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Dunkle Dämmerung

Kampf um die Götterschwerter *abgeschlossen*
von

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Aufbruch ins Unbekannte

Kapitel XXIII - Aufbruch ins Unbekannte
 

Zeliarina saß gebannt in einem Aufenthaltsraum Falcaniars und starrte fassungslos auf die Bilder, die im flackernden Monitor eines Fernsehers zu erkennen waren. Eine Nachrichtensprecherin sprach bemüht ruhig und mit starrer Miene in ihr Mikrofon, während über ihr ein blasser roter Streifen erschien, indem gelbe Lettern vorbeizogen und eine Mitteilung bildeten: ,Monsterangriff'...

"Die folgenden Aufnahmen sind weder digital bearbeitet noch gestellt. So unglaublich es erscheinen mag, was sie nun sehen passiert tatsächlich...", verkündete die Nachrichtensprecherin ernst. Das Bild flackerte kurz und zeigte nun eine verschwommene Kameraaufnahme von zwei dunklen Gestalten, die mit bedrohlichen Klauen und Schwertern auf einem großen Stadtplatz Terror verbreiteten. Menschen schrieen aufgeregt durcheinander und rannten immer wieder durch das Bild. Der Hobbyfilmer, der die Szene eingefangen hatte, konnte das Zittern seiner Hände nicht unterdrücken, genauso wenig wie sein gemurmeltes "Großer Gott...".

Das Bild veränderte sich wieder und zeigte diesmal eine Aufnahme aus der Luft. Auch ohne den auftauchenden Informationsstreifen, der ,Berlin' aufblitzen ließ, hätte man die gezeigte Stadt erkannt, denn das Brandenburger Tor und die Straße, die hindurch führte, waren zu erkennen. Ein aufgescheuchter Mob floh vor vier dunklen Gestalten.

Wieder ein Szenenwechsel, diesmal nach ,Tokio'. Mehrere Oggrons verbreiteten Angst und Schrecken, schleuderten Autos durch die Strassen, zertrümmerten Schaufenster von Geschäften, setzten Gebäude mit lodernden Fackeln in Brand. Das Hin und Her der Ortswechsel ging noch eine ganze Weile weiter, ehe die Nachrichtensprecherin wieder zu sehen war, blass im Gesicht, die Hand verkrampft um ihr Mikro. "Vor zwei Stunden begannen die Angriffe der Kreaturen, ohne dass bisher ein Sinn oder ein Motiv festgestellt werden konnte. Genauso unbekannt bleibt die Identität dieser Wesen. Polizei und Militär starten bereits erste Gegenmaßnahmen, bisher jedoch ohne Erfolg. Augenzeugen wollen gesehen haben, dass die Kreaturen von mehreren Schüssen getroffen wurden, ohne dass es ihnen schadete... Wir haben dazu-"

Dunkan, der unbeweglich neben Zeliarina gestanden hatte, nahm nun die Fernbedienung in die Hand und schaltete auf einen anderen Sender. Überall wurde das Gleiche berichtet und dieselben Bilder gezeigt. Der einzige Unterschied schien in den Überschriften zu bestehen, die versuchten sich in ihrer Dramatik gegenseitig auszustechen.

"Bestien in Barcelona!"

"Monster bedrohen Menschheit!"

"Tag des Grauens!"

Zeliarina wagte kaum zu atmen, während sie die Augen weiter auf den Bildschirm gerichtet hielt. Inzwischen waren sie wieder bei dem ursprünglichen Programm mit der blassen Nachrichtensprecherin angekommen. "Erste Tote sind in Paris, Moskau, Kalifornien und Chicago zu verzeichnen... Man spricht bereits von einer-" Dunkan schaltete den Fernseher aus. Seine Hand verkrallte sich um die Fernbedienung, sein Mund war nur ein dünner Strich und die Muskeln in seinen Wangen zeigten deutlich, dass er die Kiefer aufeinander presste. "Wir hätten es kommen sehen müssen... Großer Gott, wir hätten es bemerken müssen, es war unsere Aufgabe das zu verhindern! Dämon frei auf den Straßen! Was zum Teufel denken die sich?"

Zeliarina starrte noch immer dumpf auf den schwarzen Fernseher, ohne wirklich zu begreifen was sie da eben gesehen hatte. Dämonen, die die gesamte Welt terrorisierten? Die Wächterin Thundenstars sah sich in dem Aufenthaltsraum um und betrachtete die Gesichter anderer Lancelor, viele, darunter Kevin, zornentbrannt wie Dunkan, andere ängstlich, wieder andere verwirrt. Dymeon, der schweigend neben ihr gesessen hatte, gab überhaupt nichts von sich und sein Ausdruck erschien Zeliarina so leer und undurchschaubar wie schon lange nicht mehr.

"Warum sitzen wir hier noch? Wir müssen etwas tun!!!", brüllte Kevin, bevor er von seinem Stuhl aufsprang und den Raum mit großen Schritten durchquerte. Dunkan hielt ihn halbherzig zurück, doch im gleichen Augenblick ertönte die Stimme des Oberhauptes aus versteckten Lautsprechern in der Decke. "Alle Lancelor sofort in die Eingangshalle! Alle Lancelor sofort in die Eingangshalle, es ist der Ernstfall eingetreten!"

"Allerdings!", knurrte Kevin, während er vor Dunkan, Zeliarina und den anderen Lancelor zur Eingangshalle stürmte. Von allen Richtungen stießen andere Ordensmitglieder zu ihnen, so dass der Saal schon bald gefüllt war mit einer großen Menge, gekleidet in schwarzen Anzügen und weißen Westen, das blaue Symboltuch in den Haaren oder irgendwo sonst am Körper. Zeliarina hatte vorher nicht gewusst, wie viele Lancelor eigentlich auf Falcaniar lebten.

Sie erspähte hinter einer Gruppe nervöser Neulinge Victoria und Selen, zu ihrer Rechten irgendwo Pendrian, der an einer Säule lehnte, und noch schwerer zu erkennen, in einer abgelegenen Ecke, Siviusson und Titus McCain. Alle wirkten sie grimmig und entschlossen und nicht wenige hatten die Hände um ihre Pistolen gelegt. "Der schlimmste annehmbare Fall ist eingetreten. Der Däezander hat sich der öffentlichen Welt gezeigt und ist gegen sie in den Kampf gezogen! Wir müssen sofort unsere Truppen überall ausschicken!", donnerte die Stimme des Oberhauptes durch die Eingangshalle. Zeliarina konnte den Anführer der Lancelor nicht sehen, doch sie spürte die Ehrfurcht einflößende Präsenz, die allein durch die Worte ausgelöst wurde. "Ich will Truppen in allen betroffenen Gebieten! Siviusson, Garbeth, Schweizer und Lee, nehmt euch alle Schüler und Kameraden, die ihr bei euren Missionen normalerweise als Truppführer leitet, zwei Helikopter mit soviel Ausrüstung wie ihr für nötig erachtet, und stoßt zu den Kollegen in Berlin! Brondik, Slavkov, Westerman und Brown, dasselbe gilt für euch, ihr übernehmt Moskau!"

Die Aufgerufenen trommelten augenblicklich ihre Schüler und Kampfgefährten zusammen, ehe sie aus der Halle strömten. "Pendrian, Mathuen, Silverin, Dunkan, euch gehört London!" Pendrian stieß sich von seiner Säule ab und kam auf Dunkan zugelaufen. Ein paar Sekunden später traten Jessica und Selen dazu. "Peter, kümmere du dich bitte um die Ausrüstung. Wir brauchen genug Fänger und Heilige. Selen und Jessica, ihr holt alles andere, was wir noch so gebrauchen können, Seile, Proviant, Stadtkarten und Ähnliches. Ich kümmere mich um unsere Helikopter und die Leute, die uns begleiten werden", befahl Dunkan schnell. Die zwei Frauen in der Gruppe nickten knapp und machten sich sofort auf um alles zu packen.

"Du willst sicher McCain dabeihaben, oder Pendrian?"

Pendrian nickte. "Und Crow", fügte er nach kurzem Schweigen hinzu. Dann warf er Kevin und Zeliarina einen schnellen Blick zu, schaute Dunkan fragend an und verließ schließlich, offenbar zufrieden mit dem was er im Gesicht des Palas gelesen hatte, den Raum. Das Oberhaupt teilte im Hintergrund weitere Lancelor für ihre Aufgabenbereiche ein, doch Zeliarina kümmerte sich inzwischen mehr um Dunkan und starrte ihn erwartend an. "Und was tun wir?", fragte sie und deutete dabei auf sich und Kevin.

"Nichts", erwiderte Dunkan streng, "Ihr werdet nichts tun, denn ihr kommt nicht mit!"

"Was?", riefen beide Elementare so laut, dass sich einige Lancelor in der Nähe erschrocken umdrehten. Zeliarina griff Hilfe suchend nach Dymeon, der die ganze Zeit still neben ihnen gestanden hatte, doch es brauchte nur einen Blick in sein Gesicht um zu begreifen, dass er bereits ein stummes Einverständnis mit Dunkan getroffen hatte.

"Wir können es nicht riskieren dich mitzunehmen, Zeliarina", versuchte der Palas zu erklären. Kevin sah aus, als hätte man ihn tödlich beleidigt. Zeliarina jedoch fühlte die gleiche Verzweiflung und Hilflosigkeit in sich aufsteigen, die sie schon begleiteten seit sie Thundenstar trug. Immer musste sie anders behandelt werden und durfte nicht in dem Maße helfen wie andere. "Ich kann kämpfen!", beharrte Zeliarina zornig, "Ich bin stärker geworden! Ich kann sogar Thundenstar kontrollieren! Wenn ich mich wirklich konzentriere, kann ich es sogar mit einem Hochdämon aufnehmen und euch unterstützen!"

"Nein!", gab Dunkan ruhig, aber entschlossen zurück. "Was uns in London erwartet, ist keine geplante Mission mehr, sondern eine offene Schlacht, in der alles passieren kann. Wir wissen nicht wie viele Dämonen dort sind. Wir wissen nicht was für Dämonen dort sind. Das Risiko, dass du getötet werden könntest, ist einfach zu groß..."

"Wozu habe ich dann Thundenstars Kräfte? Wozu bin ich dann überhaupt hier? Wir könnten das verdammte Teil auch einfach irgendwo vergraben und ich könnte euch helfen zu-"

"Ich habe jetzt keine Zeit zu diskutieren, Zeliarina", schoss Dunkan ungeduldig zurück, "In dieser Sekunde sterben vielleicht Menschen! Bleib einfach hier, vertraue mir! Und was dich angeht", fügte er schnell hinzu, als er sah wie Kevin ebenfalls zum Protest ansetzen wollte, "du hast dich noch nicht genug von deinen Verletzungen erholt, das weiß ich von Doc Fossil. Ich kann nicht verantworten, dass die Wunden wieder aufbrechen. Wenn es soweit ist, werde ich dich nachfliegen lassen... Solange könntest du dich ja vielleicht ein bisschen um Victoria kümmern..."

Beim Klang des Namens verzog Kevin das Gesicht, als hätte man ihm in den Bauch geschlagen. Ohne noch ein weiteres Wort zu sagen oder sich auch nur zu verabschieden, trottete er davon. Zeliarina dagegen hatte beschlossen dieses eine Mal nicht so schnell aufzugeben.

"Dunkan, bitte..."

"Keine Zeit, Zeliarina", blockte Dunkan mit einem Blick auf die Uhr ab, "Pendrian braucht sicher nicht lange und Selen und Jessica werden sich auch beeilen. Ich muss jetzt los, jeder Moment ist kostbar..." Als er wieder aufblickte und Zeliarinas verzweifelte Miene sah, wurden seine Züge etwas weicher. "Sieh mal, ich weiß, dass das hart für dich ist, aber es geht nicht anders... Alles wird gut, du wirst hier in Sicherheit sein und ich werde bald zurückkommen..."

Er schaute sich schnell um, ob sie beobachtet wurden, ehe er hastig zwei dünne Glasphiolen mit roter Flüssigkeit aus seiner Westentasche zog und ihr in die Hand drückte. "Ich sollte eigentlich immer alle in den öffentlichen Bestand geben, doch diese beiden habe ich für solche Fälle heimlich behalten... Für den Tag, wenn ich dich nicht mehr beschützen kann..."

Er zwinkerte Dymeon kurz zu. "Doch du passt sicher auf sie auf, oder?"

"Ich bin ihr Schutzritter", erwiderte der Dämon ruhig und schien die Frage damit für erledigt zu halten. Dunkan lächelte kurz, während er Zeliarinas Finger sanft um die Glasgefäße in ihrer Hand schloss. "Pass auf dich auf, Zeliarina..."

"Pass du lieber auf dich auf, Dunkan", meinte die Donnerhexe gequält. Sie hatte das Gefühl schon wieder einen lieben Menschen zu verlieren, auch wenn es lächerlich klang. Doch vielleicht würde sie ihren Mentor nicht wieder sehen. Vielleicht würde er diesmal nicht aus dem Kampf zurückkehren, vielleicht würde ihm diesmal nicht einmal mehr sein Blut der Macht helfen...

"Dunkan", murmelte Zeliarina plötzlich mit einer merkwürdigen Ahnung, "Dieses Heilserum... Victoria meinte einmal, es wäre Blut... Es ist dein Blut, nicht wahr? Das Blut der Macht..."

Dunkan lächelte noch einmal.

"Ja, es unterstützt die natürlichen Regenerationskräfte des Körpers... Doc Fossil nimmt es mir so oft wie möglich ab und verteilt es an die Lancelor... So hat es wenigstens Sinn, dass ich es habe..." Plötzlich wirkte Dunkans Lächeln gezwungen und er drückte seine Schülerin einmal kurz, damit sie nicht sehen konnte wie es gänzlich verschwand. "Ich muss jetzt wirklich los..."

"Ja, ich weiß...", würgte Zeliarina hervor.

"Bis bald..."

"Bis... bald...", murmelte sie, während Dunkan ihr bereits den Rücken zugekehrt hatte und nun in schnellem Tempo aus der zunehmend leereren Halle stürmte. Jetzt war nur noch Dymeon bei ihr... Der Dämon verstand ohne ein Wort oder eine Frage was in seiner Schutzbefohlenen vorging, und zog sie in eine tröstende Umarmung. Zeliarina dankte ihm leise. Doch ihre grünen Augen waren auf einen unbestimmten Punkt an der Wand gerichtet.

Sie hörte Thundenstar zu ihr singen, deutlicher als jemals zuvor...

Es ist das Schicksal meines Trägers allein zu sein...

Und noch während die Worte in ihren Ohren klangen, noch während sie sah wie die Türen der Eingangshalle hinter Dunkans Gestalt ins Schloss fielen, begriff sie plötzlich was zu tun war. Der Gedanke brach so stark über sie herein, dass sie das Gefühl hatte schon wochenlang darüber gebrütet zu haben und nun genau zu wissen, was sie tun musste.

Mit einer kurzen Bewegung löste sie sich aus Dymeons Armen. "Lässt du... lässt du mich kurz allein?" Der Dämon betrachtete sie nachdenklich, so dass Zeliarina schon befürchtete er würde sie durchschauen, doch schließlich nickte er schwach und verschwand in Richtung Hügelgräber, so wie er es manchmal tat wenn er allein war. Ohne zu überlegen rannte Zeliarina derweil aus einem anderen Ausgang, schlüpfte unbemerkt in die Küche neben dem Essensaal und griff sich soviel Essbares wie nur möglich. Anschließend rannte sie die Treppe hoch und bis in ihr Zimmer, schmiss alles unbeachtet auf ihr Bett, nur um sofort wieder durch die Gänge zu fegen. Überall huschten geschäftige Lancelor an ihr vorbei um alles für ihre Abreise zu packen, so dass sich niemand um Zeliarina kümmerte, als sie vor der Waffenkammer stand. Auch hier tummelten sich unzählige Lancelor.

Zeliarina schlüpfte geschickt an einigen von ihnen vorbei, drängte sich durch die Tür in das Waffenlager und schloss das Schrankfach in einer stillen Ecke auf, das ihr gehörte. Mehrere unterschiedlich markierte Pistolenmagazine standen ordentlich nebeneinander gereiht neben einigen eishockeypuckförmigen Fängern, ihrer Pistole, einer zweiten Ersatzwaffe, einer Spritze und den dazugehörigen gefüllten Glasphiolen. Unwirsch und sich immer wieder umschauend stopfte sie alles in ihre Westentaschen, bevor sie wieder verschwand, ehe jemand Notiz von ihr nehmen konnte. Als sie zurück in ihrem Zimmer war und die Tür hinter sich geschlossen hatte, atmete sie schwer, war jedoch zufrieden mit sich...

Ich werde es tun, Thundenstar...

Vorsichtig schüttelte sie den kompletten Inhalt aus ihren Taschen aufs Bett. Die Munitionsmagazine verteilten sich ungeordnet auf dem Laken, doch Zeliarina konnte ihre Bedeutung noch an den kleinen eingravierten Symbolen erkennen. Geduldig teilte sie sie wieder in Gruppen auf, ein kleiner Haufen für Runenmunition, einen für Heilige, einen dritten für Signalschüsse. Als sie fertig war, betrachtete sie ihre Beute, die Waffen und das Essen, einen Moment lang.

Ich habe genug davon beschützt zu werden... Ich werde nicht mehr zurückbleiben, ich werde diejenige sein, die die anderen beschützt... Dazu habe ich Thundenstar... Es war Schicksal, dass ich dieses Schwert erhielt... Es ist meine Bestimmung die Helle Dämmerung zu beschwören, und zwar meine allein... Sabiduría hat es mir damals durch die Illusag offenbart...

Ihr Blick blieb in Gedanken versunken an der Spritze und den mit Aramea gefüllten Fläschchen hängen, die im Schein einer untergehenden Sonne funkelten. Seufzend ließ sie die Dinge in der Schublade ihres Nachtschränkchens verschwinden.

Ich werde ihn nicht mitnehmen...

Den Rest verstaute sie wieder in ihren Westentaschen und in dem Rucksack aus der Zeit in der Höhle der Prüfungen, den sie behalten hatte. Zusätzlich stopfte sie noch einen schwarzen Schlafsack mit dem Emblem der drei gekreuzten Silberspeere dazu und kramte ein paar Wasserflaschen aus ihrem persönlichen Vorrat hervor, um sie in die Seitentaschen zu stecken.

Es ist mein Test, ob ich mich in dieser mit Krieg überzogenen Welt behaupten kann... Es gab einen Grund, dass ich Thundenstar bekam, einen Grund für meine Reise in der Illusag...

Thundenstar sang bei ihren Gedanken erregt. Die Melodie schien wie ein Zwang, der Zeliarina dazu bewog nicht zu zweifeln, sondern genau das zu tun was sie sich vorgenommen hatte. Lächelnd versteckte sie ihren gepackten Rucksack unter dem Bett. Es war inzwischen Nacht geworden und die hellen Sonnenstrahlen waren vom blassen Licht des silbernen Mondes ersetzt worden, das das Zimmer nur spärlich erhellte. Zeliarina vergewisserte sich noch einmal, dass der Rucksack unter ihrem Bett nicht zu sehen war, ehe sie sich ihr Schlafshirt anzog und unter ihre Decken kroch.

Es vergingen kaum fünf Minuten, bis Dymeon das Zimmer betrat.

Er blieb ihm Türrahmen stehen, als er sah, dass sämtliche Lichter im Zimmer gelöscht waren und Zeliarina reglos in ihrem Bett lag. Die Donnerhexe atmete bemüht gleichmäßig und lang, so dass Dymeon denken musste, dass sie schlief. Schließlich, nachdem der Dämon seine Schutzbefohlene eine weitere Minute angestarrt und den Fänger am Fenster überprüft hatte, schloss er leise die Tür hinter sich und legte sich in Melissas ehemaliges Bett.

Zeliarina horchte sehr lange auf Dymeons Bewegungen, bis sie sich nach einer Stunde wirklich sicher war, dass ihr Schutzritter eingeschlafen sein musste. In letzter Zeit tat er das täglich, um seinem noch immer etwas angeschlagenen Körper ein wenig Ruhe zu gönnen. Lautlos schlüpfte Zeliarina aus dem Bett, zog den Rucksack unter dem Bett hervor und zog sich erneut ihre Lancelorkleidung an. Sie betrachtete sich dabei in dem großen Spiegel, der an ihrer Wand hing, und legte jedes Teil mit sorgfältiger Präzision und Geduld an, so als führe sie ein geheimes Ritual durch.

Zuerst streifte sie sich die schwarze Hose über die Beine und fuhr in das ebenso schwarze, langärmlige Oberteil. Beides schmiegte sich wie eine zweite Haut an ihren Körper, beides hatte sie schon in der Vergangenheit vor Kälte, Hitze und Regen geschützt, ohne dass die Farbe auch nur ein wenig ausgeblichen wäre. Dann folgten die weiße Weste mit den unzähligen Brust- und Bauchtaschen, und das blauweiße Lancelortuch, mit dem sie liebevoll ihre blonden Haare im Nacken zusammenband. Zeliarina verstaute die Munition und Dunkans Blut in den Taschen ihrer Weste, verstaute die zwei Pistolen in Halfter an ihrer Hüfte, schulterte den gepackten Rucksack und steckte Thundenstar in ihren Gürtel.

Es ist alles erledigt... Ich bin bereit...

Ihr Blick traf eine Kommode, die direkt neben dem großen Spiegel stand, und auf der mehrere eingerahmte Fotos vom Mondlicht beschienen wurden. Zeliarina trat näher, nahm das erste in die Hand und starrte mit einem melancholischen Lächeln auf es herab. Eine jüngere Zeliarina grinste ihr entgegen, den Arm um die Schulter einer Melissa gelegt, die noch beide Arme besaß. Es musste sehr früh aufgenommen worden sein...

So viel war seit diesen Tagen geschehen... So viel hatte sich verändert...

Zeliarinas grüne Augen wanderten wieder zurück zu dem Spiegel. Zum ersten Mal fiel ihr auf, wie sehr sie sich in diesen zwei Jahren auf Falcaniar verändert hatte. Sie war größer geworden und ihr Haar länger. Das kindliche Mädchengesicht, das sie auf dem Foto gesehen hatte, war im Spiegel das herangereifte Gesicht einer jungen Frau. Und ihre Augen... Selbst für eine Siebzehnjährige erschienen ihr ihre grünen Augen viel zu weise, so als wäre sie im Angesicht der vielen Erlebnisse und den vielen Verlusten zu schnell gealtert.

Zeliarina schaute sich nun auch die anderen Fotos an, die sich auf der Kommode reihten. Viele ihrer Freunde und Bekanntschaften waren abgebildet: Kevin, Victoria, Dunkan, manchmal auch Storm oder Dymeon. Eines war ein großes Gruppenbild, auf dem sich alle Lancelor befanden, die sie je gekannt hatte. Schweigend nahm Zeliarina noch ein zweites Bild in die Hand. Es war größer als die anderen und lag in einem wunderschönen dunklen Holzrahmen. Nach einem kurzen Moment des Zögerns ließ sie es in ihrem Rucksack verschwinden und machte sich auf den Weg.

Als sie der Kommode und dem großen Spiegel jedoch den Rücken zukehrte, entdeckte sie, dass Dymeon auf seinem Bett saß und sie aus dunklen Augen wach und abwartend musterte.

"Dymeon...", murmelte Zeliarina traurig. Dann, fast nicht zu hören: "Halte mich nicht auf..."

Der Dämon erhob sich ruhig, ohne den Blickkontakt zu brechen, und kam mit langsamen Schritten näher. "Ich werde dich nicht aufhalten", sagte er schließlich leise, als er nur noch wenige Zentimeter von ihr entfernt stand. "Ich wusste bereits, dass du dieses Mal nicht einfach still die Hände in den Schoß legen würdest, dafür kenne ich dich zu lange... Doch ich werde dich auch nicht gehen lassen, zumindest nicht alleine. Es ist meine Aufgabe als Schutzritter deine Begleitung zu sein, ganz egal wohin du auch gehen wirst... Und wenn du wirklich den Pfad nach London einschlägst, so werde ich an deiner Seite stehen... Als Schutzritter... als Kamerad... und als Freund..."

Dymeons Worte füllten den Raum und reichten bis an Zeliarinas Herz. Die Donnerhexe lächelte dankbar, wischte sich einmal schnell über die wässrigen Augen und nahm Dymeons Hand. "Du musst noch deine Sachen zusammenpacken..."

Wortlos zeigte der Dämon ihr die Spritze mit den Arameafläschchen, die er in der Hosentasche verstaut trug. Zeliarina hatte gar nicht gemerkt, wie er sie aus der Schublade ihres Nachtschränkchens geholt hatte, doch sie verkniff sich das Verlangen danach zu fragen, denn offensichtlich war sie beim Anblick der alten Fotos tiefer in Gedanken versunken als sie bemerkt hatte. "Okay...", nuschelte sie schnell und löste ihr Hand wieder von Dymeon, als hätte sie sich daran verbrannt. "Dann lass uns gehen..."

Sie verließen das Zimmer und stiegen die Turmtreppe hinab ohne sich zu unterhalten. Zeliarina spürte Dymeons Blicke in ihrem Rücken, vermied es jedoch beharrlich sich umzuschauen. Mit unnötiger Konzentration hielt sie nach anderen Lancelor Ausschau, obwohl Falcaniar wie ausgestorben schien und sie auf dem Weg zu der inzwischen leeren Eingangshalle und dem Innenhof der Feste niemandem begegneten.

Als sie jedoch den Hof durchqueren wollten, ließ sie der Anblick einer Gestalt erstarren, die bewegungslos am Rand des silbernen Brunnens saß. Noch ehe sie sich zurückziehen konnten, sprang die Gestalt auf und kam ihnen langsam entgegen. Silbernes Mondlicht fiel auf schneeweißes Haar... "Kevin...", erkannte Zeliarina ein wenig erleichtert. "Was machst du hier?"

"Das Selbe wie du, vermutlich", erwiderte der Elementare mit einem Grinsen, während er auf den gepackten Rucksack auf seinen Schultern deutete. "Und da ich irgendwie das Gefühl hatte, dass du bald hier vorbeikommen würdest, dachte ich mir, dass wir am besten zusammen aufbrechen..."

"Du willst auch nach London?"

"Natürlich...", meinte Kevin, "Ich lasse nicht zu, dass man mich hier zurücklässt... Deswegen bist du doch auch hier, oder? Du willst auch nicht in Sicherheit hocken, während Dunkan und die anderen draußen ihr Leben riskieren..."

Zeliarina nickte langsam, betrachtete dabei aber besorgt die vielen sichtbaren Verbände, die Kevin noch am Körper trug. Sie erinnerte sich daran, wie er vor mehreren Wochen auf einer Trage aus einem gelandeten Helikopter gebracht wurde, die Kleidung durchweicht von rotem Blut, die Haut an vielen Stellen mit tiefen Rissen zerfetzt. Auch wenn er inzwischen wieder von Doc Fossil zusammengeflickt worden war, so hatte Dunkan doch klar gemacht, dass die Wunden jederzeit wieder aufbrechen konnten. "Ist das nicht gefährlich, Kevin?", murmelte Zeliarina vorsichtig, "Vielleicht solltest du wirklich-"

"Halte mir keine Predigen, Zeliarina", brummte Kevin leichthin, während er versuchte die Verbände an seinen Händen und Fingern mit dem Ärmel zu. "Außerdem solltest gerade du mich verstehen. Du bist ebenso unvernünftig wie ich, vielleicht sogar mehr als ich. Bei mir geht es um mein persönliches Wohl, doch wenn du nach London gehst, bringst du die ganze Welt in Gefahr! Vielleicht bist du diejenige, die lieber hier bleiben sollte..."

Dymeon trat bedrohlich vor, doch Zeliarina hielt ihren Schutzritter zurück und starrte Kevin stur in die Augen. "Du weißt nicht, was es bedeutet die gesamte Last dieses Krieges zu tragen. Ich bin diejenige, die ihn wieder neu entfacht hat. Ich habe Excalibur befreit und Thundenstar an mich genommen, wegen mir ist der Däezander neu aktiv geworden! Wegen mir sterben diese Menschen da draußen, deswegen muss ich etwas tun! Ich will niemandem mehr leiden sehen, nicht wenn ich etwas dagegen tun kann!"

Zeliarinas grüne Augen bohrten sich in Kevins braune. Einen Augenblick lang schien es so, als würden beide Freunde aufeinander losgehen. Doch dann verzog sich Kevins Mund zu einem weiteren, breiten Grinsen. "Nun dann, wollen wir jetzt gehen? Du hältst mich nicht auf, ich halte dich nicht auf... So einfach ist das Ganze..."

Zeliarina spürte, wie ihre Augenwinkel plötzlich anfingen zu brennen. Grob wischte sie sich kurz darüber und fragte sich verärgert, wieso sie schon wieder wegen solchen Worten anfangen wollte zu weinen. Kevin war nie ein großer Redner gewesen und drückte sich manchmal etwas ungeschickt aus, doch egal wie einfach seine Worte waren, sie bedeuteten Zeliarina unendlich fiel. Neben Dymeon war er der Einzige, der ihre Entscheidung akzeptierte, selbst wenn sie auf den ersten Blick falsch erschien.

Aber es ist nicht falsch... ich bin die Wächterin eines Götterschwertes, nur ich kann im Götterschwertkrieg gegen die Feinde bestehen...

"Danke, Kevin...", würgte Zeliarina hervor, immer noch mit den Tränen kämpfend. Kevin lächelte nur. "Es gibt nichts zu danken... Komm, wir hauen ab, ehe uns noch jemand findet... Ich kann uns mit einem Motorboot ans Festland bringen. Von dort aus können wir dann einen der Kleinbusse der Lancelor für die Fahrt nach London nehmen..." Zeliarina nickte nur.

Und so gingen Dämon, Elementarer und Donnerhexe in der Dunkelheit Seite an Seite den Pfad zu der halbmondförmigen Bucht hinab, bereit sich den unbekannten Gefahren zu stellen, die auf sie warten würden...
 

Gemeinsam mit dem Tag des Grauens würde jeder von uns Dreien in die Geschichte eingehen...
 

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Nächstes Kapitel:
 

Die Welt zerbricht unter der Grausamkeit der Dämonen...

In den Straßen geht der Wahnsinn des Krieges um...

Und während die Schlacht tobt, entzündet ein einzelner Schrei die Hoffnung in den Herzen der letzten verbliebenen Verteidigern der Menschheit...

"Wir sind Lancelor!"



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Hrafna
2006-03-17T15:42:36+00:00 17.03.2006 16:42
Hai du! ^.^
Schön, dass du jetzt in so kurzen Abständen die Kapitel hochlädst, und ich hoffe, dass die Geschichte noch nicht sobald zu Ende ist.

Formal:
Ab und zu fehlen hier und da Kommas, sodass zeitweise das Lesen etwas erschwert wird - ansonsten hab ich nichts zu meckern. ^.^

Ob das einen guten Ausklang finden wird?
Irgendwie hab ich das Gefühl, dass es keine so tolle Idee war, gegen den Willen der anderen doch zu gehen. Ich fürchte vor allem um Kevin, aber auch um Dymeon...
Um ehrlich zu sein: ich hab keine Ahnung, wie es weitergehen bzw. ausgehen wird!
Die helle Dämmerung wäre doch aber auch nicht wirklich erstrebenswert, oder?
Dymeon zum Beispiel ist ja auch ein Dämon...

Ich hab noch so viele unbeantwortete Fragen, die mir im Kopf rumschweben... weiter!!

Bless,
Hrafna


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