Stolz, dass Kaiba, der eigentliche Präsident der Kaiba Corporation, keine Anteilnahme zeigte. Immerhin wollte sie für ihre Arbeit Anerkennung und gehörte bereits jetzt zu den Besten. Dass ausgerechnet jemand wie Kaiba, der sonst seine Konkurrenz ausmerzte – und genau das war sie, da ihr Können und ihre unglaublichen Fähigkeiten einmalig waren – sie nicht einmal wahrnahm, obwohl es offensichtlich war, dass sie genauso wie Kaiba hochbegabt war und sehr viel erreichen würde, musste sie sehr mitnehmen.
 

Mokuba ging davon aus, dass sie sich seine Anerkennung wünschte. Nicht, weil sie mit Mokuba zusammen war, sondern weil sie Verständnis für etwas hatte, das viele Leute überforderte und er von ihr anerkannt werden wollte. Wenn der klügste Mann der Welt einen anerkannte, war das eine große Ehre und sie schien sich nur deswegen bei der KC beworben zu haben, um unter ihm zu arbeiten und ihr Können unter Beweis zu stellen. Ein Glück, dass Kaiba die Bewerbungen gar nicht richtig angesehen hatte und Mokuba zufällig ihre Bewerbung in die Hand bekam.
 

Er erinnerte sich an das Vorsprechen. Sie wirkte erstaunt, hatte damit gerechnet, dass sie den Präsidenten kennenlernen würde, wurde aber nur vom Vize empfangen. Klug wie sie war, sagte sie dies, aber es war ihr deutlich anzusehen, dass sie jemand anders am anderen Ende des Schreibtischs erwartet hatte. In nur wenigen Minuten überzeugte sie nicht nur mit Schlagfertigkeit und guten Argumenten, sonder bewies ihr außergewöhnliches Verständnis für Zahlen und Programme. Mokuba glaubte, dass sie ein eidetisches Gedächtnis hatte, da sie in kürzester Zeit die kleinsten Fehler in den Codierungen erkannte. Ähnlich wie sein Bruder, der so etwas in Sekundenschnelle absolvierte und dabei noch andere Tätigkeiten tun konnte.
 

Für den jüngeren Kaiba stand fest, dass es das Beste war, eine Ruhepause zu nehmen. Weg von seinem Bruder, der seine Fehler niemals einsah und nicht verstand, was es bedeutete eine Familie zu sein. Vielleicht würde dieser dann endlich wieder zur Vernunft kommen, wenn er merkte, dass sein gehorsamer braver Bruder plötzlich nicht mehr da war und nicht mehr nach seiner Pfeife tanzte. Sollte er doch sehen, wie er ohne ihn zurecht kam.
 

Völlig übereilt sprang Mokuba vom Bett und schwankte einige Schritte. Ihm war schwindlig, schlecht und er war sich sicher, dass seine Gehirnzellen gerade Tango tanzten. Jetzt musste er aber seinen Worten Taten folgen lassen und seinen Plan in die Tat umsetzen. Hieß also: schnell ein Hotel buchen, Sachen packen und alles erledigen, was erledigt werden musste. Immerhin war schon Dienstag. Und wenn er am Sonntag los wollte, hatte er noch so eines zu tun. Erstmal seiner Abteilung Bescheid sagen. Den Monatsabschluss durfte er keinesfalls vergessen. Auch wenn er seinem Bruder eins auswischen wollte, wollte er auf keinen Fall, dass ihre Firma darunter litt. Oder gar seine Angestellten.
 

Er torkelte wie benommen die Treppen herunter. »Wenn nur diese Kopfschmerzen nicht wären...«, murrte er in Gedanken und lief in den Speiseraum, wo immer noch sein Frühstück vom Morgen stand. Vermutlich hatten ihre Angestellten noch nicht abgeräumt, da sie davon ausgingen, dass der Jüngere der Kaibas doch noch irgendwann aufstehen würde und dann in alter Gewohnheit nach einer Tasse Kaffee suchen würde. Wenigstens in der Hinsicht waren sich die Brüder ähnlich. Ihre Vorliebe für heißen, schwarzen Kaffee – ohne Milch und Zucker natürlich – war wohl auch so ziemlich das einzige, indem sie die gleiche Ansicht hatten.
 

Als Mokuba sich an seinen Lieblingsplatz setzte, mit Blick auf den riesigen Fernseher an der Wand, stöhnte er gequält und rieb sich seine Schläfen. Gut, dass sein Bruder nicht da war. Kaiba kam nie pünktlich nach Hause. Ein wahrer Widerspruch, wenn man bedachte, wie wichtig diesem die Einhaltung von Terminen war und wie wenig Zeit er doch hatte. Für seine Arbeit hatte er immer Zeit.
 

Am Montag kam sein Bruder erst nach acht Uhr abends. Da war er schon etwas genervt, beschwerte sich aber nicht, da er dieses Verhalten durchaus kannte. Kaiba hatte eben viel zu tun. Da konnte man das Abendessen um Punkt sieben Uhr abends mit dem einzigen Verwandten schon mal sausen lassen. Aber es blieb nicht beim 'mal', sondern wurde eine sich wiederholende Routine, die beinahe normal war. In den letzten drei Jahren hatte Mokuba entweder allein zu Abend gegessen oder mit seinen Kollegen aus seiner Abteilung. Er betrachtete sie gar nicht mehr als Angestellte, immerhin hatte er weitaus mehr Zeit mit ihnen verbracht als mit seinem Bruder.
 

Mokuba reichte es aber endgültig. Ständig diese schlechte Laune zwischen ihnen. Das würde jetzt ein Ende nehmen. Ein Schluck von seinem Kaffee und er fühlte sich wie Popeye der Seemann, voll mit Energie, die ihm die Kraft gab, seine Gedanken abzuschalten, sein Smartphone zu ergreifen und alles zu klären.

Kapitel 11

Auf dem Rückweg von Kaibas Firmengelände konnte Yuugi nicht anders, als sich einen Moment lang umzudrehen und das riesige Gebäude wehmütig zu betrachten. Die gläserne Fassade glänzte im Sonnenlicht, wodurch das Hochhaus noch imposanter wirkte. Schon immer wusste Yuugi, dass Kaiba in Wirklichkeit ein zerbrechlicher Mann war, der versuchte seine Schwächen hinter einer Maske von Unantastbarkeit zu verbergen, doch dass dieser heute seine wahre Seele zeigte und ihn nicht aus seinem Leben ausgrenzte, machte Yuugi so froh, dass er gar nicht wusste, was er mit diese ganzen aufkeimenden Gefühlen tun sollte. Nicht nur, dass endlich Spherium realisiert werden konnte, stimmte ihn glücklich, nein, am meisten freute ihn, dass er Kaiba als Menschen näher gekommen war.
 

Das, was zwischen ihnen passiert war, lag in der Vergangenheit und er wollte niemals wieder daran denken, was für ein Mensch Kaiba gewesen war. Menschen, die Schlechtes taten, waren schlimme Dinge widerfahren. Kaiba war kein schlechter Mensch und Yuugi weigerte sich zu glauben, dass man Menschen in Kategorien sortieren konnte. Seinem besten Freund Jounouchi ging es ja ähnlich. Jounouchi war ein liebenswerter und fürsorglicher Junge, dessen Schrei nach Liebe und Aufmerksamkeit nie gestillt wurde. Diese Ablehnung von seiner Familie und von den Menschen in seiner Umgebung hatten ihn verändert und er baute eine Mauer aus Eis um sich herum, kapselte sich ab und ließ seinen Frust an anderen aus. Obwohl Jounouchi nie offen über seine Vergangenheit sprach, hatten die Begegnungen mit Hirutani und das, was Yuugi an Gesprächen mitbekommen hatte, ausgereicht, um sein Bild über den Blonden positiv zu beeinflussen.
 

Irgendwie konnte Yuugi es ja auch verstehen. Für einen heranwachsenden Jungen war die Anerkennung und die Liebe seines Vaters das Wichtigste auf der Welt. Yuugi wurde ganz komisch, da er sich unweigerlich an seinen eigenen Vater erinnerte, der mehr Interesse an seiner Arbeit als an seinem eigenen Sohn gezeigt hatte. Genau genommen betrachtete Yuugi seinen Vater als einen Menschen, der nicht greifbar für ihn war. Seine wahre männliche Bezugsperson war sein Jii-chan und niemand anders!
 

„Hohohoho!“, lachte der bärtige Mann mit seiner bunten Stachelfrisur. Es amüsierte ihn sehr, dass sein kleiner Enkel Spaß daran hatte, in seiner Wohnung herumzulaufen und glücklich lachte, wenn er etwas Interessantes fand. Viel an Reaktionen zeigte der Kleine nicht. Manchmal fragte er sich, ob Yuugi sich normal entwickelte, da er bei Gleichaltrigen entweder weglief und anfing zu weinen oder er stand beinahe regungslos neben den anderen Kindern und traute sich nicht etwas zu sagen. Da machte man sich schon Sorgen.
 

Seine Schwiegertochter Ayumu war nie um Wörter verlegen und sagte immer das, was sie meinte. Und sein Sohn war zwar sehr ernst und strebte nach einer großen Karriere, aber auch er gehörte nicht zu der stillen Sorte. Im Gegenteil, wenn ihn etwas störte, sprach er es offen aus, ohne Rücksicht auf die Gefühle seines Gegenübers. Nun vermutlich war das auch Sugorokous eigener Verdienst... Dass ausgerechnet ihr Sohn so schüchtern und zurückhaltend war, konnte er sich nicht erklären.
 

Seine Rückkehr aus Ägypten lag nun zwei Monate zurück. Es war immer noch völlig ungewohnt für ihn ein normales Leben zu führen. Eine normale Arbeit. Morgens aufstehen und zur selben Zeit ins Bett. Aber das war nun mal sein Wetteinsatz gewesen. Jetzt musste er sich seiner Familie widmen, die die letzten Jahre nur über Postkarten von ihm gehört hatte. Immerhin war er ein Meisterspieler. Ein Gambler, der sich weltweit einen Namen gemacht hatte und jedes Glücksspiel gewann. Jedes noch so schwierige Rätsel löste er problemlos und es gab kein Brettspiel auf der Welt, das er nicht kannte.
 

Dass ausgerechnet die Grabstätte eines lange verstorbenen Pharaos seine Glückssträhne beenden würde, konnte er noch immer nicht so recht glauben. Nicht, dass er ein wirklicher Glücksspieler war, aber Glück und Können machten einen guten Gamer aus. Er selbst nannte sich Gamer, der Rest der Welt gab ihn viele verschiedene Namen und er war eine Legende in seiner Szene. Es gab nur einen Mann, gegen den er verloren hatte. Aber er akzeptierte seine Niederlage. Ein wahrer Gamer konnte sowohl Sieg als auch Niederlage akzeptieren und aus beidem neue Erfahrungen gewinnen. Plötzlich hörte er das kleine Kind weinen. Bei seiner Erkundungstour hatte er eine hübschen Tischläufer von einem Schrank gesehen und diesen herunter gezogen, sodass ein goldenes kleines Kästchen auf ihn gefallen war. Panisch lief Sugorokou zu ihm und nahm ihn auf den Arm.
 

„Alles gut! Nicht weinen!“, sprach er dem Kind gut zu, doch es hörte nicht auf und schluchzte immer lauter. Jetzt war er etwas überfordert. Er wollte nicht, dass seine Stieftochter aus der Küche hierher kam und ihn zurechtwies, weil er seine Aufsichtspflicht verletzt hatte. Die Frau konnte schimpfen wie ein Weltmeister. Wäre dies ein Spiel gewesen, hätte sie ihn locker besiegen können. In seiner Panik öffnete er die goldene Kiste und er entnahm ein glänzendes kleines Teil aus dieser, das aussah wie ein Puzzlestück. Sofort beruhigte sich Yuugi und versuchte danach zu greifen.
 

„Dafür bist du noch zu jung!“, sagte er und wippte den Kleinen beruhigend auf seinem Arm hin und her. Obwohl er ihm das Teil nicht geben wollte, kämpfte Yuugi weiter und griff nach den großen Händen seines Großvaters, dessen Kraft unüberwindbar schien. Einmal mehr bildeten sich Tränen in seinen Augen, seine Unterlippe bebte und es sah so aus, als würde er jeden Moment wieder anfingen bittere Tränen zu vergießen, also blieb Sugorokou keine Wahl und er seufzte resigniert auf. Er öffnete seine Handfläche und überließ Yuugi das Puzzlestück. Hoffentlich nahm er das Teil nicht in den Mund und verschluckte sich daran, denn dann würde ihm Yuugis Mutter die Hölle heißmachen. Außerdem könnte er sich selbst nicht verzeihen, würde seinem Enkel etwas geschehen.
 

Unerwarteterweise drehte und wandte der Junge das Teil nur in seinen Händen, hielt es gegen das Licht der Lampe und gab glucksende Geräusche von sich. Seine Augen strahlten. Er schien unglaublich begeistert von diesem Teil. Ein sanftes Lächeln schlich sich auf das Gesicht des Mannes, doch es wurde überschattet von einer Frage, die ihn quälte. Bis heute fragte sich Sugorokou warum er dieses Kästchen mitgenommen hatte. War es Schicksal? Wollte diese geisterhafte Gestalt, die die Krone eines Pharaos trug und ihn damals das Leben rettete, dass er dieses Kästchen und die damit verbundenen Pflichten an einen Auserwählten übergab? War ausgerechnet Yuugi dieser Auserwählte?
 

»Selbst wenn, er muss das Puzzle erst mal lösen, bevor er zum Auserwählten wird. Bis dahin ist er sicher.«, beruhigte er sich selbst und drückte dem Kleinen einen dicken Kuss auf die Wange, welcher nur leicht angewidert das Gesicht wegdrückte, da ihn der Bart zu stören schien. Yuugi war gerade mal zwei Jahre alt, also hatte er noch genügend Zeit, um sich auf die kommenden Proben und Aufgaben als Auserwählter vorzubereiten. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen.
 

„Vater, du verhätschelst ihn viel zu sehr. Wenn du das tust wird er noch zum Weichei, der nichts im Leben erreicht.“
 

„Yuusuke? Du bist zu Hause? Wie schön, dich wiederzusehen.“, gab der Ältere von sich und tat so, als hätte er die Anschuldigungen gar nicht gehört.
 

„Wie macht Yuugi sich? Ist er immer noch so still? Für einen Zweijährigen weint er auch viel zu viel...“, erklärte er und lockerte seine Krawatte.
 

„Das ist doch völlig normal. Er ist halt ein etwas ruhigeres Kind. Das macht ihn nicht anders.“, erwiderte er und ließ zu, dass Yuugi von ihm runterging und sich einmal mehr dem goldenen Kästchen widmete. Yuugi nahm mehrere Teile in die Hand, legte sie nach wenigen Augenblicken jedoch zurück ins Kästchen und lief auf seinen Vater mit weit aufgerissenen Armen zu. Dass der Junge umarmt werden wollte, wäre für jeden offensichtlich gewesen. Yuusuke legte nur den Kopf schief, legte beinahe abwertend eine Hand auf Yuugis Kopf und begab sich wortlos in die Küche, wo er mit seiner Frau laut über etwas zu reden schien. Verwundert sah Yuugi ihm hinterher. Es war ihm deutlich anzusehen, dass er nicht verstand, wieso sein Vater ihn nicht auf den Arm genommen hatte. Doch er sagte dazu nichts und suchte erneut nach Ablenkung.
 

Yuusuke war streng und erwartete viel von seinem Kind. Sugorokou schluckte hart. Wäre er zuhause gewesen und hätte sich besser um seinen eigenen Sohn gekümmert, hätte dieser sich vielleicht ganz anders entwickelt. Offener und liebevoller. Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn war deutlich angespannt. Immerhin war er jahrelang unterwegs gewesen. Seine verstorbene Ehefrau hatte sich ganz allein um Yuusuke gekümmert. Er konnte es ihm nicht einmal vorwerfen, dass er kein Interesse an seinem Vater hatte und sich nicht für Spiele begeistern konnte, da Sugorokou selbst wusste, dass es seine eigene Schuld war. Hätte er sein eigenes Kind nicht hinten angestellt und sich mehr um seine Familie als um seine Karriere als weltbekannter Gambler gekümmert, wäre vieles sicherlich anders verlaufen.
 

Er warf einen Blick auf Yuugi, der nun begeistert mit einem Wachsmalstift auf einem weißen Blatt Papier kritzelte. Sugorokou stockte der Atem. Yuugi malte einen großen weiten Kreis und schien seinen Großvater zu mustern, nickte sich dann selbst zufrieden zu und nahm einen anderen Stift in die Hand, mit dem er so etwas Barthaare zu malen schien und einen Stern um den Kreis malte. »Dieses Mal mache ich es besser...«, schoss es ihm durch den Kopf, als er den Kleinen da malen sah. Es kostete ihm eine Menge Kraft, nicht auf den Kleinen zuzulaufen und ihn fest in den Arm zu nehmen. Dass Yuugi noch viel zu jung war, um sich an den heutigen Tag oder gar seinen Vater zu erinnern, wusste er, trotzdem brannte sich dieser Moment in seinem Herzen ein. Er würde alles tun, um dem Jungen ein guter Großvater zu sein.
 

Die Jahre vergingen und Yuusuke kam immer seltener nach Hause. Sugorokou übernahm die Pflichten eines Vaters und die Liebe, die er seinem Enkel schenkte, blieb nicht unerwidert. Das einzige, das ihm Sorgen bereitete, war, dass Yuugi trotz seiner sieben Jahre extrem schüchtern war und nicht allzu viel über sich erzählte. Auch wenn er es nicht oft zeigte, wusste Sugorokou, dass Yuugi in der Grundschule keinen Anschluss fand. Manchmal saß er einfach nur in seinem Zimmer und spielte vor sich hin, wortlos. Wenn man ihn fragte, was er in der Schule erlebt hatte, erzählte er nur das Nötigste. Wenn man ihn fragte, wie es ihm ging, sagte er nur, dass alles in Ordnung sei. Der alte Mann erkannte sofort, dass Yuugi etwas verschwieg. Sugorokou befürchtete, dass Yuugi in seiner Klasse ein Außenseiter war, der vielleicht sogar gemobbt wurde.
 

Es war an einem Freitag im April, als Yuusuke nach vielen Monaten nach Hause kam und Sugorokou ihn zur Rede stellte. Da ihre Beziehung zueinander seit Jahren vertrackt war und sie nicht sonderlich gut aufeinander zu sprechen, kam es, wie es kommen musste, die beiden Männer fingen zu streiten an. Wie so oft ging es darum, dass Yuusuke sich viel zu wenig mit seiner Familie auseinandersetzte und dass auch Yuugi darunter litt. Dieser interessierte sich nicht für die Vorwürfe des mittlerweile ergrauten Mannes.
 

„Du hast gut reden! Du bist der Letzte von dem ich Tipps zur Erziehung annehmen würde, Vater! Denkst du, dass du all die verpasste Zeit wieder gutmachen kannst? Du warst nicht da, als wir dich brauchten und es ist deine Schuld, dass Yuugi so ein Versager ist!“
 

„Er ist kein Versager! Yuusuke!“, kam es fast bedrohlich über seine Lippen und er kniff die Augen kurz zusammen, versuchte sich seine Wut nicht anmerken zu lassen und die Kontrolle zurückzuerlangen. Ein Gamer zeigte nicht sein Blatt. Da er bereits fünf Jahre nicht mehr aktiv spielte und keine Rekorde mehr aufstellte, war sein Ruhm nichts weiter als eine Erinnerung aus der Vergangenheit, doch die Erfahrungen, die er damals gesammelt hatte, waren nun äußerst nützlich.
 

„Er ist verdammt noch mal sieben! Nur weil er etwas stiller ist als die anderen Kinder, heißt das nicht, dass nichts aus ihm wird!“
 

„Ja, weil du ihn mit deinen bescheuerten Spielen verdirbst! Aus ihm soll etwas Anständiges werden! Vater, Spiele haben nichts im realen Leben zu suchen. Denkst du, dass man mit Spaß allein seinen Lebensunterhalt verdienen kann? Du bist doch das beste Beispiel!“, schrie er ihm entgegen und schlug so kräftig auf den Tisch, dass dieser wackelte. Sugorokou erhob sich. Der Kame Game Shop warf nicht sonderlich viel ab. Eigentlich machte der Laden mehr Kosten und er konnte es sich gar nicht leisten, diesen weiterzuführen. Die Lebensversicherung seiner verstorbenen Frau war der Hauptgrund, warum er den Laden noch nicht geschlossen hatte.
 

„Arbeit ist nicht alles im Leben, Yuusuke!“
 

„Halt deinen Mund! Was weißt du schon vom echten Leben? Ich hätte ihn niemals diesen Namen gegeben, aber weil Mutter dich so sehr liebte, wünschte sie sich, dass wir ihn so nennen! Yuugi?! Was ist das denn für ein dummer Name! Ich wollte ihn Takeru nennen!“
 

„Willst du sagen, dass der Name Schuld an seiner Entwicklung sei?!“
 

Jetzt war Sugorokou so wütend, dass er ein Pokerface nicht mehr aufrecht erhalten konnte.
 

„Was denn sonst? Ein Name ist ein Schicksal und mit so einem Namen kann ja nichts aus ihm werden, da musste ja so was bei raus kommen!“
 

„So was?!“, wiederholte der Ältere ungläubig und hörte sein Blut in den Ohren rauschen.
 

„Er ist dein Sohn! Wenn irgendetwas Schuld daran hat, dass er so schüchtern ist, dann ist es dein Verhalten ihm gegenüber! Weil du ihn vernachlässigt und er ohne dich aufwachsen muss! Natürlich fehlt ihm etwas!“
 

Mittlerweile brüllten die beiden Männer so laut, dass sicherlich schon die Nachbarschaft die Konversation mitverfolgen konnte. Ayumu befand sich im Nebenzimmer. Sugorokou tat es leid, dass sie das hier mitanhören musste.
 

„Wie kannst du es wagen mir Vorwürfe zu machen?“
 

Die Worte seines Sohnes trafen ihn mitten ins Herz. Der Gedanke, dass Yuusuke ihn verabscheute und ihm dies so direkt ins Gesicht sagte, schmerzte so sehr, dass er um Fassung rang. Das Schlimmste war, dass er Recht hatte. Sugorokou war nicht da, als Yuusuke ihn brauchte. Das neueste Turnier oder eine Ausgrabung eines alten Grabes war wichtiger als der Geburtstag seines eigenen Kindes und es war vollkommen egal, wie sehr er beteuerte, dass es ihm leidtat, denn Worte allein änderten nichts. Es waren Taten, die etwas veränderten und es gab keine Magie, die die Vergangenheit veränderte. Nichts konnte die Fehler der Vergangenheit ausbügeln und er musste zu dem stehen, was er angerichtet hatte.
 

Eigentlich wusste er es ja schon immer. Die Art wie Yuusuke ihn ansah. Wie verhalten er mit ihm sprach. Sugorokou war der letzte, der davon erfuhr, dass sein Sohn geheiratet hatte und seine Frau bereits schwanger war. Dass seine Frau verstorben war, gab ihm nur noch mehr Anlass, die Welt zu bereisen, da er Ablenkung brauchte. Ablenkung von seinen Fehlern, vor denen er weglief. Ja, er flüchtete vor seiner Verantwortung und nahm jede Herausforderung an. Er machte sich einen Namen und wurde zu einer Legende, doch der Preis, den er dafür zahlte, war zu hoch. Doch er war zu egoistisch, um dies zu erkennen. Die Aufregung vor einem neuen Spiel reizte ihn mehr. Ein uraltes Pharaonengrab zu erkunden und dabei zu sein, wenn eine Tür aufgebrochen wurde, interessierte ihn mehr, als die Frage, was sein Sohn zuhause gerade machte.
 

Er konnte nicht ändern, so gedacht zu haben, doch er bereute es. Er hätte da sein müssen.
 

„Was ist denn los? Fehlen dir die Worte, >Vater<?“
 

Die Verachtung in diesem Wort durchbohrte ihn wie ein Pfeil. Er keuchte nur, suchte nach den richtigen Worten, wohl wissend, dass es nichts gab, das er erwidern hätte können.
 

Als er seinen Kopf hob, sah er seinen kleinen Enkel, der vorsichtig aus dem Türspalt hinein linste. Seit wann stand er da? Wie viel hatte er gehört? War das überhaupt wichtig? Immerhin stritten die beiden in solcher Lautstärke, dass es vollkommen unwichtig war, wo sich Yuugi befand. Er hätte so oder so mitbekommen, was hier gesagt wurde.
 

„Ich weiß, dass ich kein guter Vater war... aber ich habe mich verändert! Und du solltest deinen Frust nicht an mir auslassen. Hier geht es um dein Kind, das dich jetzt braucht. Wenn du doch weißt, wie schlimm es ist, wenn der Vater nicht da ist, solltest du meinen Fehler nicht wiederholen.“, erklärte er dann und wollte gerade weiter sprechen, als sein Gegenüber einfach aufstand und das Zimmer verlassen wollte. Für einen Moment zögerte er, als er seinen Sohn vor der Tür sah, der einfach nur regungslos vor ihm stand, aber keinen Mucks von sich gab. Selbst jetzt blieb er ruhig.
 

„Yuugi, möchtest du nicht etwas sagen?“
 

Yuugi senkte nur den Kopf und zupfte aufgeregt an dem Oberteil seines Pyjamas herum, mit seinen Blicken schien er nach Hilfe zu suchen. Er wusste nicht, was er sagen sollte und war sichtlich überfordert mit der Situation. Es dauerte nicht lang, bis die ersten Tränen ihren Weg nach draußen fanden und er leise vor sich hin schluchzte.
 

„Dachte ich's mir doch.“, murmelte Yuusuke und lief an Yuugi vorbei. Absolut fassungslos stand Sugorokou inmitten des Raumes und starrte in den Flur, zuckte zusammen, als er die Haustür zuknallen hörte. Für einen winzigen Moment blendete er die Umgebung aus und er fragte sich, was er anders hätte machen sollen, doch das laute Geschluchze seines Enkels rief ihn zurück in die Realität. Jetzt war nun wirklich keine Zeit, um sich darüber Gedanken zu machen. Hastig lief er auf den Kleinen zu und legte seine Arme um ihn. Der Kleine krallte sich an ihn und wimmerte leise vor sich hin.
 

„Warum ist Vater gegangen?“, brachte er unter Tränen heraus. Seine Stimme war brüchig, der kleine Yuugi kämpfte mit seiner Fassung und es war deutlich zu hören, wie sehr er sich quälte.
 

„Keine Sorge, Yuugi -“, bevor es weitersprechen konnte, unterbrach der Kleine ihn.
 

„Es ist meine Schuld, stimmt's?“
 

Sugorokou zerbarst sein Herz und er drückte den kleinen bebenden Körper noch näher an sich, presste sein Gesicht in dessen Halsbeuge und legte eine Hand liebevoll auf dessen Kopf, streichelte sanft sein Haar und wartete darauf, dass Yuugi sich wieder beruhigte. Daraufhin drückte er den Kleinen wieder von sich und zwang sich zu dem schönsten Lächeln, das er aufbringen konnte.
 

„Nein, es ist alles in Ordnung. Nur dein dummer Jii-chan hat Blödsinn gemacht!“, dann spielte er ihm ein Lachen vor. Doch Yuugi glaubte ihm nicht. Er wusste, dass er der alte Mann log und er machte sich Vorwürfe, weil er nicht der Sohn sein konnte, den sein Vater von ihm verlangte zu sein.
 

Yuugi befürchtete, dass sein Vater nicht mehr wiederkommen würde. Und tatsächlich kam Yuusuke noch seltener nach Hause, vermied den Kontakt mit seinem Vater und seinem Sohn. Der Sohn, der seinem eigenen Vater so sehr aus dem Gesicht geschnitten war. Wieso nur musste er ausgerechnet ihm so ähnlich sein? Die Wut, die er seinem Vater gegenüber empfand, war so tief verwurzelt, dass er unbewusst begann, eine gewisse Ablehnung seinem eigenen Kind gegenüber zu empfinden. Über die Jahre hinweg, sahen sie sich nur noch selten. Und wenn sie sich sahen, taten sie so, als wäre alles in Ordnung.
 

Bis heute fragte sich Yuugi insgeheim, ob es nicht doch seine Schuld war. Auch wenn sein Großvater ihm etwas anderes erzählte, so war Yuugi mittlerweile kein Kind mehr. Er war bereits 24 und sein Verhältnis zu seinem Vater nicht gerade gut. Da war kein Hass zwischen ihnen und Yuugi beschwerte sich auch nie, immerhin hatte er seine Mutter und seinen geliebten Großvater an seiner Seite. Dass sein Vater ihn verlassen hatte, schmerzte ihn, aber er war dennoch glücklich. Dieser Tag verstärkte jedoch Yuugis Angst vor Verlusten und beeinflusste auch Jahrzehnte später seine Persönlichkeit.
 

Als er ihm von seinem Plan erzählte, eigene Spiele zu schaffen und ihm stolz von Spherium berichtete, hatte er nichts weiter übrig für ihn als ein müdes Lächeln. Yuugi erkannte sofort, dass er dies nicht ernst meinte und als er ihn fragte, warum er sich nicht für ihn freuen konnte, stieß er einen langen Seufzer aus und stellte ihm eine Gegenfrage: Wie kam Yuugi auf die absurde Idee, dass er von seinen Spielen leben konnte?
 

Die harsche Kritik seines Vaters war niederschmetternd. Yuugi hatte zwar nichts gesagt und sich sehr darum bemüht, sich nichts anmerken zu lassen, doch der Schock über diese klare Ablehnung saß tief. Als sein Vater wie gewohnt das Haus ohne Abschied verließ, blickte Yuugi seinem Auto noch einige Minuten hinterher. Tränen liefen ihm übers Gesicht. Tränen, die er schnell abschüttelte.
 

Auch wenn es wehtat, so wollte er nicht hier herumsitzen und weinen, immerhin wusste er von Anfang an, dass dieses Gespräch so ausgehen würde und außerdem wollte er nicht aufgeben. Atem hätte auch nicht aufgegeben und gekämpft. Vor seinem geistigen Auge sah er seinen Freund, der wie ein Bruder für ihn war, der im Licht verschwand und ein letztes Mal die Hand hob, mit dem Daumen nach oben. Dieses Bild hatte sich in seinen Verstand gebrannt. Immer wenn er Aufmunterung brauchte, dachte er an diese Geste und das, was Atem ihnen vermutlich mitteilen wollte.
 

Auch wenn es mal bergab ging, irgendwann ging es wieder hoch. Er würde seinem Vater beweisen, dass Spiele mehr waren als nur Spaß. Dass man davon leben konnte. Leben verändern und bereichern. Mit der Kooperation zwischen Kaiba und ihm würde er nicht nur seinem Dozenten, der sich über ihn lustig gemacht hatte, sondern sämtlichen Kritikern, seinen Vater eingeschlossen, beweisen, dass Spherium ein gutes Spiel war. Yuugi wollte nicht mehr zweifeln.

Kapitel 12

Als er die Straßen Dominos entlang schlenderte, fiel seine Aufmerksamkeit auf ein Reklameschild. Er blieb stehen und betrachtete es. Die bunten Lichter und die knalligen Farben, die für die neusten Duel Monsters Karten warben, waren kaum zu übersehen. Yuugi musste Kaiba eines anerkennen: dieser Mann wusste ganz genau, wie man Werbung machte und Leute davon überzeugte, ein Produkt zu kaufen. Er leckte sich über die Lippen und griff nach seinem Geldbeutel. Ein paar Yen hatte er noch übrig. Fieberhaft dachte er darüber nach, ob er sich zumindest einen Booster kaufen sollte oder doch lieber sein Geld sparen. Kaiba war, wenn es um Duel Monsters ging, ein großzügiger Mann.
 

Vor wenigen Wochen hatte er ihm mehrere hundert Karten geschenkt, wobei dieser der Ansicht war, dass es sich nicht um ein Geschenk im eigentlichen Sinne handelte, sondern darum, um ihre Chancen auszugleichen, damit ihre Duelle auch zukünftig fair blieben. Seit Industrial Illusions und die Kaiba Coporation fusioniert hatten, hatte es Kaiba viel leichter an gute Karten zu kommen, weshalb er dieses Geschenk einfach damit begründete, dass Yuugi nicht glauben sollte, dass er ihn mit unfairen Mitteln geschlagen hätte. Dieses eine Duell stand immer noch aus. Kaiba schien sich wirklich auf dieses Duell zu freuen, trotzdem hatte er weder Duel Monsters in ihrem Gespräch erwähnt noch eine weitere Herausforderung angedeutet.
 

Auch wenn Yuugi das Spiel liebte und sehr viele positive Erinnerungen damit verband, so wollte er sich erst mal auf sein eigenes Projekt konzentrieren und sich nicht immer wieder ablenken lassen. Sein Smartphone vibrierte in seiner Hosentasche. Rasch zog er es hinaus, wischte mehrmals über den Bildschirm, nur um zu sehen, dass er eine neue Nachricht erhalten hatte.
 

„Hey, Yuugi! Alles klar bei dir? Ist dein Kater auch so schlimm?!“, las er und schmunzelte gedanklich. Mokuba musste nach der Nacht ziemlich fertig sein, stellte er fest und flitzte mit seinen Fingern über den Bildschirm, antwortete dem jungen Mann. Ob Mokuba von seinem Gespräch mit Kaiba wusste? Sollte er ihm verraten, was sie besprochen hatten? Yuugi wollte nicht zwischen den Fronten stehen und ehe er sich versah, setzte er seinen Weg fort, das leuchtende Reklamebild und seinen Kaufwunsch völlig vergessend.
 

„Im Gegensatz zu dir habe ich es nicht übertrieben!“, waren seine Worte und Yuugi grinste amüsiert.
 

„Ja, weil du voll der Langweiler bist! Gehst vermutlich auch brav um neun ins Bett, was?!“
 

Mokuba schickte einen lachenden Smiley, schrieb sofort eine weitere Nachricht, dass er das natürlich nicht ernst meinte, um Yuugi nicht unnötig zu verärgern.
 

„Ich wollte dir von meinem Plan berichten! Bist du zuhause? Bin gleich bei dir!“
 

„Ich bin noch unterwegs!“
 

„Ach, macht nichts, dein Opa hat bestimmt noch Plätzchen übrig~“
 

Wieder ein Smiley, dieses Mal mit Herzaugen. Im Gegensatz zu Kaiba kam der Schwarzhaarige sehr gut mit Yuugis Großvater zurecht. Sie redeten gerne über die neuesten Spieltrends und wenn der Alte Anekdoten aus seiner Zeit als aktiver Gamer zum Besten gab, hörte der junge Vize gespannt zu.
 

Beim Kame Game Shop angekommen, öffnete Mokuba mit einem breiten Grinsen die Tür. Der Mann mit dem Tuch über dem Kopf lehnte gelangweilt über seinen Tresen und schien im Halbschlaf darauf zu warten, dass Kunden in den Laden kamen. Seine Augen verrieten, dass er müde war. Viel zu selten wurde diese Tür geöffnet. Der einzige, der regelmäßig vorbei kam, war Yuugis bester Freund, der meist noch ein paar Brötchen oder übriggebliebene Süßigkeiten aus dem Café in dem er arbeitete mitbrachte und sich unheimlich freute, wenn er seinen Mentor sah und diesen von seinem ereignisreichen Tag erzählte. Dann strahlte er über das ganze Gesicht und es kam wortwörtlich Leben in die Bude. Besonders dann, wenn Jounouchi und Yuugi im Obergeschoss laut Videospiele spielten und Jounouchi sich lauthals darüber ärgerte beim 200CC Cup keine einzige Kurve gepackt bekam und seinen Frust mit jedem Fehler immer lauter rausließ. Yuugi dagegen hatte keine Probleme und gewann meist.
 

Kunden? Fehlanzeige. Tote Hose. Er traute seinen Augen nicht, als er die Silhouette eines bekannten Mannes zwischen Tür und Angel sah. Das Licht der Sonne strahlte direkt auf die Vorderseite des Hauses, so dass dieser wie ein Heiliger strahlte, was der alte Mann in diesem Moment auch so empfand. „Mokuba! Wie geht’s dir?!“, wollte er wissen und setzte sich gerade hin. Die Langeweile von vorher war spurlos verschwunden.
 

„Schon besser!“, lachte der Schwarzhaarige kam näher, während die Tür hinter ihm automatisch zurück ins Schloss fiel.
 

„Hab gehört, dass du abgeholt werden musstest, weil du es übertrieben hast.“, tadelte der ältere Mann und Mokuba lachte entschuldigend.
 

„Ja, stimmt. Bin auch noch nicht ganz fit, aber die Kopfschmerzen werden langsam besser und ich wollte dringend mit Yuugi reden.“
 

Sugorokou staunte darüber, dass Mokuba nicht zu wissen schien, wo Yuugi war. Besser wäre es, ihm nichts zu sagen, kam es ihm in den Sinn und vertraute darauf, dass diese Entscheidung richtig war.
 

„Der ist noch nicht da. Der hatte etwas zu erledigen.“
 

„Macht nichts, ich kann warten. Solange schicke ich Isono wieder weg.“
 

Einige Minuten später befanden sich die beiden im Wohnzimmer und redeten ausgelassen über die neuesten Brettspiele. Nach einigen Themenwechseln kam Mokuba auf etwas zu sprechen, dass dem Alten die Sprache verschlug.
 

„Ich merke, dass es mit deinem Laden nicht so gut läuft und ich dachte, dass es vielleicht eine gute Idee wäre, wenn ich mein Spiel von dir verkaufen lasse! Du weißt ja, dass ich seit Jahren an meinem Spiel arbeite und nächsten Monat kommt es dann auch raus. Den Release Termin haben wir bereits herausgegeben und na ja...“
 

„Mokuba, das geht doch nicht! Du weißt, dass ich kaum Kunden habe. Du solltest dir einen Laden suchen, wo viel mehr Leute auf dein Spiel stoßen. Mein Sortiment besteht hauptsächlich aus analogen Spielen. Keiner würde hier ein Videospiel erwarten.“
 

„Na und? Ich hatte auch viel mehr an ein Special Offer gedacht! Die Leute, die das Spiel hier vorbestellen, bekommen gratis eine limitierte Spielfigur dazu, die es dann nur hier gäbe. Die Fans von Capsule Monsters würden sich die Finger danach lecken.“
 

Yuugis Großvater verschränkte die Arme und schloss die Augen. Ein solches Angebot war zu gut, um wahr zu sein. Ob Mokuba wieder irgendetwas plante? Natürlich verstanden die beiden sich gut, aber hier ging es ums Geschäftliche. Dass Mokuba ihm helfen wollte, war wirklich lieb gemeint und auch unter Freunden sicher nicht unüblich, aber Sugorokou mochte es nicht, wenn man ihn bemitleidete oder sich in seine Angelegenheiten einmischte. In der Hinsicht war er sehr konservativ und vertraute darauf, dass er aus eigener Kraft das Ruder herumreißen konnte. Dass ausgerechnet ein Jungspund ihm unter die Arme greifen wollte, verletzte ein wenig seinen Stolz, aber andererseits musste er darüber nachdenken, dass er Schulden zu begleichen hatte, da er seit Jahren nicht allzu viel Gewinn mit seinem Laden machte.
 

Seit das Geschäft Black Clown auf der anderen Straßenseite völlig abgebrannt war, war seine Straße alles andere als ein guter Standpunkt, um ein Geschäft zu führen. Seit Jahren gingen seine Verkäufe runter und selbst Yuusuke schimpfte, dass er den Laden verkaufen und endlich zur Gesinnung kommen sollte. Kame Games war sein Leben. Das war die einzige Verbindung, die Sugorokou noch zu seinem alten Leben hatte und dieses Geschäft fallen zu lassen, würde für ihn bedeuten, sein altes Leben gänzlich zu verlieren. Für Atem und seine Aufgabe als Botschafter zwischen dem Millenniumspuzzle und Yuugi hatte er seine Karriere aufgegeben.
 

Diese eine Niederlage hatte sein Leben verändert. Und es war nicht so, dass er diese Wahl aus freien Stücken gemacht hätte. Es war sein Wetteinsatz. Einerseits liebte er Yuugi und er würde nie auf die Idee kommen, sich über sein jetziges Leben zu beschweren, andererseits vermisste er aber auch die Aufregung sich in einem spannenden altmodischen Brett- oder Würfelspiel zu messen und dabei nicht nur Geld und Wertgegenstände, sondern auch sein Leben aufs Spiel zu setzen. Die Freude mit seinen Freunden und Kollegen über Spiele zu sprechen und antike Spiele zu erkunden. Die Gespräche mit seinem besten Freund Hopkins, zu dem er seit Jahren nur noch über Briefe Kontakt hatte.
 

„Ich weiß nicht...“, murmelte er und zwirbelte nachdenklich seinen Bart. Noch mehr Veränderungen wollte er nicht. Veränderung machte ihm Angst. Er wollte nicht noch mehr verlieren und ein Wagnis eingehen, ohne vorher genau einschätzen zu können, was für ein Risiko er einging.
 

„Entschuldige, Mutou-san. Das war vielleicht etwas zu viel verlangt...“, nuschelte Mokuba und senkte den Kopf leicht wie bei einer Verneigung. Sein kurzes schwarzes Haar verdeckte seine Augen, sodass er nicht in die Augen seines Gegenübers sehen konnte.
 

„Mokuba. Ich bin nicht mehr der Jüngste und ich weiß nicht, ob das nicht zu überstürzt ist. Das klingt alles schön und gut, aber in meinem Alter sollte ich wirklich keine Risiken mehr eingehen.“
 

„Es wäre auch ein Risiko für mich. Eines, das ich bereit bin einzugehen, wenn ich damit dir und Yuugi helfen kann.“
 

Mokuba duzte den alten Mann schon seit geraumer Zeit. Immerhin kam er häufiger zu Besuch und sie waren mittlerweile so sehr miteinander vertraut, dass sie offen miteinander umgingen und die Notwendigkeit, einander mit unnötigen Floskeln Respekt zu zollen, verflogen war. Der ehemalige Gambler wollte dieses Angebot annehmen. Dann seufzte er und rieb sich das Nasenbein.
 

„Na gut!“, war seine knappe Antwort und Mokuba sah sofort wieder auf und starrte ihn perplex an. Er warf ihm einen forschenden Blick zu und versuchte auszumachen, ob dieser das nun ernst meinte oder nicht. Dieser Sinneswandel kam etwas zu plötzlich. Das alles hatte er sich viel komplizierter vorgestellt.
 

„Als ich jung war, war ich als Gambler bekannt. Ich habe fast jedes Glücksspiel gewonnen. Nur ein Spiel habe ich verloren und bin seitdem nie wieder ein Risiko eingegangen. Ein letztes Mal setze ich alles auf eine Karte und gebe nicht nur dir, sondern auch Capsule Coliseum eine Chance. Aber mach mich nicht verantwortlich, wenn das Ganze in die Hose geht!“
 

„Keine Sorge! Ich habe bereits Werbeplakate fertigstellen lassen und würde diese dann in diesem Laden und in der Innenstadt aushängen. Außerdem mache ich auf dem Twitter und Facebook Account der KC eine Ankündigung und das wird einschlagen wie eine Bombe!“
 

„Mit Technik kenne ich mich nicht aus...“, murrte der Mann und warf dem jungen Vize einen vorwurfsvollen Blick zu. Immer dieses Internet. Diese zwitschernden Vögel und Gesichtsbücher. Davon hatte er echt keine Ahnung. Yuugi hing auch recht viel vor seinem Handy – ach, er meinte ja, es sei ein Smartphone und somit etwas völlig anderes – und betatschte dieses Ding, meinte daraufhin nur, er würde mit seinen Freunden reden. Für Sugorokou war das alles zu viel. Damals schrieb man sich Briefe auf echtem Papier, telefonierte miteinander und traf sich von Angesicht zu Angesicht.
 

Wenn Mokuba die Werbung übers Internet machte, konnte Sugorokou dies nur schlecht einsehen und mitverfolgen, was dort geschah.
 

„Keine Sorge. Yuugi wird dir sicher helfen und ich schwöre, dass ich nichts mache, das nicht in deinem Sinne ist!“ Mokuba schlug mit seiner Faust auf seine Brust, er legte buchstäblich die Hand aufs Herz, was den Alten nicht nur beruhigte, sondern auch ein kleines Lächeln entlockte. Gerade, als er etwas sagen wollte, hörte er, wie die Tür geöffnet wurde und Yuugi hereinkam.
 

„Hey!“, kam es Mokuba, den Kopf leicht schief legte und dann breit grinste.
 

„Hast dich aber schick gemacht! Hattest du ein Date? ♥“
 

Mokubas schmutziges Grinsen ließ Yuugi erröten.
 

„N-nein! Wie kommst du denn darauf?!“
 

„Hey! Kein Grund direkt so abwehrend zu werden. Hab wohl Recht gehabt.“, witzelte Mokuba weiter und griff beherzt zu den Keksen auf dem Tisch und knusperte zufrieden vor sich hin.
 

»Kaiba-kun und ich... ein Date? Allein der Gedanke ist doch absurd!«, schoss es Yuugi durch den Kopf. Als er genauer über diese Möglichkeit mit Kaiba auszugehen nachdachte, wurde er so knallrot im Gesicht, dass er einer Tomate glich. Seine Reaktion bestätigte Mokubas Aussage und es würde keinen Sinn ergeben, jetzt noch weiter zu diskutieren. Yuugi hatte noch nie eine Freundin oder sich gar über Beziehungen den Kopf zerbrochen. Immerhin hatte er ganz andere Dinge im Kopf. Genau! Spherium zum Beispiel! Und Kaiba! Verdammt, das klang jetzt falsch...
 

„D-du wolltest mit mir reden...“, versuchte Yuugi sich herauszureden und irgendwie das Thema zu wechseln, räusperte sich gut hörbar.
 

Mokuba erklärte von seinem Vorhaben in den Urlaub zu fahren und seinem Bruder nichts davon zu sagen. Yuugi riss schockiert die Augen auf, öffnete seinen Mund einen Spalt breit und wollte nicht so recht glauben, was sein kleiner Freund – der rund 20 Zentimeter größer war als er selbst – von sich gab. Das konnte doch nicht sein Ernst sein. Er wollte Kaiba nicht hintergehen, weshalb er ihm nichts von ihrem Gespräch erzählte, doch jetzt fragte er sich, ob es nicht doch besser wäre, hier einzulenken.
 

„Bist du dir sicher?! Du kannst doch nicht in einer Nacht und Nebelaktion abhauen und ihn hier zurücklassen! Kaiba-kun hat Fehler gemacht, ja, aber es wird doch nicht besser, wenn du einfach gehst und ihm nichts sagst. Er wird krank vor Sorge sein.“, versuchte Yuugi ihn von seinem Plan abzubringen.
 

„Man, du machst dir immer viel mehr Gedanken um ihn als um mich! Wenn du ihn doch so liebst, dann geh DU doch zu ihm und ertrage DU seine Launen! Ich habe genug von seinem Egoismus und seiner Selbstverliebtheit! Ich ertrage ihn nicht mehr!“
 

Yuugi wusste nicht, was er darauf sagen sollte. Seine Hände zitterten vor Aufregung. Es schockierte ihn, was Mokuba ihm an den Kopf warf und wie ablehnend seine Haltung seinem eigenen Bruder gegenüber war. So langsam konnte Yuugi selbst nicht mehr glauben, dass Nettigkeit und Geduld die beiden Brüder wieder näher brachte und er biss sich auf die Unterlippe, dachte fieberhaft über seine nächsten Worte nach, um irgendwie die Situation nicht noch weiter eskalieren zu lassen.
 

„Ist auch völlig egal, was du sagst, Yuugi. Ich habe den Flug bereits gebucht und es ist beschlossene Sache, dass ich das jetzt durchziehe. Denn wenn ich es nicht tue, wird sich niemals etwas ändern.“
 

„Du hast Recht...“, flüsterte Yuugi. Dass er ihm Recht geben musste, schmerzte ihn und es war unerträglich einem Freund so sehr in den Rücken zu fallen. Gerade jetzt, wo Kaiba doch endlich seine Nähe zuließ und er seine menschliche Seite kennenlernen durfte. Wenn Mokuba einfach ging, würde ihn das aus der Bahn werfen und Yuugi fiel es schwer, genau abzuschätzen, wie dieser reagieren würde und ob das nicht sogar ihre zukünftige Zusammenarbeit belasten würde. Würde Kaiba daran zerbrechen oder einfach so tun, als ob nichts wäre? Kaiba war nie jemand, der seine Schwächen zeigte.
 

„Ich weiß, dass du Recht hast!“, wiederholte Yuugi lauter. „Trotzdem..!“
 

Yuugis Stimme brach ab. Das alles überforderte ihn. Hatte er überhaupt das Recht sich einzumischen?
 

„Yuugi... Ich weiß deine Fürsorge zu schätzen. Aber genau das ist auch dein größtes Problem. Du musst mehr an dich selbst denken und nicht immer nur an andere. Ich werde niemals verstehen, wieso du mir und Seto verziehen hast, aber genau das macht dich ja so besonders. Genau deshalb sind wir ja Freunde und sowohl du als auch Seto sind mir wichtig.“
 

Yuugi sah ihm direkt in die Augen. Mokuba sagte dies mit einem Lächeln, doch es war ihm anzusehen, wie viel Kraft es ihn kostete, dies zu sagen. Er zog seine Augenbrauen runter, dann schüttelte er den Kopf, so, als wollte er quälende Gedanken abschütteln.
 

„Ich werde gehen, aber nicht für immer. Ich bitte dich darum, Seto nichts zu sagen. Ansonsten wird er niemals lernen, das zu schätzen, was er an mir und auch an dir hat. Freundschaft geht über Logik hinaus. Dass wir Freunde sind und so miteinander reden können, habe ich nie als selbstverständlich gesehen.“
 

Yuugi antwortete darauf nichts, stattdessen dachte er darüber nach, wie er Jounouchi kennengelernt hatte. Es war wirklich komisch, dass er sich ausgerechnet mit dem Jungen angefreundet hatte, der sich ständig über ihn lustig machte, ihm Sachen wegnahm und mobbte. Er hatte Jounouchi nie für seine Taten zur Rechenschaft gezogen. Yuugi verstand, dass Jounouchi es nie einfach hatte und wie sehr er unter seiner eigenen Familiensituation litt. Auch Kaiba hatte sicher seine Gründe so zu sein, wie er war und auch wenn dieser es nicht immer zeigte, wollte Yuugi daran glauben, dass Kaiba nicht nur den Duellanten Mutou Yuugi sondern auch den Menschen dahinter respektierte.
 

„Seto muss verstehen, dass unsere Unterstützung nicht selbstverständlich ist. Yuugi, auch wenn mein Bruder dich zu einem Duell herausforderst, darfst du nicht direkt zusagen, ansonsten glaubt er, dass wir immer nach seiner Pfeife tanzen werden und sich alles um ihn dreht.“
 

Stimmt. Kaiba war sicher sauer, weil Yuugi seine letzte Herausforderung nicht angenommen hatte und es musste seinen Stolz kränken, dass er nach all den Jahren eine Absage bekommen hatte.
 

„Ich weiß, dass das schwierig für dich ist. Und ich verlange viel von dir. Du stehst genau zwischen den Fronten, aber genau deshalb bist du perfekt als Vermittler.“
 

Fragend sah er ihn. Was meinte er damit?
 

„Hör zu. Ich bin kein Unmensch und haue jetzt einfach ab, ohne mich je wieder zu melden. Sicher wird sich Seto nochmal bei dir melden und nach mir fragen und ich möchte, dass du versuchst, ihm klar zu machen, dass sich die Welt nicht um ihn dreht.“
 

„Moment! Dafür bin ich nicht geeignet! Du weißt doch selbst, dass ich in einer direkten Konfrontation mit ihm im Nachteil bin. Wahrscheinlich würde er dann nur sauer auf mich sein.“
 

„Ich weiß. Trotzdem bist du jetzt meine letzte, große Hoffnung. Lass ihn ruhig merken, dass deine Hilfe nicht selbstverständlich ist und dass er auch etwas dafür tun muss, wenn er etwas von uns will.“
 

Yuugi sah ihn ungläubig an. Fassungslos. Komplett überfordert.
 

„Wir bleiben in Kontakt. Und wehe du verpetzt mich bei meinem Bruder!“, mahnte Mokuba ein letztes Mal und erhob sich von seinem Stuhl und verließ das Haus der Mutous, ließ einen immer noch schockierten Yuugi zurück, der sich nach wie vor fragte, wo das alles hinführen sollte. Wieso nur konnten die beiden sich nicht einfach vertragen und warum musste ausgerechnet er so gesehen als Spion zwischen den beiden stehen? Das hatte er sich ganz anders vorgestellt. War er überhaupt in der Lage Kaiba dazu zu bringen, sich zu ändern? So zu ändern, dass Mokuba und er sich wieder vertrugen? Das war ein größere Herausforderung als die Realisierung von Spherium.
 

»Wo bin ich da nur hineingeraten...?«

Kapitel 13

Eine ereignislose Woche verging. Yuugi hatte weder Kaiba noch Mokuba nochmal kontaktiert. Am Abend zuvor bekam er eine Nachricht von Mokuba, wo er ihm ganz schlicht nur berichtete, dass er nun am Flughafen sei und dass er Yuugi viel Glück und Erfolg wünschte. Ganz schön frech, wie Yuugi fand. Dabei wusste der Schwarzhaarige genau, dass es mehr als Glück und Erfolg brauchte, um jemanden wie Kaiba von seinen Fehlern zu überzeugen. Was er brauchte, war ein Wunder.
 

Heute war Montag. Yuugi fragte sich, ob Kaiba davon Wind bekommen hatte, dass sein kleiner Bruder einfach das Anwesen und ihn hinter sich gelassen hatte und nun vermutlich irgendwo in Amerika genüsslich Wein trank und sich eine schöne Zeit mit seiner Freundin machte? Kaiba hatte ihm gesagt, er würde sich noch einmal melden und dass Yuugi dann zum Firmengelände kommen würde. Grummelnd warf er einen Blick auf die Uhr. Da er davon ausging, dass Kaiba ihn früh morgens anrufen und in sein Büro zitieren würde, war er extra früher aufgestanden. Und jetzt saß er hier auf seinem Bett und wartete darauf, dass das Telefon endlich klingelte.
 

Da Kaiba seine Unordnung angesprochen hatte, hatte er sogar aufgeräumt. Immerhin schämte er sich, dass ausgerechnet Kaiba, zu dem er hoch sah und ihn unglaublich respektierte, dieses Chaos gesehen hatte. Seine Mutter hatte längst aufgegeben, ihn zur Ordnung zu ermahnen und ihn auszuschimpfen, wenn sein Zimmer mal wieder in Wäschehaufen und Müll ertrank, da sie der Meinung war, dass ein erwachsener Mann durchaus in der Lage sein sollte, von selbst auf die Idee zu kommen, aufzuräumen und zwischendurch mal den Staubsauger in die Hand zu nehmen. Da hatte sie natürlich Recht. Trotzdem war Yuugi zu sehr beschäftigt gewesen, um auf seine Umgebung zu achten. Weder sein Großvater noch Katsuya sagten etwas zu seinem zugemüllten Zimmer. Katsuya meinte lediglich, dass man sofort spürte, dass hier jemand lebte, wodurch er sich direkt wohler fühlte.
 

Er wackelte mit einem Bein und faltete dann die Hände. Noch immer keine Reaktion. Kein Anruf. Da Kaiba ja ein vielbeschäftigter Mann war, wollte Yuugi glauben, dass dieser vielleicht gerade in einem Meeting saß oder irgendwelche anderen Arbeiten erledigen musste. Wohl kaum würde ein gewissenhafter Mann wie Kaiba vergessen, dass er ihn anrufen wollte... oder doch? Übereilt sprang er von seinem Bett auf und lief nervös in seinem Zimmer hin und her. Was wenn Kaiba ihn doch vergessen hatte? Nein, das würde er nicht. Viel zu lang zermarterte er seinen Kopf mit diesen Gedanken und lenkte sich selbst ab, sodass er gar nicht mehr mitbekam, dass das Telefon klingelte.
 

Da Yuugi so panisch war und alles um sich herum vergaß, musste sein Großvater extra die Treppen hochkommen, um ihm den Hörer in die Hand zu drücken.
 

„Ich habe dich mehrmals gerufen, aber du hast mich einfach nicht gehört!“, erklärte der Ältere und verschwand wieder.
 

„Yuugi.“ Kaibas tiefe und wohlklingende Stimme ließ ihn hart schlucken. Mist, der erste Tag und ihr erstes gemeinsames richtiges Meeting und er hatte bereits versagt.
 

„Ich werde nur ungern warten gelassen. Ich habe dir Isono geschickt. Er sollte gleich da sein. Mach dich fertig und bring deine Entwürfe noch mal mit.“
 

„Es tut mir Leid...“, hauchte Yuugi in den Hörer.
 

„Entschuldige dich nicht ständig. So nimmt dich niemand ernst.“
 

„V-verstanden, Kaiba-kun!“
 

Kaiba raunte genervt ins Telefon und legte einfach auf. Schon wieder Mist gebaut. Jetzt war Kaiba schlecht gelaunt und der Tag hatte noch nicht einmal angefangen. Ob das gut gehen konnte? Er hörte das Brummen des Motors. Isono wartete bereits auf ihn. Auf einmal fühlte sich Yuugi wieder unwohl und er wäre am liebsten wieder unter die Bettdecke gekrochen. Aber Schwanzeinziehen galt nicht!
 

In der großen Limousine fühlte sich Yuugi irgendwie fehl am Platz. Die Sitze waren aus rotem Satin und der Sitzbereich so geräumig, dass man locker einen Billardtisch in der Mitte hätte aufstellen können und immer noch genügend Platz gehabt hätte, um diesen herum zu laufen. Es verwunderte ihn, dass Kaiba ihn so eine Limousine schickte. Extravagant und auffallend. Nicht, dass er von dem Präsidenten der meist gefragtesten Firma der Welt etwas anderes erwartet hätte. Wenn Kaiba etwas tat, dann immer im großen Stil. Wäre ja nicht auszudenken, wenn irgendjemand ihn überbot und auch nur ansatzweise an ihn herankam.
 

Isono sprach während der ganzen Fahrt kein Wort mit ihm. Der arme Kerl sah so aus, als würde er jeden Moment vor dem Steuer einschlafen. Die Augenringe verrieten viel darüber, wie sehr er sich anstrengte und wie schwierig es sein musste als Chauffeur für die Kaiba Brüder zu arbeiten. Da war keine Zeit für Pausen oder Privatleben. Gerne hätte Yuugi seinem Fahrer ein paar Fragen gestellt und mehr über diesen erfahren. Er kannte nur seinen Nachnamen und wusste, dass er während des Battle City Turniers als Schiedsrichter dabei gewesen war.
 

Dieser Mann war ein loyaler Angestellter von Kaiba und schien mit ganzem Herzen bei der Sache zu sein. Yuugi staunte nicht schlecht, als Isono endlich den Mund öffnete. Fast hätte er geglaubt, dass dieser Mann seine Stimme verloren hätte.
 

„Wir sind da. Mutou-san, lassen Sie Kaiba-sama nicht zu lange warten, ansonsten wird er ungehalten.“
 

„Vielen Dank fürs Fahren.“, kam es Yuugi aus Gewohnheit über die Lippen. Isono hob fragend eine Augenbraue.
 

„Kein Problem. Und viel Glück!“ Isono schien es nicht gewohnt zu sein, für seine Arbeit gelobt zu werden und gar ein Dankeschön für seinen Einsatz zu hören. Kaiba lobte seine Angestellten nicht. Für ihn war es selbstverständlich, dass diese ihre Aufgaben ohne Widerworte erledigten. Schließlich waren sie dafür ja eingestellt worden und es wäre ja äußerst dumm so etwas wie Anerkennung zu erwarten. Dennoch freute er sich über die netten Worte seines Gastes und ohne es zu merken, hatte er fast den ganzen Tag vor sich hin gelächelt und immer wieder an diesem Moment gedacht, wo dieser junge Mann ihn wie einen ganz normalen Menschen behandelt hatte.
 

In der Kaiba Corporation gab es klare Positionen und Rangordnungen. Isono war der private Chauffeur von Kaiba und hatte hauptsächlich mit diesem und manchmal auch mit dessen jüngeren Bruder zu tun. Ab und zu sprach er mit den Bediensteten in der Villa, nichts Besonderes, mal übers Wetter oder kurzer, unbedeutender Smalltalk. Genau die Art von Smalltalk, die entstand, wenn man sich in einer unbehaglichen Situation befand und irgendwie versuchte die schlechte Atmosphäre aufzulockern. Mokuba sprach zwar normal mit ihm, aber da er hauptsächlich den Älteren der beiden fuhr, war sein Arbeitstag meist erfüllt von Stille und dem Gefühl überhaupt nicht wahrgenommen zu werden.
 

»Habe ich etwas Komisches gesagt?«, fragte sich Yuugi gedanklich. Er konnte die Reaktion des Fahrers nicht wirklich einordnen. Wieso war er so verwundert, dass er sich bedankt hatte? Das war doch das Natürlichste auf der Welt. Mit zügigen Schritten näherte er sich dem Firmengelände. Die Security beäugte ihn eingehend und stellte mehrere Fragen und verlangte nach seinem Ausweis, ließ ihn jedoch ohne größere weitere Probleme durch. Dennoch hatte er das Gefühl mehrere Minuten vor dem Eingang gestanden zu haben. Vielleicht hätte er seinen Personalausweis eher herausholen sollen, denn so hatte er unnötig in seiner Umhängetasche herumkramen müssen.
 

Diese Hünen am Eingang waren jedes Mal aufs Neue einschüchternd. Zumindest ging es Yuugi so. Vielleicht kam ihm das auch nur so vor, weil er selbst so klein und zierlich war, im Gegensatz zu diesen gigantischen Muskelprotzen, deren Gesichter von den getönten Scheiben ihrer Sonnenbrillen umrahmt wurden und es ihm unmöglich machten, in ihre Augen zu sehen. Mit seinen knapp 1,60m war er ja nichts weiter als ein Krümmel. Kaiba war auch riesig. Aber dieser war weniger beängstigend als die Security und obwohl Kaiba zu ihm runter gucken musste, fühlte es sich nicht so an, als würde dieser auf ihn herabblicken.
 

„Yuugi, du hast schon wieder getrödelt. Du musst die Sache ernster angehen.“
 

„Ich hab nicht getrödelt!“, verteidigte sich Yuugi.
 

„Du hast erst mit Isono ein Gespräch begonnen und dann noch mit der Security gequatscht und dann bist du einmal mehr vor meiner Tür stehengeblieben und hast gezögert zu klopfen. Denkst du wirklich, dass du mich anlügen kannst?“
 

„Kaiba-kun, das sind menschliche Interaktionen. Man redet mit den Leuten um sich herum. Hätte ich den beiden Typen von der Security sagen sollen, dass sie mich gefälligst durchlassen sollen, weil ich sonst böse werde?“
 

„Genau. Du musst mehr Dominanz zeigen und dich nicht direkt so einschüchtern lassen.“
 

„Klar, weil ich auch aussehe wie Hulk. Eher hätten die beiden mich im hohen Bogen rausgeworfen oder vielleicht zusammengeschlagen!“
 

„Siehst du! Du kannst ja doch den Mund aufmachen, wenn du willst!“
 

Yuugi gab nur einen fragenden Laut von sich, um so sein Unverständnis kund zu tun.
 

„Das heißt 'wie bitte' und nicht ''.“ Kaiba verdrehte genervt die Augen und notierte sich etwas auf einem kleinen Block vor sich. Wieder fiel Yuugi der hübsche Kugelschreiber auf, den Kaiba sehr gern zu benutzen schien. Dass es sich hierbei um ein Geschenk von dessen Bruder handelte, wusste er nicht.
 

An Yuugis Aussprache musste er feilen. Solche unzivilisierten und kindischen Laute musste er ihm dringend abgewöhnen. Auch dieses Stottern und dieses genierte 'Ehm' durften während echten Verhandlungen niemals fallen, ansonsten sagte man den anderen ja direkt: 'Hey, ich bin schwach und kann nichts! Nutzt mich ruhig aus!' und genau diesen Eindruck erweckte Yuugi auch jetzt auf Kaiba. Bedröppelt stand er mitten im Raum und warf ihn einfach nur verwirrte Blicke zu, anstatt den Mund aufzumachen und näher zu kommen.
 

„Willst du den ganzen Tag da stehen bleiben? Mach schon! Setz dich gefälligst hin!“, wies er ihn harsch zurecht.
 

„Tut mir -“
 

„Wenn du den Satz zu Ende sprichst, werfe ich dich hochkant aus meinem Büro.“
 

Das war ein Versprechen, keine Drohung.
 

Yuugi schluckte hart und verharrte in seiner Position. Stimmt, Kaiba hatte ihn bereits einmal ermahnt. Nein, mehrmals.
 

„Ehm... wegen Spherium...“, murmelte er und zog einen Umschlag aus seiner Tragetasche, die er achtlos neben sich abgelegt hatte. Kaibas Raunen machte ihn noch unsicherer.
 

Schon wieder dieses 'Ehm' und diese langen Denkpausen zwischen den Wörtern. Yuugi vermittelte alles andere als Selbstbewusstsein. So langsam wagte Kaiba zu bezweifeln, ob er seinen Rivalen überhaupt helfen konnte. Würde er diesen zurückhaltenden und schüchternen Kerl dazu bringen können, über seinen Schatten zu springen und sich mehr zuzutrauen? Nach all den Jahren sollte man meinen, dass Yuugi kein Problem damit haben würde, mit dem Firmenleiter zu sprechen ohne dabei ein so jämmerliches Bild abzugeben. Dass Yuugi momentan ganz andere Sorgen hatte, konnte er ja nicht ahnen.
 

Immerhin fungierte er als Vermittler zwischen den Brüder und dieser Druck war es letztendlich, der ihn so sehr belastete, dass er heute erst recht keinen klaren Gedanken fassen konnte. Aber das durfte er Kaiba unter keinen Umständen erzählen. So langsam verstand Yuugi aber, warum Mokuba so sauer war und was ihn an Kaibas Art störte. Bei ihrem letzten Treffen war Kaiba vergleichsweise nett. Doch das war eine Woche her. Vermutlich war er an diesem Tag nur so offen und freundlich, weil er sich vorher mit Mokuba zerstritten hatte. Heute war Kaiba wie immer. Eiskalt und distanziert. Ein absoluter Profi auf seinem Metier, der keine Fehler duldete.
 

„Yuugi. Spherium kann erst mal warten. Ich habe das Gefühl, dass du weder hinter deinem eigenen Spiel noch hinter deiner Person stehst. Denkst du wirklich, dass du weniger wert bist als ich und dass du dich deswegen mir gegenüber so verhalten musst?“
 

„Ich verstehe nicht, was du meinst, Kaiba-kun. Ich bin doch wie immer oder nicht?“
 

„Nein, während unserer Duelle bist du ganz anders. Ernster. Du bist fokussiert und konzentrierst dich nur auf das, was wichtig ist, aber jetzt erinnerst du an ein Häschen, das in der Höhle des Löwen sitzt.“
 

Yuugi wollte etwas sagen, sich verteidigen, da er diese Kritik sehr persönlich nahm und es unheimlich schmerzte, dass ausgerechnet Kaiba – den Mann, den er so sehr für seine Ausstrahlung und Stärke bewunderte – ihn auf diese Weise kritisierte. Doch Kaiba ließ keine Widerworte zu und schlug mit einem Rundumschlag nochmal zu.
 

„Das brauchst du auch nicht zu verleugnen. Du weißt, dass ich Recht habe. Yuugi, ich schätze dich als Duellant und es gibt nichts, was ich mir mehr wünsche, als dich in einem fairen Kampf um den Titel zu besiegen. Doch der Mensch Mutou Yuugi ist ein völlig anderer. Jemand, der sich selbst zurückhält. Nie den Mund aufmacht. Sich versteckt. Und das müssen wir ändern.“
 

„Ich weiß... ich bemühe mich ja, aber du durchschaust mich wohl sofort. Dabei...“ Yuugi hinderte sich selbst daran seinen folgenden Satz zu beenden und biss sich auf die Unterlippe. Er wollte, dass Kaiba ihn genauso ansah wie er einst Atem angesehen hatte. Nichts mehr wollte er auf der Welt als seine Anerkennung. Er hatte genug davon, immer nur mit Atem verglichen zu werden und trotzdem war es Yuugi, der sich selbst die größten Steine in den Weg legte, da er sich selbst am meisten versuchte zu ändern. Yuugi selbst eiferte seinem Schatten nach. Dieser Vergleich gab ihm das Gefühl weniger wert zu sein und Kaiba schien das erkannt zu haben.
 

„Hör auf wie Atem sein zu wollen. Du bist nicht er und ich habe das akzeptiert. Und du musst das auch akzeptieren.“
 

„Kaiba-kun... ich weiß, dass ich nicht sein kann wie er. Und ich möchte das auch gar nicht! Aber... jeder sagt mir, wie anders ich doch wäre. Dass ich anders bin als er und vielleicht...“
 

Yuugi senkte den Blick und er fühlte sich schuldig. Dies auszusprechen tat weh.
 

„Vielleicht wollte ich unbewusst so werden wie er und ihn imitieren, weil ich gehofft habe, dass ich dann mit mir selbst zufrieden sein kann. Dass ich so keine Angst mehr haben muss, andere zu enttäuschen.“
 

Kaiba sagte nichts.
 

„Ganz schön dumm von mir, was?“ Yuugi zwang sich zu einem Lachen. Er wollte seine Unsicherheit überspielen.
 

Kaiba fragte sich, wen Yuugi meinte. Seine Freunde? Wohl kaum. All seine Freunde standen immer hinter ihm und selbst wenn Yuugi etwas unsagbar Dummes tun würde und dabei aus Versehen die Welt in Gefahr brachte, würden diese immer noch hinter ihm stehen. Der blonde Möchtegern Komödiant hätte ihn vermutlich noch stolz auf die Schulter geklopft. Auch wenn Kaiba nicht ganz verstand, warum diese Verbindung zwischen ihnen so stark war, so wusste er doch, dass Yuugi Kraft aus seiner Freundschaft zu dem erbärmlichen Haufen schöpfte, der ihn damals während des Battle City Turniers begleitete. Also musste es irgendwen in Yuugis Leben geben, den er auf keinen Fall enttäuschen wurde. Kaiba kannte dieses Gefühl.
 

„Seto! Das muss schneller gehen! Schneller!“
 

Die Angst davor zu versagen und der Wunsch andere nicht zu enttäuschen, weil man sonst schlimme Konsequenzen zu erwarten hatte. Die Zweifel, die man durchlitt, wenn man nicht den ersten Platz erreichte und das, was man sich vorgenommen hatte, einfach nicht erfüllen konnte. Wenn der Wunsch andere nicht zu enttäuschen und selbst an der Spitze zu stehen, einem so sehr in Fleisch und Blut überging, dass es vollkommen normal wurde, diese Gier zu empfinden und man selbst glaubte, dass es richtig war, anderen gefallen zu wollen.
 

„Du bist ein Versager! Denkst du, dass du so das Imperium der Kaiba Corporation übernehmen kannst?!“
 

Kaiba verengte seine Augen zu Spitzen. Für Sentimentalität hatte er nun wirklich keine Zeit. Yuugi musste zu einem ernstzunehmenden Geschäftsmann werden. Ein Mann, der seine Visionen und Ideale ohne Probleme in Worte fassen und hinter diesen stehen konnte.
 

„Nein, das ist nicht dämlich.“, kam es dann nach einer gefühlten Ewigkeit von Kaiba. Der König der Spiele hatte schon befürchtet, dass sein Gegenüber den Rest des Tages schweigend ihm gegenüber sitzen und ihn einfach nur anstarren wollte. Als dieser endlich seinen Mund bewegte und seine Aussage sogar recht freundlich oder keinster Weise abwertend war, fühlte er sich unglaublich erleichtert. Kaiba lachte ihn nicht aus. Genau genommen hatte er damit gerechnet, dass Kaiba ihn auslachte. Er hatte das hysterische und abgehobene Lachen erwartet oder einen alles vernichtenden Blick. Nichts dergleichen geschah, was Yuugi einerseits verwirrte, andererseits beruhigte.
 

„Hör zu, Yuugi. Genau da liegt dein Problem. Du solltest nicht versuchen anderen zu gefallen. Sei selbstbewusst. Weder ich noch sonst irgendjemand erwartet von dir, dass du so wirst wie Atem. Er war ein großartiger und talentierter Duellant, der es verdiente, dass man zu ihm hoch sah. Aber kein Mensch gleicht dem anderen. Du bist du. Und er ist er.“
 

„Kaiba-kun...“, flüsterte Yuugi und versuchte den Blickkontakt mit diesem herzustellen, doch jedes Mal, wenn er ihm direkt in die Augen sah, schlug sein Herz schneller vor Aufregung.
 

„Ich möchte mit Mutou Yuugi zusammenarbeiten und ein Spiel schaffen, das das Potential hat, die Welt zu erobern. Also hebe deinen Kopf und sieh mir auch in die Augen, wenn ich mit dir rede.“
 

„Ja.“, war Yuugis rasche Antwort. Kaibas eisblaue Augen schienen ihn zu durchbohren. Sein Gesicht wurde umrahmt von den dunklen Ponysträhnen, die auch heute seinen Blick verfinsterten. Es war ungewohnt so viel Wärme – war das Wärme oder einfach nur Yuugis Einbildung, so genau konnte er das gar nicht sagen – zu sehen.
 

„Gut, dann weiter im Text. Ich möchte, dass du eine Rede vorbereitest, um deinen zukünftigen Mitarbeitern einen ungefähren Plan dessen zu geben, was du dir vorstellst.“
 

Am liebsten hätte Yuugi ihn unterbrochen und ihm gesagt, dass er genau darin sein Problem sah, doch er traute sich nicht, dies offen auszusprechen, da er befürchtete, dass Kaiba ihn direkt wieder ermahnte und seine Gründe nicht verstand. Immerhin war Spherium noch im Anfangsstadium. Er hatte einen groben Plan und viele Ideen, aber wie genau man diese am besten verwirklichte , bereitete ihm Schwierigkeiten.
 

„Keine Sorge. Du wirst das nicht allein machen. Ich werde dabei sein und dich zur Not unterstützen. So ein Meeting ist nicht einfach und ich verlange von dir nicht, dass du das direkt perfekt machst. Trotzdem muss ich dich vorbereiten und dir von Anfang an klar machen, was kleine Fehler und mangelnde Autorität für Folgen haben werden. Also habe ich einen Termin für ein Seminar angesetzt, das dir helfen wird, mehr aus dir herauszukommen und zu lernen dich besser zu artikulieren.“
 

Jetzt fehlten Yuugi die Worte.
 

„Was guckst du mich so an?“, wollte Kaiba wissen. Yuugi sah ihn mit großen Augen an, sagte immer noch kein Wort. Was hatte er denn erwartet? Dass er einen so schüchternen Kerl, der ständig stotterte und keinen ganzen Satz herausbrachte, direkt in ein ernstes Meeting mitbrachte, wo die Abteilungsleiter nur darauf warteten, sich auf ihre neue Beute zu stürzen? Das wäre zu viel für den frischgebackenen Geschäftsmann, der genau genommen nicht mal einer war, da er keinerlei Erfahrungen hatte und man ihn so gesehen einfach nur ins unbekannte Wasser geschubst hatte.
 

„Ich weiß nicht, was ich sagen soll...“, murmelte Yuugi und ließ seinen Mund sperrangelweit offen. Hätte Kaiba so etwas wie Ungeziefer in seinem Büro geduldet, wäre ihm sicher eine Fliege in den Mund geflogen. Der Brünette räusperte sich und nahm einmal mehr den Kugelschreiber in die Hand, welcher rasant über das Papier des Notizblocks flitzte. Yuugi fragte sich, was er da aufschrieb und ob diese Notizen etwas mit ihm zu tun hatten. Um ein Tagebuch handelte es sich wohl kaum, wobei Yuugi das gerne mal gelesen hätte, einfach um mehr über die Gefühle des Firmenchefs zu erfahren.
 

„Wie wäre es mit 'Danke'? Jemand wie du, der so viel Wert darauf legt, sich ständig unbegründet zu entschuldigen, wird doch wenigstens dieses Wort kennen.“
 

Da war sie wieder. Kaibas sarkastische und fiese Art. Normalerweise hätte sich Yuugi über diesen Kommentar geärgert, aber heute machte ihm das nichts aus. Immerhin hatte Kaiba so viel Verständnis gezeigt und war bemüht darum ihm zu helfen. Kaiba hätte ihn genauso gut beleidigen können und Yuugi hätte es nicht gestört.
 

„Danke.“, kam es ehrlich von dem jungen Mann und er faltete die Hände, wie bei einem Gebet, legte sie vor die Brust und bedankte sich gedanklich bei Gott, der dieses Wunder geschehen ließ.
 

„Und wann findet der Termin statt?“, kam es dann von ihm.
 

„In zwei Stunden.“
 

Skeptisch hob Yuugi eine Augenbraue. Hatte Mokuba ihn angelogen oder einfach nur übertrieben? Irgendwie hatte Kaiba nun zwei mal mehr als genügend Zeit für Yuugi. Lag es daran, dass Yuugi einen Termin hatte oder hatte Kaiba sich extra für ihn Zeit genommen?
 

„Ich komme selbstverständlich mit, um zu sehen, wie du dich machst.“
 

„Was?“, sprudelte es empört aus Yuugi.
 

„Das ist nicht nötig! Ich schaffe das auch allein!“
 

„Als würde ich mir die Vorstellung entgehen lassen.“ Kaibas Lippen zierte ein breites Grinsen.
 

Verdammt! Wie peinlich! Ausgerechnet Kaiba bei so einem Seminar als Aufpasser zu haben war das schlimmste, das sich Yuugi vorstellen konnte.

Kapitel 14

In diesen zwei Stunden hatte Kaiba ihn mehrmals darauf hingewiesen, vermehrt auf seine Wortwahl zu achten. Dieses und jenes Wort durfte er nicht sagen. Dieser Laut war kindisch und diese Bewegung unangebracht. Es sollte sich doch bitte professioneller verhalten und mehr auf seine Haltung achten und sich einen anständigen Anzug kaufen. Vor allem die viel zu eng anliegende Jeans war provokant und ein Konferenzraum war kein Laufsteg. Kaiba hatte seine Kritik heruntergerasselt ohne auch nur ansatzweise Rücksicht auf Yuugis Gefühle zu nehmen. Die Masse an Kritik war so viel für Yuugi, dass er es für unmöglich hielt, sich all das zu merken und es direkt umzusetzen. In der Hinsicht war der Firmenchef wirklich erbarmungslos.
 

„Yuugi, auch wenn es dir gut steht, zu viel Wimperntusche ist unangebracht.“
 

„Ich habe heute gar keine Wimperntusche benutzt...“, kamen Yuugis leise Widerworte. Er wollte keinen Streit mit Kaiba anfangen. Bisher hatte er sämtliche Verbesserungsvorschläge von seinem Geschäftspartner angenommen und kein Mal widersprochen, aber in diesem Punkt konnte er nicht den Mund halten und fühlte, dass er sich verteidigen musste.
 

Kaiba sah ihn perplex an.
 

„Hast du nicht?“, fragte er ungläubig nach und warf einen weiteren scharfen, musternden Blick auf seinen Gegenüber, notierte sich erneut etwas auf seinem Block. Er hatte nun mehrere Seiten gut mit Notizen gefüllt und Yuugi war sich nun mehr als nur sicher, dass er dort Dinge aufschrieb, die er an ihm ändern wollte. Dafür, dass Kaiba von ihm verlangte mehr Selbstbewusstsein zu zeigen, hatte er eine ganze Menge Dinge gefunden, von denen er der Ansicht war, dass er sie ändern sollte. So viel zum Thema, dass Yuugi er selbst sein sollte. Gut, dass Kaiba keine Gedanken lesen konnte, ansonsten hätte er mitbekommen, dass Yuugi ihm wenigstens gedanklich Kontra gab.
 

„Nein, habe ich nicht.“, wiederholte er und machte einen Schmollmund. Es war Yuugi deutlich anzuhören, dass er leicht genervt war. Für Yuugi war es normal seine Augen zu schminken und einen schönen Lidstrich mit dem Kajal zu ziehen. Vielleicht hatte er sich das angewöhnt, weil der Pharao auch diesen Fashionstyle bevorzugte, aber er glaubte viel mehr, dass es an seinen japanischen Lieblingsbands in der Visual Kei Szene lag, die ihn seit seiner Jugendzeit geprägt hatten.
 

„Dann habe ich mich wohl verguckt. Trotzdem solltest du bei Konferenzen darauf verzichten. Mich stört es nicht und von mir aus kannst du auch Lippenstift verwenden, aber ich möchte, dass du ernst genommen wirst und diese alten konservativen Knacker sind da sehr empfindlich.“
 

„Das ist unerwartet nett von dir.“
 

„Ha, bilde dir nichts drauf ein. Wenn du dich blamierst, wäre das auch eine Blamage für mich. Auch mein Ruf steht auf dem Spiel. Immerhin bin ich in gewisser Weise dein Partner.“
 

„Viel mehr mein Chef.“, korrigierte Yuugi und verschränkte die Arme und grinste breit.
 

„Noch wirkt das so, aber das ändert sich noch. Uns bleibt noch etwas mehr als eine halbe Stunde bis zu deinem Seminar. Machen wir uns schon mal fertig.“ Kaiba erhob sich von seinem Schreibtisch, schob seinen Bürostuhl an diesen heran und betätigte einen Knopf an seinem telefonischen Ansagegerät. Er gab seiner Sekretärin neue Anordnungen.
 

„Und sagen Sie Mokuba, dass es heute etwas später werden wird.“ Seine Stimmlage war monoton und Yuugi fragte sich, ob seine Sekretärin sich daran störte, dass er mit ihr sprach, als wäre sie ein Roboter. Kaiba warf sich seinen Mantel über und griff nach einer Aktentasche und lief um den Schreibtisch herum in Richtung des Ausgangs.
 

»Kaiba-kun hat also wirklich noch nichts bemerkt... Ich darf bloß nichts ausplappern.«, schoss es Yuugi augenblicklich durch den Kopf und er hüpfte rasch vom Stuhl runter, bevor Kaiba ihn wieder ermahnte oder ihn mit Blicken mitteilte, dass er diese Trödelei nicht duldete. Kaiba wies den Weg an und lief wortlos zum Fahrstuhl, wo er den Schalter betätigte und geduldig darauf wartete, dass der Fahrstuhl möglichst schnell ankam. Sie waren im obersten Geschoss der Kaiba Corporation und wenn man beachtete, wie riesig das Gebäude war, würde es sicher einige Minuten dauern, bis dieser endlich oben war. Wenn in den anderen Etagen auch noch Leute ein und ausstiegen, würde es sogar noch länger dauern.
 

Die Stille zwischen ihnen machte Yuugi wahnsinnig und er versuchte die Stimmung irgendwie aufzulockern. Er durfte bloß nichts Blödes sagen. So schwer war das doch nicht!
 

„Dauert aber ganz schön lang...“, murmelte Yuugi vor sich hin, während er mit seiner Umhängetasche herumspielte und den Klettverschluss mehrmals auf und wieder zu machte. Dabei entstand ein Geräusch, das die unangenehme Stille zwischen ihnen für einen Moment unterbrach.
 

Kaiba sagte nichts und warf ihm wieder diesen ermahnenden Blick zu, von dem Yuugi dieses Mal nicht wusste, wie er ihn einsortieren sollte. Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen und hob sofort beide Hände, ließ ab von seiner Tasche und schämte sich in Grund und Boden einmal mehr etwas getan zu haben, was Kaiba nervte. Zum Glück sagte dieser kein weiteres Wort mehr. Für Smalltalk war Kaiba nicht zu haben. Als der Fahrstuhl endlich oben ankam und sie einstiegen warf Yuugi dem Firmenchef mehrmals verstohlene Blicke zu. Dieser stand unbeeindruckt direkt vor der Tür. Seine gesamte Körperhaltung war unerschütterlich, und man sah ihm an, dass er von Stolz erfüllt war. Vermutlich hätte ihn wirklich nichts vom Fleck wegbewegen können.
 

Der dunkle Mantel sah teuer aus, so teuer sogar, dass Yuugi sich für seinen billigen Aufzug schämte. Wieder seine Weste, ein helles Hemd, die dunkle Jeans, die nach Kaibas Meinung viel zu eng war und nicht gerade geeignet, wenn man seinen Gesprächspartner beeindrucken wollte und eine schwarze relativ dünne Lederjacke. Yuugi fragte sich insgeheim, wann Kaiba seine Jacke kritisieren würde. An seinen Klamotten hatte er ja so einiges auszusetzen gehabt.
 

Die Stille zwischen ihnen und das surrende Geräusch des Fahrstuhls trieb Yuugi noch in den Wahnsinn. Das alles war unangenehm und beunruhigte ihn. Wie konnte Kaiba das nur ertragen?
 

„Yuugi, wenn du etwas sagen willst, dann spucke es aus. Ich kann deine Reflexion im Spiegel sehen.“
 

„Entschuldige...“
 

Kaiba wollte schimpfen, tat es aber nicht. Er schien gegen eine Wand zu sprechen, die nichts von dem aufnahm, was er ihr sagte. Yuugi war in der Hinsicht bildungsresistent. Obwohl er ihm keinen wirklichen Vorwurf machen konnte. Vermutlich wurde Yuugi so erzogen. Für seinen Geschmack war Yuugi viel zu devot. Niemand, den er ernst nehmen würde. Für einen Augenblick bereute Kaiba, dass er sich selbst in diese Situation gebracht hatte. Yuugis Selbstvertrauen aufzupolieren und ihm grundlegende Verhaltensregeln, die in der Businesswelt vonnöten waren, um voranzukommen, in den Kopf zu bringen, würde weitaus mehr Arbeit werden als er anfangs vermutete.
 

„Du bist so still und ich bin etwas nervös.“
 

„Warum?“
 

„Wie 'warum'? Ist das nicht klar?“
 

„Nein. Warum solltest du nervös wegen einem Seminar sein? Das ergibt keinen Sinn. Es ist nicht so, dass du dort eine Prüfung ablegen musst oder irgendein bestimmtes Ergebnis erreichen musst. Natürlich kann ich deine Nervosität nicht nachvollziehen.“
 

Yuugi ließ den Kopf hängen. Scheinbar hatte er zu viel verlangt. Dass seine Nervosität nicht an dem Seminar lag, war doch offensichtlich! Bisher hatte Yuugi kaum Kontakt mit Kaiba. Vor allem nicht privat. Nun standen sie hier minutenlang schweigend nebeneinander. Kam es Kaiba nicht komisch vor, nicht ein einziges Wort mit seinem – wie hatte er ihn noch mal genannt – Partner zu wechseln? Sie arbeiteten doch zusammen und Yuugi kam es eher so vor, als wäre er ganz allein unterwegs, da Kaiba keinerlei Anstalten machte, irgendetwas zu erzählen.
 

War es nicht normal, dass man miteinander redete?
 

Kaiba bemerkte, dass Yuugi nicht zufrieden mit seiner Antwort war. Er stieß den Atem aus, von dem er bis eben nicht mal wusste, ihn gehalten zu haben.
 

„Soll ich dein Händchen halten und dir beruhigend über den Rücken streicheln?“
 

„WA-?!“, kam es erstaunt von Yuugi und er machte einen kleinen Hechtsprung nach hinten, nur um gegen die Wand des Aufzugs zu knallen und dann über den viel zu kleinen Innenraum zu fluchen. Dass Kaiba so etwas sagte war zu viel für ihn!
 

„Yuugi, das ist rein geschäftlich. Ich habe nicht vor mich mit dir anzufreunden.“
 

„Warum nicht?“
 

Kaiba zischte nur und war erleichtert, dass sie just in diesem Moment unten ankamen und die Türen sich öffneten. Ohne Yuugi eine Antwort auf seine Frage zu geben, stieg er aus und steuerte den Ausgang an. Der Bunthaarige starrte ihn noch hinterher. Es gab tausend Dinge, die er seinen neuen Chef gerne gefragt hätte. Dinge, die nicht nur geschäftlich waren und von denen er bereits wusste, keine Antwort zu erhalten oder wieder nur einen gemeinen Blick, mit dem Kaiba seine Gegner strafte, wenn er sie loswerden wollten. Viel zu viel ging ihm durch den Kopf, doch nichts kam über seine Lippen. Stattdessen folgte er Kaiba wie ein braver Hund.
 

Obgleich Kaiba keine Leine in der Hand hatte, hielt Yuugi bis zur Limousine einen exakten Abstand von zwei Metern, um den großgewachsenen Pessimisten vor sich nicht noch mehr zu nerven. Pessimist traf es schon ganz gut, fand Yuugi. Es war genau so, wie Mokuba es erwähnt hatte: immer schlechte Laune und er musste wirklich immer das letzte Wort haben. Wenn Yuugi nicht gewusst hätte, dass Kaiba irgendwo tief in seinem Herzen, eine gute und liebevolle Seele hatte, hätte er geglaubt, dass dieser seine Seele dem Teufel verkauft hatte.
 

Wieder fuhr die Limousine vor, die ihn bereits am Morgen abgeholt hatte. Zu Yuugis Erstaunen war der Fahrer immer noch derselbe. Kaiba stieg ein ohne auch nur seinem Angestellten einen Blick zu würdigen.
 

„Ohayo, Isono-san! Schön, Sie wieder zu sehen.“, sagte er dann mit einem heiteren Lächeln. Yuugi wirkte so unnatürlich fröhlich, dass man hätte meinen können, er hätte im Lotto gewonnen.
 

„Ah, Mutou-san. Mir ist es auch eine Freude.“, antwortete der Ältere und wollte gerade wieder ansetzen, doch als er den stechenden Blick seines Chefs im Rückspiegel sah, schluckte er hart und erklärte kurz und knapp, dass sie keine Zeit für Gespräche hatten und einen Termin wahrzunehmen hatten. Kaiba war erleichtert. Yuugi enttäuscht. Isono verwirrt.
 

Während der Fahrt kämpfte Yuugi mit seinem Bedürfnis mit Kaiba sprechen zu wollen, da dieser mit seiner Körperhaltung und seinen weg gedrehten Kopf sehr klar aussagte, dass er nicht angesprochen werden wollte, sofern es nicht um etwas Geschäftliches ging. Sie sprachen nicht. Sie sahen sich nicht an. Yuugi spürte, dass er nur noch nervöser wurde und er umklammerte seine Tasche. Kaiba wollte nicht mit ihm reden. Mit niemanden. Yuugi fragte sich insgeheim, ob der Brünette ein ähnliches Verhalten seinem Bruder gegenüber aufwies oder ob Kaiba nur mit Fremden so agierte. Auch wenn Yuugi ihn immer wieder als seinen Freund bezeichnete und mehr über ihn wissen wollte, so ging es diesem nicht so.
 

Instinktiv seufzte Yuugi. Der Seufzer entlockte Kaiba eine Reaktion.
 

„Yuugi.“ Kaiba funkelte ihn böse an.
 

„Ja?“, fragte Angesprochener, setzte ein nettes, aber offensichtlich gespieltes Lächeln auf und tat so, als wüsste er nicht, warum Kaiba die Stille plötzlich gebrochen hatte.
 

„Unterlass das.“, kam die mürrische Antwort.
 

Yuugi nickte nur und stieß leise 'Verstanden' hervor, lehnte sich dann gegen die kühle Fensterscheibe und ließ seinen Blick nach draußen gleiten, betrachtete das an ihm vorbeiziehende Leben der Stadt und wunderte sich einmal mehr, wie er diesen Tag mit diesem äußerst freundlichen und emotionalen neuen Chef überleben sollte. Nicht nur, dass Kaiba ihn die ganze Zeit ignorierte oder viel mehr wie Luft behandelte, sondern auch die Tatsache, dass dieser ihn jedes Mal zurecht wies, sofern er auch nur den winzigsten Fehler machte, frustrierte ihn so sehr, dass er sich selbst dabei erwischte, zu denken, dass diese Kooperation ein ganz schöner Brocken Arbeit werden würde.
 

Das Seminar beschränkte sich auf eine kleine Teilnehmerzahl. Es befanden sich nur neun Leute im Raum, die allesamt so aussahen, als wären sie entweder kurz davor in einer höheren Position zu arbeiten oder aber bereits in der oberen Führungsetage sitzen und hier ihr Wissen erweitern wollten. Kaiba hatte lang und gründlich nach einem Seminar gesucht, das genau die Dinge behandelte, die für Yuugi von Nutzen sein würden. Kaiba hatte nicht weiter vor, sich einzumischen oder gar Teil dieses Seminars zu sein. Viel eher verstand er sich als Beobachter, der nur hier war, um zu sehen, ob Yuugi das Ganze wirklich ernst nahm.
 

Er bemerkte, dass der Coach, der den Raum betrat, ein anderer war als der, den er gebucht hatte. Kaiba dachte sich zunächst nichts dabei. So lange er seinen Job gut machte, war ja alles in Ordnung. Leider wurde Kaiba eines besseren belehrt.
 

Ein Motivationscoach, der sehr viel redete und eine todlangweilige Präsentation hielt, bei der Yuugi beinahe einschlief und hart damit kämpfte nicht vornüber mit dem Kopf voraus auf den harten Boden zu knallen. Es war nicht so, dass der Inhalt langweilig war. Das waren alles nützliche Tipps. Die Präsentation war es jedoch. Glücklicherweise sagte Kaiba kein Wort und bemerkte nicht, dass Yuugi immer wieder die Augen zufielen. Mit einem klickenden Geräusch wurde die nächste Seite der Powerpoint Präsentation aufgerufen.
 

„Wenn Sie souverän auftreten möchten, müssen Sie lernen, Vertrauen in Ihre Fähigkeiten zu haben.“, ratterte der Coach am Rednerpult herunter und es selbst wirkte alles andere als 'motiviert', so dass die Teilnehmer des Seminars keinerlei Reaktion zeigten. Kaiba sah sich um und betrachtete die Leute, die sich hier befanden. Als sein Blick bei Yuugi hängen blieb, der angestrengt den Worten des Mannes vorne lauschte und dabei mehrmals mit den Kopf nach vorne kippte, wurde es ihm jedoch zu bunt. Dieses Seminar war absolute Zeitverschwendung und nicht das, was er sich vorgestellt hatte.
 

„Und wie lernt man das am besten? Ich höre hier leere Worte und Standardfloskeln, die man in tausend anderen Motivationsbüchern bereits gelesen hat, die in der Theorie schön klingen, aber in der Praxis nur schwer anwendbar sind.“
 

Jetzt war Yuugi hellwach. Kaibas durchdringende und klare Stimme vertrieb die Müdigkeit, die ihn bis eben quälte.
 

„Dazu komme ich gleich...!“, erklärte sich der Mann am Rednerpult und sortierte die Unterlagen vor sich, so, als suchte er die Seite, die er gerade brauchte.
 

„Wie soll jemand wie Sie, der keinerlei Interesse oder gar Lust an diesem Thema hat, so etwas wie Selbstvertrauen oder gar Motivation übermitteln? Das ist doch ein Witz!“
 

Kaiba stand auf und ging auf den Mann zu. Dieser wich keinen Schritt zurück und versuchte weiterhin dominant aufzutreten, doch als Kaiba nur wenige Zentimeter vor ihm stehen blieb, sein stechender und alles durchdringender Blick auf ihn gerichtet, kniff er doch den Schwanz ein und gewährte Kaiba einen Blick auf seine Unterlagen. Auf diesen befanden sich Stichworte, aber keine Inhalte. Der Kerl ratterte also tatsächlich nur sein Programm herunter.
 

„Ich würde Ihnen dringend raten, einen Blick ins Publikum zu werfen. Der Großteil der Teilnehmer ist kurz davor einzuschlafen und es liegt an Ihnen, diese Menschen hier einzubinden und nicht nur stumpf auswendig gelernte Regeln und tolle Tipps vorzutragen, die man genauso gut im Internet nachlesen könnte.“
 

Kaiba warf die Unterlagen achtlos zurück aufs Pult und drehte sich erneut zu dem Coach, der sich langsam wieder fasste.
 

„Ich verlange sofort einen anderen Coach und ich möchte mit Ihrem Chef sprechen. Sie sollten sich besser selbst zu den Teilnehmern setzen, bevor Sie sich hier oben präsentieren.“
 

Kaibas Kritik war hart, aber auch berechtigt. Kaiba war das Selbstbewusstsein in Person und sich gegen ihn zu behaupten war garantiert keine Kleinigkeit, sondern eine Herausforderung, die nur wenige zu meistern wussten. Die Teilnehmer blieben ruhig und keiner wagte es, sich mit Kaiba anzulegen. Dass ausgerechnet der erfolgreichste Mann der Welt in diesem Seminar war, setzte ihnen allen zu und keiner wollte das Risiko eingehen, ein schlechtes Bild bei ihm zu hinterlassen.
 

Leises Tuscheln und Diskussionen waren im Raum zu hören und es dauerte einige Minuten bis ein anderer Coach kam, der dann letztendlich die Aufgabe seines Vorredners übernahm. Dieser war um Welten besser und interagierte mit den Teilnehmern und erklärte so ausführlich, wie es ihm möglich war. Yuugi hatte indes einen kleinen Collegeblock aus seiner Umhängetasche geholt, den er vorsichtshalber am frühen Morgen eingepackt hatte. Hastig notierte er die Worte des Coachs und bemühte sich darum dabei etwas zu lernen.
 

»Wenigstens denkt er mit und zeigt Interesse. Trotzdem mache ich mir Sorgen, ob Yuugi eine Abteilung leiten kann. Bürde ich ihm zu viel auf? Vielleicht wäre es besser, wenn ich ihm weiterhin unter die Arme greife. Doch wenn ich das tue, wird Yuugi niemals eigenständig werden und auch zukünftig sich vor Problemen drücken.« Kaibas Miene war so ernst, dass man hätte meinen können, es wäre bei einer Beerdigung gewesen. Er stach aus den Teilnehmern heraus. Während alle anderen Zuhörer immer wieder zustimmend nickten und Teil des Seminars waren, so war Kaiba der einzige, der an einer Stelle saß, sich nicht bewegte und mit seinen Augen sogar dem Coach das Blut in den Adern gefrieren ließ.
 

Da sie nur so wenige waren, blieb der Blick des Coachs irgendwann bei Kaiba hängen, der dies nicht mitbekam, da er bereits jetzt gedanklich seine nächsten Schritte zur Visualisierung von Spherium durchging und seinen Tagesplan abarbeitete.
 

„Es ist auch wichtig, dass man auf eine normale Körperhaltung achtet. Das gilt auch für Sie, Kaiba-sama.“
 

Kaiba hatte nicht richtig zugehört, doch als sein Name fiel, fühlte er sich dermaßen überrumpelt, dass er keine richtige Reaktion hervorbrachte. Der Coach schien zu glauben, dass er ihm nicht zuhörte. Yuugi stupste ihn mit dem Ellbogen in die Seite, da er glaubte, dass Kaiba nicht mitbekommen hatte, dass der Coach sich direkt an ihn wandte. Kaibas Blick verfinsterte sich und selbst eine Mondfinsternis hätte neben ihm blass ausgesehen.
 

„Kaiba-sama. Ich rede mit Ihnen! Dieses Seminar richtet sich an zukünftige Fach- und Führungskräfte aus Wirtschaftsunternehmen und auch wenn Sie bereits erfolgreich sind, so wird es Ihnen nicht schaden, wenigstens so zu tun, als würde Sie das Thema interessieren. Wenn Sie so mit Ihren Angestellten umgehen und Ihnen solche Blicke zuwerfen, wie Sie es gerade bei mir getan haben, kann ich mir nicht vorstellen, dass irgendjemand freiwillig mit Ihnen zusammen arbeiten möchte.“
 

„Sie sind ganz schön anmaßend, mich hier zu kritisieren. Wie ich meine Firma und meine Angestellten leite, ist meine Sache und ich denke nicht, dass ein Motivationscoach wie Sie, der sich nur mit der Theorie auseinandergesetzt hat, auch nur ansatzweise eine Ahnung vom echten Business hat. Nun, wenigstens haben Sie im Gegensatz zu ihrem Vorredner so etwas wie Mumm in den Knochen, wenigstens das muss ich Ihnen lassen.“ Kaiba grinste frech und lachte höhnisch auf.
 

„Ich verstehe nicht, warum Sie dieses Seminar besuchen. Sie schüchtern sämtliche Teilnehmer ein, verbreiten schlechte Laune und sind sogar so dreist dieses Seminar runter zu machen! Sie finden unsere Methoden schlecht? Dann gehen Sie doch!“
 

„Warten Sie!“, mischte sich Yuugi ein, bevor Kaiba noch mal ansetzen und eine weitere Diskussion mit dem Coach anfangen konnte. Dass Yuugi nun aufstand und sich für Kaiba einsetzte, verwunderte diesen.
 

„Ich weiß, dass Kaiba-kun einen echt fiesen Blick hat und er kann sich auch nicht so gut in andere Menschen einfühlen, aber er ist ein fähiger Geschäftsmann und jemand, der sich für seine Angestellten wirklich interessiert. Er ist nur wegen mir hier, weil ich mich allein nicht getraut habe!“
 

„Einfühlungsvermögen gehört zu den Grundkompetenzen einer Führungskraft. Jemand, der sich nicht in die Lage anderer Menschen versetzen kann, kann wohl kaum eine anständige Arbeitsatmosphäre schaffen, in der Menschen gerne arbeiten gehen, geschweige denn diese langfristig motivieren.“
 

„Also...“, brachte Yuugi hervor, warf einen abwartenden Blick auf Kaiba, der keinen Grund darin sah, sich weiter an dieser Konversation zu beteiligen und dabei keine Emotionen zeigte. Was Kaiba wohl gerade dachte? War er wütend, weil Yuugi sich eingemischt hatte oder interessierte ihn das alles nur einfach nicht? Trotzdem wollte Yuugi nicht, dass Kaiba seinetwegen in Schwierigkeiten geriet, also schüttelte er die negativen Gedanken ab und schenkte seine volle Aufmerksamkeit dem Coach, der bereits genervt von einem Fuß auf den anderen trat.
 

„Ich arbeite gern mit ihm zusammen! Er ist gar nicht so schlimm und fies und ich finde es nicht gerade nett, dass Sie ihn so bloßstellen.“
 

„Schon gut, Yuugi. Ich warte draußen und du machst bei den Übungen mit.“
 

Kaibas Worte waren harsch und er stapfte an allen Teilnehmern vorbei. Keiner wagte es, auch nur einen Mucks von sich zu geben. Erst als Kaiba den Raum verlassen hatte, begann das Getuschel. Yuugi fragte sich, warum Kaiba so reagiert hatte. Mokuba hatte erwähnt, dass Kaiba es nicht mochte, wenn man seine Führungsqualitäten kritisierte und versuchte, ihn von etwas zu überzeugen, das er nicht hören wollte. Der Coach hatte es hinterhältig ausgenutzt, dass Kaiba für einen Moment nicht aufgepasst hatte und stellte ihn als schlechten Menschen dar, obwohl dieser Kaiba gar nicht kannte.
 

Yuugi musste unweigerlich an seine Schulzeit denken. Er war nicht gerade der fleißigste Schüler und es kam häufiger vor, dass er bis spät in die Nacht an einem neuen Spiel saß, anstatt pünktlich ins Bett zu gehen. Am nächsten Morgen war er so müde, dass es ihm schwerfiel im Unterricht wach zu bleiben, doch er versuchte mit aller Kraft sich nichts anmerken zu lassen. Natürlich musste sein Lehrer ihn ausgerechnet an diesem Tag dran nehmen. Die Antwort auf die Aufgabe kannte er nicht und der Lehrer machte sich vor versammelter Mannschaft über ihn lustig. Den Rest des Tages war Yuugi so niedergeschlagen, dass ihn nicht mal der leckerste Burger in seiner Lieblings Fastfood Kette Burger World aufmunterte.
 

Er hatte sich die Worte seines Lehrers sehr zu Herzen genommen und akribisch darüber nachgedacht, was er falsch gemacht hatte. Die Folge war, dass er auch Tage später noch deprimiert war und sich im Unterricht zurückhielt, aus Angst eine falsche Antwort zu geben. Deshalb wollte er nicht, dass Kaiba genauso behandelt wurde und sich auch Vorwürfe machte, wenngleich Yuugi nicht glaubte, dass ausgerechnet der Firmenchef eines Milliardenschweren Unternehmens die Worte eines unbekannten Coachs an sich ran ließ. Wäre es so einfach gewesen, Kaibas Verhalten zu ändern und ihm beizubringen, dass er mehr auf die Menschen in seiner Umgebung achten musste, wäre die Beziehung zwischen ihm und Mokuba nicht so schlecht gewesen.
 

„Mutou-san. Was ist wichtig um Ihren Gegenüber von ihrer Meinung zu überzeugen?“
 

Yuugi errötete und schämte sich, weil er gedanklich ganz wo anders war.
 

„Vertrauen in sich selbst zu haben und in seiner Meinung bzw. dem Produkt, das man verkaufen will.“
 

Der Coach wirkte nicht zufrieden, was Yuugi verwunderte. War seine Antwort wirklich so schlecht? Immerhin hatte er die ganze Zeit aufgepasst, nur für einen Moment hatte er sich ablenken lassen, aber im Prinzip hatte er genug mitbekommen, um zu wissen, worum es gerade ging.
 

„Dieses Vertrauen ist wichtig, das stimmt. Doch Selbstvertrauen wächst nicht über Nacht. Selbstvertrauen bedeutet, dass man sich frei entfalten kann und die einem zustehenden Rechte in Anspruch nimmt, aber auch, dass man seinen Gegenüber respektiert. Es bedeutet auch, sich selbst in Kontrolle zu haben und hinter seinen Entschlüssen stehen zu können ohne hinterher ein schlechtes Gewissen zu haben.“
 

„Und wie kann ich es schaffen, dass ich nun selbstbewusster werde?“
 

„Mutou-san. Finden Sie sich selbst sexy?“
 

„W-was?“, stotterte Yuugi und fiel aus allen Wolken. Natürlich nicht! Aber er war auch nicht hässlich, andererseits war er aber auch nicht gerade das, was man als Norm bezeichnete. Sein Körper war viel zu klein, seine Beine zu schmal und sein Gesicht viel zu feminin und außerdem gab es sicher noch hunderte andere Dinge, die er jetzt hätte aufzählen können, wenn der Coach seine Gedanken nicht unterbrochen hätte.
 

„An erster Stelle fehlt es Menschen wie Ihnen nicht nur an Selbstvertrauen sondern auch an einem gesunden Selbstwertgefühl. Das kann viele Gründe haben, meist aber die Angst vor dem Versagen oder andere zu enttäuschen.“
 

Yuugi antwortete nicht und versuchte wieder auf klare Gedanken zu kommen.
 

„Ich möchte, dass Sie alle eine Liste machen von den Dingen, die Ihnen widerfahren sind und über die Sie bis heute nachdenken. Über all Ihre Fehler, Ihre Misserfolge und wo Sie falsche Entscheidungen getroffen haben. Diese schlechten Gedanken richten großen Schaden an, aber es ist wichtig, sich diesen zu stellen und daraufhin zu sehen, dass man nicht nur Schlechtes getan hat.“
 

„Sobald Sie dies getan haben, erstellen Sie eine weitere Liste, wo Sie die Dinge aufschreiben, die Sie an sich selbst mögen. Dinge, auf die Sie stolz sind und schöne Erfahrungen in Ihrem Leben, die Sie bereichert haben. Die erste Liste entsorgen Sie dann.“
 

„Warum sollen wir uns dann überhaupt die Mühe machen eine Liste zu machen, wenn wir sie eh wegwerfen sollen?!“
 

Yuugi horchte auf, als diese Frage von einem anderen Teilnehmer kam. Er kannte die Antwort schon. Es war ein Symbol dafür, dass man bereit war, seine Vergangenheit und seine Fehler hinter sich zu lassen.

Kapitel 15

Kaiba stand vor dem Besprechungsraum, die Arme verschränkt und der Blick gen Boden gerichtet. Noch nie hatte er sich so gehen lassen. Wieso war er auf eine solch kindische Provokation auch noch eingegangen? Dass dies nicht unbedingt ein gutes Licht auf ihn und seine Führungskompetenzen warf, konnte er nicht bestreiten. Sinn und Zweck des Seminars war es, Yuugi zu helfen, echte Führungsqualitäten aufzubauen und ein stärkeres Selbstbewusstsein zu erlangen, doch jetzt, wo er wie ein ungezogener Schüler aus dem Raum verwiesen wurde, fragte er sich, ob nicht er selbst dieses Seminar brauchte. Was war nur in ihn gefahren? Vermutlich lag es daran, dass der Coach so viel Müll geredet hatte. Von wegen, wie wichtig es wäre, die Gefühle seines Gegenübers in Betracht zu ziehen und Einfühlungsvermögen zu zeigen, damit man langfristig gemeinsam arbeiten konnte.
 

Er schnalzte mit der Zunge. Verdammt.
 

„Seto, ich will mich nicht in deine Arbeit einmischen, aber deine Angestellten haben echt Schiss vor dir!“, kam es vom Mokuba beim Abendessen. Kaiba legte seinen Löffel zur Seite und sah seinen jüngeren Bruder entgeistert an, ehe er laut seufzte und ihm Kontra gab.
 

„Wenn du dich nicht einmischen willst, dann lass es auch, Mokuba. Ich bin ein erwachsener Mann und weiß, was ich tue. Ich brauche niemanden, der mir ins Geschäft redet.“
 

Es kam selten vor, dass die beiden Brüder gemeinsam zu Abend aßen. Kaiba war enttäuscht, dass Mokuba dieses Thema ansprach. Sie hatten bereits in der Vergangenheit mehrmals darüber gesprochen und obwohl Kaiba sehr deutlich zeigte, dass er keinen Grund sah, seine Arbeit und seine Weise zu überdenken, sprach Mokuba immer wieder davon, wie wichtig und erfrischend Teamwork sei. Kaiba brauchte keinen Ratschlag von einem Kind, das keine Ahnung von der Welt hatte und nicht wusste, was es bedeutete, eine Firma dieser Größe anzuleiten. Er konnte sich keine Sentimentalität leisten, geschweige denn Rücksicht auf seine Mitarbeiter.
 

„Seto! Wieso musst du immer abblocken?!“, entgegnete der Jüngere, der nun ebenfalls seinen Löffel in seinen Teller zurückfallen ließ, sodass das Metall klirrte als es auf das Porzellan traf.
 

„Merkst du überhaupt, wie deine Angestellten von dir reden? Eiskönig nennen sie dich! Keiner arbeitet gerne mit dir zusammen und sie verstecken sich, wenn sie dich im Gang sehen. Sollte dir das nicht zu denken geben?“
 

„Warum? Ich bin nun mal jemand, vor dem man Respekt haben sollte. Umso besser wenn man mir aus dem Weg geht, im Gegensatz zu dir habe ich keine Zeit um über triviale Dinge wie das Wetter oder Freizeitaktivitäten zu plaudern.“
 

Mokubas Stuhl quietsche so laut, als er sich vom Tisch wegschob, dass selbst Seto kurz zusammenzuckte. Fragend sah er seinen jüngeren Bruder an, der mit den Zähnen knirschte und mit einer Hand eine Faust bildete. Seine Fingerknöchel wurden bereits weiß und es war ihm deutlich anzusehen, dass er mit sich selbst kämpfte, um bloß nicht überzureagieren und einen Fehler zu begehen, den er nicht mehr gutmachen konnte.
 

„Denkst du das wirklich? Dann macht es dir ja auch nichts aus, wenn ich dir aus dem Weg gehe. Für triviale Dinge hast du ja keine Zeit.“, wiederholte er und vermied es seinen Bruder anzusehen. Die Wut, die in ihm kochte, war wie ein wildes Inferno, das von nett gemeinten Worten nicht gelöscht werden konnte.
 

„Du weißt, dass ich das so nicht gemeint habe. Wieso verdrehst du mir meine Worte im Mund?“
 

Mokuba wollte über das Wetter reden. Darüber, wie herrlich und warm die Sonne im Frühling war. Wie schön die Kirschblüten im März! Wie erholsam ein Spaziergang im Inokashira Park oder wie lecker die mit Erbeeren gefüllten Daifuku vom Stand! Doch Kaiba kannte nur Arbeit. Zahlen. Daten. Auswertungen. Projekte. Kaiba fragte nie danach, was Mokuba vor hatte. Wie seine Schulnoten waren oder ob er Freunde in seiner Klasse gefunden hatte. Das alles interessierte ihn nicht. Alles nahm er nur hin.
 

Mokuba war nun 16 Jahre alt und hatte einige Klassen übersprungen, so dass er in nur wenigen Wochen seinen Schulabschluss erhalten würde. Bereits jetzt plante er, ein eigenes Spiel zu entwickeln. So wie Kaiba Duel Monsters liebte, so hatte auch Capsule Monsters einen besonderen Platz in seinem Herzen und so lag es nahe, dass er dieses Spiel wieder unter die Menschen bringen wollte. Ein ödes Brettspiel interessierte die Jugend von heute nicht. Die Digitalisierung schritt immer weiter voran. Nicht nur Domino sondern ganz Japan profitierte von der Technik, so waren selbst die einfachsten Verkaufsautomaten nicht mehr mit normalen Tasten ausgestattet, sondern mit höchst sensiblen Touchscreens.
 

Der Schwarzhaarige wusste, dass Capsule Monsters Potential hatte und dass sein Lieblingsspiel an neuer Beliebtheit gewinnen würde, wenn es ein digitales Pendant gab. Er hatte hunderte von Ideen und bereits jetzt einen groben Plan erarbeitet, der bereits erahnen ließ, wie unglaublich wichtig ihm das war. Doch Kaiba interessierte sich nicht dafür. Mokuba fühlte sich nicht gewürdigt. Ignoriert von dem Mann, der wie ein Vater für ihn war und doch sein leiblicher Bruder. Dass ausgerechnet die einzige Bezugsperson, die er hatte, ihn mit so viel Desinteresse strafte, schmerzte unheimlich.
 

Mokuba hatte deshalb viel öfter Kontakt mit Yuugi und dessen Freunden. Diese hörten ihm zu. Insbesondere Yuugi zeigte sehr viel Interesse an seinen Ideen und sie hatten sehr viel gemeinsam. Außerdem konnte er nach Herzenslust über seinen tollen Bruder lästern und seinen Frust auslassen, was Mokuba dabei half, wieder runterzukommen und sich zu beruhigen. Hätte er nicht mit Yuugi sprechen können, hätte er diese Villa vermutlich schon längst verlassen und seinem Bruder den Rücken gekehrt.
 

„Und wieso kannst du nicht einmal richtig zuhören? Ich will dir nur helfen, Nii-sama! Denkst du wirklich, dass ich dir schaden will? Du schließt mich aus. Nicht nur aus deiner Arbeit und der Firma, sondern auch aus deinem Leben. Ich habe genug! Wenn du mir nicht zuhören willst, mache ich eben meine eigene Abteilung und ich werde dir schon noch beweisen, was echtes Teamwork bedeutet!“
 

Kaiba stand nun auch auf. Ihm lagen hunderte Worte auf der Zunge und es gab unendlich vieles, was er ihm hätte sagen wollen und müssen, doch nichts davon kam über seine Lippen, stattdessen antwortete er ihm, so wie er es immer tat und genau so, wie Mokuba es erwartet hatte, mit einem monotonem 'Tu das', was Mokuba so sehr verärgerte, dass er den Raum verließ und sich zurückzog.
 

Tage vergingen in denen die beiden Brüder nicht miteinander sprachen. Kaiba stempelte dies als pubertäre Phase ab. Immerhin war Mokuba nun 16 Jahre alt und es war nur natürlich für Jugendliche ihre Grenzen zu testen. Sollte er seine Idee doch in die Tat umsetzen. Kaiba war sich sicher, dass Mokuba mit seinem Vorhaben scheitern würde und dann hilfesuchend bei ihm ankam. Letztendlich mangelte es ihm an Erfahrung und Führungskompetenzen. Mokuba hatte immer im Schatten seines Bruders gestanden und wirklich jede Entscheidung dessen unterstützt. Selbst seinen krankhaften Wahn das Millenniumspuzzle aus den Ruinen einer ägyptischen Tempelanlage zu bergen hatte er zugestimmt. Dass sie die Stadt Kul Elna und den unterirdischen Schrein der Unterwelt einmal mehr entweihten und den Verstorbenen keine Ruhe gönnten, hatte er akzeptiert.
 

Dass das alles andere als moralisch in Ordnung war, war Mokuba klar, aber er liebte seinen Bruder und hatte keine einzige seiner Entscheidungen kritisiert. Immerhin war Kaiba perfekt und genau das, was Mokuba auch mal sein wollte. Selbst seine Reise durch die Dimensionen, nur um Atem noch einmal herauszufordern, hatte er nie hinterfragt.
 

Egal, was Kaiba tat, er erhielt stets Zuspruch und Anerkennung von seinem Bruder. Nachdem Kaiba aus der Vergangenheit zurückgekehrt war, war dieser etwas freundlicher geworden. Er verhöhnte Yuugi nicht mehr und hatte ihn als seinen neuen Rivalen akzeptiert. Trotzdem hatte seine Einstellung sich nicht geändert und er hatte nie ein Wort darüber verloren, wie sein Duell gegen Atem ausging. Ob sie sich überhaupt duelliert hatten. Und Mokuba fragte auch nicht danach. Obwohl er es gerne gewusst hätte. Nicht nur er. Sondern auch Yuugi.
 

Nach seiner Rückkehr war Kaiba um so mehr erpicht darauf, seine Projekte zu beenden und er verfiel einem wahren Arbeitswahn. Diese Entwicklung war alles andere als gesund. Aber Mokuba hatte es hingenommen.
 

Doch er wurde älter, traf andere Menschen, die so viel liebenswerter und fürsorglicher waren als sein Bruder. Menschen, die nach seinem Wohlergehen fragten. Dinge, die Kaiba nicht tat. Allerhöchstens schenkte er Mokuba ein Lächeln – von dem er nicht mal sagen konnte, ob es echt oder nur gespielt war.
 

Mokuba hatte seine Pläne in die Tat umgesetzt und managte erfolgreich nicht nur seine eigene Abteilung, sondern auch andere. Die Angestellten, die unter Mokuba arbeiteten, liebten ihren Chef und kamen gern zur Arbeit.
 

Kaiba seufzte. Erschrocken riss er die Augen auf und wunderte sich, wie ein solches Geräusch über seine Lippen kommen konnte. Dieser Streit mit Mokuba hatte selbst bei ihm gewisse Spuren hinterlassen. Viel öfter als gewöhnlich dachte er über seine Vergangenheit nach und suchte nach dem Grund für Mokubas plötzliche Veränderung und diese harsche Abweisung. Eigentlich wusste Kaiba, dass er selbst der Auslöser war. Dass es seine eigene Schuld war. Der Gedanke, dies alles selbst verschuldet zu haben, machte ihn unsicher. Unsicherheit konnte er sich nicht leisten. Negative Gefühle wie diese zeichneten einen schwachen Menschen aus und er war alles andere als schwach. Kaiba Seto war stark und ein ernstzunehmender Gegner. Niemand, den man leichtfertig herausfordern sollte. Jemand, zu dem man aufsah und den man respektierte. Jemand, der tun und lassen konnte, was er wollte, ohne dass irgendjemand ihn zurechtwies.
 

Und trotzdem hatte er Angst. Während seiner Ausbildung zum Firmenchef unter Gozaburou hatte er gelernt, Gefühle unter Schluss zu halten. Gefühle bedeuteten Schwäche. Wer Gefühle zeigte, wurde von der Gesellschaft verschlungen. In der harten Welt war kein Platz für Brüderlichkeit, Freundschaft oder gar Gefühle.
 

Wer sich ausnutzen ließ, hatte selbst Schuld. Und weil er dies erkannt hatte, hatte er den Mut gehabt, seinen Retter in den Tod zu treiben. Er hatte rebelliert und seinen Willen durchgesetzt. Denn Kaiba wollte kein Opfer sein oder sich mit dieser Rolle zufriedengeben, nein, für ihn stand fest, dass er sich nicht länger mehr ausnutzen lassen würde. Kaiba hatte es genossen, als sich Gozaburou in den Tod stürzte und es berührte ihn nicht, dass der Mann, der ihn und seinen Bruder aus dem Waisenhaus geholt hatte, tot war und niemals wieder seinen Mund öffnen würde. Nein, sein Tod war seine wahre Rettung. Endlich war er frei und dennoch... fühlte er sich alles andere als frei.
 

Noch immer spürte er die eiskalten Hände des Mannes, den er über alles hasste auf seinen Schultern, die ihn runter drückten und versuchten, ihn in den Wahnsinn zu treiben. Worte, die ihn schlecht zuredeten und alles in Frage stellten, was er in seinem Leben erreicht hatte. Jedes Mal, wenn seine Alpträume ihn aus dem Schlaf rissen, setzte er sich neue Ziele und arbeitete noch härter, um nicht nur sich selbst, sondern auch der Welt zu beweisen, dass Kaiba Seto ein Name war, der niemals wieder vergessen werden würde und dass man sich nicht ungeschoren mit ihm anlegen konnte.
 

Und jetzt stand er hier. Er fühlte sich wie ein dummer Junge, der einen Streich gespielt hatte und deshalb vor die Tür gesetzt wurde. Dieser verdammte Coach! Der würde seine gerechte Strafe schon noch erhalten. Kaiba würde alles in die Wege leiten, um diesen Kerl zu feuern. Dass die Tür hinter ihm geöffnet wurde und die Teilnehmer aus dem Raum strömten, lenkte ihn von seinen Gedanken ab und er ermahnte sich selbst dazu, seine Fassung zu bewahren. Als Yuugi ihm entgegen kam, bemerkte Kaiba, dass dieser den Blick auf den Boden gerichtet hatte und niedergeschlagen wirkte.
 

»Irgendetwas beschäftigt ihn... aber das ist nicht mein Problem.«
 

Schweigend begaben sie sich auf den Rückweg. Yuugi frustrierte es, dass Kaiba kein einziges Wort verlor und so tat, als wäre nichts geschehen. Yuugi war enttäuscht. Nicht, weil Kaiba ihn nicht nach seinem Befinden fragte, sondern weil er das Ganze totschwieg und seinen eigenen Fehler unter den Teppich kehrte. Im Nachhinein fragte sich der angehende Spieleentwickler, warum er Kaiba verteidigt hatte, da der Coach ihn lediglich auf etwas hinwies, womit er Recht hatte. Kaiba schüchterte die anderen Teilnehmer ein.
 

All jene, die dieses Seminar besuchten, waren auf einem Weg, wo sie anderen Menschen Anweisungen geben und noch lernen mussten, wie man sich durchsetzte und worauf sie zu achten hatten. Kaiba war ein Firmenleiter und kein unbeschriebenes Blatt. Seine Erfolge waren weltweit bekannt und da war es nur natürlich, dass andere Menschen, die nicht so viel erreicht hatten, sich minderwertig neben diesem Mann fühlten. Doch Kaiba zeigte keine Anteilnahme. Nein, viel mehr zeigte er pure Ignoranz und hielt es nicht mal für nötig, dem Coach zuzuhören. Natürlich stellte man sich die Frage, warum er gekommen war.
 

Auch als sie in die Limousine stiegen, blieb es ruhig zwischen ihnen. Yuugi wollte reden. Er wollte Kaiba erzählen, was er über das Seminar dachte und was für Erfahrungen er daraus gewonnen hatte. Doch sein Gegenüber blockte ab. Gedankenversunken starrte Kaiba aus der Fensterscheibe. Er bewegte sich nicht einen einzigen Millimeter und für einen Moment glaubte Yuugi, dass Kaiba eine Statue sein musste. Yuugi tat es ihm gleich, sah aus dem Fenster, nicht weil er die Stadt sehen wollte, sondern um sich abzulenken. Seine Aufmerksamkeit wurde hin und wieder von einem Schild geweckt und er konzentrierte sich auf dieses, erwischte sich selbst dabei, wie er mit dem Blick hinterherging und seinen Kopf bewegte. Kaiba zeigte diese Art der Reaktion nicht.
 

Vielleicht hatte Kaiba doch Recht mit dem, was er gesagt hatte. Du weißt, dass ich schrecklich bin, hatte er ihm ins Gesicht gesagt ohne dabei eine Miene zu verziehen. Yuugi schüttelte den Gedanken ab. Nein, so wollte er nicht denken.
 

„Kaiba-kun.“, begann er mit fester Stimme und hoffte, dass dieser endlich reagierte.
 

„Was möchtest du?“, kam es eher mürrisch und nicht gerade offenherzig von dem Brünetten.
 

Yuugi konnte bereits jetzt sehen, dass dieser genervt war und keine Lust hatte, mit ihm zu reden. Vor allem nicht über das, was geschehen war.
 

„Der Coach gab uns eine Hausaufgabe.“, erklärte er dann, hoffend, dass Kaiba mehr Interesse zeigte.
 

„Schön für dich. Dann solltest du sie auch erledigen.“
 

„Ich schaffe das nicht allein. Ich brauche deine Hilfe.“
 

Kaiba stieß seinen Atem scharf aus, so dass Yuugi zusammenzuckte. Von einer Sekunde zur nächsten war die Atmosphäre so sehr angespannt, dass Yuugi es zutiefst bereute, überhaupt etwas gesagt zu haben. Doch er wollte nicht mehr zurückrudern, sondern dieses Gespräch weiterführen. Auch auf die Gefahr hin, hinterher noch niedergeschlagener zu sein. Selbst dann, wenn Kaiba ihn mit seinem fiesen Sarkasmus strafte und sich über ihn lustig machte.
 

„Yuugi, du musst lernen auf eigenen Füßen zu stehen. Versuch wenigstens diese Aufgabe selbst zu lösen, bevor du mich um Hilfe bittest.“
 

„Es handelt sich bei dieser Aufgabe um etwas, das ich allein unmöglich schaffen kann. Es würde mir wirklich helfen, wenn du mir deine Meinung dazu sagst.“
 

Kaiba hob eine Augenbraue, legte seinen Kopf schief und stimmte widerwillig ein.
 

„Ich soll meine positiven und negativen Eigenschaften auflisten und Dinge, die ich an mir mag beziehungsweise nicht mag. Doch mir fallen nur negative Dinge ein. Ich bin echt erbärmlich...“
 

Yuugi kratzte sich verlegen an der Wange und zwang sich zu einem breiten Grinsen.
 

„Yuugi, ich bin der falsche Ansprechpartner für so was. Frage doch deinen idiotischen Freund oder deine Familie. Die können dir sicher besser helfen als ich.“
 

„Daran habe ich auch gedacht... aber sie würden letztendlich doch nur Rücksicht auf mich nehmen. Und das hilft mir nicht weiter. Doch du kannst mich objektiv beurteilen, weil du mich nicht so gut kennst.“
 

„Yuugi.“ Kaibas Stimme war warnend.
 

„Wenn ich anfange dich zu kritisieren, sitzen wir bis nächste Woche hier und das wird dir auch nicht helfen.“
 

„Findest du denn, dass ich so schlimm bin?“
 

„Findest du nicht, dass ich der falsche Ansprechpartner bin? Wenn du über deine Gefühle reden musst, solltest du jemanden fragen, den du besser kennst und der Interesse an dieser Art von Konversation hat. Mit deiner Gefühlsduselei kommst du bei mir nicht weit.“
 

„Und genau deshalb bist du der Richtige. Du nimmst kein Blatt vorm Mund und bist schonungslos, selbst den Menschen gegenüber, die dich lieben.“
 

Kaiba sagte zwar nichts, Yuugi wusste instinktiv, dass er seinen wunden Punkt getroffen hatte.
 

„Mokuba sagte zu mir, dass du etwas zu ehrlich bist, wenn es darum geht, andere zu kritisieren.“
 

„Yuugi, hier geht es aber nicht um Mokuba. Sondern um dich und ich kann dir nicht helfen.“
 

„Warum denn nicht?!“ Yuugi wurde auf einmal laut, da er mit der Entwicklung des Gespräches unzufrieden war und es ihn außerordentlich störte, dass er bei Kaiba mal wieder auf taube Ohren stieß.
 

„Musst du immer alles hinterfragen? Kannst du nicht einmal akzeptieren, dass ich keinen Grund habe, dein Freund zu werden? Ich werde mich außerhalb der Arbeit weder mit dir als Person noch mit deinen Problemen auseinandersetzen. Ich habe ja wohl Besseres zu tun, als mich über deine inneren Konflikte und Komplexe zu kümmern. Wenn du einen Psychiater brauchst, bist du bei mir an der falschen Adresse, Yuugi.“
 

Yuugi starrte Kaiba an und ihm fiel wortwörtlich die Kinnlade in den Keller.
 

„Isono-san.“, sagte er dann. Dieser warf einen Blick in den Frontspiegel, um seinen Fahrgast genau sehen zu können. Seine schwarze Sonnenbrille glänzte auf. Isono versuchte krampfhaft, sich nicht in dieses Gespräch einzumischen, da er wusste, dass er nur ein Chauffeur war und keinerlei Recht hatte, sich in das Privatleben seines Chefs einzumischen. Er wollte nicht riskieren gefeuert zu werden.
 

„Halten Sie bitte den Wagen an. Ich laufe den Rest der Strecke zu Fuß.“
 

„Yuugi, komm schon. Das ist kindisch.“, äußerte sich Kaiba gewohnt spöttisch. Er rümpfte die Nase und er fühlte sich im Recht.
 

„Kaiba-kun. Auch wenn du mich nicht als Freund ansehen möchtest... Ich denke, dass du ein guter und wunderbarer Mensch bist, der seine Gefühle nicht zeigen kann. Mokuba und ich sind die einzigen, die noch hinter dir stehen. Vielleicht sollte nicht ich diese Liste erstellen, sondern du eine Liste über dich selbst. Vielleicht wird dir dann das Ausmaß deiner Fehler endlich mal bewusst. Du bist nicht Mister Perfect – auch wenn du es so gerne wärst.“
 

Isono hielt den Wagen endlich an. Der brummende Motor war das einzige Geräusch, das die plötzliche Stille unterbrach. Kaiba war angespannt und er fand, dass Yuugi sich kindisch verhielt. Dieser öffnete nur den Anschnallgurt und erhob sich langsam, legte seine Hand auf den Türgriff und warf noch einen letzten Blick über seine Schulter, ehe er erneut ansetzte.
 

„Du läufst vor deinen Problemen weg und denkst, dass du dieses Schauspiel aufrecht erhalten kannst, wenn du jeden von dir stößt. Mich täuscht du nicht. Und auch Mokuba nicht. Du brauchst dich nicht wundern, wenn du demnächst allein in deiner großen Luxusvilla bist. Irgendwann wirst du merken, dass ein seelenloser Titel kein wahres Glück bedeutet. Freundschaften und Familie kann man nicht kaufen.“
 

„Yuugi...!“ Kaiba wollte etwas sagen, aber er fand die richtigen Worte nicht. Yuugis Kritik traf ihn tiefer als er angenommen hatte.
 

„Warte einen Moment. Bis nach Domino sind es noch fast zehn Kilometer. Steig wieder ein.“, versuchte er Yuugi zum Bleiben zu bewegen.
 

Yuugi zeigte aber Rückgrat und öffnete die Tür der Limousine und stieg aus. Von diesem Entschluss konnte Kaiba ihn nicht mehr abbringen. Außerdem brauchte er jetzt dringend frische Luft und Abstand zu Kaiba, damit er sich nicht noch weiter in seine Wut auf diesen hineinsteigerte.
 

„Wir sehen uns demnächst. Überanstrenge dich nicht, Kaiba-kun.“
 

Yuugi setzte das liebenswerteste und schönste Lächeln auf, zu dem er fähig war. Diese Geste versetzte Kaiba einen Stich in der Brust. Obwohl Kaiba ihn heute mehr als einmal runter gemacht hatte und auf seinen Komplexen herumgeritten war und ihm fiese Vorwürfe an den Kopf warf, hatte Yuugi immer noch ein Lächeln für ihn übrig. Das Schließen der Tür hallte noch lange in seinen Ohren nach.

Kapitel 16

Yuugi entfernte sich von der Limousine. Früher hätte er vermutlich einfach nur angefangen zu weinen und sich tagelang selbst die Schuld gegeben, doch heute fühlte er sich sogar ziemlich gut, nachdem er Kaiba seine Meinung gesagt hatte. Dieser schien tatsächlich zugehört zu haben und zum ersten Mal hatte Yuugi das Gefühl, dass seine Worte Kaiba aufgerüttelt hatten. Vielleicht verstand Kaiba, was menschliche Bindungen bedeuteten, wenn er bemerkte, dass Mokuba nicht mehr da war. Kaiba würde dann verstehen, was er mit seinen Worten gemeint hatte.
 

Es tat ihm leid, dass er Kaiba nach diesen Vorwürfen zurückgelassen hatte und er fragte sich, was dieser nun tun würde. Wahrscheinlich würde er wieder so tun, als wäre nichts geschehen. Als wären diese Konflikte unwichtig. Wie lange würde der Firmenchef diese eiserne Maske noch tragen und wann würde er an dieser zerbrechen?
 

Obgleich er nicht gerade sportlich war, zog er einen langen Spaziergang nach Hause der unangenehmen Stille in Kaibas Anwesenheit vor. Womöglich lief er vor seinen Problemen weg. Er hatte eine feige Entscheidung getroffen und hatte den einfachen Weg gewählt. Er tat genau das, was Kaiba nicht ausstehen konnte. Dabei wollte Yuugi niemals wieder weglaufen. Er bereute nicht, was er Kaiba gesagt hatte, sondern nur die Tatsache, dass er einmal mehr davon lief, weil er sich dem Druck nicht gewachsen fühlte. Kaiba war aufgewühlt und Yuugi hatte ihm angesehen, dass er sich persönlich angegriffen fühlte. Ein Gespräch brachte nichts. Nicht, so lange sie diese hinderlichen Gefühle in sich trugen.
 

Ha. Kaiba hätte ihn vermutlich ausgelacht und ihn zurechtgewiesen, da er Kaiba mit Emotionen in einen Zusammenhang brachte, weil dieser selbst nicht wahrhaben wollte, dass er diese besaß und dass diese ihn weitaus mehr festhielten, als er jemals zugeben würde.
 

Mehrere Minuten vergingen. Er lief die belebten Straßen entlang und versuchte sich irgendwie zu orientieren, musste sich aber eingestehen, dass er diesen Stadtteil nicht kannte und wahrscheinlich noch länger umherirren würde, wenn er nicht den Mut aufbrachte, jemanden um den Weg zu fragen. Aber wen sollte er fragen? Hilflos sah er sich um. Den meisten Menschen war direkt anzusehen, dass sie nicht angesprochen werden wollten und Yuugi wollte diese nicht auch nicht stören und ihren Alltag unterbrechen.
 

»Ich muss aber um Hilfe bitten... reiß dich zusammen! Sieh es als Herausforderung. Wenn du das schaffst, bist du näher an deinem Ziel!«, sprach er sich selbst Mut zu und steuerte einen jungen Mann an, der ungefähr in seinem Alter war.
 

„Verzeihung. Ich störe ja nur ungern, aber ich möchte Sie gerne um den Weg fragen.“
 

Er sah den jungen Mann an und deutete eine kleine Verneigung an, um diesen davon zu überzeugen, dass er ihn nicht reinlegte und wirklich Hilfe benötigte.
 

„Bist das du... Yuugi-kun?!“
 

Der Mann trug einen schwarzen Anzug und eine lederne Aktentasche. Seine Rundbrille weckte Erinnerungen in Yuugi, trotzdem konnte er die Person nicht einordnen. Da war etwas, aber er konnte es nicht greifen. Der Mann war um einiges größer als er und Yuugi reichte ihm nur zur Schulter, so dass er zu diesem hinauf sehen musste.
 

„K-kennen wir uns etwa...?“, fragte er dann unsicher und schämte sich, dass er dies fragen musste.
 

„Erinnerst du dich nicht? Hm, na ja, kann ich dir auch nicht vorwerfen. Ist lange her und ich sehe ja auch ganz anders aus.“ Er lachte so herzlich, dass Yuugi sich plötzlich viel sicherer und irgendwie wohler in seiner Nähe fühlte. Auf einmal war die fremde Umgebung gar nicht mehr so wichtig und seine Furcht wie weggeblasen.
 

„Na, ich bin es Hanasaki. Hanasaki Tomoya. Wir waren in einer Klasse. Domino High.“
 

„DU bist Hanasaki-kun?!“
 

Der Blonde lachte nur amüsiert und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. Er konnte Yuugi nicht verübeln, dass er ihn nicht wieder erkannte. Es waren beinahe zehn Jahre vergangen seit ihrem letzten Treffen. Da war er gerade 15 gewesen und in die Oberschule gekommen. Damals war er selbst ein Feigling und wurde von seinen Klassenkameraden gemobbt. Er hatte nie Anschluss in der Schule gefunden und keine Freunde, weshalb er sich tagtäglich in seiner eigenen Welt verkroch und den amerikanischen Superhelden aus seinen Comicgeschichten dabei zusah, wie sie Abenteuer erlebten und ihre Ängste überwanden.
 

„Was machst du hier? Bist du wegen einem Turnier hier?“
 

Noch immer sah Yuugi ihn mit großen Rehaugen an, musterte den großgewachsenen Mann vor sich. Ungläubig schüttelte er den Kopf. Hanasaki war doch kleiner als er! Und noch schüchterner!
 

Das letzte Mal, dass sie sich gesehen hatten, war in der Schule, nachdem Kaiba sein grauenhaftes Death-T abgezogen hatte. Hanasaki hatte sich um seinen Großvater gekümmert und war keine Sekunde von dessen Seite gewichen. Die Erleichterung, als Hanasaki ihn anrief und ihm Entwarnung gab, konnte Yuugi bis heute nicht vergessen. Doch dann wechselte Hanasaki die Schule und durch die Suche nach Atems Erinnerungen, hatte der Kontakt zwischen ihnen so sehr gelitten, dass sie sich nicht mehr regelmäßig sehen konnten. Irgendwann hörten auch die Anrufe auf und sie gingen getrennte Wege.
 

„Was ist?“ Der Anzugträger hob verwundert eine Braue und räusperte sich, da Yuugi keinerlei Anstalten machte, auf seine Fragen zu antworten.
 

„Wenn du Zeit hast, können wir ja etwas trinken gehen.“, fügte er dann hinzu und hoffte darauf, dass Yuugi sein Angebot annahm.
 

„Sehr gerne.“ Yuugi strahlte. Auf einmal waren all seine negativen Gedanken verschwunden und er fühlte sich wie neugeboren.
 

Sie setzten sich in ein kleines Café und bestellten sich Süßspeisen und Getränke. Es erstaunte Yuugi, dass Hanasaki sich einen Espresso und einen fluffigen Käsekuchen orderte. Diese Zusammenstellung wirkte auf ihn so gegensätzlich und er fragte sich, ob der Geschmack eines Menschen sich veränderte, wenn er älter wurde. Espresso war bitter, belebend und man fühlte sich danach so, als hätte man einen Marathonlauf absolviert. Jounouchi trank auch gerne Kaffee. Yuugi mochte Kaffee zwar, aber er hatte lieber einen süßes Aroma dabei. Mocca mit Schokolade oder Cappuccino fand er lecker, jedoch nur, weil der herbe Kaffeegeschmack von der süßen Note verdeckt wurde.
 

Trotzdem nahm Yuugi eine heiße Schokolade mit Schlagsahne. Auf der Schlagsahne war ein Herz mit Kakaopulver gestreut worden. Liebe zum Detail war etwas Wunderbares. Der Maronenkuchen mit Schokolade war ein Traum.
 

„Dir scheint der Kuchen zu schmecken.“, kam es bereit grinsend von seinem Gegenüber.
 

„Das ist weitaus untertrieben... der ist phantastisch!“
 

„Dieses Café hat sehr viel zu bieten. Sicher nicht so grandios oder bekannt wie das Duel Café in Domino, aber die Kuchen hier sind ein Traum.“
 

„Das nächste Mal bringe ich Katsuya mit.“, erklärte Yuugi und griff nach seinem Löffel, häufte sich etwas von der Sahne auf und verschlang sie gierig.
 

„Es ist wirklich lange her und ich kann es immer noch nicht fassen, dass wir uns endlich wiedersehen. Du hast dich fast gar nicht verändert. Ich habe dich sofort wiedererkannt.“
 

„Dafür hast du dich umso mehr verändert. Du bist so groß geworden. Ich hätte dich nicht wiedererkannt, wenn du nichts gesagt hättest.“ Yuugi zeigte mit dem Löffel auf seinen Gegenüber.
 

„Es ist viel passiert...“, sagte Hanasaki beinahe entschuldigend.
 

„Darf ich dich etwas fragen?“ Yuugi senkte den Blick. Angesprochener nickte zustimmend.
 

„Warum hast du damals die Schule gewechselt?“
 

„Es war nicht deine Schuld, Yuugi-kun. Es ist sehr viel passiert und ich konnte damit einfach nicht umgehen. Ich habe mich selbst nicht mehr ertragen können. Du hast mir gezeigt, dass ich mich selbst ändern muss, wenn ich von anderen akzeptiert werden möchte und weil ich das in Domino nicht konnte, bin ich freiwillig gegangen.“
 

Yuugi atmete erleichtert aus. Dennoch fühlte er sich schuldig.
 

„Es tut mir bis heute so leid, dass du in alles hineingezogen worden bist. Du hattest sicher Angst und das nur meinetwegen.“
 

„Yuugi-kun. Du verstehst das völlig falsch. Du hast mich nicht fallen gelassen, obwohl ich so ein zurückgezogener Nerd war. Ich war mein Dasein als Hikikomori leid. Ich hatte genug davon, mich in meiner bunten Comicwelt zu verkriechen und von den leeren Versprechen, die ich mir und anderen gab. Ich sagte immer, dass ich mich ändern wollte und habe mich letztendlich doch wieder nur versteckt. Zombyre war mein Vorbild. Anstatt ihm nur nachzueifern und große Reden zu schwingen, wollte ich mich dazu zwingen, mich zu verändern.“
 

In Hanasakis Blick lag Zuversicht und einmal mehr staunte Yuugi darüber, wie sehr Kleidung einen Menschen verändern konnte. Der schwarze Businessanzug stand ihm unglaublich gut und ließ ihn aussehen, wie ein ernstzunehmender Gesprächspartner, den man auf keinen Fall unterschätzen sollte. Kleider machten Leute, so hieß es. Jetzt verstand Yuugi auch warum. Wollte Kaiba deswegen, dass er sich formeller kleidete? Rasch schüttelte er den Gedanken ab und versuchte nicht mehr an den Brünetten zu denken. Er hatte keine Lust mehr, sich mit diesem egoistischen und arroganten Firmenleiter zu beschäftigen! Zumindest heute nicht mehr.
 

„Ich dachte immer, du wärst gegangen, weil du nichts mehr mit mir zu tun haben wolltest. Als du dann nicht mehr angerufen hast und auch keine Briefe mehr kamen, war ich traurig, aber...“
 

»...ich hätte an deiner Stelle vielleicht genauso gehandelt. Hanasaki-kun... es ist meine Schuld, dass du so viel ertragen musstest.«, beendete Yuugi seinen Satz gedanklich.
 

„Ich hätte dir gegenüber offener sein müssen und dir die Wahrheit sagen müssen. Ich habe lange bereut, dass ich dir nicht Bescheid gegeben habe, wo du doch mein erster, richtiger Freund warst.“
 

Yuugi stockte der Atem und seine Augen wurden feucht. Die Freude einen alten Freund wiederzusehen und endlich Gewissheit zu haben, gab ihm neues Selbstvertrauen und er konnte all die Gefühle, die gerade in ihn tobten, nur schwer unter Kontrolle halten. Hanasaki sah ihn als seinen Freund und auch jetzt, Jahre später, war die Verbindung zwischen ihnen nicht verschwunden.
 

Hanasaki lachte. Seine warme, tiefe Stimme schenkte Yuugi Ruhe und er vergaß, was er bis eben gedacht hatte. Es brachte ihm nichts, sich selbst die Schuld zu geben. Außerdem war Hanasaki nicht seinetwegen gegangen. All die Jahre hatte er befürchtet, dass er ging, weil er Angst davor hatte, erneut in das Chaos rund ums Millenniumspuzzle gezogen zu werden. Auch Yuugi hatte sein Leben häufiger aufs Spiel gesetzt als es ihm lieb war.
 

„Also bin ich damals zu meinem Vater und habe ihn davon überzeugt, ausziehen zu dürfen. Ich bin auf eine andere Schule gegangen, habe neue Leute kennengelernt, studiert und arbeite jetzt in einem Manga Verlag, wo ich selbst Manga und Comics editiere. Ich bin froh, dass ich diesen Entschluss getroffen habe. Ich habe vieles verloren, aber dafür umso mehr an Erfahrungen gewonnen.“
 

Dadurch, dass er vollkommen auf sich selbst gestellt war, in einer fremden Stadt, konnte Hanasaki sich nicht mehr vor seinen Verpflichtungen drücken und musste die Konsequenzen für sein Handeln selbst tragen. Es gab niemanden, der sich schützend vor ihn gestellt hatte und diese harten Erfahrungen hatten ihn geprägt und gestärkt.
 

„Du bist toll, Hanasaki-kun. Ich lebe immer noch bei meinem Großvater und habe nichts erreicht. Aber du hast nie aufgegeben.“
 

„Und das habe ich allein dir zu verdanken.“
 

„Mir?“ In Yuugis Stimme lag Verwunderung. Was meinte er damit? Yuugi war ein Feigling, der andere für sich kämpfen ließ. Wann hatte er etwas getan, was Hanasaki geholfen hatte?
 

„Du hast damals für mich und meine Ehre gekämpft. Und das mehrmals. Da wusste ich bereits, was für ein großartiger und liebenswerter Mensch du bist und dass wahre Stärke nicht in Muskelkraft zu messen ist. Als du dich dann todesmutig gegen Kaiba entgegengestellt hast und seine Herausforderung zum Todesduell annahmst, obwohl du genau wusstest, was auf dem Spiel stand, habe ich deinen Mut bewundert.“
 

Yuugi errötete.
 

„Du hast mich inspiriert und ich habe mich dafür geschämt, so lange weggelaufen zu sein. Obwohl du so klein bist...“
 

Yuugi warf ihm einen finsteren Blick zu, doch Hanasaki ließ sich nicht einschüchtern und sprach einfach weiter.
 

„...hast du für das gekämpft, was dir wichtig war. Für deine Freunde. Deine Familie. Und da wurde mir klar, dass ich mich nicht länger verstecken darf, weil ich sonst für immer ein Feigling bleiben würde.“
 

Yuugi nippte an seinem Becher, um nichts sagen zu müssen. Mit seinem Getränk konnte er sich davor drücken, eine Antwort zu geben. Dass Hanasaki so von ihm dachte, hätte er im Leben nicht zu träumen gewagt. Er war es nicht gewohnt, so hoch gelobt zu werden. Einerseits fühlte es sich gut an, aber andererseits war es ihm unangenehm. Seine Wangen waren so gerötet, dass Hanasaki dies gesehen haben musste. Dennoch machte er sich nicht über ihn lustig.
 

„Haha, vermutlich denkst du jetzt, dass das verrückt ist, was?“
 

„Absolut nicht...“, murmelte Yuugi und stellte den Becher wieder ab, fokussierte seinen Gegenüber und sah ihm endlich direkt in die Augen.
 

„Ich bin froh, dass du mir das erzählt hast. Dass du etwas in deinem Leben erreicht hast und dass es dir gut geht. Die letzten Wochen habe ich oft an mir gezweifelt und mich gefragt, ob ich nicht einfach aufgeben sollte. Aber dank dir weiß ich jetzt wieder, dass ich kämpfen muss.“
 

Yuugi hatte immer um Anerkennung gekämpft. Er wollte nicht nur, dass sein Vater ihn als Sohn akzeptierte und ihn ehrlich ansah, sondern wollte er von seinen Klassenkameraden anerkannt werden. Aber er hatte nie etwas dafür getan. Er hatte sich hinter seiner Schüchternheit versteckt und die Rolle als Opfer akzeptiert. Es war einfacher, wenn man anderen die Schuld geben konnte. So konnte man immer die Position des schwachen, bemitleidenswerten Wesen einnehmen, das von anderen geschützt werden musste. Deshalb hatte er auch nie etwas dagegen gesagt, wenn Anzu ihm zur Hilfe kam.
 

Erst heute wurde ihm bewusst, dass er selbst Schuld war, dass er der Außenseiter in seiner Klasse war. Es lag nicht allein an seinen Interessen. Er hatte nur nie den Mut gehabt, sich selbst zu ändern und aus sich herauszukommen. Oder gar die Einladungen anderer anzunehmen. Obwohl er mehrmals von den Jungs seiner Klasse gefragt wurde, ob er nicht mitkommen wollte, um Basketball zu spielen, hatte er direkt abgelehnt, aus Angst zu versagen oder sich selbst und sein Team zu blamieren.
 

Erst die Begegnung mit Jounouchi hatte ihn aus dieser Spirale raus geholt. Mit Jounouchi an seiner Seite hatte er jemanden, der ihm den Rücken stärkte und immer für ihn da war. Es war nicht mehr schlimm, wenn er etwas Falsches tat oder etwas Dummes sagte, denn auch seine Ecken und Kanten wurden so angenommen, wie sie waren. Durch die Hilfe seines Freundes und dadurch, dass dieser nicht versuchte ihn zu ändern, konnte er sich selbst wieder mögen und vorangehen. Dank dem Pharao war er auch in der Lage, schwierige Situationen abzugeben und konnte so Konflikten aus dem Weg gehen und Atem zusehen, wie er diese Probleme meisterte.
 

Ohne Atem musste Yuugi selbst klarkommen. Und das wollte er auch. Er hatte genug davon, etwas zu spielen und Atem nachzueifern, damit Kaiba ihn akzeptierte, jetzt wurde ihm so richtig bewusst, dass er seinen dämlichen Selbstzweifeln und Komplexen nicht mehr zuhören durfte. Viel zu oft hatte er sich zurückgehalten und sich selbst runter gemacht. Dass Hanasaki ihm sagte, dass er sich ändern konnte, weil er mit Yuugi befreundet war, gab ihm neuen Mut und Kraft.
 

„Du bist ein toller Mensch, Yuugi-kun. Und du hast keinen Grund dich zu verstecken. Ich werde niemals vergessen, dass du mich vor dem Schläger Sozoji beschützt hast. Du hast dich für mich zusammenschlagen lassen und das ist für mich wahrer Mut.“
 

Yuugi senkte den Blick. Ja, an Sozoji erinnerte er sich. Auch an die Kopfschmerzen, die er dank dessen wunderbaren Musikvorstellung hatte. Sein Mundwinkel zuckte kurz. Er konnte sich nicht an alles erinnern. Aber er wusste, dass er Hanasaki vor diesem Kerl beschützt hatte, weil er diese Ungerechtigkeit nicht ertragen konnte. Körperlich war er ihm unterlegen, doch die Angst vor den Schmerzen war bei Weitem nicht so groß, wie die Angst davor, dass einem Menschen geschadet wurde. Lieber nahm er die Schmerzen selbst in Kauf. Dass Hanasaki verletzt werden konnte, hatte er nicht ertragen. Atem hatte danach übernommen, also erinnerte er sich an nichts anderes.
 

Nur daran, dass er einen Freund gewonnen hatte.
 

„Für mich ist Mutou Yuugi ein Held. Du kommst direkt nach Zombyre.“
 

Hanasaki zwinkerte.
 

„Was denn? Nur der zweite Platz? Da muss ich aber hart arbeiten, wenn ich auf Platz eins will, hm?“
 

„Ha! Den Platz musst du dir erst mal verdienen!“
 

Yuugi und Hanasaki holten in ihren Gesprächen sehr viel auf. Sie redeten über ihr Leben und ihre Entscheidungen. Am Abend brachte Hanasaki seinen neugewonnenen alten Freund zum Bahnhof. Mit seiner Handynummer und seiner Adresse ausgestattet, winkte Yuugi ihm noch lange hinterher, auch nachdem der Zug bereits abgefahren war. Menschen konnten sich verändern. Yuugis Entschluss auf eigenen Beinen zu stehen war nur noch stärker geworden und er war sich sicher, dass Kaiba sich ebenfalls verändern würde. Nicht in ein paar Tagen, aber die Zeit würde auf seiner Seite sein.
 

»Kaiba-kun. Ich vertraue dir und ich weiß, dass du dich selbst am meisten für deine Fehler hasst. Du musst einmal richtig hinfallen und von vorne anfangen, erst dann wirst du in der Lage sein, diese Fehler einzusehen und einen anderen Weg einzuschlagen.«
 

Sein Herz klopfte wild in seiner Brust. Eigentlich sollte er wütend auf Kaiba sein. Ihn anschreien. Ihm sagen, dass er ihn nicht mehr sehen wollte. Doch jeder Mensch hatte eine zweite Chance verdient. Auch Kaiba. Dass dieser bereits mehr als zwei Chancen gehabt hatte, ignorierte Yuugi gekonnt und hoffte umso mehr, dass dieser Mokubas Entschluss endlich ernst nahm und aufhörte, nur an sich selbst zu denken.
 

Plötzlich konnte Yuugi es kaum mehr abwarten, ihn wiederzusehen.

Kapitel 17

»Mokuba... warum antwortest du nicht?«, überlegte Kaiba und warf einen erneuten Blick auf den Bildschirm seines Smartphones. Es war bereits später Abend geworden und seit gestern hatte Mokuba weder seine Anrufe angenommen noch auf seine Nachrichten geantwortet. Mokuba war stur und ließ sich so schnell nicht von etwas abbringen, wenn er sich erst mal entschieden hatte, trotzdem kam es Kaiba komisch vor, dass er seine Nachrichten nicht einmal öffnete. Sämtliche Nachrichten waren als ungelesen markiert.
 

Beim Abendessen war er wieder allein. Der große Speisesaal war erfüllt von Leere. Das einzige, das er hörte, war er selbst, wie er mit seiner Gabel den Teller ankratzte. Diese Ruhe und diese Einsamkeit verschlechterten seine Stimmung umso mehr, weshalb er den Teller nicht mal halbleer aß und den Raum verließ. An seinen Bediensteten in seiner Villa lief er mit erhobenem Haupt vorbei. Er spürte, dass der Großteil dieser Leute ihn nicht respektierten, sondern fürchteten. Das wollte er nicht wahrhaben. Es interessierte ihn nicht. Auch das Tuscheln der Putzfrauen, die im ersten Stock den Boden fegten, interessierte ihn nicht.
 

Absolut nicht...
 

„Mokuba-sama soll Japan verlassen haben!“, drang die Stimme einer der beiden Damen zu ihm. Er blieb stehen. Sollte er die beiden direkt fragen und ihnen befehlen, ihm zu sagen, was es mit diesem Gerücht auf sich hatte? Obwohl er hätte fragen können, versteckte er sich und lauschte den beiden.
 

„Kein Wunder. Kaiba-sama ist unerträglich. Wie kann man mit dem zusammenleben? Da wird man doch verrückt. Mokuba-sama ist so liebenswert und nett.“
 

„Das stimmt, erst letztens hat er mich angesprochen und mich gefragt, wie es meiner Familie geht. Er ist alles andere als verwöhnt oder arrogant. Wäre er der Leiter der KC wären alle viel glücklicher.“
 

„Ja, Kaiba-sama... ist genauso wie der vorherige Firmenleiter. Ich habe echt Schiss vor ihm.“
 

„Ich auch... wäre die Bezahlung nicht so gut, hätte ich schon längst gekündigt...“
 

Schnellen Schrittes lief Kaiba den Gang entlang und nahm den Aufzug in den Keller. So ein Unsinn! Er sollte so sein wie sein Stiefvater?! Niemals! Auf keinen Fall. Das war doch alles nur Blödsinn. Wer konnte den Worten dieser Tratschtanten denn wirklich Glauben schenken? Die hatten keine Ahnung. Sie alle hatten keine Ahnung! Kaiba war stark.
 

Im Keller werkelte er normalerweise an seinen Dueldisks herum und er hatte sich einen eigenen großen Raum erstellt, wo er in Ruhe an seinen Geräten basteln konnte, ohne dass irgendjemand ihn störte. Der halbfertige neue Dueldisk lag auf dem Tisch. Schraubenzieher und andere Werkzeuge ebenfalls griffbereit und er hätte einfach nur anfangen müssen, um sein Werk zu beenden, doch das, was Yuugi ihm am Nachmittag sagte und das, was er gerade gehört hatte, ließ ihm einfach keine Ruhe.
 

„Vielleicht sollte nicht ich diese Liste erstellen, sondern du eine Liste über dich selbst. Vielleicht wird dir dann das Ausmaß deiner Fehler endlich mal bewusst.“
 

Er setzte sich auf seinen Bürostuhl und starrte den unfertigen Dueldisk an. Es handelte sich um eine Spezialanfertigung, die er für Yuugi entworfen hatte. Sie war in den Farben des Schwarzen Magiermädchens gehalten. Rosa und Blau. Das Design sollte sich deutlich von der handelsüblichen Ware abheben und ein Unikat werden. Yuugi war ein besonderer Duellant, also verdiente er auch besonderen Respekt und somit einen Dueldisk, der seinen Rang zur Schau stellte. Langsam fuhr er über die noch leicht kantigen Rundungen des Dueldisks. Sein Blick fiel auf die Kartenablegeflächen und ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen, da er an die Spannung ihres letzten Duells zurückdachte.
 

Kaiba war kurz davor gewesen, Yuugis Taktik zu durchschauen und ihn zu besiegen. Yuugi jedoch hatte sich eine fiese Fallenkarte aufgehoben, die er wortlos ablegte und keine Miene verzog. Er musste lange überlegen, ob Yuugi nur geblufft hatte und vielleicht nur eine unwichtige Zauberkarte gelegt hatte. Als er sich zum Angriff entschied, entpuppte sich die Karte als Konterfallenkarte, die im selben Augenblick aktiviert wurde, wenn der Gegner seinen Angriff deklarierte. Hätte er eine andere Strategie gewählt und diesen Angriff nicht gewählt, dann hätte er gewinnen können.
 

Dennoch hatte Yuugi gewonnen und ihm etwas gegeben, was er in seinem tristen Alltagsleben vermisst hatte: Abwechslung.
 

„Ja, Kaiba-sama... ist genauso wie der vorherige Firmenleiter. Ich habe echt Schiss vor ihm.“
 

„Scheiße...“, flüsterte Kaiba und rieb sich angestrengt sein Nasenbein. War er wirklich so unausstehlich wie sein Stiefvater? Empfand auch Mokuba dasselbe, wenn er ihn sah? In seinen Kopf spukten so viele Fragen und er konnte niemanden um Rat fragen. Besser gesagt: er wollte auch niemanden um Hilfe bitten. Dies wäre ein Zeichen von Schwäche gewesen und er wäre das Letzte gewesen, was er gewollt hätte, dass irgendjemand merkte, wie es in seiner Seele aussah. Yuugi aber blickte durch seine eiskalten blauen Augen direkt in seine Seele. Yuugi nahm ihn in Schutz. Er rechtfertigte Kaibas Worte selbst dann, wenn er in Unrecht war. Und das machte ihn rasend.
 

Allein die Tatsache, dass Yuugi glaubte, dass Kaiba Hilfe brauchte! Dass er sich anmaßte, zu glauben, ihn zu verstehen. Niemand konnte verstehen, womit Kaiba zu kämpfen hatte. Mokuba nicht. Und erst recht nicht jemand wie Yuugi, der selbst für seinen Peiniger ein Lächeln übrig hatte. Kaiba schnalzte mit der Zunge. Vielleicht litt Yuugi ja unter dem Stockholmer Syndrom und suchte deshalb die Nähe zu ihm? Erbärmlich. Wie konnte man jemanden verzeihen, der einen so sehr verletzte und selbst dann noch auf einem herumtrampelte, wenn man bereits am Boden lag?
 

Was hatte Yuugi dazu bewegt, ihm eine zweite Chance zu geben? Wieso glaubte dieser so verbissen an die Macht der Freundschaft? Atem hatte auch daran geglaubt. Und Atem war stark. Stärker als Kaiba. Der einzige Mann in der Geschichte der Menschheit, den Kaiba seiner ebenbürtig ansah. Mehr als das. Zu ihm blickte er auf.
 

»Atem... du hast mich gebeten, Yuugi als meinen Rivalen anzuerkennen und nicht mehr in der Vergangenheit zu leben und trotzdem... ich kann nicht vergessen.«
 

Kaiba schloss seine Augen. Er konnte nicht vergessen. Er wollte nicht vergessen. Er wollte niemals diese Demütigung, die er über sich ergehen lassen musste und die Hilflosigkeit, die er als Kind empfand, vergessen, da er befürchtete, dass skrupellose Menschen einmal mehr Kontrolle über ihn gewinnen würden und ihm einmal mehr das wegnahmen, was er am meisten brauchte. Kaiba war in keiner Position, in der er sich fallen lassen konnte oder gar den Eindruck erwecken, dass er Schwächen besaß. Die Welt, in die er Fuß gesetzt hatte, war erbarmungslos. Niemals wieder wollte er riskieren, dass man ihm Mokuba wegnahm und diesen quälte.
 

Wieder griff er nach seinem Smartphone und tippte hastig eine Nachricht, erwartete eine ebenso schnelle Antwort. Mokuba antwortete erneut nicht. Die Nachricht wurde auch nicht als 'gelesen' markiert. Mokuba war stur, aber nicht grausam. Es erstaunte Kaiba, dass sein eigener Bruder seine Nachrichten zu ignorieren schien. War das eine neue Phase? Oder hatte er Mokuba einmal zu viel von sich gestoßen?
 

„Du brauchst dich nicht wundern, wenn du demnächst allein in deiner großen Luxusvilla bist. Irgendwann wirst du merken, dass ein seelenloser Titel kein wahres Glück bedeutet. Freundschaften und Familie kann man nicht kaufen.“
 

Kaiba biss sich auf die Unterlippe. Beinahe leblos starrte er auf das Display seines Smartphones. Er wollte schreien, doch sein Stolz verbot ihm dies, also legte er das Smartphone beiseite und rieb sich seine Augen. Yuugi hatte Recht. Dass Mokuba ihn ignorierte tat weh. Dass Mokuba ihn aus seinem Leben ausschloss und scheinbar sogar das Land verlassen hatte, riss eine Lücke in sein Herz. Doch Kaiba wollte nicht nur herumsitzen und warten, dass sich etwas änderte. Er musste den Schatten bezwingen. Seinen eigenen und den seiner Vergangenheit, der ihn immer noch fest im Griff hatte und ihn kontrollierte.
 

Die Reise in die Vergangenheit und sein letztes Treffen mit Atem hatte ihm geholfen, wieder nach vorne zu sehen und neue Projekte in Angriff zu nehmen. Er hatte Atems Rat befolgt. Nur eine Woche war er in der Vergangenheit gewesen. Er hatte über Atem einiges erfahren, seine Rolle als Pharao und er hatte ihn als völlig anderen Menschen kennengelernt. Er war stolz, mutig und er hielt die Zügel selbst in der Hand. Das alte Ägypten hatte ihn nicht sonderlich interessiert, trotzdem hatte er Atem zugehört und seine Stadt mit ihm gemeinsam besucht. Die Menschen, die in der Stadt lebten waren anders. Sie liebten und verehrten ihren Herrscher. Sie sahen zu ihm auf. Er war der mächtigste Mann der Welt und niemand wagte es, sich mit ihm anzulegen.
 

Und Kaiba sah sich selbst in Atem wieder. Zumindest ein bisschen. Die Menschen in der Stadt, die sich vor ihm verneigten, liebten ihren Herrscher und huldigten ihm, jedoch war da eine gewisse Distanz zwischen ihnen. Sie respektierten ihn. Der Pharao Atem war jemand, der den Menschen half und mit seinen Bauten und seinen Ideen Wohlstand und Luxus brachte.
 

…………………………
 

„Wir nutzen ein Bewässerungssystem und teilen uns so das Wasser aus dem Nildelta ein. Kemet ist meine Heimat. Ich liebe dieses Land und das hier ist der Ort, an dem ich hingehöre. Ich liebe meine Familie. Nichts kann mir das wegnehmen, Kaiba.“, sagte Atem mit erhobenen Haupt. Seine Augen waren erfüllt von Stolz. Der dunkle Lidstrich betonte seine langen Wimpern und sein maskulines Gesicht.
 

Sein Blick lag auf dem Feld, das von einigen Bauern bewässert wurde. Die Arbeitsverteilung war klar und alles in diesem Land wirkte friedlich und harmonisch. Atem hatte mit seinem Geschick eine Zeit des Friedens gebracht und arbeitete hart daran, den Menschen in seinem Land mehr Luxus zu bringen und das Wissen, das er in seinen gemeinsamen Reisen mit Yuugi und seinen Freunden erworben hatte, half ihm dabei. Das goldene Getreidefeld wehte im Wind sanft hin und her.
 

„Ist dir dieses Leben nicht zu langweilig?“, wollte Kaiba wissen, immer noch in der Hoffnung, Atem davon überzeugen zu können, zurück in die reale Welt zu kommen. Er wollte Atem an seiner Seite haben. Er wollte, dass Atem in seiner Zeit lebte und dass sie sich duellieren konnten. Niemand anders brachte das Blut in seinen Adern so sehr in Wallung wie er. Doch Atem hatte nur den Kopf geschüttelt und ihn dazu aufgefordert ihm zu folgen. Atem zeigte ihm sein Land und erklärte Kaiba den Alltag. In seinen Worten schwang Begeisterung und wahre Landliebe mit. Er nannte Ägypten bei seinem alten Namen. Kemet. Sein Kemet. Ein Land der Götter.
 

„Es wäre eine Lüge, wenn ich sage, dass ich mein Leben mit Yuugi nicht vermisse... aber das hier ist mein Leben. Ich möchte etwas in meiner Zeit bewegen. Ich vermisse die Duelle und auch Yuugi. Nichts wünsche ich mir sehnlicher, dass Yuugi endlich auf eigenen Füßen steht.“
 

„Du glaubst, dass er das nicht schafft?“
 

„Kaiba.“, lachte Atem auf und drehte sich zu dem Mann neben ihn. Sie waren beinahe auf Augenhöhe. Atem war erwachsen geworden. Sein Körper keines von einem Kind mehr, sondern von einem ausgewachsenen Mann. Seine Arme und Beine waren muskulöser als Kaiba sie in Erinnerung hatte. Das harte Training als Pharao und die Arbeit in der Verwaltung hatte ihn stärker gemacht und Kaiba glaubte, dass Atem noch mehr Anmut und Erhabenheit ausstrahlte, als zuvor. Der Goldschmuck, der sein Gesicht umrahmte, ließ seine Augen heller strahlen als die Sonne.
 

„Ich habe mehrere Jahre mit Yuugi einen Körper geteilt. Ich weiß, dass Yuugi stark ist. Aber er zweifelt oft an sich. Er ist talentiert und mutig, redet sich aber selbst etwas anderes ein. Das macht mir Sorge. Ich liebe Yuugi. Er ist wie mein Bruder. Er ist mein Seelenverwandter und hat mir sehr viel beigebracht.“ Ein sanftes Lächeln umspielte seine Lippen.
 

„Und ich liebe auch dich, Kaiba.“ Atem machte eine Pause und wartete Kaibas Reaktion ab. Dieser riss die Augen auf und öffnete seinen Mund einen Spalt breit, suchte nach den richtigen Worten.
 

„Stört es dich, wenn ich dich beim Vornamen anspreche?“
 

Kaiba rang um Fassung und nickte nur. Wie konnte Atem dieses Wort mit seiner Persönlichkeit in Verbindung bringen? Nicht, dass Kaiba es sonderlich störte, dass der Mann, den er am meisten bewunderte, ihm so viel Respekt und freundschaftliche Gefühle entgegenbrachte, aber es fühlte sich eigenartig an. Er hatte den Weg in die Vergangenheit auf sich genommen. Es war unklar, ob er überhaupt zurückkehren konnte und trotzdem war es ihm wichtiger gewesen, ihn wiederzusehen als alles andere auf der Welt. Selbst seinen Bruder hatte er zurückgelassen.
 

„Seto, du bist mir wichtig. Durch dich konnte ich die Stärke und das Vertrauen gewinnen, das ich brauche, um mein geliebtes Kemet zu führen. Du bist mein Vorbild und meine Motivation. Ich möchte etwas mit meinen eigenen Händen erschaffen. Etwas für die Ewigkeit.“
 

„Dieser sentimentale Quatsch interessiert mich nicht, Atem. Ich...“
 

Kaiba senkte den Kopf, seine Hände ballte er zu Fäusten und er kämpfte damit, die nächsten Worte auszusprechen.
 

„...brauche dich! Du bist mein wahrer Rivale. Nur du gibst mir die Kraft, mich weiter zu entwickeln und wenn du nicht mehr da bist, dann habe ich keinen Grund nach Hause zurückzukehren.“
 

Er brauchte Atem. Seinen Mut. Seinen Stolz. Seine Erhabenheit und seine belehrenden Worte. Seine Lektionen über Freundschaft und Liebe, die er so sehr verabscheute und mit jeder Zelle seines Körpers verneinen wollte und vor allem diese tiefe Bindung, die sie über die Jahre hinweg aufgebaut hatten. Er wollte, dass Atem über ihn thronte und ihn verhöhnte. Er wollte sein belustigtes Lachen hören, wenn Atem das Blatt zu seinen Gunsten wandte. In diesem Land kannte Kaiba niemand. Die Menschen in dieser Stadt sahen nur einen Fremden, der komischerweise direkt neben dem Pharao stand und eigenartige Kleidung trug. Ein Mann mit heller Haut. Ein Mann, der eindeutig nicht von hier kam. Kaiba fürchtete nicht, dass die Menschen hier seine Schwäche ausnutzen konnten und er kämpfte darum, Atem davon zu überzeugen, mit ihm zurückzukehren.
 

Atem drehte sich um und seufzte schwer. Die Last, die er auf seinen Schultern trug, war deutlich zu sehen.
 

„Seto, du liebst deinen Bruder und du möchtest an der Gestaltung der Zukunft teilhaben. Und ich liebe meine Familie. Meine engsten Vertrauten. Meinen Berater. Meinen Cousin. Sie alle sind ein Teil von mir und ich bitte dich darum, dich in meine Situation einzufühlen. Du kannst dein Leben nicht hinter dich lassen und ich kann es auch nicht. Wir sind erwachsene Männer, mit unseren eigenen Träumen und Zielen. Sei nicht so egoistisch.“
 

Der Pharao verschränkte die Arme und warf Kaiba einen vorwurfsvollen Blick zu.
 

„Ich sagte dir, dass du niemals ein wahrer Duellant wirst, wenn du nicht deinen Zorn und deinen Hass überwindest und die Vergangenheit ruhen lässt. Stattdessen nimmst du es in Kauf, alles zu verlieren und sogar zu sterben, nur um mich wiederzusehen. Das ehrt mich, aber du läufst einmal mehr davon.“
 

„Wie bitte? Willst du sagen, ich sei ein Feigling?!“
 

„Genau das!“ Atems Blick wurde zornig. Sein Gegenüber wollte diese Wahrheit nicht hören.
 

„Anstatt dich deinen Problemen zu stellen, läufst du davon. Doch wenn du ein Mann bist, der Worten Taten folgen lässt, wirst du verstehen, was ich meine. Du musst dich deinen Ängsten stellen und sie nicht ignorieren. Ich kann dir dabei helfen, aber nur, wenn du es zulässt.“
 

Kaiba drehte sich um und stolperte unbeholfen durch das unebene Feld, versuchte sich dies aber nicht anmerken zu lassen. Atem schüttelte den Kopf. So langsam glaubte er, dass nicht Yuugi Hilfe brauchte, sondern Kaiba. Dieser war noch weniger in der Lage über seine Gefühle zu reden und seine Schwächen anzuerkennen als Yuugi. Seufzend wies er seinen Dienern an, ihm zu folgen und mit etwas Abstand näherten sie sich dem brünetten Firmenleiter, der stur dem Pfad folgte und in Richtung Stadt marschierte.
 

Dieser Starrsinn war unglaublich. Atem verdrehte genervt die Augen. Als sie sich der Stadt näherten und den Bezirk der Mittelschicht betraten, verneigten sich die Menschen auf den Straßen, begrüßten und huldigten ihrem Gott. Atem schenkte seinen Untertanen ein Lächeln. Neben den Lehmhäusern standen Tonkrüge und er hörte, wie ein Kind eines umwarf. Es weinte bitterlich, doch die Mutter und der Vater wagten nicht, sich zu erheben. Der junge Pharao näherte sich dem Kind und beugte sich zu ihm. Kaiba war stehengeblieben und warf einen verstohlenen Blick zu diesem Theaterstück, von dem er sich sicher war, dass es mehr als nur stümperhaft vorgeführt wurde. Ein absolut vorhersehbares Klischee. Kaiba rümpfte die Nase.
 

„Weine nicht, mein Kind!“, sagte er mit fürsorglicher Stimme und legte eine Hand behütend auf den Kopf des Kindes.
 

„Aber... der Inhalt war für das Fest gedacht! Die Götter werden mich bestrafen.“ Das Kind senkte den Kopf.
 

„Nein, das werden sie nicht. Auch die Götter machen Fehler und werden dein Missgeschick verzeihen. Ich, Pharao Ka-nechet-tut-mesut, Nefer-chepu-segerech-taui-se-hetep-netscheru-nebu, Wetes-chau-se-hetep-netscheru, Atem, verzeihe deinen Fehler und so auch die Götter.“
 

Das Kind wurde ruhiger und warf sich in den Sand, verneigte sich vor der Güte des Pharaos, der Frieden und Wohlstand brachte und die Götter zufriedenstellte und auf eine Weise ehrte, dass das das Zentrum der Welt – das heilige Land Kemet – fruchtbar wurde und Segen schenkte.
 

Kaiba zog verwundert eine Augenbraue hoch. Das, was Atem da von sich gegeben hatte, hatte er kaum verstanden. Es klang wie sinnlos aneinandergereihte Worte. Atem setzte den Weg zum Königspalast fort. Das Land erstrahlte in einem leuchtenden und warmen Gold und der Horizont färbte sich in ein warmes Rot. Die Gemälde an den Wänden der Palastmauern erleuchteten in endloser Schönheit und Kaiba erwischte sich dabei, wie er einen Moment innehielt und die wundersamen Bilder betrachtete und ihre Bedeutungen zu ergründen versuchte.
 

„Der Mann dort ist mein Vater Akhenamkhanen. In seiner Hand hält er das Millenniumspuzzle und am Boden sind die Feinde, die unseren Frieden einst bedrohten.“
 

„Hat er auch so einen unaussprechlichen Namen wie du?“ Kaiba grinste einfach nur frech, versuchte den Pharao, den König des Landes und den Sohn der Götter, verehrt von allem Leben, zu provozieren. Es machte ihm sichtbar Spaß Atem zu ärgern und er wartete darauf, dass dieser auf seine Worte einging und ebenfalls einen sarkastischen Spruch zurückgab. Er mochte es schon immer, dass Atem sich nie von ihm einschüchtern ließ und ihm stets die Stirn bot, doch so langsam machte sich in ihm das Gefühl breit, dass der Atem aus seiner Erinnerung und der Mann, der nur einige Meter von ihm entfernt stand, zwei verschiedene Menschen waren. Natürlich war Atem immer noch Atem, aber viel reifer und gefasster als früher. Er strahle noch mehr Dominanz und Stolz aus als zuvor.
 

„Das ist unhöflich, Seto. Aber nicht, dass du jemals auf die Gefühle anderer Rücksicht nehmen würdest.“, sagte er kopfschüttelnd und sie betraten den Palast, wo die zahllosen Wachen sofort Platz machten und ihren Herrscher begrüßten. Etwas enttäuscht darüber, dass Atem seine Provokation oder viel eher seine Form der Herausforderung einfach ignoriert hatte, überlegte er fieberhaft, wie er ihn zu einer Reaktion bringen könnte, die ihm selbst gefiel.
 

Kaiba ließ zu, dass Atem ihn überholte und folgte diesem nun. Die Technologie in seiner eigenen Zeit und die wissenschaftlichen Fortschritte waren ihm lieber als dieses zurückgebliebene und gar unhygienische Art zu leben und doch musste er zugeben, dass die Ägypter bereits sehr weit waren und eine faszinierende Zivilisation hatten. Sie waren gut organisiert und besaßen bereits ein weit ausgearbeitetes Rechtssystem. Und Atem war der Mittelpunkt von alledem.
 

In den heiligen Gemächern des Pharaos hatte niemand Zutritt, außer jenen, die Atem selbst einließ. Wie immer standen die Wachen auf ihren Positionen und verhinderten das Eintreten von ungebetenen Gästen und hatten ein wachsames Auge auf ihre Umgebung. Es war ungewohnt für den Firmenchef selbst unter Beobachtung zu stehen. Normalerweise war er es, der andere beobachtete und abwägte, wer eine Gefahr war und wer nicht.
 

Kaiba hatte die letzten Tage hier in diesem Raum mit Atem Zeit verbracht. Dieser hatte seiner Revanche immer noch nicht zugesagt und erklärte, dass das Duell in dieser Zeit eine ganz andere Bedeutung hatte. Außerdem besaß er sein Deck hier nicht und hatte andere Dinge im Kopf. Atem hatte sehr viele Ausreden parat und das nervte Kaiba. Er wollte Atem schlagen. Das einzige, was er wollte, war, dass Atem ihn ansah und ihn als wahren Rivalen akzeptierte. Kaiba wollte ein wahrer Duellant sein und nicht mehr im Schatten seiner Vergangenheit stehen. Er wollte über seinen Ängsten thronen und das konnte er nicht, wenn er Atem nicht besiegte. Er brauchte diesen Abschluss, um endlich wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Doch der großartige Pharao lenkte vom Thema ab und tat so, als ginge ihn das Ganze nichts an.
 

„Mein Name ist immer noch Atem, aber jeder Pharao trägt fünf Namen. Den Horusnamen, den Nebtinamen, den Goldnamen und den Thronnamen. All diese -“ Kaiba unterbrach ihn forsch.
 

„Das ist mir egal. Ich möchte mich gegen dich duellieren. Ich habe alle möglichen Karten mitgebracht und sogar einen Dueldisk für dich und trotzdem weigerst du dich, mir diese eine Bitte zu erfüllen. Warum?“
 

„Bist du nur wegen dem Duell hier?“
 

„Wegen dir und das weißt du ganz genau.“
 

„Na, wenn du schon mal hier bist, kann es doch nicht schaden, wenn ich dir etwas über Kemet beibringe und wir uns etwas besser kennenlernen, oder? Kommt doch nicht jeden Tag vor, dass man in die Vergangenheit reist.“
 

Atem grinste frech und setzte sich an den Tisch inmitten des Raumes und schien darauf zu warten, dass Kaiba es ihm gleich tat. Mit jeder Bewegung, die Atem machte, klirrte der Goldschmuck an seinen Ohren und wenn er den Kopf neigte, glänzten seine Ohrringe und seine Krone auf, so, als wollten sie Kaiba signalisieren, dass es für ihn keinen Weg gab, diese Hürde zu überwinden. Würde Atem für immer über ihn stehen und eine unüberwindbare Mauer werden?
 

„Ich bin nicht hier, um mich mit dir anzufreunden, Atem. Ich will eine Revanche. Sobald ich mein Ziel erreicht habe, verschwinde ich von hier.“
 

„Und das war's dann? Dann schließt du das Kapitel ab und tust so, als hätte es mich nicht gegeben?“
 

„Das war so nicht gemeint.“, murrte er und verschränkte die Arme, setzte sich schließlich doch zu ihm.
 

„Wie dann? Wie kommst du überhaupt auf die Idee, dass du mich schlagen könntest? Was tust du, wenn du verlierst?“
 

„Das wird nicht passieren.“ Kaiba war zuversichtlich und von sich selbst überzeugt.
 

„Das hast du jedes Mal gesagt. Ich fürchte, dass ein Duell dir nicht dabei helfen wird, deine Probleme zu bewältigen und das weißt du. Denkst du wirklich, dass wenn du mich schlägst, du deine Vergangenheit ruhen lassen kannst? Dass du endlich Frieden findest?“
 

„Ja, das denke ich. Wenn ich an der Spitze stehe, gibt es niemanden mehr, der sich mit mir anlegen wird.“ Er senkte den Kopf und für den Brünetten war das Thema endgültig abgehackt, doch für Atem war klar, dass er sich selbst belog und einfach nur nicht einsehen konnte, dass er seine Vergangenheit nicht mit dem Sieg eines Kartenspiels überwinden konnte. Er brauchte Hilfe von außen und Menschen, die für ihn da waren.
 

Atem wusste genau, dass Kaiba die Vergangenheit zerstören wollte, weil er sie nicht ertrug. Und ihm ging es da ähnlich. Als Atem in seine Zeit zurückkehrte, kehrten auch sämtliche Erinnerungen zurück und er musste sich mit seinen eigenen Fehlern und seiner früheren Kaltherzigkeit auseinandersetzen. Er hatte vieles getan, was er heute zutiefst bereute und er hatte entschlossen, dass er all das gut machen würde und von nun an ein Pharao sein würde, der mit seiner Liebe fürs Volk glänzte und nicht die Probleme seiner Untertanen ignorierte und sein Heil in der Flucht suchte und sich von der Welt abschottete. Atem war gerade mal 14 als er den Thron bestieg. Zu jung, um alles zu verstehen oder gar richtig zu regieren.
 

Atems Vater Akhenamkhanen war ein friedliebender Mann, der seinen Untertanen stets zuhörte und er ignorierte die Gefahr der Hethiter und der immer mehr zunehmenden Kriminalität. Sein Berater Akunadin riet ihm zum Gegenschlag, um so seine Macht zu demonstrieren und die Hethiter endgültig zurückzudrängen und der Welt einmal mehr zu zeigen, dass niemand sich mit Kemet anlegen konnte, da sie von den Göttern selbst und dem Sohn der Götter, dem allwissenden Pharao, geschützt wurden. Akhenamkhanen verweigerte den Rückschlag und so kam es, dass die feindlichen Truppen immer weiter ins Land vordrangen und die äußeren Vasallenstaaten und die Bürger terrorisierten. Chaos brach aus und eine Katastrophe jagte die nächste.
 

Er war zwar noch ein Kind, doch die Fehler seines Vaters, der die Bedrohung von außen nicht wahrgenommen hatte und stattdessen mit einem sanftmütigen Lächeln regierte, machten ihm klar, dass er, sobald er selbst den Thorn bestieg, diese niemals wiederholen durfte. Atem wurde zurückhaltender und konzentrierte sich auf sein Training und seinen Unterricht. Die Spannungen in Kemet und vor allem vor den Palastmauern wurde mit jeden Tag schwerer zu ignorieren und so kam es, dass ein Krieg ausbrach.
 

Akhenamkhanen hatte die Gefahr wissentlich ignoriert und die Feinde so weit ins Land eindringen lassen, dass es keine andere Möglichkeit mehr gab, als die Schwarze Macht des Millenniumbuches um Rat zu fragen. Er überließ diese Aufgabe seinem Berater Akunadin, welcher ihm die Wahrheit verschwieg und die Gräuel hinter den Millenniumsgegenständen nicht erwähnte. Doch den anderen Hütern war klar, dass für eine solche Macht auch große Opfer gebracht werden mussten. Sie schlugen die Feinde zurück und die Hethiter wagten es nicht mehr, sich noch einmal gegen die Großmacht von Kemet und gegen ihre Götter aufzulehnen. Zwei Jahre hatte er Krieg gedauert und viele Leben gekostet.
 

Der Preis war hoch. Durch die Unachtsamkeit des Pharaos hatten viele Menschen ihr Leben verloren. Seine Güte brachte Trauer. Seine Friedfertigkeit brachte Hass. Und so kam es, dass das Land sich spaltete und insbesondere die Menschen in den Außenbezirken darunter litten und sie ihren Frust in Arbeits- und Steuerverweigerung zum Ausdruck brachten. Als Akhenamkhanen die Wahrheit hinter der Erschaffung der Milleniumsgegenstände erfuhr, wurde er krank. Er hielt den Druck nicht aus. Sein Herz wurde schwer und Atem entschloss, dass er die Fehler seines Vaters nicht wiederholen würde. Er wurde kaltherzig und bestrafte jedes kleinste Verbrechen, um so jegliche Form von Kriminalität im Keim zu ersticken.
 

Seine strenge Herrschaft brachte wieder Frieden und das Chaos, das Kemet in Griff gehabt hatte, verschwand. Der normale Alltag kehrte ein, doch Atem spürte genau wie sein Vater zuvor den Druck, der auf seinen Schultern lastete und die Angst davor, Fehler zu machen. Er zeigte pures Selbstvertrauen und schützte sich vor anderen und ihren harten Worten, indem er sich einigelte und niemanden vertraute.
 

Atem hatte in seiner Regentschaft viele Fehler gemacht. Fehler, die er damals als richtig angesehen hatte. Für ihn war es vollkommen normal, auch kleine Verbrechen zu bestrafen, um so ein Exempel zu statuieren und den Menschen, seinem geliebten Volk, klarzumachen, dass es sie ihren Kopf kosten würde, wenn sie absichtlich Ärger machten. Auch in Yuugis Zeit hatte er kleine Verbrecher bestraft, sie mit Illusionen gequält und diese Grausamkeiten nie hinterfragt.
 

Doch nun war er anders. Er hatte sich geändert und hatte Yuugis liebenswerte Art auf sich abfärben lassen. Und er war sich sicher, dass auch ein kaltblütiger Mann wie Kaiba, der für seine Ziele bereit war, über Leichen zu gehen, sich ändern konnte, denn Atem war er einzige, der in seine Seele blicken konnte. Atem sah sein früheres Ich in Kaiba. Ein Mann, der in eine Rolle gedrängt wurde, die er selbst nicht gewählt hatte. Ein Mann, der in seinem Herzen noch ein Kind war und sich nach Liebe und Aufmerksamkeit sehnte. Nach Frieden. Harmonie und Glück.
 

Kaiba saß ihm schweigend gegenüber. Wie immer hatte er die Arme verschränkt und ein Bein über das andere geworfen. Sein weißer Mantel berührte den Boden. Ob es Kaiba nicht viel zu warm in diesem Aufzug war? Von Anfang an, seit er hier angekommen war, hatte es Kaiba abgelehnt, sich auszuziehen. Lieber ertrug er die Hitze, als sich eine Blöße zu geben.
 

„Ich möchte dir morgen das Nildelta zeigen.“
 

„Atem, zum wiederholten Male: Ich bin nicht als Tourist hier! Deine Sightseeingtour kannst du gerne machen, aber ohne mich.“
 

„Wieso musst du immer nur so gemein sein? Kannst du nicht wenigstens mal versuchen nett zu sein?“ Atem hob eine Augenbraue.
 

„Oh, ich bin immer noch ausgesprochen freundlich. Es wäre kein Problem für mich, dich im Schlaf zu entführen und zurück nach Domino zu bringen. Du weißt, dass ich ein skrupelloser Kerl bin und dass ich so etwas durchaus tun würde.“
 

„Und trotzdem sitzt du jetzt hier mit mir.“
 

Wieder dieses provokante Grinsen. Kaiba verlor so langsam die Geduld und obwohl er ihn anschreien sollte, die Flucht suchen wollte, brachte er es nicht übers Herz, zu gehen. Eigentlich war er glücklich, dass er Atem gesund und munter wiedersehen konnte und seine Anwesenheit gab ihm ein Gefühl von Ruhe. Ein Gefühl, das er schon lange nicht mehr empfunden hatte.
 

„Du könntest ja bei mir bleiben.“
 

„Du spinnst wohl! Hier gibt es ja nicht mal Elektrizität. Ich wäre wahnsinnig hier freiwillig bleiben zu wollen. Außerdem wartet mein Bruder auf mich.“
 

„Dann verstehst du sicher auch, warum ich nicht mit dir kommen kann.“
 

Kaiba verstand sehr wohl und weil er so gut nachvollziehen konnte, warum Atem sich weigerte, in ihre Zeitperiode zurückzukehren, frustrierte es ihn umso mehr. Er hatte nicht viel Zeit. Er konnte nicht für immer hier bleiben und der Gedanke, dass er Atem einmal mehr verlieren würde und nie wieder sich mit diesem messen konnte, machte ihm Angst.
 

Wer sonst würde ihm dieses Gefühl geben, das er brauchte, um weiter zu machen?
 

Fortsetzung folgt...

Kapitel 18

Am nächsten Morgen ließ sich Kaiba tatsächlich zum Nildelta schleppen. Begeistert war er nicht. Er wollte nur ein einziges Duell und endlich einen Sieg erringen. Doch Atem ging auf seine Forderung nicht ein. Selbst am Abend zuvor hatte er ständig vom Thema abgelenkt. Auf den kleinen Papyrusbooten überquerten sie den Nil. Das frische Grün um das Wasser herum war Heimat von vielen Tieren und er sah, dass einige Männer und Frauen dabei waren, Fische aus dem Wasser zu ziehen. Obwohl sie ziemlich mittig des Nils entlang fuhren, konnte er die lauten und fröhlichen Stimmen vom Ufer hören und auch Atems klare Stimme passte sich perfekt der harmonischen Umgebung an. Die Diener des Pharaos wedelten ihnen mit großen Palmenfächern frischen Wind zu, während andere in Seelenruhe das Boot steuerten. Keiner von ihnen mischte sich in ihr Gespräch ein, sie bewahrten Abstand zwischen ihrem Pharao und seinem Gast, doch ihre wachenden Blicke waren deutlich spürbar.
 

Lange hätten sie für diesen Frieden gekämpft. All jene, die in Kemet lebten, waren stolz auf ihre Arbeit und der Nil ihnen heilig. Kaiba wollte das alles nicht hören und trotzdem lauschte er aufmerksam Atems Worten, staunte über dessen Begeisterung, wenn über die Wassergöttin Satis sprach, die ihnen das reine Wasser schenkte und dass sie ihr zu Ehren einen Tempel auf der Insel Elephanthine gebaut hätten. Er schwärmte von den Festen und dem guten Wein.
 

Für Kaiba gab es keine Götter. Menschen erfanden Religionen nur, um sich die Natur und Ereignisse erklären zu können, von denen sie nicht wussten, was diese auslöste, da ihnen damals die Mittel fehlten. Aber er wagte es nicht, seinen Rivalen bei seiner Rede zu unterbrechen oder ihm gar seine Meinung aufdrücken zu wollen. Er respektierte, dass Atem an andere Dinge glaubte und die Welt mit ganz anderen Augen sah als er. Vielleicht war es genau das, was ihn so sehr an diesem Mann faszinierte. Er hatte eine völlig andere Perspektive als Kaiba und war ihm dennoch immer einen Schritt voraus.
 

„Der Nil ist ein Segen für uns und uns allen heilig.“, beendete Atem seine Lektion übers Alte Ägypten und drehte sich zu dem Brünetten, schien eine Reaktion zu erwarten.
 

„Das ist schön... für euch.“, murrte dieser und drehte den Kopf rasch weg, um den Blicken seines Gegenübers auszuweichen. Er ließ sich seine Gedanken nicht ansehen. Kaiba wusste nicht, was er davon halten sollte. Er war nicht hier, um etwas über Atems Welt zu erfahren. Er war nur wegen ihm hier. Alles andere interessierte ihn nicht. Obgleich er sich dies immer wieder ins Gedächtnis rief, bemerkte er selbst immer wieder, dass er irgendwann anfing, seinem ehemaligen Rivalen mit Interesse zuzuhören und sich tatsächlich die riesigen Bauten anzusehen und über die Worte, die er so sehr versuchte abzublocken, nachzudenken.
 

Atem war entflammt und seine Worte so voller Inbrunst und Freude, dass Kaiba es nicht wagte, ihn zu unterbrechen. Seine Augen strahlten wie die eines kleinen Kindes, wenn er über den Bau der Pyramiden erzählte oder dass sein Berater Shimon, der wie ein Großvater für ihn war, sich etwas ganz Tolles für sein eigenes Grab hatte einfallen lassen. Er gestikulierte wild umher und lachte viel. Dass der einst so stolze und erhabene Duellant so anders sein konnte, so fröhlich und ausgelassen, so voller Leidenschaft, gab Kaiba etwas zu denken.
 

„Was ist? Seto, du starrst mich an. Ich weiß ja, dass ich gut aussehe, aber ich habe langsam das Gefühl, dass ich hier einen endlosen Monolog halte.“
 

Der Pharao grinste, verschränkte die Arme und er forderte Kaiba zu einem verbalen Gefecht heraus.
 

„Ich finde nur, dass das Make-up dich wie eine Frau aussehen lässt. Fehlt nur noch Lippenstift.“
 

Kaiba erwiderte Atems Grinsen. Er wollte, dass Atem ihn verhöhnte, so, wie er es früher immer getan hatte. Doch Atem war so unglaublich freundlich und zuvorkommend, dass Kaiba schon schlecht wurde. Zwar war diese neue Art von ihm auch durchaus interessant, aber Kaiba hatte das Gefühl, dass Atem seine Herausforderungen nicht wirklich annahm. Nicht so wie früher. Er vermisste es, sich nicht nur in einem Spiel sondern sich auch mit Worten mit einem ebenbürtigen Gegner zu messen. Atem war wortgewandt, klug und vor allem ließ er sich nicht von Kaiba einschüchtern und erwiderte seinen Sarkasmus, ohne sich tatsächlich angegriffen zu fühlen.
 

Kaiba wollte sich mit ihm messen, in jeder Hinsicht und das Gefühl spüren, dass es Menschen gab, die mit seinem Intellekt mithalten konnten. Und Atem war bisher der einzige, der ihm dieses Gefühl geben konnte.
 

„Sehr witzig...“ Atem verdrehte genervt die Augen und blies die Backen auf, um so seinen Ärger Luft zu machen.
 

„Du weißt, dass mich die Vergangenheit nicht interessiert und trotzdem schwärmst du von ihr und schleppst mich hierher. Auch wenn du noch so schöne Reden schwingst, ändert es nichts daran, dass ich eine Revanche will.“
 

Atem legte den Kopf leicht schief, so dass sein Goldschmuck leise klimperte und betrachtete Kaiba ganz genau.
 

„Du wirst deine Revanche kriegen. Keine Sorge.“
 

Kaiba wurde hellhörig, sein Blick erhellte sich und er schien sich bereits jetzt bereit für das bevorstehende Duell zu machen.
 

„Aber nicht jetzt. Nicht heute.“
 

„Atem!“, zischte er wütend und stand auf von seinem Platz und kam dem Pharao plötzlich näher. In seinen Augen war Zorn zu erkennen. Atem schien es zu genießen, ihn so hinzuhalten, was Kaiba so ärgerte, dass sein wahres Ich, das ungeduldige Kind, zum Vorschein kam und er die Fassade der Unnahbarkeit bröckelte. Kaiba offenbarte sich selbst und Atem schien genau das zu wollen. Die Diener ließen ihre Palmenfächer auf der Stelle fallen und stellten sich schützend vor ihren König.
 

„Wie kannst du es wagen, unseren Pharao zu bedrohen? Du bist nichts weiter als ein Gast!“, meinte einer der Männer und ging in eine Kampfhaltung über und machten dem Firmenchef klar, dass es niemand wagen durfte, sich mit dem Pharao anzulegen.
 

In ihren Blicken lag Wut und Abscheu. Sie waren bereit für ihren König in den Kampf zu ziehen und zu sterben. Atem hob die Hand und wies seine Diener an, sich zurückzuziehen. Noch immer raste Kaibas Herz vor dem Schrecken, aber er ließ sich nichts ansehen. Die Loyalität dieser Männer ihrem Pharao gegenüber war so rein und tief, dass vermutlich keine Bestechung der Welt etwas an ihrer Entschlossenheit ändern konnte. Dabei war es so einfach, die Meinungen von Menschen mit Geld und Wertgegenständen zu ändern und sie auf die eigene Seite zu ziehen. Diese bedingungslose Loyalität ihrem Pharao gegenüber konnte und wollte Kaiba nicht verstehen. Geld regierte die Welt, das hatte er gelernt und so oft in seinem Leben selbst erfahren.
 

„Seto, ich war sehr lang in eurer Zeit. Nicht, weil ich es wollte, sondern weil ich ein Gefangener war. Endlich bin ich zuhause und ich möchte, dass du verstehst, warum ich nicht zurückkommen kann und warum mir Kemet so am Herzen liegt. Ich bin ein Duellant, aber auch ein Mann mit Verantwortungen und Pflichten. Schadet es dir denn, wenn du mich, mein Leben und mein Land näher kennenlernst?“
 

Kaiba setzte sich wieder hin, starrte den Boden des Papyrusbootes an. Die einzelnen Halme waren sorgsam zusammengebunden und kein bisschen Wasser drang hinein. Er konnte gut erkennen, dass es sich hier um wahre Handwerkskunst handelte und dass die Ägypter ihrer Zeit weit voraus waren. Kein Wunder, dass sie zur größten Weltmacht gehörten.
 

„Ich möchte nur, dass du wenigstens so tust, als würdest du dich nicht nur für unsere Duelle interessieren, sondern auch für mich als Menschen. Wir sind Freunde und du bist mir wichtig und ich möchte, dass auch ich wichtig für dich bin.“
 

Ein leises Knurren entwich Kaibas Kehle. Atem wusste genau, dass er ihm wichtig war. Warum sonst hätte er die Gefahr auf sich genommen, nur um in die Vergangenheit zu reisen und ihn wiederzusehen? Er war hier, weil er ihn noch einmal wiedersehen wollte und einen Schlussstrich ziehen musste. Dachte Atem ernsthaft, es ging ihm nur um ein Kartenspiel? Kaiba gab es nicht gern zu, aber er ertrug den Gedanken nicht, dass das hier das Ende sein würde und je länger er sich in dieser Zeit befand, je öfter er Atem lächeln sah und seine Augen leuchten, desto mehr wuchs der Wunsch in ihm, dass er für immer hier bleiben könnte.
 

Atem war mittlerweile aufgestanden und setzte sich direkt neben den Brünetten. Anders als erwartet war Atem kein bisschen schüchtern. Er war sehr direkt. Er wartete nicht darauf, was Kaiba zu sagen hatte und es war ihm egal, dass dieser gar keine Nähe wünschte. Er griff nach Kaibas Hand und umschloss sie mit seinen beiden Händen. Das Metall der Ringe war heiß durch die Hitze in diesem Land und durch Atems eigene Körperwärme, doch der kurze Schmerz, der ihn durchzog, als seine Haut das brennende Metall berührte, ließ Kaiba wieder zu klaren Gedanken kommen.
 

„Ich bin unendlich froh, dass wir uns noch einmal sehen konnten, doch du weißt genauso wie ich, dass du nicht bleiben kannst. Wir beide haben Verpflichtungen und Aufgaben und eine Familie, die auf uns wartet. Ich habe mein Leben und du hast deines. Du kannst nicht bei mir bleiben. Also lass uns noch etwas Zeit gemeinsam verbringen, bevor wir es beenden.“
 

Kaiba wollte Atems Hände wieder von sich stoßen und Abstand schaffen, doch sein Griff war so fest, dass Kaiba sich nicht befreien konnte. Seit wann war Atem so stark? Er war muskulöser und größer geworden, aber es frustrierte Kaiba, dass nicht nur seine Fähigkeiten als Duellant die seinen überstiegen, sondern er auch körperlich ihm nun das Wasser reichte und es schaffte, ihn festzuhalten. Atem war freundlich und fürsorglich, aber auch streng und stolz.
 

„Gut, von mir aus...“, gab Kaiba dann von sich.
 

Die Tage vergingen und am siebten Tag seit seiner Ankunft hatte Atem seine Herausforderung angenommen. Wie Kaiba es erwartet hatte, war dieses Duell so aufregend, dass er alles um sich herum vergaß. Alles wurde unwichtig. Es gab nur noch Atem und ihn. Und die Karten, die auf dem Tisch lagen. Sie saßen sich gegenüber und blickten einander in ihre Seelen, jeder versuchte den anderen zu täuschen und doch verrieten sie mehr über sich, als es ihnen lieb war. Als Kaiba seinen Weißen Drachen legte, kam nur ein triumphierendes 'Ha' von seinem Gegner, welcher nun eine Fallenkarte aktivierte, die es ihm erlaubte, seinen Schwarzen Magier zu rufen. Mit einer weiteren Zauberkarte erhöhte er dessen Angriff und im direkten Kampf vernichteten sich die beiden Kreaturen gegenseitig.
 

Bevor Kaiba zurückkehrte, übergab Atem ihm ein Amulett. Er nannte es Herzskarabeus und sollte ihm den Weg weisen. Ein Glücksbringer und eine Verbindung ihrer Herzen und eine Erinnerung an das, was sie gemeinsam erlebt hatten. Nicht, dass der Brünette jemals diese gemeinsame Woche in Ägypten – Atem nannte dieses Land zwar Kemet, aber Kaiba empfand diesen Namen als ungewohnt – vergessen würde. Dafür bedeutete es ihm einfach zu viel. Das Lachen, die Nähe und dieses Gefühl, jemanden zu haben, der auf derselben Stufe war und der einen wirklich verstand. Atem war in der Lage hinter seine Fassade zu blicken. Er scheute sich nicht davor, Kaiba zu tadeln oder ihn auszuschimpfen.
 

Jedes Mal, wenn Kaiba einen unterschwelligen Kommentar abgegeben hatte, erwiderte Atem diese Unverschämtheit mit bissigen Sarkasmus und ebenso stechenden Worten. Ein Mensch ohne Selbstbewusstsein hätte sich vermutlich angegriffen gefühlt, doch diese Art, wie sie miteinander reden konnten, war etwas Besonderes zwischen ihnen. Atem störte sich nicht an Kaibas Art. Viel mehr genoss er es, Kaiba selbst herauszufordern und zu testen, wie weit er gehen konnte. In dieser Hinsicht waren sie sich ähnlich.
 

In den letzten Tagen hatte er Atem von einer neuen Seite kennengelernt. Fürsorglich, freundlich, zuvorkommend und erfüllt von Liebe für sein Land und die Menschen, die ihnen etwas bedeuteten. Zunächst, ja, da konnte er nicht akzeptieren, dass der Andere Yuugi, sich so anders verhielt als in seiner Erinnerung. Dass der Andere Yuugi – er fragte sich selbst warum er ihn so nannte, wo er doch seinen Namen kannte – so viel an Emotionen zeigte und sich selbst offenbarte, aber er musste zugeben, dass Atem viel glücklicher und zufriedener war. Sein Lächeln war echt. Das Lachen kam aus der Tiefe seines Herzens. Schnell hatte er gemerkt, dass der Mann, für den er diesen weiten Weg auf sich genommen hatte, immer noch in ihm war. Kaiba bewunderte Atem sogar. Er war nicht mehr so distanziert und doch so voller Würde, dass er zu ihm hinauf sehen musste.
 

Ein wenig beneidete Kaiba ihn, denn Atem wirkte ausgeglichen und ruhig. So viel glücklicher und offener als zu ihrer Zeit, als sie in der Duellarena standen und ihre Seelen aufeinandertrafen.
 

Kaiba hatte das Amulett wortlos angenommen und in seiner Brusttasche verstaut. Er wandte sich zum Gehen. Dann blieb er stehen und sagte: „Danke für alles, Atem“, setzte seinen Weg fort und ließ nicht nur den Palast, die Stadt und diese Zeit hinter sich, sondern auch den Mann, der ihn am meisten inspirierte und ihm das Gefühl gab, wirklich am Leben zu sein. Atem hatte ihn um etwas gebeten. Diese Bitte wollte er abschlagen, konnte es aber nicht. Kaiba sollte Yuugi als seinen neuen Rivalen anerkennen. Den schwachen, naiven, kindlichen Yuugi, der selbst ein Herz für seine Peiniger hatte und sich ausnutzen ließ, ohne jemals zu versuchen, von selbst aufzustehen und eine andere Lösung zu suchen.
 

Da Kaiba immer nur Augen für Atem hatte, ahnte er nicht, dass auch Yuugi erwachsen geworden war und dass seine Fähigkeiten als Duellant und als Gamer in keinster Weise hinter Atem lagen. Trotzdem fragte sich Kaiba, ob er Yuugi ernstnehmen konnte. Ein Junge, dessen Herz für seine Freunde schlug und der lieber Unglück und Schmerzen in Kauf nahm, bevor er anderen schadete. Yuugi war viel zu lieb und dennoch hielt Atem große Stücke auf ihn, sprach über dessen Potential und wie unglaublich stark er sei. Atem war der Ansicht, dass Yuugi sogar stärker war als er. Das konnte Kaiba nicht glauben. Er musste sich selbst davon überzeugen.
 

…………………………
 

Kaiba war niemand, der lange über Vergangenes nachdachte. Nostalgische Gefühle verhinderten einen klaren Blick in die Zukunft. Doch die Abweisung von Mokuba und Yuugis harte Worte erschreckten ihn. Zum ersten Mal seit Langem wusste er keinen Ausweg. Formeln konnte man lösen. Zahlen berechnen. Daten verarbeiten. Fremde Menschen bestechen und sie auf die eigene Seite ziehen. Gefühle und Bindungen von Menschen waren aber weitaus schwieriger zu handhaben und überstiegen jegliche Vernunft und Logik.
 

Gedankenverloren griff er zu seiner Brusttasche und holte das Amulett heraus, das Atem ihn gegeben hatte. Er betrachtete es und fand seine Ruhe zurück. Nicht einmal Mokuba hatte er davon erzählt, geschweige denn ihm den Herzskarabeus gezeigt. Es war ein Geheimnis und etwas, das er mit niemanden teilen wollte. Auch der Ausgang ihres letzten Duells behielt er für sich. Tatsächlich war es ihm egal gewesen, wie dieses Duell ausging. Nur einmal wollte er diese Aufregung und die Leidenschaft spüren, wenn sie sich gegenüberstanden und letzten Endes wollte er nur eines: dieses Gefühl nicht verlieren. Dieses Gefühl, dass ihn daran erinnerte, dass er am Leben war.
 

Die gemeinsame Zeit mit Atem war sein kostbarster Schatz. Und seine warme Stimme hörte er auch heute noch. Sein Blick gen Horizont gerichtet und der Mut seine Fehler anzuerkennen und weiterzumachen. Die Silhouette des Pharaos, der mit erhobenen Hauptes Richtung Sonnenuntergang blickte und dabei so schön und perfekt aussah, dass Kaiba glaubte, dass es sich um ein Gemälde handeln musste. Auf seinen Lippen ein Lächeln. Atem war glücklich. Doch Kaiba konnte sich nicht für ihn freuen, er trauerte über diesen Verlust.
 

Nach seiner Rückkehr hatte er sich wieder in seine Arbeit gestürzt. Er brauchte Ablenkung. Er wollte nicht daran denken, dass diese gemeinsame Woche, die sie verbracht hatten, tatsächlich das Ende ihrer Bindung gewesen sein sollte und dass sie niemals wieder miteinander kämpfen würde. Das einzige, das ihn von der Arbeit abhielt, waren die Duelle mit Yuugi. Yuugi, der Atem nach eiferte und ihm immer ähnlicher wurde und doch stets seine liebevolle und einzigartige Art beibehielt. Sie waren unterschiedlich und doch so ähnlich zueinander. Yuugis Bewegungen in einem Duell zeugten von Selbstbewusstsein und manchmal glaubte er, dass nicht Yuugi, sondern Atem vor ihm stand. Nur um dann zu merken, dass der Duellant vor ihm jemand anders war.
 

Jemand, der im Laufe der Zeit immer wichtiger für ihn wurde und ihn vergessen ließ, was er verloren hatte. Kaiba umfasste das Amulett mit seinen Händen und stieß seinen Atem aus, von dem er nicht mal wusste, dass er ihn gehalten hatte. Er wollte nicht zugeben, dass er der Grund für all die Missverständnisse war, aber er konnte sich nicht länger selbst belügen.
 

Was hätte Atem an seiner Stelle getan? Es war unmöglich ihn um Rat zu fragen. Vielleicht hatte er unbewusst versucht, Yuugi zu verändern, damit er eine weitere Verbindung zu Atem hatte. Vielleicht hatte Yuugi gar nicht versucht, so zu sein wie Atem, sondern Kaiba selbst sein Bild auf diesen projiziert.
 

»Atem... was würdest du tun?«, überlegte er, wissend, dass niemand seine Frage beantworten würde.
 

Atem hätte sich sicher nicht verkrochen. Er hätte nach einem Ausweg gesucht. Nach einer Lösung. Kaiba verstaute das Amulett zurück in seiner Tasche und fuhr seinen Computer hoch. Nach nur wenigen Minuten hatte er, wonach er suchte. Er sah sich die Videoaufnahmen der Villa an und tatsächlich stellte er fest, dass die Gerüchte seiner Putzfrauen wahr waren. Mokuba hatte in der Nacht klamm und heimlich das Anwesen verlassen. Bei sich trug er zwei große Koffer. Er schaltete die Aufnahme wieder ab. Mehr musste er nicht wissen. Mokuba hatte ihn zurückgelassen.
 

Yuugi hatte ihn gewarnt. Aber er hatte nicht zugehört. Es kränkte ihn, dass Mokuba ohne ein Wort ging. Seit ihrem Streit war Mokuba ihm aus den Weg gegangen und hatte jegliche Kommunikation vermieden, erschien nicht einmal zum Abendessen oder zum Frühstück. Kaiba wusste natürlich, dass es seine eigene Schuld war. Immerhin war er selbst in den letzten Jahren nie pünktlich zu Hause gewesen. Eigentlich konnte er seinem Bruder nicht mal verübeln, dass er nicht zum Essen da war und trotzdem konnte er diesen Unmut, der in seinem seelischen Untergrund brodelte, nicht ignorieren.
 

Er schüttelte den Kopf und durchforstete sämtliche Datenbanken, um Yuugis private Nummer zu finden. Auf keinen Fall wollte er auf das Familientelefon anrufen und das Risiko eingehen, dass der Großvater ihm ein Ohr abkaute. Rasch speicherte er die Nummer und machte sich auf den Weg in sein Schlafzimmer. Dort angekommen dachte er ausführlich über seine nächsten Schritte nach. Es war bereits später Abend. Ein Blick auf die Uhr verriet, dass es 21 Uhr war und vermutlich hätte ein normaler Bürger nicht die Dreistigkeit gehabt, um diese Zeit einen Arbeitskollegen anzurufen, aber Kaiba wäre nicht Kaiba, würde er nicht seinen eigenen Weg wählen und nur das machen, was ihm gefiel.
 

Also wählte er die Nummer und wartete darauf, dass Yuugi abhob.
 

„Moshi, moshi!“, kam es fröhlich von der anderen Seite und Kaiba zog verwundert die Augenbrauen hoch, da er so eine umgangssprachliche Art zu reden nicht gewohnt war.
 

„Yuugi.“, begann er in gewohnt ernster Stimmlage. „Hier ist Kaiba.“
 

Er hörte wie Yuugi am anderen Ende der Leitung panisch wurde und nach Luft schnappte.
 

Mit allem hatte er gerechnet, nicht aber damit, dass Kaiba ihn auf seinem privaten Smartphone anrief. Vermutlich würde der Firmenleiter ihn wieder zurechtweisen und ihm sagen, wie kindisch und unreif es von ihm gewesen war, einfach abzuhauen. Erwachsene Männer liefen vor Problemen nicht weg und stellten sich der Konfrontation. Yuugi bereitete sich seelisch bereits auf das Schlimmste vor und in nur wenigen Sekunden schossen ihm tausende Gedanken durch den Kopf, während sein Herz so wild schlug, dass seine Ohren rauschten und er panische Schweißausbrüche bekam.
 

„Kaiba-kun...“, wiederholte Yuugi unsicher. Angesprochener hörte, dass Yuugi um Fassung rang.
 

„Was möchtest du zu so später Stunde von mir? Ist etwas passiert?“
 

„Das heute Nachmittag tut mir leid.“
 

Yuugis Kinnlage fiel buchstäblich in den Keller. Das war ein Traum. Kaiba würde niemals solche Worte in den Mund nehmen. Niemals. Nicht er. Nicht der stolze, egoistische Mann, der von sich selbst so überzeugt war und glaubte, absolut fehlerlos zu sein. Kaibas Ego überstieg jegliches menschliches Verständnis. Bevor Yuugi nach hacken konnte, setzte Kaiba einmal mehr an. Seine Stimme war fest. So fest sogar, dass Yuugi glaubte, dass Kaiba seine Entschuldigung gar nicht ernst meinte und ihn nur beruhigen wollte, um ihr zukünftiges Arbeitsverhältnis nicht unnötig zu belasten. Es ging Kaiba sicher nur um die Arbeit.
 

„Ich bin zu weit gegangen und ich möchte nicht, dass der heutige Tag ein Hindernis für unsere Kooperation wird. Ich möchte Spherium realisieren, nicht, weil du es bist und ich dir einen Gefallen tun will, sondern weil dieses Spiel es verdient.“
 

„Kaiba-kun. Es freut mich das zu hören, aber du hast es selbst gesagt, dass du keinen Grund hast, dich mit mir anzufreunden und ich mir besser einen Psychiater suchen solle. Meine Probleme gehen dich nichts an und vielleicht ist es wirklich besser, wenn wir uns privat aus dem Weg gehen.“
 

Yuugis Worte waren erfüllt von Selbstsicherheit. Entweder war er wirklich sauer auf ihn, oder aber er war nach langem Nachdenken selbst zu dieser Erkenntnis gekommen. Aber war es das richtige? Kaiba wollte nicht, dass Yuugi so über ihn dachte. Dass sein Sarkasmus und seine gemeinen Sprüche selbst den lieben Yuugi so weit gebracht hatten, so zu denken, erschreckte ihn und es war in keinem Fall das, was Kaiba wirklich wollte. Mokuba hatte ihm den Rücken gekehrt. Wenn Yuugi sich nun auch abwandte, dann...
 

„Ich habe heute erfahren, dass Mokuba das Land verlassen hat. Du wusstest davon, nicht wahr?“
 

Einige Sekunden kam keine Antwort. Yuugi biss sich auf die Unterlippe. Er wollte ihm nicht antworten, weil er wusste, dass Kaiba nur wieder wütend werden würde. Jedoch wollte er Kaiba nicht anlügen.
 

„Ja...“, war seine knappe Antwort. Ein leises Wispern, mehr nicht.
 

„Du wolltest mich warnen, weil du genau wusstest, dass er geht. Warum hast du das verschwiegen?“, wollte Kaiba wissen und er hörte, wie Yuugi sich bewegte und sich vermutlich auf sein Bett fallen ließ.
 

„Ich habe es nicht verschwiegen, weil ich dir schaden wollte, sondern weil ich es Mokuba versprochen habe.“
 

Diese Worten waren wie ein Messerstich ins Herz. Trotzdem ließ sich Kaiba nichts anmerken und blieb erschreckend ruhig. Mokuba war gegangen, weil er seinen eigenen Bruder nicht mehr ertragen konnte.
 

„Mokuba ist ein Starrkopf und geht gern mit dem Kopf durch die Wand. Wenigstens da sind wir uns ähnlich. Yuugi, komm morgen um 8 Uhr zur Kaiba Corporation. Ich werde dir bei deinen Hausaufgaben helfen.“
 

„Wieso auf einmal?“, versuchte Yuugi herauszufinden. Dieser Sinneswandel kam zu plötzlich. Irgendetwas musste Kaiba passiert sein, dass er seine Meinung nun geändert hatte. Oder hatte der Brünette nun endlich eingesehen, dass er selbst einen Fehler gemacht hatte?
 

„Mokuba ist mein Bruder und auch wenn es nach außen nicht so aussieht, möchte ich ihn nicht verlieren. Du hast es selbst gesagt, dass ich weder dich noch ihn täuschen kann, also muss ich etwas ändern. Und du wirst mir dabei helfen.“

Kapitel 19

Verschlafen rieb er sich die Augen und unterdrückte das Gähnen. Wäre er doch nur etwas früher ins Bett gegangen! Obwohl er genau wusste, dass er am nächsten Morgen früh raus musste, hatte Yuugi noch sehr lange an seiner Konsole gesessen und versucht ein Rätsel im Spiel zu lösen. Das Rätsel war nicht schwierig. Genau genommen hatte er es ziemlich schnell durchschaut, aber die Steuerung war so umständlich und die Kamerastellung so unsicher, dass er immer wieder an denselben Stellen Fehler machte und von vorne anfangen musste. Leider gab es keine Speichermöglichkeit und Yuugi wollte keinen Falls das gesamte Dungeon noch mal spielen. Der Ehrgeiz packte ihn und der Wunsch zu gewinnen. Also hatte er es immer und immer wieder versucht, bis er endlich sein Ziel erreicht hatte.
 

Die Augenringe sprachen für sich und seine blasse Haut war auch kaum zu übersehen. Hoffentlich tadelte Kaiba ihn nicht schon wieder. Nicht, dass Yuugi nicht mit gerechtfertigter Kritik umgehen konnte, aber wenn Kaiba etwas sagte, umgab ihn immer diese zerschmetternde Aura und er bekam jedes Mal das Gefühl, dass er sich nie wieder vor ihm blicken konnte. Wenn Kaiba ihn kritisierte, hatte er immer einen recht sarkastischen Unterton, was Yuugi zwar von diesem gewohnt war, aber dennoch nicht mochte. Atem hätte sicher in genauso unverschämter Manier geantwortet und sich das nicht gefallen lassen. Yuugi war aber nicht so wortgewandt und im Nachhinein fielen einem immer hunderte von coolen Kontern ein, die einen in der Situation selbst nicht in den Sinn kamen.
 

Noch einmal rieb er sich die Augen, ehe er an Kaibas Bürotür klopfte und auf Einlass wartete.
 

„Du bist ausnahmsweise mal pünktlich.“, kam es beinahe lobend von Kaiba.
 

„Und siehst so aus, als hättest du die ganze Nacht durch gemacht.“, setzte er Augen rollend fort.
 

Kaiba fragte sich, ob Yuugi in der Nacht geweint hatte wegen dem, was er ihm an den Kopf geworfen hatte oder ob er einen anderen Grund für die dunklen Schatten unter seinen Augen gab. Yuugi war alt genug, um sich selbst zu organisieren und so lange er pünktlich zu ihren Treffen kam und er seine Arbeit nicht vernachlässigte, würde er auch nichts sagen.
 

„Nicht die 'ganze' Nacht...“, erklärte Yuugi mit einem entschuldigenden Grinsen.
 

„Nur die 'halbe'? Du musst dir angewöhnen, rechtzeitig ins Bett zu gehen, ansonsten schläfst du auf der Arbeit ein. Das wäre äußerst unangebracht.“
 

„Das weiß ich selbst! Du bist doch nicht meine Mutter, dass du mich so bevormunden musst.“
 

Yuugi setzte sich einfach auf den Stuhl, ohne Kaiba weiter Beachtung zu schenken. Dieser staunte nicht schlecht, dass Yuugi sich nicht entschuldigte, wie er es sonst immer tat, sondern offen seine Meinung sagte und sich nicht unterbuttern ließ. Entweder trug das Seminar bereits Früchte oder es lag daran, dass er einen wunden Punkt getroffen hatte. In Kaibas Kopf blitzte ein Gedanke. Sollte er Yuugi einmal mehr provozieren, um zu sehen, wie er reagierte und herauszufinden, warum er die ganze Nacht – Pardon die halbe Nacht – durchgemacht hatte?
 

„Scheinbar muss man dich ja bemuttern, ansonsten kriegst du ja nichts auf die Reihe.“, kam es scharf von Kaiba, der einige Unterlagen vor sich ergriff, diese zusammen und dann zur Seite legte, um sie aus dem Weg zu haben. Dass er mit seiner Aussage einen Nerv getroffen hatte, konnte er nicht ahnen. Plötzlich änderte sich Yuugis Gesichtsausdruck. Kaiba hatte ihn herausgefordert und dieses Mal würde er das nicht mit sich machen lassen. Er wollte, dass Kaiba ihn für voll nahm und in wie einen ebenbürtigen Partner behandelte. Stattdessen warf er mit Vorwürfen um sich und tat so, als wäre er selbst makellos.
 

„Ach, das sagt der Richtige. Wer hat sich denn gestern mit dem Coach angelegt und eine Show abgezogen und nicht nur sich selbst blamiert?“
 

Kaiba blieb der Atem weg.
 

„Wenn du mich schon zu so einem Seminar zwingst und mitkommst, zieh es wenigstens bis zum Ende durch! Ich bin kindisch, weil ich deine Limousine verlassen habe, aber du warst auch alles andere als professionell, Kaiba-kun.“
 

„Wieso bist du heute so zickig? Kommt das vom Schlafmangel?“, kam es von Kaiba, der Yuugi immer noch nicht ernstzunehmen schien, was Yuugi umso mehr verärgerte.
 

„Ich bin immer noch weniger 'zickig' als du.“ Yuugi drehte den Kopf weg und sah ziemlich beleidigt aus. Für ihn war das Thema beendet. Er vermied es Kaiba direkt anzusehen. Zwei erwachsene Männer an einem Schreibtisch und zwei Egos, die beide nicht nachgeben wollten. Im Gegensatz zu gestern hatte Yuugi nicht vor, den Schwanz einzuziehen und wieder Kaiba sein grässliches Sozialverhalten durchgehen zu lassen.
 

Kaiba verdrehte die Augen und seufzte genervt.
 

„Was stört dich denn? Der Tag hat nicht mal richtig angefangen und wenn das so weitergeht wie bisher, werden wir niemals zu einem Ergebnis kommen.“
 

Kaiba verschränkte die Arme, so als wollte er somit Distanz aufbauen und sich selbst schützen. Niemand sollte in sein Innerstes sehen.
 

„Ich bin unzufrieden damit wie unsere 'Kooperation' bisher läuft. Du rufst mich nach Lust und Laune in dein Büro und machst mir jedes Mal Vorwürfe, sagst mir, dass ich mich ändern muss und beleidigst mich am laufenden Band!“
 

„Moment, wann habe ich dich denn beleidigt?“, hackte Kaiba nach. Er erinnerte sich nicht daran, Yuugi beleidigt zu haben. Zumindest nicht bewusst. War doch nicht Kaibas Schuld, wenn Yuugi sich direkt in seinen Gefühlen verletzt fühlte und einen spitzen Kommentar persönlich nahm. Damit musste er aber klar kommen. Vor allem wenn er mit Kaiba zusammen arbeiten wollte.
 

„Du kriegst ja selber nicht mal mit, was du sagst! Und genau das ärgert mich. Deine sarkastische und desinteressierte Art. Tu wenigstens so, als würde dir etwas an mir und unserer Arbeit liegen, auch wenn du es nicht ernst meinst.“
 

„Ich habe nie gesagt, dass ich mich nicht für dich interessiere. Aber du musst doch selbst einsehen, dass du mit deiner Art alles andere als ernstzunehmend bist. Wenn du nicht mal einen kleinen Kommentar aushalten kannst, wirst du es später umso schwerer haben.“
 

„Mich stört es nicht, wenn mich Fremde beleidigen. Aber bei dir ist das was anderes. Wir kennen uns schon so lange und trotzdem weist du mich ab... und das nervt mich. Wir sind Freunde und ich würde auch für dich meine Hand ins Feuer legen.“
 

Kaiba senkte den Blick. Auch gestern hatte sich Yuugi schützend vor Kaiba gestellt und ihn verteidigt. Obwohl er das nicht gemusst hätte. Obwohl Kaiba immer und immer wieder gesagt hatte, dass niemals so etwas wie Freundschaft zwischen ihnen sein würde. Obwohl es doch viel einfacher für Yuugi gewesen wäre, einfach zu genießen, dass Kaiba gedemütigt wurde. Er konnte nicht verstehen, dass Yuugi so naiv war und ihn tatsächlich als seinen Freund bezeichnete. Ab wann war man Freunde? Ihre Beziehung zueinander war alles andere als herzlich und es war Kaibas Art seine Überlegenheit zur Schau zu stellen. Das war er nun mal gewohnt.
 

„Du wirst wohl niemals mit deiner Freundschaftsnummer aufhören...“, murmelte Kaiba und lehnte sich in seinem Ledersessel zurück, während er Yuugi missbilligend musterte.
 

„Natürlich nicht.“, kam es aufmüpfig von Yuugi, der Kaibas Haltung nachmachte und seinen Blick erwiderte.
 

„Gut, machen wir deine Hausaufgaben. Und du wirst mir im Gegenzug sagen, was Mokuba erzählt hat und wo er hingegangen ist.“
 

„So einfach mach ich es dir nicht. Ich kann dir gerne sagen, warum Mokuba so wütend ist, aber wo er sich aufhält, behalte ich für mich.“
 

„Du machst es mir nicht einfach.“
 

„Dann weißt du ja jetzt wie es mir mit dir geht.“
 

„Touché.“
 

Drei Stunden vergingen. Kaiba hatte Yuugi dazu angewiesen, sich einen Stift und einen Zettel zu nehmen und erst einmal für sich seine Probleme aufzuschreiben und über seine Schwächen nachzudenken. Währenddessen checkte Kaiba auf der anderen Seite des Schreibtischs seine E-Mails und tippte konzentriert auf der Tastatur. Da er so sehr mit seiner Arbeit beschäftigt war, hatte er für einen Moment vergessen, dass Yuugi da war und zuckte kurz zusammen, als dieser ihn ansprach.
 

„Ich komme nicht mehr weiter...“, kam es schlechtgelaunt von Yuugi.
 

„Wo ist dein Problem?“
 

„Der Coach sagte, wir sollen unsere positiven Eigenschaften aufzählen, aber mir fällt nichts Gutes ein.“
 

Kaiba warf nun einen Blick über seinen Bildschirm und erkannte, dass Yuugi bereits mehrere Zettel vor sich liegen hatte, die er allesamt vollgeschrieben hatte. Er speicherte rasch seinen Arbeitsvorgang und schob seinen Bildschirm beiseite. Yuugi hatte doch eine Menge geschrieben und er konnte nicht verstehen, was genau dessen Problem war.
 

„Du hast da doch eine Menge Zettel vollgeschrieben. Was steht da denn?“
 

Kaiba griff über den Tisch hinweg und las sich das sorgfältig durch. Nach kürzester Zeit warf er Papierblätter mit einem lauten Seufzer vor sich hin und sah Yuugi erwartungsvoll an. Dieser sagte jedoch kein Wort.
 

„Yuugi, du bist viel zu negativ eingestellt. Du hast jetzt ernsthaft fünf Zettel mit deinen negativen Eigenschaften gefüllt? Du schadest dir selbst, wenn du so denkst.“
 

„Wenn's doch stimmt...“, erklärte dieser nur und senkte den Blick. Seine Wangen nahmen eine rote Farbe an. Der Scham war ihm anzusehen. Kaiba wollte etwas sagen, aber er ermahnte sich selbst dazu, nicht noch mehr Schaden anzurichten, als es Yuugi ohnehin selbst schon getan hatte.
 

„Zeig mir, was du auf deinem anderen Blatt stehen hast.“
 

Zögerlich übergab Yuugi seinem Chef das Blatt. Es standen nur vier Sachen darauf, danach hatte er wohl aufgegeben und das Handtuch geworfen. Auch dieses Papier ließ er einfach fallen und betrachtete seinen Gegenüber eingehend, welcher sich nicht rührte und wohl auf eine Reaktion zu warten schien.
 

„Yuugi, du bist ein hoffnungsloser Fall...“, begann Kaiba und Yuugi sah nun doch auf.
 

„...das würde ich zumindest gerne sagen, aber ich glaube, dass du Potential hast. Du darfst das, was andere über dich sagen, nicht so ernst nehmen. Auch mich nicht. Wenn du dir immer nur Vorwürfe machst, sabotierst du dich selbst.“
 

Kaiba nahm sämtliche Papiere, legte sie in einem ordentlichen Stapel zusammen, nahm sie in die Hand und erhob sich von seinem Platz. Yuugi folgte ihm mit seinem Blick und beobachtete genau, was Kaiba vorhatte. Neben seinem Schreibtisch blieb er stehen und legte die Papiere wortlos in den Aktenschredder. Yuugi schluckte.
 

„Vergiss den ganzen Mist, den du hier geschrieben hast. Das bringt uns nicht weiter. Das, was du brauchst, ist ein richtiger Blick in die Arbeitswelt und positive Erfahrungen. Heute Nachmittag habe ich eine Konferenz, ein Meeting mit einigen der Entwickler aus der Videospielabteilung. Obwohl ich ihr Chef bin, scheuen einige dieser Leute sich nicht, ihre Meinung zu sagen, denn sie sehen die Dinge anders als ich, weil sie älter sind.“
 

„Da bin ich doch völlig fehl am Platze!“, unterbrach Yuugi Kaiba und erhob sich nun auch von seinem Stuhl, so dass dieser mit einem dumpfen Geräusch auf den Boden fiel.
 

„Nun, das sehen wir, wenn es so weit ist. Vielleicht kannst du sie ja überzeugen und ihren Horizont erweitern. Du bist doch ein Genie, wenn es um Spiele geht. Du wirst sicher den ein oder anderen nützlichen Tipp haben.“
 

Konnte Yuugi Kaibas Erwartung erfüllen? Er wollte nicht zweifeln, aber er wusste nicht so recht, was so eine Konferenz ihm bringen sollte. Es war wahr, dass Yuugi in seiner schulischen Laufbahn nicht allzu viele positive Erfahrungen gemacht hatte und auch recht viel Spott ausgesetzt war. Auch in seiner Studienzeit hörte er immer wieder, wie andere Kommilitonen über ihn lästerten und dies meist in einer Lautstärke, dass Yuugi jedes Wort mitbekam. Zuhause hatte er seinen Großvater und seine Freunde, die ihnen den Rücken stärkten. Doch in der Universität musste er allein klarkommen.
 

Dass sein Vater und sein Dozent ihn für seine Idee verspotteten, machte es auch nicht besser.
 

„Ich gebe mein Bestes.“
 

Gegen 15 Uhr nachmittags machten sich die beiden auf und begaben sich zwei Stockwerke tiefer, wo ein riesiger Konferenzraum nur darauf wartete, dass sämtliche Teilnehmer eintrudelten. Auf dem Tisch waren Gläser und Flaschen hingestellt worden, um für genügend Trinken zu sorgen, damit niemand durch Wassermangel Kopfschmerzen bekam. Immerhin war es schon so schwer genug, jemanden wie Kaiba zu überzeugen und seine Art allein war schon anstrengend genug. Yuugi wunderte sich auch über die vielen Teller, die mit Plätzchen und Kuchen gefüllt waren.
 

„Du hast noch nichts zu Mittag gegessen. Nimm dir ruhig ein Stück Kuchen.“, kam es von Kaiba, der sich an die oberste Spitze setzte und Yuugi mit einer klaren Handbewegung unmissverständlich dazu aufforderte, sich neben ihn zu setzen. Kaibas Aussage war sachlich und nicht als freundliche Geste gemeint, trotzdem wollte Yuugi es so interpretieren.
 

„Und du? Du hast doch auch noch nichts gegessen, oder?“
 

Kaiba sagte darauf nichts und gab einen Laut von sich, der an Spott erinnerte.
 

Da Kaiba so deutlich zeigte, dass er sich über Yuugis freundlich gemeinte Frage lustig machte, gab er einen ebenso frechen Spruch ab: „Ah stimmt, Euer Hochwohlgeboren ist nur das Beste vom Besten gewohnt. Ein einfacher Kuchen mundet Euch sicher nicht.“
 

„Du wirst ganz schön frech, Yuugi.“
 

„Ich habe halt einen verdammt schlechten Umgang.“, scherzte Yuugi und Kaiba schüttelte nur den Kopf.
 

Immer mehr Teilnehmer kamen in den Raum. Einige von ihnen tuschelten und Yuugi konnte hören, dass sich die Herren und Damen sehr über diesen ungewöhnlichen Gast wunderten. Sie verstanden nicht, warum der König der Spiele hier war und wieso Kaiba seinen ärgsten Rivalen bei so einer wichtigen Besprechung teilnehmen ließ, wo er doch ein Außenstehender war. Was sie nicht wissen konnten, war, dass Yuugi nun in der KC arbeitete und schon bald seine eigene Abteilung bekommen würde. Kaiba räusperte sich und sämtliche Teilnehmer wurden ruhig.
 

Yuugi sah sich immer noch musternd um und warf verhaltene Blicke den Teilnehmern zu. Er erkannte einen ergrauten Mann mit Bart und langem Haar, der direkt neben Kaiba saß und wohl ein hochangesehener Entwickler war. Er trug einen weißen Kittel und war wohl nur für diese Besprechung aus seinem Labor gekommen. Yuugi fragte sich, was er für Arbeiten erledigte.
 

„Gut, fangen wir die Konferenz an. Zunächst möchte ich Ihnen Mutou Yuugi vorstellen.“
 

Yuugi neigte seinen Kopf leicht nach vorne, um so eine höfliche Verneigung anzudeuten und sagte zaghaft: „Schön, Sie kennenzulernen. Auf gute Zusammenarbeit.“
 

Kaiba übernahm direkt wieder das Wort. Sämtliche Aufmerksamkeit lag wieder auf ihm.
 

„Der Monatsabschluss ist gut gelaufen. Die Ergebnisse werden ich Ihnen beim nächsten Meeting mitteilen. Keine Zeit, um herumzusitzen und Däumchen zu drehen. Wir haben einen straffen Tagesplan. Die Expansion des Kaiba Parks läuft sehr gut und wir werden in den nächsten Monaten mehrere Eröffnungen haben, sowohl national als auch international. Wie Sie bereits wissen, werden wir nun auch die Hologrammtechnik einbringen und diese vor allem in den Geisterhäusern und Achterbahnen zum Einsatz kommen lassen.“
 

Kaiba warf einen prüfenden Blick zu einem seiner Angestellten. Für Yuugi sah es so aus, als versuchte er den Namen auf dem Namensschildchen zu erkennen. Rasch schüttelte Yuugi diesen Gedanken ab. Kaiba würde doch wohl zumindest seine engsten Mitarbeiter und Abteilungsleiter beim Namen kennen.
 

„Makaba-san?“ Kaiba sprach ihn direkt an und sah ihn abwartend an.
 

Angesprochener nickte und erklärte die derzeitige Situation und dass die Entwicklung auf Hochtouren lief und es keinerlei Probleme gab, was Kaiba mehr als nur zufriedenstellte.
 

„Wie läuft es mit Duel Links?“, fragte Kaiba dann in die Runde und wartete, dass die Arbeiter des Teams sich meldeten.
 

„Wir haben einige kleinere Probleme und immer noch mit Bugs und Fehlern zu kämpfen. Es wird noch gut ein halbes Jahr dauern, bis die Beta fertig ist und wir sämtliche Daten in das Spiel integriert haben.“
 

„Duel Links...?“, wiederholte Yuugi leise und bekam einmal mehr das Gefühl, dass er hier nichts zu suchen hatte.
 

„Duel Links ist ein Spiel für das Smartphone, Yuugi.“
 

Yuugi zuckte zusammen, als Kaiba sich die Mühe machte, dieses Projekt zu erklären. Der Mann mit dem langen, grauen Haar nickte zustimmend und sah Yuugi direkt an, fuhr Kaibas Erklärung weiter fort.
 

„Spiele auf dem Smartphone werden immer relevanter und wir möchten, dass auch Duel Monsters über das Internet und durch die Kaiba Datenbanken unterwegs gespielt werden kann. So können wir tausende Leute erreichen, die kein Geld für echte Karten haben oder keinen Duel Disk besitzen.“
 

„Richtig. Die Digitalisierung von Duel Monsters wird immer wichtiger.“, beendete Kaiba die Erklärung.
 

In der nächsten Stunde wurden die Fortschritte besprochen und immer wieder kam es zu lauten Diskussionen, die Kaiba mit Wortgewandtheit und Überzeugungskraft für sich entschied und seinen Angestellten eindeutig zeigte, dass er keine unnötigen Widerworte mehr duldete und die weiteren Abläufe nach Plan zu laufen hatten. Kaiba war in seiner Art dermaßen selbst überzeugt, dass Yuugi immer wieder zu diesem hinsah und ihn bewunderte. Er war in der Lage jedes Problem genau zu identifizieren und hatte stets eine passende Lösung parat, um so sicher zu stellen, dass alles andere weiter nach Plan lief. Über das Projekt Spherium sagte er kein Wort und auch nicht, aus welchem Grund Yuugi dabei war.
 

Zu Yuugis Erleichterung fragte auch keiner. Ein komisches Gefühl kam in ihm auf, als ihm so richtig bewusst wurde, dass er die ganze Zeit still auf seinem Platz saß ohne auch nur ein Wort herauszubringen. Zwischendurch änderte sich seine Mimik, so dass einige der Teilnehmer dann ein Projekt und das Problem noch mal genauer erklärten, nicht, weil sie das Gefühl hatten, nicht ausführlich genug erklärt zu haben, sondern da sie erkannten, dass der Gast ihrer Konferenz mit fragenden Blicken die Gegend löcherte.
 

„Kommen wir nun zum nächsten wesentlichen Punkt auf der Tagesordnung.“, verkündete Kaiba und erhob sich nun und wies auf einen großen Bildschirm, der sich hinter ihm befand. Mit einer kleinen Fernbedienung in der Hand und einem Stift in der anderen, wandte er sich kurz ab und zog seinen Laptop aus seiner Aktentasche, den er mit dem Bildschirm verband und mehrmals hin und herklickte. Dann drückte er einen Knopf der Fernbedienung, sämtliche Jalousien fuhren runter, so dass der Raum langsam dunkler wurde und der Bildschirm gut zu erkennen war, während sich langsam das Bild des Laptops auf diesem aufbaute.
 

Er öffnete eine Datei und erklärte anhand dieser die nächsten Projekte und die Zeit, die die einzelnen Arbeitsschritte in Anspruch nehmen durften. Gebannt hörte Yuugi zu. Die Unsicherheit, die die ganze Zeit auf ihm lastete, verschwand allmählich und Kaibas Art seine Pläne auf den Punkt zu bringen und jedes kleinste Detail und Problem einzuberechnen, ließ ihn glauben, dass er mit Kaibas Hilfe und dessen Kompetenz es noch weit bringen würde und auch Spherium schon sehr bald kein Wunschtraum mehr sein würde.
 

Einer der Männer wurde plötzlich laut, als Kaiba den Termin für ein Videospiel festsetzte und meinte, dass sie diesen unbedingt einhalten mussten.
 

„Das ist unmöglich! Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass es zu diesem Termin nicht zu schaffen ist. Das Spiel funktioniert noch nicht und wir kämpfen immer noch mit der Darstellung!“
 

Noch bevor er weitersprechen konnte, fuhr ihm Kaiba ins Wort.
 

„Und woran liegt das? Ich habe Ihnen von Anfang an gesagt, dass Sie sich zuerst ums Grundgerüst kümmern sollen und sich dann um die Details. Kleine Probleme kann man auch nachträglich mit Updates patchen und würden Sie meine Anweisungen befolgen, sähe das Ganze ganz anders aus.“
 

„Und ich habe Ihnen gesagt, dass das, was sie vorhaben, mit der jetzigen Engine nicht funktioniert. Wir haben viel zu wenig Leute, um das in dieser Zeit fertigzustellen.“
 

„Als Sie mir vor fünf Jahren das Konzept und Ihre Idee vorgestellt haben, habe ich Ihnen gesagt, dass Sie richtig planen müssen. Sie haben darauf bestanden, dieses Projekt möglichst schnell fertigzumachen und jetzt ist die Engine nun mal veraltet, also müssen Sie zusehen, dass nicht noch mehr Zeit verstreicht. Ich werde den guten Namen und den Ruf der Kaiba Corporation nicht aufs Spiel setzen und altmodische Spiele aus dem letzten Jahrhundert auf den Markt werfen.“
 

Der Mann wurde nur zorniger, wagte aber nicht, etwas dagegen zu sagen.
 

„Yuugi, wie ist deine Meinung dazu?“, wandte sich Kaiba an Yuugi, welcher direkt in Schockstarre fiel.
 

„Ich habe doch viel zu wenig Informationen... ich kann das nicht beurteilen.“
 

„Stell dir vor, du würdest ein Spiel mit veralteter Grafik in den Händen halten. Was für Erwartungen hättest du?“
 

„Das Gameplay müsste stimmen und es sollte abwechslungsreich sein. Ich würde kein Spiel spielen wollen, welches zum Beispiel so verbuggt ist, dass ich nicht vorankomme und an Stellen scheitere, die eigentlich einfach sind. Oder wo die Kameraperspektive hin- und herspringt. Und die Story wäre wichtig. Wichtiger sogar noch als die Grafik. Kommt natürlich aufs Genre an.“
 

Yuugi überlegte. Es gab noch viele andere Faktoren, die er selbst als wichtig empfand. Vielleicht hatte er einen ganz andere Ansicht in dieser Hinsicht, weil er diese Spiele nicht programmierte, sondern meist nur selbst spielte. Da machte es Sinn, dass er diese einzelnen Faktoren vollkommen anders gewichtete als die Leute, die selbst aktiv an der Produktion beteiligt waren.
 

„Hören Sie? Kümmern Sie sich also darum, dass das Spiel gut läuft. Alles andere fixen wir später mit kostenlosen Updates, dann können Sie auch noch die Missionen einbauen, die Sie als wichtig erachten. Generell ist der Verkauf von DLCs eine unserer größten Einnahmequellen. Das wird bei Duel Links und Capsule Coliseum auch so sein. Dennoch werden wir auch zukünftig vollständige Spiele bringen und DLCs lediglich als Option bieten.“
 

Yuugi nickte, als Kaiba das sagte. Auch der Mann, der bis eben noch darum gestritten hatte, den Termin nach hinten zu schieben, gab nun auf und Kaiba sogar Recht. Viel hatte er nicht gesagt, nur seine Meinung zum Thema gesagt und trotzdem fühlte sich Yuugi so, als hätte er etwas bewirkt und Kaiba den Rücken gestärkt. Ob Kaiba deswegen wollte, dass Yuugi zu dieser Besprechung mitkam?
 

„Mutou-san, denken Sie da auch so?“, wollte der Mann von ihm wissen.
 

„Ja. Da ich ja selbst gerne Spiele spiele, ärgere ich mich oft über kleine Fehler, da sie das Gameplay beeinflussen. Gestern habe ich ein Jump'n'Run gespielt, wo ich an einer Stelle einfach nicht weiterkam, da sich jedes Mal die Kamera geändert hat, wenn ich mit meinem Charakter über das Hindernis springen wollte und die darauffolgenden Ausweichaktionen nicht funktionierten, weil das Spiel mit dem Wechsel der Perspektive beschäftigt war. Im Onlinestore haben sich viele andere Spieler auch über das Problem beschwert.“
 

„Aber würden Sie sich nicht auch ärgern, wenn Sie merken, dass das Spiel generell nicht das ist, was Ihnen angekündigt wurde?“
 

„Heutzutage wird man generell mit falschen Erwartungen geködert. Die meisten würden aber ungehalten werden, wenn ein Spiel, auf das sie lange warten, mehrmals verschoben wird, weil dann die Erwartungen umso mehr gesteigert werden. Ein Spiel sollte aber Spaß machen und wenn kleine Fehler dazu führen, dass das Ganze nicht richtig läuft, führt das nur zu Frust. Da nehme ich lieber Updates in Kauf. Und würde das Spiel zum Release-Termin rausbringen, bevor die Beschwerden zu laut werden und es negativ auf mich zurückfällt... eh, also das ist zumindest meine Ansicht.“
 

Yuugi winkte beschwichtigend ab, als er merkte, dass er viel mehr sagte, als er vorhatte und sich in etwas einmischte, was ihn grundsätzlich gar nichts anging. Es war nicht so, dass er Kaiba absichtlich unterstützt hatte, sondern viel mehr war es so, dass er ihm zustimmte. Je länger die Spieler auf etwas warteten, desto höher wurden die Erwartungen, vor allem wenn Trailer und eine Demo bereits ein ganz anderes Bild vermittelt hatten. Lieber ein fertiges Spiel mit kleinen Fehlern, als in Kauf zu nehmen, die Erwartungen zu schüren und sie hinterher nicht erfüllen zu können.
 

Er konnte Kaibas Standpunkt gut nachvollziehen. Gerade in der heutigen Zeit war die Konkurrenz zwischen den Spieleentwicklern groß und man musste damit leben, dass das eigene Spiel verglichen und herabgesetzt wurde, vor allem dann, wenn es Ähnlichkeiten zu anderen bereits existierenden Spielen hatte. Innovation war bei der Masse an Spielen nicht einfach. Yuugi schluckte. Moment. Das war doch genauso wie mit Spherium, oder nicht? Sein Spiel wurde auch mit anderen verglichen und von Anfang an verurteilt.
 

Die Zeiten veränderten sich. Konkurrenz wurde größer und wenn man mithalten wollte, war es umso wichtiger, dass man regelmäßig etwas anbot, um weiterhin relevant zu sein. Die Kaiba Corporation verdiente an Freizeitparks, Videospielen und dem ausgeklügelten Hologrammsystem, das das Spiel Duel Monsters perfekt visualisierte. Aber seine Technik wurde mittlerweile in viele andere Richtungen ausgebaut. Yuugi hatte ja selbst gemerkt, dass das Logo der KC an den unterschiedlichsten Stellen in der Stadt zu sehen war. Ob an Reklameschildern oder an Cafés. Kaiba hatte den Wandel der Zeit erkannt und entsprechend gehandelt und nicht nur in eine Richtung ausgebaut.
 

Einmal mehr staunte Yuugi über diesen Mann, der all diese Dinge berücksichtigte und wenn es um seine Arbeit ging, keine Fehler machte. Da war er ein richtiger Perfektionist.

Kapitel 20

Als die Konferenz endlich zu Ende war, atmete Yuugi erleichtert aus. Die Insassen verließen den Raum und gingen entweder nach Hause oder zurück an ihre Arbeitsplätze. Kaiba war zufrieden. Alles verlief nach Plan und er hatte das Gefühl, dass er seine Standpunkte mithilfe von schlagkräftigen Argumenten gut vermitteln konnte. Hoffentlich würden sich nun die Leiter der einzelnen Abteilungen an ihre Anweisungen halten, damit es keine weiteren unnötigen aber vor allem vermeidbaren Probleme gab.
 

Sorgfältig legte er seine Unterlagen zusammen, schaltete seinen Laptop ab und verstaute diesen wieder in der Aktentasche. Zwischendurch hatte Kaiba seine Jacke ausgezogen und die Ärmel seines Hemdes hochgekrempelt, um auf dem Bildschirm besser auf kleine Merkmale und Veränderungen in Grafiken hinweisen zu können.
 

„Yuugi, das heute waren streng vertrauliche Informationen. Ich hoffe, du bist dir im Klaren, dass nichts von dem, was hier heute besprochen wurde, nach außen dringen darf.“
 

„Natürlich. Ich bin wirklich erstaunt, wie gut du deine Mitarbeiter unter Kontrolle hast. Ich muss noch viel lernen, damit ich auch so frei sprechen kann wie du.“
 

„Übung macht den Meister. Ich mache das seit ich 16 bin und habe auch mehr Erfahrung. Aber du hast dich auch gut geschlagen. Du bist ruhig geblieben, obwohl du so nervös warst.“
 

Yuugi hielt in seiner Bewegung inne. Stimmt. Er war so abgelenkt von den wichtigen Themen in dieser Konferenz, dass er seine Nervosität komplett vergessen hatte. Das hatte er natürlich auch Kaibas gutem Beispiel und seiner Unerschütterlichkeit zu verdanken, die langsam aber sicher auf ihn abfärbte. Immerhin arbeiteten sie nun schon eine Woche zusammen und so langsam gewöhnte er sich an Kaibas spitze Zunge, seine Seriosität, aber auch daran, wie distanziert dieser war. Die Arbeitsatmosphäre zwischen ihnen war meist angespannt, trotzdem spürte er, dass Kaiba ihn nicht mit Absicht zappeln ließ.
 

„Danke...“, murmelte Yuugi dann, als ihm so richtig klar wurde, dass Kaiba ihn gerade gelobt hatte.
 

Kaiba war nett zu ihm. Eigentlich hatte er mit allem gerechnet, nur nicht mit aufbauenden Worten oder gar einem Lob.
 

„Ich erwarte nicht von dir, dass du deine Arbeit perfekt machst. Das wird dauern. Du hast noch nie in so einer Position gearbeitet und als dein Geschäftspartner ist es meine Pflicht, dich so weit zu bringen, dass du Konferenzen wie diese auch selbstständig führen kannst. Und du kannst das.“
 

„Bist du dir wirklich sicher?“
 

Kaiba nahm seine Aktentasche in die Hand und drückte auf den Knopf auf seiner Fernbedienung, so dass die Jalousien wieder hochfuhren und der Raum sich erhellte. Yuugi blinzelte ein paar Mal, als das Licht der Sonne so unverblümt in den Raum hinein strahlte und ihn blendete. Nach so langer Zeit im Dunkeln war das Sonnenlicht beinahe schmerzhaft.
 

„Hör auf zu zweifeln. Du hast doch heute bewiesen, dass du das kannst. Sobald Spherium weit genug entwickelt ist und du ganz genau weißt, in welche Richtung du gehen willst und du eine genaue Vorstellung des Spiels hast, wird es umso einfacher für dich darüber zu reden.“
 

„Du hast Recht. Und danke nochmal, dass du mir das heute ermöglicht hast. Ich drehe mich viel zu oft im Kreis, ohne es zu merken.“
 

Yuugi folgte Kaiba in den Gang und sie bewegten sich in Richtung Fahrstuhl, machten sich auf den Weg zurück ins Büro. Stillschweigend stand Yuugi inmitten des Büros, wartete auf weitere Anweisungen. Kaiba setzte sich zurück an seinen Rechner und war nach nur kurzer Zeit wieder voll konzentriert bei der Arbeit. Über diesen Arbeitseifer staunte Yuugi. Es war bereits kurz vor Sechs und seine Müdigkeit drohte ihn zu übermannen. Das Gähnen konnte er sich nicht mehr verkneifen. Rasch hob er seine Hand und warf einen Blick auf Kaiba und fragte sich, ob dieser ihn gehört hatte.
 

„Yuugi, geh nach Hause und leg dich ins Bett. Morgen musst du wieder fit sein. Ich werde dich ab jetzt regelmäßig viermal die Woche einplanen. Von neun Uhr bis 15 Uhr sollte auch für dich in Ordnung sein, oder?“
 

„Das sind nur sechs Stunden. Du fängst doch auch schon so früh an und bleibst bis zum späten Abend.“
 

„Weil ich es muss. Ich bin der Firmenchef. Natürlich muss ich mehr leisten als alle anderen und du musst doch auch ab und zu im Laden aushelfen.“
 

„Dann lass mich doch dir helfen. Ich kann dir sicher nützlich sein.“
 

„Yuugi, ich werde einem ungelernten Laien keine wichtige Aufgaben übertragen. Du hast zu wenig Erfahrung und musst erst mal sicherer in dem werden, was du tun möchtest. Ich kann niemanden darum bitten, sich um Anrufe und Anfragen zu kümmern, der sich nicht sicher ausdrücken kann.“
 

„Ich könnte ja kleine Aufgaben übernehmen. Mokuba wäre sicher auch froh, wenn du mehr Zeit hättest....“
 

Kaiba sah nun endlich hoch und schenkte ihm seine ganze Aufmerksamkeit.
 

„Du wirst mir nicht verraten, wo er sich aufhält, oder?“
 

„Nein. Aber ich kann dir gerne sagen, was er so über dich erzählt.“
 

„Beim letzten mal sagtest du, er hätte nichts gesagt und jetzt gibst du endlich zu, dass er sehr wohl über mich lästert. Das ist schon mal ein Fortschritt.“
 

„Er ist eben ein offener Mensch, der sein Leben mit dir teilen will. Natürlich ist er sauer, wenn du kein Interesse an ihm hast und ihm nicht mal zuhörst, wenn er dir über etwas was erzählt, was ihm wichtig ist. Du warst doch auch sauer darüber, dass ich deine Herausforderung abgelehnt habe. Wie hast du dich da gefühlt?“
 

„Wird das eine Lebensberatung? Du bist mein Rivale und das zwischen uns kannst du doch nicht mit mir und Mokuba vergleichen.“
 

„Warum?“
 

Yuugi.“ Seine Stimme war mahnend.
 

„Schon gut. Aber vielleicht solltest du Mokuba einfach mal Glückwunsch wünschen, wenn sein Spiel rauskommt und ihn willkommen heißen, wenn er nach Hause kommt. Frag ihn selbst, wo er war und was er erlebt hat. Du wirst sehen, dass das einen Unterschied macht.“
 

Kaiba hatte es gar nicht nötig, dass Yuugi ihm das sagte. Das war ja wohl selbstverständlich. Er haderte. Es war selbstverständlich und trotzdem hatte er nie gefragt. Kaiba gab ja zu, dass er bei der zwischenmenschlichen Verständigung etwas nachholen musste. Er musste auch zugeben, dass er seit er mit Yuugi zusammenarbeitete, viel mehr geredet hatte als sonst. Normalerweise arbeitete er ruhig und konzentriert. Kein einziger Laut kam über seine Lippen. Und niemand störte ihn. Während ihrer Konferenzen und Arbeitsbesprechungen sagte er nur das Nötigste und gab klipp und klare Anweisungen.
 

Yuugi aber redete von sich aus drauf los und bot ihm die Stirn und insbesondere heute hatte Yuugi weitaus mehr Rückgrat gezeigt als sonst. Noch immer war er verblüfft, dass Yuugi ihm bereits mehrmals Kontra gab und endlich seine Meinung sagte.
 

„Geh nach Hause, Yuugi.“, kam es dann von Kaiba, der nun einfach den Kopf schüttelte und sich seiner Arbeit widmete.
 

„Überarbeite dich nicht. Wir sehen uns.“
 

Yuugi Stimme war derartig erheitert, dass Kaiba für einen Moment inne hielt. Er beantwortete rasch noch ein paar Anfragen und erstellte eine neue Projektdatei, die er unter dem Namen 'Spherium' abspeicherte. Ein 4D-Modell am Computer würde sicherlich nützlich werden, um einen besseren Überblick zu erhalten und am Ende konnte er diese Skizze mit dem 3D-Drucker ausdrucken. Früher oder später mussten sie mit der Arbeit anfangen. Er war einigermaßen zufrieden mit Yuugis Fortschritten.
 

Als er am Abend nach Hause zurückkehrte und die unangenehme Stille im Speisesaal begann ihn zu quälen, vibrierte sein Smartphone. Hatte Mokuba endlich geantwortet? Mit Spannung öffnete er die Nachricht, nur um mit großer Enttäuschung und Entsetzen feststellen zu müssen, dass Yuugi ihm eine Nachricht geschrieben hatte. Da er ihn am Abend zuvor angerufen hatte, hatte dieser nun seine Privatnummer. Kaiba hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt. Glaubte Yuugi jetzt etwa, dass er Interesse an Smalltalk hatte?
 

„Ich wollte dir nochmal danken für heute. Auf gute Zusammenarbeit!“, lauteten seine Worte. Kaiba scrollte weiter runter.
 

„Schönen Abend und Gute Nacht.“, hieß es weiter. Wie wurde er diese Plage nun wieder los?
 

Sollte er Yuugis Nummer sperren und so tun als hätte er seine Nachricht nicht bekommen? Er hatte keine große Lust ihm zu antworten und er ging davon aus, dass Yuugi diese Nachrichten mit dem Wissen versendet hatte, dass Kaiba ohnehin nicht antworten würde. Andererseits könnte er Yuugi danach fragen, wie es Mokuba ging. Auch wenn er es nach außen nicht zeigte, belastete es ihn sehr, dass sein kleiner Bruder nicht hier war. Dass Mokuba für ihn da war und ihm stets den Rücken stärkte und keine seiner Entscheidungen hinterfragte, war für ihn so selbstverständlich, dass es ihn umso mehr mitnahm, dass Mokuba das Anwesen auch nur ohne ein Wort der Erklärung verlassen hatte.
 

Es erinnerte ihn daran, wie sehr er zu kämpfen hatte, als Atem seine Welt verlassen hatte. Verzweifelt hatte er nach einem Weg gesucht, ihn wiederzusehen und hatte alles andere um sich vergessen. Er war bereit, sein Leben zu opfern und ein Duell zu verlieren, nur um ihn wiederzusehen und er würde sich immer und immer wieder so entscheiden. Der Verlust eines Menschen schmerzte. Kaiba warf einen Blick auf seinen Teller. Seufzend schob er diesen zurück und begab sich in sein Schlafzimmer. Wie gewohnt verneigten sich die Diener vor ihm und behandelten ihn wie einen Gott.
 

Für einen Moment haderte er die Tür zu seinem Zimmer zu öffnen, da ihn ein Gedanke traf, wie ein Blitz. Er erinnerte sich daran, wie er mit Atem den Gang entlang lief und diesen in dessen Gemach folgte. Auch Atems Bedienstete verneigten sich vor ihm, genauso wie hier und trotzdem fühlte es sich anders an. Kaiba spürte, dass diese Menschen, die ihn so mechanisch ein Lächeln schenkten und beinahe willenlos sämtliche Forderungen erfüllten, ihm den Rücken kehren würden, sobald jemand anderes mehr Geld bot. Das einzige, was Kaiba und diese Menschen verband, war Geld und nicht etwa Loyalität. Er knirschte mit den Zähnen, legte eine Hand auf den Türgriff und drehte sich rasch um.
 

„Ich möchte heute nicht weiter gestört werden. Sie können für heute nach Hause gehen.“, rief er ihnen entgegen, öffnete seine Tür und knallte diese hinter sich so laut zu, dass sämtliche Bedienstete im Flur zusammenfuhren. Er lehnte sich an die schwere Holztür und atmete tief ein. Bescheuert! Absolut bescheuert! Als würde ein verfrühter Feierabend auch nur ansatzweise etwas ändern. Das brachte ihm Mokuba auch nicht zurück und erst recht nicht näher an sein Ziel. Einige seiner Bediensteten befanden sich immer noch im Flur und Kaiba versuchte mitzuhören, was sie sagten. Vermutlich waren sie erstaunt, aber sie hinterfragten die Entscheidung ihres Chefs nicht.
 

Yuugi indes lag auf seinem Bett und tippte auf dem Bildschirm seines Smartphones. Nervös biss er sich auf die Unterlippe. Er wusste, dass Kaiba nicht antworten würde und er erwartete auch keine Reaktion, allerhöchstens einen bitterbösen Spruch, der ihn daran erinnern sollte, dass sie nie Freunde werden würden und er sich gefälligst auf seinem Privatleben heraushalten sollte. Trotzdem schlug sein Herz ganz wild und er konnte nicht anders, als die Hoffnung weiterhin in sich zu tragen, dass Kaiba doch etwas schicken würde. Irgendetwas. Gebannt lag sein Blick auf dem Bildschirm. Minuten vergingen.
 

Es kam keine Antwort. Resigniert senkte Yuugi den Kopf und drehte sich auf den Rücken und starrte gedankenverloren an die Decke, bemerkte dabei, dass er dringend Staubwischen sollte und das ein oder andere ehemalige Spinnenanwesen abreißen sollte. Später vielleicht. Morgen. Vielleicht auch übermorgen. Im Moment war er viel zu sehr damit beschäftigt, auf seinem Bett zu liegen, nachzudenken und den Tag Revue passieren zu lassen. Kaiba war nett gewesen.
 

Niemals hätte er gewagt davon zu träumen, dass Kaiba Seto, der sonst so ablehnend und distanziert war, ihm ein Kompliment machen würde. Seine Worte hatten ihn dermaßen motiviert, dass er immer noch von einem Ohr zum anderen lächelte und aufgeregt mit seinen Beinen zappelte. Man hätte meinen können, dass Yuugi sich wie ein verliebter Teenager benahm. Und in gewisser Weise fühlte er sich auch so. In seinem Bauch spielten tausend Schmetterlinge fangen und er fühlte sich so aufgedreht, dass er nicht anders konnte, als immer wieder aufzustehen, durch sein Zimmer zu laufen, nur um sich im nächsten Moment wieder auf sein Bett zu werfen.
 

Eigentlich wollte er nur Atem nachahmen und versuchen Kaiba Paroli zu bieten, damit dieser aufhörte, ihn wie Ballast zu behandeln, doch diese Erfahrung, sich frei zu äußern und auch einfach mal nur frech zu sein, fühlte sich unheimlich gut an, sodass er gar nicht aufhören wollte Kaiba weiterhin die Stirn zu bieten. Da war diese Aufregung wenn er Kaiba etwas entgegnete, was dieser nicht hören wollte. Pures Adrenalin rauschte durch seine Blutbahnen und er fühlte sich stolz, dass er den Mut aufgebracht hatte, genau das zu sagen, was er wirklich dachte, ohne seine Meinung mit netten Worten zu kaschieren. Atem musste sich genauso gefühlt haben, wenn er mit Kaiba in der Arena stand und sie sich duellierten.
 

Sein Smartphone summte eines seiner Lieblingssongs und er nahm es in die Hand, wippte mit seinem Kopf zum Takt, ehe er doch seinen Nachrichtendienst öffnete. Überrascht riss er die Augen auf. Es war nicht die Person, von der er gerade sehnlichst eine Antwort erwartete, aber doch jemand anderes, der ihm genauso viel bedeutete. Mokuba hatte ihm eine Nachricht geschickt.
 

»Hey! Wie geht’s dir? Uns geht es super! Ich wollte nur Bescheid sagen, dass ich doch noch eine Weile länger bleiben werde. Mach dir also keine Sorgen!«
 

Mokuba erklärte, dass er länger bleiben wollte, weil er noch Sightseeing und ganz viele Fotos machen wollte. Scheinbar machten sie mit einem Wohnwagen eine Reise durch Amerika. Yuugi öffnete die Nachricht und sah ein Bild von Mokuba und seiner Freundin, die beide Cowboyhüte trugen und auf Pferden saßen. Beide grinsten breit und hielten ein Victory Zeichen in die Kamera. Mokuba sah weitaus gelassener und entspannter aus als gewohnt. Die Auszeit von seinem Alltagsleben und der Abstand von seinem Bruder taten ihm sichtbar gut.
 

Yuugi freute sich für Mokuba und es beruhigte ihn auch, dass es diesem endlich besser zu gehen schien, dennoch konnte er nicht anders, als sich Sorgen zu machen. Was würde Kaiba davon halten, dass sein kleiner Bruder längere Zeit spurlos verschwunden war? Immerhin war Kaiba sogar so weit gegangen, durch die Dimensionen zu reisen und die Zerstörung der Welt in Kauf zu nehmen, nur um Atem wiederzusehen. Wie weit würde er gehen, um Mokuba von sich zu überzeugen? Es war durchaus denkbar, dass Kaiba seinen kleinen Bruder über sein Netzwerk und Datenbanken aufspüren konnte und ihm sogar folgen würde, doch das würde Mokuba sicher nicht wollen.
 

Mittlerweile musste Kaiba bemerkt haben, dass sein Bruder nicht mehr da war und das Land verlassen hatte. Er konnte noch so stark und stolz tun, all das war doch nur Fassade. Eine Maske, die nicht nur Yuugi schon vor langer Zeit durchschaut hatte. Er speicherte das Foto ab, das Mokuba ihn geschickt hatte und antwortete ihm. Sie schrieben sich hin und her und Yuugi erfuhr, dass Mokuba am nächsten Tag den Grand Canyon im Visier hatte und es kaum mehr abwarten konnte, diesen in Echt zu sehen. Das konnte Yuugi gut verstehen. Ein bisschen neidisch war er ja schon.
 

Er hatte Japan nur einmal verlassen. Ägypten. Ein Land, das ihm für immer in Erinnerung bleiben würde. Nicht, weil er das Land oder gar die Sehenswürdigkeiten so besonders fand, nein... sein Grund war so viel gravierender und einschneidender. Dieser kurze Aufenthalt dort hatte immerhin sein ganzes Leben verändert.
 

Als sie nach Ägypten gereist waren, war er mit seinen Gedanken ganz wo anders, sodass viele seine Erinnerungen einfach nur verwischt waren. Das, was ihn am ehesten in den Sinn kam, wenn er an Ägypten dachte, war der Schmerz von einem Abschied und das Gefühl etwas loslassen zu müssen, von dem man noch nicht bereit war, sich zu trennen. Atem hatte ihnen Mut gemacht und ihre Verbindung würde für immer bestehen bleiben, trotzdem deprimierte es ihn, dass er nicht mehr Zeit mit ihm verbringen konnte. Er hatte so viele Fragen. So viele Gedanken. So vieles, das er ihm erzählen wollte. Und was waren ein paar Monate, um sich richtig kennenzulernen? Yuugi seufzte.
 

Mist. Wieso war er jetzt schon wieder deprimiert? Er musste echt mal aufhören, immer nur an die Vergangenheit zu denken, sondern anfangen das Leben und seine neuen Perspektiven zu genießen.

Kapitel 21

Immer wieder schickte Mokuba Fotos an Yuugi. Mal mit witzigen Sprüchen, mal mit einer kleinen Anekdote. Seinen Bruder schien er immer noch zu ignorieren. Kein einziges mal fragte er danach, wie es Kaiba ging oder ob dieser nach ihm fragte. Es war offensichtlich, dass Mokuba die Zeit, die er nur für sich und seine Freundin hatte, genoss und nicht so schnell vorhatte, zurückzukehren. Mokuba hatte vor seinen Urlaub zu verlängern. Immerhin hatte Kaiba bisher auch nicht mal versucht, sich ehrlich zu entschuldigen und seinen Fehler gutzumachen.
 

Die Woche verlief relativ ruhig. Yuugi war meist in Kaibas Nähe und sah diesem dabei zu, wie er Anfragen beantwortete und wie er an den Bauplänen und Konzeptskizzen für Spiele arbeitete. Hin und wieder stellte Yuugi Fragen, die Kaiba mal mehr und mal weniger genervt beantwortete. Manchmal gab Kaiba ihm dann Anweisungen oder er sollte eine Rechnung erstellen, dabei achtete er stets darauf, dass er Yuugi nur Aufgaben übertrug, die er tatsächlich meistern konnte und wo ein kleiner Fehler keine Katastrophe mit sich brachte.
 

Zwischendurch machten sie einen Rundgang durch die einzelnen Entwicklerabteilungen und Kaiba gab hier und da Anweisungen und erklärte seinen Mitarbeitern, wie sie gewisse Animationen ändern mussten oder was sie noch zu beachten hatten. Yuugi staunte über sein umfangreiches Wissen und wie motiviert dieser war, wenn es um seine Projekte ging. Da ließ er keinen einzigen Fehler zu. Und er war wie ausgewechselt. Seine Augen brannten vor Leidenschaft und Hingabe. Kein Vergleich zu dem Mann, der sich sonst hinter seinem langen Pony versteckte und kein einziges Zucken seiner Mundwinkel zuließ – es sei denn er grinste triumphierend und genoss es seinen Gegenüber zu verspotten.
 

Kaiba lächelte selten und er zeigte nur ungern seine wahren Gefühle. Doch Yuugi spürte, dass dieser ihn nicht aus purer Boshaft ignorierte, sondern dass er tatsächlich über das, was er ihm in der Limousine gesagt hatte, nachgedacht hatte. Immer wieder verkniff sich Kaiba seinen Sarkasmus. Auch wenn Yuugi noch nicht so lange mit Kaiba und dessen Angestellten arbeitete, hatte er doch bemerkt, dass Kaiba sich darum bemühte, etwas offener zu sein und nicht direkt jeden Fehler als Weltuntergang anzusehen und entsprechend laut zu werden. Er sprach ruhig und jedes Mal, wenn er vor Wut schäumte, weil etwas nicht so lief, wie er es gerne hätte, atmete er noch einmal tief durch und gab neue Anweisungen und half seinen Entwicklern, die Fehler zu beheben, anstatt sie niederzumachen und ihre Kompetenzen in Frage zu stellen.
 

Während dieser Woche hatte Yuugi einige Angestellten kennengelernt und mit den meisten verstand er sich sogar so gut, dass sie auch in der Mittagspause oder nach Feierabend noch miteinander sprachen. Es war Donnerstag Abend und Yuugi verließ das Gebäude. Laut seufzend stieg er die Treppen runter und umklammerte seine Umhängetasche. Kaiba hatte ihn nur mit einem „Bis morgen, komm gefälligst pünktlich“ verabschiedet und ihn keinen weiteren Blick mehr gewürdigt.
 

Yuugi blieb ruhig und wünschte ihm einen schönen Abend, bat ihn einmal mehr darum, sich nicht zu überarbeiten. Kaiba sah nicht sonderlich gesund aus. Er war blasser als sonst und seine Augen gerötet. Außerdem trank er einen starken Espresso nach dem anderen und jedes Mal, wenn Yuugi ihn wegen Spherium ansprach, erklärte er nur, dass Yuugi immer noch nicht so weit sei. Ihm war bewusst, dass er nach nur einer Woche mit einem Chef wie Kaiba kein neuer Mensch werden würde, dennoch ärgerte es ihn, dass Kaiba kein einziges Wort mehr über ihr gemeinsames Projekt verloren hatte. Stattdessen huschte Yuugi zwischen den Abteilungen hin und her, übergab schriftliche Anweisungen und Rundschreiben, sortierte Unterlagen und bearbeitete Rechnungen. Alles Aufgaben, die auch ein normaler Angestellter hätte verrichten können.
 

Wenigstens verlangte Kaiba nicht von ihm Kaffee zu kochen oder ihn zu bedienen. Er hob den Blick und kam dem Ausgang des Firmengeländes näher. Einzelne Autos fuhren an ihm vorbei. Vermutlich Angestellte, die nun auch nach Hause fuhren. Plötzlich hörte er jemanden seinen Namen rufen. Hastig drehte er sich um. Einige Männer lehnten an der Mauer, die das Firmengelände abgrenzte. Sie schienen ihn zu sich zu winken. Er überlegte, ob er wirklich näher kommen sollte oder einfach nur winken und zügig nach Hause marschieren sollte. Er schüttelte den Kopf. Er wollte kein Feigling sein, also kam er den Männern näher. Gut, er kannte sie nicht und sie hatten sich nur ein paar mal gesehen, aber das konnte sich ja doch noch ändern.
 

„Mutou-san, richtig?“, kam es von einem der jungen Herren. Der Mann hatte kurzes, schwarzes Haar, trug eine modische Designerbrille mit breiten Rändern und lässige Klamotten. Er sah überhaupt nicht aus wie ein Angestellter. Die Leute in der Entwicklungsabteilung trugen alle keine Arbeitskleidung, immerhin saßen sie fast den ganzen Tag vorm Computer und programmierten. Ein Anzug wäre da Fehl am Platze.
 

„Ich bin Nomura Kei. Wir haben uns heute Nachmittag bei der Visite gesehen.“
 

Yuugi überlegte. Stimmt ja! Das war der Mann am Bildschirm, der über einen Codierungsfehler klagte und von selbst das Problem nicht fand. Kaiba hatte ihm aufmerksam zugehört, mehrmals genickt und dann auf mögliche Ursachen hingewiesen und letzten Endes den Fehler selbst behoben. Die Männer in der Entwicklungsabteilung waren ziemlich erstaunt und Yuugi hatte noch lange ihre Blicke auf seinem Rücken gespürt. Wieso sie ihn so angestarrt hatten, konnte er sich nicht erklären, aber er hatte sich auch nicht weiter die Mühe gemacht, darüber nachzudenken oder gar Kaiba zu fragen. Kaiba hätte ihn eh nur darauf hingewiesen, konzentriert bei der Arbeit zu bleiben und sich darüber keine weiteren Gedanken zu machen. Es brauchte keinen Wahrsager, um zu wissen, dass Kaiba sich nicht allzu viel daraus machte, aus welchem Grund man ihm hinterher starrte. Ob aus Ehrfurcht oder Abscheu. Beides war Anerkennung, die er gerne annahm.
 

„Ja, ich erinnere mich.“, gab Yuugi zurück, blieb dabei möglichst zurückhaltend.
 

Kei schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter, sodass Yuugi vor Schreck, da er diese Reaktion überhaupt nicht erwartet hatte, aus dem Gleichgewicht geriet und beinahe hinfiel. Der Entwickler konnte ihn gerade noch festhalten und auch die anderen lachten fröhlich auf, während Yuugi sich in Grund und Boden schämte. Das war peinlich! Am liebsten hätte er sich in einem Loch verkrochen, aber stattdessen lachte er mit und rieb sich beschämt den Hinterkopf, um seine Verlegenheit irgendwie zu verbergen.
 

„Keine Ahnung, was du mit Kaiba-sama gemacht hast, aber mach das ruhig weiter so. Ich dachte echt, der Kerl macht mich zu Kleinholz!“, lachte er dann und nickte sich selbst zustimmend zu.
 

„Was meinen Sie damit?“, kam es kleinlaut von Yuugi, der nun den Arm wieder senkte und nun mit beiden Händen seine Umhängetasche umklammerte.
 

„Erstens: du brauchst mich nicht siezen. Da fühle ich mich gleich zehnmal älter! Und zweitens: Kaiba-sama wird immer extrem ungehalten, wenn jemand einen Fehler macht. Der kann es gar nicht leiden, wenn jemand nicht mit voller Konzentration arbeitet und geht schnell an die Decke. Von wegen, dass wir zu nachlässig seien und uns gefälligst mehr bemühen müssten...“
 

Ein anderer mischte sich nun auch ein. Ein etwas älterer Herr mit Karohemd. Er stellte sich als Itō vor und war erst seit einigen Monaten bei der Kaiba Corporation angeheuert worden. Vorher hätte er in einem kleinen Unternehmen als Indie-Entwickler gearbeitet. Sein letztes Projekt war jedoch so gut angekommen, dass auch größere Unternehmen auf ihn aufmerksam wurden. Da die KC zur bekanntesten und erfolgreichsten Firma weltweit gehörte, hatte er sich initiativ beworben und wurde direkt angenommen. Sein Vorstellungsgespräch hätte er beim jüngeren Kaiba gehabt. Den jüngeren Kaiba lobte er als äußerst umgänglich und freundlich, doch für den älteren hatte er kein nettes Wort übrig.
 

„Aber der Ältere ist echt ein Biest. Hüte dich davor, nicht seiner Meinung zu sein. Sein Sarkasmus macht es auch nicht besser.“
 

„Stimmt!“, warf Nomura ein und redete sich weiter in Rage.
 

„Manchmal weiß ich gar nicht, was das soll! Denkt der ernsthaft, dass es einen motiviert immer beleidigt zu werden? Kann ja nicht jeder so einen leistungsfähigen Prozessor im Hirn haben wie er.“
 

„Ich sage ja, vielleicht ist Kaiba-sama ja doch ein Roboter. Niemand kann so klug und gleichzeitig so ein Arschloch sein!“
 

Die Jungs lachten. Yuugi fühlte sich zunehmend unwohler bei diesem Gespräch. Er stand einfach nur dabei und hörte seinen zukünftigen Kollegen zu, wie sie über ihren Chef lästerten. Sie ließen kein einziges gutes Haar an ihm. Selbst über seine Frisur und seinen Anzug lästerten sie, während sowohl Itō als auch Nomura versuchten, sich bei Yuugi einzuschleimen und ihm Komplimente machten, weil er den Hund an die Leine genommen hatte. Dass Yuugi das nicht so empfand, band er ihnen nicht auf die Nase. Stattdessen zwang er sich dazu, mitzulachen und stimmte ihnen zu, ohne dies zu hinterfragen. Trotzdem fühlte er sich unheimlich schlecht dabei.
 

„Aber sag mal, Mutou-san! Wieso dackelst du ihm den ganzen Tag hinterher? Hat Kaiba-sama mal wieder ein Duell verloren und das war irgendein Wetteinsatz?“
 

Itō prustete so laut drauf los, dass Yuugi kurz zusammenzuckte. Allein die Betonung 'mal wieder' ging Yuugi dermaßen gegen den Strich, dass er diesen Typen gerne ins Gesicht gebrüllt hätte, dass sie nicht so über ihren Chef sprechen sollten, jedoch kam kein Wort über seine Lippen. Panisch senkte er den Blick und starrte auf den Asphalt. Ein riesiger Kloß befand sich in seinem Hals und er wusste nicht, was er sagen sollte. Alles um ihn herum schien auf ihn niederzuprasseln. Das laute Lachen der Männer schmerzte wie Peitschenhiebe. Obwohl sie nicht über ihn lästerten, fühlte er sich an seine Schulzeit erinnert und er ärgerte sich, dass Kaibas eigene Angestellte so über ihn sprachen.
 

„Nein...“, murmelte Yuugi unsicher und hob den Kopf, wusste nicht, wen er ansehen sollte. Er wollte nicht, dass diese Männer noch weiter über Kaiba lästerten. Irgendwie wuchs in ihm das Gefühl den Brünetten verteidigen zu müssen und ihn in Schutz zu nehmen, wohl wissend, dass dieser seine Hilfe in jedem Fall abgelehnt hätte. So langsam wurde das Gelächter leiser und er spürte die bohrenden Blicke auf sich, die bis in sein Innerstes vordrangen und ihn zerfleischten.
 

„Hör zu, Mutou-san... keine Ahnung, weshalb du Kaiba-sama hinterherrennst oder warum du überhaupt hier bist... wehe dir, du erzählst ihm etwas. Ich schwöre dir, dass ich sehr ungemütlich werden kann.“, murrte Nomura und legte einen Arm um Yuugi, zog ihn näher an sich und flüsterte ihn noch etwas ins Ohr. Yuugi verlor die Fassung und riss ängstlich die Augen auf. Der Schwarzhaarige grinste einfach nur, ließ dann von ihm ab und lachte noch einmal. Die anderen Männer wandten sich ebenfalls von ihm ab und schlugen eine andere Richtung ein. Immer noch fassungslos starrte Yuugi vor sich hin und schluckte hart.
 

»Wenn du ihm auch nur ein Wort über das erzählst, was wir hier geredet haben, kannst du dich darauf gefasst machen, demnächst mit einem Rollstuhl hierherzukommen. Oder ganz zufällig mit dem Gesicht auf der Bordsteinkante zu landen... gibt sicher vieles, was wir gemeinsam unternehmen können, nicht wahr, mein Hübscher?«
 

Unglaublich, dass ihm ein erwachsener Mann mit Prügel drohte, wenn er nicht den Mund hielt. Erst hatte er gedacht, dass Nomura und Itō nette Männer waren, mit denen er sich gut verstehen würde, doch tatsächlich befand er sich nun in einer Situation, in der er erpresst wurde. Er hatte ohnehin nie vorgehabt, Kaiba von diesem Gespräch zu erzählen. Yuugi wusste ja von Mokuba, dass Kaibas Angestellte nicht sonderlich begeistert darüber waren, wenn Kaiba die einzelnen Abteilungen checkte und sicher stellte, dass richtig gearbeitet wurde. Dass diese Männer so gehässig über ihren Chef sprachen, verletzte Yuugi. Kaiba war nicht der offenherzigste Mensch, aber kein Monster.
 

Er war gerade mal eine Woche in der Kaiba Corporation angestellt und spürte bereits jetzt wie schlecht die Arbeitsatmosphäre war und wie viel Konkurrenzdenken hier herrschte. Keiner mochte Kaiba, aber sie alle wollten von ihm anerkannt werden und fürchteten, von diesem runter gemacht zu werden oder ihren Job zu verlieren, wenn Kaiba einen schlechten Tag hatte. Mit Yuugi hatten sie endlich ein Ventil gefunden, an dem sie ihren Dampf ablassen konnten.

Kapitel 22

Kaiba saß an seinem Tisch und skizzierte etwas mit einem Bleistift und einem Zirkel. Yuugi befand sich am anderen Ende des Raumes und sortierte einige Akten, machte aber immer wieder eine Pause, da Kaibas Unterlagen so ordentlich sortiert waren, dass er gar keinen Grund darin sah, sich weiter damit zu befassen. Ein leises Seufzen entwich seiner Kehle. Kaiba, der jedes kleinste Geräusch wahrnahm, sah sofort auf und ließ Yuugis ermüdete Reaktion nicht unkommentiert.
 

„Yuugi, wenn du nichts zu tun hast, geh nach Hause. Denk daran, dass nächsten Montag wieder das Seminar stattfindet.“
 

„Wie lang geht das Seminar eigentlich?“
 

„Sechs Wochen, einmal die Woche. Bis dahin solltest du dich eingearbeitet haben. Mehr Schonzeit werde ich dir auch nicht gönnen.“
 

„Möchte ich auch gar nicht. Und du? Es ist Freitag und normalerweise macht man doch früher Schluss, wenn man im Büro arbeitet.“
 

„Das gilt nicht für mich. Ich habe zu tun. Geh nach Hause und genieße dein Wochenende.“
 

Kaiba wirkte beinahe freundlich, aber für ihn waren seine Worte einfach nur Floskeln. Es war ihm ziemlich egal, ob Yuugi ein schönes Wochenende hatte oder nicht. Dieser kam einfach näher zu seinem Schreibtisch, beugte sich nach vorne und warf einen Blick auf Kaibas Skizze. Yuugi hob die Augenbrauen. „Ist das eine erweiterte Skizze von Spherium?“, fragte er nach und zeigte mit den Finger auf das unfertige Bild. Kaiba setzte nun den Zirkel und auch den Bleistift ab.
 

„Es ist das erste Mal für mich, dass ich an einem Spiel arbeite, dass ich nicht selbst geplant habe. Demnach muss ich mich weiter damit beschäftigen, um dieses Projekt genau vor meinen Augen zu visualisieren. Ich kann nicht zulassen, dass Spherium ein Flop wird.“
 

„Verstehe. Aber die Fläche von Spherium ist nicht einfach flach, sondern besteht aus Polygonen. Ich habe mir da die Form eines Hexagramms vorgestellt.“
 

„Moment...“ Kaiba öffnete eine seiner Schubladen am Schreibtisch und holte eine Kopie von Yuugis vorheriger Skizze heraus. „Ich dachte, dass das ein Tetragon ist...“ Er warf einen noch genaueren Blick auf die Skizze, musste dann aber merken, dass die einzelnen Flächen in der Form sich änderten und er nicht nur Vier-, Fünf- und Sechsecke vorfand, sondern zwischendurch Linien, die gar nicht dahin gehörten und nur nicht weg radiert worden waren.
 

„Nein, das ist ein Hexagramm.“, wiederholte er und zog Kaiba die Kopie aus der Hand und umfasste den Stift, den Kaiba noch vor wenigen Sekunden in der Hand gehalten hatte und angenehm warm war. Er zog mehrere Linien auf der Skizze und malte wie bei einem Globus einen Äquator ein und parallele Breitenkreise. In diese Breitenkreise malte eine unebene geometrische Figur – Kaiba war sich sicher, dass diese in Yuugis Augen ein Hexagramm darstellte – welches er einfach irgendwo platzierte, ohne einen genaues Ziel zu verfolgen.
 

„So in etwa...“, murmelte er dann und machte eine Pause.
 

„Ich weiß jetzt, was du meinst. Aber sind diese Hexagramme von Anfang an da?“
 

„Nein, sie tauchen erst auf, wenn der Spieler eine Figur legt. Man muss sich einen Weg zum Gegenspieler aufbauen und mit seiner Figur die Figur des Gegners erreichen und diese vernichten. Hier und da setzt man Pfeiler, die nicht eingenommen und auch als Warppunkte genutzt werden können.“
 

„Der Gegenspieler kann also auch die Flächen des Gegners beschlagnahmen und ihn einkesseln...“
 

Yuugi nickte zufrieden. „Äußerst interessant, das werde ich mir merken.“, meinte er daraufhin nur und hielt Yuugi seine Hand erwartungsvoll hin. Er wollte seinen Stift zurück, doch Yuugi verstand nicht so recht und sah ihn nur mit großen Augen an. Die Stille zwischen ihnen war drückend und unangenehm, dennoch machte er keine Anstalten Kaiba zu fragen, was seine Geste bedeutete.
 

„Mein Stift.“ Kaibas Stimme war monoton. Er schien Yuugis Präsenz wieder zu ignorieren.
 

„Oh!“, kam es erschrocken von Yuugi, der ihm den Stift in die Hand drückte und kurz innerlich zusammenzuckte, als er Kaibas Hand für einen Moment lang berührt hatte. Sein Gegenüber erwiderte daraufhin nichts, weshalb Yuugi davon ausging, dass es ihn entweder nicht gestört hatte oder dass er es nicht mal bemerkt hatte, dass sich ihre Hände kurz berührt hatten. Trotzdem kribbelte seine Haut und seine Wangen nahmen eine unnatürliche Farbe an, während er verträumt vor sich hin grinste.
 

„Willst du den ganzen Tag hier herum stehen und mich dämlich angrinsen? Wenn du nichts zu tun hast, geh nach Hause oder such dir eine Aufgabe. Zu deiner Information: ein Mann in deinem Alter sollte sich gut selbst beschäftigen können.“
 

Da war er wieder. Kaibas Sarkasmus. Bissig, spöttisch und passiv aggressiv. Wie konnte ein Mensch so negativ eingestellt sein ohne es überhaupt selbst zu merken? Natürlich war das ein Teil seiner Persönlichkeit und es gab sicher Menschen, die ihm das nicht krumm nahmen, jedoch gehörten weder Mokuba noch Yuugi zu diesen Menschen, die sich auf Dauer damit anfreunden konnten, auf diese Weise angesprochen zu werden. Für Kaiba war es nur eine nichtige Aussage. Für Kaiba war seine sarkastischer Zynismus vollkommen normal und mit Lebenserfahrung gleichzusetzen. Als Yuugi ihn immer noch nur ansah und kein Wort raus brachte, legte der Brünette den Stift ab und hob fragend eine Augenbraue, musterte seinen Partner.
 

„Was ist? Hast du vergessen, wo du wohnst oder findest du die Tür nicht? Soll ich dich nach Hause bringen?“, spottete Kaiba weiter und ein breites, selbstzufriedenes Grinsen erschien auf seinen Lippen, das Yuugi so sehr nervte, dass er laut stöhnte. Er stemmte seine Hände in die Hüften und holte tief Luft, um sich für seine kommende Lektion, die er diesem eingebildeten Chef entgegenbringen wollte, zu wappnen.
 

„Kannst du das nicht einmal lassen? Und du wunderst dich ernsthaft, warum Mokuba von dir genervt ist?“
 

„Was lassen? Yuugi, entweder du wirst erwachsen und lernst mit solchen Aussagen umzugehen oder du legst dich mit deiner Kuscheldecke ins Bett und wartest weiter darauf, dass sich etwas ändert.“
 

„Kaiba-kun!“, kam seine mahnende Stimme.
 

„Ich bin es gewohnt, dass man sich über mich lustig macht und mich verhöhnt. Mir tut es nicht mehr weh, wenn du mich so unterschwellig beleidigst, weil ich weiß, dass du ein guter Mensch bist, aber du musst verstehen, dass es auch Menschen gibt, die dich genau deswegen nicht mögen.“
 

„Und das ist mein Problem, weil...?“
 

„Du bist so anstrengend!“, keifte Yuugi und gab undefinierbare Laute von sich. Genervt fuhr er sich durch sein Haar und klemmte sich einige seiner blonden Ponysträhnen hinter sein Ohr und legte den Kopf leicht schief, stellte den Blickkontakt zum Firmenchef wieder her, der ihn immer noch nur perplex ansah.
 

„Versuch etwas netter zu sein, das ist alles, worum ich dich bitte. Nicht meinetwegen, aber für Mokuba und deine Angestellten.“
 

„Du bist der Letzte, von dem ich Vorschläge für das Leiten meiner Firma annehmen würde. Du bist unerfahren, unreif und hast nicht mal ein gesundes Selbstwertgefühl. Denkst du ernsthaft, dass du in einer Position bist, mir Vorwürfe zu machen? Vermutlich wirst du heute Nacht kein Auge zu machen, weil du dir Sorgen machst, dass du meine Gefühle verletzt haben könntest und dich mit Vorwürfen selbst quälen.“
 

Ihm fehlten die Worte. Verwundert zog er die Brauen hoch und schien den Firmenchef zu mustern. Sein bis eben breites Grinsen wurde allmählich kleiner und da Yuugi einfach nichts sagte, verschwand es irgendwann. Kaiba wurde ungeduldig. Eigentlich hatte er fest damit gerechnet, dass Yuugi sauer werden würde oder ihn einmal mehr zurechtweisen würde, wie wichtig es war, auf die Gefühle anderer Rücksicht zu nehmen. Wortlos griff Yuugi nach seiner Umhängetasche, warf sich diese über die Schulter und drehte sich um. Kaiba hätte gern innerlich gejubelt, da er gerne glauben wollte, dass Yuugi seine Herausforderung und somit ihr Duell verloren hatte, doch irgendetwas sagte ihm, dass nicht Yuugi sondern er verloren hatte.
 

Er warf ihm einen abwartenden Blick hinterher und hoffte darauf, dass Yuugi noch irgendetwas sagen würde. Kurz vor der Bürotür, hielt der Bunthaarige inne und atmete tief ein, legte seine Hand auf den Griff und öffnete die Tür einen Spalt breit.
 

„Überarbeite dich nicht, Kaiba-kun. Bis nächste Woche.“
 

Seine Worten waren klar und gefasst. Ohne auch nur auf Kaibas Provokation einzugehen, schloss er die Tür hinter sich und verließ das Firmengelände. Yuugi fragte sich, ob er etwas hätte sagen sollen. Hätte er Kaiba ins Gesicht sagen sollen, dass seine gemeinen Kommentare zu weit gegangen waren? Oder war es besser ihm die kalte Schulter zu zeigen? Das einzige, das er bemerkt hatte, war, dass der Brünette enttäuscht zu sein schien. Sein triumphales Grinsen war verflogen. In Yuugis Innerem brodelte unbändige Wut. Er wollte ihn anschreien und Dinge umwerfen. Aber er wusste, dass es nichts ändern würde. Was brachte es ihm etwas zu zerstören, nur um dann Kaibas Zorn noch weiter zu entfachen? Nichts.
 

Mit gesenktem Blick lief er die Straßen entlang in Richtung des Kame Game Shops. Vor dem Laden saß ein Mann. Diese blonde Mähne hätte er immer und überall erkannt.
 

„Katsuya!“, rief er fröhlich und beschleunigte seinen Schritt, kam diesem zügig näher.
 

„Jo!“, kam es vom Blonden, der lässig eine seiner Hände aus der Hosentasche zog und ihm mit einem breiten Grinsen zuwinkte.
 

Es war Freitag Nachmittag und es war äußerst ungewöhnlich, dass Jounouchi zu dieser Zeit bereits Feierabend hatte. Dadurch dass er im Duel Café arbeitete, hatte der Blonde unterschiedliche Schichten. Mal musste er morgens arbeiten gehen, mal nachmittags bis zum Abend hin oder ein paar Stunden in der Nacht, um an der Bar auszuhelfen. Seine Arbeitszeiten waren unregelmäßig und sie sahen sich nicht so oft, wie sie gerne wollten, trotzdem war die Bindung zwischen ihnen kein bisschen verblasst.
 

„Du hast schon Feierabend?“, wollte Yuugi wissen und blieb vor ihm stehen.
 

„Hab heute frei bekommen und wollte nach dir sehen, aber du warst nicht da. Jii-chan sagte zwar, ich solle nach Hause gehen, aber ich wollte lieber warten.“
 

„Du hättest wirklich nicht warten müssen...“ Und schon hatte er wieder ein schlechtes Gewissen.
 

„Quatsch!“, lachte der Blonde und legte einen Arm um Yuugi, zog diesen näher zu sich und alberte mit ihm herum. Jounouchi konnte es nicht leiden, wenn Yuugi sich selbst für etwas die Schuld gab, vor allem dann nicht, wenn dieser gar nichts mit der Sache zu tun hatte. Es war seine freie Entscheidung gewesen, hier zu warten und er bereute nicht, hier minutenlang gestanden zu haben. Das Wetter war schön und die Luft angenehm. Frische Luft tat ihm gut und lenkte ihn vom Stress auf der Arbeit ab. Obwohl Jounouchi nur als Teilzeit arbeitete, hatte er das Gefühl beinahe jede Minute seines Lebens in dem Café zu verbringen. Er vermisste die Zeit, als er einfach spontan zu Yuugi gehen und mit ihm abhängen konnte. Einfach mal wieder in die Spielhalle stapfen und die neuesten Arcadegames ausprobieren und vielleicht sogar einen neuen Rekord aufstellen, darauf hatte er am meisten Lust.
 

Yuugi klopfte ihn auf den Arm, um zu zeigen, dass er ihn loslassen sollte, was Jounouchi natürlich tat. Immer noch grinste er. Er war froh, endlich wieder etwas Zeit gefunden zu haben. Yuugi grummelte leise vor sich hin und richtete seine Frisur. Jedes Mal, wenn Jounouchi ihn ungefragt in die Mangel nahm, war sein perfekter Style zerstört und mit Mühe und Not musste er seine blonden Ponysträhnen wieder gerade rücken. Dabei wusste Jounouchi doch, dass er das nicht ausstehen konnte! Nicht, dass es Yuugi wirklich gestört hätte... er konnte ihm einfach nicht böse sein.
 

„Stimmt etwas nicht, Yuugi?“ Er spürte instinktiv, dass Yuugi frustriert war und unnatürlich ruhig. Yuugi war es immer sofort anzusehen, wenn ihm etwas auf der Seele lag. Gemeinsam betraten sie den Spielladen. Der Besitzer des Ladens saß am Tresen und las Zeitung. Für einen kurzen Augenblick hob er den Kopf, in der Hoffnung, dass Kunden den Laden betreten hatten. Rasch senkte er den Blick, als er feststellte, dass es sich bei seinem Besuch nicht um Kunden handelte, sondern um seinen Enkel und den Blonden. Er grüßte sie flüchtig und konzentrierte sich weiter auf den Artikel, den er bis eben gelesen hatte.
 

„Wie kommst du darauf, dass etwas nicht stimmt?“, fragte Yuugi, während er seine Jacke achtlos auf sein Bett warf und zu seiner Kommode ging, wo er einige Schubladen durchwühlte und sich letztendlich für eine bequeme Stoffhose entschied. Dass Jounouchi im Raum war, störte ihn nicht sonderlich. Er hatte nicht vor, seine besten Klamotten zu Hause versehentlich dreckig zu machen, also streifte er sie ab und zog sich etwas Bequemes an. Jounouchi ließ sich aufs Bett fallen, dass er Yuugis Lederjacke dabei zerknitterte, interessierte ihn nicht.
 

„Weil du seit fast eine Woche bei Kaiba bist und kein einziges Wort über ihn verloren hast. Also gehe ich davon aus, dass dieser Mistkerl dir irgendetwas angetan hat...“ Jounouchi war wieder Drauf und Dran sich selbst in Rage zu reden. Yuugi sah über seine Schulter hinweg zu dem Blonden, zog sich schnell sein Top über und machte es sich neben dem Blonden bequem und ließ sich rückwärts aufs Bett fallen. Sein Körper entspannte sich sofort und er fühlte, wie gut es ihm tat, sich endlich hinzulegen und sich einfach nur zu strecken.
 

Heute war er ziemlich viel hin und hergelaufen und seine Beine und sein Rücken schmerzten, da er es nicht gewohnt war, sich so viel zu bewegen. Im Moment war er nichts weiter als ein Laufbursche und die meisten Aufgaben, die Kaiba ihn übergab, waren Dinge, die man problemlos einen Anfänger in die Hand drücken konnte. Akten sortieren. Rechnungen kontrollieren. Zwischen den Abteilungen herumlaufen und Rundschreiben und Anweisungen übergeben. Es war nicht so, dass die Arbeit langweilig war, aber er hatte mehr damit gerechnet, dass Kaiba und er Spherium in nächster Zeit in Angriff nehmen würden.
 

Stattdessen hetzte Kaiba in erbarmungslos hin und her und wollte ihn zu einem formidablen Geschäftsmann formen. Yuugi murrte nur und streckte die Arme von sich, ließ sie einen Moment in der Luft, ehe er sie links und rechts von sich fallen ließ. Jounouchi keuchte auf, als Yuugis rechter Arm ihn direkt in der Bauchgegend traf. Rasch richtete er sich auf.
 

„Kaiba-kun ist so anstrengend. Ich werde noch verrückt wegen ihm...“, nuschelte Yuugi und drehte sich nun auf den Bauch, drückte seinen Kopf in die Bettdecke und gab undefinierbare Laute von sich. Er konnte durchaus verstehen, warum Kaiba der Ansicht war, dass er noch nicht bereit dazu war, seine eigene Abteilung zu leiten und er war bereit, für seinen Traum wie ein blutiger Anfänger behandelt zu werden, doch Kaiba war so rechthaberisch und rücksichtslos, dass er mehr als nur einmal über dessen Verhalten grummelte und sich immer wieder davon abhalten musste, diesen auszuschimpfen oder wortlos den Raum zu verlassen. Diese Zusammenarbeit kostete ihn weitaus mehr Beherrschung als er zu Anfang gedacht hatte.
 

„Dieser verdammte...!“, rief der Blonde aus, stand nun kerzengerade vor dem Bett und krempelte sich die Ärmel hoch.
 

„Den mache ich platt! Mal sehen, ob er immer noch eine große Fresse hat, wenn ich ihm die Zähne ausschlage!“
 

„Gewalt ist keine Lösung!“, rief Yuugi entgegen und richtete sich auf. Der Blonde zog sich Yuugis Bürostuhl zu sich und setzte sich auf diesen, verschränkte die Arme und starrte Yuugi uneinsichtig ein. Er kannte die Gesamtsituation zwar nicht, aber er träume seit acht Jahren davon, Kaiba endlich eine zu verpassen. Jedes Mal, wenn er kurz davor war, dies in die Tat umzusetzen, hielt Yuugi ihn auf und meinte nur, dass es nichts bringen würde, andere zu verletzen, da diese dadurch nur noch sturer werden würden.
 

„Aber mir würde es dann besser gehen.“
 

„Mir aber nicht. Und Kaiba-kun auch nicht!“
 

Yuugi setzte sich nun völlig auf und setzte sich an die Bettkante. Nebenbei griff er nach seiner Lederjacke und nahm sie in die Hand, faltete sie zusammen und legte sie an den Kopf des Bettes. Ein langer Seufzer entwich seiner Kehle.
 

„Kaiba-kun hat mir nichts angetan. Nur seine Sprüche sind echt hart. Ich weiß absolut nicht, was er denkt oder ob ich ihn nerve. Manchmal frage ich etwas und dann schaut er direkt so finster, als hätte ihm ich etwas angetan. Er mag es nicht, wenn man ihn bei seiner Arbeit unterbricht , aber ich kann mir ja schlecht alles selbst beibringen.“
 

„Kaiba hatte schon immer einen fiesen Gesichtsausdruck. Davon darfst du dich nicht unterkriegen lassen. Ich check' zwar nicht, warum du nun ausgerechnet mit ihm zusammenarbeitest, da es sicher noch andere Firmen gegeben hätte, die dich angenommen hätten... aber wenn du der Ansicht bist, dass das die richtige Entscheidung ist, stehe ich hinter dir.“
 

„Danke, Katsuya. Ich muss echt lernen, seine sarkastischen Sprüche nicht so ernst zu nehmen. Obwohl er häufig genau ins Schwarze trifft.“
 

„Wenn er dir 'nen Spruch drückt, sage einfach Sorry, hab dir grad nicht zugehört, dreh dich um und lass ihn stehen. Darüber ärgert er sich am meisten. Glaub mir, der Kerl kann es überhaupt nicht ab, wenn man ihn nicht wahrnimmt.“
 

Jounouchi grinste breit. Auch wenn er es ungern zugab, er verstand diesen eingebildeten Firmenleiter besser als jeder andere. Vermutlich, weil er sehr viel Zeit damit verbracht hatte, Mittel und Wege zu finden, diesen auf die Palme zu bringen und somit dessen Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Immerhin wollte Jounouchi, dass Kaiba endlich zugab, dass er zu den besten Duellanten gehörte und nicht irgendein No-Name war. Jounouchi hatte viele Turniere sogar gewonnen und hatte somit das Recht, auch in der Kaiba Rankinglist aufgenommen zu werden, trotzdem hatte er immer noch nur zwei Sterne und gehörte somit zum Durchschnitt. Das machte den Blonden rasend.
 

Irgendwann würde Kaiba sein Talent und seine außerordentlichen Fähigkeiten anerkennen und somit die Bewertung ändern müssen. Jounouchi war ja wohl mindestens vier oder sogar fünf Sterne wert! Ach was! Seine Strategie war legendär. Und außerdem sah er gut aus. Der Blonde war von sich selbst überzeugt und konnte es nicht ausstehen, wenn man ihm nicht die Achtung schenkte, die ihm gebührte. Dass Kaiba nach so vielen Jahren immer noch so tat, als gäbe es ihn nicht, verletzte seinen Stolz. Aber weil Yuugi den Brünetten als Freund bezeichnete, bemühte er sich sehr darum, diesen nicht unnötig zu provozieren. Obgleich Jounouchis bloße Existenz eine Provokation für Kaiba darstellte.
 

„Ich möchte mit ihm zusammenarbeiten und ihn noch wütender zu machen kann wohl kaum die richtige Lösung sein. Am Ende sitzen wir nur noch stumm im Büro und allein die Vorstellung ist unerträglich.“
 

„Schreib doch Mokuba 'ne Nachricht und frag' ihn, was er dazu sagt! Der hat doch sicher einen guten Tipp für dich, wie man mit ihm umgehen muss.“
 

Seine schlanken Hände griffen nach seinem Smartphone und er wischte mehrmals über die Fläche, ehe er Jounouchi die Bilder zeigte, die Mokuba ihm geschickt hatte.
 

„Er sagt, er würde länger bleiben.“, kam es beiläufig von Yuugi.
 

„Der lässt es sich ganz schön gut gehen. Sieht ja fast so aus, als wären das Flitterwochen und kein Kurzurlaub.“
 

Der Blonde pfiff als Zeichen seiner Anerkennung.
 

Im Moment sah Yuugi keine andere Lösung, als Mokuba direkt zu fragen, wie er sich Kaiba gegenüber am besten verhalten sollte. Atem hätte seine provokanten Sprüche sicher erwidert und Kaiba gezeigt, dass er sich ihm gegenüber zurückhalten sollte. Aber Yuugi hatte nicht vor, Atem nachzuahmen, sondern wollte seine eigene Lösung finden. Als Mokuba antwortete und darauf hinwies, dass es am besten wäre, ihn zu ignorieren und ihn wie Luft zu behandeln, schluckte Yuugi hart. Er wollte Kaiba nicht so vor den Kopf stoßen. Er wollte mit ihm zusammen arbeiten und sich mit ihm anfreunden.
 

Jounouchi und Yuugi verbrachten den Abend mit Videospielen. Wenigstens für diesen Moment konnte er Kaiba vergessen. Spät in der Nacht verließ das Blonde das Haus und machte sich auf den Rückweg. Zu gern hätte Yuugi bis zum Morgengrauen weiter gespielt und sich von seinen Gedanken abgelenkt.
 

In der Nacht hatte er genau wie Kaiba es vorhergesagt hatte, kaum ein Auge zugetan. Es ging ihm einfach nicht aus den Kopf. Für einen Moment war Kaiba so freundlich zu ihm gewesen und auch wenn es nur ein kurzer Augenblick war, hatte Kaiba ihn als Person wahrgenommen und ihm aufmerksam zugehört. Er hatte ihn sogar Komplimente gemacht. Kaiba interessierte sich für Spherium. Er hatte mit Begeisterung auf die Skizze geblickt und sogar leicht gelächelt. Sein Blick war sanft und warm. Oder war das alles nur Wunschdenken?
 

Kaiba war kein schlechter Mensch. Und Yuugi wusste das. Er glaubte daran und weigerte sich, in diesem Mann nur ein herzloses Monster zu sehen und ihn als gefühlskalt abzustempeln, obgleich er doch so viel Menschlichkeit durchscheinen ließ. Kaiba war sogar in die Vergangenheit gereist, um Atem wiederzusehen, also bedeuteten ihm die Bindungen zu Menschen etwas. Da stellte sich nur die Frage, wie Kaiba über Yuugi dachte. Er hatte ihn als Rivalen anerkannt, doch seit sie mehr Zeit miteinander verbrachten, hatte auch Yuugi mehr und mehr das Gefühl, dass Kaibas Ego ihn zu verändern drohte. Vor allem die Art, wie er Kaiba sah. Und wie dieser ihn sah.

Kapitel 23

Die Tage vergingen. Yuugi hatte zwei Seminare nun hinter sich und mehr über sich selbst erfahren, als es ihm lieb war. Mittlerweile versuchte er viel mehr, sich in Gespräche einzubinden und wenn Kaiba etwas sagte, nahm er dies entweder schweigend hin oder gab Kaiba einen ebenso fiesen Konter zurück, so dass dieser entweder genervt mit den Augen rollte und aufgab oder aber anfing, mit ihm zu diskutieren.
 

Vielleicht war es nur seine Einbildung. Kaiba wirkte zunehmend freundlicher und erklärte auch von sich aus Dinge, die Yuugi nicht verstand. Ihre Zusammenarbeit war nicht optimal, aber schon so viel besser geworden, dass Kaiba das Gefühl bekam, sich auch auf seinen neuen Partner verlassen zu können.
 

„Kaiba-kun, ich bin fertig.“, kam es routiniert von Yuugi. Mittlerweile hatte er sich an den Arbeitsablauf gewohnt.
 

„Gut, dann bring diese Unterlagen in die Entwicklerabteilung.“ Kaiba zeigte, ohne von seinem Bildschirm aufzusehen, auf mehrere Umschläge auf seinem Schreibtisch. Zaghaft griff Yuugi nach den Unterlagen. So ganz geheuer war ihm nicht bei den Gedanken, wieder auf Nomura zu treffen. Die ausgesprochene Drohung hatte er nicht vergessen und er hoffte sehr, dass es zu keinen unnötigen Streit kam, wenn Yuugi ausgerechnet diesem die Unterlagen überbrachte.
 

Dass Kaiba für einen Moment hochgeschaut hatte und Yuugi musterte, bekam dieser nicht mit. Aus irgendeinem Grund schien sich Yuugi nicht wohl zu fühlen, aber Kaiba sah keinen weiteren Grund, dessen eigenartiges Verhalten weiter zu ergründen. Er musste lernen mit den Angestellten klar zu kommen. Als Yuugi das Büro verließ, hielt Kaiba in seiner Bewegung inne und öffnete das Überwachungssystem auf seinem Bildschirm. Sämtliche Abteilungen waren vernetzt und notfalls konnte er einen Blick über die Schulter seiner Angestellten werfen. Es war nicht seine Art, diese auszuspionieren und es kam extrem selten vor, dass er dies tat und trotzdem sagte ihm irgendetwas, dass er einen Blick riskieren musste.
 

Wie so oft stand Yuugi einfach nur da. Man hätte meinen können, er hatte vergessen, was er tun sollte, da er seinen Kopf hin und herbewegte und es so aussah, als würde er etwas Bestimmtes suchen, von dem er nicht einmal mehr selbst wusste, was es war. Dann fasste er sich ein Herz und trat in die Arbeitsfläche. Die meisten Entwickler hatten Yuugis Präsenz nicht einmal bemerkt. Leider musste er zugeben, dass er nur wenig Eindruck hinterließ, da er sich meist zurückhielt. Trotzdem kämpfte er sich weiter durch und lief Slalom um die Arbeitsgeräte und Bürotische.
 

Vor einem jungen schwarzhaarigen Mann blieb er dann stehen.
 

Kaiba stellte den Ton nun auch ein, um alles mitzubekommen. Er erwartete, dass Yuugi ihm einfach nur die Unterlagen übergab und sich dann zurückzog, doch Nomura ignorierte Yuugi mit Absicht. Mehrmals sprach Yuugi ihn beim Namen an und Nomura machte sich einen Spaß daraus, so zu tun, als wäre der Jüngere gar nicht da. Dieser umklammerte die Unterlagen vor seiner Brust, nur wenige Millimeter über seinem Gesicht und erklärte, dass er diese Unterlagen selbst angefordert hätte und sie nun auch annehmen müsste, wo Kaiba sie extra für ihn zusammengestellt hatte.
 

Dann griff er nach seiner Kaffeetasse und drehte sich mit dieser um. Heißer Dampf stieg aus der Tasse empor, das Getränk musste frisch gebrüht gewesen sein. Mit einer hastigen Bewegung hob er den Becher so, dass die heiße Flüssigkeit sich auf Yuugi ergoss. Er hatte mit Absicht auf sein Gesicht gezielt. Yuugi schrie kurz auf und ließ die Unterlagen nun fallen.
 

Kaiba war instinktiv aufgestanden und schlug auf den Tisch. Was zum Teufel ging da vor sich?!
 

„Entschuldige, ich hab dich nicht gesehen.“, grinste Nomura und erhob sich von seinem Drehstuhl. Yuugi wich einige Schritte zurück und sagte nichts. Kaiba war außer sich vor Wut. Warum sagte er nichts!? Wieso ließ sich Yuugi das gefallen und was bildete sich Nomura ein, Yuugi so zu behandeln?
 

„Du bist so winzig, da passiert das schon mal. Aber mit deiner Größe passt du gut unter einen Schreibtisch. Kannst dich ja hochlutschen ohne auf die Knie zu gehen.“
 

Hier und da wurde leise gekichert. Kaiba bewegte sich von seinem Schreibtisch weg und steuerte die Abteilung an. Es war nicht seine Aufgabe, Yuugi zu beschützen, doch er war nun mal der Leiter dieser Firma und er konnte nicht zulassen, dass mit wichtigen Dokumenten so umgegangen wurde. Zumindest hatte er nun einen perfekten Vorwand dort aufzutauchen und die Situation auf seine Weise zu entschärfen. Innerlich brodelte er, weil Nomura Yuugi körperlichen Schaden zugefügt hatte und Yuugi das einfach mit sich machen ließ, ohne sich zu wehren.
 

„Wie bitte?“, empörte sich Yuugi und wischte sich noch einmal mit seinem Ärmel über sein Gesicht.
 

„Ach, komm schon! Tu doch nicht so. Du bist doch nur hier, um dich einzuschleimen. Denkst wohl ernsthaft, dass wenn du brav Kaiba-sama hinterherrennst und ihm die Füße küsst, dass er dir eine hohe Position gibt. Machst es dir ganz schön einfach, was?“
 

„So ein Unsinn! Kaiba-kun und ich sind Partner!“
 

„IIIIIHHH, eine Schwuchtel! Geh weh, sonst stecke ich mich noch an!“, brüllte Nomura und nun lachten fast alle Männer der Abteilung laut los. Sie alle sahen in Yuugi eine Gefahr. Jemand, der eine hohe Position erhalten hatte, ohne auch nur etwas dafür tun zu müssen. Ein widerlicher Schleimer, der nichts drauf hatte und seit fast zwei Wochen hier ein und ausging, ohne dass irgendwer wusste, was er hier zu suchen hatte.
 

Kaiba hatte sich nicht die Mühe gemacht, zu erklären, warum Yuugi hier war. Es kursierten so einige Gerüchte innerhalb des Firmengeländes. Kaiba wäre verrückt nach Mutou Yuugi gewesen und hätte nur diesem im Kopf gehabt und hatte sogar eine neue Schwarze Magier Reihe ins Leben gerufen, einzig und allein, um seinen Rivalen einen Gefallen zu tun. Und sogar einen exklusiven Dueldisk bekam dieser und ihre Duelle wurden extra prunkvoll inszeniert. Kaiba zeigte nie Interesse an seinen Mitarbeitern und wurde sehr schnell sehr laut. Er ließ keinen Fehler unbestraft und war niemand, mit dem man ruhig reden konnte.
 

Seit der Konferenz war das anders. Mutou Yuugi hatte sich ungefragt eingemischt. Und seine Meinung wurde von Kaiba geschätzt und das nervte die anderen Angestellten. Bisher hatten sie immer gehässig hinter vorgehaltener Hand über Kaiba geredet, doch nun tuschelten sie über den neuen Angestellten, der stets an Kaibas Seite war. Ein Mann, der wie ein braves Schoßhündchen seinem Herrchen hinterher hechelte.
 

Schon lange bevor Yuugi begann in der Kaiba Corporation zu arbeiten, waren deutlich Spannungen spürbar. Enormer Leistungsdruck, Stress und hartes Konkurrenzdenken. Kaiba war niemand, der Anerkennung zeigte oder gar ein Wort des Lobes übrig hatte. Für niemanden. Selbst bei seinem eigenen Bruder hielt er sich nicht zurück und kritisierte diesen genauso hart wie einen normalen Angestellten. Kaiba nahm keine Rücksicht. Er war immer geradeheraus und wenn ihn etwas nicht passte, dann sagte er das auch. Dabei achtete er nicht auf seine Wortwahl. Es interessierte ihn nicht, dass seine sarkastischen Sprüche verletzend waren und anderen das Gefühl gab, im Vergleich zu ihm nichts wert zu sein.
 

Wenn er etwas sagte, nur um zu kritisieren und zu schimpfen. Fehler beruhten einzig und allein auf mangelnder Kompetenz und Nachlässigkeit. Keiner wollte von Kaiba runter geputzt werden, erst recht nicht, wenn dieser mal wieder schlechte Laune hatte, weil er ein Duell verloren hatte oder sonst irgendetwas nicht nach Plan lief.
 

Doch seit Yuugi hier war, verhielt sich der Eiskönig etwas anders. Kaiba hielt sich zurück und hatte sogar bei Problemen geholfen, anstatt sie nur zu kritisieren. Diese plötzliche Veränderung blieb nicht unbemerkt. Kaiba war gezähmt worden. Und das ausrechnet von dessen Rivalen. So sprachen die Leute über ihn. Die meisten machten Yuugi dafür verantwortlich. Er hatte sich eingeschleimt und Kaibas Anerkennung erhalten, wobei er nichts getan hatte, außer kleine Aufgaben zu erledigen, die auch ein ungelernter Praktikant hätte erledigen können. Kaum einer gönnte Yuugi diesen Erfolg. Sie waren erfüllt von Neid und Wut.
 

Das laute Gelächter brach wie eine alles verschlingende Welle über Yuugi ein. Er fühlte sich, als würde ihn irgendetwas unter Wasser ziehen und ihn nicht mehr loslassen. Der Kloß in seinem Hals hinderte ihn daran zu sprechen. Seine Wangen waren knallrot. Entweder lag es an dem heißen Kaffee oder daran, dass er sich in Grund und Boden dafür schämte, sich in so einer Situation zu befinden. Als er den Mund öffnete, lachte Nomura umso lauter und motivierte die restlichen Angestellten dazu, beherzt mitzulachen.
 

Plötzlich wurde es still. Die meisten hatten sich zur Tür gedreht in der ein äußerst erzürnter Kaiba stand. Stumm lief er an den einzelnen Angestellten vorbei. Sie alle taten nun so, als wäre nie etwas passiert und schauten stur auf ihre Bildschirme und widmeten sich ihrer Arbeit. Kaiba wusste aber, dass sie versuchten, ihren eigenen Hals zu retten. Direkt vor Nomura und Yuugi blieb er stehen. Yuugi senkte den Blick und biss sich auf die Unterlippe. Verdammt. Kaiba musste ihn für einen absoluten Schwächling halten.
 

„Nomura-san... wieso liegen diese wichtigen Dokumente auf dem Boden?“
 

Nomura stammelte unverständliche Worte. Dass Kaiba höchstpersönlich hier auftauchte war das letzte, womit er gerechnet hatte.
 

„Kaiba-kun... das war meine Schuld. Ich habe den Kaffee umgestoßen und die Unterlagen fallen lassen.“, kam es von Yuugi, der sich nach den Unterlagen bückte, sie wieder aufsammelte und an seiner Weste trocknete. Auf seinen Händen waren rote Flecken. Klare Verbrennungen von der heißen Flüssigkeit und Kaiba wusste nicht, ob er Yuugi nun hassen sollte oder sogar loben für seinen Teamgeist.
 

Nomura starrte ihn mit großen Augen an. Kaiba verkniff sich, das zu sagen, was er am liebsten sagen wollte, sondern wandte sich an alle Angestellten.
 

„Ich möchte, dass ihr eure Aufgaben erledigt. Wir haben einen strengen Terminplan, aber wenn wir uns ranhalten, schaffen wir das. Ich werde die Unterlagen nochmal ausdrucken und ihr konzentriert euch auf das, was ihr tun müsst.“
 

Yuugi lief an Kaiba vorbei und hielt die Unterlagen nah an seinem Körper. Der Firmenleiter brachte Ordnung in das Chaos und verließ dann die Abteilung. Er konnte Yuugi nirgendwo sehen. War er zurück ins Büro gekehrt? Was auch immer geschehen war, er musste mit ihm darüber reden und herausfinden, wieso er nichts gesagt hatte. Warum ließ er sich so herumschubsen?
 

Als er das oberste Stockwerk erreichte, konnte er Yuugi schon aus der Entfernung vor seiner Bürotür lehnen sehen. Sein Blick war gen Boden gesenkt. Noch immer hielt er die aufgeweichten Unterlagen fest. Er hätte sich über ihn lustig machen können oder ihn ausschimpfen, weil er so etwas mit sich machen ließ und dumm genug war, den Typen zu schützen, der ihm schaden wollte und ihn sogar verletzte, stattdessen legte er eine Hand behutsam auf Yuugis Schulter. Kaiba war kein Mensch, der andere gerne berührte. Er vermied Körperkontakt. Seine Hand ruhte nur wenige Sekunden auf dessen Schulter. Trotzdem durchfuhr Yuugi ein angenehmer Schauer und er schätzte diese Geste sehr.
 

Es war eine freundschaftliche Geste. Kaiba wollte Yuugi aufheitern. Warum genau wusste er selbst nicht. Vielleicht lag es daran, dass er sich mitschuldig fühlte, da er Yuugis Reaktion nicht hinterfragt hatte oder weil eine derartige Eskalation unter seiner Führung geschehen war.
 

„Lass uns rein gehen.“, sagte er und öffnete die Tür.
 

Schweigend folgte Yuugi ihm. Kaiba setzte sich nicht zurück an seinen Platz, sondern steuerte seinen Pausenraum an. Obwohl es ihm nicht gesagt wurde, wusste Yuugi, dass er ihm folgen sollte. Er setzte sich auf die Ledercoach und sein Griff um die Unterlagen wurde nur fester. Er war wütend auf sich selbst. Kaiba hielt ihn für einen Schwächling und Yuugi musste ihm Recht geben. Er wusste ja nicht einmal selbst, warum er Nomura verteidigt hatte, obwohl es sein gutes Recht gewesen wäre, diesen anzuschwärzen. Für einen Moment konnte er diesen Mann ja auch verstehen.
 

Nomura arbeitete seit Jahren in der KC und musste stets die Launen seines Chefs aushalten und in all den Jahren bekam er kein einziges Wort des Dankes oder der Anerkennung. Und dann kam ein Jungspund, der all das erreichte, wofür er seit Jahren hingearbeitet hatte. Yuugi hörte das Rauschen von Wasser.
 

Kaiba setzte sich neben ihn und legte Yuugi wortlos ein kühles Tuch auf die Wange.
 

„Eine solche Verbrennung muss man behandeln, ansonsten bleibt eine Narbe zurück.“
 

Yuugis Unterlippe bebte und seine Augen wurden feucht. Er wollte ihm nicht ins Gesicht sehen. Er senkte den Blick und biss sich selbst auf die Unterlippe, um sich selbst daran zu hindern, etwas zu sagen, womit er das letzte bisschen Würde, das er besaß, zerstören konnte.
 

„Es war nett, dass du ihn verteidigt hast. Ich habe alles gesehen und weiß, dass du gelogen hast. Ich werde dich nie verstehen, Yuugi.“
 

Kaiba machte ihm deutlich Vorwürfe, aber es tat es in einer Art und Weise, dass Yuugi sich nicht sicher war, ob er dies nun böse meinte oder nicht.
 

„Aber vielleicht ist dieses Mitgefühl auch so etwas wie Stärke. Nur in einer anderen Form. Du darfst dich von anderen nicht so behandeln lassen. Das nächste Mal wirst du ihm ordentlich die Meinung sagen.“
 

„Warum bist du mir gefolgt?“
 

Kaiba ließ das Tuch nicht los und betrachtete Yuugi genau. Er spürte, dass dieser ihn nicht ansehen wollte und in ihm wuchs das Gefühl, ihn am Kinn zu packen und ihn zum Aufsehen zu zwingen, hielt sich aber selbst davon ab, wissend, dass er damit nur noch mehr Salz in die Wunde streuen würde. Auf Yuugis Händen befanden sich rote Flecken und Kaiba kam nicht drum herum, sich zu fragen, wieso Yuugi so gehandelt hatte. Atem hatte dieses Mitgefühl in höchsten Tönen gelobt. Atem war überzeugt davon, dass Yuugi stärker wäre als er selbst.
 

»Atem... ist das die Stärke, von der du gesprochen hast? Mitgefühl und die Bereitschaft sich zu opfern? Yuugi ist verletzt worden, weil er zu feige war, den Mund aufzumachen. Was würdest du jetzt sagen?«, grübelte Kaiba und bewegte das Tuch an Yuugis Wange vorsichtig, sodass dieser kurz zusammenzuckte und nach Luft schnappte.
 

Atem hätte sicher nach seinem Wohlergehen gefragt und ihn aufgemuntert. Aber Kaiba war andes. Er brachte es nicht fertig, Yuugi zu fragen, wie es ihm ging, weil er genau wusste, dass er mit einem Gefühlsausbruch nicht umgehen konnte. Dennoch gefiel ihm Yuugis Sichtweise nicht. Es war grundverkehrt sich absichtlich in Gefahr zu bringen. Kaiba wollte ihn nicht noch dazu ermutigen, sich weiterhin in diese Opferrolle zu drängen und Schaden wissentlich in Kauf zu nehmen. Auf Yuugis heller Haut waren rote Flecken und Brandblasen, doch was sonst hatte er durch diese Freundlichkeit erhalten? Er fragte sich wirklich, was Yuugi jetzt dachte, da er absolut nicht verstehen konnte, was Yuugi sich davon erhoffte, jemanden zu verteidigen, der ihn nicht ausstehen konnte. Wollte Yuugi sich etwa mit Nomura anfreunden? Zuzutrauen wäre es ihm auf jeden Fall.
 

Immerhin hatte Yuugi selbst Kaiba seine Freundschaft angeboten und obwohl Kaiba es genossen hatte, Yuugi und dessen Freunde zu verletzen und zu demütigen, saßen sie nun hier und er fand sich selbst in einer Situation, in der er über das Wohlergehen desjenigen nachdachte, den er als seinen Rivalen betitelte. Seine liebenswerte Art und sein Wunsch nach Anerkennung und Harmonie würde irgendwann sein Todesurteil werden, so glaubte der Firmenchef.
 

„Ist das jetzt wirklich wichtig? Viel mehr solltest du dir die Frage stellen, warum du ihn auch noch in Schutz genommen hast. Erkläre mir, was passiert ist, denn wenn du es nicht tust, werde ich dich niemals verstehen. Und das ist es doch, was du willst, oder?“
 

Yuugi hob den Kopf und ließ endlich die Unterlagen los, legte eine Hand auf das kühle Tuch und sah den Firmenchef genau an. Kaiba zog nun die Hand zurück und warf einen abwartenden Blick auf den Bunthaarigen, der sichtbar nach den richtigen Worten suchte. Er haderte mit sich selbst, entschied dann, dass es das Beste war, Kaiba zu erzählen, was vorgefallen war und wie seine Angestellten hinter seinem Rücken sprachen. Kaiba sagte all die Zeit gar nichts und hörte ihm aufmerksam zu. Auch wenn er nichts sagte, so meinte Yuugi, in seinen Augen so etwas wie Trauer erkennen zu können.
 

„Ich dachte einfach, dass es das Beste ist, wenn ich Nomura-san nicht anschwärze. Hätte ich ihn verpetzt, würde er mir das nie verzeihen und wir würden niemals normal miteinander arbeiten können.“
 

„Nomura gehört zu meinen besten Entwicklern in der Abteilung und er wäre sicher auch bei Spherium dabei. Du wolltest eurer zukünftiges Arbeitsverhältnis nicht belasten. Sehe ich das richtig?“, erklärte Kaiba und staunte darüber, dass Yuugi soweit gedacht hatte.
 

„Ja...“, murmelte Yuugi und drehte das Tuch in seinen Händen.
 

„Aber eigentlich... wollte ich nur nicht, dass er mich hasst.“, fügte er dann noch hinzu.
 

Kaiba seufzte genervt auf und erhob sich von der Coach. Überrascht sah Yuugi ihm hinterher. Der Brünette holte ein rotes Kästchen heraus, auf dem sich ein weißes Plus-Zeichen befand. Mit diesem setzte er sich wieder zu ihm. Es handelte sich um einen Erste-Hilfe Kasten.
 

„Streck die Hände aus.“, befahl Kaiba, während er eine kleine Tube aus dem Kästchen nahm und diese aufschraubte. Zögerlich sah Yuugi ihn an. Allein der Gedanke, dass der Firmenchef, der ihn seit zwei Wochen stets runter machte und jeglichen weiteren Kontakt zu ihm verweigerte, seine Wunden verarzten wollte, ließ ihn an der Realität zweifeln. Kaiba war nie ein Mann gewesen, der offen seine Gefühle zeigte oder gar Interesse an dem Wohlergehen anderer hatte.
 

Yuugi erinnerte sich an Battle City und an Kaibas harsche Worte, als Jounouchi nach dem Duell der Schatten gegen Yami no Malik, sein Leben ausgehaucht hatte. Er sollte den Tod seines besten Freundes überwinden und in die Arena steigen. Es hatte ihn nicht interessiert, dass ein Duellant gerade eben in seiner Arena gestorben war. Der Blonde hatte nicht mehr geatmet. Sein lebloser Körper lag einfach nur da. Voller Verzweiflung war Yuugi auf die Knie gefallen und schrie so lange, bis seine Stimmbänder versagten. Er weinte so lange, bis keine Tränen mehr kamen. Atem war gefasst gewesen. Er weinte nicht. Atem stand einfach nur stumm da und blickte zu Boden, legte dem Blonden seinen Dueldisk an und meinte, dass er kämpfen sollte. Bis heute bewunderte Yuugi Atem dafür, dass er weitergemacht hatte und sich nicht unterkriegen ließ. Er war selbstbewusst in die Arena gestiegen und hatte Kaiba das Duell gegeben, was dieser sich aus tiefstem Herzen gewünscht hatte.
 

Yuugi selbst war so verzweifelt und erschlagen, dass er fast gar nichts von diesem Duell mitbekommen hatte. Die Angst, seinen geliebten Freund zu verlieren, hatte ihn förmlich gelähmt und die Wut darüber, dass Kaiba dies überhaupt nicht störte, verwirrte ihn so sehr, dass er sich nicht auf Atems Duell konzentrieren konnte. Auch heute schockierte es ihn, wie wenig Anteilnahme Kaiba gezeigt hatte und auch Mokuba hatte ihm insgeheim erzählt, dass dieser Moment ihn zum Nachdenken bewegt hatte. Mokuba hatte damals erkannt, dass sein Bruder besessen war. Besessen von der Vergangenheit und dem Durst nach Macht.
 

Das war Jahre her, aber Yuugi erinnerte sich an Kaibas unbeeindruckten Gesichtsausdruck, als wäre dies erst gestern passiert. Und obwohl er selbst am eigenen Leib erfahren hatte, wie grausam der Firmenchef sein konnte, hatte er ihn stets in Schutz genommen und an ihn geglaubt. Daran geglaubt, dass Kaiba ein guter Mensch war. Und heute wurde ihm zum ersten Mal so richtig bewusst, dass dieser Glaube nicht umsonst war und er nicht enttäuscht wurde. Kaiba hatte eine liebevolle und fürsorgliche Seite, die er nur nicht zeigen wollte.
 

Ein sanftes Lächeln umspielte seine Lippen und er legte das Tuch zur Seite, streckte die Hände aus, sodass Kaiba ihn behandeln konnte. Behutsam verteilte er die Creme, achtete darauf, die beschädigte Flächen nicht zu viel zu berühren, um die entstanden Brandbläschen nicht aufzureißen. Yuugi fühlte sich einerseits unwohl, aber auf der anderen Seite war er einfach nur glücklich darüber, dass Kaiba ihn so liebevoll umsorgte. Beinahe glaubte Yuugi, dass Kaiba ihn besonders vorsichtig berührte, da er befürchtete, ihm wehzutun.
 

Als Kaiba dann den Verband anlegte und diesen um seine Hände wickelte, senkte Yuugi einmal mehr den Blick und bedankte sich. Kaiba nickte nur. Er sah keine Notwendigkeit diesen Moment mit unnötigen Worten zu stören, zumal es ihm selbst ein wenig unangenehm war, so viel Körperkontakt mit seinem ärgsten Rivalen zu haben. Yuugi bestaunte Kaibas Werk und wie unglaublich professionell er den Verband gemacht hatte. Man hätte meinen können, dass er Erfahrung damit hatte...
 

Als Kaibas kalte Hand plötzlich sein Gesicht berührte und er Yuugis Ponysträhnen zur Seite strich, zuckte Yuugi dermaßen auf, dass Kaiba genervt mit den Augen rollte und ihn ermahnte, endlich still zu halten.
 

Mit absoluter Engelsgeduld verteilte Kaiba auch auf Yuugis Wange die Creme, achtete insbesondere darauf, die Augenpartie auszusparen und Yuugi nicht noch mehr unnötige Schmerzen zuzufügen. Es war ungewohnt einen anderen Menschen zu umsorgen und Kaiba war sich sicher, dass Yuugi nun der Ansicht war, dass sie endlich Freunde seien, aber für Kaiba war das Ganze nur Erste Hilfe. Als verantwortungsvoller Firmenleiter konnte er nicht zulassen, dass das Ansehen seiner Firma darunter litt, dass einer seiner Angestellten verletzt und nicht behandelt worden war. Kaiba suchte in seinen Gedanken nach zig Ausreden und schien sich vor sich selbst rechtfertigen zu wollen, dass es ihn nicht kümmerte, was aus Yuugi wurde und doch kam jedes Mal derselbe Gedanke in ihm hoch, wenn er einen Blick auf die verbrannte Haut warf.
 

Hoffentlich blieben keine Narben. Diese schöne weiche Haut durfte nicht entstellt bleiben.
 

„Vielen Dank, Kaiba-kun.“, hauchte Yuugi ihm entgegen und in seinen Augen strahlte so viel Freundlichkeit, dass er sich schon geblendet fühlte und sich abwenden musste. Räuspernd griff er nach dem Kästchen und verstaute die benutzten Utensilien darin, nur um rasch den Abstand zwischen ihnen zu vergrößern und aufzustehen. Er fühlte sich, als wäre er auf der Flucht. Yuugis Lächeln und diese übernatürliche Freundlichkeit ließ ihn erkennen, wie ekelhaft er selbst war und wieso nicht nur Mokuba, sondern auch seine Bediensteten und Angestellten über ihn redeten und sich von ihm abwandten. Neben Yuugi empfand er sich selbst noch viel unerträglicher. Ja, neben diesem jungen Mann war er ein hässliches, abartiges und ekelerregendes Monster.
 

Einmal mehr verstand er, was Atem mit dem Monster in seiner Seele meinte und es schmerzte ihn, dass dieser stolze Pharao, sein größter und wahrer Rivale, dies eher erkannt hatte als er selbst. Atem war ihm in wirklich jeder Hinsicht überlegen.
 

Wäre Mokuba nicht gegangen und Yuugi in seine Firma gekommen, hätte er einen solchen Vorfall einfach totgeschwiegen und so getan, als würde es ihn nichts angehen. Selbst jetzt fragte er sich, warum er überhaupt aufgestanden war und Yuugi hinterhergelaufen war. In diesem Moment hatte er Angst um Yuugi. Um seine Sicherheit. Und das kotzte ihn an. Es ärgerte ihn, dass er so dachte und dass der Mann, den er als seinen Rivalen anerkennen wollte, sich in sein Herz geschlichen hatte. Yuugi brachte frischen Wind in seine Firma und diese Zusammenarbeit kostete ihn weitaus mehr Beherrschung, als es ihm lieb war. Wohl oder übel hatte er angefangen Rücksicht auf Yuugi zu nehmen.
 

Doch warum? Weil Atem ihn darum gebeten hatte? Weil Atem Yuugi wie einen jüngeren Bruder liebte und diesen schützen wollte? Das musste es sein. Er wollte Atem nicht enttäuschen und er würde ihm niemals wieder in die Augen sehen können, wenn Yuugi verletzt würde und hässliche Narben davon trug. Es fiel ihm schwer, sich selbst einzugestehen, dass er diesen Duellanten brauchte und auf eine befremdliche Art und Weise ihn sogar schätzte und seine Nähe mittlerweile als recht angenehm empfand. Yuugi erledigte seine Arbeiten ohne Murren. Er nahm ihn ernst und ließ sich auch seinen Sarkasmus nicht gefallen. Kaiba war es gewohnt, dass seine Angestellten ihn fürchteten. Doch Yuugi hatte keine Angst vor ihm und bestand sogar darauf, dass sie Freunde waren. In seiner unendlichen Naivität wünschte er ihm selbst dann noch einen schönen Abend, wenn er ihn beleidigte und zeigte stets Sorge um sein Wohlergehen.
 

Yuugi spielte diese Gefühle nicht. Kaiba wollte glauben, dass Yuugi nur eine Maske trug und seine Freundlichkeit purer Selbstschutz war, aber je mehr Zeit er mit diesem verbrachte und je öfter sie miteinander sprachen, desto mehr musste er einsehen, dass er es ernst meinte mit seiner Freundschaftsnummer. Vollkommen egal, wie oft Kaiba ihn wegstieß, ihn demütigte oder bedrohte, Yuugi kam immer wieder zurück, anstatt das Weite zu suchen. Yuugi gab ihn nicht auf und vielleicht hatte er dies unterschwellig bemerkt und er freute sich mehr darüber, als er zugeben konnte.
 

Er selbst hatte gar nicht gemerkt, dass Yuugis Fürsorge für andere langsam auf ihn abfärbte. Zwei Wochen waren gerade mal vergangen. Nicht mal. In dieser kurzen Zeit hatte er Yuugi viel mehr kennengelernt, als es ihm lieb war und auf abstruse Weise konnte er dessen Ängste sogar nachvollziehen, was daran lag, dass Kaiba selbst vor langer Zeit so gedacht hatte. Doch er wollte nicht daran denken. Nicht daran denken, dass er selbst von anderen schamlos benutzt und weggeworfen war. Niemals wieder wollte er anderen vertrauen und sein Herz öffnen, aus Angst, dass man ihm noch mehr wehtun könnte. Er hatte für seine Freiheit gekämpft und benutzte fortan andere.
 

Niemand sollte glauben, dass Kaiba schwach war und dass man ihn ausnutzen konnte und niemals wieder würde er eine Situation zulassen, in der er sich auf andere verlassen musste. Seine eigenen Verwandten hatten ihn abgelehnt und im Stich gelassen. Da wurde ihm bewusst, dass man sich auf nichts und niemanden verlassen durfte. Auf niemanden. Nur auf Stärke war Verlass. Und Geld. Geld regierte die Welt und jeder Mensch war käuflich.

Kapitel 24

Die Autofahrt war unangenehm ruhig und die Atmosphäre so gespannt, dass Seto glaubte, gleich zu ersticken. Mokuba krallte sich an seinen Oberarm fest und schluchzte immer wieder. Tantchen wollte sie nicht haben und hatte sie hinterrücks zur Adoption ausgesetzt. Er war zwar erst 10 Jahre alt, aber er hatte verstanden, dass seine eigene Familie sie nicht haben wollte. Mokuba war fünf und viel zu jung, um zu verstehen, was geschah.
 

Immer wieder fragte er, wo die Frau im Hosenanzug sie denn hinfuhr und wann sie denn endlich nach Hause gehen konnten. Mokuba wollte seine Spielzeuge wiederhaben und in seinem Bett schlafen. Er vermisste sein Lieblingskuscheltier und den Sandkasten im Garten. Er wollte in ihren Garten gehen und dort auf der Schaukel spielen, nach Gottesanbeterinnen suchen und Schneckenrennen veranstalten. Auf jede Frage und auf jede Bitte bekam er stets dieselbe Antwort zu hören: das geht nicht mehr.
 

Seto taten diese Worte unheimlich weh. Mokuba verstand die Welt nicht mehr. Aber er durfte nicht zulassen, dass diese Seele zerbrach. Auf keinen Fall wollte Seto, dass dieses Kind mit der Grausamkeit der Erwachsenen in Berührung kam und den Rest seines Lebens Tränen vergoss. Der Brünette legte vorsichtig eine Hand auf Mokubas Rücken und flüsterte ihm aufmunternde Worte zu. Diese Worte waren Lügen. Er hatte gelernt zu lügen, um sich selbst zu schützen und je mehr er Mokuba Mut zusprach, desto mehr wollte er glauben, dass diese Lügen die Wahrheit waren. Er versuchte sich selbst davon zu überzeugen, dass diese leeren Worte die Realität waren.
 

„Alles wird gut, Moki“, sagte er. Er täuschte Überzeugung vor und schenkte ihm ein breites Lächeln.
 

„Ich bin ja bei dir. Keine Angst“, überzeugte er seinen kleinen Bruder, der allmählich aufhörte zu weinen.
 

Endlich erreichten sie ihr Ziel. Ein großes Metalltor und eine steinerne Mauer umgab das Grundstück. Das erste, was ihm in den Sinn kam, als er diesen Anblick erblickte, war das Wort Gefängnis. Die Welt sperrte sie in dieses Haus ein und versteckte sie vor der Außenwelt. Diese Kinder, die niemand haben wollte. Kinder, die unerwünscht waren und nur Kosten mit sich brachten. Als sie aus dem Auto ausstiegen, drängte sich Mokuba nah an ihn, drückte sein Gesicht in seinen Rücken und Seto spürte, wie der kleine Körper hinter ihm vor Angst erzitterte.
 

Mokuba wollte hier nicht bleiben. Das hier würde niemals ihr Zuhause sein. Die Frau, die sich unnatürlich herausgeputzt hatte und diesen Hosenanzug trug, führte die beiden zum Gebäude, wo bereits der Leiter des Ganzen auf sie wartete. Ein älterer Herr. Weißes Haar und eine Brille, die er auf der Nasenspitze trug. Seto konnte ihn jetzt schon nicht ausstehen. Er wollte hier nicht länger bleiben als nötig. In seinem Kopf stellte er sich immer wieder die Frage, wie er ihn und Mokuba hier wegschaffen konnte und wie ihre Zukunft werden würde. Für ihn stand fest, dass man Erwachsenen nicht trauen durfte. Der Mann lächelte und beugte sich zu den beiden Kindern. Mokuba versteckte sich hinter seinem Bruder und murmelte etwas. Seto war sich sicher, dass er 'Ich will hier nicht bleiben, Seto' gesagt hatte.
 

„Das sind also Seto und Mokuba. Wir freuen uns, dass ihr hier seid“, sagte er. Seto beäugte ihn misstrauisch.
 

»Eigentlich meinst du doch: noch zwei Mäuler mehr zu stopfen. Keine Sorge, Alterchen... wir werden hier nicht bleiben«, waren Setos Gedanken als dieser alte Mann dieses unheimlich freundliche Lächeln vortäuschte und ihm ungefragt über seinen Kopf streichelte und so etwas wie Fürsorge heuchelte. Seto hatte schon längst erkannt, dass das hier ein Spiel war, in der jeder eine Maske aufsetzte und eine Rolle spielte. Als ob er diesen Kerl wirklich interessierte, wer diese Kinder waren. Am Abend würde er das Grundstück verlassen, zu seiner eigenen Familie zurückkehren und keinen einzigen Gedanken an das Waisenhaus, geschweige denn an die Kinder, die hier lebten, verschwenden.
 

Erzürnt stieß Seto die Hand des Mannes weg und drehte sich zu Mokuba, griff nach dessen Hand und umschloss sie fest in seiner eigenen.
 

„Vielen Dank, dass sie die beiden aufnehmen. Wir haben überall gefragt, aber nirgendwo waren noch Plätze frei. Wir wollten die beiden nur ungern trennen“, erklärte die Frau und zeigte mit der Hand auf die beiden Kinder. Seto fühlte sich, als wäre er ein eine lebendige Ware, die hin und her gereicht wurde. Das Ganze machte ihn wütend. Sie alle taten so, als würde es sie interessieren, dass diese Kinder keine Eltern hatten und spielten ihnen Freundlichkeit vor, doch in Wirklichkeit hatte Seto diese ekelhaften Erwachsenen schon längst durchschaut.
 

„Wie alt bist du denn, Seto?“, fragte der ältere Herr und ging auf die Knie, um so auf einer Augenhöhe mit dem Brünetten zu sein und so sein Vertrauen zu gewinnen. Doch Seto wusste, dass das alles nicht echt war. Er spielte nur den netten Opa, der mit einem Lachen die Kinder empfing, aber es war doch mehr als nur offensichtlich, dass das Ganze hier nur ein Job war. Der alte Kerl wurde doch dafür bezahlt, so nett zu tun.
 

„Ich bin zehn Jahre alt. Mein Bruder ist fünf“, erklärte Seto sachlich, ohne auch nur mehr von sich preiszugeben als irgend notwendig. Kritisch beäugte er den Mann und stellte sicher, dass ein Abstand von einem Meter zwischen ihnen blieb und dass Mokuba dicht an seiner Seite blieb. Seto drückte die kleine Hand, die er in seiner umschloss und hoffte, dass dieser sich etwas beruhigte. Ungehalten kullerten die Tränen über das Gesicht des Schwarzhaarigen, der immer noch nach seinem Zuhause klagte und nicht verstehen konnte, wo denn das Tantchen blieb. Wieso kam sie nicht und holte die beiden ab?
 

Mokuba kannte seine Mutter nicht. Sie war direkt nach der Geburt verstorben, zumindest wurde es ihm so gesagt. Weil er sie nicht gekannt hatte, vermisste er sie auch nicht. Seinen Vater liebte er und er hatte nicht so ganz begriffen, warum sie ihn nicht mehr sehen konnten. Er war bei einem Autounfall verstorben und ihre Verwandten hatte sämtliche Wertgegenstände an sich gerissen. Doch niemand wollte die Verantwortung für zwei Kinder erben. Das liebe Tantchen hatte sie zur Kindertagesstätte gefahren und nicht mehr abgeholt.
 

Mokuba und Seto kamen in ein gemeinsames Zimmer, mit einem Etagenbett. Die Bettdecken waren geziert von kleinen Raketen und Astronauten, an den Wänden befanden sich bunte und stimmungsvolle Muster, der große Schreibtisch war perfekt um Hausaufgaben zu erledigen und im Regal befanden sich viele Lernbücher, auf die Seto direkt ein Auge geworfen hatte. Die anderen Kinder waren freundlich und nahmen die beiden Neulinge direkt auf, doch Seto wurde den Gedanken nicht los, dass er hier nicht bleiben wollte. Wer hier landete, hatte keine Zukunft. Seto warf einen Blick auf Mokuba, der mit anderen Kindern am Boden saß. Sie spielten mit Feuerwehrautos und lachten immer wieder drauf los. Für einen Moment wirkte es so, als wäre Mokuba glücklich. Seto wusste es jedoch besser. Hier konnte man nicht glücklich werden. Das einzige, was man tun konnte, war so zu tun als wäre man glücklich, um somit seine Schwächen und Ängste zu verbergen.
 

Am Abend konnten sie beide nicht einschlafen. Immer wieder hörte Seto, wie sich Mokuba in seinem Bett umher wälzte. Er verübelte es ihm nicht. Auch er konnte nicht behaupten, wirklich müde gewesen zu sein. In seinem Kopf spukten tausend Gedanken und da waren so viele Emotionen, die er nicht zu bändigen wusste. Er war wütend, traurig, am meisten jedoch enttäuscht. Die Welt der Erwachsenen war grausam. Plötzlich wurden seine Gedankengänge jäh unterbrochen.
 

„Seto? Schläfst du schon?“, wollte der Jüngere wissen, während er seine Bettdecke näher an sich zog.
 

„Nein, ich bin noch wach. Moki... ist alles in Ordnung?“
 

„Meinst du, dass Tantchen vergessen hat uns abzuholen?“
 

„Moki... ich habe es dir doch schon erklärt. Wir können nicht mehr zurück. Nie mehr.“
 

Seto erhob sich, warf seine Decke unachtsam an die Bettkante und kletterte von dem Etagenbett herunter. Die letzten zwei Stufen übersprang er und landete gekonnt vor Mokubas Bett, kam diesen näher und zog ihm die Decke weg. Ungefragt legte er sich neben ihn und kuschelte sich an diesen. Sie konnten niemanden auf der Welt vertrauen und sie hatten nur noch sich selbst. Sie mussten lernen, selbstständig zu werden und sich einen Platz in dieser Gesellschaft hart zu erkämpfen. Seto würde nicht zulassen, dass irgendjemand seinen Bruder zum Weinen brachte oder verletzte.
 

Da wussten sie noch nicht, was die Zukunft ihnen bringen würde und wie sehr sich Menschen verändern konnten.
 

Kaiba schüttelte den Kopf. Warum nur erinnerte er sich ausgerechnet jetzt an damals? Wollte ihm sein Unterbewusstsein mitteilen, dass Yuugi anders war als jene, die ihn und seinen Bruder ausgenutzt hatten? Er wollte das nicht glauben. Stattdessen betätigte er seinen Kaffeeautomat. Er war es gewohnt, dass seine Angestellte sich um seinen Kaffee kümmerten, aber er war immer noch selbstständig genug, um zu wissen, wie dieses Gerät funktionierte. Das Brummen der Maschine lenkte ihn zeitweise ab und auch Yuugi schien gerade nicht das Bedürfnis zu haben, ihn weiter zuzutexten.
 

Yuugi lehnte sich in die Coach und hielt sich seine schmerzende Wange. Die Creme kühlte zwar ein wenig, aber das stechende Brennen und das Pochen konnte er nicht ignorieren. Seinen Blick richtete er auf die Wand, ehe er seine Augen schloss und tief einatmete. Kaiba war ungewöhnlich freundlich zu ihm. Er wollte daran glauben, dass Kaiba sich geändert hatte und sich wirklich darum bemühte, an seinem Sozialverhalten zu arbeiten und mehr Interesse an anderen zu zeigen, dennoch beschlich ihn das Gefühl, dass dieser früher oder später einen fiesen Spruch zum Besten geben würde. Kaiba so menschlich zu erleben war schön und er hoffte sehr, dass es so bleiben konnte. Trotzdem blieb er wachsam.
 

„Du musst mir nicht danken“, meinte Kaiba nach einer gefühlten Ewigkeit, ehe er mit zwei dampfenden Tassen sich wieder zu Yuugi setzte und ihm diese hinstellte. Yuugi öffnete wieder die Augen und sah ihn an.
 

„Aber ich möchte es.“
 

„Du musst aufhören, immer so viel darüber nachzudenken, was andere über dich denken. Das zieht dich nur runter und du lässt zu, dass andere dich ausnutzen.“
 

„Ich weiß...“, gab Yuugi zu und setzte ein falsches Lächeln auf.
 

Er wollte sich mit Nomura vertragen. Der Gedanke, dass dieser Mann ihn hassen könnte, ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. Warum konnten sie sich nicht einfach vertragen? Die Welt wäre so viel angenehmer und schöner, wenn man diese ständigen Konflikte nicht auszutragen hätte und jeder jeden so akzeptierte, wie er war. Das war kindisches Wunschdenken. Eine Ideologie aufgebaut auf utopischen Gedanken. Kaiba hätte sicher laut los gelacht, hätte er Yuugis Gedanken lesen können. Dieser wollte einfach nur Harmonie und ein Arbeitsumfeld, in dem man gerne arbeitete und miteinander kooperierte, um Ziele zu erreichen.
 

„Ich weiß nicht, was in diesen Nomura gefahren ist, aber er ist zu weit gegangen und das wird Konsequenzen haben.“
 

„Was... hast du vor?“
 

„Zwangsurlaub oder eine Kündigung“, murrte er, wissend, dass er bei seinen strengen Zeitplan es sich gar nicht leisten konnte, auch nur eine Person weniger im Team zu haben. Sämtliche Erscheinungstermine für die kommenden Spiele waren bereits gesetzt und er wollte auf keinen Fall einen Termin nach hinten schieben, da er somit tausende seiner Kunden sehr verärgern würde. Die KC war für ihre Professionalität bekannt. Pünktlichkeit gehörte dazu und einige ihrer Projekte wurden von Fans weltweit erwartet. Auch nur ein kleiner Fehler würde ein schlechtes Licht auf seine Firma und somit auf ihn werfen. Aber Kaiba war niemand, der Fehltritte wie diese einfach unbestraft ließ.
 

„Kaiba-kun, bitte. Nomura hat überreagiert, aber es ist auch zum Teil meine Schuld. Du kannst ihn nicht einfach kündigen.“
 

„Wieso sollte das deine Schuld sein? Mein Angestellter benimmt sich wie ein pubertierender Teenager und lässt seine Wut an einen unschuldigen Kollegen raus. Er ist alt genug, um die Konsequenzen für seine Handlungen zu tragen.“
 

„Auch wenn du das nicht gerne hörst... aber sie sind eifersüchtig auf mich. Sie denken, dass du mich für etwas anerkennst, was jeder andere von ihnen auch hätte tun können. Ich habe von Isono-san gehört, dass du nie jemanden lobst und auch Mokuba meinte, dass die Arbeitsatmosphäre hier sehr gespannt sei. Sie sind genervt und gestresst und ihr Chef hackt ständig auf ihnen herum.“
 

„Ich hacke nicht auf ihnen herum, Yuugi“, unterbrach Kaiba ihn forsch und zog die Augenbrauen herunter. Er war sichtbar verärgert. Yuugi ließ ihn nicht weiter zur Wort kommen.
 

„Das sehen deine Angestellten aber anders. Auch wenn es dir schwerfällt... ein nettes Wort der Aufmunterung ab und zu würde ihnen sicher guttun. Ein bisschen Anerkennung für ihre Arbeit. Dann wären sie sicher viel motivierter.“
 

Kaiba grummelte, musste aber zugeben, dass Yuugi recht hatte. Er erinnerte sich daran, wie Mokuba seine Abteilungen handhabt und was dieser alles tat, um ihr Teamwork aufrecht zu erhalten. Jeden Freitag gab es Kaffee und Kuchen und eine gemeinsame Besprechung. Dort wurde viel gelacht. In den letzten Jahren war Kaiba nur selten in Mokubas Abteilungen gegangen, doch wenn er genauer darüber nachdachte, fiel ihm auch schon bei der Einrichtung mehrere große Unterschiede auf. Ein gemeinsamer Pausenraum, gedeckte Tische, an denen sich die Mitarbeiter stets bedienen konnten und bunte Bilder an den Wänden. Kaibas Abteilungen waren schlicht gehalten. Keine Bilder oder sonst irgendetwas, das die Stimmung heben oder gar von der Arbeit ablenken konnte. Blankes Weiß und sehr viel Eintönigkeit. Stumpfe Konferenzen, wo sie nur über das Notwendigste sprachen und meist traute sich keiner, ihm zu widersprechen und sie fügten sich brav seinen Anweisungen.
 

„Kaiba-kun“, fuhr Yuugi fort und Kaiba schenkte ihm wieder seine Aufmerksamkeit.
 

„Wie heißen deine Abteilungsleiter?“ Yuugi grinste verschmitzt.
 

Kaiba stockte der Atem und er überlegte.
 

„Nomura...“, begann er und versuchte sich die Namen wieder ins Gedächtnis zu rufen. Da er die Unterlagen für Nomura rausgesucht hatte und dessen Namen auf dem Briefumschlag geschrieben stand, hatte er seinen Namen griffbereit, aber an all die anderen erinnerte er sich nicht. Seine Sekretärin und den Mann in der Personalabteilung, der die Anrufe entgegen nahm, waren die einzigen Namen, die ihm auf Anhieb einfielen. Der einzige Name, der ihm noch einfiel war der von Isono, da er mit diesen tagtäglich zu tun hatte.
 

„Genau das meine ich. Du kennst den Großteil deiner Arbeitnehmer nicht mal beim Namen, obwohl du täglich mit ihnen zu tun hast. Natürlich kannst du dir nicht jeden Namen merken, aber diese Menschen erledigen Aufgaben für dich, ohne zu klagen und wollen einfach nur mal ein Dankeschön aus deinem Mund hören.“
 

Mokuba kannte jeden einzelnen seiner Mitarbeiter nicht nur beim Nachnamen, sondern auch beim Vornamen. Und das war der Unterschied, der Kaiba umso schmerzlicher bewusst wurde. Er hatte nie so etwas wie Interesse an den Menschen um sich herum gezeigt. Er gab es nicht gern zu, aber Yuugi hatte Recht. Nein, nicht nur er. Auch Mokuba. Dass er einen Fehler gemacht hatte, verschlechterte seine Laune umso mehr.
 

„Was soll ich deiner Meinung nach jetzt tun?“ Kaiba griff nach seiner Tasse und nippte an der dampfenden Flüssigkeit. Der bittere Geschmack ließ ihn wieder zur Ruhe kommen. Wenigstens auf den herben Geschmack seines Kaffees war Verlass. Wenigstens der ließ ihn nicht im Stich.
 

„Mach es so wie Mokuba“, meinte Yuugi nur und verschränkte die Arme. Bis eben war er einfach nur genervt und gequält von Selbsthass, aber da Kaiba ihn nicht beschimpfte, sondern Verständnis zeigte und ihm aufmerksam zuhörte, fiel es ihm viel leichter, das Geschehene hinter sich zu lassen und nach vorne zu blicken. Er hatte Mokuba ein Versprechen gegeben. So langsam glaubte er selbst, dass er sein Versprechen einhalten konnte und dass Mokuba bei seiner Rückkehr aus Amerika den Bruder antreffen würde, den er so sehr brauchte und vermisste.
 

Kaiba verengte seine Augen zu Schlitzen. Mokuba hatte seine Abteilungen fest im Griff und sicher hatte dieser nie Probleme mit Mobbing zu tun gehabt. Unter Mokubas Leitung waren alle zufrieden. Womöglich war es gar keine so schlechte Idee, sich auf Mokubas Führungsqualitäten zu verlassen und hin und wieder Verbesserungsvorschläge anzunehmen. Er war so beschäftigt mit seinen Projekten und so verloren in seinen Gedanken, dass er nicht einmal erkannte, wie gut Mokuba arbeitete und wie viel er leistete.
 

„Ohne Mokuba geht’s hier drunter und drüber. Ich dachte, ich schaffe das ohne ihn, aber ich bin wohl ein hoffnungsloser Fall“, gab Kaiba zu und seufzte.
 

Er hasste sich selbst, dass er diese Worte aussprechen musste und es nervte ihn, dass ausgerechnet sein Rivale ihm das sagen musste. Ob es das war, was Atem so sehr an Yuugi schätzte? Yuugi blickte in seine Seele und ließ ihn nicht im Stich. Selbst jetzt wollte er ihm helfen. So viel Freundlichkeit war doch abartig. Kaiba lachte auf. Wer war denn nun erbärmlicher? Yuugi, der sich ohne etwas dafür zurückzubekommen, für andere opferte und auf die Macht der Freundschaft beharrte oder er selbst, weil er viel zu stur und selbst überzeugt war, um zu erkennen, was für ein Idiot er gewesen war? Kein Wunder, dass Mokuba ihn nicht mehr ertragen konnte. Er hasste sich selbst am meisten dafür, dass er Mokuba von sich gestoßen hatte, denn das Letzte, was er wollte, war es ihn zu verlieren, denn dann hätte er gar keinen Grund mehr, voranzuschreiten. Er hatte bereits den wichtigsten Menschen in seinem Leben verloren.
 

Ohne Mokuba wäre seine Zukunft finster. Kaiba hatte immer daran geglaubt, dass man seine Vergangenheit nur auslöschen konnte, wenn man die Zukunft beherrschte. Um die Gegenwart zu erschaffen, musste man die Vergangenheit zerstören. Absolute Kontrolle über die Zukunft bedeutete, dass die Vergangenheit an Wichtigkeit verlor. Also musste man die Vergangenheit auslöschen, so dass man eine neue Zukunft erschaffen konnte. Das, was im Weg war, musste zerstört werden. Das war stets sein Mantra gewesen.
 

Nicht nur Yuugi sagte ihm, dass diese Denkweise falsch war. Nein, auch Atem hatte ihn mehrmals erklärt, dass er eine falsche Einstellung hätte und aufhören sollte, sich so vernarrt in seine Vorstellung der Zukunft zu beißen. Kaiba erkannte, dass er seit vielen Jahren diesem Grundsatz gefolgt war und dass er, obwohl er die Zukunft zu beherrschen schien und volle Kontrolle über sein Leben hatte, seine Vergangenheit ihn immer noch heimsuchte. Er war kein nostalgischer Mensch. Nie gewesen. Und er wollte auch nie so ein Tagträumer werden wie Yuugi, der an seine kindlichen Ideale von Freundschaft und Einigkeit glaubte und immer nur das Gute in allen Menschen sehen wollte.
 

Dennoch schien Yuugi öfter viel gefasster und erwachsener als er selbst. Manchmal erwischte sich Kaiba dabei, wie er Yuugi für seinen Mut und seine Art stets positiv zu denken, etwas beneidete. Kaiba konnte nicht das Gute in Menschen sehen. Er sah immer nur den Wahnsinn der Menschen. Ihre abartigen Gedanken und ihre perfekten Theaterstücke, bei denen er selbst ein Teil geworden war. Wie konnte Yuugi nur etwas Gutes in ihm sehen? In dem Mann, der ihn quälte und bis heute über ihn lachte?
 

Yuugi schüttelte den Kopf.
 

„Glaub ich nicht. Du hast doch gesagt, dass du an mich glaubst und ich glaube an dich. Warte einen Moment...“ Yuugi kramte aus seiner Hosentasche sein Smartphone heraus und öffnete die Fotos, die Mokuba ihm geschickt hatte. Vorsichtig übergab er das Gerät an Kaiba, dessen Augen sich überrascht öffneten, als er die Person auf den Bildern erkannte. Neugierig sah er sich die Bilder an. Er sah seinen Bruder von einer ganz anderen Seite. Fröhlich, ausgelassen und sorgenlos.
 

Kaibas Gesichtsmuskeln entspannten sich. Ein liebevolles Lächeln umspielte seine Lippen und es war ihm anzusehen, dass ein Großteil seiner Sorgen nun von ihm fielen. Endlich hatte er Gewissheit. Mokuba ging es gut. Er kannte die junge Frau auf den Fotos nicht. War das die Freundin, von der Mokuba erzählt hatte? Wieso nur hatte er Mokuba nicht selbst gefragt? Hätte er ihm aufmerksamer zugehört, wüsste er vielleicht sogar ihren Namen. Er schien sich in ihrer Nähe wohlzufühlen und Kaiba glaubte, dass der Junge auf den Fotos ein völlig anderer Mensch war, als der, den er in den letzten Jahren begegnet war.
 

Mokuba ging es besser ohne ihm. Diese Erkenntnis nagte an ihm. Kaiba hielt seinen eigenen Bruder zurück und verhinderte, dass dieser glücklich sein konnte. Das war nie seine Intention gewesen.
 

Er musste Mokuba beweisen, dass er ihn brauchte und schätzte.
 

„Danke, Yuugi...“, kam es über seine Lippen. Sich ausgerechnet bei ihm bedanken zu müssen, verletzte seinen Stolz. Er hasste es, wenn er anderen seine Schwächen zeigte und er fürchtete, dass diese Schwächen schamlos ausgenutzt werden würden, wenn er diese zuließ. Doch Yuugi nickte. Wieder lächelte er. So liebenswert. So zerbrechlich. So unglaublich naiv. Und trotzdem so stark und mutig. Verdammt. Atem hatte Recht. Yuugi war stark. Vielleicht sogar stärker als er. Immerhin ließ er sich von nichts unterkriegen. Nichtmal von einem grantigen Firmenchef, der ihn herumkommandierte und beschimpfte. Selbst dann blieb er freundlich und kam von sich aus auf ihn zu.
 

Yuugi hegte keinen Groll ihm gegenüber und auch wenn er es ungern zugab, dafür war er dankbar. Sein Rivale hätte genügend Gründe wütend auf ihn zu sein und ihm aus den Weg zu gehen, stattdessen begegnete er ihm stets mit einem liebevollen und verständnisvollen Lächeln. Früher hatte er dieses Lächeln gehasst, doch mittlerweile gab es ihm Sicherheit. Völlig egal, wie oft er diesen naiven Kerl von sich stieß, er nahm es ihn nicht übel und das war alles andere als selbstverständlich.
 

»Atem... endlich verstehe ich, warum du Yuugi so schätzt. Dennoch gibt es für mich kein Zurück mehr... ob Mokuba mir je verzeihen wird?«, als diese Gedanken ihn quälten, verzog er sein Gesicht und Yuugi musste gespürt haben, was ihm durch den Kopf ging, denn er sagte genau die Worte, die er jetzt am allermeisten hören wollte.
 

„Mokuba kommt zurück. Und ich bin auch noch da. Lass uns das durchziehen.“
 

„Wann wird er zurückkommen?“, wollte Kaiba wissen und gab Yuugi sein Smartphone zurück.
 

„Nächste Woche Dienstag. Wirst du ihn willkommen heißen?“, als er diese Worte aussprach, neigte Yuugi seinen Kopf leicht zur Seite und er warf ihm einen so unschuldigen Blick zu, dass Kaiba ihn für einen Moment mit einem bettelnden Welpen verwechselt hätte.
 

„Das ist doch wohl selbstverständlich“, meinte Kaiba nur und griff erneut nach seiner Tasse.

Kapitel 25

Wieder nahte das Wochenende. Mokuba war nun seit zwei Wochen in Amerika. Am Dienstag würde er zurückkehren, in den alten Trott, in sein Umfeld und zu dem Menschen, den er ebenso sehr brauchte als auch von sich stoßen wollte.
 

Kaiba konnte seine Persönlichkeit nicht ändern und immer, wenn er versuchte ein Lob auszusprechen, erinnerte sein Lächeln an ein gefährliches Zähnefletschen eines Wolfes, der sich zum Angriff bereit machte. Krampfhaft versuchte Kaiba Gespräche mit seinen Mitarbeitern zu beginnen und sich ihre Namen zu merken. Es war nicht sonderlich schwer, so zu tun, als würde ihn das Wohlergehen seiner Mitarbeiter interessieren, doch diese Maske herunterzureißen und das Bild des Eiskönigs loszuwerden, würde sehr viel Zeit in Anspruch nehmen.
 

Es war wieder Donnerstag und er machte sich mit Yuugi auf, einzelne Abteilungen zu besuchen und die momentane Arbeitsschritte zu dokumentieren. Der mahnende Blick seines Partners lag auf seinen Rücken und jedes Mal, wenn Kaiba kurz davor war, etwas Fieses zu sagen oder einen sarkastischen Spruch rauszuhauen, mischte sich Yuugi ein. Mit einem zuckersüßen und naiven Lächeln, das Kaiba die Galle hochkommen ließ und dennoch anerkennen musste, da diese Geste weitaus mehr brachte, als es ihm lieb war. Seine Mitarbeiter hatten sich an den kleinen Mann neben Kaiba gewöhnt und sprachen offen mit ihm.
 

Kaiba beobachtete Yuugi dabei wie er mit den Mitarbeitern sprach. Er sah ihnen direkt in die Augen, ließ sie aussprechen – Kaiba war es gewohnt, andere Leute zu unterbrechen, wenn sie Dinge sagten oder taten, die ihm missfielen, weshalb es ihn umso mehr erstaunte, wie unglaublich ruhig Yuugi blieb – zeigte Interesse an den Dingen, die sie zu sagen hatten und was Kaiba immer wieder aufs Neue verwunderte, war, dass Yuugi sogar nach dem Befinden fragte.
 

Kaiba drehte sich der Magen um. Wie konnte ein Mensch so nett sein? Innerlich fragte er sich, ob es Yuugi nicht selbst zu blöd wurde, immer und immer wieder dieselben Fragen zu stellen und ein Lächeln auf den Lippen zu tragen. Wie geht es Ihnen?, kam es Kaibas Geschäftspartner so schnell über die Lippen, dass Kaiba glaubte, dass es für ihn genauso normal war wie zu atmen. Obwohl er angestrengt nach Gründen suchte, warum er Yuugis Verhalten albern empfand und mehr als einmal genervt die Augen verdrehte, musste er sich eingestehen, dass in den zwei Wochen in denen Yuugi hier war, sich bereits eine Verbesserung des Arbeitsklimas abzeichnete.
 

Er hörte die Mitarbeiter lachen. Es wurde miteinander gesprochen. Kaiba duldete es nicht, dass man während der Arbeitszeit über private Dinge sprach und somit Zeit verschwendete, da dies negativ das Arbeitstempo beeinflusste. Zumindest hatte er das immer geglaubt. Die Mitarbeiter lachten, alberten herum und sprachen offener miteinander als denn je und trotzdem gingen die Arbeitsfortschritte zügig voran. Kaiba quälte sich zu einem Lächeln. Er spürte bereits, wie seine Mundwinkel verkrampften.
 

„Das ist doch echt unfair, oder?“, unterbrach ihn Yuugi in seinen Gedankengängen.
 

Kaiba erschrak. Er war gedanklich gar nicht anwesend gewesen. Viel zu sehr war er damit beschäftigt die Gesamtsituation zu analysieren und er hatte gar nicht mitbekommen, was Yuugi wollte. Mit großen Augen sah er ihn an, zog dann zornig die Augenbrauen runter. Wieso musste Yuugi immer drauf los plappern? Konnte er nicht mal zehn Minuten den Schnabel halten? Nicht mal mehr in Ruhe denken konnte man!
 

„Du hast mir gar nicht zugehört!“, murrte Yuugi sogleich und blieb mitten im Gang stehen.
 

„Dann sprich lauter, damit ich dich auch hören kann!“, knurrte Kaiba und forderte Yuugi zu einem verbalen Duell heraus.
 

„Ich habe laut gesprochen! Du hast nur nicht zugehört!“
 

„Ha, du bist so klein und von hier oben versteht man nicht alles.“
 

Yuugi fiel die Kinnlade in den Keller. Vollkommen entgeistert starrte er Kaiba an. Kaiba grinste nur frech, wandte sich zum Gehen und ließ seinen Kollegen ohne weitere Erklärung stehen. Wieder ein Punkt für ihn. Seit einigen Tagen war es ein neues Spiel, sich gegenseitig mit guten Sprüchen auszuspielen und Kaibas Wortgewandtheit ließ Yuugi immer wieder mit Erstaunen zurück. Auch wenn er Yuugi in einem fairen Duel Monsters Spiel nicht besiegen konnte, konnte er ihn immer noch in anderen Spielen schlagen. Und diese kleinen Wortgefechte zwischen ihnen waren eine willkommene Abwechslung und sogar recht amüsant für Kaiba.
 

„Hey! Das ging unter die Gürtellinie, das zählt nicht!“, meinte der Bunthaarige dann und hastete dem großen Mann hinterher, der durch seine langen Beine viel größere Schritte machte als er und schneller sein Ziel erreichte.
 

„Pffft, als ob! Du musst dir auch mal eine Niederlage eingestehen, Yuugi“, kam es von Kaiba. Es tat unheimlich gut, endlich mal die Oberhand zu haben und den Sieg in vollen Zügen auszukosten.
 

Man hätte meinen können, dass sie sich in den letzten zwei Wochen aneinander gewöhnt hatten. Kaiba genoss es, Yuugi herauszufordern und seine Reaktion abzuwarten. Bis vor Kurzem war Yuugi einfach nur sprachlos und starrte ihn an wie ein verängstigtes Reh, doch mittlerweile änderte sich dies. Die Seminare schienen Yuugi zu helfen. Er lebte sich gut ein in der Kaiba Corporation und wurde mit jedem verstrichenen Tag mutiger und gelassener. Vielleicht hatte er sich auch einfach nur an Kaibas ewigen Sarkasmus und seine frechen Aussagen gewöhnt und nahm sie nicht mehr persönlich. Insgeheim freute sich der Firmenchef, dass Yuugi ihm Paroli bot und er sich nicht mehr alles gefallen ließ.
 

„Nichts da 'Niederlage'“, wiederholte Yuugi und lief beinahe in seinen Chef, als dieser plötzlich stehen blieb und die Schlüsselkarte für sein Büro herausholte. Kaiba war niemand, der andere Menschen gerne an sich heranließ und er vermied jeglichen Körperkontakt so gut es ging. Trotzdem sagte er nichts, als Yuugi ihm einmal mehr viel zu nah kam. Yuugi errötete und schämte sich dafür, nicht aufgepasst zu haben.
 

„Es steht 7:9 für mich“, sagte Kaiba mehr nebenbei und er hörte, wie Yuugi verärgert mit den Zähnen knirschte.
 

„Stimmt doch überhaupt nicht! Acht zu neun!“
 

„Sieben zu neun und Ende der Diskussion!“
 

Yuugi verzog den Mund und sah seinen Chef aus Schlitzaugen an. Das war nicht fair.
 

Seit Tagen waren die beiden unterwegs. Dieses ständige hin und her wurde langsam ermüdend. Normalerweise hatte er seine Sekretärin diese Arbeiten erledigen lassen. Diese Dame beschwerte sich nie, erledigte sämtliche Aufgaben zu seiner Zufriedenheit und ließ sich auch nicht unterbuttern. Sie gehörte zu den wenigen Mitarbeitern in seinem Umfeld, die sich nicht von ihm einschüchtern ließen und Kaiba auch gerne mal stehen ließ, wenn er mal wieder grundlos herum wütete und seine schlechte Laune an anderen ausließ. Seit Yuugi hier war, erledigte er diese Botengänge. Und seit Dienstag die beiden zusammen. Seit dem Vorfall mit Nomura.
 

Das Verhältnis zwischen Nomura und Yuugi bereitete Kaiba immer noch Sorge. Yuugi hatte ihn darum gebeten, keine weiteren Maßnahmen einzuleiten und er meinte, dass er dies selbst in den Griff kriegen würde. Wenn die beiden miteinander sprachen war eine spürbare Distanz zu erkennen. Nomura gönnte Yuugi es nicht mit Kaiba zusammen zu arbeiten und auch wenn der Firmenchef diese Gedanken durchaus nachvollziehen konnte, zumindest auf emotionaler Ebene, so konnte er dieses Verhalten auf rationaler Ebene nicht gutheißen. Das hier war doch kein Kindergarten oder gar die Mittelschule, wo es darum ging, der Coolste auf dem Pausenhof zu sein.
 

Glücklicherweise war nichts mehr zwischen den beiden vorgefallen und Kaiba hoffte sehr, dass es weiterhin so ruhig blieb und Nomura nicht erneut versuchte, Yuugi zu verletzen. Sein Blick blieb bei Yuugi hängen, der neben dem Kopierer stand und einige Dokumente kopierte und diese ordentlich zusammenlegte. Yuugi machte seine Aufgaben gut. Nicht, dass Kaiba etwas anderes erwartet hatte. Das war ja wohl das Mindeste.
 

Yuugi streckte seine Hand nach den frisch ausgedruckten Papieren aus. Er hatte die Verbände bereits abgenommen. Die Brandblasen waren zum Glück nicht so schlimm und würden sicherlich gut verheilen, wenn Yuugi weiterhin auf eine sorgsame Behandlung achtete und die verbrannte Haut nicht aufkratzte. Unbändige Wut stieg in Kaiba auf. Er wusste nicht einmal warum. Diese Wunden hätten vermieden werden können und es ärgerte ihn, dass er dies nicht hatte kommen sehen oder gar verhindern können. Kaiba hasste es, wenn er nicht die Kontrolle hatte.
 

Es gab ihm ein Gefühl von Sicherheit, wenn er sein Umfeld kontrollierte und alles nach Plan lief. Yuugis Verletzung und der Streit mit Nomura gehörten nicht zu seiner Planung und warfen ihn aus der Balance. Kaiba, der sonst alles beherrschte und jedes Problem in der Wurzel erstickte, hatte nicht erkannt, was hinter den Kulissen brodelte. Der wachsende Unmut. Wut. Hass. Kaiba rieb sich sein Gesicht und massierte seine Schläfen. Das, was ihn am meisten ärgerte war, dass all dies hätte verhindert werden können, wenn er mehr auf sein Umfeld geachtet und auf seinen Bruder gehört hätte.
 

„Was ist, Kaiba-kun?“, unterbrach ihn Yuugi einmal mehr.
 

Kaiba zuckte zusammen und legte den Kopf schief, musterte seinen Gegenüber, der ihn mit großen unschuldigen Augen betrachtete.
 

„Du hast mich angestarrt. Habe ich etwas Falsches gemacht?“, fragte er unsicher. Kaiba war niemand, der andere Menschen länger als nötig betrachtete, um somit bloß nicht das Gefühl zu vermitteln, dass er Interesse an ihnen haben könnte. Das war einfach nicht seine Art. Also befürchtete Yuugi, dass er Kaiba ungewollt verärgert hatte, was ihn ein wenig nervös machte.
 

„Alles in Ordnung. Ich war nur in Gedanken.“
 

„Verstehe. In der Duel Links Abteilung warten sie schon auf die überarbeiteten Dokumente. Ich komme gleich wieder.“
 

Fröhlich wie eh und je verließ Yuugi das Büro.
 

»Kaiba-kun kann also auch ganz normal sein. Ich habe ihn noch nie so erlebt. Irgendwie süß, wie er gedankenverloren vor sich hinträumt«, kam es Yuugi in den Sinn und er kicherte leise vor sich hin. Ein breites, amüsiertes Grinsen konnte er sich nicht mehr verkneifen. Das musste er unbedingt Mokuba erzählen, wenn dieser zurückkam. Am besten er machte sich auch noch drei Kreuze im Kalender und feierte diesen kleinen 'Sieg'. Endlich zeigte der Firmenchef sein wahres Gesicht und Yuugi gab offen zu, dass er den verträumten Kaiba gerne nochmal sehen wollte.
 

Als er mit dem Fahrstuhl im richtigen Geschoss ankam, sah er sich nochmal um und überlegte sich in welche Richtung er gehen musste. Die Duel Links Abteilung war gut besetzt. An jedem Rechner saß ein Entwickler und er fühlte sich dort gut aufgehoben. Die Damen und Herren der Abteilung achteten ganz genau darauf, jedes Detail der Duel Monster Karten einzufangen und diese Begeisterung, dieses Herzblut für dieses Spiel, gab Yuugi ein gutes Gefühl. Für ihn war Duel Monsters ein wichtiger Bestandteil seines Leben und dies seit nun über acht Jahren. Zu sehen, mit viel Sorgfalt und Liebe zum Detail dort gearbeitet wurde, ließ sein Herz schneller schlagen.
 

Rasch übergab er die Dokumente und betrachtete einen jungen Mann, der gerade dabei war, den Schwarzen Magier originalgetreu nachzustellen. Sogar an die Verzierungen im Gesicht hatte er gedacht und der Stab sah exakt so aus wie auf dem Bild. Mit Begeisterung sah er dem Mann über die Schulter, der nicht mal bemerkt hatte, dass er beobachtet wurde, da er so vertieft in seiner Arbeit war. Wortlos trat Yuugi dann zur Seite, warf noch mal einen Blick in die Abteilung, ehe er sich auf den Rückweg machte. Wenn Kaiba etwas machte, dann richtig. Er war wirklich ein Perfektionist, vor allem wenn es um Duel Monsters ging.
 

„Mutou-san.“
 

Yuugi blieb stehen und drehte sich um.
 

Oh nein, was wollte er denn jetzt von ihm? Wieso war Nomura hier? Er hatte die Arme verschränkt und lehnte lässig an der Wand. Er schien nur darauf gewartet zu haben, dass Yuugi hier entlang kam. Ein mulmiges Gefühl machte sich in seiner Magengegend breit und er kam nicht drum herum, sich zu fragen, wieso Nomura seinen Arbeitsplatz verließ und hier in aller Seelenruhe auf ihn wartete.
 

„Was möchten Sie, Nomura-san?“, fragte Yuugi und bemühte sich darum mit fester Stimme und entschlossenen Blick seinen Gegenüber zu begegnen. Sein Herz schlug so laut, dass er glaubte, dass selbst Nomura dies hörte. Auch wenn er sich sichtbar darum bemühte, sich keine Schwäche ansehen zu lassen, so konnte er dieses unbehagliche Gefühl, das sich in ihm breit machte und ihn zu verschlingen drohte, nicht vollends ignorieren. Die Unsicherheit und die Panik waren da, auch wenn er sie nicht so offen zeigte.
 

„Es...“, begann dieser und stieß sich von der Wand ab, kam dem Jüngeren näher. Yuugi reichte ihm nicht mal bis zur Schulter, weshalb er sich für einen kurzen Augenblick leicht eingeschüchtert fühlte, sich aber schnell wieder fasste und ihn erneut mit festen Blick ansah. Er durfte jetzt bloß keinen Rückzieher machen.
 

Nomura rieb sich verlegen den Hinterkopf und brachte ein erzwungenes Lachen heraus.
 

„Es tut mir Leid. Ich habe überreagiert...“, begann er und haderte damit, weiter zu sprechen. Die richtigen Worte wollten ihm einfach nicht über die Lippen kommen.
 

„Schon in Ordnung. Ich bin nicht nachtragend“, meinte Yuugi nur. Nomura konnte seinen Ohren nicht trauen.
 

„Du solltest aber wütend sein. Und deine Position ausnutzen“, erklärte er dann. Dass Yuugi ihm einfach verziehen hatte, konnte und wollte er nicht glauben. Das war zu viel des Guten. Kein Mensch sollte so naiv sein. Nomura hätte niemanden verziehen, der ihm schadete und er hätte seine höhere Position ausgenutzt und seinen Feinden das Leben zur Hölle gemacht. Als sein Chef Kaiba plötzlich mitten im Raum stand, hatte ihn das Gefühl von Panik übermannt. Das einzige, woran er in diesem Moment denken konnte, war: Scheiße, das war's. Das ist das Ende meiner Karriere als Entwickler.
 

Doch nichts geschah. Tage vergingen. Kaiba hatte nichts weiter zu dem Vorfall gesagt. Doch Nomura hatte die ganze Zeit damit gerechnet, dass noch etwas kommen musste. Vielleicht ganz hinterhältig, genau dann, wenn er am wenigstens damit rechnete. Er dachte, er kannte die Konsequenzen für sein kindisches Verhalten. Mit einem Rauswurf hatte er gerechnet. Mit Suspendierung. Gehaltskürzung oder eine Versetzung in eine andere Abteilung oder einen Wechsel in eine andere Zweigstelle. Nichts dergleichen geschah.
 

Stattdessen kam sein Chef und Yuugi ganz normal in ihre Abteilung und taten so, als wäre nie etwas geschehen. Yuugi war verletzt und trug ein großes, weißes Pflaster auf der Wange und Verband an beiden Händen. Auch wenn er diese bereits abgenommen hatte, so konnte er die Verletzungen immer noch sehen. Nomura war wütend. Nicht auf Yuugi. Auch nicht auf Kaiba. Nein, er konnte selbst nicht glauben, dass er sich von seinen Gefühlen hatte mitreißen lassen. Im Nachhinein tat ihm sein Verhalten leid. Er konnte Yuugi nicht ausstehen und es nervte ihn, dass dieser wie ein braver, erzogener Hund dem Firmenleiter hinterher dackelte und sogar Kaibas volle Aufmerksamkeit genoss, während alle anderen sich seit Jahren den Allerwertesten abrackerten, ohne je ein Wort des Dankes zurückzubekommen.
 

Aber das gab ihm nicht das Recht, diesen jungen Mann körperlich zu verletzen. Wie alt war er überhaupt? Genauso alt wie sein Chef, also 24. Gerade erst aus dem Studium raus und schon eine Spitzenposition in der weltweit meist angesehensten Firma, wo wirklich nur die besten der besten einen Arbeitsplatz ergattern konnten. Wer hier arbeiten wollte, musste ganz schön was auf dem Kasten haben, da Kaiba auch den kleinsten Fehler als Weltuntergang erachtete. Was machte also ein Neuling hier? Ohne Erfahrung? Ohne Qualifikation? Und dann noch an der Seite von Kaiba? Dem Mann, der die Welt veränderte und die Zukunft nach seiner Vision formte?
 

„Ich erwarte nicht von Ihnen, dass sie mich mögen... aber ich hoffe sehr, dass wir zukünftig als Kollegen zusammenarbeiten können“, setzte Yuugi dann mit einem Lächeln fort und verbeugte sich leicht.
 

Zögerlich erwiderte Nomura die Geste. Sein Blick wanderte gen Boden. Der glänzende Marmorboden spiegelte ihn wieder und er konnte in Yuugis Abbild erkennen, dass dieser immer noch dieses ekelhafte Lächeln auf den Lippen trug. Nein, das war doch alles nur geschauspielert. Er konnte diesen Kerl nicht ausstehen. Was bildete er sich überhaupt ein? Kam hier her und markierte auch noch den starken Mann. Und natürlich verfiel jeder seinem jugendlichen Charme und diesem kindlichen Gesicht, das den ganzen Tag mit einem Dauerlächeln dekoriert war. Das würde er ihm nicht ins Gesicht sagen, aber insgeheim wünschte er Yuugi, dass er mächtig hinfiel und Kaiba erkannte, dass ein unfähiger, blutiger Anfänger hier nichts zu suchen hatte.
 

„Auf gute Zusammenarbeit...“, sagte er mechanisch. Nicht, weil er es wirklich so meinte, sondern weil es das Richtige war, sich so zu verhalten. Am liebsten hätte er ihm gesagt, dass er sich nicht so aufspielen sollte. Als Yuugi sich verabschiedete und in Richtung des Fahrstuhls ging, verzog Nomura angewidert das Gesicht. Diese enge Jeans war doch mit Absicht so provokant, fand er und fragte sich, ob Yuugi versuchte, die Blicke der Mitarbeiter auf sich zu ziehen. Wer kam schon in engen Jeans zur Arbeit? Dieser Aufzug war einfach nur unangebracht.
 

Auch wenn er Yuugi seine Meinung nicht ins Gesicht sagte, so konnte er immerhin noch mit seinen jahrelangen Kollegen darüber reden. Diese Jugend wurde auch immer dreister.

Kapitel 26

Yuugi wurde das Gefühl nicht los, dass Nomura sich verstellte. Er hatte gespürt, dass seine Entschuldigung nicht aufrichtig war. Er meinte es ernst, ja, aber er war sich sicher, dass dieser Mann ihn immer noch nicht akzeptierte und sich nur entschuldigte, weil er selbst zu dem Schluss gekommen war, dass sein Verhalten nicht richtig gewesen war. Es ging ihn nicht darum, sich wirklich zu entschuldigen. Es ging einzig und allein darum, sein Ego zu befriedigen und sein Gewissen zu beruhigen. Aber Yuugi machte sich nichts daraus. Seufzend lehnte er sich im Fahrstuhl gegen die Wand und betrachtete sein eigenes Spiegelbild.
 

Der rote Fleck auf seiner Wange nervte ihn. Er fühlte sich unwohl, wenn andere ihm direkt in die Augen sahen, da er genau wusste, dass die Leute nicht ihn ansahen, sondern seine Verletzung anstarrten. Das war ja auch vollkommen normal. Yuugi konnte ja auch nicht leugnen, dass er neugierig andere Menschen musterte, wenn diese einen Verband im Gesicht oder gar einen Mundschutz trugen. Trotzdem erinnerte es ihn an seine unangenehme Schulzeit, als er die meiste Zeit zu Boden geblickt hatte und vermied andere anzusehen. Auch jetzt versuchte er den Blicken anderer auszuweichen.
 

Es war gar nicht so einfach mit erhobenen Haupt durchs Leben zu gehen. Ein kleines Lächeln schlich sich auf seine Lippen. Atem hätte sich bestimmt auch nicht versteckt. Atem war stolz und es gab wirklich nichts, dass diesen Mann wirklich unsicher werden ließ, da sein Selbstvertrauen so enorm groß war, dass ihn die Meinungen anderer nicht interessierten. Als Atem noch hier war, sprach dieser ihm oft Mut zu. Wenn Yuugi mal wieder zu lange grübelte und vor lauter negativer Gedanken keinen Schlaf fand, war es Atem, der mit seiner geisterhaften Silhouette neben ihm erschien und ihm Mut zusprach. »Aibou, du darfst über solche Dinge nicht zu lange nachdenken. Dafür ist das Leben zu kurz«, sagte er häufig. Yuugi hatte erst sehr spät begriffen, wie kurz das Leben tatsächlich war und dass jeder Augenblick und jedes bisschen Glück genauso schnell enden konnte, wie sie begonnen hatten. Alles war vergänglich.
 

Immer wenn Yuugi dabei war, sich in Sorgen zu verlieren, dachte er an Atem. An seine stolze Haltung während eines Duells. An sein Lachen. Seine Worte. Seinen Mut. Das beruhigte ihn und gab ihm neue Kraft. Kraft, die er nicht immer allein aufbringen konnte. Als der Fahrstuhl anhielt, hob er wieder den Blick. Er hatte gar nicht gemerkt, dass er die ganze Zeit zu Boden geblickt hatte. Da das Gebäude so unglaublich riesig war und es so viele Stockwerke gab, fuhr man relativ lange bis man die oberste Etage erreichte. Da hatte er ausreichend Zeit nachzudenken und sich für einen Moment auszuruhen.
 

Kaiba war erbarmungslos. Er arbeitete pausenlos. Bis jetzt staunte er darüber, wie Kaiba es aushielt, den ganzen Tag fast gar nichts zu essen, stumm vor seinem Computerbildschirm zu sitzen und so konzentriert bei der Arbeit zu bleiben. Da Kaiba selbst keine Pausen machte, allerhöchstens um sich selbst Kaffee zu machen (war ja nicht so, dass das ein großartig kompliziertes Unterfangen gewesen wäre) oder einem Bediensteten dazu zu beauftragen. Sonderlich gesund lebte Kaiba nicht. Trotzdem hörte er nie Kaibas Magen grummeln.
 

Yuugi wurde rot. Erst heute morgen hatte Kaiba ihn zur Frühstückspause geschickt, da Yuugis Magen so laut und fordernd geknurrt hatte, dass selbst Kaiba sich ein Herz fasste. Als Yuugi ihn fragte, ob er ihn etwas auf der Cafeteria mitbringen sollte, hatte Kaiba nur mit einem genervten 'Nein' geantwortet und ihn keines Blickes gewürdigt. Nicht, dass er tatsächlich mit einer positiven Antwort gerechnet hatte. Er versank so sehr in seiner Arbeit, dass er alles um sich herum vergaß. Sogar das Essen.
 

Als Yuugi das Büro betrat, sah er nicht auf und tat so, als hätte er nichts von Yuugis Eintritt bemerkt. Wenn Kaiba etwas konnte, dann war es Dinge (oder gar Personen) komplett aus seinem Bild zu filtern und sie komplett zu ignorieren. Entweder hatte Kaiba wirklich nicht mitbekommen, dass er im Raum war oder er ignorierte es. Nicht, dass es einen Unterschied gemacht hätte. Der Drucker neben Kaibas Schreibtisch ratterte und warf einen Stapel bedruckter Papiere aus. Yuugi kam näher, um einen kleinen Blick zu erhaschen. Yuugi fuhr zusammen, als Kaiba ihn ansprach. Er hatte also sehr wohl mitbekommen, dass jemand ins Büro gekommen war.
 

„Diese Unterlagen müssen gelocht und abgeheftet werden. Im Regal...“, Kaiba machte eine kurze Sprechpause und deutete mit einer flinken Handbewegung eine Richtung an. „Findest du leere Aktenordner. Denk daran das Datum und den Verwendungszweck auf das Textfeld zu schreiben.“
 

„Verstanden“, kam es folgsam von Yuugi.
 

Rasch erledigte er seine Aufgaben, ehe er sich von Kaiba verabschiedete und sich auf den Nachhauseweg machte. Der nächste Tag verlief reibungslos. Er war bereits so routiniert in den Dingen, die er erledigte, dass er nicht mal mehr Kaibas Hilfe in Anspruch nehmen musste, da er das meiste auch so durchblickte. Das Wochenende verging viel zu schnell.
 

Am Montagabend konnte es Yuugi kaum mehr abwarten, dass Mokuba endlich zurückkehrte. In einer kurzen Nachricht hatte Mokuba ihn in Kenntnis gesetzt, dass er seit Montag Morgen zurück war und jetzt erst mal seine Ruhe haben wollte. Erst am Folgetag wollte er nach Hause gehen, denn er könnte seinen Bruder nicht ertragen. Nicht in seinem ohnehin schon erschöpften Zustand. Yuugi hatte Verständnis für diese Entscheidung, obgleich er hunderte von Fragen an den Schwarzhaarigen hatte. Er verkniff sich den Drang Mokuba weitere Nachrichten zu schreiben und ließ ihn in Ruhe schlafen.
 

Er wollte ihn fragen, was er erlebt hatte. Wie es ihm ging und was für Erfahrungen er gemacht hatte. Ob er immer noch wütend auf seinen Bruder war? Und was würde wohl Kaiba tun? Yuugi zückte sein Smartphone und schrieb Kaiba eine Nachricht. Kaiba antwortete nie auf seine Nachrichten, aber da sie als gelesen markiert waren, war Yuugi auch nicht sauer. Viel mehr wunderte er sich darüber, dass Kaiba ihn kein einziges Mal deshalb angesprochen hatte oder gar seine Nummer geblockt hatte. Gerade mit Letzterem hatte er gerechnet. Generell erstaunte es ihn doch sehr, dass Kaiba seine Nachrichten doch zu lesen schien. Aber vielleicht markierte er sie einfach nur als gelesen? Was auch immer es war, er hatte seine Nachrichten wahrgenommen und das allein war mehr als gar nichts.
 

Ein kleines Grinsen zeichnete sich auf seinen Lippen ab. Er schrieb wieder ein paar Zeilen an Kaiba. Vermutlich hatte dieser es langsam satt, dass Yuugi ihm jeden Abend eine Nachricht schrieb und einfach nicht aufgab, obwohl er so deutlich gezeigt hatte, dass er kein Interesse an Freundschaft oder gar Smalltalk hatte.
 

»Kaiba-kun!«, lauteten seine Worte. Yuugi überlegte. Wie sollte er das, was in seinem Kopf vor sich ging, am besten in Worte verpacken? Und zwar so, dass Kaiba nicht wieder wütend wurde oder sich gar persönlich angegriffen fühlte.
 

»Morgen Abend kommt Mokuba zurück. Ich hoffe, du hast alles vorbereitet! :)«, schrieb er dann weiter und setzte einen grinsenden Smiley hinter seinen Text. Ob Kaiba privat auch Emojis verwendete? Er zog die Augenbrauen herunter und schüttelte den Kopf. Wohl nicht.
 

Yuugi machte sich fürs Bett fertig und zog sich gerade seinen Pyjama an, als sein Smartphone auf der Tischplatte laut vibrierte. Fragend hob er den Kopf. Er rechnete damit, dass Mokuba oder Jounouchi ihn kontaktierten. Vielleicht auch Ryou. Ryou hatte sich vor einigen Tagen ein Videospiel ausgeliehen und immer mal wieder Fragen gestellt, da er einige Bossgegner nicht selbst schaffte und Strategien brauchte. Als Yuugi ihn fragte, warum er nicht einfach im Internet nachsah, hatte dieser nur entgegnet, dass er nicht gespoilert werden wollte. Yuugi vermutete aber, dass er es selbst schaffen wollte und dachte, dass auf die Ratschläge seines Freundes mehr Verlass war, als auf Hilfestellungen im Internet, die teilweise so schlecht geschrieben waren, dass man die Aussage des Verfassers gar nicht verstand.
 

Das Smartphone in seinen Händen haltend, warf er einen Blick aufs leuchtende Display und riss nur wenige Sekunden später die Augen erschrocken auf.
 

Kaiba hatte ihm geantwortet. Mit allem hatte er gerechnet, nur damit nicht! Nicht damit, dass Kaiba irgendwann mal seinen Nachrichten beantwortete. Er hatte seinen Pyjama nicht mal bis zu Hälfte zugeknöpft, als er sich aufs Bett warf und die komplette Nachricht anzeigen ließ.
 

»Was vorbereitet? Yuugi, drück dich gefälligst klarer aus«, waren seine Worte.
 

Einerseits hätte er wütend darüber sein sollen, dass Kaiba tatsächlich noch nachfragen musste, andererseits überwog die Freude darüber, dass Kaiba sich die Zeit genommen hatte nicht nur seine Nachricht durchzulesen, sondern sogar zu beantworten. Da fühlte er sich ganz besonders. Könnte doch gut sein, dass er alle seine Nachrichten gelesen hatte? Ein breites Grinsen zierte sein Gesicht. Er hatte die Nachricht nun vier Mal gelesen. Jedes Wort so betont, wie Kaiba es getan hätte. Pausen zwischen den Wörtern gelassen und den Inhalt auf sich wirken lassen.
 

Beinahe fühlte er sich wie ein verliebtes Schulmädchen, das zum ersten Mal eine Antwort von ihrem Schwarm bekam. Vielleicht war das sogar ein wenig so. Immerhin hatte Yuugi seit seiner Schulzeit, seit er Kaiba zum ersten Mal traf, ein wenig von diesem geschwärmt und diesen von Weitem bewundert. Kaiba war so unnahbar und stark. Nichts schien ihn zu erschüttern und sein Blick, der stets in Richtung Horizont gerichtet war, sowie sich niemals an Kleinigkeiten aufzuhängen und immer nur das Wesentliche zu betrachten, waren alles Dinge an diesem Mann, die ihn beeindruckten.
 

Yuugi war gerade in seiner Schulzeit so ruhig und verlor sich viel zu oft in negativen Gedanken. Auch wenn Kaiba alles andere als perfekt war, so wollte Yuugi von diesem anerkannt werden. In gewisser Weise waren da also Gefühle, die an Liebe erinnerten, aber viel tiefgründiger und für Yuugi nur schwer in Worte zu fassen waren. Schon seit vielen Jahren wünschte er sich mehr Kontakt zu Kaiba. Ein paar Worte mit diesen zu wechseln und ihn besser zu verstehen. Dass dieser Traum sich Schritt für Schritt langsam erfüllte, ließ sein Herz höher schlagen.
 

»Mokuba kommt morgen Abend zurück. Hast du das vergessen?«
 

Yuugi bemühte sich darum, nicht zu viel auf einmal zu schreiben. Immerhin mochte es Kaiba nicht, wenn man nicht direkt zum Punkt kam und ums eigentliche Thema lange herumredete.
 

»Natürlich nicht. Ich werde morgen pünktlich nach Hause gehen.«
 

Yuugi verzog das Gesicht. Kaiba hatte echt gar nichts verstanden! Es ging doch Mokuba nicht nur darum, dass er pünktlich nach Hause kam!
 

»Das reicht nicht. Mokuba wird enttäuscht sein. :'(«
 

»Yuugi. Zum letzten Mal: drück dich klarer aus. Und hör mit diesen autistischen Emojis auf. Du musst mir keinen traurigen Emoji schicken, damit ich dich verstehe.«
 

Sicher hatte Kaiba mit den Augen gerollt, als er diesen Emoji gesehen hatte. Yuugi fand das amüsant. Irgendwie witzig, dass Kaiba sich so sehr über diese bunten Bilder ärgerte.
 

»Du solltest eine Feier machen. Lad' ein paar von Mokubas Freunden ein und überrasche ihn. Das wird ihn sicher freuen. Immerhin war er mehr als zwei Wochen weg und hat sicher viel zu erzählen.«
 

Mokuba war bereits seit Montag zurück und übernachtete im Apartment seiner Freundin. Nach der langen Reise von Amerika nach Japan brauchte er erst mal eine Pause. Allein schon die Umstellung der Zeit löste bei ihm einen so schlimmen Jetlag aus, dass er den ganzen Montag im Bett verbracht hatte.
 

»Warum sollte ich das tun? Das ist absoluter Irrsinn. Außerdem kenne ich seine Freunde nicht.«
 

Yuugi legte den Kopf schief. Für Kaiba schien es unverständlich zu sein, dass man Zeit gerne mit Menschen verbrachte, die einem nahe standen.
 

»Wenn du so weiter machst, wird Mokuba schneller wieder weg sein, als es dir lieb ist. Irgendwann wird der Tag kommen, wo du es bereust, dass du nicht einmal an ihn gedacht hast und dir nie Frage gestellt hast, was ihm Spaß machen könnte. Mokuba ist nicht dein Spiegelbild. Für ihn ist Freundschaft genauso wichtig wie seine Liebe zu seinem Bruder.«
 

Kaiba brauchte ungewöhnlich lange, um zu antworten. Für einen Moment bereute Yuugi es, diese Worte geschrieben zu haben. Es war unwahrscheinlich, dass Kaiba ihm noch antwortete. Gerade als er dabei war, sein Smartphone wegzulegen, vibrierte es erneut.
 

»Du hast recht. Du bist auch ein Freund von Mokuba. Würdest du kommen, um ihn willkommen zu heißen? Du kennst sicher noch mehr Freunde von ihm, bring sie ruhig mit. Ich werde dann Isono zu dir schicken und euch abholen lassen.«
 

»Überlass' das nur mir! Du kümmerst dich um den Rest, also sorge für dich richtige Partystimmung.«
 

Kaiba drehte sich bei dem letzten Wort der Magen um. Partys lagen ihm absolut nicht. Er konnte sich nicht daran zurück erinnern, jemals richtig gefeiert zu haben. Als seine Mutter starb war er fünf Jahre gewesen und die Jahre danach, als sein Vater sich allein um die beiden Kinder kümmern musste, verblassten immer mehr. Für ihn war es unerklärlich, dass man einen Geburtstag feierte. Er selbst hatte dies nicht kennengelernt und vermisste es auch nicht.
 

Verdammt. Das war bitter. Verärgert ließ er sein Smartphone fallen. Ob Mokuba sich eine richtige Feier gewünscht hatte? Hatte er es vermisst, Freunde einzuladen und mit ihnen Gesellschaftsspiele zu spielen und Kuchen zu essen? Kaiba hatte in seiner Jugend nie die Zeit gehabt, um über solche Dinge nachzudenken. Immerhin hatte er den eisernen Griff seines Stiefvaters stets in seinem Nacken gespürt. Hätte er auch nur ansatzweise gezeigt, dass ihn etwas störte, hätte er nur mit Schmerzen rechnen müssen.
 

Und jetzt sollte er sich um die 'richtige Partystimmung' kümmern? War Yuugi übergeschnappt? Oder war er verrückt geworden, weil er tatsächlich anstrebte, eine Feier zu machen, die Mokuba gefallen würde? Er atmete tief ein und begann mit den Planungen. Er hatte nicht mehr viel Zeit bis Mokuba nach Hause kam und bis dahin musste er effizient und schnell arbeiten. Er durfte keinen einzigen Fehler zulassen – er unterbrach seinen Gedankengang selbst. Nicht Perfektion sollte er anstreben. Die Feier musste nicht perfekt sein, sondern seinem Bruder Spaß machen.
 

Wieder eine neue Nachricht. Kaiba sah auf. »Gute Nacht, Kaiba-kun. Bis morgen. :3«, lauteten Yuugis Worte. Ungewollt huschte ein Lächeln über seine Lippen. Dieser Emoji sollte ihn nerven, tat es aber nicht. Er nahm es hin und akzeptierte, dass Yuugi diese Dinger gerne zu benutzen schien. Mokuba nutzte sie ja auch.

Kapitel 27

Am nächsten Morgen kam Yuugi nur schwerlich aus dem Bett. Obwohl sein Wecker bereits seit mehreren Minuten vor sich hin klingelte, starrte er nur geistesabwesend an die Decke. Seine Lider waren einfach zu schwer und sein Körper verlangte nach mehr Schlaf. Trotzdem quälte er sich aus den Laken und trottete immer noch im Halbschlaf in Richtung des Badezimmers. Die letzte Nacht war alles andere als erholsam gewesen. Kaiba hatte ihm einen Auftrag erteilt.
 

Mehr oder weniger. Für Yuugi war Kaibas Bitte eine Verantwortung, die auf seinen schmalen Schultern lastete und ihn zu Boden drückte, es ihm unmöglich machte, nach vorne zu gehen. Mokuba hatte viele Freunde. Viel zu viele. Jedes Mal wenn sie sich getroffen hatten, um einfach nur über ihr Leben zu plaudern, sprach Mokuba von neuen Personen. Es gab so viele Menschen um Mokuba herum, dass Yuugi gar nicht sagen konnte, wer von diesen tatsächlich seine Freunde waren und welche nur Arbeitskollegen oder gar nur Bekannte.
 

Während er sich die Zähne putzte, grübelte er weiter. Der minzige Geschmack von Zahnpasta ließ seine müden Geister erwachen, so dass er mit klaren Blick in sein Spiegelbild sah. Bloß nicht aufgeben! Jounouchi war auch Mokubas Freund. Also würde er diesen auf jeden Fall mitbringen. Na ja, Yuugi hätte ihn ohnehin als Begleitung mitgebracht, da sie generell jede freie Minute miteinander verbrachten und Yuugi es schon gar nicht mehr gewohnt war, auf Veranstaltungen oder Feiern ohne diesen zu gehen. Für manch einen sah es sicher so aus, als wäre Jounouchi sein Lebensgefährte, da man sie nur selten voneinander getrennt sah. Bei diesen Gedanken musste er leicht lächeln, worauf er angestrengt hustete, da er sich an dem Schaum der Zahnpasta verschluckt hatte.
 

Wen könnte er noch mitbringen? Ryou? Nein, der hatte kaum Kontakt mit Mokuba. Der war vermutlich ohnehin entweder mit dem ausgeliehenen J-RPG beschäftigt oder darum bemüht, seinen Fanklub loszuwerden. Diese nervigen Mädchen lauerten ihm mittlerweile schon vor seiner Wohnung auf und klingelten regelmäßig an, um ihm Geschenke zu bringen. Liebesbriefe, Bücher und Süßigkeiten. Allen voran jedoch Pralinen. Yuugi fragte sich, ob Ryou es in Wirklichkeit genoss, so umgarnt und umschwärmt zu werden. Immerhin beschwerte er sich nicht. Manchmal, ja, da klagte er darüber, dass er kaum Ruhe fand, aber die meiste Zeit hatte er ein zuckersüßes Lächeln für diese jungen Frauen auf den Lippen.
 

Die meisten von diesen Frauen rannten ihm auch bereits seit der Schulzeit hinterher und somit lag es nahe, dass sie es wirklich ernst meinten. Zumindest konnte sich Yuugi nicht erklären, warum man einer Person so vehement hinterherlief und sich diesem aufdrängte, wenn dieser das gar nicht wünschte. Warum nach der Anerkennung eines Menschen eifern, die kein Interesse an einem zeigte? Sämtliche Gedanken hielten still. Hat er das gerade ernsthaft gedacht? Yuugi lief doch selbst Kaiba hinterher und nervte ihn seit Jahren damit, dass sie Freunde waren. „Das war ja mal ein Eigentor...“, murmelte er und rieb sich mit dem flauschigen Handtuch sein Gesicht trocken.
 

Den Gedanken verwarf er wieder und suchte nach Ablenkung. Auf seinen Wangen zeichnete sich ein unnatürliches rot ab. Anzu mochte Mokuba auch. Sie waren gewissermaßen Freunde, aber sie lebte in Amerika. Nach ihrem Studium war sie nicht zurückgekehrt und hatte einen Job in einem Musical angenommen. Nach der Regelzeit von drei Jahren Studium, hatte sie noch ein zusätzliches Jahr dran gehängt, um weitere Qualifikationen zu erlangen. Mit Anfang 20 war sie mit ihrem Studium komplett fertig und hatte direkt so viele Anfragen, dass sie sich gar nicht mehr entscheiden konnte, ob sie nun in Amerika bleiben oder nach Hause zurückkehren sollte.
 

Anzu entschied sich zu bleiben. Berufliche Erfahrungen zu sammeln sei wichtig, hatte sie gesagt. Aber Yuugi wusste, dass ihr Herz schon lange für dieses Land schlug und dass sie es genoss dort zu leben. Ihr Vertrag ging fünf Jahre und sie tanzte die Hauptrolle und sang Balladen. Anzu hatte schon immer eine schöne Gesangsstimme gehabt. Ihre Stimme war lieblich und sanft, wie ein warmer Frühlingsmorgen, an dem der Tau im Licht der Sonne schwand.
 

Es war unmöglich Anzu hierher zu bringen. Honda? Niemals. Der konnte die Familie Kaiba generell nicht so gut leiden. Gegen Mokuba hatte er nichts, aber sie waren sich nie so nahegestanden, dass er Interesse an einer Feier mit diesem gehabt hätte. Otogi? Der musste arbeiten. Soweit Yuugi es mitbekommen hatte, war der Streit mit der Versicherung nun beendet und sie hatten Geld bekommen, um sich ein neues Haus zu bauen. Natürlich handelte es sich um eine Mischung, in dem Haus wollten sie wohnen und ihre Spiele verkaufen. Otogi war ein kluger Mann.
 

Zeitweise hatte er mit seinem Vater ein Café eröffnet, da die Verhandlungen mit der Versicherung sehr lange andauerten und beide der Ansicht waren, dass ein Startkapital immer eine gute Idee war. Je mehr Geld sie in den Bau eines neuen Ladens stecken konnten, desto besser würde das Endergebnis. Yuugi grinste breit. Zwar hatte Otogi noch nicht verlauten lassen, wie lange es noch dauern würde, bis der Bau beendet war, jedoch konnte er es bereits jetzt kaum mehr abwarten, die exklusiven Spiele seines Freundes zu spielen. Vor allem auf die Neuerweckung von Dungeon Dice Monsters freute er sich. Otogi ähnelte sich in seinen Vorgehensweisen Kaiba. Beide waren Geschäftsmänner durch und durch und die Erfahrung in diesem Business hatte sie dahingehend geprägt. Wenn sie etwas taten, dann im großen Stil.
 

Yuugi öffnete seinen Kleiderschrank und überlegte lange, was er anziehen sollte. Die meisten seiner Kleidungsstücke sahen sich ähnlich. Er mochte enganliegende Hosen und Shirts, die sich an die Figur schmiegten. Doch Kaiba meinte, dass er solche Sachen nicht zur Arbeit tragen sollte, da einige Kollegen das falsch auffassen konnten. Seit Nomura ihm den Kaffee ins Gesicht geschüttet hatte, war seine Weste und sein Hemd ruiniert. Seine Mutter hatte beide Teile mehrmals gewaschen, doch die Flecken ließen sich nicht entfernen.
 

So oder so brauchte er dringend neue Klamotten. Einen Anzug sollte er sich besorgen, hatte Kaiba irgendwann mal zu ihm gesagt und Yuugi hatte nur stumm genickt, während er gedanklich darüber klagte, dass Kaiba keine Ahnung zu haben schien, was es bedeutete, kein Geld zu haben. So ein Anzug kostete mal eben mehrere tausend Yen. Das war Geld, das sich Yuugis Familie nicht aus dem Ärmel schütteln konnte! Zwar hätte er seinen Großvater fragen können, aber Yuugi wollte ihm nicht noch länger auf der Tasche liegen. So gut lief der Laden momentan auch wieder nicht.
 

Er seufzte und entschied sich für eine enganliegende dunkelblaue Jeans und ein cremefarbenes langärmliges Shirt mit Rundausschnitt. Seine Schlüsselbeine ragten aus dem Ausschnitt heraus und Yuugi überlegte, ob er noch eine Kette anlegen sollte, da sich sein Hals irgendwie nackt anfühlte. Er war das Lederhalsband gewohnt. Aber Kaiba würde einen Wutanfall bekommen, würde er es wagen, dieses Teil zur Arbeit anzuziehen. Vermutlich warf er ihn dann nicht aus dem Büro, sondern gleich aus dem Fenster. Er schluckte hart und öffnete seine Schublade, wo er sämtliche Accessoires aufbewahrte. Das Lederarmband durfte auf keinen Fall fehlen. Das trug er jeden Tag. Das hatte Kaiba auch gar nicht gesehen, ansonsten hätte er nur wieder geschimpft. Unter langen Ärmeln konnte man Armbänder gut verstecken.
 

Jounouchi und er besaßen dasselbe. Es war ein bisschen wie Partnerlook. In ihrer Schulzeit waren sie nach dem Unterricht über die Straßen des Domino Plazas gewandert und hatten einen neuen Schmuckladen entdeckt. Das Geschäft hatte gerade erst eröffnet und lockte mit großzügigen Rabatten. Yuugi war fasziniert von den Lederstücken im Schaufenster und war unbewusst stehen geblieben. Ohne lange nachzudenken, hatte Jounouchi ihm an der Hand genommen und mit ihm den Laden gestürmt. Am Ende hatten sie sich etwas gekauft, das sie verband. Ein nostalgischer, verträumter Blick lag auf dem Armband, als er es anlegte.
 

Yuugi entschied sich für einen modischen, grauen Schal, den er sich um den Hals warf. Ein paar Mal drehte er sich vor dem Spiegel und betrachtete sein Spiegelbild.
 

Wenn diese kurzen Beine, die schmächtigen Arme und der flache Po nicht gewesen wären – eigentlich hätte er noch eine ganze Reihe an Dingen aufzählen können, die ihn störten – hätte er sich sicher sogar als gut aussehend betitelt. Umso besser, dachte er, immerhin wollte er ja auch nicht zu sehr auffallen. Er warf sich seine schwarze Lederjacke um und trat die Treppen hinunter. Sein Großvater war bestimmt schon im Laden. Immerhin gab es noch ein paar Sachen, die er erledigen musste, bevor er die Türen öffnen konnte. Im Lagerraum – genau genommen handelte es sich hierbei um eine Abstellkammer, die ziemlich klein war und normalerweise für Putzgegenstände genutzt wurde – stapelten sich braune Kartons bis an die Decke, auf denen das Logo der KC abgedruckt waren.
 

Eine weitere Ladung sollte noch kommen. Yuugi wunderte sich, wo sie diese ganzen Kisten abstellen sollten. So groß war ihr Haus nun auch wieder nicht. Aber Mokuba hatte die Menge an Waren selbst festgesetzt, somit konnte sein Großvater die Warenlieferung nicht einfach ablehnen. Er hörte den alten Mann laut stöhnen. Dann ein wütendes Grummeln. Yuugi lugte hinein und sah, wie sein Großvater versuchte, einige Kisten auf das oberste Regal zu stellen. Auch mit der Leiter kam er nicht ran, weshalb er wohl versucht hatte, die Kiste hochzuwerfen. Die Schwerkraft hatte jedoch gesiegt, sodass er die Kiste direkt ins Gesicht bekommen hatte und dann auf den Fliesenboden purzelte.
 

„Guten Morgen, Jii-chan!“, rief Yuugi ihm entgegen und kam näher.
 

„Ahh, du bist ja schon wach! Sei so gut und hilf mir doch, wenn du noch etwas Zeit hast.“
 

„Natürlich“, entgegnete Yuugi mit einem Lächeln.
 

Mit seinen nicht mal 1,60m war er nicht viel größer als sein Großvater. Als er auf die Leiter stieg, erwartete ihn dasselbe Problem. Sein Großvater schüttelte den Kopf.
 

„Schon gut... ich werde Jounouchi darum bitten, wenn er vorbei kommt.“
 

Jounouchi arbeitete nicht im Laden, half jedoch häufig bei der Warenverräumung mit, da weder Yuugi noch dessen Großvater an die hohen Regale herankamen. Enttäuscht ließ Yuugi den Kopf hängen. Danach machte er sich auf den Weg zur Arbeit. Er hatte Isono darum gebeten, ihn nicht abzuholen, obgleich Kaiba dies angeordnet hatte. (Vermutlich freute sich dieser sogar über diese Frühstückspause, wo er sich sonst ständig auf Abruf bereit hielt.) Yuugi nahm gerne Umwege und genoss die frische Luft am frühen Morgen. Seit seiner Schulzeit war er es gewohnt, mit Bus und Bahn zu fahren, also blieb er an der Haltestelle stehen und wartete. Diese wenigen Minuten bevor der Bus kam, waren genug Zeit, um seine Gedanken nochmal schweifen zu lassen und sich auf den bevorstehenden Tag vorzubereiten.
 

Die Fahrt dauerte nicht lang. Es gab sogar eine Direktverbindung zum Firmengelände der Kaiba Corporation und diverse Buslinien, die den Duel Dom und den Kaiba Park ansteuerten. Auf den herankommenden Bus prangerte das Logo der KC. Sponsored by, war da gedruckt. Die KC war in Domino nicht mehr wegzudenken. Überall hatte Kaiba sich eingeschlichen und er verdrängte alte Marken und bisherige Marktführer von der Spitze. Ob Computer, Spielekonsolen und Spiele, Lichttechnik oder gar ein Franchise Unternehmen wie das Duel Café – wenn Kaiba etwas machte, dann richtig. Ganz oder gar nicht.
 

Schon irgendwie bewundernswert. Ah. Trotzdem löste das sein Problem nicht. Jetzt schwärmte er wieder von Kaiba und seinen Errungenschaften, anstelle sich darüber Gedanken zu machen, wen er zu Mokubas Überraschungsfeier einladen sollte. Sobald er in Kaibas Büro trat, würde dieser ihm wieder zig Unterlagen geben und sie würden gemeinsam durch die einzelnen Abteilungen gehen, um die bisherigen Fortschritte zu kontrollieren. Da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Die Lösung war so offensichtlich. Er brauchte doch einfach nur zur Mokubas Entwicklungsabteilung gehen.
 

Die Männer und Frauen der Capsule Coliseum Abteilung würden sich doch bestimmt darüber freuen, ihren Chef aus seinem Urlaub zu begrüßen! Mehr als einmal hatte Mokuba diese Leute als seine Freunde bezeichnet. Zufrieden grinste er. Als er den Kopf wieder hob, stellte er mit Erschrecken fest, dass der Busfahrer bereits die Türen schloss und er gar nicht mitbekommen hatte, dass er aussteigen hätte müssen. Panisch sprang er von seinem Platz auf. „Warten Sie bitte! Ich muss auch noch raus!“, rief er zum Fahrer hin. Dieser stöhnte genervt auf und öffnete die Türen. Mit einem großen Hechtsprung verließ Yuugi den Bus und hetzte weiter zum Firmengelände.
 

Verdammt, diese ständigen Tragträumereien mussten aufhören. Sein Großvater und seine Mutter sagten immer, dass wenn man älter wurde, dass es einem keine Probleme machte, morgens früh aufzustehen. Und dass es einfacher wurde, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Nun war er 24 und kam morgens immer noch nicht aus dem Bett und bekam nicht mal mit, dass er aussteigen musste. Entweder war er ein Sonderfall oder aber das waren dreiste Lügen. Keuchend blieb er vor den Security Männern vor der Firma stehen und zeigte seinen Ausweis vor. Mit einem Nicken ließen sie ihn durch und er beeilte sich umso mehr, zu Kaiba zu kommen, damit dieser ihn nicht als elendigen Trödler betitelte.
 

Wie gewohnt blieb er vor der Tür des Büros stehen und klopfte, wartete auf Einlass. Kaiba hatte sich vermutlich an Yuugis ungefragte Höflichkeit gewöhnt, denn in den letzten beiden Wochen hatte er kein einziges mal deshalb geschimpft. Seine tiefe Stimme rief ihn hinein und Yuugi erschauderte. War er schlecht gelaunt? Am besten war es, die Gesamtsituation auszuhorchen und sich langsam heranzutasten, um seinen Chef bloß nicht noch mehr zu verärgern. Kaibas ständige Gemütswechsel – mal vorhersehbar mal absolut überraschend und einschlagend wie eine Bombe – waren etwas, woran er sich nicht so recht gewöhnen wollte.
 

Er brüllte zwar eindeutig weniger, aber wenn er schlechtgelaunt war (und das war Kaiba fast jeden Morgen), nahm er keine Rücksicht auf Verluste. Yuugi nahm es ihm nicht übel, aber trotzdem konnte er nicht anders, als sich zu fragen, warum Kaiba so unberechenbar war. Mittlerweile hatte Yuugi sich seine morgendlichen Launen damit erklärt, dass Kaiba genauso schlecht aus dem Bett kam und morgens noch zu müde war, um sich richtig zu konzentrieren. Erst nach exakt drei Tassen Kaffee – Yuugi hatte immerhin genügend Möglichkeiten gehabt seinen Chef genau zu beobachten – wurde der Firmenchef etwas ruhiger und sogar halbwegs umgänglich. Dann konnte man ihn sogar normal ansprechen und Gespräche führen.
 

„Guten Morgen, Kaiba-kun“, strahlte er ihm entgegen als er in den Raum trat. Ein genervtes Raunen. Es war genau 8:59 Uhr, vermutlich war Kaiba verärgert, dass er 'unpünktlich' war, denn eine Minute zu früh zu kommen war genauso schlimm wie zu spät zu kommen. Er schüttelte nur den Kopf und lehnte sich wieder über seinen Schreibtisch. Vor ihm lagen mehrere Unterlagen, sein Bildschirm flimmerte und in einer Hand hielt er seinen vergoldeten Kugelschreiber, von dem sich Yuugi sicher war, dass er eine besondere Bedeutung haben musste.
 

„Der Kugelschreiber ist echt schön.“, sagte er als er auf seinen Chef zukam. Dieser hob, wie erwartet, nicht einmal den Kopf und tat so, als hätte er ihn nicht gehört.
 

„Ist der von Mokuba?“, wollte er dann wissen und zeigte auf das Schreibutensil.
 

Kaiba seufzte, legte den Stift beiseite und sah Yuugi unverblümt in die Augen.
 

„Ja, den hat mir Mokuba zum Geburtstag geschenkt. Wenn das alles war, fang an zu arbeiten und störe mich gefälligst nicht. Ich kontrolliere gerade die Arbeitsprozesse und muss mich konzentrieren.“
 

„Und warum die schlechte Laune? Du siehst sehr unzufrieden aus“, gab Yuugi leise zurück und fürchtete, nun einen Tornado losgetreten zu haben. Kaiba konnte es nicht ausstehen, wenn man unnötige Fragen stellte oder sogar Dinge hinterfragte, insbesondere dann, wenn es um seine Arbeitsweise und Handhabung von Problemen ging.
 

„Ich bin nicht schlecht gelaunt“, murrte der Brünette und griff nach seiner Tasse Kaffee. Yuugi musste grinsen, als Kaiba versuchte, seine Wut mit dem bitteren Getränk hinunterzuschlucken. Zumindest ging er nicht direkt an die Decke, sondern versuchte wieder runterzukommen, was Yuugi als Fortschritt bezeichnen wollte.
 

„In der Capsule Coliseum Abteilung sind einige Dokumente abhanden gekommen, zumindest fehlen mir Unterlagen, die ich dringend benötige, um die Monatssteuererklärung abzuschließen. Deshalb zieht sich auch der Monatsabschluss und du kannst dir vorstellen, dass ich damit die Hände voll zu tun habe. Also tu mir und dir den Gefallen: such dir eine Aufgabe und halte mindestens fünf Meter Abstand von mir. Geh zur CC Abteilung und erkläre den Trantüten, dass es sich hier um eine absolut dringende Angelegenheit handelt!“
 

Yuugi nickte stumm und marschierte in Richtung Ausgang. Letzte Woche bei dem Meeting hatte Kaiba gesagt, dass die Ergebnisse des Monatsabschlusses nächste also diese Woche vorliegen würden und wenn Unterlagen fehlten oder nicht sorgfältig genug zusammengetragen worden waren, zog sich der ganze Prozess in die Länge. Bisher hatte Yuugi den Eindruck, dass Kaiba den Großteil des Tages vor seinem Rechner saß und einfach nur sicherstellte, dass die Arbeit der einzelnen Abteilungen reibungslos ablief und kontrollierte die Ergebnisse, außerdem kümmerte er sich um das Marketing und wies generell jedem Mitarbeiter, entweder persönlich oder durch einen Boten (zu letzteren gehörte Yuugi), neue Aufgaben zu.
 

Kaiba kontrollierte sämtliche Vorgänge in seinem Unternehmen und ließ keinen einzigen Fehler zu. Yuugi stutzte. In seinem Seminar hieß es, dass eine Führungskraft, also auch ein Geschäftsführer wie Kaiba es war, soziale Kompetenzen mitbringen musste und dass Einfühlungsvermögen und die Fähigkeit andere zu motivieren zu seinen wichtigsten Stärken gehörte. Kaiba besaß zwar einen Vorstand, jedoch nur auf dem Papier, mit den Mitgliedern selbst hatte Yuugi bisher kein einziges Mal Kontakt gehabt. Der Vorstand wurde bei wichtigen Entscheidungen dazu gezogen, mussten jedoch in eigener Verantwortung Pflichten erfüllen und kümmerten sich im Prinzip um dieselben Angelegenheiten wie der Geschäftsführer.
 

So gesehen handelte es sich einfach nur um Personen, die dazu bevollmächtigt wurden bei der Geschäftsführung mitzuwirken. Doch obgleich es einen erwählten Vorstand gab, kümmerte sich Kaiba selbst um wirklich alles. Einerseits bewunderte er seinen Eifer und wie wichtig er seine Aufgabe als Firmenleiter nahm, andererseits handelte es sich hier um ein wirklich gefährliches Unterfangen, da eine einzelne Person unter all den Aufgaben zu zerbrechen drohte.
 

Yuugi war der festen Überzeugung, dass in der Kaiba Corporation so einiges nicht mit rechten Dingen zuging und dass Kaiba weitaus mehr Fehler machte, als er jemals zugeben würde. Kein Wunder, dass Mokuba so genervt war. In nur drei Seminaren hatte Yuugi mehr über die Führung von Unternehmen und das Leiten von Abteilungen sowie Mitarbeitern gelernt, als er jemals zu träumen gewagt hätte. Bereits jetzt konnte er Kaibas Führung einschätzen und kam ähnlich wie Mokuba zu dem Schluss, dass seine Arbeitsweise einfach nur zerstörend war. Für die Firma selbst, für die Mitarbeiter, sein Umfeld, aber vor allem für Kaiba selbst. Machte er dies vielleicht sogar mit Absicht? Kaiba übernahm absichtlich weitaus mehr Aufgaben, als es nötig war und ließ keine Sekunde ungenutzt verstreichen.
 

Ein tiefer, deprimierter Seufzer entwich seiner Kehle und er wünschte sich aus tiefstem Herzen, dass Kaiba weniger stur wäre und mehr auf seine Gesundheit achten würde. Kaiba aß den ganzen Tag fast gar nichts, nur Kaffee, ja, davon nahm er weitaus mehr zu sich, als man sollte. Vermutlich pumpten Kaibas Venen auch nur noch pures Koffein.
 

In der Abteilung angekommen, staunte er über die bunten Bilder an den Wänden, die grünen und gut gepflegten Topfpflanzen, die verzierten Fensterbilder und die heitere Atmosphäre. Bereits als er reinkam, hörte er Lachen. Es hörte sich echt an, nicht gestellt oder gar er erzwungen. Sein Blick blieb bei einer fast zwei Meter großen Capsule Monsters Figur hängen. Voller Erstaunen fiel ihm die Kinnlade in den Keller und er begutachtete das Stück. Es musste selbst hergestellt worden sein. Ein geflügelter, grüner Drache, der seine gelblichen Zähne fletschte und seine Flügel ausbreitete. Es musste sich um den Dinosaur Wing handeln. Ein Monster, welches Mokuba auch in ihrer ersten Partie eingesetzt hatte und zu den höherrangigen Monstern gehörte.
 

Er konnte sich ein anerkennendes Pfeifen nicht verkneifen und lief weiterhin um die Figur herum, bestaunte die Liebe zum Detail und berührte vorsichtig die Haut der Figur. Ein wohliger Schauer lief ihm über den Rücken. Es fühlte sich nach echtem Leder an, die einzelnen Schuppen hoben sich im Licht ab und schimmerten blau, nur um dann wieder ihr kräftiges Grün anzunehmen. Er fühlte sich wie ein kleiner Junge und wollte nun auch die Zähne des Monsters berühren. Er streckte seine Hand zu dem Kopf aus.
 

„Dir gefällt die Statue, was? Die hat Mokuba selbst gemacht“, hörte er eine Stimme hinter ihm und er fuhr erschrocken zusammen. Sein Herz rutschte ihm in die Hose und er nahm Abstand vor der Statue, räusperte sich und ermahnte sich, sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren.
 

„Die Statue ist großartig. Mokuba ist echt talentiert.“
 

„Ja, er hatte schon immer ein Händchen für so was. Seine Fähigkeiten als Entwickler sind herausragend, aber auch bei solchen handwerklichen Dingen hat er ein echtes Händchen. Es ist auf jeden Fall ein Blickfänger“, sagte der junge Mann und grinste breit.
 

Yuugi musterte seinen Gegenüber. Der sah sogar jünger aus als er. Er hatte kurzes, schwarzes Haar, einen Scheitel, leuchtend blaue Augen, die einen in die Seele zu blicken schienen und ein strahlendes Lächeln auf den Lippen. Seine dünne schwarze Jacke war mit dem Logo der KC bestickt, auf der Brusttasche jedoch prangerte in glitzernder Goldschrift das Logo des Spiels, das hier entwickelt wurde. Sein grünes T-Shirt war dagegen ziemlich schlicht.
 

„Mokuba hat so einiges auf den Kasten“, pflichtete er nickend bei.
 

„Ach!“, kam es Yuugi dann über die Lippen.
 

„Kaiba-kun hat mich hergeschickt! Er sagt, ihm würden Unterlagen aus dieser Abteilung fehlen. Für die Steuererklärung. Wenn er sie nicht bekommt, kann er den Monatsabschluss nicht durchführen. Es ist äußerst wichtig.“
 

„Das kann nicht sein. Mokuba hat gesagt, er hätte alle Dokumente zusammengetragen und abgegeben. Ich könnte ihn eben anrufen und fragen, aber... vielleicht hat Kaiba-sama auch nur den Überblick verloren? Der übertreibt es ja gern“, erklärte er und drehte sich um.
 

Auf der Rückseite seiner Jacke war das Logo von Capsule Coliseum erneut abgedruckt, noch größer und in kräftigen Farben. Der Schriftzug mutete altertümliche Züge an, als hätte man die Buchstaben aus Stein geschlagen. Vom Logo flogen mehrere Capsule Monsters davon, unter ihnen der Dinosaur Wing. Yuugi folgte dem jungen Mann und begutachtete weiterhin die Umgebung. Am Ende des Raumes stand eine gläserne Vitrine in welcher sich echte Spielfiguren befanden.
 

„Ah, mein Name ist Hirano. Mokuba und ich waren mal in einer Klasse.“
 

„Ihr kennt euch seit der Schulzeit?“
 

„Klar. Er war äußerst beliebt bei seinen Mitschülern und wir haben uns gut verstanden.“
 

„Verstehe. Ich hätte da eine Frage...“, begann Yuugi, korrigierte sich selbst. „Nein, viel mehr eine Bitte.“
 

„Worum geht es?“, sagte er und blieb bei einem Schreibtisch stehen. Vermutlich sein eigener Platz. Sein Smartphone lag auf dem Mauspad, während die Maus des Computers irgendwo daneben lag. Sein Arbeitsplatz war nicht sonderlich ordentlich, aber es war genügend Platz, um zu arbeiten und den Überblick zu behalten. Kaiba hätte vermutlich einen Wutanfall bekommen, hätte er diese Ordnung gesehen. Unordnung setzte er mit Chaos gleich. Da war er sehr penibel. Allein ein winziges Eselsohr war Grund für ihn einen mit bösen Blicken zu durchbohren.
 

„Uhm... Mokuba kommt heute aus seinem Urlaub zurück und wir wollten eine kleine Feier schmeißen. Im Anwesen der Kaibas.“
 

Hirano sagte nichts und drehte sich um. Er hatte seine Brauen ungläubig nach oben gezogen und Yuugi meinte in seinen Augen seine Gedanken lesen zu können, die da sagten 'Bist du völlig übergeschnappt?' und er nahm es ihm auch nicht übel, denn genau genommen, war es doch viel zu abwegig, ausgerechnet an diesem Ort zu feiern oder gar dass Kaiba dies zuließ.
 

„Kaiba-sama wird dich umbringen“, kam es schließlich von ihm, und er machte eine Bewegung, um einen Galgen nachzumachen.
 

„Nein, wird er nicht. So schlimm ist er auch wieder nicht. Er hat mich sogar darum gebeten, Mokubas Freunde einzuladen.“
 

„Verstehe. Die Apokalypse wird kommen. Das muss der Weltuntergang sein“, scherzte er und lachte verkrampft.
 

„Das ist mein Ernst.“
 

„Was hast du mit dem echten Kaiba-sama gemacht? Hast du ihn entführt und am Pier ertränkt? Kaiba-sama würde niemals so eine Feier zulassen. Mokuba hat schon seit unserer Schulzeit darüber geklagt! Er sagte, dass Kaiba solche kindischen Feste nicht ausstehen könnte und dass er deswegen nie Freunde einlud. Wenn wir feiern gingen, dann immer auswärts.“
 

„Das ist die Wahrheit. Ich weiß, dass das alles plötzlich kommt, aber ich versichere dir, dass es eine Feier geben wird und dass auch Kaiba-kun dabei sein wird. Ich lüge nicht.“
 

„Mutou-san...“ Er senkte seinen Blick und griff nach seinem Smartphone, umklammerte es beinahe panisch in seinen Händen.
 

„Auch wenn es dir Wahrheit ist... niemand hier möchte mehr Zeit mit Kaiba-sama verbringen, als nötig. Er ist kein sonderlich umgänglicher Mensch. In seiner Nähe fühlt man sich automatisch unwohl. Und weißt du, woran das liegt? Weil ihm seine Mitmenschen und auch sein Bruder scheißegal sind. Er denkt nur an sich selbst, seinen Erfolg, seine Firma, sein Ruf...“
 

„Das stimmt nicht“, fuhr Yuugi ihm ins Wort.
 

„Kaiba-kun hat nur nie richtig gelernt, mit anderen Menschen umzugehen. Ich arbeite seit zwei Wochen mit ihm zusammen und ich denke, dass er ein sehr gefühlvoller und sensibler Mann ist, der seine Gedanken nur nicht richtig formulieren kann. Sein Sarkasmus ist Selbstschutz. Er will nur nicht zu viel von sich preisgeben, aus Angst, dass man ihn ausnützen könnte und außerdem...“
 

„Schon gut! Schon gut! Du bist der erste, der so sehr von ihm schwärmt“, lachte er und klopfte Yuugi auf die Schulter.
 

„Ich 'schwärme' nicht...“, kam es mürrisch von Yuugi.
 

„Mokuba ist mein Freund. Ich werde da sein und ein paar Leute mitbringen. Wann sollen wir da sein?“
 

„So gegen 19 Uhr. Kaiba-kun wird bis dahin sicher mit den Vorbereitungen fertig sein.“
 

Hirano rief seinen Chef an und fragte nach den Unterlagen. Mokuba reagierte überrascht und wusste nicht, was er meinte. Er wiederholte mehrmals, dass er alles abgegeben hätte. Dann wies er Hirano an, in sein Büro zu gehen und die Unterlagen erneut auszudrucken, da er sie als gesichertes Dokument abspeichert hatte. Das Passwort kennst du ja, meinte er und legte auf. Die Unterlagen in den Händen haltend, verneigte sich Yuugi vor seinem Gegenüber und verließ die Abteilung. Ein letzter Blick über die Schulter und ein verträumtes Lächeln. Die Atmosphäre hier war so herzlich und angenehm, dass er es ein wenig bereute, wieder zurückgehen zu müssen. Zu gern hätte er mit Hirano und den Angestellten über Capsule Coliseum geredet und noch mehr gesehen.
 

Bleiben konnte er jedoch nicht.
 

Kaiba war unglaublich zufrieden, als er die Dokumente endlich in seinen Händen hielt. Seine Laune verbesserte sich schlagartig und nach nur wenigen Minuten klappte er die Akten vor sich zu und steckte seinen Kugelschreiber zurück in seine Tasche. Er krempelte sich die Ärmel seines Hemdes hoch und atmete erleichtert aus. Dass Yuugi ihn beobachtete, störte ihn nicht oder in anderen Worten: er hatte sich schon längst an dessen Blicke gewöhnt.
 

„Yuugi, das hast du gut gemacht“, lobte er und sein Blick wirkte nicht mal annähernd so finster wie sonst.
 

„Kein Problem. Außerdem habe ich ein paar von Mokubas Freunden angesprochen. Sie kommen heute Abend zur Villa.“
 

Kaiba nickte nur und erhob sich von seinem Tisch, als er mit seinem Bürostuhl nach hinten rollte, quietschten die Räder. „Gut“, war seine Antwort und er näherte sich Yuugi. Die Organisation der Feier hatte er seinen Bediensteten anvertraut. Sämtliche Aufgaben für heute und morgen hatte er erledigt und auch der Monatsabschluss war endlich über die Bühne gegangen, zwar mit ein paar kleinen Verzögerungen, aber besser spät als nie.
 

„Du kannst für heute nach Hause gehen.“
 

„Was?! Ich bin nicht mal zwei Stunden hier!“
 

„Ich bin aber fertig mit sämtlichen Aufgaben. Es sei denn, du möchtest so unbedingt arbeiten. Ich kann dir sicher ein paar Aufgaben finden.“
 

„Das meinte ich nicht...“ Eigentlich wollte Yuugi noch ein bisschen mehr Zeit mit Kaiba verbringen und mehr über ihn herausfinden und sicherstellen, dass die Feier ein Erfolg wurde.
 

„Ich werde auch nach Hause gehen. Ich bin um 5:00 Uhr angefangen. Es ist gleich 11:00 Uhr. Wir sehen uns später. Yuugi.“
 

Kaiba griff nach seiner Anzugjacke und warf sie sich über den Arm, griff mit der freien Hand nach einer Aktentasche, worin sich sein Laptop befand. Yuugi staunte darüber, dass Kaiba bereits so lange hier war. War er extra eher gekommen, nur um sicher zu gehen, dass sämtliche Aufgaben erledigt waren und er in Ruhe mit Mokuba Zeit verbringen konnte? Auch wenn Kaiba es nicht immer zeigte, schätzte er seinen kleinen Bruder sehr und würde alles für diesen tun. Hinter diesem finsteren, abschreckenden und gar abweisendem Blick verbarg sich Herzensgüte.
 

Mit einem Seufzer blieb Kaiba vor Yuugi stehen. Verwundert sah er den Brünetten an. Er musterte ihn.
 

„Deine Wange verheilt gut. Trotzdem solltest du weiterhin Creme nutzen, damit keine Narbe zurückbleibt.“ Kaiba schien sich Yuugis Verletzung sehr zu Herzen zu nehmen. Für ihn war dies wie ein Schlag ins Gesicht. Er hatte versagt. Hätte er seine Aufgaben richtig erledigt, wäre es zu so einer angespannten Situation nie gekommen. Yuugi wäre nicht verletzt worden, wenn er aufgepasst hätte.
 

„Danke, Kaiba-kun. Ich weiß deine Fürsorge zu schätzen.“
 

„Hmph“, stieß Kaiba hervor und setzte seinen Weg nun fort.
 

Yuugi lief ihm mit einem breiten Grinsen hinterher. Kaiba machte sich Sorgen um ihn. Wieso machte es ihn so unglaublich glücklich, dass Kaiba sich um ihn sorgte?

Kapitel 28

Am Nachmittag hatte er Jounouchi Bescheid gegeben. Dieser war nicht sonderlich begeistert davon, dass er einmal mehr in Kaibas Villa sein würde oder gar den Firmenleiter wiedersehen zu müssen. Die beiden hatten noch nie ein gutes Verhältnis zueinander, was daran lag, dass sehr viel zwischen ihnen passiert war und beide extrem nachtragend waren. Auch wenn Kaiba immer beteuerte, dass ihn die Vergangenheit nicht interessierte, so hielt dieser Groll gegen Jounouchi schon sehr lange an und Yuugi war sich sicher, dass dies ein eindeutiger Beweis dafür war, wie schwer es Kaiba fiel seine Vergangenheit ruhen zu lassen.
 

Jounouchi war zwar nicht angetan davon, Yuugi zu diesem verfluchten Anwesen zu begleiten, aber er lehnte es auch nicht ab. Immer wieder betonte er, dass das Essen garantiert vergiftet sei und sie bloß nichts von den Tellern dort essen durften. Er erinnerte sich zu gut daran, dass er bei ihrem letzten Besuch bei einem Roulettespiel vergiftet worden war, da ausgerechnet der verseuchte Kinderteller vor ihm gelandet war. Auch wenn er Mokuba heute als seinen Freund bezeichnete – was viel mehr daran lag, dass ihm Yuugi wirklich am Herzen lag und er deswegen zwangsweise Zeit mit Mokuba verbracht hatte – so konnte er die Erinnerungen an diesen grausigen Tag dort nicht verdrängen. Wirklich Lust hatte er also nicht dahin zu gehen.
 

Aber so konnte er sichergehen, dass Kaiba keinen Unfug anstellte. Dass Yuugi in der KC arbeitete war ja schon schlimm genug, aber auch noch privat mit diesem Zeit zu verbringen? Mit diesem Mann, der Himmel und Hölle in Bewegung setzte, um seine Ziele zu erreichen und nicht einmal davor zurückscheute über Leichen zu gehen? Da konnte er Yuugi unter keinen Umständen allein hingehen lassen. Hinterher würde man Yuugi noch in Einzelstücken nach Hause schicken.
 

„Wieso muss es ausgerechnet in seiner Villa sein?“, knurrte er wütend.
 

Sie warteten seit einigen Minuten darauf, dass Isono mit dem Wagen vorfuhr und sie mitnahm. Yuugi verdrehte nur genervt die Augen.
 

„Benimm dich, Katsuya. Auch wenn es dir schwerfällt, versuche bitte uns nicht zu blamieren!“, wies er ihn harsch zurecht.
 

„Ich werde mich benehmen! Die Frage ist, ob Kaiba nicht wieder irgendetwas im Schilde führt.“
 

„Und ich habe dir gesagt, dass Kaiba-kun nicht mal ansatzweise so schrecklich ist, wie du denkst.“
 

„Er wollte dich umbringen. Er war bereit, die Welt zu zerstören, nur um Atem in einem Kartenspiel zu besiegen. Noch verrückter geht es doch nicht mehr, oder?!“
 

„Ich bitte dich. Mir zuliebe. Leg dich nicht mit Kaiba-kun an. Wenn er dich provozieren sollte, tu so, als hättest du es nicht mitbekommen.“
 

Für Jounouchi war es beinahe unmöglich, so zu tun, als hätte er eine Provokation nicht mitbekommen. Sein ganzes Leben hatte er jede Herausforderung angenommen. Und Kaibas ewiger Sarkasmus, seine bescheuerten Sprüche waren doch eine pure Kampfansage! Und Jounouchi ließ sich so etwas nun mal nicht gefallen. Von niemanden. Auch nicht von einem Mann wie Kaiba, der viel zu viel Geld hatte und dieses um sich warf und ernsthaft glaubte, dass er alles tun und lassen konnte, was er wollte, nur weil er reich war. Er konnte ihn nicht ausstehen.
 

Auch wenn Jounouchi beteuerte, dass er sich 'benehmen' würde, wusste Yuugi, dass dieses Versprechen äußerst schwammig war. Der Blonde war leicht zu durchschauen und wenn ihm etwas nicht passte, sprach er seine Gedanken aus, ohne Rücksicht auf seinen Gegenüber oder gar die Situation, in der er sich befand, abzuwägen. Seine Zunge war schneller als sein Hirn, könnte man meinen. Yuugi schätzte diese Spontanität, wusste aber auch von der Gefahr, die grundsätzlich von ihr ausging.
 

Die schwarze Limousine von Kaiba fuhr vor. Yuugi kannte sie bereits und gemeinsam mit Jounouchi stieg er ein. Für den Abend hatte er sich ein neues, schickeres Outfit zusammengelegt. Eine schwarze Lederimitathose, ein T-Shirt mit einem schwarzweiß Muster, das leicht an ein Schachbrett erinnerte, sein Lederhalsband und natürlich seine Nietenbesetzten Schuhe. Außerdem trug er seine graue Jacke. Jounouchi hatte sich für ein legeres Outfit entschieden. T-Shirt, blaue Jeans und seine grüne Jacke. Nichts Besonderes. Wozu sollte er sich herausputzen?
 

Auch während der Fahrt zum Anwesen der Kaibas, murrte Jounouchi mehrere Male, was das alles für eine Schnapsidee sei und dass sie froh sein konnten, wenn sie lebendig aus der Villa wieder herauskämen. Yuugi lächelte zwar und kicherte hin und wieder über seine schrägen Witze, hoffte aber inständig, dass Jounouchis pessimistische Gesamteinstellung sich nicht negativ auf den Abend auswirken würde. Immerhin ging es hier um Kaiba und Mokuba. Beide sollten sich wieder versöhnen und nicht in einem Kampfgebiet aufeinandertreffen.
 

Es war mitten in der Woche, also würde ihre kleine Feier vermutlich auch nicht allzu lang dauern. Immerhin mussten sowohl Yuugi als auch Kaiba am nächsten Morgen wieder zur Arbeit. Es war unvorstellbar, dass Kaiba auch nur einen Tag blaumachte. Selbst mit den Augenringen und hohen Fieber würde der Brünette sich noch zu seinem Arbeitsplatz bewegen, einfach weil er zwanghaft kontrollieren musste, dass alles nach Plan lief und keine vermeidbaren Pannen seine Termine durcheinander warfen. Yuugi war zumindest der Ansicht, dass Kaiba ein Kontrollfreak war.
 

Im ganzen Gebäude fühlte man sich stets beobachtet. Wahrscheinlich wussten die Angestellten nicht einmal etwas von den Überwachungskameras, die beinahe überall zu finden waren. Sie waren gut versteckt, aber Yuugi wusste, dass sie da sein mussten. Erst im Nachhinein wurde ihm klar, dass Kaiba auch sein Zusammentreffen mit Nomura gesehen haben musste. Er war nicht zufällig vorbeigekommen. Und auch an seinem ersten Tag hatte Kaiba etwas angedeutet: er sollte nicht trödeln und er hätte ihn gesehen, wie er mit der Security Zeit verschwendet hätte. Er konnte sehen, dass Yuugi unsicher vor seiner Bürotür gestanden hatte und hatte deshalb die Sprechanlage überhaupt eingeschaltet.
 

Yuugi glaubte nicht, dass Kaiba grundsätzlich seine Mitarbeiter beobachtete, aber er nahm sich die Freiheit, die Kameras zu nutzen, wenn er dies als notwendig ansah. Obgleich Yuugi davon wusste, behielt er dies für sich und hatte sich dazu entschlossen, dieses Geheimnis niemanden zu erzählen. Würden seine Mitarbeiter von dieser Art der Überwachung etwas mitbekommen, hätte die Kaiba Corporation einen riesigen Skandal am Hals, der vermutlich weltweit Schlagzeilen machen würde. Und das wollte Yuugi nicht. Immerhin war Kaiba sein Freund.
 

„Wir sind da... sicher, dass wir nicht doch besser wieder abhauen sollten? Noch ist es nicht zu spät, Yuugi...“, murmelte Jounouchi und knabberte nervös auf seiner Unterlippe herum, während er den Blick nicht von den wunderschönen gar malerischen Garten abwenden konnte.
 

„Hast du etwa die Hosen voll? Ich dachte, du hast vor nichts und niemanden Angst“, grinste Yuugi und weckte wissentlich den Kampfgeist des Blonden. Dessen Gesichtsausdruck veränderte sich schlagartig. Von einer Sekunde zur nächsten war er wie ausgewechselt. In seinen Augen brannte Feuer.
 

„Ich? Und Angst? Niemals!“, sagte er und hob seine rechte Faust in die Luft, als wollte er einen triumphalen Sieg feiern und seine Macht demonstrieren. Yuugi bedankte sich bei Isono und verließ mit dem Blonden den Wagen. Sie stiegen die Treppen hinauf zum Anwesen und blieben vor der großen Tür stehen. Yuugi bemerkte, dass links und rechts an der Decke kleine Kameras aufgestellt waren, vermutlich zur Sicherheit und um kommenden Besuch vorher identifizieren zu können. Oder gehörte auch das zur Kaibas Kontrollwahn? Rasch verwarf er diesen Gedanken wieder.
 

Yuugi staunte über die edle Einrichtung und den großen Eingangsbereich. Das alles erinnerte ihn an die schnulzigen Filme, wo die Prinzessin die Treppen hinabstieg und von ihrem Prinzen erwartet wurde. Er hatte mehr das Gefühl sich in einem Schloss zu befinden, als in einem Haus, in dem tatsächlich Menschen lebten und Zeit verbrachten. Dafür, dass Kaiba so technikaffin war, wirkte der Eingangsbereich doch ziemlich altmodisch, beinahe klassisch, wie Yuugi fand. Einige Bedienstete brachten sie in einen großen Saal. Yuugi staunte nicht schlecht über die Einrichtung.
 

Bunte Luftballons, ein gedecktes Buffet und ein riesengroßes Plakat, auf dem in großen Schriftzeichen Willkommen Zurück geschrieben stand. Es war nicht viel, aber doch genügend, um sagen zu können, dass sich Kaiba tatsächlich Gedanken gemacht hatte. Gerade als er etwas sagen wollte, bemerkte er, dass seine Begleitung sich bereits in Richtung Buffet aufgemacht hatte und dort mit weit aufgerissenen Mund stehen blieb. Jounouchis Aufmerksamkeit lag bei den Cocktailwürstchen am Spieß. Seine Augen glänzten und er wollte beherzt zugreifen, schreckte aber zurück, als er eine dunkle aber auch vertraute Stimme wahrnahm.
 

„War klar, dass du dich direkt ans Buffet ran machst, Jounouchi. Nicht, dass ich von einem unzivilisierten Straßenköter wie dir etwas anderes erwartet hätte“, spöttelte Kaiba in gewohnter Manier und machte sich auch nicht die Mühe sein fieses Grinsen zu verstecken. Yuugi kam auf die beiden zu. Jounouchi konnte in den klaren Amethystfarbenen Augen eine klare Botschaft lesen:
 

Mach keinen Ärger. Lass dich nicht provozieren. Bitte, bitte, bitte.
 

Für einen Moment hielt er auch inne und überlegte sich, was er sagen wollte. Eigentlich lag ihm eine fiese Beleidigung auf der Zunge. Sein relativ vulgärer Wortschatz kam wohl von der Zeit, als er noch als Bandenmitglied die Straßen Dominos unsicher gemacht hatte. Und Kaiba war nur mal ein fieses Arschloch, doch Jounouchi entschied sich stattdessen dazu, noch einmal ganz tief durchzuatmen, sich umzudrehen und Kaiba von Angesicht zu Angesicht zu begegnen.
 

„Wer Gratisfutter aufstellt, muss sich nicht wundern, wenn ungebetene Gäste kommen“, sagte er und grinste breit.
 

„Obwohl man bei so einer schicken und pompösen Villa ja meinen sollte, dass die Sicherheitsvorkehrungen zumindest Straßenköter abhalten könnten.“
 

„Im Normalfall kommt auch kein Ungeziefer ins Haus, aber wenn sie mutwillig rein geschleppt werden, bringen auch die besten Sicherheitsmaßnahmen nichts.“
 

Yuugi schluckte hart, als er die beiden nebeneinanderstehen sah und wie Jounouchi versuchte sich auf Kaibas Niveau zu begeben und nun krampfhaft nach einem guten Konter suchte. Schnell konnte aus einer harmlosen Stichelei bitterer Ernst werden und er befürchtete, dass in dieser Konversation bald mit mehr als nur mit Worten gekämpft werden würde. Jounouchis Körperhaltung verriet, dass er extrem angespannt war und bereit dazu, seinem Gegenüber eine zu verpassen. Gegen Kaibas intellektuelle Artillerie kam Jounouchi einfach nicht an und das wusste er am besten. Sie waren nur wenige Minuten hier gewesen und trotzdem sah es so aus, als wären sie kurz vor einer Eskalation.
 

Was für Kaiba harmlos und wahnsinnig witzig war, war für Jounouchi wie ein Schlag ins Gesicht. Auch Yuugi konnte mit seinen Sprüchen nicht immer so recht etwas anfangen. Eine arrogante Bemerkung reichte, um den Raufbold in Jounouchi zu wecken und weil Yuugi sich nicht sicher sein konnte, wie Jounouchi nun reagieren würde, ging er vorsichtig dazwischen und schenkte Kaiba ein strahlendes Lächeln. Gespielt. Aber hoffentlich ausreichend, um ihn wieder von seinem hohen Ross herunterzuholen und ihn von seiner Begleitung abzubringen.
 

„Kaiba-kun“, begann Yuugi und sah dem Brünetten direkt in die Augen, sodass Kaiba nun seine volle Aufmerksamkeit dem Bunthaarigen schenkte.
 

„Ist Mokuba schon da? Ich bin mir sicher, dass er sich über diese kleine Feier freuen wird.“
 

„Nein, Mokuba sollte in ungefähr fünfzehn Minuten ankommen“, überlegte Kaiba und musterte Yuugi eingehend. Er hatte Yuugi nur selten privat gesehen und somit verschwendete er unnötig viel Zeit damit, dessen Outfit eingehend zu studieren und sich zu fragen, ob Yuugi immer so herumlief. Sein musternder Blick kam einem unverschämten Starren gleich. Ohne Schuluniform sah Yuugi ganz anders aus. Die Lederhose erinnerte ihn ein wenig an Atem und er musste zugeben, dass auch Yuugi eine gute Figur in Lederkleidung machte.
 

„Du hast dich ganz schön herausgeputzt“, kam es dann mit einem breiten Grinsen und er zeigte auf seine glänzende Lederhose.
 

„Natürlich, vielleicht treffe ich hier ja die Liebe meines Lebens.“ Yuugi zwinkerte. Ein harmloser Witz.
 

„Es sind hauptsächlich Männer hier“, meinte Kaiba daraufhin nur und bewegte seine Hand elegant in die Luft, als wollte er die Personen im Raum vorstellen. Der Großteil der Personen waren Angestellte aus Mokubas Capsule Coliseum Abteilung und einige seiner damaligen Mitschüler. Zwei ältere Damen, die vom Alter her sicher Yuugis Mutter hätten sein können, standen am Buffet und waren in ihren Gesprächen vertieft. Ebenfalls Angestellte. Ungläubig hob Kaiba die Augenbraue. „Wusste nicht, dass du auf ältere Frauen stehst. Es sei denn...“
 

„Urg...“, kam es Yuugi über die Lippen und er wurde knallrot im Gesicht. Am liebsten hätte er sich jetzt unter einem Stein versteckt und wäre nie wieder herausgekommen! Das ging eindeutig nach hinten los.
 

Diese Feier kam ja auch etwas plötzlich. Hirano hatte wahrscheinlich gar nicht genügend Zeit gehabt, sämtliche von Mokubas Freunden zu fragen, mal davon abgesehen, dass es ein Dienstag war und die meisten Leute eben am nächsten Tag arbeiten gehen mussten. Natürlich waren hier hauptsächlich Mitarbeiter der Kaiba Corporation und keine jungen Damen. Eigentlich hätte er das wissen müssen und jetzt schämte er sich ein wenig, einen solchen Witz gemacht zu haben. Kaiba grinste immer noch über beide Ohren und genoss es sichtbar, dass Yuugi sich selbst in so eine peinliche Situation gebracht hatte. Jounouchi kicherte leise, bemühte sich aber stark darum, dass Yuugi möglichst wenig mitbekam.
 

War ja nicht das erste Mal, dass Yuugi sich in so eine Situation gebracht hatte und irgendwie fand er es auch süß, wenn Yuugi so dramatisch reagierte und farblich einer reifen Tomate Konkurrenz machte.
 

„Na, ich will ja nichts gesagt haben“, setzte Kaiba an und zuckte mit den Schultern.
 

„Die meisten Typen hier sind Nerds, da ist sicher was für dich dabei“, sagte Kaiba und griff nach drei Gläsern vom Buffet und füllte diese zur Hälfte mit der fruchtigen Flüssigkeit aus der Bowle.
 

„Du weißt, dass ich das so nicht gemeint habe“, erklärte Yuugi und räusperte sich laut, um bloß vom Thema abzulenken.
 

„Sicher, immerhin hast du ja schon eine fragwürdige Begleitung dabei“, kam es von Kaiba, der nun eines der Gläser nahm und es beinahe freundschaftlich Jounouchi hinhielt. Der Blonde starrte ihn nur entgeistert an und wollte bereits zum verbalen Gegenangriff ausholen, doch Yuugis Ellbogen in seiner Rippengegend hielt ihn davon ab, noch etwas zu sagen. Stattdessen nahm er das Glas an und schenkte Kaiba einen vernichtenden Blick. Sein rechtes Auge zuckte gefährlich.
 

Sarkasmus und Zynismus war die legale Art jemanden aufs Maul zu hauen und das wusste Kaiba und Jounouchi spürte, dass er es genoss, ihm seine Begabung mit Wörtern umzugehen, unter die Nase zu reiben. Kaiba hatte Spaß daran den Blonden als Idioten vorzuführen. Und wenn Yuugi nicht dabei gewesen wäre, wäre ihm schon längst der Geduldsfaden gerissen und er wäre vermutlich auf ihn losgegangen. Jounouchis Zündschnur war nicht sonderlich lang, wenn es um großkotzige Arschlöcher wie Kaiba ging.
 

Mit einem gespielten Lächeln hielt Kaiba nun Yuugi auch ein Glas hin. Etwas zögerlich nahm er dieses an. Jounouchi hielt sein Glas in beiden Händen, betrachtete die rote Flüssigkeit. Ein süßlicher Duft von Wassermelone und Erdbeeren stieg ihm in die Nase. Da er Kaiba nicht trauen wollte, glaubte er, dass da Gift oder ähnliches drin sein musste und wartete darauf, dass Kaiba zuerst etwas trank. Erst wenn er sich sicher sein konnte, dass man von diesem süßen Getränk nicht tot umfiel, würde er es probieren.
 

„Da ist kein Gift drin, Jounouchi.“
 

Das würde ich auch sagen, wenn ich versuchen würde, jemanden zu vergiften.“
 

Kaiba verdrehte die Augen und nahm selbst einen großen Schluck aus seinem Glas. Abwartend hob er eine Braue und wartete darauf, dass Jounouchi aufhörte ihn so argwöhnisch zu beobachten. Jounouchi schien ihn mit seinen Blicken zu durchbohren und seine heruntergezogenen Mundwinkel und die halb zugekniffenen Augen waren ein klares Zeichen dafür, dass er Kaiba nicht mal ansatzweise vertraute und er wollte ihm nicht die Genugtuung geben, dass Jounouchi sich ihm brav unterordnete. Niemals.
 

Stumm standen sie nun nebeneinander und warteten darauf, dass ihr eigentlicher Gast endlich ankam. Yuugi versuchte die Atmosphäre ein wenig aufzuheitern, indem er sich an Smalltalk versuchte, der an Kaibas eisernen Ego jedoch abprallte und ihm anstelle eines Lächeln verwunderte Blicke zuwarf. Jedes Mal, wenn Kaiba ihm die kalte Schulter zeigte, fühlte sich Yuugi entmutigt und stieß einen enttäuschten Seufzer auf. Jounouchi indes bediente sich nun doch am Buffet und ignorierte, dass Kaiba nur wenige Meter neben ihm stand. Der Wunsch die Speisen zu kosten war größer als seine Vorsicht. Dass er bis eben noch befürchtet hatte, dass Kaiba ihn und Yuugi vergiften wollte, hatte er schon wieder in die hinterste Schublade seines Gedächtnisses gedrängt und legte sich großzügig Spieße und andere kleine Delikatessen auf seinen Teller.
 

„Probiere das mal, Yuugi“, sagte er mit vollem Mund und hielt ihm ein Lachsschinkenröllchen gefüllt mit Spargel hin.
 

Westliche Köstlichkeiten bekamen sie hier selten zu essen, demnach war Jounouchis Begeisterung für dieses äußerst außergewöhnliche und umfangreiche Essen sogar für Yuugi nachvollziehbar. Kaiba sagte zwar nichts, aber es war ihm deutlich anzusehen, dass ihn Jounouchis offene Art und vor allem seine mangelnden Tischmanieren extrem störte, da er seine Augenbrauen zusammenzog und seine Augen vom Schatten seines Ponys so verdeckt wurden, dass es aussah, als wollte er ihn mit Blicken allein vernichten. Dieser finstere Blick bedeutete Gefahr.
 

Zaghaft griff er nach dem Spieß und biss ab.
 

„Lecker...“, murmelte er leise vor sich hin.
 

„Sag ich doch!“, rief der Blonde aus und seine Lippen waren beschmiert von Barbecuesoße, während seine Augen strahlten.
 

„Einem alten Hund kann man nichts mehr beibringen...“, murrte Kaiba leise vor sich hin und stieß einen langen Seufzer aus. Leider nicht leise genug, sodass Jounouchi sofort das Gesicht verzog und ihm einen wütenden, vernichtenden Blick schenkte.
 

„Was ist dein Problem?“ Jounouchi leckte sich die Überreste der Soße von seinen Lippen und stellte nun seinen Teller ab.
 

„Keine Ahnung... vielleicht der schmatzende, sabbernde Volltrottel am Buffet?“
 

Jounouchi drehte sich um und es sah so aus, als suchte er den Schuldigen, nur um dann zu merken, dass Kaiba ihn gemeint hatte.
 

„Weder schmatze noch sabbere ich!“
 

„Besitzt aber auch keinen Funken Selbstbeherrschung. Jeder der Gäste hier wartet auf Mokuba, nur du stehst hier und bedienst dich. Als in der Schule das Fach für Benimmregeln drankam, hast du wohl gefehlt. Nicht, dass es einen Unterschied machen würde, wo du hauptsächlich Grütze im Kopf zu haben scheinst.“
 

„Lieber Grütze im Hirn als ein Herz aus Stein. Die Gäste kommen nur nicht zum Buffet, weil du hier stehst. Sie gehen nicht mir aus dem Weg, sondern dir. Aber kein Wunder, dass du das nicht merkst, weil du ja eh nur dich siehst.“
 

„Wenigstens nutze ich meine Augen und habe so etwas wie eine Selbstreflektion. An deiner Stelle würde ich mich in Grund und Boden schämen, ein solch jämmerliches Bild abzugeben. Hast du keine Tischmanieren oder sind dir diese bei der Suche nach einer Perspektive im Leben ebenfalls verloren gegangen? Zusammen mit deinem Hirn und deiner Ehre?“
 

„Das Einzige, was du kannst, ist hochnäsig hier herumzustehen und jedem unter die Nase zu reiben, wie viel besser du bist. Wenigstens habe ich genügend Selbstachtung, um nicht auf andere herunterzuschauen, nur um mir selbst etwas vorzumachen und mir irgendwie einzureden, dass sich irgendwer für mich interessiert.“
 

„Na, mit so einer Konkurrenz wie dir muss ich es dir nicht mal unter die Nase reiben, weil du es ja von ganz allein schaffst, dich zu blamieren und auch so ein äußerst trauriges Bild abgibst. Das Einzige, was dich aufwertet ist deine Begleitung.“
 

„Das reicht jetzt, Kaiba-kun!“, mischte sich Yuugi ein und stellte sich schützend vor Jounouchi.
 

„Wir sind hier um Spaß zu haben! Um Mokuba willkommen zu heißen!“
 

„Spaß? Mit so einem Amöbenhirn?“
 

„Du widersprichst dir selbst. Gerade meintest du, ich hätte gar kein Hirn.“
 

„Freue dich über dieses Kompliment, denn mehr als diese Anerkennung wirst du von mir nicht kriegen.“
 

Kaiba rümpfte die Nase. Jounouchi packte Yuugi an den Schultern und schob ihn zur Seite. Mit offenen Mund starrte Yuugi den Blonden an, der jetzt erst so richtig in Fahrt kam und überhaupt kein Interesse an Yuugis Versöhnungsversuchen zeigte. Jetzt befand er sich in einem Modus, in dem man ihn nicht mehr bremsen konnte und er mit voller Konzentration ein Ziel verfolgte: Kaiba eine zu verpassen. Und wo er doch seine Fäuste nicht nutzen durfte – ach, wie gern hätte er ihm einfach seine blanke Faust in seine ekelhaft grinsende Visage geschlagen – musste er auf andere Waffen zurückgreifen.
 

In einem Duell der Worte musste man doch selbst jemanden wie Kaiba entwaffnen können, oder?
 

„Ich habe weitaus mehr gute Eigenschaften als du. Du willst nur nicht wahrhaben, dass dein ganzes Geld deine soziale Inkompetenz nicht aufwiegt. Ganz egal, wie reich du bist, ich werde immer mehr Freunde haben als du. Und das kotzt dich sicher ganz schön an, hm?“
 

„Deine guten Eigenschaften kann ich an einem Finger abzählen: du eignest dich grandios als Versuchskaninchen. Aber zu mehr taugst du wirklich nicht. Wie sonst sollte man eine 1 Watt starke Glühbirne wie dich effizient nutzen? Du läufst ja auch so schon immer auf Energiesparmodus. Es grenzt ja schon an ein Wunder, dass du ein so kompliziertes Wort wie 'Kompetenz' überhaupt kennst.“
 

„Oh, ich kenne so einige Wörter, die du noch nie in deinem Leben gehört hast. Na ja, wer den ganzen Tag vor seinem Schreibtisch hockt und darüber sinniert, wie er jemanden im einem Kartenspiel besiegen kann, kommt eben nicht viel unter Leute und hat demnach keine Ahnung von der Welt um sich herum.“
 

„Und obwohl ich scheinbar weniger unter die Leute komme als du, habe ich immer noch bessere Manieren und einen weitaus gepflegteren Wortschatz als du. Aber ich finde es ja toll, dass du dir nichts aus Mode machst. Ich würde mich ja nicht trauen, so unter die Leute zu gehen, aber dir steht das ausgezeichnet.“
 

Kaiba zeigte auf Jounouchis T-Shirt, auf welchem sich einzelne Spritzer der Barbecuesoße befanden und nickte beinahe anerkennend. Jounouchi hatte sich nicht die Mühe gemacht, sich großartig herauszuputzen. Die meisten anderen Gäste jedoch schon. Kaiba eingeschlossen, der wie gewohnt einen Anzug trug. Hellblau und eine Krawatte mit dem Muster des Weißen Drachen ordentlich hinein gestickt und wie bei Kaiba nicht anders zu erwarten, garantiert ein Unikat. Auch seine Schuhe waren weiß. Alles in allem war jedes noch so kleine Teil seiner Kleidung mit äußerster Präzision aufeinander abgestimmt. Nur ein roter Umhang mit weißen flauschigen Saum hätte gefehlt, um ihm den Aussehen eines Königs zu verleihen.
 

Der Unterschied ihrer Herkunft war für jeden klar ersichtlich. Jounouchi wurde zornig. Dachte der Kerl ernsthaft, dass er etwas Besseres war, weil er mehr Geld hatte und sich schicke Designerklamotten leisten konnte? Wie konnte ein Mensch nur so oberflächlich sein? Das Herz allein war wichtig!
 

„Oh, wenigstens muss ich nicht mit jeder Faser meines Körpers anderen Menschen zeigen, dass sie weniger wert sind als ich. Du bildest dir ganz schön was auf deine Kohle ein. Aber Geld allein macht nicht glücklich und eigentlich kannst du froh sein, dass dein Bruder aus Mitleid noch bei dir ist! An seiner Stelle wäre ich ja schon längst abgehauen! Du bist echt ein bemitleidenswerter Mann. Und das Traurigste daran ist, dass du es selbst nicht mal bemerkst, Kaiba.“
 

Er legte so viel Verachtung in der Aussprache seines Namens, wie es ihm irgend möglich war. Kaiba sagte nichts, aber sein Blick wurde so finster, dass man meinen konnte, dass er versuchte seinen Gegenüber zu pulverisieren. Yuugi hatte von Anfang an gewusst, dass das mit den beiden nicht gutgehen konnte. Und trotzdem hatte er gehofft, dass sie sich zusammenreißen würden und wie erwachsene Männer miteinander reden würden. Immerhin ging es hier um Mokuba und nichts mehr wünschte sich Yuugi, dass die beiden Brüder wieder normal miteinander umgehen konnten.
 

„Ihr seid beide bemitleidenswert...“, murmelte Yuugi dann und senkte den Blick.
 

„Nichtmal fünf Minuten könnt ihr euch vertragen. Das ist echt das Letzte. Die gesamte Stimmung ist wegen euch beiden im Eimer. Kaiba-kun.“
 

Yuugi sah Kaiba direkt in die Augen und dieser schluckte.
 

„Warum musst du immer provozieren?“
 

Dann sah er den Blonden an. Es war ihm deutlich anzusehen, dass er nicht wütend, sondern enttäuscht war. Ja, Jounouchi hatte ihn enttäuscht. Zwar hatte er gewusst, dass ein Versprechen nicht so ernst gemeint war, wie er es sich gewünscht hätte, aber er hatte daran glauben wollten, dass er sich ihm zuliebe zurückhalten würde. Das war das erste Mal, dass Jounouchi ein Versprechen ihm gegenüber brach und dieser Gedanke zerriss ihm das Herz.
 

„Und du, Katsuya? Ich habe dich darum gebeten, dich nicht auf solche Streitigkeiten einzulassen. Ihr seid beide schlimmer als Kleinkinder.“
 

Kaiba vermied es die beiden anzusehen, drehte beinahe demonstrativ den Kopf weg und Jounouchi biss sich auf die Unterlippe. War es denn seine Schuld, dass dieser arrogante Kerl seine Überlegenheit zur Schau stellen musste? Er konnte es nicht ausstehen, wenn Kaiba versuchte, ihm das Gefühl zu geben, dass er nichts wert war. Und es war sein gutes Recht, sich zu verteidigen. Kaiba sollte bloß nicht denken, dass er so einfach davonkam und tun und lassen konnte, was er wollte.

Kapitel 29

Lautes Gemurmel erfüllte den Raum.
 

Erst jetzt fiel Kaiba auf, dass sämtliche Blicke auf ihm lagen. Es wurde getuschelt und hinter seinem Rücken gesprochen. Dieser verdammte drittklassige Duellant hatte es mal wieder geschafft, nicht nur sich selbst sondern auch ihn – Kaiba Seto, einer der meist angesehensten Männer der ganzen Welt – bis auf die Knochen zu blamieren. Ein unangenehmer Knoten bildete sich in seinem Hals und er wusste zum ersten Mal seit langer Zeit nicht, was er sagen sollte. Erst mal Ruhe bewahren, das war das Wichtigste. Bloß nicht noch mehr Aufsehen erregen und die Situation irgendwie entschärfen. Mokuba durfte auf keinen Fall in dieses Krisengebiet reinkommen. Es war das letzte, was Kaiba wollte, dass ausgerechnet sein Bruder ihn in so einer Situation sah.
 

Er hob seine Hand und rieb sich instinktiv sein Nasenbein, um irgendwie das Rauschen in seinem Kopf abzudämpfen und wieder klare Gedanken fassen zu können, doch selbstverständlich – was hatte er bei einem Kerl wie Jounouchi auch anderes erwartet – kam es ganz anders. Der Blonde wurde nur noch ungehaltener. Auch Yuugis Versuch zu schlichten, half da gar nichts.
 

„Siehst du, Yuugi?!“, rief er plötzlich so laut aus, dass nicht nur Yuugi und Kaiba sondern auch alle anderen im Saal leicht zusammenfuhren.
 

„Selbst jetzt sieht er es nicht für nötig, dir überhaupt zuzuhören! Einmal ein Arsch, immer ein Arsch. Bei dem sind Hopfen und Malz verloren!“, knurrte der Blonde und zeigte Schuld zuweisend auf den Brünetten.
 

Dieser stieß seinen Atem aus, von dem er nicht mal gewusst hatte, ihn gehalten zu haben. Dieser Kerl war das Chaos selbst. Kein Wunder, dass Kaiba ihn nicht ausstehen konnte. Kaiba hasste Unordnung. Chaos. Planlosigkeit. Menschen, die nicht einmal merkten, wann man am besten den Mund halten sollte. Dass Jounouchi ihre Umgebung nicht in Betracht zog und die Menge auch noch ignorierte und auch noch fütterte, indem er ihnen eine noch größere Show bot, war ja schon Beweis genug, dass in seinem Oberstübchen ein Vakuum herrschen musste. Allem voran ärgerte es Kaiba, dass er sich das schlechte Verhalten dieser ungezogenen Pavians auch noch in seiner eigenen Villa gefallen lassen musste.
 

Dabei ging es ihm nicht mal darum, sich ernsthaft mit diesem zu streiten, sondern ihn auf sein Fehlverhalten hinzuweisen. Kaiba ging sämtliche möglichen Szenarien und Antworten im Kopf rasch durch und entschied, dass es jetzt am besten war Dominanz zu zeigen und irgend möglich die Situation zu entschärfen. Warum nur musste Yuugi ausgerechnet ihn mitbringen? Jounouchi hatte absolut keine Ahnung von Etikette. Vermutlich kannte er das Wort nicht einmal!
 

„Jou-nou-chi“, brachte Kaiba nun hervor. Er machte zwischen jeder Silbe eine Pause und seine Stimmlage verriet, dass er keine Lust hatte, sich noch weiter mit diesem kindischen Getue zu befassen. Nicht nur sein tiefer Tonfall, auch sein finsterer alles vernichtender Blick verriet, dass er nicht die Absicht hegte, vor seinen Gästen noch weiter zu diskutieren. Mit Jounouchis Starrsinn hatte er jedoch nicht gerechnet. Dieser schäumte vor Wut.
 

„Kaiba, ich lasse mir vieles gefallen, aber dass du es wagst, mich aufgrund meiner Kleidung zu beurteilen, geht zu weit. Ich erwarte eine Entschuldigung.“
 

Ich soll mich bei dir entschuldigen?“
 

Kaiba zog amüsiert eine Augenbraue hoch und sah dem Blonden nun direkt in die Augen. Das war das erste mal, dass er Blickkontakt zu Jounouchi aufbaute und dieser länger als fünf Sekunden hielt.
 

„Zu deiner Information, weder habe ich dich eingeladen, noch darum gebeten, dass du dich wie ein Affe im Zirkus aufführst. Würdest du auch nur einen kleinen Funken Grips besitzen, hättest du sofort gemerkt, dass ich dich lediglich auf dein Fehlverhalten hinweisen wollte. Es gehört zur guten Etikette, mit dem Essen zu warten, bis der Ehrengast da ist, doch du bist offensichtlich nur hier, um dir ordentlich den Wanst vollzuschlagen.“
 

Yuugi wollte dazwischen gehen, doch Kaiba sah nun auch ihn direkt an.
 

„Yuugi.“
 

Angesprochener fuhr direkt zusammen und sah den Brünetten mit großen, fragenden Augen an.
 

„Vielleicht hättest du dir selbst auch mal Gedanken machen sollen, wen du als Begleitung mitbringst oder zumindest deinen blonden Freund besser aufklären sollen. Es schickt sich nicht, den Teller am Buffet bis zum Rand zu befüllen.“
 

Kaiba zeigte auf Jounouchis Teller, auf welchem verschiedene Speisen durcheinander aufgeschichtet waren und welcher vollkommen überladen war.
 

„Das Buffet wird vom Partyveranstalter eröffnet. Ich kann mich nicht daran erinnern, es bereits eröffnet zu haben. Sämtliche warme Speisen sind sogar noch abgedeckt und selbst jetzt ist der Küchenchef noch dabei, das Essen anzurichten. Ich habe euch Getränke angeboten, aber niemals gesagt, dass ihr euch schon bedienen sollt. Vielleicht hätte ich mich anders ausdrücken sollen.“
 

„Trotzdem ist das kein Grund, mich zu beleidigen“, murrte Jounouchi nun etwas leiser, beinahe einsichtig. Niemals würde er sich ausgerechnet bei dem Typen entschuldigen! Selbst wenn er Recht hatte, so würde es seinen Stolz verletzen, ihm die Genugtuung zu geben, tatsächlich im Recht gewesen zu sein. Auf eine Entschuldigung konnte er lange warten. Was bildete er sich überhaupt ein? Es war ja nicht so, dass Jounouchi hier war, weil er Kaiba sehen wollte. Nein, er war nur hier, um auf Yuugi aufzupassen und Mokuba zu begrüßen. Kaiba war nur ein unnötiger Störfaktor.
 

„Kaiba-kun, es tut mir leid“, sagte Yuugi und verbeugte sich vor dem Brünetten.
 

Jounouchi fiel die Kinnlade in den Keller.
 

„Yuugi! Was soll das?“ Panisch hob er seine Hände und er spürte, wie sein Herz bis an seinen Hals schlug.
 

„Schon in Ordnung, Yuugi. Versprich mir nur, dass du auf deine Begleitung etwas besser aufpasst und dass er mir nicht das gesamte Buffet auffrisst.“
 

Obwohl Jounouchi sich angegriffen fühlen sollte, verwunderte es ihn viel mehr, wie freundlich Kaiba auf einmal war und dass er nun ein leichtes Lächeln auf den Lippen trug. Yuugi gegenüber verhielt er sich weitaus zurückhaltender, beinahe nett und obwohl die Stimmung bis eben noch am Kochen war, schien sich alles bereits beruhigend zu haben. Genau genommen hatte Jounouchi fest damit gerechnet, dass Kaiba ihn nun herauswerfen ließ, stattdessen tat er so, als wäre nie etwas passiert. Er würdigte Jounouchi keines Blickes mehr, stattdessen schenkte er seine gesamte Aufmerksamkeit Yuugi.
 

„Das werde ich“, kam es mit einem warmen Lächeln von Yuugi.
 

Jounouchi sah die beiden abwechselnd an. Irgendetwas ging hier vor sich! Und das gefiel ihm überhaupt nicht. Wie hatte Yuugi es geschafft, Kaiba so schnell zu beruhigen und ihn zur Vernunft zu bringen? Warum verhielt sich Kaiba plötzlich so freundlich und was sollte dieses ekelhafte Lächeln auf seinen Lippen? Vermutlich war das auch wieder eine Falle und er täuschte Yuugi den netten Gastgeber vor und am nächsten Tag würde Yuugi seine Kündigung in der Hand halten. »Fuck... was habe ich nur getan?!«, schoss es ihm durch den Kopf.
 

Was wäre, wenn Kaiba Yuugi tatsächlich wegen ihrer kleinen Streitigkeit kündigen würde? Yuugi war das Projekt Spherium wichtig und Jounouchi hätte es sich niemals verzeihen können, wenn Yuugi seinetwegen die Möglichkeit verlor, seinen Traum zu erfüllen. Er biss sich auf die Unterlippe und senkte den Blick, starrte den Boden an. Über seine Stirn liefen Schweißperlen. Selbst Yuugi verhielt sich unterwürfig, um Kaiba zu gefallen, weil er diese Chance nicht verlieren wollte.
 

»Sich bei dem da entschuldigen? Nein... das kann ich nicht. Eher beiße ich mir die Zunge ab. Aber was, wenn Yuugi deswegen leiden muss? Ich darf Yuugis Zukunft nicht wegen meinem Stolz gefährden und auch wenn ich's ungern zugebe... ein kleines bisschen habe ich mich tatsächlich daneben benommen. Shit...«
 

„Kaiba, ich werde mich benehmen. Wir hatten beide Schuld und es tut mir leid, falls ich dich gekränkt haben sollte.“
 

Kaiba zog verwundert beide Augenbrauen hoch und konnte seinen Blick nicht mehr von dem Blonden nehmen. Diese Reaktion erstaunte ihn dermaßen, dass er keine Worte fand. Jounouchi entschuldigte sich? Zumindest kam es ihm so vor, als hätte der Blonde seinen Fehler tatsächlich eingesehen und diese Einsicht, dieses ihm völlig unbekannte Verhalten, warf sein ganzes Weltbild durcheinander. Auch Yuugi sah den Blonden an. Yuugi fiel aus allen Wolken.
 

Kaiba starrte den Blonden einfach nur an. Wieso sagte keiner etwas? Auch die anderen Gäste hatten sich wieder in ihren eigenen Gesprächen eingefunden und es kam ihm so vor, als hätte er nun doch etwas Falsches gesagt. Hätte er doch besser den Mund halten sollen? Aber es machte ihn unglaublich zufrieden, Kaiba so zu sehen. Kaiba, der nichts sagte und ihn einfach nur anstarrte und dabei ein ungewohntes Bild abgab. So menschlich. So geistesabwesend. Jounouchis Worte hatten ihn vollkommen aus der Bahn geworfen. So hatte er den Firmenchef noch nie gesehen und diese Reaktion war Gold wert. Zu gerne hätte er ein Foto von diesem Gesichtsausdruck gemacht und es sich eingerahmt, nur um es sich an seine Trophäenwand aufzuhängen – nicht dass er eine gehabt hätte, aber in gewisser weise war das hier ja ein Sieg und durchaus Grund genug, um tatsächlich anzufangen Trophäen zu sammeln.
 

„Jounouchi, auch wenn du es nicht glaubst, aber ich tue viel, um die Armut in Domino zu bekämpfen und es war falsch von mir, mich über dein Aussehen lustig zu machen.“
 

Kaiba schienen diese Worte ganz leicht über die Lippen zu kommen, doch in Wirklichkeit kostete es ihn sehr viel Beherrschung, dies auszusprechen. Yuugis Anwesenheit beruhigte ihn irgendwie. Nicht, weil Mokuba jeden Moment zurückkommen würde, wollte er dieses Missverständnis aufklären, sondern weil er Yuugi nicht enttäuschen wollte und die Vertrauensbasis, die sich gerade zwischen ihnen aufbaute, nicht unnötig belasten wollte. Yuugis offene und liebenswerte Art war wichtig für ihn und seine Firma. Er konnte nicht zulassen, dass dieser Abend zwischen ihnen stand und ihr zukünftiges Arbeitsverhältnis belastete.
 

Und außerdem... tat es ihm tatsächlich ein klitzekleines wenig Leid, dass er Jounouchi aufgrund seines sozialen Standes beurteilt hatte. Er wusste doch selbst, was es bedeutete, arm zu sein und sein inneres Kind verpasste ihm einen Schlag in die Magengrube, sodass er sich krümmte und seine eigenen Worte hinterfragte. Seit wann hatte er so angefangen zu denken? Was hatte ihn nur geritten, Jounouchis aufgrund seiner Kleidung zu beurteilen?
 

Er wollte vieles sein, aber kein oberflächlicher Mensch, der Menschen nach arm und reich einsortierte. Er strebte eine faire Verteilung an. Genau aus diesem Grund waren die Dueldisks so günstig. Kaiba Corporation gab immer wieder Rabatte auf ihre Produkte und das nur, damit sich auch arme Kinder ihre Spiele leisten konnten. Damit auch arme Kinder in einen Freizeitpark gehen konnten. Das war es doch, was er ursprünglich vorhatte.
 

„Ich weiß...“, kam es noch leiser von Jounouchi, der sich verlegen seinen Hinterkopf rieb. Seine Wangen nahmen einen zarten rosa Farbton an und es war ihm sichtbar peinlich, dass er Kaiba recht geben musste und auch die folgenden Worte, die ihm auf der Zunge lagen, waren alles andere als einfach auszusprechen.
 

„Dank dir sind die allgemeinen Preise von Bus und Bahn gesunken. Ich weiß, dass du viel für unsere Stadt tust und dafür bin auch ich dir dankbar.“
 

„Kaiba-kun, auch ich möchte dir danken.“
 

Yuugi war unheimlich froh, dass Kaiba zurückgerudert war und von sich aus die Situation entschärfte. Er war stolz auf Kaiba, der von selbst seinen Fehler eingesehen hatte und er war sich sicher, dass es zukünftig nur noch besser werden konnte.
 

„Was denn...? Mein Bruder und Jounouchi in einem Raum und das Anwesen steht noch? Ich dachte, dass ihr beide euch streiten würdet, sobald ihr euch auf zehn Kilometer riecht.“
 

Eine vertraute Stimme, die auf der Stelle sämtliche Aufmerksamkeit auf sich zog. Mit weit aufgerissenen Augen starrte Kaiba seinen kleinen Bruder an. Sein Mund war ein Spalt breit geöffnet und seine Hände zitterten leicht vor Aufregung. Dass Mokuba nun direkt vor ihm stand, war wir ein Traum. Doch er wollte jetzt keine Schwäche zeigen. Nicht vor all den Gästen. Er überlegte, wie er Mokuba entgegentreten sollte und er hob eine Hand. Händeschütteln wäre sicher eine gute Idee. Doch Mokuba warf sich ihm um den Hals und legte seine Arme um ihn, drückte ihn so fest, dass ihm die Luft förmlich wegblieb. Es war ihm unangenehm, dass all diese Menschen ihn so sahen. Trotzdem brachte er nicht die Kraft auf, ihn von sich zu schieben.
 

Irgendwie genoss er diese herzliche Begrüßung und es gab ihm das Gefühl, dass er Mokuba davon überzeugen konnte, dass er immer für ihn da sein würde. Mokuba war viel zu wichtig von ihm und er brachte es nicht übers Herz, ihn von sich zu stoßen. Stattdessen legte er zaghaft seine Arme um seinen kleinen Bruder. Seine Gefühle zuzulassen und somit seinen Bruder zuzulassen und ihm das zu geben, was er tatsächlich brauchte, tat gut.
 

„Willkommen zurück, Moki“, sagte er so leise, dass nur sein Bruder ihn hören konnte.
 

Mokuba schluckte und für einen Moment hielt seine ganze Welt still. Es war viel zu lange her, dass sein Bruder ihn so genannt hatte. Dabei war dieser Spitzname so wichtig für ihn gewesen und ein Teil ihrer Vergangenheit, die Mokuba, im Gegensatz zu seinem Bruder, nicht einfach auslöschen wollte. Auch die Zeit im Waisenhaus war ein wichtiger Bestandteil seines Lebens und er dachte gern daran zurück, wie sie abends in ihrem Zimmer saßen, über ihre Zukunftswünsche sprachen, ihr Leben planten und in Träumen schwelgten, während Kaiba ihm nebenbei Schachspielen beibrachte. Miteinander zu reden war vollkommen normal für sie gewesen, bis Gozaburou sie adoptiert hatte. Und diesen Bruder, der lächelte und offen mit ihm redete, wollte er zurückhaben.
 

Jetzt, wo er so in den Armen seines Bruders lag, hatte er das Gefühl, dass dieser Bruder, den er seit so langer Zeit gesucht hatte, immer noch da war und dass sich nun endlich etwas ändern würde.
 

„Ich bin zurück, Seto.“
 

Mokuba warf einen kurzen verstohlenen Blick zu Yuugi. Dieser nickte ihm zu. Yuugi hatte sein Versprechen gehalten und die Dankbarkeit, die er ihm gegenüber empfand, war nicht in Worte zu fassen.
 

»Yuugi... du hast mich und Seto schon wieder gerettet. Ich kann dir dafür niemals genug danken.«
 

Als sich die beiden Brüder trennten, sahen sie sich in die Augen. Da war Entschlossenheit in Kaibas Augen und Wärme.
 

„Gut, ich eröffne das Buffet. Bedient euch, meine Damen und Herren“, kam es laut und beinahe fröhlich von Kaiba.

Kapitel 30

Jounouchi machte sich wieder ans Buffet und gab immer wieder anerkennende und glucksende Laute von sich, wenn er etwas gefunden hatte, was ihm besonders gut schmeckte. Yuugi hatte für seinen blonden Freund nur ein Lächeln übrig. Er selbst war mit all den Speisen zu überfordert und anstelle weiterhin dem Blonden Vielfraß Gesellschaft zu leisten, entschloss er sich dazu, die Zeit zu nutzen, um mit Kaiba zu reden. Mokuba war umringt von den jungen Entwicklern und Yuugi glaubte, unter diesen auch Hirano zu erkennen. Sie lachten und alberten herum. Sie hatten viel zu bereden. Wortlos beobachtete Kaiba die Gruppe, machte jedoch keinerlei Anstalten, sich ihnen zu nähern oder gar sich in ihrem Gespräch einzubinden. Trotzdem meinte Yuugi, in seinen Augen so etwas wie Zuversicht erkennen zu können.
 

Kaiba störte sich nicht daran, dass Mokuba mit seinen Freunden sprach und sich zuerst mit diesen austauschte. Nein, er sah die jungen Männer, wie sie lachten und sorglos über ihr Leben plauderten und fragte sich, ob Mokuba immer so glücklich war, wenn er nicht da war. Mokuba lachte. Mokuba war glücklich. Er sagte offen und ehrlich, woran er dachte und hielt sich nicht zurück. Auch seine Ausdrucksweise war ganz anders als Kaiba sie in Erinnerung hatte. Er nutzte auch Slangausdrücke, Abkürzungen, machte derbe Witze. Sein Umgang mit seinen Kollegen war freundschaftlich und sehr herzlich.
 

Es hätte ihm auffallen müssen. Doch er wollte es nicht wahrhaben. Mokuba war kein Kind mehr. Sein kleiner Bruder war nun ein erwachsener Mann. Der Junge, den er wie seinen eigenen Sohn großgezogen hatte, brauchte ihn nicht mehr und konnte sehr gut auf sich selbst aufpassen und eigene Entscheidungen treffen. Er verschränkte die Arme und senkte den Kopf. Sich in Gedanken verlierend, schloss er die Augen, damit niemand in seine Seele blicken konnte.
 

Der Gedanke, dass jemand ihn dabei sehen könnte, wie er Mokuba anstarrte und seinen Freundeskreis analysierte, bereitete ihm Unbehagen. Niemand sollte ihn so sehen. Wenn irgendjemand bemerkte, dass Kaiba Seto sentimental und oder gar offenherzig war, würde nur jemand kommen, um ihn von seiner Position zu werfen. Menschen konnten genauso ekelhaft wie wunderbar sein. Mit einem netten Lächeln spielten sie eine Rolle, während sie gedanklich bereits Pläne schmiedeten, wie sie ihrer Konkurrenz schaden konnten. Der Versuch, seinen Gegenüber zu manipulieren, war vollkommen normal in dieser Branche. So auch für Kaiba.
 

Kaiba hatte über die Jahre gelernt, seine wahren Gefühle zu verschleiern und niemals zu viel von sich zu erzählen, seinen Gegenüber auszuspielen und deren Schwächen ausnutzen. Ein Mensch, der Schwächen zeigte, war manipulierbar und es brauchte nur ein gespieltes Lächeln und ein paar nette Worte, um diesen auf seine eigene Seite zu ziehen. Manchmal reichten auch nur ein paar Geldscheine und schon hatte man neue Verbündete. Er durfte niemals den Eindruck erwecken, austauschbar oder gar schwach zu sein, wenn er weiterhin seine hohe Position behalten wollte.
 

Dass Yuugi sich neben ihn stellte, spürte er sofort. Er öffnete seine Augen nicht und auch machte er sich nicht die Mühe, ihn wegzuschicken. Er akzeptierte seine Nähe, hoffte aber darauf, dass dieser seine Ruhe nicht stören würde. All die Menschen hier waren wegen Mokuba hier. Für Kaiba war es ungewohnt, nicht der Mittelpunkt einer Veranstaltung zu sein und zum ersten Mal sei Langem, konnte er die Gegenwart von Menschen einigermaßen ertragen. Es war eine willkommene Abwechslung, nicht angestarrt zu werden wie ein Tier im Zoo und einfach nur Ruhe genießen zu können.
 

Normalerweise war er bei solchen Veranstaltungen, wo viele Menschen zusammenkamen, so auch Gala Abende und Festlichkeiten, stets darum bemüht, nie zu viel von sich Preis zu geben. Er analysierte die Gäste und ordnete sie in Schubladen ein, um so herauszufinden, wer als zukünftiger Geschäftspartner und Investor in Frage kommen würde.
 

Mit Geld und seiner Darbietung als äußerst umgänglicher, freundlicher und charismatischer Mann hatte er so einige seiner Konkurrenten ausgeschaltet und ihre besten Mitarbeiter abgeluchst, um sie selbst zu beschäftigen. Die Kaiba Corporation besaß das beste Entwicklerteam, die neueste Technik und wartete stets mit Innovationen auf, sicher nicht, weil Kaiba davor zurückschreckte, seine Gegenspieler zu zerschmettern und ihre Grundlage zu zerstören. Geschäftspartner fand man bei solchen Festlichkeiten zu Hauf. Es war einfach, die tatsächlich wichtigen Persönlichkeiten auszusieben und mit nur einem Blick konnte Kaiba feststellen, wer für ihn nützlich war und wen er als nächstes in Grund und Boden stampfen musste, um seine Position als Marktführer zu verstärken und vor allem beizubehalten.
 

Nach außen hin gab er sich immer als perfekter und versierter Geschäftsmann, mit dem man sich keinen Fall anlegen durfte und er erweckte stets den Eindruck, Menschen mit Blicken allein vernichten zu können. Niemand wagte es, ihn nicht anzusehen und ihm den Respekt zu zollen, den er verdiente. Jemand wie Kaiba war immer der Mittelpunkt einer Veranstaltung. Jeder beneidete ihn um seinen Erfolg und ausgerechnet mit ihm zusammen zu arbeiten, war das beste, das einem Unternehmen passieren konnte.
 

Immer waren alle Augen auf ihn gerichtet. Er durfte sich nie einen Fehler erlauben, doch heute war er nur schmückendes Beiwerk. Ein Gast von vielen. Sämtliche Aufmerksamkeit lag auf Mokuba und dieser genoss es, Geschichten zu erzählen und seine Erfahrungen aus Amerika zu teilen. Es fühlte sich gut an. Die Musik im Hintergrund, die Menschen, die fröhlich lachten und ausgelassen feierten und auch die Atmosphäre, wo er sich nicht krampfhaft darum bemühen musste, seine Rolle als Firmenleiter zu spielen und stets auf jede Handbewegung, seine Gestik, seine Mimik achten musste und jedes Wort und alles, was er sagen wollte, vorher abzuwägen und die Konsequenzen seines Handelns genau abzuschätzen. Was geschah, wenn er dieses Wort sagte? Was würden die anderen Geschäftsmänner von ihm denken, wenn er sich so ausdrückte? Nicht andere einschüchtern zu müssen und sich selbst zur Schau stellen zu müssen, war etwas, das er manchmal vermisste.
 

Auch Yuugis Präsenz erfüllte ihn mit einem eigenartigen Gefühl. Er fühlte sich wohl. Ja, beinahe geborgen. Und das war ungewohnt. Kein voller Terminplan, der ihn aufhielt und das Ticken seiner Uhr, die ihn stets daran erinnerte, dass er sich beeilen musste. Kein aufgesetztes Lächeln oder erzwungene Freundlichkeit, um ein gutes Bild bei den Medien zu erwecken und den Ruf seiner Firma zu ruinieren. Kein Zwang perfekt sein zu müssen.
 

„Kaiba-kun“, begann Yuugi leise und er spürte, wie sein Blick auf ihm lag. War klar, dass Yuugi keine fünf Minuten ohne Gequassel aushalten konnte. Aber auch das störte ihn nicht so sehr, wie es sollte. Er öffnete die Augen und sah Yuugi interessiert an. „Ist alles in Ordnung mit dir? Du hast ja gar nichts gegessen“, meinte Yuugi. In seinen Worten schwang Sorge mit. Kaiba wusste nicht so recht, worauf sein Geschäftspartner hinaus wollte und warf ihm einen verständnislosen Blick zu.
 

„Ich habe keinen Hunger. Das ist alles.“
 

„Sicher? Auch auf der Arbeit isst du nie etwas. Ich habe dich noch nie Pause machen sehen, geschweige denn etwas essen.“
 

„Ich esse ganz normal. Worauf willst du hinaus? Soll ich mich wie dein Vielfraß von Freund wie ein ausgehungerter Bär ans Buffet machen und mich vollfressen, bis ich platze?“
 

Kaiba zeigte auf den Blonden, der sich immer noch am Buffet bediente und mit einigen der anderen Gäste ins Gespräch gekommen war. Jounouchi hatte scheinbar keine Probleme mit fremden Leuten Gespräche zu beginnen. Seine laute, schallende Stimme reichte vom Buffet bis zum Ende des anderen Raumes und sein gellendes Gelächter war kaum zu überhören. Wahrlich eine Plage, was Yuugi da mit angeschleppt hatte. Obwohl sich keiner außer Kaiba an diesen Gast zu stören schien, was Kaiba umso mehr ärgerte.
 

„Das meinte ich gar nicht! Ich mache mir nur etwas Sorgen um dich.“
 

Yuugi fand, dass Kaiba viel zu wenig auf sich selbst und vor allem auf seine Gesundheit achtete. Seine Art zu arbeiten hatte etwas extrem Selbstzerstörerisches an sich, was auf Dauer Schaden anrichtete und irgendwann sicher Konsequenzen mit sich tragen würde. Auch jetzt war Kaiba ständig gereizt, da er sich selbst keine richtigen Pausen gönnte und nur für seine Arbeit lebte. Das musste ein Ende haben. Yuugi wollte mehr mit Kaiba reden. Ihn kennenlernen und sicherstellen, dass sie auch zukünftig miteinander arbeiten konnten, ohne dass Kaiba sich an den Rand des Menschenmöglichen schuftete und an den Folgen der Überarbeitung litt. Selbst jetzt schien Kaiba gedanklich wo anders zu sein. Er hielt absichtlich Abstand zu den anderen. Ob er sich Gedanken über seine Firma machte? Konnte Kaiba überhaupt abschalten? Das waren Gedanken, die Yuugi seitdem er bei der KC angefangen hatte, stets begleiteten.
 

Kaiba war sein Rivale. Aber auch sein Freund. Jemand, der ihn seit Jahren auf seinem Lebensweg begleitet hatte und dessen Träume und Ziele den seinen sehr ähnlich waren. Sie wollten im Grunde dasselbe: Spiele erschaffen und ihre Kreativität leben. Ihre Leidenschaft für Spiele wollten sie mit der Welt teilen. Und diese Art zu denken war etwas, das sie verband. Deshalb konnte Yuugi sich nicht einfach heraushalten und die Fehler ignorierten, die Kaiba machte und dazu führten, dass dieser Schaden nahm. Kaiba war ein wichtiger Bestandteil seines Lebens geworden. Ihre Schicksale waren verbunden, wenn auch auf eine sehr eigenartige und ungewöhnliche Art und Weise.
 

Kaiba half ihm dabei seinen Wunsch zu erfüllen und spornte ihn dazu an, sich weiterzuentwickeln. Ob als Duellant, als Gamer oder als Mensch. Ohne Kaiba fehlte ihm etwas und auch wenn dieser es niemals zugeben würde, wusste Yuugi, dass dieser genauso empfand. Umso wichtiger war es Yuugi, dass die beiden Brüder sich vertrugen und dass Kaiba nicht nur mehr Rücksicht auf sein Umfeld, sondern auch auf sich selbst nahm.
 

„Danke für dein Mitgefühl, aber das kannst du stecken lassen. Ich habe dir doch gesagt, dass dich mein Privatleben nichts angeht.“
 

„Und trotzdem stehen wir jetzt hier und reden außerhalb unserer Arbeitszeiten. Ich mag dich, Kaiba-kun. Sehr gern sogar. Und deshalb kann ich nicht anders, als mich um dich zu sorgen.“
 

Kaiba wandte den Blick ab. Yuugi mochte ihn. Dieser Gedanke war ebenso abscheulich wie schön. Wie konnte Yuugi ihn überhaupt mögen? Diese Art zu denken war ihm einfach fremd. Nicht nachvollziehbar. Sein ganzer Körper kämpfte gegen diese unangenehme Spannung und er war hin und her gerissen, nicht wissend, ob er sich geehrt oder gar angewidert fühlen sollte. Yuugi schien sich der Bedeutung seiner Worte nicht im Klaren zu sein.
 

„Du solltest dir mehr Sorgen um dich selbst machen. Du hast doch genügend Probleme. Du verschwendest deine Zeit, wenn du auch noch an mich denkst. Du hast doch gesagt, dass du die Anerkennung dieser Person haben möchtest.“
 

Yuugi riss die Augen auf. Kaiba konnte sich immer noch daran erinnern? Yuugi hatte ihm Nachhinein bereut, so viel gesagt zu haben und war sich sicher, dass Kaiba dieses Detail überhört haben musste. Yuugi wollte Anerkennung, ja. Das war wahr. Er wollte, dass die Menschen um ihn herum seine Leidenschaft für Spiele anerkannten und ihn auch als Entwickler und Erschaffer ansahen. Allem voran jene, die sich über ihn lustig gemacht und ihn nie ernst genommen hatten. Unter diesen Personen befand sich auch er.
 

„Dass du dich daran erinnerst...“, murmelte Yuugi und drehte sich etwas von Kaiba weg.
 

„Wer ist diese Person? Sie muss dir unglaublich wichtig sein“, schlussfolgerte Kaiba und fühlte sich irgendwie unglaublich überlegen, als er bemerkte, dass er Yuugi in eine Ecke getrieben hatte. Jetzt hatte Kaiba wieder einen wunden Punkt getroffen und es interessierte ihn brennend, wie dieser nun reagierte. Würde er weglaufen? Oder seinen Mann stehen?
 

„Ja, das ist sie. Aber ich glaube, ich bin ihr nicht so wichtig. Unser Verhältnis ist kompliziert“, erklärte Yuugi hinter vorgehaltener Hand und quälte sich zu einem Lachen. Er wollte seine Unsicherheit verbergen. Auch jemand wie Yuugi hatte Menschen, die an ihn zweifeln, das fand Kaiba äußerst spannend. Yuugi schien stets von Menschen umringt zu sein, die ihn liebten und in Schutz nahmen. Besonders seine Freunde hatte er in Erinnerung, die sich sogar aller Logik zum Trotz für ihn einsetzten und ihre Freundschaft groß an die Glocke hingen. Kaiba hatte immer den Eindruck, dass jemand wie Yuugi, der so liebenswert und naiv war, nie schlechte Erfahrungen gemacht haben konnte. Yuugi musste ein durchgängig schönes Leben gehabt haben, geliebt von seiner Familie und seinen Freunden, die ihn selbst dann noch zujubelten, wenn er am Boden lag. Das wollte Kaiba zumindest glauben.
 

„Bist du dir da sicher? Vielleicht kann sie nur seine Gefühle nicht so offen zeigen und möchte nur das Beste für dich.“
 

„Nein... es geht ihm mehr darum, sein gutes Ansehen zu behalten. Für ihn bin ich eine Schande, weil ich absichtlich falsche Entscheidungen treffe und unsere Familie entehre.“
 

„Falsche Entscheidungen?“, wiederholte Kaiba fragend. Mittlerweile war er sich sicher, dass Yuugi von einem Familienmitglied sprach. Wahrscheinlich der Vater. Kaiba überlegte. Er hatte Yuugis Vater noch nie gesehen und sich nie große Gedanken um seine Familiensituation gemacht. Der alte Knacker – gemeint war selbstverständlich Sugorokou, Yuugis Großvater – und diese Frau mit kurzen Haaren waren die einzigen Personen, an die er sich erinnerte. Kaiba war der Ansicht gewesen, dass Yuugi vielleicht gar keinen Vater hatte, was in der heutigen Zeit nichts Ungewöhnliches gewesen wäre.
 

„Er hätte lieber, ich würde einen richtigen Job lernen. Er sagt, ich würde meine Zeit verschwenden und solle endlich erwachsen werden. Spiele seien für Kinder, haha“, erklärte er und setzte ein krampfhaftes Lachen an, das er genauso schnell abbrach. Kaiba konnte hören, dass diese Worte Yuugi schmerzten und er konnte es einigermaßen nachvollziehen, wie es war, wenn die eigene Familie, nicht hinter einem stand und einen dazu drängte, Dinge zu lernen, die einem widerstrebten. In gewisser Weise fühlte er so etwas wie Verbundenheit zu seinem Rivalen. Er senkte betroffen den Blick.
 

„Weiß er, dass du jetzt in der Kaiba Corporation arbeitest?“, fragte Kaiba beiläufig.
 

„Nein, davon wollte er gar nichts hören. Wieso?“
 

„Richte ihm doch einen schönen Gruß von mir aus und sag ihm, dass du mit deiner falschen Entscheidung sehr bald schon sehr viel mehr verdienen wirst, als er in seinem gesamten Leben.“
 

„W-was?“, wiederholte Yuugi unsicher und fiel aus allen Worten.
 

„Spherium ist kein Fehler und ganz sicher bist weder du noch deine Ideen eine Schande. Spiele seien nur für Kinder? Was für ein Blödsinn! Die Spielbranche wird von Jahr zu Jahr größer und Unterhaltungsmedien nehmen einen immer wichtigeren Stellenwert in unserer Gesellschaft ein. Ehre? Ansehen? Wer braucht schon alte, überholte Ideologien? In der Technik liegt die Zukunft und das, was wir schaffen, wird diese maßgeblich beeinflussen. Und ich werde alles daran setzen, dass Spherium weltweit erfolgreich wird. Yuugi, dein einziger Fehler ist es, dass du dir selbst nicht vertraust und dich von den Worten anderer zu sehr beeinflussen lässt.“
 

„Kaiba-kun...“, nuschelte Yuugi nur. Er brachte keine richtigen Worte heraus. Kaiba munterte ihn auf. Auf seine eigene, verschrobene Art und Weise. Das war merkwürdig und schön. Sein Herz schlug ihn bis zum Hals. Diese Aufgeregtheit wollte einfach nicht weichen. Sein Gesicht und seine Augen wurden ganz heiß.
 

„Danke.“
 

Yuugi drehte sich so um, dass er mit dem Rücken zu Kaiba stand. Woher kamen diese Tränen? Verdammt, dabei hatte er sich doch vorgenommen, niemals wieder zu weinen. Die Freude, dass ausgerechnet Kaiba sich so viel Zeit für ihn nahm und ihm Mut machte, war einfach zu schwer zu verarbeiten. Energisch wischte er sich die Tränen aus den Augenwinkeln.
 

„Yuugi, wir sind Partner. Und als dein Partner lasse ich dich nicht hängen. Also hör auf zu weinen und steh deinen Mann.“
 

„Ja“, schniefte Yuugi und schenkte Kaiba ein warmes, zuversichtliches Lächeln. Instinktiv erwiderte Kaiba dieses und legte Yuugi seine Hand auf dessen Schulter.
 

Seine Schulter war schmal. Yuugi war so klein und zierlich. Zerbrechlich. Aber in diesem schwach anmutenden Körper war eine große, mutige Seele, die bereit war, für seine Ziele zu kämpfen. Ein wacher Geist, der jedes Rätsel durchschaute und in der Lage war, für jedes Problem eine passende Lösung zu finden. Kaiba vertraute Yuugi und wusste, dass dieser nicht nur in Duel Monsters eine ernstzunehmende Konkurrenz war. Er hatte die Fähigkeit, seine Begeisterung auf andere abfärben zu lassen und sein liebenswerter Charakter hatte nicht nur Kaiba mehr als einmal die Augen geöffnet. Dieses unendliche Mitgefühl für andere und die Güte, die Yuugi erfüllte, waren Dinge, die Kaiba fehlten und gerade deshalb schätzte er ihn.
 

Diese Unterschiede machten sie aus. Kaiba fand durch Yuugi seine Balance. Auch Atem hatte dies gesagt. Atem hatte so sehr von Yuugi geschwärmt und ihn als wahren Duellanten bezeichnet. Obgleich Kaiba das nicht glauben wollte, konnte er mit jeder Minute, die er mit Yuugi verbrachte, immer mehr verstehen, was Atem so sehr an ihn schätzte. Yuugis Güte und seine Fähigkeit die schlimmsten Verbrechen zu verzeihen halfen auch Kaiba dabei, voranzuschreiten und sich mehr auf das Wesentliche zu konzentrieren. Es gab nicht nur schwarz und weiß. Die Welt war bunt und es gab immer mehr als eine Lösung. Die Zusammenarbeit mit Yuugi hatte ihn verändert und ihn dazu gebracht, seine Sichtweise zu hinterfragen.
 

„Yuugi...“, sagte Kaiba nun. Er wusste nicht, warum er das sagte, vielleicht wollte er nur vom Thema ablenken, da ihn dieser Moment selbst ein wenig emotional ergriff und er sich schämte seine Gefühle offen zu zeigen, aber er fühlte, dass es die richtige Entscheidung war.
 

„Du sagst, du machst dir Sorgen um mein Essverhalten, dabei bist du viel dünner als ich. Du solltest mehr essen. Vielleicht auch mehr Sport treiben“, grinste Kaiba amüsiert und drückte Yuugis Schulter etwas fester, sodass dieser kurz zusammenzuckte.
 

„Sehr witzig...“, murrte Yuugi und verdrehte genervt die Augen.
 

„Das war kein Witz.“
 

Es war schon später Abend als die Gäste sich langsam verabschiedeten und wieder Ruhe in der Villa der Kaibas einkehrte. Das Buffet war beinahe restlos aufgegessen. Kaiba war sich sicher, dass Jounouchi für mindestens 20 Personen gegessen haben musste und obwohl er sich darüber ärgern wollte und sich selbst davon überzeugen wollte, dass Jounouchi ein bildungsresistenter Idiot war, so war er irgendwo auch froh, dass Jounouchi da gewesen war. Mit ihm zu streiten hatte etwas Erfüllendes. Und er hatte Yuugi ganz allein für sich gehabt. Die anderen Gäste waren so sehr von dem Blonden und Mokuba abgelenkt, dass er den ganzen Abend mit Yuugi in Ruhe reden konnte.
 

Worüber genau sie gesprochen hatten, konnte Kaiba nicht mehr mit ganzer Sicherheit sagen. Kleinigkeiten. Unwichtige Dinge. Aber er hatte sich gut dabei gefühlt. Er war vollkommen ausgelassen und hatte nicht den Druck gespürt, sich krampfhaft professionell geben zu müssen. Es war lange her, dass er nicht auf seine Wortwahl geachtet hatte. Und das sagen zu können, was er sonst in seinem Herzen verbergen wollte, hatte er vermisst. Er stand inmitten des leeren Raumes. Einige Bedienstete räumten das Buffet ab und die Musik verstummte. Hier und da vernahm er Stimmen und das klirrende Geräusch von Geschirr, das abtransportiert wurde, erreichte seine Ohren.
 

Eine Gestalt näherte sich ihm. Er drehte sich mit einem Lächeln um.
 

„Mokuba... wie war es in Amerika?“, fragte er und wurde das Verlangen nicht los, noch mehr Fragen zu stellen.
 

„Sag du mir lieber, worüber du mit Yuugi geredet hast. Du hast ihn zum Weinen gebracht. Das habe ich ganz genau gesehen.“ Mokuba verengte die Augen zu Schlitzen.
 

„Ach, er hat mir nur seine Gefühle gestanden“, scherzte Kaiba und machte sich mit Mokuba auf den Weg, den Saal zu verlassen und in den Wohnbereich zu gehen.
 

„Wusste ich's doch!“, rief Mokuba lachend aus und jubelte.
 

„Ich hab keine Ahnung, woran du jetzt denkst, aber ich bin mir sicher, dass es falsch ist.“

Kapitel 31

Mittwoch Morgen. Als der nervtötend fröhliche Klingelton seines Weckers Yuugi aus seinem schönen Traum riss, wälzte er sich nochmal auf die andere Seite und murmelte leise vor sich hin: „Noch fünf Minuten“, wobei es fraglich war, ob es wirklich nur bei fünf Minuten blieb. Gestern Abend hatte er noch lange mit Kaiba geredet. Viel hatte er über seinen Chef nicht erfahren, aber er hatte das Gefühl, dass sie sich immer näher kamen und der Abgrund zwischen ihnen langsam seichtem Wasser wich. Diese Grenze zu überschreiten würde mit der Zeit sicher möglich sein. Plötzlich war er hellwach.
 

Er hatte Kaiba ins Gesicht gesagt, dass er ihn sehr gern hatte. Ob Kaiba das falsch aufgenommen hatte? Rasch setzte er sich auf. Manchmal brauchte es nur ein Wort, um einen falschen Eindruck zu hinterlassen. Obwohl Kaiba nicht verärgert schien und auch nicht weiter auf seine Wortwahl eingegangen war. Er schämte sich dafür, Kaiba so offen seine Gefühle offenbart zu haben und er hoffte sehr, dass er Kaiba damit nicht allzu sehr aus der Bahn geworfen hatte.
 

Im Büro von Kaiba erwartete ihn ein Mann mit großen Augenringen. Kaiba wirkte sichtbar müde und nicht erholt. Es war das erste mal, dass Kaiba erschöpft aussah. Woran lag das?
 

„Guten Morgen, Kaiba-kun. Du siehst aus, als hättest du die ganze Nacht durchgemacht. Alles in Ordnung?“, wollte Yuugi von Kaiba wissen und blieb wenige Zentimeter vor seinem Schreibtisch stehen.
 

Kaiba rümpfte die Nase und legte setzte sogleich seinen Kugelschreiber zur Seite. Er hatte bis spät in die Nacht mit Mokuba über dessen Reise gesprochen und über seine Erfahrungen, die er dort gesammelt hatte. Mokuba hatte unheimlich viel zu erzählen und dieses fröhliche Lachen hatte Kaiba so sehr angesteckt, dass er gar nicht auf die Zeit geachtet hatte. Wirklich geschlafen hatte er nicht. Er war müde und fühlte sich erschlagen. Zumindest konnte er mit Gewissheit sagen, dass Mokuba ihm verziehen hatte. Das wäre sein letzter Versuch, hatte er gemeint. Würde Kaiba wieder etwas tun, womit er Mokuba vor den Kopf stieß, würde dieser gehen. Ob er das wirklich ernst gemeint hatte?
 

Die richtigen Antworten zu finden und Entscheidungen zu treffen, die die Gefühle anderer Personen berücksichtigten, hatte Kaiba auch noch lange in seinem Bett beschäftigt. Er hatte die letzten zwei Wochen gedanklich Revue passieren lassen und war zum Schluss gekommen, dass Yuugis Anwesenheit frischen Wind in seine Firma brachte. Letztendlich hatte er die meiste Zeit darüber nachgedacht, was Yuugi so anders machte und warum sein bloßes Dasein so viel Positives mit sich brachte. Ehe er sich versah, hatte er nur Gutes über Yuugi denken können. Dabei sollte er ihn doch als seinen Rivalen sehen und nicht als wichtigen Partner. Diese innere Zerrissenheit und die ihn quälende Frage, warum er sich Yuugi gegenüber geöffnet hatte, machten ihn mehr zu schaffen als die Sorge, seinen Bruder einmal mehr ungewollt zu verletzen. Und jetzt stand er wieder vor ihm und in seinem Gesicht die Sorge geschrieben.
 

Aber das war nicht alles. Erst heute Morgen hatte Mokuba Klartext mit ihm gesprochen. Er hatte bereits Pläne für die Zukunft und sein Bruder war nur bedingt ein Teil davon. Mokuba hatte gemeint, er müsse sein Leben endlich in den Griff bekommen und auch andere Kontakte knüpfen. Er sollte Yuugi eine Chance geben und ihn nicht nur als Rivalen ansehen. Mokubas Ton war ernst und Kaiba hätte gern widersprochen, wenn seine nächste Aussage ihn nicht so dermaßen schockiert hätte. Im Moment war er beinahe froh darüber, Gesellschaft zu haben, die ihn davon abhielt, nachzudenken.
 

Du musst dir angewöhnen, rechtzeitig ins Bett zu gehen, ansonsten schläfst du auf der Arbeit ein. Das wäre äußerst unangebracht“, kam es von Yuugi und er war stark darum bemüht, Kaibas Tonlage zu treffen und äffte auch seine Bewegungen und seinen sturen, unbarmherzigen Blick nach. Verdutzt sah Kaiba ihn an.
 

„Sehr witzig...“, murrte Kaiba und griff nach seinen Kaffeebecher, nur um gähnende Leere vorzufinden. Es war ihm anzusehen, dass er noch nicht genügend Kaffee intus hatte und demnach schnell gereizt reagierte. Ohne weiter auf Yuugis Versuch ihn nachzuahmen, einzugehen, huschte er an ihm vorbei und verschwand in seinem Pausenraum. Mit einem breiten und äußerst amüsierten Grinsen folgte Yuugi ihm.
 

„Willst du auch einen Kaffee? Ich habe auch etwas Milderes da“, erklärte Kaiba, während er die Schranktür über der Spüle öffnete und mehrere Kaffeekapseln herauszog. Sein Blick blieb bei einer Kaffeesorte mit Schokonote hängen und er hielt Yuugi die Kapsel entgegen, wartete auf eine Reaktion seines Gegenübers. Perplex nahm Yuugi das Angebot an. Kaiba verhielt sich eigenartig. Er ging weder auf seine Provokation ein, indem er das Feuer des Sarkasmus auf ihn eröffnete und ihn mit zynischen Aussagen in Grund und Boden stampfte, noch ignorierte er seine Anwesenheit. Es war 9:05 Uhr morgens. Yuugi war zu spät. Eigentlich hatte er mit einem Kommentar gerechnet. Eine Predigt über das Pünktlich zur Arbeit kommen. Eine gemeine Bemerkung. Irgendetwas!
 

Stattdessen lud er ihm zum Kaffee ein und deutete ihn sogar dazu an, sich hinzusetzen. Kaiba hielt sich selten in seinem Pausenraum auf. Wenn er diesen Raum betrat, dann meist, weil er Besuch hatte oder einen Moment der Ruhe brauchte; letzteres geschah fast nie. In den letzten Wochen hatte Kaiba immer hochkonzentriert und pausenlos gearbeitet. Selten hatte er hoch geblickt oder sich gar ablenken lassen. Jedes Mal, wenn Yuugi etwas von ihm wollte, beantwortete er seine Fragen nebenbei oder ignorierte, dass er im Raum war.
 

Misstrauisch beäugte er den Firmenchef, der mit zwei dampfenden Tassen zum Tisch kam und Yuugi sein Getränk hinstellte und es sich dann neben ihm bequem machte.
 

„Musst du mich so mit deinen Blicken durchlöchern? Das nervt“, erklärte Kaiba, während er nach seinem Löffel griff, die Flüssigkeit umrührte und mit der anderen Hand noch etwas Kaffeesahne hinzu schüttete. Der herbe Geruch von Kaffeebohnen drang Yuugi in die Nase. Von einer Sekunde zur nächsten war er hellwach.
 

„Irgendetwas stimmt eindeutig nicht...“, kam es von Yuugi, der seinen Sitznachbarn nun nur noch skeptischer ansah und die Arme verschränkte.
 

„Ja, dein nerviges Verhalten am frühen Morgen. Kannst du nicht einmal fünf Minuten den Schnabel halten?“
 

„Ist irgendetwas passiert? Ich habe dich noch nie müde oder gar erschöpft erlebt. Ich mache mir nur Sorgen.“
 

„Kannst du dir auch Sorgen machen, ohne dabei den Mund zu bewegen? Ich habe unglaubliche Kopfschmerzen und dein Gequassel macht es nicht besser.“
 

Yuugi sah ihn immer noch bohrend an. Er gab sich mit dieser Antwort nicht zufrieden und schien darauf zu warten, dass er noch etwas sagte. An der Wand hing eine alte Uhr, die mit echten Uhrzeigern ausgestattet waren und mit jeder Sekunde, die verstrich, hörte man das bedrückende 'Klang', das in den Raum hallte. Die Uhr fiel bei der sonst so modernen Innenausstattung direkt aus dem Rahmen, doch Yuugi war sich sicher, dass es sich hierbei um ein Unikat handeln musste. Bei genauerer Betrachtung konnte er erkennen, dass die Uhr von dem weißen Drachen eingerahmt wurde, der scheinbar das Ziffernblatt, das durch die gläserne Scheibe davor wie ein Kristall glänzte, gehalten wurde. Der Drache war unnatürlich detailgetreu. Jede einzelne Klaue war mit absoluter Genauigkeit gefertigt. Kaibas Liebe zum Weißen Drachen war immer und jederzeit spürbar.
 

Kaiba ignorierte seine Blicke und genehmigte sich einige Schlücke seines heißen Getränkes, ließ sich in die schwarze Coach senken und atmete tief ein und wieder aus. Zwei Minuten. Yuugi war ruhig. Kaiba wartete mit Spannung ab, ob Yuugi es schaffte, fünf Minuten ruhig zu sein. Drei Minuten. Wieder griff er nach seinem Getränk und ließ die Wärme seinen Körper verzaubern. Der Koffein würde ihm sicher helfen, seine Kopfschmerzen loszuwerden, wobei der Schlafmangel auf der anderen Seite dadurch auch etwas abgeschwächt wurde. Kaiba war heute zum ersten Mal zu spät gekommen. Eine Minute und vierundzwanzig Sekunden. Für jeden anderen Menschen nichts Erwähnenswertes, für Kaiba ein Vorzeichen für den Weltuntergang.
 

Vier Minuten. Noch immer hielt Yuugi den Mund. Mittlerweile hatte er auch seinen Blick abgewendet und begutachtete die Innenausstattung. Kaiba linste immer wieder zur Yuugi, versuchte aber sich dies nicht anmerken zu lassen. Yuugi war alles bis auf professionell. Seine wahren Gefühle waren ihm immer anzusehen. Wenn ihm etwas nicht gefiel, veränderte er seinen Gesichtsausdruck und wenn er glücklich war, setzte er dieses Lächeln auf, das Kaiba genauso nervte, wie auch bewunderte.
 

Vier Minuten und dreiundvierzig Sekunden. Diese Ruhe am Morgen war angenehm und erholsam. Als Kaiba so in seiner Coach lehnte und die Augen geschlossen hatte, spürte er, wie seine müden Lider sich langsam erholten und seine Muskeln sich entspannten.
 

Fünf Minuten.
 

„Jetzt sag doch, was passiert ist!“, rief Yuugi jetzt aus und lehnte sich etwas näher an den Brünetten. Seine Amethyste versuchten bis in die tiefsten Tiefen seiner Seele zu blicken und er konnte mit Sicherheit sagen, dass Yuugi solange keine Ruhe geben würde, bis er eine ihn zufriedenstellende Antwort bekam. Kaiba schnalzte mit der Zunge. Als hätte er nur darauf gewartet, dass fünf Minuten vergingen.
 

„Was soll denn schon passiert sein? Ich habe mit Mokuba geredet und es wurde etwas später. Und? Zufrieden?“
 

„Worüber habt ihr geredet? Was hat Mokuba dir erzählt?“
 

„Du und deine niemals endenden Fragen. Ist das hier ein Verhör?“
 

„Sei doch nicht so! Du hast gesagt, wir seien Partner und dass ich dir vertrauen könne, also kannst du mir auch vertrauen und mir auch mal was erzählen.“
 

„Moment. Du bringst da etwas durcheinander, Yuugi. Wir sind Partner im geschäftlichen Sinne. Das heißt nicht, dass wir uns jetzt wie Teenager zusammensetzen und über unsere Probleme und unser Leben reden, sondern dass wir ein gemeinsames Ziel verfolgen. Das ist rein geschäftlich. Ich habe mit keinem Wort gesagt, dass wir jetzt Freunde sind.“
 

Yuugi senkte den Blick. Ihm war die Enttäuschung anzusehen und Kaiba seufzte, rollte mit den Augen und setzte wieder an.
 

„Aber wenn es dich so sehr interessiert... wir haben über die Zukunft geredet und ich habe ihm gesagt, dass ich mit dir zusammenarbeite. Er hatte keine Ahnung, dass ich dich eingestellt habe, trotzdem wirkte er nur wenig überrascht darüber. Als hätte er gewusst, dass es so kommt.“
 

„Vielleicht war es ja Schicksal“, kicherte Yuugi vergnügt und griff nun nach seiner Tasse.
 

„Jetzt fängst du auch mit diesem Esoterik-Kram an? Als wäre Atems Gerede über Schicksal nicht schon schlimm genug gewesen...“
 

„Ich glaube an Schicksal und an Karma. Wer Gutes tut, dem widerfährt Gutes. Und du bist auch ein guter Mensch. Das weiß auch Mokuba. Auch wenn du deine guten Seiten nicht so gerne zeigst.“
 

„Das hatten wir schon und ich habe es dir auch mehr als einmal gesagt: ich bin nicht nett. Ich bin schrecklich, unsympathisch, gemein und ich gehe, wenn nötig, auch über Leichen, um meine Ziele zu erreichen. Ich bin kein guter Mensch. Ich bin böse.“
 

„Jetzt übertreibst du aber. Ständig suchst du nach Ausreden, dabei wissen wir alle, wie liebenswert du bist.“
 

„Sicher“, lachte Kaiba spöttisch und zuckte mit den Schultern. „Hast du irgendwelche Beweise?“
 

„Hm... weißt du noch damals das Battle City Turnier? Als du den Duel Disk zum ersten Mal vorgestellt hast? Du hast die Duel Disks für einen extrem niedrigen Preis verkauft, damit sich wirklich jeder einen leisten konnte und du hast den Teilnehmern des Turniers sogar welche geschenkt.“
 

„Das nennt man Marketing, Yuugi. Wer sein Produkt verkaufen will, muss Kompromisse eingehen. Dadurch, dass die Nachfrage steigt, kann ich das Angebot erhöhen und mache durch die Menge, die ich verkaufe, mehr Gewinn. Das ist Betriebswirtschaft.“
 

„Hm... und was ist mit damals, als du Death-T eröffnet hast? Eine ganze Woche lang durften Kinder umsonst in das Kaiba Land reingehen. Und auch heute sind die Preise für Kaiba Land für jeden erschwinglich und Ermäßigungen für Kinder, die auffallend großzügig sind.“
 

„Das nennt man Kundenbindung, außerdem wollte ich nur ein möglichst großes Publikum für unser Duell damals haben. Es macht durchaus Sinn, seinen Kunden seine Produkte vorzustellen und sie dazu zu animieren immer wieder zu kommen.“
 

„Hm... und warum hast du Katsuya geholfen einen Job zu finden?“
 

„Bitte was soll ich gemacht haben?!“
 

Kaiba stellte seine Tasse dermaßen laut zurück auf den Unterteller, dass Yuugi für einen kleinen Moment zuckte. Scheinbar hatte er jetzt etwas gesagt, was Kaiba unter allen Umständen für sich behalten wollte.
 

„Ist doch kein Geheimnis, oder? Du bist doch für das Duel Café zuständig und du hast die Mitarbeiter selbst ausgesucht, so heißt es zumindest. Du hast somit Katsuyas Bewerbung angenommen und ihm die Möglichkeit gegeben, endlich festen Boden unter den Füßen zu fassen. Dafür bin ich dir dankbar. Katsuya ist sehr temperamentvoll und ich hatte Sorge, ob er jemals einen festen Job finden würde. Und dazu ist die Bezahlung überdurchschnittlich hoch... als hätte jemand gewusst, dass Katsuya dringend Geld braucht.“
 

„Das... das...“, murmelte Kaiba und ballte seine Hände zu Fäuste. Er suchte nach den richtigen Worten.
 

„Das ist absoluter Irrsinn. Als Arbeitgeber bin ich dazu verpflichtet, die Bewerber mit den besten Qualifikationen anzunehmen. Das hat rein gar nichts mit Sympathie zu tun. Du hast da nur etwas falsch verstanden.“
 

„Habe ich das?“, kam es fragend von Yuugi und er rieb sich sein Kinn, als würde er einen imaginären Bart streicheln. Seine Frage war rein rhetorisch. Yuugi beantwortete diese direkt selbst.
 

„Katsuya hat aber keine Ausbildung gemacht und somit keine Qualifikation, trotzdem hast du ihn angenommen. Sein Lebenslauf ist alles andere als ansprechend. Und was ist das mit uns?“
 

„Was soll mit uns schon sein?“, wiederholte Kaiba skeptisch. Worauf wollte er hinaus?
 

„Ich habe zwar ein Studium in Richtung Design, Programmierung und Entwicklung gemacht, aber keine beruflichen Erfahrungen, die ich vorweisen könnte. Auch habe ich keine ausreichenden Qualifikationen, die mich dazu berechtigen würden, mein eigenes Projekt zu verwirklichen oder eine eigene Abteilung zu leiten und trotzdem sitze ich hier.“
 

Kaiba sah Yuugi immer noch mit großen Augen an. All seine Argumente waren absolut subjektiv. Trotzdem konnte er nicht sagen, dass er Unrecht hatte. Mit jeder Aussage traf Yuugi einen wunden Punkt und Kaiba fand keine weiteren Rechtfertigungen, um sein Verhalten zu erklären. Diesen Volltrottel von Jounouchi, diesen drittklassigen Duellanten mit viel zu großer Fresse, hatte er tatsächlich durchgewinkt. Es hatte ihn nicht wirklich interessiert und sein erster Gedanke war gewesen, dass er den Blonden damit zurück auf den Platz zurückweisen konnte, an den er gehörte: zu Kaibas Füßen. Denn so konnte er einen kleinen Sieg erringen und mit Glück ihm so etwas wie Manieren beibringen.
 

Im Nachhinein war es vielleicht auch nur, weil er dieses Gesicht kannte und diesen Bewerber besser einschätzen konnte, als die anderen, ohne sich die Mühe zu machen, diesen persönlich in einem Vorstellungsgespräch kennenzulernen. Als er das Foto von ihm sah, das ihn mit einem breiten Grinsen entgegen strahlte, hatte er die Bewerbung im Papierkorb versenken wollen, doch dann innegehalten und ihn sogar eingestellt. Wieso er sich letztendlich dazu entschieden hatte, wollte ihm selbst nicht ganz in den Kopf. Mitleid? Selbst auf dem Foto trug er nur ein weißes, schäbiges Hemd und die Haare fielen ihm so ins Gesicht, das seine Auge teilweise überdeckt wurden. Er machte den Eindruck eines bettelarmen Kerls, der früher oder später trotz aller Bemühungen auf der Straße landen würde. Und bei diesem Gedanke drehte sich Kaiba der Magen um.
 

Immerhin bemühte er sich seit Jahren darum, den Wohlstand seiner Stadt auszuweiten und unterstützte Bauprojekte finanziell, schaffte Arbeitsplätze und bemühte sich darum, dass die Stadt insgesamt moderner wurde, wozu auch die Digitalisierung gehörte, die größtenteils auf die Technik der KC basierte. Die KC war das wichtigste Organ dieser Stadt und Armut duldete er nicht. Selbst dann nicht, wenn ein nervtötender Bekannter, den er lieber aus seinem Gedächtnis bannen würde, dazugehörte.
 

Auch jetzt war er darum bemüht, zig Ausreden zu finden, da er sich nicht eingestehen konnte, dass es ihm nicht passte, dass Jounouchi ein Versager war, der in seinem Lebens nichts erreichte und dem Traum eines Pro-Duellanten hinterherlief, anstelle sich Gedanken um seine Zukunft zu machen. Da dieser Klassenclown ja auch stets an Yuugis Seite zu finden war, färbte sein schlechtes Bild auf Yuugis guten Ruf als Duellant ab und letztendlich bedeutete dies, dass dieser eher schlechte Umgang auch schlechte Publicity für die KC war. Nicht auszudenken was die Medien berichten würden, würde publik werden, dass Kaiba Seto mit einem nichtsnutzigen Taugenichts verkehrte – selbst wenn es sich nur um ein Duell im Rahmen eines Turniers handelte.
 

Gerade als er eine ihn zufriedenstellende Lösung gefunden hatte, um seine Entscheidung zu rechtfertigen, strahlte ihn Yuugi mit diesem zuckersüßen Lächeln an, sodass ihm seine Worte im Hals steckenblieben. Yuugi war ja so eine Nervensäge! Und trotzdem schätzte er seine Fähigkeiten und ihn als Person, weshalb er sich doch dagegen entschloss, diese Konversation weiterzuführen. Seine Ausflüchte machten ja auch keinen Unterschied, da Yuugi ja von seinen Argumenten überzeugt war und es ihm vermutlich völlig egal war, was Kaiba dazu zu sagen hatte.
 

„Und das habe ich dir zu verdanken.“
 

„Das bedeutet aber nicht, dass ich ein guter Mensch bin. Du bist einfach nur naiv.“
 

„Ich denke, dass du ein großes Herz hast und es nur nicht zugeben willst.“
 

„Ich denke, dass du ein weltfremder Gutmensch bist, der in seiner eigenen Welt lebt und sich die Realität so zurecht biegt, wie sie ihm am besten in den Kram passt. Ich? Ein guter Mensch? Wovon träumst du nachts?“, lachte Kaiba und holte noch einmal tief Luft.
 

„Das war keine Aufforderung mir von deinen Träumen zu erzählen, damit wir uns da verstehen.“
 

„Also Mokuba hätte mich gefragt, wovon ich träume“, scherzte Yuugi und machte einen Schmollmund.
 

„Das ist schön für dich. Interessiert mich nur nicht. Mokuba ist zu gut für diese Welt. Wenn jemand ein guter Mensch ist, dann er. Immerhin hat er mir verziehen und ist zurückgekommen, obwohl...“
 

Kaiba machte eine auffallend lange Pause, bevor er weitersprach.
 

„Er nicht die Absicht hatte, wirklich zurückzukehren.“
 

„Was meinst du damit? Was hat er gesagt?“
 

„Er sagte, er will mich nicht hassen und dass er sich wünscht, dass wir in Zukunft weiterhin eine Familie sein können, weil ich ihm wichtig bin. Er will im Guten auseinandergehen.“
 

„Was...?!“
 

„Er sagte, er habe Zukunftspläne. Einer davon sei mit seiner Freundin zusammenzuziehen. Er will heiraten und seine eigene Familie gründen.“
 

„Aber das ist doch schön für die beiden, oder?“
 

Schön? Was soll daran schön sein? Mokuba ist 19 und selbst noch ein Kind! Er ist doch noch viel zu jung für so eine Verantwortung!“
 

„Ist er das? Du hast dich selbst immer um Mokuba gekümmert und du warst da noch viel jünger. Mokuba ist erwachsen genug, um seinen eigenen Weg zu gehen und du musst endlich verstehen, dass er nicht für immer bei dir sein wird. Und das ist nicht so schlimm, immerhin hast du ja noch mich.“
 

Kaiba lachte auf und senkte seinen Blick. Mokuba und erwachsen? Er war ja nicht mal volljährig! Er war doch noch grün hinter den Ohren und noch gar nicht in der Lage, auf sich selbst aufzupassen.
 

Außerdem waren die letzten zwei Wochen für Kaiba schon schlimm genug gewesen. Warum sollte er nach Hause gehen, wenn niemand dort auf ihn wartete? Atem war bereits gegangen und hatte ihn zurückgelassen, seitdem ertrank er in seinem Arbeitseifer, um sich davon abzulenken, dass ihm etwas fehlte und Kaiba wusste selbst am besten, dass er es nicht ertragen würde, würde Mokuba weggehen und ihn zurücklassen.
 

„Hast du Angst vor dem Alleinsein?“
 

„Ich bitte dich, Yuugi. Ich habe keine Angst. Ich will nur nicht, dass er in sein Verderben rennt.“
 

„Bist du dir da sicher? Wirst du ohne ihn nicht einsam sein? Bist es nicht du, der ohne ihn in sein Verderben rennt?“
 

Kaiba sah ihn einfach nur fassungslos an. Was wollte er damit sagen? Obwohl er sich so sehr darum bemüht hatte, niemanden in seine Seele zu lassen und seine verletzliche Seite zu zeigen, hatte Yuugi irgendwo eine Nische entdeckt und sich in sein Herz geschlichen. Es ärgerte ihn, dass Yuugi ihn so gut durchschaute, andererseits hatte er von seinem Rivalen und einem der besten Gamer der Welt nichts anderes erwartet. Viel eher wäre er enttäuscht gewesen, wenn Yuugi nicht durch seine Fassade hätte hindurch blicken können.
 

„Heh“, stieß Kaiba hervor und gab sich geschlagen. Diese Niederlage kratzte stark an seinem Ego.
 

„Seit ich hier bin, hast du dich kein einziges Mal ausgeruht. Du bist wie ein tickendes Uhrwerk, alles willst du perfekt machen und das einzige, das dich zusammenhält ist Mokuba. Der Gedanke, dass Mokuba immer hinter dir stehen wird, hat dir Kraft gegeben. Atems Verlust hat dich sicher genauso getroffen wie mich und bitte sag nicht, dass ich mir das einbilde. Auch wenn du nie gesagt hast, was vorgefallen ist, so wissen wir alle, dass du ihn in der Vergangenheit aufgesucht hast.“
 

„Und was machst das für einen Unterschied? Ich wollte meine Revanche und habe sie bekommen. Das ist alles“, kam es von Kaiba und er stieß seinen Atem laut hörbar aus, von dem er nicht mal gewusst hatte, dass er ihn anhielt. Wieso konnte er nicht einfach den Mund halten? Am liebsten hätte er Yuugi von sich gestoßen und ihm gesagt, dass ihn das alles nichts anging, aber seine Anwesenheit schenkte ihm auf merkwürdige Art und Weise Trost und seine Worte gaben ihm Hoffnung.
 

„Der Grund ist doch völlig egal, Kaiba-kun. Tatsache ist, dass du nur schlecht loslassen kannst. Du bist nie über Atems Fortgehen hinweggekommen und du würdest es nicht ertragen, von Mokuba getrennt zu leben. Du weißt, dass du nicht mehr der einzige Mensch in seinem Leben bist und du redest dir fortgehend ein, dass du niemanden brauchst. Trotzdem will ich dich wissen lassen, dass ich dich da bin und dir gern zuhöre. Ich bin für dich da.“
 

„Wie hast du es geschafft, über Atem hinwegzukommen?“, wollte er dann wissen. Einerseits weil er vom Thema ablenken wollte, andererseits weil es ihn brennend interessierte.
 

„Ich bin nie darüber hinweggekommen. Selbst jetzt denke ich ständig an ihn. Immerhin... war er für mich ja wie ein großer Bruder.“
 

„Und trotzdem kannst du weitermachen, als ob nichts wäre...“, stellte der Brünette eintönig fest.
 

„Ich kann mich sehr glücklich schätzen. Ich habe vieles, was andere Menschen nicht haben. Freunde, die mich immer unterstützen und einen Großvater, der immer hinter mir steht, vollkommen egal, was für Dummheiten ich mache. Und ich habe einen Rivalen, der mich stets anspornt, an mir zu arbeiten und nicht aufzugeben. Ich habe Träume, die ich verwirklichen kann und eine Leidenschaft, die mich antreibt. Das alles lenkt mich davon ab, dass ich etwas verloren habe. Und das nur, weil ich meine Träume mit anderen teilen kann.“
 

„Verstehe. Du bist ein sentimentaler, emotionaler, realitätsfremder Träumer, der in seiner bunten Phantasiewelt lebt und deshalb die harte Welt um sich herum nicht mitbekommt.“
 

„Und was ist schlimm daran, ein Träumer zu sein? Du hast doch sicher auch Träume und Ziele für die Zukunft. Und diese willst du mit Mokuba teilen. Nicht wahr?“
 

„Kannst du damit aufhören, so zu tun, als würdest du mich verstehen? Ich finde es ja ganz reizend von dir, dass du mich aufmuntern willst, aber all das klingt in meinen Ohren einfach nur nach einer kindischen Weltanschauung ohne Grundlage, die ferner der Realität nicht sein könnte. Freunde? Die habe ich nie gebraucht und sie nützen mir nichts.“
 

„Aber wir sind Freunde.“
 

„Sind wir nicht.“
 

„Sind wir doch.“
 

„Sind wir nicht.“
 

„Sind wir doch!“, kam es nun noch lauter von Yuugi und er erhob sich plötzlich von der Coach und sah auf Kaiba mit wütendem Blick hinab.
 

„Ich bin dein Freund! Ansonsten könnte ich nicht hier mit dir sitzen und Kaffee trinken! Ansonsten könnte ich dein dummes Gerede gar nicht ertragen und auch wenn du es nicht zeigen kannst, weiß ich, dass du mich genauso brauchst wie ich dich!“
 

„Unsinn“, lachte Kaiba auf und erhob sich nun, blickte auf seinen Gegenüber herab. Er konnte es nicht leiden, wenn andere auf ihn herabsahen und ihn bevormundeten.
 

„Ist es das? Du brauchst Menschen um dich und genau deshalb ist es so schlimm für dich, dass Mokuba ausziehen will. Doch du hast da etwas völlig falsch verstanden: nur weil er auszieht, heißt das nicht, dass er nicht mehr für dich da ist. Anstelle dir Sorgen zu machen, nicht mehr Teil seines Lebens zu sein, solltest du dir Zeit nehmen, seine Freundin kennenzulernen und ihm Glück wünschen. Denn nach wie vor bist du wichtig für ihn, auch wenn du dich wie ein asoziales Arschloch verhältst.“
 

„Ich gehe zurück an die Arbeit“, kam es mürrisch von Kaiba.
 

„Du ertränkst deine Probleme in Arbeit, was? Du machst es dir ganz schön einfach, denn wenn du sagst, dass du arbeiten musst, ist das die perfekte Ausrede, warum du solchen Gesprächen aus dem Weg gehen kannst. Feigling.“
 

„Ha! Ich bin kein Feigling! Aber im Gegensatz zu dir habe ich einiges zu tun und keine Zeit, hier Däumchen zu drehen.“
 

„Kaiba-kun... ich möchte gern mehr Zeit mit dir privat verbringen. Lass es uns doch wenigstens versuchen. Sei doch nicht direkt eingeschnappt, dadurch wird es nicht besser“, erklärte Yuugi und setzte sich wieder auf die Coach und griff nach seiner Tasse, darauf hoffend, dass Kaiba es ihm gleichtat und sich nicht wieder in Arbeit flüchtete.

Kapitel 32

„Du willst mehr Zeit mit mir verbringen? Yuugi, hast du überhaupt eine Ahnung, wie das klingt? Auch gestern hast du so einen Blödsinn geredet. Ich schätze dich als Kollegen und als Rivalen, aber du siehst in mir etwas, das ich niemals war.“
 

Kaiba setzte sich wieder neben seinen Partner. Als die Couch unter seinem Gewicht ächzte, machte Yuugis Herz einen Freudensprung. Auch wenn Kaibas Worte ablehnend klangen und er unmissverständlich klar machte, dass er nicht beabsichtigte, sich mit Yuugi anzufreunden, so hatte er sich tatsächlich wieder hingesetzt und sich dazu entschieden mehr Zeit mit seinem Rivalen zu verbringen. Und seine Entscheidung, sich wieder hinzusetzen, war für Yuugi Grund genug, zu glauben, dass Kaiba bereit war, sich seinen Ängsten zu stellen und er irgendwo tief in seinem Herzen Yuugi ein Teil seines Lebens werden lassen wollte. Erleichterung machte sich in dem Bunthaarigen breit und er legte seine Hände auf seinen Oberschenkeln ab.
 

Er wusste, dass seine folgenden Worte durchaus missverstanden werden konnten. Und ihm war bewusst, dass Kaiba diese Art von Bindung zu anderen Menschen nicht gewohnt war und dass seine Reaktion negativ sein würde, vollkommen ungeachtet dessen, wie viel Mühe er sich machen würde, ihm seine Botschaft schonend beizubringen. Yuugi mochte Kaiba. Als Freund. Als Partner. Er konnte sich ein Leben ohne diesen nicht mehr vorstellen. Seit acht Jahren hatten sie diese eigenartige Beziehung zueinander. Seit Atem das Diesseits verlassen hatte, wurde ihm umso bewusster, wie wichtig ihm dieser arrogante, selbstverliebte, egozentrische Firmenleiter eigentlich war und jede Ablehnung ließ sein Interesse nur noch mehr wachsen.
 

Immerhin wusste Yuugi, was es bedeutete, wenn man keine Freunde hatte. Man versuchte sich abzulenken. Abzulenken von der Einsamkeit. Immer wenn man sich wünschte, mit anderen über etwas zu sprechen, musste man mit Erschrecken feststellen, dass man völlig allein war und dass jeder verzweifelte Ruf ungehört verhallte. Bis heute fürchtete Yuugi, dass er eines Tages wieder allein sein könnte. Das Vertrauen zwischen ihm und Jounouchi war endlos, dennoch konnte man nie wissen, was in Zukunft geschah. Was wäre wenn sie beruflich getrennt werden würden? Anzu war bereits in Amerika und ihr Herz hatte schon immer für das Tanzen geschlagen. Ihre Wünsche für die Zukunft hatte sie getrennt. Nicht für immer. Aber für den Moment. Und dieser kurze Moment im Leben war genügend Zeit, um einen Menschen zu verändern.
 

Wenn man erwachsen wurde, wurde einem umso bewusster, wie schnell man Menschen verlieren konnte, die einem wichtig waren und umso mehr fürchtete man Veränderungen. Yuugi hatte sich lange Zeit gequält und manchmal hatte er sich gewünscht, nicht mehr da zu sein, da er glaubte, nicht erwünscht zu sein. Immerhin war er schon immer ein Außenseiter gewesen. Im Kindergarten hatten die anderen Kinder sich immer über ihn lustig gemacht. Aber er wehrte sich nicht. Es war Anzu, die sich schützend vor ihn gestellt hatte und ihn sogar ausgeschimpft hatte, weil er sich nicht mal versucht hatte zu verteidigen. In der Mittelschule existierte er nicht einmal. Seine Erinnerungen waren verschwommen. Anzu war nicht in seiner Nähe gewesen und er hatte den Großteil seiner Zeit mit sich allein und Videospielen verbracht. Dass er einsam war, gab er nicht zu. Auch seinem Großvater gegenüber nicht. Stattdessen verbrachte er seine Zeit mit Spielen, während er in der Schule einfach nur der freakige Außenseiter war.
 

In der Oberstufe wurde er seit Langem wieder beachtet. Er war keine Luft mehr, sondern ein jemand, der, wenn auch nicht gerade respektiert von seinen Mitschülern, tatsächlich wahrgenommen wurde. Jounouchi war auch ein Außenseiter. Der Blonde wurde genauso von seinen Mitschülern gemieden, was zum einen an seinen familiären Verhältnissen und ihrer Armut lag, zum anderen daran, dass er ein bekannter Schläger war, der sogar mehr als einmal den langen Arm des Gesetzes zu spüren bekommen hatte. Jounouchi war vorbestraft und somit kein guter Umgang, wurde also genauso gemieden wie Yuugi. Vielleicht fiel es ihnen deshalb so leicht, sich anzufreunden, weil beide das Gefühl der Einsamkeit kannten. Die Angst sich zu öffnen.
 

Yuugi war auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen. Er brauchte ihre Nähe und ohne Menschen, die ihm Bestätigung gaben, ging es ihm wie den meisten: er fühlte sich wertlos, machtlos und wusste nichts mit sich anzufangen.
 

Yuugi war sich sicher, dass es Kaiba genauso ging. In Wirklichkeit wollte er mit Yuugi befreundet sein und weil Yuugi wusste, wie es sich anfühlte, völlig auf sich allein gestellt zu sein und niemanden hinter sich zu haben, konnte er Kaibas ablehnende Haltung gut verstehen und daher schreckte es ihn auch nicht ab, wenn er ihn beschimpfte und ihm sagte, er sollte ihn in Ruhe lassen. Bevor Atem in Yuugis Leben getreten war und bevor er Jounouchi kennengelernt hatte, hatte er ähnliche Bedenken. Die Angst, dass man fallengelassen wurde. Die Angst, sich zu öffnen, da stets die Möglichkeit bestand, dass dieses Vertrauen ausgenutzt werden konnte. Vielleicht wollte Yuugi aus diesem Wissen heraus umso mehr mit Kaiba befreundet sein und ihn aus dieser Situation holen. Er wollte nicht, dass Kaiba allein war.
 

„Auch wenn du es vehement dementierst. Ich mag dich. Du bist ein Freund für mich. Ich weiß, dass ich in der Not auf dich zählen kann. So wie jetzt.“
 

Yuugi legte seinen Kopf leicht schief, seine Ponysträhnen fielen ihm ins Gesicht und er schenkte Kaiba einmal mehr ein warmes Lächeln. Kaiba sah ihn direkt an, glaubte so etwas wie Dankbarkeit in seinem Blick lesen zu können, vor allem aber Zuversicht. Es fiel ihm schwer zu verstehen, warum Yuugi so viel Vertrauen in ihm hatte. Und er fühlte sich schlecht. Neben Yuugi wurde ihm umso bewusster, wie häßlich er selbst war. Neben Yuugi war er nur ein Schatten. Sein helles Licht gab ihm das Gefühl, absolut erbärmlich zu sein und dass all seine Mühen, sich selbst von seinen Gedanken abzulenken, absolut kindisch gewesen waren.
 

Hätte er sich selbst erlauben sollen über Atems Verlust zu trauern? Mit Mokuba mehr reden sollen? Nicht nur über die Arbeitsprozesse in ihrer Firma, sondern über alltägliche Dinge? Sich einen Ruck geben sollen und mit Yuugi etwas trinken gehen sollen? So wie es Mokuba häufiger tat? Wie oft hatte Mokuba ihn darum gebeten, ihn doch zu begleiten und ihm gesagt, dass sie viel Spaß haben würden. Nie hatte er ihm zugehört. Er wollte davon nichts hören. Er wollte allein sein und sich seiner Arbeit hingeben, seine Ziele verfolgen und etwas für die Ewigkeit schaffen. Er wollte stolz auf sein Werk zurückblicken können und ihm eines Tages davon berichten können. Atem sollte wissen, dass Kaiba ihm in nichts nachstand. Das hatte er sich gesagt. Tagein, tagaus. Seine Motivation war es, Atem zu beweisen, dass er auch ohne ihn leben konnte.
 

„Ich bin unendlich froh, dass wir uns noch einmal sehen konnten, doch du weißt genauso wie ich, dass du nicht bleiben kannst. Wir beide haben Verpflichtungen und Aufgaben und eine Familie, die auf uns wartet. Ich habe mein Leben und du hast deines. Du kannst nicht bei mir bleiben. Also lass uns noch etwas Zeit gemeinsam verbringen, bevor wir es beenden.“
 

Das hier war sein Leben und er bekam es allein einfach nicht auf die Reihe. Wenn er Atem in die Augen sehen wollte, musste er andere Menschen zulassen und das war es, was ihm so unendlich schwerfiel. Für ihn war es vollkommen normal, andere Menschen von sich zu stoßen. Jeder andere hätte aufgegeben. Yuugi aber nicht. Immer noch schenkte er ihm ein Lächeln, sprach von Vertrauen, Freundschaft und davon, dass er mehr Zeit mit ihm verbringen wollte. Und so sehr er auch versuchte, ihn wegzustoßen, war er auch irgendwo froh, dass Yuugi immer noch hier war und ihn nicht aufgab. Das war nicht selbstverständlich. Weder ihre Duelle, noch ihre Gespräche. Und dieses Verständnis konnte er nur aufbringen, weil er selbst am eigenen Leib erfahren hatte, was es bedeutete, Menschen zu verlieren, dessen Nähe man für selbstverständlich hielt.
 

Kaiba konnte selbst am wenigsten glauben, dass seine Art zu denken sich in nur wenigen Wochen so sehr geändert hatte. Er war es gewohnt gewesen, dass alles nach Plan lief und alle Menschen in seiner Umgebung nach seiner Pfeife tanzten. Er hatte viel zu vieles selbstverständlich gesehen. Dass Mokuba an seiner Seite war und ihm stets den Rücken deckte. Dass Yuugi seine Herausforderungen brav annahm und dass alle Menschen ihn respektierten. All dies, was ihn seit Jahren zusammenhielt, war nichts weiter als eine Illusion, geschaffen von seiner Unfähigkeit sich mit sich selbst und anderen Menschen auseinanderzusetzen und ihre Gefühle anzunehmen.
 

Auch, dass Atem in dem Millenniumspuzzle war und sein ewiger Rivale sein würde, hatte sich als Trugschluss herausgestellt und er hatte die einzige Chance, ihm Auf Wiedersehen zu sagen, vertan. Als er in Ägypten ankam, waren nicht nur die Ruinen eingestürzt und das Tor zur Totenwelt in heißen Wüstensand vergraben, auch die Person, die ihm stets die Kraft gab, sich zu steigern und nach vorne zu sehen, hatte seine Welt verlassen. Auch wenn er Atem mit Hilfe von Divas Würfel noch einmal sehen konnte, so konnte nichts darüber hinwegtäuschen, dass Atem nicht mehr hier war.
 

All das nur, weil er nicht über seinen Tellerrand geblickt hatte. Für ihn waren all diese Umstände normal gewesen. Nie hatte er sie hinterfragt, da er sich sonst nicht nur seinen eigenen Gefühlen hätte stellen müssen. So sehr es ihm auch widerstrebte, zuzugeben, dass er Unrecht gehabt hatte, musste er sich selbst eingestehen, dass Yuugi ihm diese wichtige Lektion beigebracht hatte. Und weil er bereits Atem verloren hatte, wollte er auf keinen Fall riskieren, Mokuba oder Yuugi zu verlieren.
 

„Ich hatte meine Grenzen erreicht und ich wollte Spherium schon aufgeben, aber dann kamst du und hast mir geholfen. So etwas tun Freunde doch, oder? Und ich würde dasselbe für dich tun, wenn du mich brauchst.“
 

„Das ist rein geschäftlich...“, gab Kaiba leise von sich, als versuchte er, sich selbst von diesen Worten zu überzeugen.
 

„Du bist echt süß, wenn du so schmollst, Kaiba-kun.“
 

„Wie bitte?“, hauchte Kaiba ungläubig und starrte Yuugi entsetzt an.
 

In seinem ganzen Leben hatte es niemand gewagt, ihn süß zu bezeichnen und diese Aussage warf ihn dermaßen aus der Bahn, dass er nicht anders konnte, als Yuugis Geisteszustand anzuzweifeln. Entweder er meinte das ernst – und er betete zu all diesen fiktiven Göttergestalten, dass dem nicht so war und er lediglich einen schlechten Scherz machte – oder aber er wollte ihn provozieren, da er genau wusste, dass Kaiba allergisch auf solche Aussagen reagierte. In den letzten Tagen hatte Yuugi sich mehrmals den Spaß erlaubt, ihn mit solchen Aussagen zu konfrontieren, so, als wollte er Kaiba seine eigene Medizin schmecken lassen.
 

Nur, dass er ihm nett gemeinte Komplimente an den Kopf warf anstelle von zynischen Kommentaren, die unter die Gürtellinie gingen. Yuugi schien genau zu wissen, dass Kaiba sich darüber ärgerte, denn er grinste verschmitzt und amüsierte sich über Kaibas Gesichtsentgleisung.
 

Yuugi ließ sich nicht mehr alles gefallen und konterte problemlos, genau auf seine Schwachstellen zielend und stets mit einem zuckersüßen Lächeln auf den Lippen. Er genoss es, wenn er Kaiba ausspielen konnte und hatte scheinbar großen Spaß daran, auszutesten, wie weit er gehen konnte. Vor zwei Wochen hatte er ängstlich vor sich hin gestammelt und kein Wort herausgebracht und jetzt? Jetzt bot er ihm Paroli und ließ sich nichts mehr gefallen. Kaiba war gleichermaßen beeindruckt, wie genervt.
 

„Ich finde es süß, wenn du so schmollst. Ich meine es so, wie ich es gesagt habe. Das macht dich irgendwie liebenswert und menschlich. Es ist schön, dich als Menschen kennenzulernen und nicht nur als Duellanten mit einer Maske, der nie etwas durchblicken lässt.“ Yuugi wurde leicht rosa um die Nase und wandte den Blick ab.
 

„Und du bist eine Nervensäge“, klagte Kaiba und seufzte so gespielt theatralisch, dass Yuugi lachte.
 

„Ich weiß. ♥“
 

Kaiba nahm einen großen Schluck von seinem Kaffee. Es war nicht mal eine halbe Stunde vergangen und diese paar Minuten hatten sich angefühlt wie eine halbe Ewigkeit. Die Zeit war stehengeblieben und der Druck, immer alles pünktlich fertig zu kriegen und seinen Terminplan 100%ig einzuhalten, war für den Moment wie weggeblasen. Es war irgendwie schön mit Yuugi in seinem Pausenraum zu sitzen, gemeinsam zu frühstücken – auch wenn es sich nur um eine Tasse Kaffee handelte – und zu reden. Yuugi freute sich für Mokuba und erklärte, dass es doch das Natürlichste auf der Welt war, mit einer Person, die einem sehr an Herzen lag, mehr Zeit zu verbringen und mit ihr leben zu wollen.
 

„Wenn du erst mal Onkel wirst, siehst du das alles anders.“
 

Kaiba verschluckte sich an seinem Kaffee und hustete so laut, dass Yuugi nervös wurde und ihn auf den Rücken klopfte, aus Angst er würde ersticken. Normalerweise hätte Kaiba seine Hand weggestoßen, doch er ließ Yuugis Nähe zu und beruhigte sich langsam. Der Schock saß dennoch tief. Er und Onkel? Allein die Vorstellung war doch absurd! Aber er wollte, dass sein Bruder glücklich war und auch wenn es ihm missfiel, dass er früher oder später ausziehen würde, musste er mit sich dieser Umstellung anfreunden und akzeptieren, dass Mokuba nun mal andere Wünsche hatte. Dennoch... Nachwuchs in der Familie Kaiba?
 

Yuugi meinte, dass Mokuba sich glücklich schätzen konnte, da er einen Partner gefunden hatte, der ähnliche Ziele im Leben verfolgte. Es war wichtig, jemanden an seiner Seite zu haben, mit dem man über Arbeit und Hobby reden konnte. Jemanden, der ähnliche Ziele verfolgte und echtes Interesse hatte. Verständnis und dieselbe Passion für etwas wären grundlegende Bausteine einer Beziehung. Wer immer Kompromisse eingehen musste, sich verstellen musste oder gar auf Dinge verzichten musste, die er mochte, weil der Partner andere Interessen hatte, würde nicht glücklich werden. Kaiba hatte ihm einfach nur zugehört und kein Mal unterbrochen. Yuugi schien eine Menge Ahnung von Beziehungen zu haben, obgleich er nie eine gehabt hatte. Ihm wurde aber umso bewusster, dass er Mokuba ziehen lassen musste und dass es vielleicht gar nicht so schlimm war, dass Yuugi in seiner Nähe war.
 

Es war später Nachmittag als Kaiba das Büro verließ. Er hatte sich dagegen entschieden, weitere Überstunden zu machen, da Mokuba zu Hause auf ihn wartete.
 

Trotzdem wurde er dieses Bild nicht los. Immer wieder kehrte es vor seinem geistigen Auge zurück. Dieses verdammte Lächeln! Diese Fürsorge! Dieses Interesse, seine unglaublich offenherzige Art.
 

Yuugi hatte ihn den ganzen Tag mit einem breiten Grinsen angestrahlt und erzählte ihm Dinge, die er gar nicht hören wollte. Der Laden seines Großvaters hätte noch eine Warenladung von Capsule Coliseum geschickt bekommen und sie wüssten nicht mehr, wo sie die ganzen Kisten stapeln sollten, aber sein Großvater wäre unheimlich glücklich, weil er rege Kundschaft erwartete. Und er erzählte von Nomura und ihrem klärenden Gespräch. Gut, dass Nomura sich entschuldigt hatte und die Sache somit hoffentlich vom Tisch. Er wollte nicht einen seiner besten Entwickler feuern müssen, nur weil dieser eifersüchtig auf seinen Geschäftspartner war. Auch wenn Kaiba das niemals laut aussprechen würde, so würde er sich im Notfall für Yuugi entscheiden und das Risiko auf sich nehmen einen guten Angestellten zu verlieren, da er Yuugi viel zu sehr schätzte, als dass er ihn wegschicken wollte.
 

Er war nervig und indiskret. Er stellte Fragen, obwohl er wusste, dass Kaiba sie nicht beantworten wollte. Und er bohrte so lange nach, bis er die Reaktion bekam, die er haben wollte. Er nahm sich sogar das Recht heraus, ihn zu kritisieren und ihm seine Meinung zu sagen.
 

Wann hatte sich Yuugi so sehr verändert? Zwischendurch schien seine unsichere Seite noch durch, aber er fasste sich genauso schnell und zeigte weitaus reifere und professionellere Züge als zuvor. Dass die Arbeit mit einem unnachgiebigen und sarkastischen Chef ihn prägte war offensichtlich. Oder lag es daran, dass Kaiba ihn bereits mehrmals motiviert hatte und ihm versichert hatte, dass er ihm vertraute und in ihm einen würdigen Partner sah? Hatte der Abend zuvor so viel verändert? Er schien sich an Kaibas Desinteresse, seine mürrischen Antworten und sarkastischen Kommentare gewöhnt zu haben und nahm seine Herausforderungen zum Wortgefecht instinktiv an, konterte so gut es ihm möglich war und zeigte Kaiba seine Grenzen auf.
 

Diese Art der Dominanz, die Yuugi zeigte, gefiel Kaiba. Stärke war etwas, von dem Kaiba der Ansicht war, dass es das Wichtigste auf der Welt war. Wer stark war, dem waren alle Möglichkeiten offen. Yuugi wurde mit jedem Tag stärker und selbstsicherer. Die Aufgaben in der KC und die Zusammenarbeit mit dem Brünetten härteten ihn ab und bereiteten ihn auf seine zukünftigen Aufgaben vor. Er kleines Lächeln huschte über Kaibas Lippen und er stieg mit einem Kopfschütteln in seine Limousine ein. Isono grüßte er leise. Dieser verzog das Gesicht, hob skeptisch eine Augenbraue, sagte aber nichts weiter.
 

Dass Yuugi ihn süß nannte – selbst bei dem bloßen Gedanken kam ihm das blanke Entsetzen wieder hoch und sein Gesicht nahm eigenartige Züge an, die zwischen Ekel, Abscheu und absoluter Verwunderung hin und herwechselten – hatte einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen. Yuugi war sehr emotional und zeigte seine Gefühle etwas zu offen, auch wenn er wohl selbst der Ansicht war, dass er sie gut verheimlichte und zurückhaltend war. Von einem Pokerface konnte man nicht gerade sprechen.
 

Wenn er sich schämte, senkte er den Blick und seine Wangen und Ohren liefen rot an. Wenn ihm etwas peinlich war, kratzte er sich verlegen an der Wange und vermied den Blickkontakt. Wenn er sich freute, strahlten seine Augen und er riss den Mund weit auf, während seine Augenbrauen in die Höhe schossen. Wenn er sich ärgerte oder ihm etwas missfiel, zog er die Augenbrauen runter, formte einen Schmollmund und vermied es Kaiba anzusehen. Kaiba staunte selbst darüber, wie gut er Yuugis Körpersprache deuten konnte. Ohne es zu wollen, hatte er viel zu viel Zeit damit verbracht, Yuugi anzuschauen und sich Gedanken über ihn zu machen.
 

Sein warmes Lächeln war etwas, das Kaiba nicht mehr aus dem Kopf bekommen wollte. Yuugi war authentisch und er verstellte sich Kaiba gegenüber nicht. Wenn ihn etwas störte, sagte er es auch. Die Konsequenzen waren ihm auch egal und wenn Kaiba laut wurde, nahm er das nicht persönlich. Und diese Echtheit, Yuugis Wesen an sich, beschäftigte Kaiba immer häufiger. Die meisten Menschen verstummten, wenn sie den Firmenchef sahen. Sie wollten bloß nicht negativ auffallen und nickten immer zustimmend. Die wenigen, die den Mund aufmachten, konnte Kaiba sehr schnell argumentativ aushebeln, sodass sie sich zukünftig zurückhielten. Aber Yuugi war einfach anders.
 

Schon bei ihrer ersten Begegnung hatte er gespürt, dass er anders war. Er durchschaute seine Maske und erkannte das falsche Lächeln, das Kaiba sonst auf den Lippen trug. Es war so einfach Menschen mit einem Lächeln zu manipulieren. Man musste ihnen einfach nur das vorleben, was sie sehen wollten. Die Worte in den Mund nehmen, die sie hören wollten. Sich seinem Gegenüber anzupassen und ihn mit freundlichen Worten und einem falschen Lächeln zu täuschen, war etwas, das Kaiba in Fleisch und Blut übergegangen war. Als er von Yuugis besonderer Karte, den Blauäugigen Weißen Drachen mit eiskaltem Blick, hörte und er sah, dass Yuugi sie in seiner Tasche bei sich trug und bei seinen Mitschülern vorstellte, hatte dies seine Begierde geweckt.
 

Er wollte den Weißen Drachen haben. Yuugi war nur ein Hindernis gewesen. Ein viel zu netter Junge. Schüchtern. Traute sich selten, seine Meinung zu sagen und fiel auch sonst nicht sonderlich auf. Nur wenn er neue Spiele mitbrachte, kamen seine Klassenkameraden auf ihn zu und nur dann schien er zur Klassengemeinschaft zu gehören, ansonsten war er einfach nur ein Außenseiter. Der kleine, unscheinbare Nerd, der nie den Mund aufmachte und viel zu sehr darauf achtete, niemanden zu verletzen. Das alles hatte Kaiba in ihm gesehen noch lange bevor sie das erste Wort miteinander gewechselt hatten.
 

Für Kaiba war es ein Leichtes, seinen Gegenüber zu durchschauen und in seine Seele zu blicken. Die Schwächen eines jeden Menschen waren offensichtlich und immer erkennbar, wenn man sich die Zeit nahm, sie zu beobachten und sich ihnen anzupassen. Kaiba hatte keine familiäre Liebe kennengelernt. Er hatte nie eine richtige Familie und für ihn war es vollkommen normal, die Menschen in seiner Umgebung mit Argwohn und Misstrauen anzusehen, da er sich der Macht der Worte und eines Lächeln bewusst war. Menschen spielten miteinander. Nur wer als Sieger im Spiel der sozialen Gesellschaft hervorging, konnte ein halbwegs normales Leben führen und die Fähigkeit, sich eine Maske überzuziehen und sich zu verstellen, hatte Kaiba bereits mit sehr jungen Jahren erlangt.
 

Sein Vater war stets arbeiten und als seine Mutter starb, war er fast vollkommen allein mit Mokuba zurückgeblieben. Sie hatten ein Kindermädchen, das sich um den Haushalt kümmerte, wenn ihr Vater auf der Arbeit war. Zwei Kinder als alleinerziehender Vater großzuziehen war nicht einfach und Kaiba hatte mit jungen Jahren verstanden, dass ihr Vater keine Zeit hatte. Er musste arbeiten. Seine Arbeit und das Geld waren ihm wichtiger als seine Kinder. So hatte er es gesehen. Das nette Lächeln des Kindermädchens sollte ihm eine heile Welt vortäuschen, doch er konnte das Gefühl nie abschütteln, dass ihr Lächeln erzwungen war. Sobald sie die Wohnung verließ, waren die beiden Kinder auch wieder vergessen.
 

Auch im Waisenhaus, in dem er und sein Bruder gelandet waren, war ihm mit jedem Tag mehr und mehr bewusst geworden, wie wichtig es war, seinen Gegenüber zu täuschen. Er täuschte ein Lächeln. Den Erziehern gegenüber. Den anderen Kindern und sogar seinem eigenen Bruder gegenüber. Sie alle sollten nichts davon wissen, dass er seine gute Laune nur spielte und dass auch er innerlich von Sorgen geplagt wurde. Sein Hass auf die Gesellschaft und die Erwachsenen, die ihn als Versager gebrandmarkt hatten und ihn in dieses Waisenhaus abgeschoben hatten, war so groß, dass er nicht anders konnte, als das Sozialkonstrukt ihrer Gesellschaft zu hinterfragen. Nur wer Geld und Macht besaß, hatte Chancen auf ein richtiges Leben. Auf Anerkennung. Nur wer reich war, war ein wichtiger Teil der Kette. Dass ein reicher Kerl ausgerechnet ihr Waisenhaus besuchen wollte, kam ihm da gerade recht, so hatte er diese Chance wahrgenommen und diesen reichen Mann herausgefordert. Um sein Ziel zu erreichen, war ihm jedes Mittel recht.
 

Als Gozaburou ihn und Mokuba adoptierte, wurde ihm nur noch mehr bewusst, wie wichtig es war, stets diese eiserne Maske aufzubehalten und niemanden sein wahres Wesen zu zeigen. Sich zu fügen und mitzuspielen.
 

Bis zu diesem einen Tag hatte ihn niemand durchschauen können. Nichtmal Gozaburou hatte auch nur die leiseste Ahnung davon, dass er sich seinen eigenen Konkurrenten und seinen größten Gegenspieler großzog. Dass sein vermeintlicher Nachfolger drauf und dran war, ihm seine Firma abzuluchsen, wäre ihm wohl nie in den Sinn gekommen. Denn Kaiba hatte diese Maske nie abgelegt und sein gesamtes Umfeld getäuscht. Diese Rolle, die er spielte, war ein Teil von ihm geworden. Nicht einmal Mokuba war in der Lage gewesen, ihn zu durchschauen und auch wenn er sich schämte, die Bereitschaft gehabt zu haben, seinen eigenen Bruder zu opfern, so konnte er nicht verleugnen damals so gefühlt zu haben. Ihm war alles egal geworden. Ihn interessierte nur noch Macht. Stärke. Absolute Herrschaft. Denn nur so konnte man überleben.
 

Dass ausgerechnet ein Junge wie Yuugi – schüchtern, schwach, ängstlich, verträumt und viel zu liebenswert für diese Welt – seine Maske durchschaute und sein falsches Spiel erkannte, hatte ihn damals gleichermaßen schockiert wie auch fasziniert. Diese Kränkung konnte er ihm nicht verzeihen.
 

Die Kopie des Weißen Drachens hatte Yuugi sofort erkannt. Er hatte bemerkt, dass die Karte, die Kaiba ihm zurückgegeben hatte, nicht die echte war und er zögerte nicht, ihn darauf anzusprechen. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er einen Menschen getroffen, der ihn durchschaute und das machte ihm Angst.
 

Erst heute wurde ihm so richtig bewusst, dass nicht Atem derjenige war, der ihn damals durchschaut hatte, sondern Yuugi. Vielleicht hätte er dem echten Yuugi von Anfang an mehr Aufmerksamkeit schenken sollen, denn viel zu lang hatte er nur Augen für Atem. Der Mann, der ihm in seinem Spiel bezwang und ihm seine Grenzen aufwies. Nie hatte er Yuugi als Gefahr angesehen. Immerhin blieb er stets im Hintergrund und schwieg. Er ließ Atem für sich kämpfen, also war Kaiba automatisch davon ausgegangen, dass Yuugi schwach war. Dass dies ein Trugschluss war, war ihm erst viele Jahre später aufgefallen.
 

Vielleicht hatte er es einfach nur nicht wahrhaben wollen, dass dieser mickrige Knirps genauso ein Genie war wie er selbst und dass seine Fähigkeit, sein perfekt gespieltes Theater, seiner Begabung Menschen zu manipulieren und ihnen direkt ins Gesicht zu lügen, mit nur einem Blick zu durchschauen, seiner ebenbürtig war. Yuugi konnte durch seine Fassade blicken. Zunächst hatte er sie gefürchtet. Diese Amethyste, die sein wahres Wesen zu ergründen versuchten und die Lügen, von denen er so sehr versuchte sie selbst zu glauben, durchschauten.
 

Er hatte Yuugi unterschätzt. War es das, was Atem meinte? War das die Stärke, von der Atem immer wieder sprach und wieso er Yuugis seiner selbst überlegen anerkannte? Atem war der felsenfesten Überzeugung, dass Yuugi stärker war als er. Und Kaiba hatte dies nie glauben wollen. Aber so langsam verstand er, was Atem meinte. Yuugi hatte ihm seine kaltblütige, abweisende, distanzierte Art nie geglaubt. Auch die Worte, die er an ihn richtete, nahm er nicht ernst. Er schenkte ihm selbst dann noch ein Lächeln, wenn er versuchte, ihn mit Blicken allein zu zerschmettern.
 

»Wer die Vergangenheit zerstört, eröffnet sich einen Weg in die Zukunft. Nur Macht ist verlässlich. Auf dieser Welt gibt es keinen Platz für Freundschaft oder Brüderlichkeit. Täusche oder du wirst getäuscht. Lüge oder du wirst belogen. Hasse oder du wirst gehasst.«
 

Diese Worte waren sein Mantra. Viel zu oft hatte er sie wiederholt und wollte sie glauben und mit jedem Mal, mit dem er sie aussprach, wollte er sich selbst davon überzeugen, dass sie wahr waren. Dass es keinen anderen Lebensweg gab. Dass man niemanden vertrauen durfte. So sehr wollte er an diese Worte glauben und er hatte gehofft, je öfter er sie wiederholte, desto mehr würden sie zur Realität werden. Doch mit Yuugi an seiner Seite, der ihm diese Worte einfach nicht glaubte und ihm einen anderen Weg aufwies, fiel es ihm von Mal zu Mal schwieriger, dieses Mantra, das ihn seit so vielen Jahren begleitete, aufrechtzuerhalten.
 

Diese Worte verschwanden mehr und mehr in der Bedeutungslosigkeit, weil dieser dumme Kerl ihn einfach nicht in Ruhe ließ. Yuugi lief ihm regelrecht hinterher und er hätte ihn von einem Wolkenkratzer schubsen oder gar mit einer Pistole auf ihn zielen können, er hätte weiterhin an die Macht der Freundschaft geglaubt und ihm gesagt, dass er ihm vertraute. Dieses unerschütterliche Vertrauen, dass Yuugi ihm entgegenbrachte schockierte Kaiba. Er fürchtete sich davor. Und doch konnte er nicht anders, als diesen Kerl immer näher an sich heranzulassen, weil er seine Gedanken nicht nachvollziehen konnte und er ihn genauso durchschauen wollte wie er ihn.
 

Yuugi durchschaute ihn. Yuugi verstand ihn sogar besser als er sich selbst. Jedes Mal, wenn Kaiba ihm sagte, dass er ihn hasste und er ihn in Ruhe lassen sollte, lächelte er einfach nur und war am nächsten Tag wieder da. Wieder mit diesem ruhigen und sorglosen Lächeln, als wäre nie etwas passiert. Yuugis Fähigkeit sein Schauspiel zu durchschauen und die Worte, die er sprach, nicht ernst zu nehmen und ihn weiterhin als Menschen, gar als guten Freund wahrzunehmen, erstaunte ihn. Diese Fähigkeit war etwas Besonderes und vielleicht konnte er nur deshalb Yuugi als seinen neuen Rivalen akzeptieren. Sogar als Geschäftspartner.
 

Jeden Abend schickte er ihm eine Nachricht auf sein Smartphone, wünschte ihm eine Gute Nacht und schrieb sogar, dass er sich auf den nächsten Tag freute. Auch heute. Sein Smartphone vibrierte und er zog es wie gewohnt heraus. In den letzten Tagen hatte er beinahe sehnsüchtig darauf gewartet, dass Yuugi eine Nachricht schickte, damit er dieses leidige Thema von seiner Liste streichen konnte und Ruhe hatte. Es war ein Teil seiner Tagesroutine geworden. Genau genommen hätte er sich Sorgen gemacht, hätte Yuugi ihm keine Nachricht geschickt. Der Tag, an dem Yuugi aufhörte, ihn über dieses Nachrichtensystem zu nerven, würde bedeuten, dass er Yuugi endgültig von sich gestoßen hatte und dieser niemals wieder kommen würde. Der Gedanke, Yuugi verlieren zu können, machte ihm sogar ein wenig Angst.
 

Verträumt las er die Zeilen, die Yuugi ihm geschickt hatte.
 

Mokuba grinste über beide Ohren, als er sah, dass Kaiba sein Smartphone in der Hand hielt und beinahe neugierig über den Bildschirm wischte. Für einen Bruchteil einer Sekunde hatte sich sein Mundwinkel gehoben und natürlich konnte sein kleiner Bruder nicht anders, als diese Regung in seinem Gesicht zu kommentieren.
 

„Pünktlich zu Hause und dann noch ein Lächeln. So gefällt mir mein Bruder gleich viel besser“, sagte er und zeigte mit dem Löffel auf den Brünetten, welcher nun sein Smartphone zur Seite legte und ebenfalls nach seinem Löffel griff, diesen in den Reis tauchte und so tat, als hätte er nichts gehört.
 

„Wer hat dir geschrieben? Komm schon, spuck's aus!“, bohrte Mokuba nach und grinste nur noch breiter.
 

„Ein Arbeitskollege. Nichts Wichtiges.“
 

„Sicher... seit wann gibst du Arbeitskollegen deine private Nummer? Mach mir nichts vor!“
 

„Es ist niemand Wichtiges. Nur eine Spammail. Die wird später gelöscht“, verteidigte sich Kaiba und aß weiter, versuchte sich keinerlei Gefühlsregung anmerken zu lassen. Dieser dämliche Yuugi! Was musste er ihm auch ständig irgendwelche lächerlichen Nachrichten schicken? Dabei wusste er doch ganz genau, dass Kaiba sie nie beantwortete. Wozu machte er sich überhaupt die Mühe? Und warum öffnete er diese Nachrichten überhaupt? Es war ja nicht so, als hätte er eine Verpflichtung zu erfüllen.
 

„Ach so. Heiße Frauen in deiner Nähe erwarten dich oder so etwas in der Art? Verstehe, so vergnügt sich mein Bruder also, wenn ich nicht da bin.“
 

„M-mokuba?!“, stieß Kaiba hervor.
 

„Was? Habe ich was Falsches gesagt?“, fragte Mokuba gespielt unschuldig nach und klimperte mit den Wimpern, während sein breites, vielsagendes Grinsen von einem Ohr zum anderen reichte und er genau wusste, dass er ein für seinen Bruder unangenehmes Thema angesprochen hatte. Für Mokuba war das völlig normal und er hatte wenig Hemmungen über Sex und Liebe zu sprechen, weshalb es ihn umso mehr amüsierte, wie beinahe unschuldig sein großer Bruder reagierte, wenn er Witze in diese Richtung machte.
 

„Wie kommst du auf so einen Unsinn?!“, wollte Kaiba wissen. Seine Ohren mussten ihm einen Streich gespielt haben.
 

„Seto, ich bin erwachsen. Ich habe auch Bedürfnisse. Jeder hat die, das ist normal. Und wenn dir so etwas Spaß macht, verurteile ich dich nicht. Also, wenn du dich mit heißen Frauen in deiner Nähe treffen willst, ist das voll in Ordnung für mich. Ich plapper nichts aus.“
 

Mokuba grinste. Kaiba war schockiert. Ihm fiel buchstäblich die Kinnlade in den Keller. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er ihn an. Ihm war buchstäblich die Verwirrung ins Gesicht geschrieben.
 

„Ich treffe mich nicht mit heißen Frauen! Also wirklich! Yuugi hat mir nur eine Gute Nacht gewünscht, da ist rein gar nichts Verwerfliches dran! Bitte ziehe nicht solche voreiligen Schlüsse!“
 

„So, so... Yuugi also. ♥“
 

„Dein selbstgefälliges Grinsen gefällt mir gar nicht...“
 

Kaiba wurde das Gefühl nicht los, dass Mokuba irgendetwas in den falschen Hals bekommen hatte.

Kapitel 33

Am nächsten Tag war Yuugi wieder fröhlich gelaunt ins Büro gekommen, er summte ein Lied und seine Bewegungen hatten tänzerische Züge an sich. Hin und wieder sang er etwas und wippte mit seinem Kopf im Takt zu der Melodie, die ihm offensichtlich nicht mehr aus dem Kopf ging. Kaiba sagte nichts. Er schüttelte nur den Kopf und genoss still und heimlich Yuugis Summen. Glücklicherweise war seine Stimme angenehm.
 

Yuugis Stimme erfüllte den Raum, dennoch erledigte er seine Aufgaben ohne Meckern und in angemessener Geschwindigkeit. Wenn überhaupt schien dieses pausenlose Gequassel ihn sogar noch zu motivieren und spornte ihn zu Höchstleistungen an. Er hatte weit mehr Dokumente bearbeitet und fertiggestellt, als er ihm zugetraut hatte. Yuugis Anwesenheit empfand er mittlerweile sogar als angenehm. Kaiba verglich Yuugis Stimme gerne mit einem Radio: Man arbeitete konzentriert und hatte eine Hintergrundmusik laufen, die einen melodisch antrieb und einen zwischendurch ein ungewolltes Lächeln oder gar rhythmisches Kopfnicken entlockte.
 

„Du hörst mir schon wieder nicht zu, Kaiba-kun“, seufzte Yuugi schließlich.
 

Kaiba hob den Blick und betrachtete ihn eingehend. Verdammt. Schon wieder war er geistesabwesend gewesen und hatte sich über nichtige Dinge Gedanken gemacht. Das lag einzig und allein an Yuugi! Wieso lenkte seine Anwesenheit ihn nur so sehr ab?
 

„Das liegt nur an deinem nervigen Geträller!“, verteidigte er sich und schämte sich ein wenig, wie ein eingeschnappter Teenie geklungen zu haben.
 

„Wa-?!“, kam es erstaunt von Yuugi, der leicht rot um die Nase wurde.
 

„Du lenkst mich ab, wenn du die ganze Zeit vor dich hinsummst...“, murmelte er dann, beinahe erleichtert, eine gute Ausrede gefunden zu haben.
 

„Tut mir Leid. Ich war mir nicht bewusst, dass ich dich störe.“
 

„Schon gut...“, meinte Kaiba daraufhin und ärgerte sich, dass Yuugis Stimme nun vollends verstummte.
 

Er hatte ihm etwas auf den Schreibtisch gelegt und sich wieder an seine eigenen Dokumente gesetzt, wo er höchst konzentriert einige Zahlen mit dem Taschenrechner überprüfte und hier und da etwas korrigierte. Kaiba wusste nicht, warum er dieses Bedürfnis hatte, Yuugi zu betrachten und ihn bei seiner Arbeit zu beobachten oder warum ihn diese Stille zwischen ihnen so viel Unbehagen bereitete. Yuugis Summen war angenehm gewesen und jetzt, wo er es nicht mehr hörte, ärgerte er sich über sich selbst, weil er genau wusste, dass er selbst Schuld daran war, dass Yuugi sein Liedchen eingestellt hatte.
 

„Du musst dich nicht wegen mir zurückhalten. Von mir aus kannst du gerne weitersingen oder summen, was auch immer...“, sagte Kaiba und vermied es von seinen eigenen Unterlagen aufzuschauen. Er spürte, dass Yuugi ihn ansah, aber er tat so, als hätte er nichts mitbekommen. Yuugi kicherte amüsiert. Kaiba ließ den Kopf hängen. »Nervensäge...«, war das erste Wort, das ihm durch den Kopf ging und dennoch huschte für nur einen winzigen Moment ein kleines Lächeln auf seine Lippen und er fühlte sich direkt viel wohler.
 

Am Nachmittag hielten sie eine weitere Konferenz ab. Kaiba besprach den Monatsabschluss, erwähnte den Fortschritt der einzelnen Abteilungen und gab klare Anweisungen an die Projektleiter und wie sie ihre Zeit einzuplanen hatten. Zudem war die Veröffentlichung von Capsule Coliseum ein großes Thema. Mokuba saß seinem Bruder gegenüber und lauschte gespannt dessen Worten. Kaiba erwähnte die Anzahl der Vorbestellungen und meinte, dass die Marketingabteilung einen grandiosen Job gemacht hätte. Applaus erfüllte den Raum. Die Stimmung war weitaus angenehmer als beim letzten Mal. Kaiba machte Witze und ließ seinen Mitarbeitern sogar genügend Zeit, ihre Standpunkte zu erläutern, bevor er sie unterbrach.
 

„Nomura-san“, kam es dann von Kaiba und er sah ihm direkt in die Augen. Es wurde still.
 

Nomuras Herz machte einen Aussetzer. Das war es dann wohl. Jetzt würde er seine Kündigung bekommen, weil er es gewagt hatte, die kleine Schwuchtel vor versammelter Mannschaft zurechtzuweisen und gelenkt von seinen Emotionen sogar zu verletzen. Obwohl er sich bei dem Knirps entschuldigt hatte, konnte er ihn einfach nicht akzeptieren und wie er so selbstgefällig direkt neben Kaiba saß und es als Selbstverständlichkeit ansah, dieselbe Luft wie dieser Mann zu atmen und sogar die Frechheit besaß, ihn zu unterbrechen und dafür auch noch ein anerkennendes Nicken zu erhalten, trieb ihn noch in den Wahnsinn. Was dachte dieser Jüngling überhaupt, wer er war?
 

Nomura lief Schweiß über die Stirn und er schluckte hart.
 

„Dank Ihnen läuft die Entwicklung von Duel Links reibungslos. Ich möchte Ihnen nochmal persönlich danken und Ihnen sagen, dass ich es kaum mehr erwarten kann, bis die Beta fertig ist.“
 

Kaiba lächelte leicht und nickte ihm zu.
 

Nomura starrte ihn nur wortlos an. Mit allem hatte er gerechnet, nur nicht mit einem Kompliment.
 

„Nächsten Monat habe ich eine große Ankündigung und ich werde Ihnen allen sagen, wieso mein größter Rivale Mutou Yuugi hier unter Ihnen sitzt“, sagte er mit strenger Miene, nickte Yuugi zu und ließ dann seinen Blick in die Runde schweifen. Die meisten von ihnen wirkten überrascht. Auch Mokuba hob eine Augenbraue und fragte sich, was sein Bruder meinte. Yuugi hatte mal gesagt, er würde an einem Prototyp für ein Spiel arbeiten, aber immer wenn er nachgefragt hatte, hatte er nur gemeint, dass er sich gedulden müsste.
 

Er hatte sich tatsächlich darüber gewundert, warum sein Bruder Yuugi eingestellt hatte. Doch immer wenn er nachfragte, hatte er nur mit „Das wirst du schon noch sehen“ geantwortet. Kaiba machte ein großes Geheimnis daraus, warum Yuugi in der KC ein und ausging. Aber so war er nun mal, sein Bruder. Wenn er sich etwas in de Kopf gesetzt hatte, war er nur schwer wieder davon abzubringen. Und Mokuba fand, dass Yuugi einen positiven Einfluss auf seinen Bruder hatte, also hatte er seine Worte so angenommen und sich still und heimlich darüber gefreut, dass sein sonst so stiller und abweisender Bruder gemeinsame Sache mit seinem Rivalen machte. Mokuba war sich sicher, dass sein Bruder einfach nur zu stolz war, um zuzugeben, dass er Yuugi gerne um sich hatte und dass er ihn nicht mehr nur als Rivalen ansah.
 

So langsam entwickelte sich etwas zwischen den beiden und der Schwarzhaarige war sich ziemlich sicher, dass die Rivalität zwischen ihnen nur Gutes haben konnte und ihre Freundschaft positiv beeinflussen würde. Vermutlich hätte Kaiba ihm die Ohren langgezogen, hätte er seine Gedanken gehört.
 

„Zunächst sollten wir uns aber auf die noch laufenden Projekte konzentrieren. Nächste Woche kommt Capsule Coliseum auf den Markt, der neue Duel Disk wird ebenfalls von Duel Monsters Spielern auf der ganzen Welt erwartet und die neue Attraktion in den Kaiba Parks wird weltweit Ende des Monats zur gleichen Zeit freigegeben. Momentan gibt es noch einige Testläufe, aber ich bin zuversichtlich, dass alles gut laufen wird und dass die viel echter aussehenden Hologramme in den Geisterbahnen gut aufgenommen werden...“
 

Kaiba verzog keine Mine. Er schien alles bis aufs Detail geplant zu haben und seine selbstsichere und überzeugte Ausstrahlung ließ bei seinen Angestellten schiere Begeisterung aufkommen. Auch Yuugi konnte nicht anders, als sich von diesem Enthusiasmus anstecken zu lassen und starrte den Firmenchef neben sich ganz genau an, beobachtete etwas zu lang wie sich seine Gesichtsmuskulatur beim Sprechen bewegte und wie seine Augen voller Leben strahlten und der sonst so desinteressierte und abschätzige Blick völlig verschwand. Yuugi schätzte diese Seite an Kaiba.
 

„Das war eine gute Konferenz. Wir haben viele Ergebnisse zusammengetragen“, schlussfolgerte Kaiba und wandte sich direkt an Yuugi, der bestätigend nickte. Die meisten Teilnehmer der Konferenz hatten den Raum verlassen. Mokuba beugte sich über seine Unterlagen und schien sich einige Notizen, die er zwischenzeitlich gemacht hatte, nochmal durchzulesen. Zumindest machte dies von außen den Eindruck, denn mit einem Ohr belauschte er die beiden, um sich ein besseres Bild ihrer Zusammenarbeit zu machen. Er durfte nur nicht zu sehr auffallen.
 

„Stimmt... aber bist du dir sicher, dass du bereits unser Projekt ansprechen willst? Was ist, wenn sie mich nicht akzeptieren und das negativ auf dich zurückfällt?“ Yuugi hob skeptisch eine Augenbraue.
 

„Diese Bedenken hatte ich auch, aber...“ Er machte eine kleine Pause, verstaute sämtliche seiner Utensilien in seiner Tasche und sah Yuugi dann direkt in die Augen.
 

„Du hast dich so gut entwickelt und wächst an deinen Aufgaben. Als Projektleiter wirst du dich sicher genauso schnell einfinden und zur Not bin ich auch noch da. Es ist nicht so, dass ich dir jetzt die gesamte Verantwortung übergebe. Ich werde stets ein wachendes Auge auf dich haben und dir unter die Arme greifen, wenn ich merke, dass es zu viel für dich wird.“
 

„Danke, Kaiba-kun.“
 

Mokuba blinzelte ungläubig und versuchte einen kleinen Blick zu erhaschen, ohne es so aussehen zu lassen, dass er die beiden absichtlich beobachtete.
 

„Moment... heißt das, du bist mit der Planung von Spherium durch und bist mit den Blaupausen fertig?“
 

„Genau das bedeutet das. Ich habe bereits eine genaue Vorstellung, wie wir Spherium realisieren werden und ich kann dir versichern, dass die KC das einzige Unternehmen ist, dass dieses Vorhaben realisieren kann.“
 

„Dann warst du ja genau die richtige Wahl ♥“, kicherte Yuugi amüsiert. Mokuba wurde hellhörig. Hätte er es nicht besser gewusst, hätte er geglaubt, dass Yuugi mit seinem Bruder flirtete. Rasch schüttelte er diesen Gedanken wieder ab. Sein Herz schlug vor Aufregung schneller und er lauschte gespannt, wie ihre Konversation weiter ging. Nicht nur, dass sein Bruder so freundlich war verwunderte ihn, sondern viel mehr wie die beiden miteinander umgingen. Kaiba hörte sich nicht verkrampft an. Er zwang sich nicht dazu, freundlich zu sein, sondern viel mehr schien er offen heraus das auszusprechen, was ihm im Kopf umher geisterte. Diese neue Seite seines Bruders fand er großartig und er wünschte sich, er würde so bleiben.
 

„Natürlich. Es gibt keinen Besseren als mich.“
 

„Jetzt hör aber auf... Eigenlob stinkt“, erklärte er und erhob sich vom Stuhl und grinste Kaiba an.
 

„Sonst lobt mich doch keiner und gib es ruhig zu... du hast mich doch nur an mich gewendet, weil du genau wusstest, dass ich der einzig Richtige für diesen Job bin.“
 

„Ja, deinem unglaublichen Charme erliegt wohl jeder... ich fände es aber schön, wenn du mich in deine Pläne einweisen würdest und wir die weitere Vorgehensweise gemeinsam planen würden.“
 

„Selbstverständlich. Wie wäre es mit morgen Abend? Ich lade dich ein.“
 

„Hey, wenn du mich zum Essen einladen willst, musst du dir ein bisschen mehr Mühe geben!“, scherzte Yuugi und zwinkerte.
 

„WAS?“, stießen Kaiba und Mokuba gleichzeitig geschockt hervor.
 

Kaiba und Yuugi sahen nun Mokuba fragend an, welcher sich beschämt räusperte und so tat, als hätte er sich an irgendetwas verschluckt und ein ziemlich gestelltes Husten vortäuschte. So schlecht gespielt, dass nicht mal Mokuba seine eigene kleine Vorstellung abkaufen konnte. Es klang wirklich so, als wollte sein Bruder sich mit Yuugi verabreden! War es denn seine Schuld, dass er diese Worte so zweideutig interpretiert hatte? Wohl kaum! Die Blicke der beiden wurde ihm langsam unangenehm und er räumte übereilt seine Sachen zusammen und huschte mit hochrotem Kopf aus dem Raum heraus.
 

„Was hat er denn?“, fragte Yuugi beiläufig, während der Brünette nur den Kopf schüttelte.
 

„Ein verdrehtes Weltbild vermutlich.“ Kaiba zuckte mit den Achseln.
 

„Das sagt genau der Richtige, Mister Geld-regiert-die-Welt und ich brauche nichts und niemanden an meiner Seite.“
 

„Von dir nehme ich keine Kritik an, Mister Meine-Welt-ist-Rosa.“
 

„Rosa ist doch keine schlechte Farbe. Willst du sagen, dass mir Rosa nicht steht?“
 

„Doch, passt perfekt zu dir.“
 

„Ich höre den sarkastischen Unterton“, stellte Yuugi grummelnd fest und folgte Kaiba, als dieser sich in Richtung Ausgang machte.
 

„Umso besser. Morgen ist Freitag, es geht aufs Wochenende zu. Hast du bereits morgen Abend etwas vor?“
 

Yuugi hob die Augenbrauen und folgte seinem Chef weiterhin, kämpfte mit sich selbst, sich seine Verblüffung nicht ansehen zu lassen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Kaiba seine Einladung ernst gemeint hatte, umso mehr warf es ihn aus der Bahn, dass Kaiba mit ihm ausgehen wollte. Kaiba Seto und Mutou Yuugi waren weltweit als Rivalen bekannt. Ihre Duelle zogen Zuschauer von nah und fern an und selbst die Duel Monsters Fangemeinde diskutierte seit Jahren über die beiden Herrscher der Szene, deren Können so überragend waren, dass die neuen Generationen an Duellanten zu ihnen hoch sahen. Kaiba musste sich im Klaren sein, was es bedeuten würde, wenn sie in der Öffentlichkeit gesehen wurden.
 

Gerüchte würde entstehen und die Presse würde tausende Geschichten erfinden und ein jeder darum wetteifern, wer denn nun die Hintergründe für dieses geheime Treffen – selbst wenn es nicht geheim gewesen wäre, würden die Medien sich doch die größte Mühe geben aus einer Kleinigkeit eine riesige Welle zu machen und Fakten und Gerüchte vermischt werden, nur um den nächsten Knaller zu haben – entlarvt hatte. So ganz konnte und wollte Yuugi nicht glauben, dass er ihn einladen wollte. Natürlich bestand auch die Möglichkeit, dass Kaiba die möglichen Konsequenzen eingerechnet hatte und zum Schluss gekommen war, dass ihn die Meinung der Medien und der Presse egal war. Dies hätte Yuugi nur begrüßt.
 

„Nein, habe ich nicht. Bist du dir wirklich sicher, dass du mit mir essen gehen willst?“, fragte Yuugi noch einmal nach und seine unsichere Seite schien durch, so dass Kaiba in seiner Bewegung innehielt und Yuugi mit größter Verwunderung betrachtete.
 

„Yuugi, das ist rein geschäftlich. Ein Geschäftsessen ist nichts Ungewöhnliches. Es sei denn, du möchtest nicht mit mir essen gehen.“
 

Kaiba klang leicht enttäuscht. Yuugi warf sämtliche negative Gedanken sofort von sich und versuchte Kaiba davon zu überzeugen, dass das lediglich ein Missverständnis war. Ein Geschäftsessen! Mehr nicht. Vielleicht hatte er sich zu sehr in eine unwirkliche Vorstellung verrannt, immerhin hatte Kaiba keine Hintergedanken gehabt. Hier ging es einzig und allein um Spherium! Trotzdem spürte Yuugi Enttäuschung in ihm aufkeimen, als Kaiba ihre Verabredung als rein geschäftlich bezeichnet hatte, denn Yuugi mochte Kaiba und hatte schon seit Jahren davon geträumt, auch privat mehr Zeit mit ihm zu verbringen und ihn näher kennenzulernen.
 

Jedes Mal, wenn er glaubte, er wäre Kaiba näher gekommen, entfernte sich dieser wieder einen Schritt. Dieses ewige Katz und Maus Spiel war einfach nur anstrengend und oft nur schwer zu überblicken.
 

„Das ist es nicht! Ich möchte sehr gerne mit dir essen gehen. Nichts wäre mir lieber als das!“, schoss es wie aus einer Kanone aus Yuugi heraus. Kaiba durfte bloß nicht denken, dass er kein Interesse hatte, obwohl er sich im Nachhinein bewusst wurde, dass seine Worte fehlinterpretiert werden konnten. Kaiba sagte dazu nichts, nickte zufrieden und setzte seinen Weg fort.
 

»Nichts lieber als das...«, wiederholte Kaiba gedanklich. Auf seinen Lippen befand sich ein breites, heiteres Lächeln, doch er wollte nicht, dass Yuugi ihn so sah, also hatte er sich eilig umgedreht und versucht seine Verlegenheit zu verbergen.
 

»Yuugi freut sich richtig darauf, mit mir auszugehen. Ich glaube, das ist das erste Mal, dass einer meiner Geschäftspartner sich tatsächlich freut, mit mir Zeit zu verbringen. Dieses Essen muss also unbedingt richtige Resultate hervorbringen.«
 

„Gut, ich werde dich dann morgen Abend abholen. Zieh deinen besten Anzug an.“
 

„Aber ich habe gar keinen Anzug. Reicht denn nicht ein Hemd und eine Weste?“
 

„Nein, da wo ich hingehen möchte, gibt es einen Dresscode. Moment mal... du hast keinen einzigen Anzug?“
 

Kaiba öffnete den Raum zum Büro, trat einige Schritte hinein, nur um Yuugi dann ganz genau zu mustern. Dieser fühlte sich sichtlich unwohl und wurde leicht rot um die Nase. Dass Kaiba ihn so anstarrte, konnte er sich nicht erklären, aber er war sich sicher, dass er für sein eigenartiges Verhalten einen guten Grund haben musste. Anders konnte er sich dies zumindest nicht erklären. Nach einer gefühlten Ewigkeit legte Kaiba seinen Kopf schief und seine Stirn in Falten, noch immer hatte er seinen Blick auf Yuugi gerichtet. Er verschränkte seine Arme und gerade, als Yuugi ihn fragen wollte, was das Ganze sollte, schüttelte Kaiba enttäuscht den Kopf.
 

„Vor etwa zwei Wochen habe ich mit dir über deine Kleidung gesprochen und dir gesagt, dass du dir einen Anzug zulegen sollst.“
 

„Hast du überhaupt eine Ahnung, wie teuer ein Anzug ist?“, kam es mürrisch von Yuugi. Er war zwei Wochen hier, fast drei sogar und in der Zeit hatte er noch keine Gehaltsauszahlung bekommen. Der Laden seines Großvaters warf nicht so viel ab, als dass er von dem wenigen Geld, das ihnen zur Verfügung stand, mal eben einen Anzug hätte besorgen können. Eine normale Familie hatte doch nicht mal eben 25.000-30.000 Yen (200-250€) übrig! Er hätte seinen Vater fragen können. Es wäre ein Leichtes gewesen, seine private Handynummer herauszusuchen und nach Geld zu fragen, doch Yuugi wusste genau, dass dieser ihn nur wieder Vorhaltungen machen würde. Von wegen, er sollte sein eigenes Geld verdienen und es geschähe ihm doch ganz recht, die unbarmherzige Welt der Erwachsenen kennenzulernen.
 

Sein Vater war von jeher der Ansicht, dass man für alles, was man haben wollte, auch selbst arbeiten musste. Sugorokous Art seinen Enkel zu verwöhnen, indem er ihm Spiele schenkte, war auch ein großes Streitthema. Für Sugorokou war es vollkommen normal, dass man dem eigenen Enkel Geschenke machte, Yuusuke jedoch fand, dass man die jungen Leute möglichst früh an das harte Arbeitsleben gewöhnen musste, damit sie eben nicht zu viel Zeit mit der Suche nach einem geeigneten Job, der ihnen Spaß machte, verschwendeten.
 

„Warum sagst du mir nicht, dass du kein Geld hast? Ich kaufe dir einen und schreib es als Verlust ab. Ist doch kein großes Ding. Oder ich schenke dir einen. Das stellt alles kein Problem da.“
 

„Was...?“, kam es völlig verwirrt von Yuugi. Kaiba schien echt keine Ahnung zu haben, wie viel ein stilvoller Anzug kostete oder aber, was Yuugi eher glaubte, hatte er so viel Geld, dass der Kauf eines Anzugs mit dem Verlieren einer Yen Münze gleichzusetzen war. Kein großer Verlust, über den man lange nachdachte oder der einem wirklich wehtat. Fassungslos betrachtete er den Brünetten.
 

„Yuugi, du gibst ein unglaublich jämmerliches Bild ab, wenn du hier mit weit aufgerissenen Mund durch die Gegend starrst. Ich würde es begrüßen, wenn du den Standby-Modus nun abschalten und wieder hochfahren würdest.“
 

„Kaiba-kun!“, rief Yuugi dann aus. „Das kann ich unmöglich annehmen! Das ist zu viel des Guten!“
 

„Warum nicht?“ Kaiba konnte Yuugis abwehrende Haltung nicht verstehen.
 

„Das fragst du noch?! Wir reden hier von einer Menge Geld! Ich kann doch so ein Geschenk nicht einfach annehmen...“
 

„Im Juni hast du doch Geburtstag, nicht wahr? Sieh es als Geburtstagsgeschenk...“, begann Kaiba und machte eine kleine Pause, um noch mal tief einzuatmen. „...eines Freundes.“
 

Yuugis Augen leuchteten, als Kaiba diese Worte aussprach. Kaiba war sofort genervt. Natürlich hatte Yuugi wieder nur das gehört, was er hören wollte! Wie hätte es auch anders sein können.
 

„Gut, ich werde Isono damit beauftragen, dir einen angemessenen Anzug für unser Abendessen auszusuchen und ein paar Ersatzanzüge für zukünftige Konferenzen. Ich will nicht, dass du mich und meine Firma blamierst. Und auch wenn Rosa dir gut steht: kein Rosa.“
 

„Sehr witzig...“

Kapitel 34

Am Nachmittag stand Isono mit der Limousine vor der Haustür der Mutous. Kaiba hatte es also absolut ernst gemeint, als er sagte, dass er Isono mit dem Kauf eines angemessenen Anzugs beauftragen würde, trotzdem staunte Yuugi nicht schlecht, als ihm so richtig bewusst wurde, dass er zusammen mit diesem einkaufen gehen sollte. Der Preis sei Nebensache, hatte er gesagt. Gut sitzen sollte der Anzug, nicht spannen oder zu weit geschnitten sein. Modern, stilvoll, elegant und vor allem teuer. Kaiba wollte wohl nicht, dass Yuugi mit irgendeinem billigen Firlefanz bei ihrem Abendessen aufkreuzte. Und das wiederum bedeutete, dass Kaiba sich irgendein schickes Restaurant ausgesucht haben musste. Sämtliche Widerworte von Yuugis Seite aus wurden ignoriert und nicht einmal ernst genommen.
 

Als er mit Isono durch die Straßen Dominos fuhr, musste er mit Erschrecken feststellen, dass dieser keine der billigen Läden ansteuerte, sondern vor einem Designerladen stehenblieb. Perplex starrte er seinen Fahrer an. Seine Augen sprachen eine klare Sprache. Das hier war eine Boutique und was immer sich Kaiba da vorgestellt hatte, sprengte den preislichen Rahmen eines einfachen Geburtstagsgeschenkes unter Freunden. Für Kaiba war das nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. So unwichtig, dass es sich nicht mal lohnte über die Summe zu sprechen, die hier verprasst wurde. Für Yuugi war es aber ein weltbewegender Moment, denn er glaubte, dass die Kleidung in dieser Boutique insgesamt mehr kosten würde als ihre gesamte Hauseinrichtung. War das Kaibas Ernst?
 

„Isono-san, das geht doch nicht! Wir können doch zu dem Bekleidungsladen in der Innenstadt gehen!“, versuchte er seinen Fahrer zu überzeugen, welcher unbeeindruckt den Motor abstellte, den Schlüssel zog und ausstieg. Er öffnete seinem Fahrgast die Tür und setzte sich ganz nebenbei seine Sonnenbrille auf. Vermutlich um wie ein ernstzunehmender Bodyguard zu wirken.
 

„Mutou-san, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit. Kaiba-sama hat diesen Laden selbst empfohlen und ich werde meine Anweisungen nicht ignorieren. Es würde sofort auffallen, würden sie mit einem billigen Anzug zu ihrem Abendessen aufkreuzen und dies würde negativ auf mich zurückfallen.“
 

„A-aber...“, kam es ihm noch mal über die Lippen, dann senkte er den Blick und stieg aus der Limousine. Isono verplemperte keine weitere Zeit und steuerte den Laden an. Mit einem mulmigen Gefühl folgte Yuugi ihm. Er fühlte sich extrem unwohl bei der Sache. Was auch immer Kaiba für eine Vorstellung eines angemessenen Anzugs vorschwebte, so ein teures Geschenk ging weit über ihren geschäftliche Beziehung hinaus. Als sie die Tür öffneten, ertönte eine leises Klingeln, was den Verkäufern signalisierte, dass Kundschaft eingetreten war.
 

Es dauerte auch nicht lang, bis der erste Verkäufer angelaufen kam. Yuugi selbst mochte es nie, wenn er beim Kauf von Kleidung bedrängt wurde oder jemand ihn eine Entscheidung aufschwatzen wollte. Aber hier war es wohl kaum vermeidbar. Der Verkäufer war ein älterer Herr, der selbst einen maßgeschneiderten Anzug trug und seine zum Teil schon ergrauten Haare ordentlich nach hinten gestriegelt hatte. Sein Erscheinungsbild ließ darauf schließen, dass er durchaus Ahnung hatte und seine Kunden stets mit guter Beratung zur Seite stand.
 

Yuugis Blick schweifte umher. Bereits im Eingangsbereich standen Mannequins mit teuren Designeranzügen. In der Mitte des Laden stand ein Tisch, auf dem eine Champagner Flasche und mehrere umgedrehte Gläser standen und als er einen Blick gen Boden warf, erkannte er, dass er auf einem roten Samtteppich stand. Das Samt glänzte leicht im Licht, zeitgleich wuchs sein schlechtes Gewissen. Allein die Innenausstattung ließ darauf schließen, dass hier ausschließlich Kundschaft verkehrte, die auf teure Kleidung und bekannte Markennamen Wert legte. Er war buchstäblich in einer komplett neuen Welt angekommen, sodass er die Nervosität immer mehr spürte, die ihm den Nacken hoch kroch und ihn zu übermannen schien.
 

Auf einem eher schlichten Anzug war das Logo der Marke CalvinKlein abgedruckt und am Ärmel hing ein Preisschild, das die Ware mit einem unglaublichen Preis von 120.000 Yen (ca. 950€) auszeichnete. Bereits jetzt blieb ihm vor Schreck die Spucke weg, trotzdem wollte er Isono nicht in Schwierigkeiten bringen. Dieser sprach angeregt mit dem älteren Herrn.
 

„Mein Name ist Yamashi, mir gehört der Laden. Wie ich hörte sind sie ein Freund von Kaiba-sama. Er kauft hier regelmäßig seine maßgeschneiderten Anzüge. Für meine Kunden ist mir nichts zu anstrengend und wenn Sie hier nichts nach ihren Vorstellungen finden, werde ich Ihnen gerne einen Anzug schneidern. Zunächst sollten wir einmal ihre Maße nehmen“, sagte er mit einem überfreundlichen Lächeln und bat Yuugi mit in den hinteren Bereich. Während Yuugi etwas verloren in der Gegend rumstand, bat der Betreiber des Ladens ihn darum, sich bis auf die Unterwäsche frei zu machen.
 

„Was? Das ist doch gar nicht nötig...“, erklärte Yuugi und winkte ab. Ein Anzug von der Stange reichte doch vollkommen aus!
 

„Doch, das ist es. Wenn ich eine genaue Vorstellung Ihrer Maße habe, kann ich weitaus besser abschätzen, welche Anzüge Ihnen passen werden. Ich möchte Ihnen nicht zu Nahe treten, jedoch sind sie etwas kleiner als der Durchschnitt und demnach würde es die Suche nach einem passenden Set vereinfachen.“
 

Mit einem tiefen Seufzen ließ Yuugi das Prozedere zu. Mit einem Maßband, Stift und Schreibblock gewappnet, vollbrachte der Verkäufer seine Arbeit nicht nur äußerst rasch, sondern auch professionell. Seine Finger huschten über Yuugis Konturen, mehrmals machte er sich Notizen und glich diese mit einer Größentabelle ab. Da er Yuugis Unmut wohl bemerkt hatte, machte er sich große Mühe ihm zu erklären, wie wichtig ein gut passender Anzug war, denn immerhin würde man diesen ja nicht nur einmal tragen, sondern mehrmals und über einen längeren Zeitraum. Nicht vorzustellen, wie schrecklich es wäre, einen unbequemen Anzug zu tragen, der an verschiedenen Stellen zu eng saß oder herumflatterte. Qualität war das wichtigste beim Kauf eines Anzugs.
 

Er ging förmlich auf in seinem Job. Sein Job war eindeutig seine Berufung und mit großer Begeisterung erklärte er die neue modische Kollektion und welche Farben, Formen und Accessoires in diesem Sommer besonders gefragt waren. Er riet von Mokassins ab, meinte das polierte Schnürschuhe besonders elegant wären und für ein Geschäftsessen die perfekte Wahl wäre. Mit Erstaunen stellte Yuugi fest, dass es beim Kauf eines Anzugs weitaus mehr zu beachten galt als die Frage, ob man nun eine Fliege oder eine Krawatte trug.
 

„Gut, Sie haben einen besonders hellen Teint, Ihre Augen jedoch fallen sofort auf, so auch ihre Haarfarbe. Ihre Körperfigur ist eher klein, jedoch können wir das mit dem richtig zusammengestellten Outfit sehr gut kaschieren. Ihre Schultern sind jedoch etwas zu schmal, also werde ich so oder so nochmal den das Jacket ausbessern müssen, damit es Ihnen nicht von den Schultern fällt.“
 

„Und das bedeutet jetzt?“
 

„Nun, ich habe bereits eine genaue Vorstellung, was Ihnen am besten steht. Marine, Dunkles Violett, Schwarz und dunkles Grau würde Ihnen sehr gut stehen. Auf Grün oder generell grelle Farben würde ich an Ihrer Stelle verzichten, aber letztendlich ist es Ihre Entscheidung“, erklärte Yamashi, drehte sich um und schien seine Notizen nochmal durchzugehen.
 

„Wir nehmen drei Anzüge, einmal Marine, Schwarz und Grau“, warf Isono ein. Yuugi hob den Blick und versuchte etwas durch die dunklen Gläser seiner Sonnenbrille zu erkennen.
 

„Kaiba-sama hat bereits genaue Vorstellungen. Er wollte, dass sein Geschäftspartner mehrere Anzüge für verschiedene Anlässe erhält. Der Preis spielt keine Rolle.“
 

„Was?!“, brachte Yuugi heraus. Vor lauter Erstaunen waren ihm seine Worte im Hals steckengeblieben. Was für abstruse Vorstellungen hatte Kaiba von einem Geschenk? Das konnte er im Leben nicht annehmen! Isono tat so, als hätte er Yuugis Aufschrei und seinen offensichtlichen Protest nicht einmal mitbekommen, denn er erklärte Yamashi weitere Details, die die Anzüge auf jeden Fall haben sollten und von denen er der Ansicht war, dass diese besonders wichtig für einen guten, ersten Eindruck waren.
 

Zügig zog Yuugi sich seine Klamotten wieder an und eilte mit noch offenem Hemd zu Isono. Sein Blick sprach eine klare Sprache.
 

„Das geht zu weit! Das ist zu viel des Guten. Bitte sagen Sie Kaiba-kun, dass ich dieses Geschenk auf keinen Fall annehmen kann!“, brachte er mit fester Tonlage zum Ausdruck.
 

„Mutou-san... Sie sollten nochmal nachdenken. Meinem Chef Kaiba-sama geht es nicht darum, Ihnen ein Geschenk zu machen, sondern einzig und allein um seinen Ruf. Es geht hier nicht um Sie, sondern um ihn. Das Erscheinungsbild eines Geschäftsmannes sollte seriös sein und wenn Sie mit jemanden wie Kaiba-sama zukünftig arbeiten wollen, müssen Sie sich fügen“, seufzte Isono theatralisch.
 

„Heißt das, dass Kaiba-kun sich für mich schämt?“, murmelte Yuugi hinter vorgehaltener Hand.
 

„Nein, aber Sie sind dabei eine Welt zu betreten, in der auch das Aussehen enorm wichtig ist. Sie müssen verstehen, dass Kaiba-sama einer der größten und bekanntesten Entwickler der Welt ist und es umso wichtiger ist, dass dieses Bild unter keinen Umständen Risse bekommt. Ganz egal, wo er hingeht, immer sind alle Blicke auf ihn gerichtet, daher muss auch seine Begleitung besonders sein“, meinte er dann und setzte nun die Sonnenbrille ab, um Yuugi genau in die Augen sehen zu können. Auf seinen Lippen ein Lächeln. Yuugi wusste, dass er die Wahrheit sprach. Auch wenn es ihm nicht gefiel, diesen Gefallen anzunehmen, so blieb ihm nichts Anderes übrig, wenn er seinen Chef nicht zum Gespött der Leute oder gar zum nächsten großen Thema sämtlicher Klatschzeitschriften machen wollte.
 

„Gut... ich verstehe“, waren seine Worte. Nur gehaucht. Niedergeschlagen. Er musste dieses Geschenk wohl oder übel annehmen, trotzdem würde er Kaiba nochmal deshalb ansprechen und ihm sagen, dass er ihm das Geld auf jeden Fall zurückzahlen würde, auch dann, wenn dieser ihn auslachen würde. Kaiba sollte nicht denken, dass Yuugi auf ihn angewiesen war. Natürlich war er das in gewisser Weise, aber er wollte nicht, dass Kaiba tatsächlich glaubte, dass Yuugi sich von ihm abhängig machte.
 

Einige Stunden später war Yuugi endlich zu Hause angekommen. Wer hätte denn auch ahnen können, dass die Suche nach einem passenden Anzug so anstrengend sein würde? Vier Stunden hatte er in diesem Laden verbracht. Immer wenn er einen Anzug ausgesucht hatte, hatten entweder Yamashi oder Isono den Kopf geschüttelt. Insbesondere Yamashi ließ sämtliche seine Argumente abprallen und brachte mit jedem abgelehnten Anzug ein neues Exemplar hervor, welcher dann nicht nur noch schicker aussah, sondern auch das Vielfache vom vorherigen kostete. Irgendwann hatte Yuugi den Überblick verloren. Wie viel Yen hatten sie am Ende ausgegeben?
 

Und dann noch die zusätzlichen Accessoires. Gerade als er erleichtert feststellte, dass sie endlich mehrere Anzüge ausgesucht hatten, kam Yamashi mit zig verschiedenen Modellen von Krawatten, Krawattennadeln und Manschettenknöpfen um die Ecke. Sieben verschiedene Krawattennadeln und dazugehörige Krawatten hatte er ihnen aufgeschwatzt. Drei verschiedene Paar Schuhe. Zwei Sets Manschettenknöpfe. Vier Einstecktücher, zwei davon sogar mit Duel Monsters Abbildungen. Yuugi hatte sich sofort für den Schwarzen Magier entschieden. Sechs Hemden.
 

Yuugi vergrub seinen Kopf im Kissen.
 

»Ich will gar nicht wissen, wie viel das Ganze gekostet hat...«
 

Das einzige, woran er momentan denken konnte, war, dass er Kaiba eine Menge Geld abgeknöpft hatte. Es war ja schon schlimm genug, dass er gleich mehrere Anzüge annehmen musste, aber dann noch die ganzen kleinen Extras. Isono hatte ihm zwar versichert, dass auch diese Accessoires von Kaiba abgesegnet wurden und dass es sogar dessen Wunsch war, dass er passende Highlights bekam, die seinen Charakter unterstrichen, trotzdem fühlte Yuugi sich wie das Letzte. Kaiba hatte ihm dieses Geschenk nur gemacht, weil er sich selbst keinen anständigen Anzug leisten konnte und jetzt kam es ihm so vor, als hätte er seinen Rivalen ausgenutzt. Sicher sah Kaiba das anders.
 

Vermutlich hätte er ihm ins Gesicht gelacht und ihn verspottet. Geld spielte für Kaiba schon lange keine Rolle mehr.

Kapitel 35

Freitag Abend. Aufgeregt stand Yuugi vor dem Spiegel und begutachtete sein Outfit. Er hatte sich für den Marinefarbenen Anzug entschieden. Goldene Manschettenknöpfe und ein weißes Einstecktuch, das an den Rändern mit einem Stickmuster verziert war, sodass das Muster herausragte. Zumindest wenn er es denn richtig gefaltet bekommen hätte. Er hatte mehrere Minuten daran herumgewerkelt und versucht das Tuch richtig zu falten, doch die Aufregung ließ ihn zunehmend ungeduldiger werden. Scharf hatte er die Luft eingesogen, bis seine Mutter ihm das Tuch aus der Hand genommen, selbst zusammengefaltet und es ihrem Sohn liebevoll in die Brusttasche gesteckt hatte. Zwei Ecken lugten aus der Tasche hervor. Sie schien es sehr zu begrüßen, dass Yuugi für seine Träume kämpfte.
 

Zwar war sie nicht sonderlich gut auf den Namen Kaiba zu sprechen, was aufgrund dessen, dass er versucht hatte, ihren Sohn zu töten und ihren Schwiegervater mit einem Herzinfarkt ins Krankenhaus befördert hatte, wohl kaum verwunderlich war, dennoch akzeptierte sie die Entscheidung ihres Sohnes und sie hatte Yuugi sogar beraten, welche Manschettenknöpfe er nehmen sollte. Gold und Blau sei sehr edel und würde ihm eine starke Ausstrahlung verleihen. Außerdem würde es zu den goldenen Knöpfen auf dem marinefarbenen Anzug passen.
 

Passend zum Anzug hatte er eine Weste drunter, die zweireihig geknöpft war und die schwarze Krawatte mit den hellblauen Streifen betonte. Der Stoff seines Anzugs glänzte leicht im Licht. Sie hatten sich für ein italienisches Modell entschieden, wo es zusätzlich zur Weste noch eine goldene Taschenkette gab, welche bei jeder Bewegung leise klimperte. Als er so vor dem Spiegel stand, gab er offen zu, dass Kaiba recht hatte. Ein richtiger Anzug machte einen großen Unterschied. Ob Kaiba zufrieden war mit seiner Wahl? Oder hätte er eventuell wieder etwas auszusetzen? Kaiba war ein Mensch, der gerne schimpfte und immer irgendetwas fand, worüber er sich schrecklich aufregen konnte. Und wenn es nur eine Falte in der Hose war oder ein nicht richtig zugeknöpftes Hemd.
 

Das laute Brummen eines Motors schreckte ihn auf. Die Treppen hinab eilend, öffnete er die Eingangstür. Vor ihrem Haus stand ein Sportwagen und daneben stand Kaiba, der ihm die Tür aufhielt. „Bist du fertig?“, fragte er beiläufig und riss dann erstaunt die Augenbrauen in die Höhe, musterte Yuugi. Plötzlich war nichts mehr da von dem unsicheren Jungen, der bloß nicht auffallen wollte. Er nickte anerkennend und hauchte ein äußerst hohes „Wow“, machte einige Schritte in Yuugis Richtung und betrachtete seinen Geschäftspartner in voller Größe.
 

„Kleider machen Leute“, meinte er dann, immer noch Yuugi anstarrend.
 

„Bist du zufrieden?“, fragte Yuugi etwas unsicher. Hatte Kaiba ihn gerade mit großen Augen angestarrt und mit einem Nicken seine Entscheidung abgesegnet? Und wieso fühlten sich seine Wangen so unglaublich heiß an?
 

„Mehr als das“, offenbarte er. Als er bemerkte, dass Yuugis Wangen einen anderen Farbton annahmen, versuchte er irgendwie das Thema zu wechseln. Es war ihm peinlich, dass er sich so hatte gehen lassen und dass er Yuugi sogar als hübsch empfand. Mehr um sich selbst wieder auf klare Gedanken zu bringen und Yuugi bloß nicht die Genugtuung zu geben, seine schwache, menschliche Seite gesehen zu haben, griff er nach dessen Krawatte.
 

„W-was?!“, kam es erschrocken von Yuugi.
 

„Der Krawattenknoten ist nicht ganz richtig“, murmelte er und bemühte sich darum, möglich distanziert und sachlich zu klingen, während er den Krawattenknoten löste und erleichtert darüber war, dass Yuugi aus Verlegenheit den Blick abgewendet hatte. Es war einfacher für ihn seine Rolle als knallharter Firmenchef zu spielen, wenn Yuugi ihm nicht direkt in die Augen sah. Trotzdem konnte er das laute Pochen in seinem Brustkorb nicht erklären. War es Yuugis Ausstrahlung, die ihn so aus der Bahn warf oder der Gedanke, dass sie nun den ganzen Abend miteinander verbringen würden, auch wenn es sich um ein rein geschäftliches Abendessen handelte?
 

Zufrieden nickte Kaiba, räusperte sich und drehte sich zu seinem geliebten Sportwagen, während er Yuugi anwies einzusteigen. Mit großen Augen bestaunte Yuugi das edle Fahrpult. Er war noch nie in einem so teuren Auto gesessen und dass dieser Wagen besonders war, spürte er im gleichen Moment, als Kaiba den Motor startete. Der Wagen vibrierte. Ein Glück, dass er einen Anzug trug, ansonsten hätte der Brünette gesehen, dass er eine Gänsehaut bekam. Er wollte gar nicht wissen, wie teuer so ein Wagen war, aber er wusste ganz genau, dass er sich unheimlich glücklich schätzen konnte, in so einem Sportwagen zu sitzen.
 

„Das ist ein Koenigsegg CCXR Trevita“, erwähnte Kaiba beinahe beiläufig, aber es war deutlich herauszuhören, dass er sehr stolz auf seinen Wagen war und ihm sicher noch einige andere Fakten erzählen würde. „Schnall' dich an“, fuhr er fort und im selben Moment, als Yuugi das Klicken der Schnalle vernahm, befanden sie sich auch schon in Fahrt. In nur wenigen Sekunden beschleunigten sie auf 180km/h, sodass Yuugi leicht panisch wurde. Kaiba schien es gewohnt zu sein, so schnell zu fahren, doch in Yuugis Kopf war nur noch Platz für panische Gedanken. Was wäre, wenn die Polizei sie anhalten würde, weil sie zu schnell waren? Oder Kaiba die Kontrolle verlor? Oder ein Passant plötzlich auf der Straße war und sie nicht mehr anhalten konnten?
 

„Komm wieder runter, Yuugi. Kein Grund sich in die Hose zu machen“, beruhigte Kaiba ihn und erhöhte das Tempo abermals.
 

„Wo geht es überhaupt hin? Hätte es nicht gereicht, wenn wir mit der Limousine gefahren wären?“
 

„Oh, ich habe uns einen Tisch im Kozue reserviert. Du hast sicher schon mal davon gehört“, begann Kaiba ruhig und wandte kein einziges Mal seinen Blick von der Straße und hielt das Lenkrad mit nur einer Hand, während er seinen anderen Arm am Fenster angelehnt hatte.
 

„Und ob ich davon gehört habe!“, rief Yuugi erschrocken und er riss seine Augen so weit auf, dass Kaiba befürchtete, dass seine Augäpfel herausfallen könnten.
 

„Das ist das teuerste Restaurant in Tokio!“, schnaufte Yuugi. Die enorme Geschwindigkeit hatte er wieder vergessen, oder besser gesagt, interessierte sie ihn nicht mehr. Erst dieses Geschenk und dann ein Abendessen im bekanntesten und teuersten Luxusrestaurant Tokios. Welcher Japaner hatte denn nicht davon gehört? Das war so, als hätte man gesagt, man wüsste nicht wer Ieyasu Togukawa war. Also absolut undenkbar!
 

„Nein, das zweitteuerste. Kitcho ist teurer, aber der Laden in Tokio ist weniger schön als der in Kyoto und ich dachte mir, dass du sicher keine Lust auf eine Übernachtung hättest.“
 

„Ist mir egal, ob es der teuerste oder zweitteuerste ist! Kaiba-kun, das geht doch nicht! Das kann ich im Leben niemals wieder bei dir gutmachen!“
 

Kaiba verdrehte genervt die Augen und wandte seinen Blick von der Straße ab, wollte gerade den Mund öffnen, als Yuugi ihn harsch mit einer Hand packte und seinen Kopf in Richtung Straße ausrichtete.
 

„Wir fahren 230km/h! Du kannst doch nicht einfach weggucken!“ In seiner Stimme war Panik zu hören.
 

Kaiba lachte amüsiert. „Yuugi... bist du noch nie über 100 km/h gefahren? Soll ich dir eine neue Dimension zeigen?“, meinte er dann und wartete gar nicht erst aufs Yuugis Antwort.
 

Er nahm eine Nebenstraße und es dauerte nur wenige Minuten, ehe sie die Autobahn erreichten. Da es Freitag Abend war und viele auf den Weg von der Arbeit nach Hause waren, war die Straße ziemlich voll, doch Kaiba holte nur sein Smartphone heraus, tippte auf der Fläche herum und schien irgendeinen Schalter betätigt zu haben. Von einem Moment auf den nächsten waren sämtliche Ampeln auf ihrem Weg rot, sodass er freie Fahrt hatte und die Gelegenheit nutzte, Yuugi gegenüber sein Versprechen einzuhalten.
 

In nur wenigen Sekunden sprang der Tacho von 230hm/h auf 300, dann auf 400 und ächzte bei 410. Yuugi konnte genau sehen, wie die digitale Kilometeranzeige zwischen 409 und 410 wechselte und Kaiba schien äußerst erpicht darauf, noch mehr zu beschleunigen.
 

Durch die enorme Geschwindigkeit wurde Yuugi dermaßen in seinen Platz gedrückt, dass er sich nicht einmal mehr traute, den Mund zu öffnen. Sämtliche Argumente und Widerworte, die ihm bis eben auf der Zunge gelegen hatten, hatte er wieder vergessen. Dass Kaiba sogar das Straßennetz kontrollierte, wusste er nicht. Kaiba war ein Kontrollfreak durch und durch! Vielleicht hatte er es aber auch nur gehackt. Was genau Kaiba da gemacht hatte, wusste er nicht und er war sich sicher, dass er nur einen Spruch kassieren würde, würde er denn nachfragen. Mit Sicherheit konnte er jedoch eines sagen: das, was sie hier gerade taten, war illegal! Nicht, dass Kaiba das davon abgehalten hatte, das zu tun, was er wollte. Ihn hielt nichts auf. Die Grenzen des Menschenmöglichen galten für ihn nicht. In eine andere Dimension zu reisen, einen Tower im Weltall zu errichten oder die Gesetze der sozialen Gesellschaft zu umgehen, das war der ganz normale Alltag in seinem Leben.
 

Als sie ihrem Ziel näher kamen und die Innenstadt erreichten, ging Kaiba endlich vom Gaspedal runter und blieb vor dem Kozue stehen. Wortlos saß seine Begleitung neben ihn und starrte immer noch geistesabwesend auf die Straße.
 

„Hast du dir in die Hosen gemacht?“
 

„Fast...“
 

„Hältst du jetzt endlich die Klappe und hörst auf über Geld zu reden?“
 

„Ich schweige wie ein Grab...“, murmelte Yuugi und fühlte sich immer noch benommen.
 

„Gut, niemand in der High Society spricht über Geld. Außerdem habe ich dich eingeladen, also hör auf so bescheiden zu sein. Genieße lieber die exklusiven Einblicke, die du hier erhalten wirst und lerne etwas daraus.“
 

Yuugi nickte folgsam. Erstens hatte er gar keine Lust mehr mit ihm zu diskutieren und zweitens wirkte dieses Erlebnis einer anderen Dimension noch nach. Seine Beine fühlten sich an wie Pudding und er musste diese enorme Geschwindigkeit verarbeiten.
 

Kaiba ließ dann das Fenster runter und übergab seinen Schlüssel einem der Angestellten, wies ihn jedoch mit harschen Worten zurecht, dass er keinen einzigen Kratzer auf seinem Liebling dulden würde. Kaiba hatte also auch noch andere Dinge neben seiner Firma und seinem Bruder, an denen er hing. Kaiba schien generell ein sehr materialistischer Mensch zu sein und stellte seinen Reichtum gerne zur Schau. Das war Yuugi ja bereits gewohnt. Ob ein Turnier auf einem Zeppelin in mehreren hundert Metern Höhe über Domino oder ein gigantischer Turm auf einer kleinen Insel inmitten des Meeres. Was auch immer Kaiba tat, wenn dann im ganz großen Stil. Auffallend, einzigartig und vor allem teuer – ach Mist, er sollte ja nicht mehr ans Geld denken!
 

Als sie aus dem Auto stiegen, warf Yuugi einen Blick auf den Eingangsbereich. Das gigantische Hochhaus kannte er bisher nur aus Fernsehreportagen und meist hatte er nur Bilder von oben oder von weiter weg gesehen. Bereits der Eingangsbereich sprach Bände, denn hier wurde Prestige eindeutig groß geschrieben. Kaiba grinste amüsiert, denn ihm kam es so vor, als wäre sein Geschäftspartner ein Jüngling vom Lande, der noch nie in einer Stadt gewesen war. Mit aufgerissenen Mund betrachtete er das Gelände und sein Blick blieb bei der gläsernen Eingangstür hängen. Kaiba legte eine Hand auf seine Schulter und warf ihm einen mahnenden Blick zu.
 

„Hör auf dich wie ein Dorftölpel zu benehmen. Mund zu. Blick nach vorne. Kopf hoch und gerader Gang“, wies er ihn zurecht und gemeinsam machten sie sich auf den Weg. Nach außen hin rang er um Fassung, da er Kaiba nicht blamieren wollte, innerlich war er aufgewühlt von den ganzen neuen Eindrücken. Als sie in das Gebäude traten, bemerkte er sofort die Blicke aller anderen Gäste und des gesamten Personals, die sich ergeben verneigten und den Chef der Kaiba Corporation begrüßten. Kaiba war hier offensichtlich häufiger zu Gast!
 

„Kaiba-sama, wir haben Sie und Ihre Begleitung bereits erwartet. Wir haben den gesamten Westflügel des Restaurants für Sie reserviert, wie Sie es gewünscht haben“, meinte ein älterer Herr, der sich als Chef des Hotels vorstellte und sich demütig vor Kaiba verneigte. Kaiba nickte bestätigend. „Vielen Dank. Ich möchte, dass niemand unser Geschäftsessen stört. Die Dinge, die wir besprechen werden sind von enormer Wichtigkeit und es darf kein einziges Wort nach außen dringen“, erklärte Kaiba und ließ zu, dass der Mann ihnen den Weg zum Fahrstuhl zeigte.
 

„Es war mir nicht möglich, das gesamte Stockwerk für Sie zu reservieren, aber ich hoffe doch, dass Sie dennoch zufrieden sein werden, Kaiba-sama“, sagte er und verneigte sich ein weiteres Mal. Unbeeindruckt stieg Kaiba in den Fahrtstuhl. Schnell huschte Yuugi ihm hinterher.
 

„Du hast den gesamten Westflügel gebucht...?“, fragte er ungläubig.
 

„Selbstverständlich. Spherium ist noch in der Planung. Nicht auszudenken, es gelängen Informationen nach außen.“
 

„V-verstehe...“
 

Sein Herz pochte. Seine Finger zitterten. Kaiba war vollkommen unbeeindruckt. Für ihn war es wohl das normalste auf der Welt in einem Luxusrestaurant essen zu gehen, so wie es für andere Menschen normal war am frühen Morgen Brötchen beim Bäcker kaufen zu gehen. Nichts Besonderes. Alltägliches. Diese Gelassenheit, die Kaiba an den Tag legte, beruhigte Yuugi etwas, trotzdem konnte er nicht anders, als neugierig seine Blicke hin und her schweifen zu lassen. Das Kozue gehörte immerhin zu den nobelsten Restaurants Japans und war mehrmals weltweit mit vier Sternen ausgezeichnet worden. Hier zu sein war eine Ehre. Als sie das Restaurant betraten, bemerkte er die recht traditionelle Einrichtung.
 

Die Tische, der Boden und auch die Theke waren aus Bernsteinholz und die warmen Brauntöne boten einen starken Kontrast zu der hellleuchtenden Stadt, um sie herum. Die raumhohen Fenster und Granitplatten boten einen beeindruckenden Blick auf die in Lichtern erstrahlende Stadt. Der Nachthimmel war dunkelblau und ergab einen malerischen Kontrast zur hellen Stadt im Untergrund. Yuugi schluckte hart, als er bereits vom Eingang den Ausblick auf die Stadt genießen konnte. Unbeschreiblich schön.
 

„Das ist wunderschön, Kaiba-kun. Aber wo sitzen wir?“
 

„Wir nehmen natürlich einen Fensterplatz.“
 

Sie befanden sich auf der 40. Etage und Yuugi glaubte, die gesamte Stadt sehen zu können. Sprachlos folgte er Kaiba und setzte sich ihm gegenüber, welcher direkt die Speisekarte in die Hand nahm. Es dauerte auch nicht lang, bis der erste Kellner ankam, um ihre Bestellung anzunehmen. Dass Kaiba die gesamte Seite reserviert hatte, konnte Yuugi immer noch nicht glauben. Wie oft kam es vor, dass man in einem Restaurant fast allein war? Im Hintergrund spielte traditionelle Musik. Leise, harmonisch. Er glaubte die sanften Klänge der Biwa zu hören, konnte dies aber nicht mit Sicherheit sagen. Diese Vermischung der Moderne mit Tradition machte einen besonderen Reiz aus.
 

Er schüttelte seine Gedanken ab. Konzentrieren. Er durfte Kaiba nicht blamieren. Zögerlich griff er nach der Speisekarte und ihm fiel die Kinnlade in den Keller, als er die horrenden Preise sah. Für einen Normalsterblichen war das Menü hier unerschwinglich. Wie konnte ein bisschen gegrilltes Fleisch mit Soße 10.000 Yen kosten? Kaiba hob seinen Blick kein einziges Mal von der Karte und ratterte ein gesamtes Menü mit Vorspeise, Hauptgericht und Nachspeise herunter.
 

Nicht nur, dass Yuugi sich nicht entscheiden konnte war ein Problem, sondern auch die Tatsache, dass Kaiba den Besuch in diesem Restaurant als Kleinigkeit abtat, machte ihn nervös. Die Speisekarte war sehr kurz, die meisten Gerichte hatten Fisch als Mittelpunkt und Yuugi konnte mit den meisten Gerichten nicht sonderlich viel anfangen. Da wäre ihm ein Hamburger bei Burger World doch um einiges lieber gewesen. Natürlich war er japanische Küche gewohnt, aber er war mehr interessiert an den westlichen Gerichten, wie Hamburger, Pizza oder belegte Baguettes, was vermutlich daran lag, dass er Jahrelang nach der Schule immer zu diversen Fastfood Ketten ging und dort zu Mittag speiste. Eine solch gehobene Küche wie hier war er demnach gar nicht gewohnt.
 

Als er las, dass das Gericht Fuji Krabbeninnereien in Soja Soße beinhaltete, drehte sich ihm der Magen um. Innereien von Fischen und Krabben gehörten doch in den Biomüll und nicht auf den Tisch. Vielleicht war das so eine Eigenart von super reichen Leuten? Er kannte sehr viele Fischgerichte, aber seine Mutter hatte nie die Reste verwendet. Vielleicht schmeckten sie ja auch gar nicht so eklig, wie er es sich in seiner Phantasie ausmalte?
 

„Ich nehme einmal Fuji, zudem kommt noch einmal die Spezialität des Hauses. Den gemischten Tee, mit einem Schuss Karamelsyrup und Milch“, er betonte seine Extrawünsche und legte dann die Karte zur Seite.
 

Yuugi versteckte sein Gesicht hinter der Karte, so konnte Kaiba nicht sehen, dass er sein Gesicht verzog. Kaiba war diese extravaganten und extrem außergewöhnlichen Speisen gewohnt, vermutlich aß er auch Kaviar zum Frühstück, wenn ihm gerade danach war. Er warf wieder einen Blick auf die Karte, las sämtliche Gerichte durch, entschied sich dann für das Gericht Waka, von dem er nicht mit Sicherheit sagen konnte, ob er das wirklich essen wollte oder den abwartenden Blick des Kellners und Kaibas nur nicht mehr ertragen konnte.
 

„Bist du dir sicher? Du musst dich nicht zurückhalten, Yuugi.“
 

„Schon okay. Passt schon“, erklärte er mit einem erzwungenen Lächeln. Kaiba wusste sofort, dass Yuugi log, sagte aber kein weiteres Wort. Dachte Yuugi ernsthaft, dass er ihn täuschen konnte? Er hatte eines der günstigeren Gerichte genommen.
 

„Möchten Sie das gegrillte Wagyu-Rinderfilet oder doch lieber die spanische Makrele und Bonito Sashimi?“, fragte der Kellner nach, machte sich einige Notizen.
 

„Letzteres“, erklärte Yuugi und fragte sich, ob er diese Entscheidung bereuen würde. Aber Kaiba hatte sich auch für ein Fischgericht entschieden und es war immer gut, sich seinem Gegenüber ein wenig anzupassen, um Sympathie zu wecken. Hatte zumindest seine Mutter mal zu ihm gesagt, als er sich noch bei Bewerbungsgesprächen vorstellen musste. Mit einem Nicken ging der Kellner.
 

„Magst du kein Rinderfilet?“, fragte Kaiba dann und legte den Kopf leicht schief, verschränkte die Arme über seiner Brust. Kaiba liebte Rinderfilet. Wenn es etwas gab, das er gerne aß, dann Rindfleisch, am liebsten von den Kōbe-Rindern. Auch sein Gericht umfasste Wagyu-Rinderfilet und gehörte ebenfalls zu den exklusivsten Rinderarten der Welt. Da fiel ihm ein, dass er schon lange nicht mehr in Aragawa gewesen war. Vielleicht sollte er Yuugi in Zukunft da mal einladen? Die Preise waren zwar um ein Vielfaches teurer, aber er musste seinem Geschäftspartner ja nicht auf die Nase binden, dass 100g Rindfleisch um die 100.000 Yen kosteten. Gespannt sah er Yuugi an.
 

„Wieso?“
 

„Musst du immer Gegenfragen stellen? Ja oder Nein, mehr will ich nicht wissen.“
 

„Doch, ich mag Rindfleisch, aber das Bonito Sashimi klingt so besonders“, versuchte Yuugi sich zu erklären. Yuugi mochte Hamburger, also demnach lag es nahe, dass er auch Rindfleisch mochte. Eine richtige Boulette musste eben aus richtigem Rind sein! Gut gegrillt über dem Feuer mit dem rauchigen Geschmack von Kohle. Aber das konnte er Kaiba ja schlecht ins Gesicht sagen. Wenn er ehrlich war, wäre er doch lieber in ein Fastfoodrestaurant gegangen, aber Kaiba hätte ihn dann sicher nur ausgelacht oder hätte genervt die Augen verdreht. Letzteres tat er ja besonders gern, wenn der Bunthaarige Fragen stellte.
 

„Ach, das ist es. Generell sind die Fischgerichte hier vorzüglich. Auf die Jakobsmuscheln freue ich mich schon am meisten, obwohl ich ja sonst von Rinderfilet nicht genug kriege“, versuchte Kaiba die angespannte Atmosphäre zu lockern und setzte noch ein täuschend echt klingendes Lachen an.
 

Kaibas ausgewähltes Menü umfasste mehrere Gänge, so wie es für ein richtiges Sternerestaurant üblich war. Einmal gekochte Krabbe mit Innereien, grüne Sojabohnen und Feigen in Gelee, dann eine klare Suppe mit Knödeln aus Tofuhaut, süßen Garnelen und Shiitake Pilzen, dazu Bonito Bernsteinmakrele und Tintenfisch Sashimi, sowie gegrillter Pfeilhecht mit Kartoffelknödeln und traditionell japanischer Pfefferwürzsoße, gedünstetes Wagyu-Rinderfilet mit Auberginen und Lauch und dazu gedünsteter Reis mit Jakobsmuscheln. Als Dessert erwartete ihn Vanillemousse mit süßer roter Bohnenpaste mit eine Soßenüberzug aus schwarzer Sesamsoße und Pflaumen.
 

Yuugi hatte sich mehr oder weniger freiwillig für ein günstigeres Menü entschieden, welches aus gegrillter spanischer Makrele und Bonito Sashimi, gedünstetem Schweinefleisch mit Kürbis und Kidney Bohnen, als auch gedünstetem Reis mit Kirschblütengarnelen, eingelegtem Gemüse und einer Misosuppe mit braunem Seetang, Tofu und Lauch bestand. Seine Nachspeise umfasste eine weiße bayerische Seasamcreme und eine Tasse gemischter Kozue Tee.
 

Yuugi empfand die Zusammensetzung ziemlich durcheinander und als ihm so richtig bewusst wurde, wie viele Gänge ein Menü hatte, zweifelte er einen Moment daran, ob er so viel essen konnte, bis der Kellner mit dem ersten Gang oder eher gesagt den Suppen kam. Wie es sich gehörte bedankte er sich beim Kellner, welcher mit einer kleinen Verbeugung und einem freundlichen Lächeln vonstatten zog, nur um mit wenig Begeisterung zu merken, dass seine Schale mit Suppe ungefähr die Größe einer Espressotasse hatte. Sonderlich groß waren die Portionen nicht.
 

Kaiba aß ohne zu murren, beäugte Yuugi aber skeptisch, als dieser mit dem Löffel den Seetang und den Lauch in seiner Suppe zur Seite schob.
 

„Yuugi, ich hoffe, du hast nicht vor Reste auf deinem Teller zu lassen. Das gehört sich nicht“, erklärte Kaiba ohne mit der Wimper zu zucken oder gar seinen Löffel abzulegen.
 

„N-natürlich nicht!“, rechtfertigte sich Yuugi und zwang sich dazu auch das Gemüse brav zu essen. Zum Glück waren keine Bambuszwiebeln drin, die konnte er ja überhaupt nicht ausstehen!
 

„Das ist lediglich die Vorspeise, das eigentliche Menü kommt, wenn wir beide aufgegessen haben.“
 

Kaiba gab ihm diese Erklärung, weil er glaubte, dass Yuugi sich wie ein wählerisches Kind benahm und aus irgendeinem Grund verschlechterte das Yuugis Laune ungemein, da er sich darum bemühte, von Kaiba als ebenbürtigen Partner angesehen zu werden. Von diesen Gefühlen ließ er sich aber möglichst nichts anmerken und aß seine Schüssel komplett auf. Vielleicht hätte er die Beschreibungen genauer lesen sollen und sich nicht so sehr von dem Kellner und Kaiba stressen lassen sollen. Jetzt war aber keine Zeit mehr für Reue.
 

Nachdem sie die Hauptgänge abgeschlossen hatten, brachte der Kellner ihnen ihre Nachspeisen. Yuugi konnte mit der bayerischen Sesamcreme nichts anfangen. Sesam und Zucker? Passte das überhaupt zusammen? Unsicher griff er nach dem Löffel und tauchte diesen in die beigefarbene Creme ein und warf einen weiteren skeptischen Blick auf die puddingähnliche Konsistenz auf seinem Löffel, die mit braunen Zuckersirup bedeckt war. Kaibas Blick ruhte wieder auf ihn und um sich seine Unsicherheit nicht anmerken zu lassen, nahm er den Löffel direkt in den Mund und schluckte ohne lange darüber nachzudenken herunter.
 

„Schmeckt ja gar nicht so scheußlich wie ich dachte“, kam es dann erstaunt von Yuugi. Für einen Moment hob Kaiba die Augenbrauen, dann lachte er amüsiert.
 

„Scheußlich? Yuugi, du solltest häufiger mal nach Deutschland. Da gibt es so einige ausgefallene Süßspeisen, die dir gefallen würden.“
 

„Warst du denn schon mal in Deutschland?“, fragte Yuugi neugierig und genehmigte sich einen weiteren Bissen.
 

„Ich war fast überall. Deutschland, England, Frankreich und auch Spanien waren großartig. Und Italien ist herrlich, sowohl die mediterranen Gerichte als auch die Landschaft sind einmalig. Im Gegensatz zu Japan sprechen die meisten sogar Englisch, also auch als Tourist mit minimalen Sprachkenntnissen kommt man sehr gut zurecht“, schwärmte Kaiba. Yuugi lächelte zufrieden, da er seinen Geschäftspartner noch nie so fröhlich plaudern gesehen hatte – obwohl er nicht wirklich sagen konnte, ob Kaiba nun von diesen Ländern schwärmte oder einfach nur vor Yuugi angeben wollte.
 

„Ich wollte auch nach Deutschland. Dort gibt es die größte Spielemesse der Welt. Ich hatte eigentlich vor dort Spherium vorzustellen, doch dann gab es Probleme mit der Passbeantragung und ich konnte mich nicht mehr rechtzeitig anmelden“, erzählte Yuugi und neigte den Kopf. Gerne wäre er dort gewesen. Vermutlich hätte Spherium sogar gewonnen und er hätte seine Karriere als Spieleentwickler direkt beginnen können, ohne so viel Zeit zu verplempern und noch ein Studium dranhängen zu müssen. Seine Mutter und sein Großvater hatten ihn zwar beruhigt, hatten mehrmals betont, wie wichtig ein richtiger Abschluss war und dass ein abgeschlossener Studiumgang einem viele Türen öffnete, trotzdem bereute er bis heute diese einmalige Chance.
 

„Moment... du redest vom Spiel des Jahres? Der findet doch jährlich statt! Wieso hast du dich dann nicht für das folgende Jahr beworben?“ Kaiba hob skeptisch eine Augenbraue in die Höhe, ungeduldig betrachtete er seinen Gegenüber, der mal wieder den Blick in Richtung Boden gesenkt hatte, als würde er sich verstecken wollen. Wieso nur konnte Yuugi nicht selbst akzeptieren, wie großartig und einzigartig er war? Es gab nur wenige Menschen, die Kaiba seiner würdig ansah und sie auf dieselbe Stufe wie sich selbst stellen würde und das, was er in Yuugi sah, war endloses Potential, versteckt hinter einer Fassade aus unnötiger Angst, Unsicherheit und Selbstunzufriedenheit.
 

„Ich hatte da bereits mein Studium angefangen und irgendwie lief nichts mehr so wirklich nach Plan“, lachte Yuugi entschuldigend. Kaiba hörte heraus, dass er log. Er konnte Yuugi genauso gut durchschauen wie dieser ihn. Selbst wenn er es gewollt hätte, hätte er nichts vor ihm verheimlichen können und so konnte auch Yuugi keine Geheimnisse vor ihm haben.
 

„Definiere diesen Plan, Yuugi“, orderte er ihn an. Dieses Mal weitaus herrischer.
 

„Kaiba-kun, du hast doch auch Dinge, über die du nicht reden willst... oder? Auch ich habe Dinge, die ich lieber für mich behalten möchte.“
 

„Ja, aber im Gegensatz zu dir verstecke ich mich nicht. Merkst du es denn selbst nicht? Auch jetzt weichst du meinen Blicken aus. Aus Angst, dass ich falsch von dir denken könnte? Ich sage es gerne nochmal: es gibt keinen Grund für dich so unsicher zu sein. Wenn es nötig ist, sage ich diese Worte so oft, bis du sie endlich selbst glauben kannst.“
 

„Ich glaube dir ja auch. Aber damals war ich anders. Ich musste Atems Fortgehen erst mal richtig verarbeiten. Ich habe mich selbst mit Spherium abgelenkt und als es nicht geklappt hat, kamen all die negativen Gedanken wieder hoch und ich habe mich gefragt, was er an meiner Stelle gemacht hätte, anstatt für mich selbst zu entscheiden. Wir waren so viele Jahre zusammen... ihn um Rat zu fragen, seine Meinung zu hören, war so selbstverständlich für mich geworden, dass es umso schwerer für mich wurde, ohne ihn weiter zu machen.“
 

„Yuugi...“, seufzte Kaiba und leerte seine Schüssel, schob diese dann von sich weg. Er stützte seine Ellbogen auf dem Tisch ab, legte die Hände zusammen und legte auf diese sein Kinn ab, betrachtete Yuugi intensiv. Yuugi hatte genau dasselbe gemacht wie er. Sich in Arbeit vergraben. Bloß von dem Gedanken ablenken, etwas verloren zu haben, doch im Gegensatz zu ihm, hatte er sich mit diesem Verlust beschäftigt und dadurch Stärke gewonnen.
 

„Das kann ich sogar verstehen...“, meinte er dann und wandte den Blick nicht von seinem Gegenüber ab.
 

Yuugi legte seine Hände in den Schoss und blickte wieder auf die Tischplatte, nicht, dass diese sonderlich interessant gewesen wäre – das Bernsteinholz war edel, aber nun wirklich nicht so interessant, dass er sich länger als nötig damit hätte befassen wollen – jedoch fiel es ihm schwer, Kaibas Blick zu erwidern. Seine klaren, blauen Augen waren so tiefgründig, dass er stets befürchtete, nie wieder wegsehen zu können.
 

„Aber jetzt bin ich erwachsen und darf nicht mehr vor meinen eigenen Entscheidungen davonlaufen. Ich möchte, dass Spherium ein Erfolg wird. Und mit dir schaffe ich das auch. Ganz bestimmt“, meinte er dann, hob endlich den Blick und fasste den Mut, Kaibas unnachgiebigen Blick zu erwidern.

Kapitel 36

Vor seinen eigenen Entscheidungen davon laufen? Kaiba nickte zustimmend, trotzdem hörte er diese Worte wie ein Echo in seinen Ohren widerhallen. Yuugi dachte äußerst positiv von ihm und Kaiba konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass diese Zusammenarbeit auch ihm selbst mehr brachte, als er sich eingestehen wollte. Wann hatte er zuletzt einen so angenehmen Abend mit anderen Leuten verbracht? Wie oft konnte er frei heraus plaudern, ohne zwanghaft auf seine Wortwahl achten zu müssen? Selbst seine meist viel zu sachliche und harsche Art verschreckte Yuugi nicht.
 

Kaiba hatte sich selbst dazu entschieden, sich von Yuugi zu distanzieren. Er wollte nie etwas mit ihm und seinem Freundeskreis zu tun haben, doch nun fragte er sich, ob diese Entscheidung, die er damals gefällt hatte, vielleicht doch ein Fehler gewesen war. Er glaubte zwar nicht an diese Art von bedingungslosen Vertrauen wie Yuugi es tat, oder gar daran, dass man sich mit anderen Menschen so gut verstehen konnte, dass die Herzen auf einer Wellenlänge schlugen, trotzdem erfüllte ihn Yuugis Optimismus und schenkte ihm Zuversicht.
 

Kaiba beugte sich zu seiner Tasche und holte seinen Laptop und einen Umschlag heraus. Das Surren des Geräts erinnerte ihn an seinen Büroalltag und seine Aufgaben in der Firma, aber er fühlte sich nicht gestresst, sondern motiviert. Spherium war keine Routine. Spherium war auch für ihn völlig neu und erfrischend. Die anderen Projekte, an denen in den einzelnen Abteilungen gearbeitet wurden, waren überschaubar und die meiste Arbeit blieb bei seinen Angestellten hängen, sodass er sich hauptsächlich um das große Drumherum kümmerte. Die letzten Monate hatte er fast nur mit Finanzen, Marketing und Controlling verbracht, also stellte Spherium auch für ihn eine willkommene Abwechslung dar. Seit er angefangen hatte, den Großteil seiner Aufgaben abzugeben, hatte er auch weitaus mehr Freizeit, die er in seine geplanten Projekte stecken konnte.
 

Zum Glück hatte sich seine Sekretärin um alles Weitere gekümmert. Er öffnete sein 3D Programm.
 

„Immer dasselbe.... ständig bleibt das Programm hängen“, knurrte er mürrisch und trommelte mit einem Finger wild auf der Tischplatte herum. Kaiba wurde ungeduldig. Die beste Software brachte nichts, wenn die Hardware nichts taugte und dabei handelte es sich bei seinem Laptop um das neueste Modell, das es auf dem Markt gab. Yuugi schmunzelte, legte den Kopf schief.
 

„Schon wieder schlechte Laune?“, fragte er und hob amüsiert eine Augenbraue.
 

„Ich bin nicht schlecht gelaunt“, meinte er monoton, ohne vom Bildschirm wegzusehen.
 

Yuugi erhob sich von seinem Platz und setzte sich neben Kaiba. Dieser hob nun doch den Blick und rückte ein wenig zur Seite.
 

„Ich kenne dieses Programm nicht, also wirst du mir eine Menge erklären müssen. Ich hoffe wirklich, dass du dafür genügend Geduld hast, wenn du bereits jetzt genervt bist, Kaiba-kun“, erklärte er dann, zog sein Jackett aus und legte es über die Stuhllehne, nebenbei krempelte er sich die Ärmel seines Hemdes hoch. Der Brünette atmete tief durch. Yuugi hatte Recht. Er musste die Ruhe bewahren und sich nicht wegen solcher Kleinigkeiten aus der Ruhe bringen lassen. Er war der Chef. Es war sein Job ruhig zu sein und Anweisungen zu geben. Trotzdem kochte jedes Mal, wenn etwas nicht nach Plan ging oder unerwartete Probleme aus dem Nichts auftauchten, die Wut in ihm hoch.
 

„Keine Sorge. Es ist mein Job dich einzuweisen und du weißt, dass ich Perfektionist bin.“
 

„Vielleicht ist da der Fehler?“
 

„Was für ein Fehler?“
 

„Fehler passieren. Man kann nicht immer alles zu 100% so machen, wie man es geplant hat, aber das darf einen trotzdem nicht aus der Ruhe bringen. Du bist direkt genervt, wenn etwas nicht plangemäß abläuft. So ein Programm braucht länger zum Hochfahren und braucht eine Menge an Arbeitsspeicher. Kein Grund, direkt genervt zu sein. Ich habe Zeit“, meinte er und schenkte Kaiba ein Lächeln, von dem er nicht wusste, ob er es als Provokation oder als nette Geste meinte. Yuugi war so gefasst und ruhig, dass Kaiba selbst seine Zweifel vergaß. Dass das Programm länger zum Starten brauchte als gedacht, ärgerte ihn von einem Moment auf den nächsten nicht mehr.
 

„Dann mach dich bereit dazu, die ganze Nacht hier zu sitzen“, grinste er und lehnte sich zurück.
 

„Kein Problem, ich habe ja eine nette Begleitung.“
 

Kaiba sagte daraufhin nichts. Stattdessen öffnete er den Umschlag und zog die Blaupausen heraus, verteilte sie auf dem Tisch und gab Yuugi einen Moment Zeit, sich mit den Unterlagen vertraut zu machen und die Bauzeichnungen zu verstehen. Kaiba hatte rund um die Sphäre weitere Geräte gemalt. Zwei Sitzplätze. Ein Gerüst um die Sphäre herum. Akribisch genaue Berechnungen der einzelnen Teile und wie sich die Hologrammtechnik einfügen sollte. Nachdenklich beugte sich Yuugi darüber und nahm einen der Entwürfe in die Hand, um sich die einzelnen Details genauer ansehen zu können. Er war so fasziniert von Kaibas exakten Entwürfen, dass er nicht mal bemerkte, dass dieser ihn einen prüfenden Blick entgegen warf.
 

„Und? Irgendetwas auszusetzen?“
 

„Das ist perfekt. Und für einen Prototypen sieht es sehr solide aus.“
 

„Spherium wird zunächst in Richtung Arcadegaming gehen. Ich halte es für sinnvoll, erst mal zu probieren, wie sich das Ganze realisieren lässt, bevor wir an Massenproduktion denken. Aufgrund der ganzen Technik dahinter, wird es kein Spiel sein, dass man mal eben unterwegs spielen kann. Generell dauert eine Partie recht lang, wenn man davon ausgeht, dass beide Spieler gut sind und daher habe ich die Sphäre in einer weiteren Sphäre integriert, in der man sitzen kann.“
 

„Das Spielfeld ist weitaus größer, als ich gedacht hätte“, murmelte Yuugi ohne den Entwurf aus der Hand zu nehmen.
 

„Klar, anstelle der Marker dachte ich an Duel Monsters Figuren, die auf der Sphäre erscheinen. Ich glaube, dass das als Grundkonzept besser funktioniert und ein angenehmen Spielfluss bringt, wie auch ein bisschen Entertainment.“
 

„Grandios... aber diese Blaupause hier...“, Yuugi nahm einen weiteren Entwurf in die Hand und zeigte auf die Zeichnung. „Die sieht anders aus. Und was soll diese gigantische Kugel außerhalb der Sphäre?“
 

„Hach, Yuugi... du musst größer denken! In ganz anderen Dimensionen! Das eigentliche Spiel wird in den Kaibaparks und den Arcadehallen sein, aber ich wäre wohl kaum Seto Kaiba, wenn ich unser erstes Spiel nicht besonders inszenieren würde, oder?“
 

Yuugi legte den Kopf schief und warf ihm nur einen skeptischen Blick zu.
 

„Das ist die Erde, Yuugi.“
 

„Warte... was?!“
 

„Ich plane auf meiner Raumstation eine spezielle Version von Spherium zu bauen, wo nur wir beide miteinander spielen werden. Unsere Duelle sind für mich etwas Besonderes und auch der Rest der Welt soll unseren Kampf sehen. Die Menschen sollen den Kampf zweier erbitterter Rivalen sehen und bestaunen können! Die Monster werden also nicht auf der Sphäre, sondern auf der Erdkugel mithilfe von Satelliten übertragen, welche die Hologramme um die Erdatmosphäre transferieren werden“, erklärte Kaiba mit einem solch zufriedenen Gesichtsausdruck, als würde er über die Erfolge seines eigenen Kindes reden.
 

Er war so vernarrt in diese Idee, dass ihn Yuugis ungläubiger Blick nicht mehr erreichte und er weiter von seiner Vorstellung und ihrer epischen Revanche prahlte. Dieses Duell würde neue Maßstäbe setzen.
 

Die ganze Welt sollte wissen, wozu die Kaiba Corporation in der Lage war und dass die Ideen aus den Science Fiction Romanen nicht mehr in ferner Zukunft lagen, sondern in greifbarer Nähe. Die Technik des 21 Jahrhunderts war bereits so weit vorangeschritten, dass selbstfahrende Autos den Menschen kein müdes Lächeln mehr entlockten, sondern zum absoluten Standard werden würden. Diese Zukunft war nur noch einen Schritt entfernt. Vieles, von dem man glaubte, dass dies erst in ein paar hundert Jahren umsetzbar war, war bereits heute gut machbar. Meist fehlte es nur an Geldern und Akzeptanz der Gesellschaft. Es lag meist an der moralischen Komponente und die Gefahren der Digitalisierung. Die Furcht vor der Abhängigkeit.
 

Bereits heute war der Einsatz von Robotern und künstlichen Intelligenzen ein Teil der funktionierenden Gesellschaft. Automaten, die Tickets oder Getränke verkauften. Roboter, die in Museen eingesetzt wurden, um die Geschichte der Menschheit herunter zu rattern. Der Mensch selbst wurde immer bequemer und viele lästige Aufgaben wurden an die niemals quengelnden KIs abgegeben. Warum sich die Mühe machen und selbst Kaffee kochen, wenn man doch einen Knopf drücken konnte und sich bequem auf die Coach setzen und mit einem guten Buch in der Hand darauf warten konnte, dass der Kaffee von selbst in die Tasse kam? Warum aufstehen und den Lichtschalter betätigen, wenn Händeklatschen reichte? Selbst das ganz normale Leben wurde mehr und mehr von Technik bestimmt. Selbst die kleinsten alltäglichen Dinge wurden mithilfe von technischen Hilfsmitteln bewältigt.
 

Bereits heute war Japan derart vernetzt und digitalisiert, dass es für die meisten Menschen vollkommen normal war, nicht von einem Menschen aus Fleisch und Blut begrüßt zu werden, sondern von einer automatischen Ansage. Kaiba war der Ansicht, dass dies die Zukunft der Menschheit war. Er selbst wollte ein Teil dieser Zukunft sein. Und nicht nur am Rande erwähnt. Nein, die KC würde maßgeblich am Wandel der Gesellschaft beteiligt sein. Er wollte ein Teil dieser Zukunft sein.
 

Bereits jetzt sammelte er weltweit Daten. Zwar meist nur über andere Duellanten, aber schon bald würde diese Art der Überwachung und Kontrolle vollkommen legitim sein, da sie langfristig zu mehr Sicherheit führen würde. Kaiba glaubte fest daran, dass Kontrolle gleichzusetzen war mit guten Ergebnissen. So hatte er ein wachendes Auge auf Domino und die Anzahl der schweren Delikte wurden immer geringer, da dank der Technik Straftäter weitaus schneller überführt werden konnten. Kaiba war stolz darauf, dass er dank seiner Satellitenbilder zur Lösung schwieriger Fälle beitragen konnte. Dadurch, dass Kriminelle weitaus schneller gefasst werden konnten, wurde Domino langsam sicherer. Obwohl Kaiba diverse Banden und Vereinigungen immer noch ein Dorn im Auge waren. Er duldete Kriminelle in seiner Stadt nicht. Domino würde sich so entwickeln, wie er es sich vorgestellt hatte.
 

Seine Satelliten waren zwar in erster Linie dazu da, um die Duellanten bei ihren Duellen zu sehen und ihre Fähigkeiten zu bewerten, aber sie sammelten jedoch auch Informationen und wenn Kaiba es wollte, konnte er den Standpunkt jedes einzelnen Menschen, der sein Interesse geweckt hatte, herausfinden.
 

Seinem wachen Blick entging nichts. Ob das moralisch korrekt war, interessierte ihn nicht. Immerhin nutzte er die Möglichkeit der Überwachung selbst nur dann, wenn es absolut nötig war und seit er Yuugi als seinen Partner eingestellt hatte, achtete er mehr darauf, diese Möglichkeit nicht zu missbrauchen. Er achtete mehr auf die Privatsphäre seiner Mitarbeiter. Nun, eher wollte er Yuugis endloses Vertrauen nicht missbrauchen und glaubte, dass Yuugi auch ohne Hilfe gut zurecht kam. Was zu Anfang wie eine absolut dumme Idee erschien, erwies sich mehr und mehr als kluger Schachzug. Yuugi war durchaus fähig, die ihm übertragenen Aufgaben zu erledigen, sodass die meisten Überwachungsgeräte in der KC seitdem auf Standby standen.
 

Hologramme waren ein Teil der Zukunft und seine Technik hatte diese Welt bereits jetzt so sehr geprägt, dass Duelle in Duel Monsters mit lebensechten Darstellungen der Monster nicht mehr wegzudenken waren.
 

So oder so, war es die Überwachung und die Technik, die die soziale Gesellschaft zum Positiven wandelte. Demnach war Kaiba von seiner Technik dermaßen überzeugt, dass die negativen Kritiken für ihn wie kindisches Geplärre konservativer alter Leute klang, die sich nach Tradition sehnten und Angst davor hatten, dass die Menschlichkeit und moralische Werte verloren gingen, während sie selbst die meisten Gespräche mit den Freunden über ihre Smartphones abhielten und Gebrauch dieser verpönten Technik machten.
 

Ihn ging es viel mehr um die Katalogisierung und das Sammeln von Informationen, die ihm zur Erstellung eines perfekten Netzes nützlich werden würde, das nicht nur Japan, sondern die ganze Welt, miteinander verband. Daraus konnte man nur profitieren. Dieser Strukturwandel war der Geist der Zeit und manchmal waren Opfer nötig, um die gesamte Menschheit an sich weiter zu bringen. Der Wegfall von Arbeitsplätzen war sicher ein Problem, aber Kaiba wollte sich den sich ihm erstreckenden Möglichkeiten nicht verschließen. Außerdem schuf die Kaiba Corporation jährlich mehrere hunderttausend neue Jobs. Mit jedem Mitarbeiter, der durch eine Maschine ersetzt wurde, wurde eine andere Arbeitskraft an einer anderen Stelle notwendig. Die Digitalisierung war eine unveränderbare Tatsache der menschlichen Gesellschaft und nicht mehr aufzuhalten. Spiele basierten auf Programmen, Codierungen und verließen sich auf technische Geräte.
 

Die Nachfrage nach Spielen, die man bequem vor dem Fernseher oder unterwegs auf dem Handy spielen konnte, wurde immer größer und Kaiba sah in dieser Branche extrem viel Potential. Es wäre ein großer Fehler, dies zu ignorieren, weshalb die KC auch in viele verschiedene Richtungen ging. Spiele waren kein bloßer Zeitvertreib mehr, sondern ein Teil der Gesellschaft. Damals war es normal sich im Kino einen Film anzusehen, heutzutage waren der Großteil der Konsolenspiele so gut umgesetzt, das sie als Blockbuster durchgingen und immer mehr Aufmerksamkeit in diese Richtung geworfen wurde. Diesen Wandel zu ignorieren wäre fatal. Kaiba als Spieleentwickler wusste, wie er mit dieser Aufmerksamkeit der Medien umzugehen hatte und arbeitete gezielt darauf hin, die Presse mit seinen Projekten zu begeistern.
 

„Natürlich ist es dafür nötig, dass ich die exakten Maße der Erde ermittele und das Datennetz der KC weiter ausbaue, aber das hatte ich ohnehin vor. Die Digitalisierung unser Welt ist ein wichtiger Bestandteil unserer Evolution als Menschen.“
 

„Ist das dennoch nicht zu viel Guten? Das ist weitaus mehr Arbeit als geplant, dafür dass es keinen richtigen Nutzen hat. Und wie werden die Menschen reagieren? Es gibt immer noch eine Menge Menschen, die Angst vor den lebensechten Hologrammen haben. Ein Drache, der plötzlich am Himmel erscheint könnte eine Massenpanik verursachen. Und somit neue Debatten anregen.“
 

„Yuugi, das ist die Zukunft. Mal davon abgesehen, dass ich die Menschen ohnehin vorher informieren werde, ansonsten würde das negativ auf mich zurückfallen. Ein Projekt wie Spherium wird den Menschen erst mal bewusst machen, wie weit die Technik ist und was man alles mit ihr machen kann. Dass man Spiele nicht nur auf dem Bildschirm spielen, sondern auch in die Realität verfrachten kann.“
 

„Ich weiß ja nicht...“ Der Gedanke, die Erde selbst als Spielfeld zu nutzen, war verlockend. Dennoch gab es so viele Gefahren, die er aufkommen sah.
 

„Virtual Reality war bereits seit dem 19 Jahrhundert ein Thema, das Wissenschaftler weltweit erforscht haben. Schon damals waren die Menschen von den schier endlosen Möglichkeiten fasziniert.“
 

Yuugi wirkte immer noch nicht überzeugt, hörte ihm weiterhin aufmerksam zu.
 

„Damals war das Ganze noch nicht so weit entwickelt wie heute. Man sagte, es wäre schlicht und ergreifend nicht realisierbar. Man hatte damals nicht die Möglichkeiten, eine virtuelle Welt realistisch darzustellen. Aber heute ist das anders. Das ist die Veränderung, die sich in den letzten Jahren immer mehr entwickelt hat. Virtual Reality ist heutzutage kein Wunschdenken mehr, sondern eine eigene Branche und die Spiele in diese Richtung erfreuen sich immer größerer Beliebtheit. Siehst du denn wirklich das Potential nicht? Reicht es dir, wenn Spherium allein in Arcadehallen spielbar ist? Strebst du nicht nach Höherem?“
 

„Ich verstehe, was du sagen willst, aber ich glaube, dass du eine andere Vorstellung von Spielen hast als ich. Spiele sind für mich kein Werkzeug, um meine überragenden Fähigkeiten zu präsentieren, sondern eine Leidenschaft, in der ich mich ausleben und einfach nur Spaß haben kann. Du vermischt Spiele, in diesem Fall Spherium, mit Wissenschaft. Ich will ein Spiel schaffen, dass Freude bringt. Ich möchte niemanden damit überzeugen, sondern meine Kreativität ausleben und damit andere Menschen begeistern.“
 

„Ich sage auch nicht, dass das nicht geht, Yuugi. Die Technik verändert sich. Sie entwickelt sich weiter. Was damals kindische Phantasien waren und als Unsinn abgetan wurde, ist heute Realität. VR wird zwar meist in Spielen eingesetzt, aber damit ist weitaus mehr möglich. Durch Spiele gewöhnen sich die Menschen viel eher an diese Technik. Sie lernen besser mit ihr umzugehen.“
 

„Hm... du willst Spherium aber nicht nutzen, um damit Spaß zu haben, sondern um deine Revanche imposant in Szene zu setzen. Geht es dir wirklich um Spherium und den Nutzen, der sich daraus ergibt oder um dein Ego? Deinen Ruf?“
 

Kaiba fand keine Antwort darauf. Ging es ihm wirklich darum, Spherium fertigzustellen oder hatte er unbewusst mit Hintergedanken gehandelt? War seine Entscheidung, Yuugi bei seinem Spiel zu helfen und ihn zu seinem Partner zu machen, etwa aus selbstsüchtigen Gründen motiviert? Für einen Moment stockte ihm der Atem. Yuugis prüfender Blick lag auf ihm.
 

Die letzten Wochen waren anders gewesen. Besonders. Er fühlte sich in seiner Arbeit geradezu beflügelt und auch wenn er es ungern zugab, so war Yuugis bloße Präsenz beruhigend und erfüllte ihn mit einem eigenartigen Gefühl der Sicherheit. Mit Yuugi an seiner Seite fühlte er sich motivierter und irgendwie ausgelassener. Die Dinge, die er sonst zu verdrängen versuchte, waren auf einmal weniger schlimm und viel erträglicher. Ihre Zusammenarbeit hatte etwas in Gang gesetzt, von dem er nicht wusste, dass es zum Stehen gekommen war.
 

Yuugi auszunutzen und somit Atems Wunsch mit Füßen zu treten, war das Letzte, was er wollte. Nein, hier ging es um weitaus mehr.
 

„Ich verstehe, was du meinst und ich stimme dir auch zu. Ich möchte nur nicht, dass du mein Spiel zum Spielball der Wissenschaft machst...“
 

„Yuugi, ich schätze dich als Person.“
 

„Hm? Was?“, fragte Yuugi unsicher nach und betrachtete ihn mit großer Verwunderung.
 

„Zwing mich nicht dazu, das zu wiederholen...“, grummelte Kaiba und ließ sich seine Aufregung kein bisschen anerkennen.
 

„Du bist mir wichtig und ich könnte mir niemals verzeihen, würde ich dich für meine Zwecke missbrauchen, deshalb... vertrau mir. Spherium wird die Welt verändern. Natürlich werden dadurch Debatten angeregt, aber das ist gut so. Die Gesellschaft an sich muss lernen mit dieser Technik umzugehen und erkennen, dass sie nicht nur eine Gefahr ist. Spherium wird die Menschen weltweit bewegen.“
 

„Kaiba-kun... danke.“
 

Gemeinsam setzten sie sich wieder an die Blaupausen. Als das Programm nach einer gefühlten Ewigkeit startete, konnte Kaiba seinem Geschäftspartner eine 3D-Animation des Geräts vorstellen, die er selbst angefertigt hatte. Er erklärte ihm jedes Detail und wie welcher Teil hergestellt werden würde, welche Metalle verwendet werden würden, um das Gerüst zu bauen und wie die Hologramme programmiert werden würden. Nach einer ganzen Weile kam ein Kellner zu ihrem Tisch und fragte, ob sie noch etwas wünschten. Ohne großartig nachzudenken, bestellte Kaiba einen Espresso für sich selbst und einen Kaffee mit Schokonote für seinen Partner. Es erstaunte ihn selbst, dass er sich Yuugis Eigenart gemerkt hatte und Yuugi grinste breit vor sich hin, sagte aber kein Wort.
 

Die Zeit verging rasend. Es war bereits halb eins in der Nacht und immer noch sprachen sie angeregt über ihr Projekt und diskutieren zwischendurch über die Veränderungen, die ein solches Spiel mit sich brachte. Irgendwann hatten sie die Planung komplett durchgesprochen und Kaiba machte Notizen darüber, welche seiner Angestellten für die komplizierte Programmierung zuständig sein würde. Yuugi staunte darüber, wie schnell sie sich einig wurden und mit viel Begeisterung Kaiba von Spherium sprach. Seine Augen strahlten. Seine Seele war befreit. Nichts mehr zu sehen von dem sonst so griesgrämigen Firmenleiter, der alles viel zu ernst nahm und immer alles perfekt machen wollte.
 

Yuugi hatte das Gefühl, als würde er mit einem guten Freund einen ganz normalen Abend verbringen, wo sie über ihre Erfahrungen und Wünsche sprachen. Sie teilten dieselbe Leidenschaft und diese Leidenschaft für Spiele, diese schier endlose Faszination für diese, verband ihre Seelen. Kaibas Lachen war echt. Seine Euphorie für Spherium war nicht gespielt und zum ersten Mal seit Langem fühlte sich Yuugi ernst genommen. Mit Kaiba zusammen würde Spherium ein Erfolg werden.

Kapitel 37

Als Kaiba sich nach vorne beugte und nach seiner Tasse Kaffee griff, hörte Yuugi, wie etwas auf dem Tisch landete. Ein kleiner goldener Anhänger. Eine Kette, die sanft im Licht glänzte und sofort seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Moment. Er hatte das Gefühl, diese Kette zu kennen. Ein Skarabäus. Die Machart war sehr altmodisch und es war eindeutig kein einfaches modisches Accessoire.
 

Kaiba selbst schien nicht bemerkt zu haben, dass ihm etwas aus der Tasche gefallen war, denn er endete seinen Redeschwall nicht. Seine Stimme verstummte, als er sah, dass Yuugi einen vertrauten Gegenstand in der Hand hielt. Vielleicht hätte er fragen sollen, aber wie aus einem Reflex hatte er nach dem Anhänger gegriffen und bestaunte es mit einem derart nostalgischen, verträumten Blick, dass man meinen konnte, er würde jeden Moment in Tränen ausbrechen. Kaiba wurde still. Von einer Sekunde zur nächsten wurde die Atmosphäre bedrückend.
 

„Ein Herzskarabäus...“, sagte Yuugi mit einem Lächeln und drehte den Anhänger, strich mit einem Finger über den Edelstein und seufzte leise aus. Kaiba musste seine Worte verarbeiten.
 

„Du weißt, was das ist?“ Plötzlich war er erfüllt von Neugierde.
 

„Ja. Mein Großvater hatte einige Archäologen als Freunde und hat sehr viel über das Alte Ägypten gelernt. Wenn man einen Menschen besonders gern hatte, schenkte man ihm einen Glücksbringer. Der Herzskarabäus ist ein Anhänger, der einem dabei helfen soll, den Weg ins Jenseits zu finden. Zu der Welt, in der man gehört. Hier, schau mal“, begann er und zeigte Kaiba die Unterseite des Skarabäus, auf welchen Hieroglyphen eingraviert waren.
 

„Das ist vermutlich ein Zauberspruch. Die alten Ägypter glaubten an Magie, waren aber auch sehr bewandert in der Wissenschaft. Eigenartig, nicht wahr? Sie waren abergläubisch und doch in der Lage mithilfe von Geometrie unglaubliche Architekturen zu erbauen, die bis heute erhalten blieben. Sie waren ihrer Zeit wirklich voraus.“
 

„Kannst du lesen, was dort steht?“ Kaibas Herz schlug wild. Er hatte die Gravur gesehen und aus irgendeinem Grund hatte er die Worte tatsächlich entziffern können. Auch wenn er es nicht wahrhaben wollte, so war er mit Atem verbunden und er hatte Erinnerungen, die nicht die seinen waren. Er verdrängte die Tatsache, dass er die Hieroglyphen lesen konnte. Er wollte damit nichts zu tun haben. Dieses Amulett erinnerte ihn stets daran, weiter zu machen und nicht den Kopf zu verlieren. Es war ein Geheimnis, das er mit niemanden teilen wollte. Ein Symbol des Schwurs, den er seinem eigenen Herzen gegenüber geleistet hatte. Niemals aufzugeben und zu kämpfen. Nicht mehr zurück zu sehen und den Blick stets nach vorne in Richtung Zukunft zu richten.
 

Die Worte auf dem Amulett waren kein Zauberspruch, sondern Atems letzten Worte an ihn. Eine Botschaft. Sein Wunsch. Eine Bitte. Diese Worte waren vermutlich der Grund, warum sie nun hier saßen und warum Kaiba sich überhaupt auf Yuugi eingelassen hatte. Dieses Amulett bedeutete ihm zu viel und es gab keine Worte, die diese aufkeimenden Gefühle, die er empfand, wenn er das Amulett betrachtete, beschreiben konnten. Kein Wort der Welt würde dem gerecht werden, was Kaiba empfand. Mit niemanden anderen wollte er dieses Geheimnis teilen. Nicht einmal mit Mokuba oder Yuugi. Diese Worte waren seine letzte Verbindung zu Atem.
 

„Nein, leider nicht...“
 

„Du weißt recht viel über das Alte Ägypten“, kam es anerkennend von Kaiba, der erneut nach seiner Tasse griff, mehr um von seiner Verlegenheit abzulenken.
 

Er war nicht gut darin Smalltalk zu halten. Er hatte gelernt, Interesse zu vorzutäuschen und die typischen Floskeln kannte er natürlich alle auswendig, aber wenn er mit anderen Geschäftspartnern redete, war er stets darum bemüht, sich so zu verstellen, wie sein Gegenüber ihn sich vorstellte. Es war notwendig, sich anzupassen, wenn man einen guten Eindruck hinterlassen wollte. Aber Yuugi war mehr als sein Geschäftspartner und er wollte ihm gegenüber ehrlich sein. Letztendlich hätte Yuugi es ohnehin bemerkt, wenn er sich verstellt hätte und er spürte auch nicht die Notwendigkeit, einen guten Eindruck hinterlassen zu müssen, da Yuugi ohnehin so naiv war, dass er trotz Kaibas Aussagen, die gerne unter die Gürtellinie gingen, immer wieder kam. Yuugi war wie ein Hündchen, das immer wieder kam, ganz egal, wie oft man es von sich schob. Und jedes Mal wedelte er nur mit noch größerer Begeisterung mit dem Schwanz.
 

„Ich hatte ja auch genügend Zeit, mich zu informieren. Meine Großvater hat mir viel beigebracht, aber das allein hat mir nicht gereicht. Auch jetzt habe ich das Gefühl, dass ich immer noch viel zu wenig weiß.“
 

„Über ihn“, korrigierte Kaiba mit einem kleinen Grinsen. Yuugi gab ihm das Amulett zurück und senkte den Blick. Er konnte hören, wie Yuugi tief die Luft einsog und hörbar ausatmete. Ein tiefes, trauriges Seufzen, das Kaiba nur zu gut nachempfinden konnte.
 

„Ja, über ihn“, wiederholte Yuugi und strich sich nervös eine Haarsträhne hinter sein Ohr. Er zwang sich zu einem Lächeln. Die Worte, die er suchte, konnte er einfach nicht finden. Das alles war ihm unangenehm.
 

Vor allem vor Kaiba. Dieser sollte unter keinen Umständen denken, dass er eine Heulsuse war und daher kämpfte er umso mehr mit seinen aufkommenden Emotionen und versuchte standhaft zu bleiben. Wie sehr ihn Atems Abschied bis heute noch beschäftigte, wie viel Zeit er genutzt hatte, um mehr über das alte Ägypten zu lernen, um wenigstens ein wenig besser verstehen zu können, wie er lebte, was ihn faszinierte und wie die Welt aussah, in der er sich befand – das alles wollte er für sich selbst behalten. Auch Yuugi hatte Dinge, die er mit niemanden teilen wollte.
 

Er hatte so viele Fragen an Atem gehabt. Doch ihre Zeit war begrenzt und über all diese Dinge konnten sie nie reden. Atem war gegangen. Yuugi hatte sein Leben mit ihm geteilt. Yuugis Erinnerungen waren ein Teil von Atem. Sowohl die traurigen Erfahrungen, als auch die schmerzhaften und schönen. Sie hatten alles geteilt.
 

Doch über ihn wusste Yuugi fast gar nichts. Was mochte Atem? Was aß er gerne? Gab es Dinge, die er nicht mochte? Hatte er Freunde? Es gab so vieles, das Yuugi ihn fragen wollte. Doch er hatte nie die Gelegenheit dazu bekommen. Das einzige, das ihm blieb, war Reue. Er hätte ihn fragen können. Er hätte ihn fragen sollen. Und trotzdem hatte er es nicht getan.
 

Atem hatte andere Dinge im Kopf gehabt und Yuugi hatte respektiert, dass er Zeit für sich brauchte, um mit seiner Situation zurecht zu kommen. Als ihm bewusst wurde, dass er gehen musste und dass dies seinem eigenen Wunsch entsprach, hatte er selbst Yuugi auf Abstand gehalten und ab diesem Zeitpunkt hatte er das Gefühl, dass sie trotz ihrer Nähe zueinander, sich voneinander entfernt hatten. Dass sie nicht mehr alles teilten. Dass der Weg, dem sie folgten, eine Gabelung hatte, an der sie unterschiedliche Richtungen eingeschlagen hatten.
 

Und jetzt konnte er nur noch darüber nachdenken, was er hätte anders machen sollen. Yuugi senkte den Blick.
 

„Tut mir leid... Atem war auch dir sehr wichtig. Wir hatten beide unsere eigene Verbindung zu ihm. Es war auch für dich sehr schlimm, ihn zu verlieren“, meinte Yuugi dann und bemühte sich sehr darum, dass Zittern in seiner Stimme zu verbergen. Wieso nur wurde er immer so sentimental, wenn er über ihn nachdachte? Dann hob er den Kopf. Es nützte nichts, traurig zu sein! Atem hätte ihn so nicht sehen wollen und die Erinnerung an seinen Mut half ihm dabei, den Blick auf das Wesentliche zu werfen. Er durfte jetzt nicht nachlassen, vor allem, wenn er Atem beweisen wollte, dass er auch ohne ihn zurecht kam!
 

„Atem ist es, der uns zusammengeführt hat und es wäre gelogen, würde ich sagen, dass ich ihn nicht vermisse. Aber es bringt nichts, in der Vergangenheit zu leben und darüber nachzudenken, was wir anders hätten machen können. Konzentrieren wir uns lieber darauf, was wir tun können“, begann Kaiba mit einem erzwungenen Lächeln und stellte seine Tasse ab, die er nun komplett geleert hatte. Nie hätte er zu träumen gewagt, dass er einmal diese Worte sagen würde.
 

„Eines ist sicher, wenn wir uns wiedersehen, werde ich ihm mit Stolz davon berichten, was ich geschafft habe. So wie er werde ich etwas für die Ewigkeit schaffen. Er soll bloß nicht denken, dass er mir überlegen wäre“, beendete Kaiba mit einem selbstzufriedenen Grinsen. Das hier war ein Wettkampf. Denn Kaiba war sich sicher, dass er ihn wiedersehen würde. Irgendwann. Und wenn der Moment kam, würde er die Nase rümpfen und dem stolzen Pharao von seinen Erfolgen berichten. Pyramiden? Tempel? Pah! Kein Vergleich zu dem, was Kaiba hinterlassen würde!
 

„Und ich werde mich darum bemühen, zu beweisen, dass Mutou Yuugi auch ohne ihn zurechtkommt. Auf gute Zusammenarbeit, Kaiba-kun.“
 

Mit diesen Worten beendeten sie ihr Geschäftsessen, räumten ihre Unterlagen zusammen und machten sich auf den Rückweg. Es war bereits spät in der Nacht und als Kaiba ihn vor seiner Haustür absetzte, winkte er Kaibas Wagen hinterher und träumte vor sich hin. Auch wenn es bereits kurz vor 3 Uhr war, so konnte er jetzt nicht einmal ans Schlafen denken. Der Abend mit Kaiba und seine beinahe liebevolle Art ihn aufzuheitern, hatte ihm neuen Mut gegeben und er wusste, dass ihre zukünftige Zusammenarbeit geprägt sein würde von dem Wunsch, gemeinsam etwas zu erreichen.
 


 

Die Tage vergingen. Yuugi arbeitete so sicher und professionell, dass Kaiba ihn kein einziges Mal rügen musste und er nicht einmal mehr die Notwendigkeit verspürte, ständig ein wachendes Auge über ihn zu haben. Mit einem zufriedenen Lächeln besuchten sie die einzelnen Abteilungen, besprachen die Probleme mit den Mitarbeitern und fanden neue Lösungsansätze, lösten Konflikte und das Betriebsklima verbesserte sich ungemein. So sehr sogar, dass man bereits auf den Fluren der KC immer mal wieder angeregte Gespräche mitverfolgen konnte. Die Begeisterung der Mitarbeiter war echt und nicht mehr geprägt von der Angst ihren Job zu verlieren oder gar mit Kaibas schlechter Laune konfrontiert zu werden.
 

Kaiba, der den Großteil seiner Aufgaben nun an die entsprechenden Abteilungen gegeben hatte, hatte weitaus mehr Zeit für seine eigenen Projekte und kam, wie er es seinen kleinen Bruder Mokuba versprochen hatte, pünktlich zum Abendessen nach Hause. Manchmal wäre Kaiba lieber länger im Büro geblieben, doch er wollte ihn nicht wieder enttäuschen und er hatte für sich selbst entschieden, dass er sich mehr Ruhezeiten gönnen musste. Mit Yuugi an seiner Seite, der so übermotiviert war, konnte er sich sicher sein, dass sämtliche Aufgaben pflichtgemäß erledigt wurden. Er konnte Yuugi vertrauen und das beruhigte ihn ungemein, nahm sogar den Druck von ihm immer alles kontrollieren zu müssen. Außerdem arbeitete er ja auch privat an diversen Geräten, die er fertigstellen wollte. Sein neuer Duel Disk beschäftigte ihn seit Monaten.
 

Und passend zu seinem Duel Disk wollte er ein Turnier veranstalten, in dem er das Gerät nicht nur promoten würde, sondern viele neue erfahrende Duellanten entdecken würde. Die Qualität der Duelle waren konstant geblieben, aber es gab immer eine Generation, wo besonders gute Duellanten herausstachen und die Aufmerksamkeit aller auf sich zogen. Natürlich kam niemand an Kaiba heran. Oder an Yuugi. Die Fangemeinde von Duel Monsters und die wachsende Beliebtheit des Spiels weltweit rief nach einem attraktiven Angebot und wer, wenn nicht Kaiba, der die Rechte des Kartenspiels seit Pegasus' Tod beinhaltete, konnte diesen Wunsch erfüllen? Kaiba hatte also sowohl in seiner Freizeit, als auch auf seinem Arbeitsplatz ausreichend zu tun. Er hatte viele Pläne für die Zukunft, da reichten 24 Stunden am Tag nicht einmal aus.
 

Mokuba schüttelte meist nur den Kopf, wenn Kaiba sich am Wochenende stundenlang in seinem Arbeitskeller verkroch und dort an seinem Werk herumschraubte und zwischendurch manisch lachte, weil er seinen Sieg gegen Yuugi bereits kommen sah. Mokuba lächelte dann nur, genoss es aber, seinen Bruder so ausgelassen zu sehen. Immerhin nahm er sich Kritik nun auch zu Herzen und wenn Mokuba mit ihm schimpfte, weil er zu viel Zeit mit Arbeit verbrachte und er mit ihm Tennis spielen wollte oder irgendetwas anderes gemeinsam unternehmen wollte, stellte Kaiba seine Arbeit auch ein und verbrachte Zeit mit seinem Bruder. Bis vor Kurzem war das nicht denkbar gewesen. Da hätte er ihn angebrüllt und die Tür abgeschlossen. Dieses „Pause machen“ und sich erholen war zwar neu für ihn, aber er gab zu, dass es unglaublich gut tat, sich zu bewegen oder mit seinem Bruder einfach nur zu reden und Zeit zu verbringen.
 

Selbstverständlich hatte Kaiba nach Mokubas Plänen gefragt und sich sogar dazu bereit erklärt, seine Freundin kennenzulernen. Das Mädchen war ein Jahr älter als Mokuba. Von außen war sie unscheinbar und wirkte so liebenswert. Kein ernstzunehmender Gegner. Ein Mädchen wie viele eben. Hatte Kaiba zumindest geglaubt. Dann musste er feststellen, dass dieses Mädchen nicht nur herausragende Fähigkeiten als Entwicklerin hatte, sondern sich auch einen Namen als Hackerin gemacht hatte. Als wäre das nicht schon genug gewesen, fand er ihren Namen auch noch im Duellantenverzeichnis. Sie hatte sieben von acht Sternen und gehörte somit zu den besten weiblichen Duellanten der Welt.
 

Kaiba schämte sich fast, sich nie weiter mit ihr befasst zu haben. Da waren eine Menge hochrangiger Duellanten, die sich in den letzten Jahren einen Namen gemacht hatten. Kujaku Mai gehörte ebenfalls zur Elite und hatte genauso wie Yuugi und er den Höchstrang. Kaibas Magen drehte sich jedoch um, als er merkte, dass Jounouchi bereits in den Top 10 der Weltrangliste war und nicht mehr lange brauchen würde, um ebenfalls acht Sterne zu bekommen. In den letzten Jahren hatte sich so einiges getan. Viele neue Duellanten und einige alte, bekannte Namen, die sich wacker durchkämpften und kleine Berühmtheiten wurden.
 

Rebecca war amerikanischer Meister und das seit zwei Jahren ungeschlagen. Sie gab Kontra und ließ sich nichts gefallen. Unerwarteterweise hatte Kaiba kein Problem mit ihr. Sie verstanden sich auf Anhieb gut. Vielleicht hatte sich seine Meinung auch nur geändert, weil sie eine bekannte Duellantin war und er glaubte, dass es keine bessere Wahl für seinen Bruder gegeben hatte.
 

Denn Kaiba setzte das Duellieren mit einer starken und unnachgiebigen Seele gleich.
 

Seine Sekretärin grüßte ihn morgens mit einer hochgehobenen Augenbraue, als könnte sie immer noch nicht fassen, dass ihr griesgrämiger Chef mit einem Lächeln zur Arbeit kam. Diese Veränderung fühlte sich für sie so unwirklich an, dass sie daran zu zweifeln schien, ob sie tatsächlich zur Arbeit gegangen war oder sich vielleicht doch noch im Tiefschlaf befand. In den letzten vier Wochen hatte Kaiba kein einziges Mal seine schlechte Laune an ihr ausgelassen. Er schrie sie nicht mehr grundlos an oder zitierte sie ins Büro, um sicherzustellen, dass sämtliche Abteilungen ihre Arbeiten planmäßig verrichteten. Sie konnte ihren tatsächlichen Aufgaben in Ruhe nachgehen.
 

Kaibas Tonlage und seine stets sarkastische Art hatte sie nie sonderlich gestört. Für sie war es vollkommen normal, dass Kaiba einen recht passiv-aggressiven Unterton in seiner Stimmlage hatte und sie hatte es nie persönlich genommen, wenn er bei ihr Dampf abgelassen hatte, da sie gelernt hatte, dass es besser war, ihn dann einfach in Ruhe zu lassen und sich seine Worte nicht zu Herzen zu nehmen. Seit Mutou Yuugi hier ein und aus ging, hatte Kaiba aber meist ein Lächeln auf den Lippen. Seine Gesichtszüge wirkten sanfter und er schien eine völlig andere Grundstimmung zu haben. Umso besser, fand sie, denn so machte das Arbeiten in der KC wieder richtig Spaß und sie konnte sehen, wie der junge Mann sich immer weiter entwickelte. Es erfüllte sie mit Stolz, ihn siegen zu sehen. Zu sehen, wie er und seine Visionen langsam Form annahmen.
 

Nur noch wenige Tage bis zur Veröffentlichung von Capsule Coliseum. Die Vorbestellungen waren aufgrund des guten Marketings durch die Decke gegangen. Mit Zufriedenheit betrachtete Kaiba die Statistik, die ihn die hohen Zahlen anzeigte und wie viele davon die Limited Edition mit exklusiver Figur ausmachten. Mokubas Spiel würde ein Erfolg werden. Bereits jetzt arbeitete das Team an möglichen zukünftigen DLCs – in anderen Worten, an herunterladbaren Inhalten, wo die Spieler neue Spielfelder und Figuren erwerben konnten. Micro Transactions waren ein wichtiger Bestandteil von Spieleentwicklern geworden, immerhin lag hier eine Menge Umsatzpotential, den man nutzen konnte, um zukünftige Projekte zu finanzieren. Die meisten DLCs waren bisher nur Ideen auf dem Papier, denn ob diese sich lohnen würden, würde sich erst im Laufe der Zeit zeigen. Erstmal musste das Spiel auf den Markt kommen.
 

Kaiba war sich jedoch mehr als nur sicher, dass Capsule Coliseum – unter den Mitarbeitern und Beteiligten einfach als CC abgekürzt – mehr als nur hervorragend verkaufen würde. Die Vorbestellungen sprachen doch bereits für sich! Generell konnte er verfolgen, welche Spiele momentan die größte Nachfrage erzielten. Die Ankündigung der neuen Attraktionen in den Kaiba Parks wurden ebenfalls mehr als nur positiv angenommen und in diversen Internetforen wurde bereits heiß diskutiert, was denn genau die Kundschaft erwartete. Die KC war in aller Munde. Genau so, wie Kaiba es sich vorstellte.
 

Mokuba hatte momentan nicht so viel zu tun, demnach befand er sich meist nur wenige Stunden in seiner Abteilung, ehe er wieder verschwand und seine Freizeit genoss. Es stand außer Frage, dass CC ein großer Erfolg werden würde. Doch ausruhen wollte sich der Schwarzhaarige auch nicht. Bereits jetzt hatte er zig Ideen und plante eine große Kooperation mit anderen Spielentwicklern. Je nachdem, wie hoch der Umsatz für CC ausfallen würde, würde Mokuba auch eine weitere neue Abteilung ins Leben rufen können. Im Moment dachte er stark über eine Kooperation mit dem Entwickler von Dungeon Dice Monsters nach, da das Brettspiel doch eine relativ große Fangemeinde hatte. Sicher würde DDM noch mehr an Beliebtheit steigen, würde man das Konstrukt der Figuren in eine virtuelle Darstellung verlegen. All das lag jedoch noch in ferner Zukunft.
 

Als Capsule Coliseum in die Läden kam, war die Resonanz überwältigend. Und Kaiba, der sonst selten ein Wort des Lobs verlor, hatte seine Hand auf Mokubas Schulter gelegt und ihm ein warmes Lächeln geschenkt. Dann ein Nicken. Ich bin stolz auf dich, hatte er ihm gesagt und sogar den Blickkontakt gehalten. Zum ersten Mal seit Langem hatte Mokuba das Gefühl, dass sein Bruder sich für ihn freute und an seinem Leben teilhaben wollte. Sie feierten den Erfolg von Capsule Coliseum und am späten Abend hatte Mokuba darauf bestanden, dass sie nach der kleinen Betriebsfeier noch ins Duel Café gingen, wo sie in Ruhe weiter quatschen konnten.
 

Yuugi war zunächst unsicher gewesen und wollte ablehnen, hatte gesagt, er hätte bereits etwas vor, doch als Kaiba zu ihnen kam und erklärte, dass er mitkommen wollen würde, hatte er seine Meinung ganz schnell geändert. Schnell hatte er sein Smartphone aus seiner Hosentasche gezogen und hastig über den Bildschirm getippt. Mokuba war sich sicher, dass er einer anderen Person abgesagt haben musste. Hoffentlich würde diese nicht allzu enttäuscht sein. Umso mehr freute sich der Schwarzhaarige, dass Yuugi sich umentschieden hatte.
 

Die Atmosphäre im Café war angenehm. Es war mitten in der Woche und am späten Abend waren nur wenige Kunden im Geschäft. Die höchste Kundenfrequenz hatte das Duel Café am frühen Morgen, wenn Schüler und hastige Arbeitnehmer sich schnell ein Frühstück besorgen wollten, bevor sie sich auf den Weg machten und am Nachmittag, wenn die Schüler vom Unterricht auf dem Nachhauseweg waren. Am späten Abend war nur wenig los, nur an den Wochenenden sah das Ganze anders aus. Da war es morgens ruhig und die Kundschaft trudelte erst spät ein.
 

Jounouchi, der hörte, dass die Eingangstür sich öffnete, grinste zufrieden als er seinen kleinen Freund und Mokuba durch die Tür eintreten sah. In seiner Hand hielt er ein Glas, das er vor nur wenigen Sekunden aus dem Geschirrspüler entnommen hatte und nun auf Hochglanz polierte, um es zurück ins Regal zu stellen. Seine Gesichtszüge verzerrten sich, als er hinter seinen beiden Freunden eine weitere Gestalt eintreten sah. Großgewachsen. Brünett. Von Natur aus ein arrogantes Arschloch. Vor Schreck fiel ihm das Glas zu Boden und erst das Klirren holte ihn aus seinem Wachkoma zurück.
 

„Scheiße...“, murmelte er und bückte sich nach dem Glas, wollte die Scherben rasch aufheben und sie entsorgen.
 

„Nimm gefälligst ein Kehrblech“, hörte er ein genervtes Raunen. Jounouchi hob den Blick und sah Kaiba verwundert an.
 

„Sonst schneidest du dich“, fügte er seinem Satz hinzu und setzte mit Mokuba und Yuugi direkt an den Tresen.
 

„Du hast mir gar nichts zu sagen!“, murrte Jounouchi und stand in nur wenigen Sekunden wieder kerzengerade, damit der Firmenleiter bloß nicht auf die Idee kam, dass er auf ihn herabblicken konnte. Er hasste es, wenn Kaiba glaubte, er wäre etwas Besseres und demnach konnte er es auch nicht leiden, wenn sie nicht auf einer Augenhöhe waren.
 

„Technisch gesehen, doch. Doch, ich habe dir sehr wohl etwas zu sagen. Ich bin schließlich gewissermaßen dein Chef“, erklärte Kaiba nur wenig beeindruckt und griff nach der Speisekarte.
 

„Wenn du fertig damit bist, die Scherben einzusammeln und zu schmollen, kannst du gerne unsere Bestellungen aufnehmen.“
 

„Kaiba-kun, bitte sei nicht so gemein“, kam es von Yuugi, der nun aufstand und hinter den Tresen ging, um dem Blonden beim Aufsammeln zu helfen. Mit großen, leuchtenden Augen sah dieser ihn an und dankte den Göttern dieser Welt, dass sie ihm Yuugi geschenkt hatten.
 

„Ich bin doch nicht gemein“, rechtfertigte sich Kaiba und zog verwundert die Braue hoch, während Mokuba amüsiert kicherte.
 

»Ich danke dir, Yuugi. Ohne dich wäre all dies nicht möglich gewesen. Ist schon eigenartig, wie alles in diesem Café angefangen hat und dass wir jetzt alle hier gemeinsam sitzen. Es wäre schön gewesen, hätten wir all diesen Ärger nicht gehabt und uns von Anfang an so gut vertragen, aber ich bin so unendlich froh, dass wir jetzt gemeinsam lachen können. Ohne dich, Yuugi... wer weiß? Vielleicht hätte ich Seto verlassen und einen Fehler gemacht, den ich den Rest meines Lebens bereut hätte.«
 

„Mokuba...? Stimmt etwas nicht? Du schaust mich so komisch an“, kam es verwundert von Yuugi.
 

„Nein, nein. Ich dachte nur, wie schön es ist, dass es dich gibt.“
 

Yuugi sah ihn mit großen Augen an. Die Röte schoss ihm ins Gesicht und verlegen kratzte er sich an der Wange. Kaibas Mundwinkel zuckten leicht. Er sagte kein Wort, stimmte seinem Bruder jedoch mit ein. Gedanklich fügte er noch etwas hinzu: Yuugi, danke, dass es dich gibt. Ich weiß nicht, was geschehen wäre, wenn du meine Herausforderung zum Duell nicht abgelehnt hättest. Aber sicher würde ich jetzt nicht hier sitzen, sondern arbeiten und riskieren, alles zu verlieren, was mir etwas bedeutet. Ohne dich hätte ich Mokuba verloren. Und mich selbst. Du und Atem, ihr beide, habt mir geholfen, wieder nach vorne zu sehen. Aber das würde er ihm niemals ins Gesicht sagen.
 

Jounouchi legte den Kopf schief. Diese Aussage hätte auch von ihm stammen können. Es war schon komisch, wie Yuugi sie alle verband und dass dieser unscheinbare Junge nicht einmal den Hauch einer Ahnung hatte, wie sehr er das Leben der hier Anwesenden verändert hatte. Was für ein Glück sie hatten, aufeinander getroffen zu sein. Jounouchi senkte den Blick für einen Moment.
 

»Mokuba hat recht. Du weißt es vielleicht selbst nicht, aber du bist unser Held. Wenn du nicht gewesen wärst, Yuugi, dann würde ich mich immer noch mit irgendwelchen Straßenrowdys prügeln, nur um mich selbst davon abzulenken, wie sehr ich mich selbst hasse. Du bist es, der diesen unendlichen Selbsthass von mir genommen hat. Nur wegen dir kann ich mich wieder selbst mögen und kann nach vorne sehen. Du bist die Verbindung zwischen uns allen und der Grund, warum ich noch lebe. Was würde ich nur ohne dich tun?«
 

Jounouchi seufzte kaum hörbar.
 

„Ehm... danke für das Kompliment, auch wenn ich gerade echt nicht weiß, wie du ausgerechnet jetzt darauf kommst.“
 

„Nur so, Yuugi. Nur so.“
 

Yuugi schämte sich, weil er nicht verstand, warum seine drei Freunde so grinsten. Aber es war ihn unangenehm, zu fragen, was das Ganze sollte.
 

„Ist deine Freundin heute nicht gekommen, Mokuba?“, fragte Jounouchi nach und hob stutzig eine Augenbraue.
 

„Mädelsabend, da habe ich keine Chance“, lachte er und Jounouchi erwiderte dieses Lachen.
 

„Schrecklich, was? Unsere Ladys ticken da ganz anders, hm? Ich könnte mir nicht den ganzen Abend Schnulzen angucken“, erklärte der Blonde.
 

„Schnulzen? Quatsch, meine Freundin ist ein Nerd. Die wird mit ihren Freundinnen die ganze Nacht lang zocken.“
 

Yuugi warf einen Blick auf die Uhr. Eigentlich hätte er auch schon da sein sollen. Wo blieb er nur? Als erneut das automatische Klingeln ertönte, das signalisierte, dass ein Gast eingetreten war, hoben sie alle die Blicke und drehten sich zu dem unbekannten Gast hin. Ein Mann mit kurzen blonden Haaren, breiter Brille und einem braunen Filzmantel und unter diesem ein Anzug trat ein. Ungewöhnlich, dass noch andere Kunden mitten in der Woche hier auftauchten, fand Jounouchi. Er hatte die Atmosphäre gerade angefangen zu genießen, mal davon abgesehen, dass er bei seinen Freunden nicht so sehr auf seine Sprache achten musste und nicht den Vorzeigekellner spielen musste.
 

Yuugi strahlte und sprang vom Tresen auf, lief auf den Gast zu. Kaiba und Mokuba hoben beide erstaunt die Augenbrauen und wunderten sich über den Fremden, auf den Yuugi sogar gewartet zu haben schien.
 

„Hanasaki-kun!“, rief er fröhlich und sprang dem Größeren in die Arme. Dieser legte die Arme um ihn und lachte.
 

„Tut mir leid, dass es so spät geworden ist. Ich musste noch lange arbeiten. Es ist toll, dich wieder zu sehen... nein, euch alle wiederzusehen.“
 

„Kaiba-kun!“, sprach Yuugi den Brünetten mit einem derart glücklichen Lächeln an, dass diesem der Magen sich umdrehte. Er wusste nicht warum, aber er konnte diesen Fremden jetzt schon nicht ausstehen. Irgendetwas in ihm löste Unbehagen aus. Auch dass Yuugi dem Kerl immer noch so nahe war, machte ihn wütend. Trotzdem ließ er sich diesen Ärger nicht ansehen und sah den Fremden ausdruckslos, vollkommen unbeeindruckt an. In seinem Hinterkopf hörte er aber die folgenden Worte: Nimm deine Flossen von ihm. Er versuchte diesen Gedanken möglichst schnell beiseite zu schieben.
 

„Das ist Hanasaki-kun. Wir waren damals in einer Klasse. Sicher, erinnerst du dich“, erklärte Yuugi und die beiden kamen den Tresen näher. Seit ihrer Begegnung hatten sie wieder regelmäßig Kontakt. Sie schrieben über ihren Messenger und am Wochenende trafen sie sich und quatschten über dies und das. Meist über neu erscheinende Mangas und ihre Lieblingshelden in der Shonen Jump. Zwischendurch redeten sie auch über amerikanische Comichelden, auch heute schwärmte Hanasaki mit einer solchen Leidenschaft von Zombyre, dass Yuugi gar nicht anders konnte, als ihm mit Begeisterung zuzuhören.
 

Jedoch konnte Hanasaki Kaiba nicht so gut leiden, oder eher, er hatte einen sehr schlechten Start mit diesen gehabt. Er war früher ein großer Fan von ihm gewesen, das war aber lange bevor er Yuugis Leben bedroht hatte und dessen Großvater ins Krankenhaus befördert hatte. Er hatte im Publikum gesessen und das Duell zwischen Kaiba und dem alten Mann beobachtet. Kaiba hatte es sichtbar genossen, Yuugis Großvater leiden zu sehen und da wurde ihm bewusst, dass der nette Kaiba, das Gaming Genie, das als Vorhängeschild der KC diente und dessen Gesicht auf zahlreichen Postern abgedruckt wurde, eine dunkle Seite in sich trug.
 

Der erste Eindruck war meist entscheidend und Hanasaki hatte geglaubt, dass Kaiba ein schrecklicher Mensch sein musste. Auch jetzt änderte sich seine Mine nicht. Seine Augen lagen im Schatten seines Ponys, sodass sein Blick nur noch finsterer aussah. Im Normalfall hätte er sich jetzt abgewendet. Der Kerl wirkte einfach wie ein Mensch, der in der Lage war, alles um sich herum runter zu ziehen. Wo er hinging, wuchs kein Gras mehr. Mit ernster Miene betrachtete er den Brünetten und ließ sich nicht einschüchtern. Dass Yuugi ausgerechnet mit ihm zusammenarbeitete und sogar von diesem schwärmte, konnte und wollte er nicht verstehen. Wie konnte man gerne mit so jemanden zusammenarbeiten? Er war nur Yuugi zuliebe hier. Eigentlich waren sie verabredet und Hanasaki hätte gerne den Abend allein mit Yuugi verbracht.
 

„Ja, ich erinnere mich“, kam es von Kaiba. Er wusste, dass Yuugi damals einen Freund in seiner bunt gemischten Truppe hatte, der sogar noch kleiner war als er selbst. Allerdings hatte er sich nie die Mühe gemacht, sich seinen Namen zu merken und einen wirklich bleibenden Eindruck hatte er auch nicht hinterlassen. Es war ihm nie aufgefallen, dass er weg war. Auch jetzt wirkte er unscheinbar. Jemand, der in der Bedeutungslosigkeit verschwand.
 

„Wah, ist lange her, Hanasaki!“, kam es fröhlich von dem Blonden, der sich mit dem Oberkörper über den Tresen lehnte und den neuen Gast neugierig beäugte.
 

„Du bist voll groß geworden! Sieht so aus, als wäre jeder hier gewachsen, außer Yuugi!“, lachte er dann und sowohl Hanasaki, als auch Mokuba kicherten. Kaiba schnaufte nur, als wollte er sein Lachen ersticken.
 

„Unverschämtheit! Ich bin gewachsen! Fast zehn Zentimeter!“, rief Yuugi aus und kam näher zum Tresen.
 

„Sieben Zentimeter, um genau zu sein. Weit von der zehn entfernt, Yuugi“, kam es sachlich von Kaiba, der immer noch keine Miene verzog. Yuugi wurde rot. Mokuba, Hanasaki und Jounouchi lachten beherzt.
 

„Was...? Woher weißt du das?“, murmelte er verlegen und setzte sich zurück an seinen Platz.
 

„Oh, ich bitte dich... ich muss doch alles über meinen Geschäftspartner wissen“, kam es grinsend von dem Brünetten.
 

Jounouchi drehte sich um und griff nach einigen Gläsern, die er vor seiner Kundschaft abstellte und öffnete dann den gläsernen Schrank, holte dort eine große Flasche Wein heraus und öffnete diese, schenkte ihnen ein. Sie griffen nach ihren Gläsern. Es gab genügend Gründe zu feiern. Capsule Coliseum war endlich auf dem Markt und versprach ein großer Erfolg zu werden und Spherium stand in den Startlöchern.
 

„Auf die Zukunft! Kanpai!“

Kapitel 38

Es war ein wunderschöner Morgen. Er öffnete die Tür und das Licht der Sonne strahlte ihm entgegen, blendete ihn für einen Moment, sodass er blinzeln musste.
 

Es dauerte nicht lang, bis sich seine Augen an das helle Licht gewöhnt hatten und er warf einen letzten Blick zurück zum Kame Game Shop. Sein Großvater fegte wie gewohnt den Eingangsbereich. In nur wenigen Minuten würde der Laden öffnen. Mit einem breiten Lächeln betrachtete er dieses Bild. Es war ein Morgen wie jeder andere. Dieses Bild hatte sich in sein Gedächtnis gebrannt. Wie das Licht der Sonne die Dachpfannen bestrahlte, die kleine Tanne nur wenige Meter vom Laden entfernt und die großen Häuserschluchten um sie herum, war ein Bild, das er jahrelang jeden Morgen gesehen hatte.
 

Immer wenn er sein Haus verließ, warf er seinem Großvater noch einen Blick zu, verabschiedete sich und wünschte ihm einen schönen und vor allem erfolgreichen Tag. Jahrelang hatte der Laden mit zu wenig Kundschaft und Einnahmen zu kämpfen. Doch jetzt musste er ihm nicht mal mehr einen erfolgreichen Tag wünschen, denn Kunden kamen jeden Tag vorbei. Der alte Mann konnte sich vor Arbeit kaum mehr retten! Seit der Kame Game Shop einen exklusiven Vertrag für Capsule Coliseum mit der Kaiba Corporation abgeschlossen hatte, war der kleine unscheinbare Laden eine der wichtigsten Anlaufstellen in Domino City geworden. Zunächst ging es nur um CC, doch der nostalgische Laden, der neben den Videospielen auch analoge Brettspiele und vor allem echte Raritäten anzubieten hatte, wurde immer beliebter.
 

Wer sein Duel Monsters Deck aufwerten wollte oder einfach nur Lust auf eine neue Strategie hatte und neue Karten brauchte, konnte hier die neuesten Booster kaufen. Die Kaiba Corporation war zu einem ihrer wichtigsten Geschäftspartner geworden und zukünftig würden die lokalen Duel Monsters Turniere auch hier abgehalten werden. Ein kleines Lächeln fand seinen Weg auf seine Lippen und er konnte dieses Gefühl nicht abschütteln. Endlich nahmen sie genügend Einnahmen mit diesen kleinen unscheinbaren Laden ein. Es war kein dummer Traum mehr, sondern eine solide Zukunftsinvestition.
 

„Yuugi! Beeil dich, sonst verpasst du noch den Bus!“, mahnte sein Großvater. Yuugi nickte nur und huschte zur Bushaltestelle. Die Leute um ihn tummelten sich und er hörte immer wieder Stimmen, die mit Verwunderung feststellten, dass der König der Duelle, das Genie der Gaming Welt, sich hier unter ihnen befand und wie ein ganz normaler Mensch mit Bus und Bahn fuhr. Kaiba hatte ihn mehrmals daraufhin gewiesen, sich doch einfach von Isono abholen zu lassen, doch Yuugi lehnte dieses nett gemeinte Angebot vehement ab. Er brauchte diesen Stress am Morgen. Diesen Alltag. Diese Normalität. Denn mit Kaiba zu arbeiten, war alles andere als normal.
 

Die Geräusche der lebendigen Stadt und die Minuten im Bus, in denen er in ungestört nachdenken konnte und alles an sich vorbeirauschen lassen konnte, gaben ihm Kraft und erinnerten ihn immer daran, wie klein und unscheinbar er war. Und es machte ihm bewusst, wie kurz das Leben war. Wie schnell Zeit vergehen konnte. Denn diese 15 Minuten waren meist schneller vorbei, als es ihm lieb war.
 

Es waren nun drei Monate vergangen. Spherium war in Arbeit und als Abteilungsleiter hatte er viel zu tun. Mit einem breiten Grinsen stieg er aus. Er blieb einen Moment lang stehen und atmete tief ein, krempelte sich die Ärmel hoch, während sein fester Blick auf dem Gebäude der Kaiba Corporation lag. Er durfte jetzt bloß nicht nachlässig werden, vor allem dann nicht, wenn er seinen Geschäftspartner nicht enttäuschen wollte. Sein Blick war nach vorn gerichtet, sein Gang gerade und die Zweifel, die ihn all die Jahre begleitet hatten, waren nun nicht mehr als eine blasse Erinnerung, die er mit aller Macht bekämpft hatte. Er hatte gelernt, seine Ängste zu bekämpfen und sich nur auf das Positive in seinem Leben zu konzentrieren. Auf das, was er tun musste. Auf die Menschen, die ihm gut taten.
 

Es war ihm egal, dass einige Leute über ihn lachten. Es kümmerte ihn nicht mehr. Denn er hatte ein Ziel vor Augen und einen Traum, für den es sich zu kämpfen lohnte. Was damals für ihn ungewohnt war und ihn unsicher werden ließ, war nun Routine. Auch die Wachmänner am Eingang schüchterten ihn nicht mehr ein. Freundlich wie immer grüßte er die beiden Männer, die ebenso nett zurück lächelten und ihn begrüßten. Als er in den Eingangsbereich trat, musste er daran denken, wie sehr er mit den beiden Jungs am Eingang an seinem ersten Tag zu kämpfen hatte. Gegen die beiden war er nur ein Krümmel. Jetzt kannte er sogar ihre Namen.
 

Kaiba war überhaupt nicht davon angetan gewesen, als Yuugi die beiden aufgesucht hatte und über ihr Privatleben gequatscht hatte. Hinter den Sonnenbrillen und den breiten Schultern waren zwei nette Männer, die einen Namen und eine Familie hatten. Insgesamt kam Yuugi sehr gern zur Arbeit. Er verstand sich mit fast all den Angestellten sehr gut und auch mit Nomura, mit dem er einige Schwierigkeiten gehabt hatte, hatte er sich vertragen. Nomura hatte ihn als Abteilungsleiter akzeptiert. Sie konnten ganz normal miteinander reden und Yuugi sprach über seine Fähigkeit in höchsten Tönen. Nomura war ein Genie und ein wichtiger Bestandteil für seine Arbeit an Spherium.
 

Noch hatte Spherium keine greifbare Gestalt und einige andere Projekte wie Duel Links, welches bereits weltweit erwartet wurde, da Kaiba es bereits vor Monaten angekündigt hatte, hatten in ihrer Fertigstellung Vorrang, sodass sein Team immer noch recht klein war. Kaiba kam immer wieder vorbei, nur um zu sehen, wie die Arbeit voranging und Yuugi war immer froh, wenn der Brünette kam.
 

Als er die Tür zu Kaibas Büro öffnete, strahlte er dem Brünetten entgegen.
 

„Guten Morgen, Kaiba-kun ♥“, rief er ihm zu. Dieser hob den Blick.
 

„Morgen, Yuugi. Du bist zu früh“, kam es monoton vom Firmenleiter.
 

„Ich konnte es nicht mehr erwarten, dich wieder zu sehen. ♥“
 

„Yuugi, wenn du so etwas sagst, komme ich auf falsche Gedanken“, murrte der Brünette und räusperte sich.
 

„Auf was für Gedanken denn?“ Yuugi kam näher und setzte sich direkt vor ihm, lehnte seine Ellbogen auf dem Schreibtisch ab, legte den Kopf schief und schenkte ihm das süßeste Lächeln, zu dem er fähig war, wohl wissend, dass sein Gegenüber sich davon genervt fühlen würde.
 

„Du bist eine verflixte Nervensäge!“
 

Kaiba wollte seine Unsicherheit überspielen. War Yuugi sich überhaupt im Klaren, dass es manchmal so klang, als würde er mit ihm flirten? Manche Dinge änderten sich wohl nie.
 

„Ich weiß. Gib es zu, genau das magst du doch an mir.“ Er zwinkerte.
 

Manchmal verlor er die Geduld mit Yuugi. Er war einfach viel zu nett und offenherzig und er konnte es absolut nicht ausstehen, dass Yuugi ihn so gut durchschaute. Denn ja, verdammt, er mochte es, wenn Yuugi ihm auf die Nerven ging. Er verdrehte zwar die Augen oder gab undefinierbare Laute von sich, um Yuugi klarzumachen, dass er gerade nicht gestört werden wollte, dennoch freute er sich darauf, ihn am nächsten Tag wieder zu sehen. Er freute sich darüber, wenn Yuugi ihm am Abend eine Gute Nacht wünschte. Es war eine Routine geworden, die er nicht mehr missen wollte.
 

Und manchmal ergaben sich auch kleine Gespräche. Kaiba chattete mit Yuugi, was meist nicht unkommentiert von Mokuba blieb, der ihn dann mit einem breiten Grinsen anstarrte und ihm sagte, er sollte seinen Geschäftspartner nochmal zum Essen einladen. Meist schnalzte Kaiba dann mit der Zunge und ging nicht weiter darauf ein, doch innerlich sagte er sich, dass er erst einen guten Vorwand brauchte, damit er mal wieder mit Yuugi weggehen konnte. Also musste er abwarten. Ansonsten würde Yuugi noch auf falsche Gedanken kommen. Aber eigentlich ging es ihn nur darum, sich vor sich selbst zu rechtfertigen und seine Prinzipien nicht zu hintergehen. Nicht nur, dass sein Rivale und er zu Partnern geworden waren, nein, mittlerweile akzeptierte er Yuugi als Freund.
 

„Wie geht’s mit Spherium voran? Brauchst du meine Hilfe?“
 

„Alles bestens. Es läuft fast zu gut“, gab Yuugi von sich und verschränkte die Arme.
 

„Yuugi, es läuft alles nur so gut, weil du ein grandioser Chef bist. Vielleicht machst du sogar mehr richtig als ich“, kam es vom Brünetten, der dabei sogar lächelte und sich nun von seinem Bürostuhl erhob.
 

„Komm, lass uns einen Kaffee trinken gehen“, erklärte er und gemeinsam gingen sie in Richtung des Pausenraums.
 

Kaiba hatte das Versprechen an Atem und seinen Wunsch nicht vergessen. Das Amulett trug er stets nah an seinem Herzen.
 

...

Ich möchte, dass du und Yuugi glücklich werdet und dass du deinen Weg nicht mit mir,

sondern mit meinem Partner fortführst.

Akzeptiere Yuugi als deinen Rivalen.

Deinen Freund.

Nichts mehr wünsche ich mir, als dass du deine Ziele erreichst.

Danke für alles, Seto.

...


 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Mokubas Abteilungen – Mokuba arbeitet nicht nur in seiner eigenen Entwicklungsabteilung, die momentan an Capsule Coliseum arbeitet, sondern ist auch der Chef einiger kleinerer Abteilungen. Da Mokuba seinen Angestellten bedingungslos vertraut, überlässt er diesen viel mehr Aufgaben, weshalb er mehr Zeit für sich selbst und sein Projekt hat. Zu den Angestellten in seiner Entwicklungsabteilung hat er ein besonders gutes Verhältnis! Kaiba, der sämtliche Vorgänge in seiner Firma und sogar seine Angestellten überwacht, hat demnach viel weniger Zeit für sich selbst. Dass dies seine eigene Schuld ist, sieht er (noch) nicht ein.

Mokubas Gefangenschaft – Glücklicherweise wurde Mokuba im Manga nur einmal entführt, doch die Erlebnisse in Pegasus' Gewalt waren so schlimm und einschneidend für den damals elfjährigen Jungen, dass er bis heute ein Trauma davon hat. Im Manga sieht man Mokuba an, dass er Monatelang eingesperrt war und nicht gerade wie ein Gast behandelt wurde. Seine Kleidung ist zerrissen und schmutzig, er wirkt ausgezehrt und man könnte sogar so weit zu gehen, zu sagen, dass Pegasus Gewalt anwenden ließ, um Mokuba dazu zu bringen, ihm die Rechte an der Kaiba Corp zu übergeben. Ob Pegasus selbst Hand angelegt hat, bezweifle ich jedoch, aber sicher waren seine Untergebenen alles andere als freundlich zu Mokuba. Kaiba weiß davon, doch sie reden nie darüber. Kaiba selbst ist nicht in der Lage seine eigene Vergangenheit zu verarbeiten, weshalb Mokuba aus Rücksicht auf diesen, möglichst wenig von sich und seinen Ängsten zeigt.

Wir merken uns: Hier läuft so einiges schief! ;( Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Pegasus J. Crawford – Im Gegensatz zum Anime hat Pegasus das Duell der Finsternis gegen Yami no Bakura im Manga nicht überlebt. Die Macht der Millenniumsgegenstände ist einzigartig und man kann mit diesen sogar Menschen töten. Es kommt hierbei auf die Intention des Beistzers an. Yami no Bakura hatte keine Skrupel Pegasus auszulöschen, um so das Millenniumsauge in seine Hände zu bekommen.

Da es zwischen den Zeilen erwähnt wurde, dass Pegasus eine Kooperation mit der Kaiba Corporation anstrebte, da er es auf seine Hologramm Technik abgesehen hatte, können wir davon ausgehen, dass es bereits vor Kaibas Koma diverse Meetings und Vertragsentwürfe gab. (Diese werden im japanischen Anime sogar von den Big Five erwähnt.) Während Kaibas Koma hat Pegasus den Vizepräsidenten der KC entführt/entführen lassen, um diesen dazu zu bringen, einen gewissen Vertrag zuzustimmen, um somit sämtliche Rechte an I² (Industrial Illusions) zu übergeben. Doch Mokuba hat trotz seiner Gefangenschaft nicht aufgegeben und seinen Bruder nicht hintergangen.

Aufgrund der extremen Bevorzugung des Weißen Drachen in Darkside of Dimensions, gehe ich stark davon aus, dass Kaiba seine Finger da im Spiel hat. Es sind einfach viel zu viele neue Versionen von diesem Drachen oder Zauber-/Fallenkarten, die diesen Drachen unterstützen, als dass man von einem Zufall sprechen könnte. Da Kaiba Duel Monsters ohnehin über alles liebt und in der Anime Umsetzung von GX Kaiba sich so präsentiert wie er es tut, nehme ich an, dass Kaiba zukünftig sämtliche Rechte und Patente an dem Kartenspiel erworben hat, wodurch er viel mehr Möglichkeiten besitzt. Es gibt einige Andeutungen, jedoch wurde nie etwas Genaueres bekannt gegeben. In dieser Geschichte gehen wir von einer Fusion der KC und I² aus. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Duel Café – Ein Franchise Unternehmen, das mit der Hilfe der Kaiba Corporation, errichtet wurde und im Canon nicht wirklich existiert. Dieses Cafe gibt es aber in der Realität, es heißt Anime Plaza Yugioh Café, das eigens zur Feier von Darkside of Dimensions eröffnet wurde und wo sich Kunden Gerichte im Yuugiou Design bestellen können. Dazu gab es auch eine Illustration, welche mir so gut gefiel, dass ich dies unbedingt irgendwie einbinden musste. In der Illustration steht auf dem Schild zwar 'Kaiba Corporation Café', jedoch fand ich persönlich das etwas zu geschmacklos. Jounouchi arbeitet dort, was wir am Vorbinder erkennen können. ;)

(Wer genau hinsieht, merkt, dass Kaiba und Yuugi beide Kaffee oder Tee trinken. Irgendwie süß, dass sie das gleiche bestellt haben. ♥)

In der Verlinking findet ihr eine Website mit Fotos der Speisen und der Illustration. Mehr zum Anime Plaza Yugioh Café. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hier der erste Höhepunkt dieser Geschichte. Yuugi konfrontiert Kaiba damit, dass er Fehler macht und dass es seine eigene Schuld ist, dass Mokuba kein Interesse mehr an ihm hat. Ab hier wird es zu einigen Konflikten der Protagonisten kommen und ich hoffe sehr, dass die Leserschaft sich zu Wort meldet, wenn Gespräche oder Situationen zu sehr ins OOC rutschen oder ihr der Ansicht seid, dass ich etwas ausbessern sollte. Oder falls ich Logikfehler mache, was bei der Länge dieser Geschichte, durchaus vorkommen kann.

Ich möchte gerne bereits etwas im Vorfeld erklären: Sowohl Yuugis als auch Kaibas Flashbacks, die ab jetzt immer wieder vorkommen werden, sind nicht canon. Ich habe lediglich einzelne Aussagen der Charaktere und Bildausschnitte genommen, sie weiter interpretiert und meine eigenen Schlüsse aus diesen gezogen. Zudem gab es offene Fragen im Manga, die vom Autor selbst nicht mehr aufgegriffen wurden (auch nicht in Interviews), weshalb ich mir die Freiheit genommen habe, meine eigenen Lösungen zu finden und/oder Andeutungen weiterzuspinnen.

Auch dass Yuugi Kaiba im Koma besuchen ging, wurde im Manga angedeutet, man könnte jedoch meinen, dass es sich um eine Ausnahme handelte. Wie oft war Yuugi Kaiba besuchen? Es wird deutlich, dass er sich Sorgen um ihn gemacht hat (was Jounouchi sogar leicht wütend macht), aber es wird eben nur am Rande erwähnt, weil dies für das Voranschreiten der Geschichte keine Bedeutung hat. Die Wortwahl des japanischen Mangas lässt stark vermuten, dass Yuugi nicht nur einmal zu ihm ging, sondern regelmäßig. Deshalb habe ich mich dafür entschieden, dass Yuugi sich regelmäßig um ihn kümmerte, was bei Yuugis Manga Persönlichkeit (die gravierende Unterschiede zum Anime aufweist, was an der ganzen Vorgeschichte liegt, die im Anime gar keine Erwähnung findet), Sinn macht. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Yuugis Vater wird im Manga nie erwähnt. Der Autor des Mangas erwähnte lediglich einmal in einem Interview, dass Yuugis Vater nie zuhause und immer arbeiten sei, woraus ich meine eigenen Schlüsse gezogen habe. Ich habe mir die Freiheit genommen, seinen Vater zu interpretieren und ihm eine Persönlichkeit zu geben.

Um Yuugis Charakter weiter aufzubauen und vor allem weiter auszubauen; und eine Begründung für seine Ängste und Unsicherheit zu finden (die Angst vor dem Versagen und davor, andere zu enttäuschen) war es mir wichtig, die Beziehung zu seinem Vater aus meiner Sichtweise zu erläutern, um somit seine Ängste ein bisschen weiter zu thematisieren.

Yuugis Mutter hat keinen Namen, ich habe sie einfach Ayumu genannt. Ayumu bedeutet in etwa so viel wie Der Weg der Vision, da sie eine genaue Vorstellung dessen hat, wie Yuugi sich entwickeln soll. Yuugis Vater hat den Namen Yuusuke bekommen, da ich einen Namen wollte, der wenigstens teilweise dem des Sohnes ähnelt.

Als Yuugis Vater meint, dass er seinen Sohn lieber "Takeru" nennen wollte, hat dies eine tiefere Bedeutung. Takeru bedeutet Krieger/Kämpfer. Jungen bekommen diesen Namen, damit sie zu starken Männern heranwachsen. Yuugi ist japanisch und bedeutet Spiel. Der Name allein erinnert Yuusuke daran, dass sein eigener Vater nie da war und sich nun in sein Leben gedrängt hat.

Yuugi ist im Manga weitaus besser charakterisiert als im Anime. Yuugi ist introvertiert, ängstlich und traut sich oft nichts zu sagen und auch am Ende des Mangas, betitelt sich Yuugi als "Weichei" und fällt vor Atem auf die Knie, bricht sogar in Tränen aus. Wir können davon ausgehen, dass Yuugi nicht seine Ängste einfach ablegt, denn diese sind Teil seiner Persönlichkeit. Yuugi wird niemals so sein wie Atem und das ist gut so.

Das japanische Darkside of Dimensions spricht Yuugis Verlustängste und seine Unsicherheit sogar mehrmals an und Jounouchi weiß sofort warum Yuugi seine Karten so nah am Herzen trägt und den Blick senkt, was ihn belastet, weil Jounouchi genau weiß, dass Yuugi von Natur etwas unsicher ist und nicht gut mit Verlusten umgehen kann. Auch in Darkside of Dimensions wird deutlich, dass Yuugi diese Ängste noch nicht überwunden hat und diese auch irgendwo immer in ihm sein werden und genau dies möchte ich in dieser Geschichte thematisieren: Ängste. Verluste. Angst vor dem Versagen und den Konsequenzen und sich seinen eigenen Problem zu stellen und Schwächen zuzulassen. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
»Trotzdem solltest du bei Konferenzen darauf verzichten. Mich stört es nicht und von mir aus kannst du auch Lippenstift verwenden, aber ich möchte, dass du ernst genommen wirst und diese alten konservativen Knacker sind da sehr empfindlich.«

Kaiba deutet gleich zweimal an, dass Yuugi Make-Up trägt. Bitte versteht dies nicht falsch. Yuugi ist nicht transsexuell und Kaiba möchte auch nicht andeuten, dass Yuugi schwul aussieht. Wie wir wissen, ist Kazuki Takahashi ein großer Fan des Genres Ahoge (jap. idiotisches Haar), dies bedeutet dass die Hauptcharaktere besonders auffallende Frisuren haben und dass die Haare meist in verschiedene Richtungen abstehen. Takahashi ist zudem ein großer Dragon Ball Fan und wir können davon ausgehen, dass er sich von dieser Serie und der Frisur des Hauptcharakters hat stark inspirieren lassen. Yuugi ist eindeutig diesem Genre einzuordnen. Auch alle anderen Charaktere der nachfolgenden Serie besitzen starke Merkmale dieses Genres.

Darüber hinaus, wird Ahoge auch in der modernen Visual Kei Szene verwendet. Die Charakteristika der einzelnen Stile/Genres überschneiden sich, weshalb ich es als logisch empfinde, dass auch Yuugi ein Fan dieser Kleidungssrichtung und Musikrichtung ist. Auch männliche Visual Kei Fans bzw. solche, die sich offensichtlich in diese Richtung kleiden, nuzen Lippenstift und Make-Up. Kaiba hat, als er in Yuugis Zimmer war, ein Poster an der Wand bemerkt, woraus er seine eigenen Schlüsse zieht. Wilde Frisuren, verrückte Haarfarben, viel Eye-Liner, Lederjacken, Piercings und natürlich Nieten sind Merkmale dieser Kleidungsrichtung. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Wer ist Hanasaki Tomoya?
Ein Charakter des Mangas ist einfach gesagt... Tatsächlich gehörte er sogar zu Yuugis Freundeskreis. Es ist einfach schade, dass der zuständige Editor von Takahashi entschieden hat, dass ein Weichei wie Yuugi reicht und dass man deswegen Hanasaki Existenz später einfach verschwiegen hat. Zwei Charaktere, die ähnliche Probleme zu bewältigen haben, waren einfach zu viel. Bis Death-T war er dabei und er war es letztendlich, der sich um Sugorokou gekümmert hat und ihm einen Krankenwagen rief. Er blieb dort ganz allein und hat sich um Yuugis Großvater gekümmert. Der Dank? Man tut so, als hätte es ihn nicht mal gegeben. Ich hätte mir wenigstens einen Grund gewünscht, insbesondere wo Herr Hanasaki, also sein Vater, Yuugi mit Tränen in den Augen darum bat, für immer sein Freund zu bleiben, worauf Yuugi und Jounouchi sogar lachend mit 'Na klar' antworten. :'(

Ähnlich wie Yuugi hatte Hanasaki keine Freunde und war extrem schüchtern. Er wurde von anderen ausgenutzt, aber die Bindung zu Yuugi hat ihm geholfen, für sich selbst zu entscheiden und den Entschluss zu fassen, kein Feigling mehr sein zu wollen. Ich mag Tomoya. Er gehört zu meinen Lieblingscharakteren und mit dieser Fanfiktion hatte ich endlich die Möglichkeit, sein plötzliches Verschwinden einigermaßen zu erklären und mein Headcanon zu umschreiben. Ich hätte mir gewünscht, dass der Mangaka wenigstens versucht hätte, einen Abschluss zu finden und nicht, dass man von einem Kapitel zum nächsten so tut, als hätte es diesen Charakter nie gegeben... Gerade Yuugi, der so arge Verlustängste hat und damit überhaupt nicht umgehen kann, dass andere falsch von ihm denken könnten, hätte arge Probleme damit, nicht die Schuld bei sich selbst zu suchen.

Ich stelle mir Tomoya als erwachsenen Mann so vor wie Milo aus Atlantis. Da sowohl seine Mutter als auch sein Vater sehr groß sind, gehe ich davon aus, dass auch Tomoya sehr groß werden wird und die Vorstellung, dass Yuugi zu ihm hochschauen muss, gefällt mir einfach zu gut. ♥ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
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Nachwort zu diesem Kapitel:
Jii-chan ist Japanisch und bedeutet Großvater/Opa.

Es handelt sich um die verniedlichte Form von Ojiisan. Im Manga und im japanischen Anime bezeichnet Jounouchi Yuugis Großvater ebenfalls mit 'Jii-chan', was unter normalen Umständen als extrem unhöflich und als Beleidigung aufgefasst werden würde, da man fremde Großeltern so niemals ansprechen würde. Normalerweise würde man 'Ojii-san' sagen. Die Verbindung zwischen Jounouchi und Sugorokou ist allerdings sehr tief und er wird im Manga wie ein Teil der Familie behandelt, weshalb Jou ihn ebenfalls so anspricht. Wer sich mit dem japanischen Manga auseinandersetzt, wird sehr schnell sehr viele Unterschiede bemerken und Andeutungen, die einzig in der japanischen Sprache Sinn ergeben und die einzigartigen Beziehungen der einzelnen Charaktere zueinander besser erläutern. Der Teufel steckt oft im Detail!

So bezeichnet Jounouchi seinen Vater als 'Ji-ji', eine etwas unhöfliche Form. Bedeutet in so viel wie 'Alter Kerl', würde aber als 'Mein Alter' übersetzt werden, aufgrund des Kontexts.

Jii-chan (Großvater) wird häufig mit Ji-chan (mit einem i, bedeutet Onkel) verwechselt. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Fun fact(s): Japan exportiert 85% seiner Kaffeebohnen aus Jamaika und Kaffee gehört heutzutage sogar zu den Nationalgetränken. Kaffee kam im 17 Jahrhundert ins Land der Sonne und gehört zu den populärsten Getränken. So wie es Teezeremonien gibt, gibt es auch spezielle Kaffeehäuser (Kissaten), die allerdings immer weniger Kunden haben, aufgrund der Schnelllebigkeit der Gesellschaft. Coffee to go - Kaffee zum Mitnehmen, gewinnt auch hier an immer größerer Beliebtheit. Ketten wie Starbucks passen ihr Sortiment sogar den Jahreszeiten an, so gibt es sogar exotische Geschmacksrichtungen wie Kaffee mit Kirschblüte oder Kaffee mit Maronen (Esskastanien). Kunden stehen manchmal sogar Stunden in der Schlange, um einen Becher zu bekommen.

Tee und Kaffee waren die Themen meiner mündlichen Prüfung. Ich habe monatelang alles rum um diese Themen gelernt, vieles weiß ich heute noch und vielleicht lässt sich dadurch erklären, warum Kaiba hier so verrückt nach Kaffee ist... Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Mokuba war äußerst beliebt bei seinen Klassenkameraden, sagt Hirano an einer Stelle.

Wer den Manga gelesen hat, wird an vielen Stellen merken, dass nicht nur Mokuba sondern auch Kaiba sehr beliebt waren. Sie haben regelrechte Fanklubs und werden von Gamern der ganzen Welt als Idole vereehrt. Die Stadions sind stets mit jungen Menschen gefüllt, wenn Kaiba sich duelliert und der Großteil dieser feuert ihn mit großer Begeisterung an. Obwohl Kaiba nach außen hin so unnahbar wirkt, so zeigt er seinen Fans gegenüber eine andere und vor allem viel freundlichere Seite. Er lächelt sie an und spricht mit einem ganz anderen Ton mit ihnen. Er ist sich bewusst, dass sein Erfolg einzig und allein von diesen Menschen abhängt, weshalb er sich ihnen gegenüber stets verstellt. Kaiba weiß, wie man seinen Gegenüber manipuliert und wie er sich geben und was er sagen muss, um sich als sympathischen Mann vorzustellen.

Mokuba hat im Manga sogar seine eigenen Untergebenen (offensichtlich Klassenkameraden), die alles tun, was er sagt. Sie behandeln ihn beinahe wie ihren Boss und man könnte meinen, dass er der Anführer einer Yakuza Gruppe (japanische Mafia) sei, woraus wir schließen können, dass sowohl Kaiba als auch Mokuba sehr viel Aufmerksamkeit genossen haben. Diese Jungen rennen Mokuba willenlos hinterher und schrecken auch nicht davor zurück, Yuugi zu entführen, sofern dies ein Befehl ist.

Nachdem Kaiba sich verändert hat (sprich: nachdem er aus dem Koma zurückkehrt), stelle ich mir vor, dass Mokuba wieder ganz normal zur Schule gegangen ist. Sowohl Mokuba als auch Kaiba scheint diese alltägliche Routine sehr wichtig zu sein und da Kaiba an einer Stelle des Animes sagt, dass er sich selbst als Mokubas Vater sieht, kann ich mir gut vostellen, dass es ihm besonders wichtig war, dass Mokuba auch einen normalen Alltag erfährt und das neben der Führung der Firma. Mokuba ist das komplette Gegenteil von Kaiba. Offen, ehrlich, zeigt Interesse an seinen Mitmenschen und stellt seine Intelligenz nicht zur Schau, was ihn - zumindest in meinem Headcanon - zu einem der beliebtesten Mitschüler seines Jahrgangs gemacht hat.

Für mich steht fest, dass Mokuba danach strebt, für seine eigenen Leistung angesehen zu werden und nicht, weil er der Bruder des bekanntesten und erfolgreichsten Mannes der Welt ist. Er kämpft, um nicht im Schatten seines Bruders zu bleiben und eigene Ziele zu erreichen und dieses Streben ist etwas, das sich stark in seiner Persönlichkeit entfaltet und ihn zum Nachdenken brachte. Er rennt seinem Bruder nicht mehr hinterher, sondern findet eigene Mittel und Wege, sich Problemen zu stellen und kommt zu gänzlich anderen Schlussfolgerungen. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Wer bei einer Abendveranstaltung eingeladen sein sollte, muss bestimmte Regeln kennen. Es schickt sich nicht mehr als drei verschiedene Speisen auf den Teller zu nehmen. Auf keinen Fall darf der Teller randvoll sein und es ist wichtig zu wissen, dass das Buffet kein Freiwild ist. Der Veranstalter allein eröffnet das Buffet und niemand sonst. Jounouchi weiß diese Dinge nicht und jemand wie Kaiba, der sehr auf seinen Ruf achtet, fühlt sich unheimlich gestört von solchen Personen, die die Etikette missachten. Auch bei den Getränken sollte man sich nicht nachschütten, wenn im Glas noch etwas drin ist. Ich denke, dass Jounouchi selten bei diesen Veranstaltungen ist und sich demnach nie mit diesen Regeln auseinandergesetzt hat und auch Yuugi, der die meiste Zeit zuhause ist und sich sonst zurückhaltend verhält, weiß von diesen Regeln nichts. Kaiba jedoch ist häufig bei solchen Veranstaltungen und er kennt sich mit der Etikette aus. Er selbst achtet extrem darauf, wie er sich gibt und verstellt sich, um anderen Personen zu gefallen, damit niemand etwas Falsches von ihm denkt oder gar Klatschzeitschriften irgendwelche Gerüchte streuen. Sein Ansehen ist ihm enorm wichtig. Jounouchis Verhalten hat ihn also gewissermaßen getriggert. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
In Japan ist es unüblich zwischen Männern sich >Ich mag dich/hab dich gern/Ich liebe dich< zu sagen, da die japanische Gesellschaft im Gegensatz zu unserer sehr an ihren Traditionen hängt. Yuugiou ist ein japanischer Manga, wer genau hinschaut, wird sehr schnell merken, dass viele Szenen im Japanischen vollkommen anders aufgefasst und verstanden werden.

Man zeigt seine Gefühle nicht so offen. Man möchte andere Personen nicht mit seinen Gefühlen belästigen. Auch wenn man eine andere Person nicht mag, wird man ihr ein Lächeln schenken und gedanklich über das schlechte Benehmen dieser Person den Kopf schütteln. Das Ansehen ist wichtig. Der Gedanke, wie andere einen selbst sehen und beurteilen, ist auch heute noch in Japan von enormer Wichtigkeit. Auch Kaiba erwähnt hier, wie wichtig es ihm ist, dass man ihn ernst nimmt.

Dass Yuugi Kaiba direkt ins Gesicht sagt, dass er ihn mag, kann also missverstanden werden und darauf möchte ich hier auch hinaus. Das ist der „Witz“ dahinter. Deshalb sagt Kaiba, dass Yuugi ihm seine Gefühle gestanden hätte, denn aus einer anderen Sicht kann man dies tatsächlich so interpretieren, da man im Normalfall sich so nicht ausdrücken würde. Yuugis Art sich auszudrücken ist sehr emotional. Auch im Manga ist er nah am Wasser gebaut, was zum einen untypisch für einen Shounen Helden ist, aber ihn auch besonders macht. Manchmal hat er Tränen in den Augen, wenn er sich freut. Yuugis Emotionalität ist einer seiner wichtigsten Charakterzüge und etwas, das auch die Menschen um ihn herum beeinflusst.

Auch in der japanischen Fassung des Animes und des Mangas gibt es eine Szene, wo Yuugi >Ich liebe dich< zu Jounouchi sagt, weshalb diese Worte eine sehr starke Gewichtung haben und zurecht von vielen Fans als romantische Grundlage angesehen wird, insbesondere wenn man den Manga und ihre Beziehung zuvor genau betrachtet.

Das für uns ganz normale >Ich liebe dich< gibt es im japanischen Sprachgebrauch nicht, weshalb man auch unter Pärchen bei >Daisuki< bleibt. Die japanische Sprache lebt von Kontext und ist häufig offen für Interpretationen, weshalb viele Japaner auch bis Mitte 30 ihre eigene Sprache nur oberflächlich verstehen und sich daher genauso zurückhaltend ausdrücken. Dass >Aishiteru< unserem westlichen >Ich liebe dich< gleichkäme, ist ein Irrglaube, verbreitet von Manga und Anime Fans, die ihre Lieblingsserien zu verwestlichen versuchen. In der Realität würde man Aishiteru nur in einem dramatischen Kontext nutzen, jemand stirbt oder ist schwer krank, aber nicht im normalen Sprachgebrauch.

Animes/Mangas stellen oft ein verwestliches Japan dar und man sollte sich immer im Klaren sein, dass Realität und Mangas/Animes sich nicht immer die Waage halten.

Weitere Quellen zum Thema Liebe & Japan:
Rachel and Jun – Japenese don't say I love you
Abroad in Japan
That Japanese Man Yuta Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich fand es schon immer interessant, dass Jounouchi im Manga vorbestraft ist, denn das erklärt, warum er in seiner Klasse nicht respektiert wird. Honda meint an einer Stelle des Mangas, dass Jounouchi schon häufiger Stress deswegen hatte und beinahe im Gefängnis (Jugendanstalt) gelandet wäre. Wer den Manga gelesen hat, kann es in den Panels immer wieder sehen: die Jungs und Mädchen reden nicht gerade gut über Jounouchi. Als Ryou in die Klasse kommt, warnen die Mädchen ihn sogar vor diesem und sagen, dass er bloß nicht neben Jounouchi sitzen solle. In Japan sind nicht die Streber die Außenseiter der Klassengemeinschaft, sondern diejenigen mit schlechten Noten und aus den niederen sozialen Schichten. Auch im Film DSOD ist Jounouchi dem Polizisten bekannt, er wird sogar mit dem Namen angesprochen, was ich als Mangaleser einfach nur klasse fand. ♥

Kaiba erwähnt, dass Yuugi ihn durchschaut hat. Falls jemand den Manga gerade zur Hand hat: In Band 2, Kapitel 9, sehen wir Kaiba, wie er auf Yuugi zukommt. Zunächst ist Yuugi verwundert, dass Kaiba überhaupt weiß, dass Yuugi die Karte in der Tasche hat (Kaiba liebt Kontrolle und sein Wahn diese zu behalten, wird im Manga mehrmals angedeutet, kann also gut sein, dass er Yuugi bewacht und es daher weiß). Wir sehen einen Schweißtropfen auf Yuugis Wange. Yuugi ist sich bereits in diesem Moment bewusst, dass Kaiba etwas vorhat. Er ist nervös, weil er bemerkt hat, dass Kaibas breites Lächeln mehr Schein als Sein ist. Als Kaiba ihm die Fälschung zurückgibt, sagt Yuugi kein Wort. Seine Augen zeigen jedoch deutlich, dass er gerade unzufrieden ist und trotzdem lächelt er und stellt ihn nicht bloß. Yuugi war der erste, der Kaibas falsches Spiel durchschaut hat und da es immer heißt, dass Kaiba nur Augen für Atem hatte, also dass Atem sein wahrer Rivale gewesen wäre, wollte ich das auch irgendwie in die Geschichte einbringen. Yuugi und Kaiba hatten von Anfang an eine Verbindung und Yuugis Fähigkeit, Menschen zu durchschauen, wollte ich hier unterbringen. Hoffentlich kam das einigermaßen verständlich rüber. Kaiba wird mehr und mehr bewusst, warum Atem meinte, dass Yuugi sogar stärker als er sei. :0 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Die Speisen, die Kaiba und Yuugi hier essen, habe ich der Speisekarte des Restaurants entnommen. Ich habe die Gerichte vom Englischen ins Deutsche übersetzt.

Yuugis Anzug findet ihr HIER.

Meine Meinung zu Yuugis Charakterentwicklung

Endlich erfahren wir, warum Yuugi sein Spiel nicht direkt beim Wettbewerb eingereicht hat und er schafft es, offen über seine Gefühle für Atem zu sprechen. Im Wiki steht, dass Yuugi sein Spiel Spherium vier Jahre nachdem er die Schule beendet hat, bei diesem Wettbewerb eingereicht hat. Also war er 22, wenn wir davon ausgehen, dass er bei seinem Abschluss 18 war.

Yuugi hat in dieser FF die Schule beendet, da war er 18, hat dann angefangen zu studieren. Eigentlich wollte er Spherium direkt beim Spiel des Jahres anmelden, aber es gab Probleme und er hat diesen Plan dann verschoben und sich auf sein Studium konzentriert. In seiner Studienzeit hat er auch viel gelernt, das er für sein eigenes Projekt anwenden konnte und Spherium immer weiter ausgebaut. Den Wunsch Spherium zu erstellen, hat er nicht aufgegeben und seine Dozenten um Rat gefragt bzw. wollte ihre Meinung dazu wissen. Die Kritik wurde ja bereits abgehandelt.

Sein Studium ging vier Jahre, er war mit 22 fertig, hat dann aber keinen Job gefunden und musste mit harter Kritik kämpfen, sowohl von seinen Dozenten als auch von seinem Vater. Yuusuke sieht Yuugi als Versager an, weil er nun schon so lange zu Hause „gammelt“, Yuugis Herzensprojekt interessiert ihn also nicht und er will, dass sein Sohn sein Leben in den Griff kriegt und endlich „den Arsch hoch kriegt“. Aus diesem Grund möchte Yuugi ihn auch nicht um Geld bitten. Seit Yuugi zu Hause ist, hilft er im Laden seines Großvaters. Yuugi ist jetzt 24, die Fanfiktion spielt im Zeitraum von Mai bis Juni, was nie wirklich klar wurde. Yuugi geht auf seinen 25 Geburtstag zu und hatte eigentlich genügend Zeit, Spherium fertigzustellen. Doch es gibt Dinge, über die er nicht sprechen will... ein Tief, eine depressive Phase, auf die ich auch nicht weiter eingehen möchte. All diese Informationen kann ich nicht in die Fanfiktion verpacken, weil sie zu weit vom Handlungsbogen abweichen würden und eigentlich nicht so wichtig sind, um die Geschichte zu verstehen. Vieles deute ich zwischen den Zeilen an und das reicht auch vollkommen aus, um den Lesern Interpretationsraum zu geben. Ich möchte die FF nicht ins Unendliche hinauszögern, daher hier das Nachwort, wie ich mir seine Entwicklung vorstelle. Ich möchte diese Geschichte keinenfalls strecken und mehrere hundert Kapitel schreiben, da man das ganze Grundkonzept der Entwicklung und Veränderung immer weiter ausbauen könnte.

Die Komplexe, die Yuugi hatte, verschwinden nicht einfach und er muss selbst lernen, mit seinen Gefühlen und negativen Gedanken umzugehen. Yuugi ist stark geworden. Doch seine Stärke ist die Macht der Freundschaft. Seine Freunde und der Rückhalt dieser machen ihn stark. Er ist ein introvertierter Nerd, der von extrovertierten Freunden aufgenommen wurde und ich glaube, dass Yuugi schnell unsicher wird, sofern er sich selbst überlassen wird. Und das ist hier geschehen. Seine Freunde gehen alle arbeiten, Anzu ist sogar auf einem anderen Kontinent und die meiste Zeit war er sich selbst überlassen und hatte viel Zeit, sich selbst kleinzureden und seine Zweifel im Untergrund seiner Seele aufkeimen zu lassen.

Wie man auch in diesem Screenshot sieht, denkt Yuugi viel über Atem nach und er ist bei Weitem noch nicht erwachsen genug, um mit solchen Verlusten einfach klar zu kommen. Er ist ein unsicherer Mensch, der sich viel zu oft über Kleinigkeiten den Kopf zerbricht und schnell nostalgisch wird, weshalb Yuugi in dieser FF auch nicht direkt zum zweiten Atem mutiert - denn genau diese Darstellung seines Charakters geht mir persönlich gegen den Strich. Auch diese ganzen Fanarts, wo Yuugi exakt genauso aussieht wie Atem oder die Darstellung in Fanfiktions, wo er plötzlich zum super coolen Player wird und jede Frau rumkriegt - alles absolut nicht meins. Ich sehe seine Entwicklung anders, kritischer, vielleicht auch ein Stück weit realistischer, weil ich mich selbst mit diesem Charakter sehr stark identifiziere und mich mit der Thematik Schüchternheit/Komplexe und den psychologischen Ursachen mehr auseinandergesetzt habe und mir daher diesen Sprung vom schüchternen jungen Mann zum coolen Helden nicht so einfach vorstelle, wie es viel zu oft dargestellt wurde.

Yuugis Komplexe sind durch seine familiären Umstände so stark geworden und begleiten ihn seit seiner Kindheit, was ich hier auch thematisiert habe. Es ist nicht canon und nur etwas, das ich mir vorstellen kann, aber für mich ergibt das Ganze Sinn und erklärt Yuugis Persönlichkeit. Ein Komplex wächst über Jahre hinweg und die Ursache muss bekämpft werden – was hier nie geschehen ist. Yuusuke unterstützt Yuugi nicht. Er hat andere Vorstellungen für seinen Sohn. Natürlich belastet das Yuugi, auch wenn er das nicht offen ausspricht oder viel mehr ignoriert, aber das ändert nichts daran, dass dieser Unmut in seinem Herzen ist und Zweifel mit sich bringt.

Man legt Schüchternheit nicht einfach ab, man lernt mit ihr umzugehen und sich auf andere Menschen einzulassen. Eine Persönlichkeit ist in den Genen festgelegt und lässt sich nur durch harte Arbeit (Yuugis Streben stärker zu werden), positive Erfahrungen (Unterstützung von Freunden und Familie, Erfolge bei Turnieren und Anerkennung seines Rivalen) und äußeren Einflüssen (Yuugis Freunde) verändern. Das geschieht nicht über Nacht. Auch am Ende des Mangas ist Yuugi immer noch unsicher und macht sich selbst runter, deshalb sehe ich ihn noch nicht am Ende seiner Entwicklung. Es ist Atem, der ihm auf die Beine zurückhilft und ihm sagt, er würde an seiner Stelle nicht weinen. Es ist Atems Entschlossenheit und sein Mut, die Yuugi Stärke gegeben haben, auch in diesem Moment.

Yuugi ist aus der Schule raus. Jetzt beginnt sein Arbeitsleben und somit der längste und wichtigste Teil seines Lebens. Ich hoffe, dass ich in dieser FF einigermaßen vermitteln konnte, dass Yuugi immer noch Unsicherheiten hat und dass er nicht einfach zu einem anderen Menschen wird und dass er noch lange nicht am Ende seiner Reise und seiner geistigen Entwicklung ist. Veränderungen in der Psyche und in der Art des Denkens sind ein langjähriger Prozess, der durch äußere Einflüsse und Erlebnisse unterstützt wird.

So sehe ich das. Also ich stimme mit dem neuen, coolen Yuugi, der genauso wie Atem aussieht, sich exakt genauso gestikuliert und eigentlich seine Kopie darstellt, absolut nicht zu und stelle hier meine Vorstellung seiner Charakterentwicklung vor. Das ist mein Headcanon. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Falls es noch offene Konflikte gibt, die einen Lösungsansatz brauchen, schreibt es jetzt in die Kommentare, denn dann kann ich das Ende noch umschreiben und das, was ich vergessen/übersehen habe, noch einbinden. Manchmal vergisst man ja doch etwas, was man irgendwo angedeutet hat. Falls es also noch offene Fragen gibt, wo ihr der Ansicht seid, dass ich da noch mal darauf eingehen sollte oder sogar muss, erwähnt es hier, bevor es zu spät ist.

Die FF ist als solche nämlich beendet und zu dem Zeitpunkt, wo ihr das hier lest, arbeite ich bereits an einer anderen Fanfiktion. Demnach wird hier jetzt nur noch im Wochenrythmus (Sonntag; wenn unsere Internetverbindung konstant ist) die letzten Kapitel hochgeladen.

Jetzt ist der letzte Zeitpunkt, wo ihr euch nochmal äußern könnt, wenn ihr etwas zu sagen habt bzw. noch Fragen habt.

Also, lasst hören! °˖✧◝(⁰▿⁰)◜✧˖° Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Im Manga gab es häufig Andeutung dazu, dass Kaiba Yuugi beobachten lässt und selbst im aller ersten YuGiOh! bzw. 遊☆戯☆王 Film, der leider nie außerhalb Japans erschienen ist, wird diese beinahe krankhafte Vernarrtheit von Kaibas Seite aus nochmal deutlich. Also ja, ich habe das Headcanon, das Kaiba eine gewisse Obsession gegenüber Yuugi hat (die er vorher gegenüber Atem hatte), daher weiß er auch Yuugis exakten Körpermaße.

Interpretiert das so wie ihr wollt, hehe~ (⌒▽⌒)♥ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich habe versucht, das Ende der Serie zu spiegeln. Ich finde es hat etwas Nostalgisches, wie sich Yuugi beim Hinausgehen nochmal umdreht und dann in Richtung Horizont und Zukunft blickt. Yuugi hat eine Zukunft und ein Ziel, das er erreichen möchte. Die Geschichte endet hier. Ich mag offene Enden, denn es gibt im realen Leben kein endgültiges Happy End. Es passieren immer Dinge, auf die man nicht vorbereitet ist und die einen aus der Bahn werfen, aber mit Menschen, die einen siegen sehen wollen und einen unterstützen, sind auch solche Hindernisse zu bewältigen. Auch Kaiba hat gelernt, Yuugi als Freund anzusehen. Und ja, Yuugi flirtet mit Kaiba und ich überlasse es eurer Phantasie, ob die beiden zusammenfinden. Vielleicht schreibe ich irgendwann mal eine Fortsetzung zu dieser Fanfiktion, mal sehen~ ♥

Das erste Kapitel war ein RPG Starter, leider war ich mit dem Posting meiner RPG Partnerin überhaupt nicht zufrieden, weshalb ich mich dann dazu entschied, diese Idee selbst zu Ende zu schreiben. Geplant war ein Oneshot. Doch jetzt ist es wohl meine längste Fanfiktion überhaupt geworden. Mein Schreibstil ist immer noch ausbaufähig und ich fühle mich immer noch extrem unsicher, was das Schreiben angeht. Ich bin mir sehr sicher, dass ich viele Fehler mache. Aus Unwissenheit oder weil ich nicht ausführlich genug recherchiert habe. Oder weil ich nicht aufgepasst habe und vielleicht etwas vergessen habe. Verbessern kann man sich immer und daher danke ich insbesondere Maclilly und Jitsch, denn eure Kritik war sehr hilfreich und ich bin froh, dass es doch noch Fans gibt, die auch etwas zu sagen haben. Feedback ist nicht selbstverständlich. Umso mehr habe ich mich über jedes kleinste Kommentar gefreut, auch wenn es nur ein Wann geht's weiter? war.

Danke an alle, die bis zum Ende durchgehalten haben! °˖✧◝(⁰▿⁰)◜✧˖°

P.S.: Blinded By You ist nicht abgebrochen, sondern wird nachdem ich Life is a Gamble beendet habe, komplett überarbeitet. Ich denke, dass ich dem Thema der FF nicht gerecht geworden bin und die Problematik nicht mit genügend Respekt behandelt habe. Ein Thema wie dieses verdient Respekt und Aufklärung. Ich möchte, dass das Thema mit anderen Augen gesehen wird und es kommt für mich selbst nicht in Frage, dies oberflächlich zu abzuarbeiten. Die Thematik verdient Respekt, demnach muss ich sehr viel recherchieren und mich informieren und ich bin mit meiner bisherigen Arbeit unzufrieden. Eines steht fest, es wird weitergehen und wenn es weitergeht, mit einer komplett anderen Grundeinstellung meinerseits. Ich möchte, dass Blinded by You aufklärt und auch wenn es nur eine Fanfiktion ist, ist das zentrale Thema der Geschichte etwas, das viel zu wenig Beachtung bekommt. Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (51)
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Von:  Jitsch
2018-08-04T21:31:28+00:00 04.08.2018 23:31

Der Teil in Kemet / Ägypten war finde ich auch sehr interessant. Ich hatte mir immer vorgestellt dass Atem am Ende ins Jenseits eingeht und seine Freunde dort auf ihn warten weil sie auch schon lange tot sind, aber tatsächlich ist ja so ziemlich im Dunkeln wie er überhaupt zu einem Geist geworden ist der im Puzzle eingesperrt ist. Also könnte er natürlich auch in seinen alten Körper zurückgekehrt sein. Kann natürlich auch sein dass Takahashi hier wieder irgendwas hat verlauten lassen von dem ich nichts weiß.
Wie auch immer das mit der Serie zusammenpasst, ich fand es sehr spannend hier noch mal die Beziehung von Atem und Kaiba beleuchtet zu sehen. Es war schon in DSoD sehr deutlich wie fixiert Kaiba auf ihn ist und das kam hier auch gut rüber.

Und jetzt bin ich gespannt ob Kaiba es tatsächlich schafft sich zu ändern. Der erste Schritt könnte aber schon mal der schwerste gewesen sein, also sich überhaupt einzugestehen dass sich etwas ändern muss.

Für heute mache ich aber mal Schluss, mal sehen wann ich mal wieder zum Lesen komme.

Liebe Grüße,

Jitsch
Von:  Jitsch
2018-08-04T21:05:03+00:00 04.08.2018 23:05
Eine sehr aufbauende Episode. Wobei ich es etwas zweifelhaft finde wie die Begegnung mit Tomoya zustande gekommen ist. Ich dachte Yugi hat ein Smartphone, da verwundert es etwas dass er es nicht rausholt sobald er nicht mehr weiß wo er ist. Wäre zumindest meine Reaktion. Dass Yugi zufällig jemanden anspricht und genau diese Person jemand ist die er kennt wirkt schon etwas konstruiert. Wenn Tomoya ihn sieht und von sich aus anspricht weil er ihn wiedererkennt wäre das für mich auch passend.
Tatsächlich muss ich sagen dass mir im Manga nie so richtig aufgefallen ist dass er verschwunden ist. Vielleicht auch weil ich den Anime vorher kannte und es daher "normal" fand dass er nicht zum engen Freundeskreis gehört. Aber ich erinnere mich, dass ich die Geschichte um ihn auch recht ergreifend fand.
Von:  Jitsch
2018-08-04T20:53:44+00:00 04.08.2018 22:53
Wow, jetzt hat er es ihm aber gegeben. Da bin ich mal gespannt ob Kaiba es wirklich mal in Betracht ziehen wird, an sich zu arbeiten.
Von:  Jitsch
2018-08-04T20:41:03+00:00 04.08.2018 22:41
Ich fand das Gespräch über Make-Up in sofern sehr aufschlussreich weil es zeigt, dass Kaiba toleranter ist als man zunächst denken könnte. Es passt zu ihm, die Fähigkeiten von Menschen wichtiger einzuschätzen als die Frage, ob sie gewissen gesellschaftlichen Normen entsprechen. Und das finde ich sehr gut :)
Ansonsten habe ich mich gefragt, warum es keinen Chef-Lift in der Kaiba Corp. gibt. Gerade Kaiba müsste es doch endlos nerven ständig minutenlang auf den Lift zu warten und er hätte sicher auch die Möglichkeit, einen Lift einzubauen den nur er nutzen kann. Oder der zumindest sobald er von der Chefetage aus angefordert wurde nicht noch unterwegs hält. Andererseits fand ich die unangenehme Stille auch wieder ein wichtiges Element, weil es Kaiba gut darstellt, dass er gar kein Freund von lockerer Konversation ist.
Die Aufgabe am Ende ist interessant. Da fängt man glatt an nachzudenken was man selbst auf so einen Zettel schreiben würde.
Von:  Jitsch
2018-08-04T20:23:09+00:00 04.08.2018 22:23
Auch wieder ein schönes Kapitel. Kaibas Herangehensweise ist auch überraschend vernünftig - ich kann es Yugi gut nachempfinden dass er erst mal davon ausgeht dass er ins kalte Wasser geschmissen wird. Nur Mokubas Weggang hängt wie ein Damoklesschwert über dem ganzen. Auch Yugi scheint aufzufallen dass Kaiba ihn sogar Mokuba vorzieht. Wenn das nicht noch Ärger gibt.
Von:  Jitsch
2018-08-04T20:12:06+00:00 04.08.2018 22:12
Du zögerst es ja echt heraus dass Mokuba von den Plänen mit Spherium erfährt. Da kommt bestimmt noch was :D
Aber ja, Yugi tut mir auch leid, dass er da so zwischen den Fronten sitzt. Vielleicht kann er ja wirklich noch was reißen aber die Zeit wird knapp...
Von:  Jitsch
2018-08-04T20:02:10+00:00 04.08.2018 22:02
Die Familiensituation hast du hier echt gut herausgearbeitet und es passt mit dem zusammen was man aus der Serie an (wenigen) Informationen bekommt. Auch wie es Yugis Charakter beeinflusst hat finde ich überzeugend. Und es ist irgendwie sehr süß dass er schon so früh eine "Bindung" zum Millenniumspuzzle aufgebaut hat.
Ich muss aber sagen dass man sich vermutlich etwas abgehängt fühlt wenn man den Manga nicht kennt und mit manchen Namen, z.B. Hirutani, nichts anfangen kann. Andererseits beschreibst du ja indirekt Yugis Gedankgengänge und der würde sich nicht extra noch mal ins Gedächtnis rufen wer das noch mal ist.
Ich war etwas verwirrt wegen Yugis Mutter, weil ich irgendwie überzeugt war, ihr Name wäre Ashita. Aber anscheinend habe ich mir den Namen entweder selbst ausgedacht (wobei mich das wundern würde) oder irgendwo etwas falsches aufgeschnappt.
Ayumu ist ja ein geschlechtsneutraler Name was ich eine interessante Wahl finde. Wobei sie ja schon sehr durchsetzungsfähig ist, also passt das vermutlich.
Von:  Jitsch
2018-08-04T19:44:12+00:00 04.08.2018 21:44
Ich macher mir gerade ernsthaft Sorgen, was Mokuba sagen wird, wenn er herausbekommt dass Kaiba jetzt Yugis Spiel so stark unterstützt nachdem er seins total ignoriert hat. Ich glaube, das wird ihn noch sehr verletzen... Dabei ist er ja jetzt schon nicht gut drauf.
Gut, dass er wenigstens in Rebecca eine toughe Verbündete hat.
Von:  Jitsch
2018-08-04T19:32:17+00:00 04.08.2018 21:32
Das Ende des Kapitels war eine gute Auflockerung nach all den ernsten Szenen. Gozaburous Erziehungsmethoden sind sicherlich brutal gewesen und es erklärt, wie Kaiba so geworden ist, wie er war. Dass Mokuba davon völlig unberührt geblieben ist halte ich aber irgendwie für einen Trugschluss bei Seto. Auch wenn er nicht misshandelt wurde muss er ja zumindest darunter gelitten haben, seinen Bruder nie zu sehen.
Auf jeden Fall freue ich mich auf die weitere Entwicklung auf Basis dieses Vertrags. Es fühlt sich so an als wäre jetzt gerade erst der Prolog der Story vorbei.
Von:  Jitsch
2018-08-04T18:30:03+00:00 04.08.2018 20:30
Hätte nicht gedacht dass sie jetzt doch so ehrlich miteinander sprechen. Zumindest Yugi ist ja wirklich sehr direkt. Dass Kaiba ihn nicht sofort rausschmeißt zeigt wohl, dass er auch ein bisschen erwachsener ist als noch in der Serie. Ich finde es auch interessant wie du herausgearbeitet hast, warum Yugi und Mokuba sich ziemlich nahe stehen. Man versteht sehr gut warum er sich um beide Kaiba-Brüder sorgt.


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