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Auferstehung

Weiß Reborn
von

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Autor: audrey (darkwing_sylver@gmx.net)

Disclamer: Kennt ihr ja... gehört mir nicht. ^^

Serie: Weiss Kreuz
 

Aaalso... nach meinem plötzlichen Anfall von Weißkreuz-wahn (hier mal kurz Danke an alle Fanfic-Schreiber, die mich für WK begeistert haben, bevor ich überhaupt die eigentliche Serie kannte ^^) hab ich in einigen nächtlichen Sessions sowohl WK als auch Glühen geschaut. Im großen und ganzen ist das Ergebnis ja klar... *träum* ...aber, und ich betone aber: warum zum teufel war so ein trauriges Ende nötig? Hätte das nicht auch etwas glücklicher ausklingen können? Ich hätte am Ende fast geheult... aber ein gutes hatte es: ich hatte nämlich das Gefühl, dieses Ende unbedingt verbessern zu müssen. Dazu kam die passende Idee und den Rest der Nacht bekam mein Bleistift keinen Schlaf. Ich übrigens auch nicht. ^^

Ergebnis: meine erste veröffentlichte Fanfic.

Also: Viel ist es noch nicht. Ich kann auch nicht versprechen, dass jemals was vernünftiges oder auch nur fertiges daraus wird. Aber...

Lest selbst und sagt mir, was ihr denkt!

Viel Spaß,
 

Audrey ^^
 


 

Auferstehung
 

~ Weiß Reborn ~
 

Kapitel 1
 

Das Surren eines altersschwachen Filmprojektors erfüllte den abgedunkelten Kellerraum. Fünf Augenpaare blickten wie gebannt auf die Stirnwand des Zimmers, wo sich der schattenhafte Umriss eines Mannes im Gegenlicht eines Fensters abzeichnete. Der Mann drehte sich um und sah genau in die Kamera.

"Jäger der Dunkelheit - Weiß! Findet diesen Diener des Bösen und nehmt ihm die Zukunft!"
 

"Yuki?"

Der große schlanke Mann auf dem Sofa wandte den Kopf. Seine Frau stand in der Tür, barfuß und im Nachthemd, das schwarze Haar offen auf den Schultern. Sie sah müde aus - und besorgt.

"Hast du wieder geträumt?"

Er nickte stumm. Seit fast einer Stunde saß er hier, erschöpft, aber schlaflos. Wieder einmal war er zitternd und schweißüberströmt aus dem Schlaf geschreckt. Er hatte keine Erinnerung an den Alptraum, der ihn geweckt hatte. Wie immer blieb nur das vage Gefühl einer nahenden Katastrophe und die Gewissheit, dass er in dieser Nacht keinen Schlaf mehr finden würde. Und, ebenfalls wie immer, war dieses Gefühl begleitet von schrecklichen Kopfschmerzen.

"Ich mache dir einen Tee", sagte sie. Er nickte abermals ohne ein Wort. Es war fast schon ein Ritual. Eigentlich war es erstaunlich, dachte er, dass eine Frau beim geringsten Laut ihres Söhnchens aufwachte, es sie dagegen nicht zu stören schien, wenn er neben ihr schreiend aus dem Schlaf auffuhr. Aber jedesmal bemerkte sie nach einer Weile das leere Bett und stand auf, um ihn zu trösten.

Er hörte, wie sie leise in der Küche hantierte und lächelte. Wieder überspülte ihn die warme, intensive Zuneigung, die ihn vor zwei Jahren dazu bewogen hatte, sie zu heiraten. Das Gefühl hatte seither nicht nachgelassen, war im Gegenteil weiter gewachsen...

Sein Lächeln erstarb, als sein Blick auf den flimmernden Bildschirm des Laptops fiel. Etwas stimmte da nicht. Er hatte den Computer selbst eingeschaltet, um sich mit der Arbeit abzulenken, doch er hatte nicht mehr als zwei Zeilen zustande gebracht, bevor die Schmerzen ihm die Konzentration raubten und sein geplagter Kopf nur noch Unsinn produzierte. Einen Artikel über rote Gummibärchen, die unschuldige Massenmörder ausraubten, würde sein Redakteur samt dem verantwortlichen Reporter - ihm - aus dem Fenster werfen. Trübe Aussichten.

Doch sosehr ihn die ungewisse Zukunft sonst auch beunruhigen mochte - in diesem Augenblick erfüllte ihn etwas ganz anderes mit einem tiefen, unerklärlichen Schrecken. Er hatte sich seit einer Ewigkeit nicht gerührt, der Computer war längst in den Standby-Modus gesprungen.

Vielleicht hatte er... nein, er war nicht einmal an den Tisch gestoßen, dessen war er sich ganz sicher.

Dennoch leuchtete der Bildschirm Aufmerksamkeit heischend. Von einer schrecklichen Faszination erfüllt starrte er auf das weiße Rechteck. Der rechte Bildrand wurde dunkel. Der Schatten kam näher, entfernte sich, zog sich in der Mitte des Bildes zusammen, und nahm schließlich die verschwommene Silhouette eines Mannes an.

Ein Rauschen erklang. Er fuhr zusammen und brauchte einige Sekunden, bis ihm klar wurde, dass in der Küche das Teewasser zischend den Siedepunkt anstrebte.

Er atmete auf, doch in dem Moment begann die Person auf dem Bildschirm zu sprechen. Ihre Bewegungen zumindest deuteten es an, obwohl keine Worte zu hören waren.

Ein paar Sekunden lang sah er dem stillen Schauspiel verwirrt zu. Dann beugte er sich fluchend vor und schaltete mit einem raschen Handgriff den Ton an. Während im Nebenraum das Wasser brodelnd aufkochte, drang eine tiefe, fast zur Unkenntlichkeit verzerrte Stimme aus dem Lautsprecher.

"...Notfall. Melde dich, Balinese."

Der Bildschirm wurde schwarz.
 

"Hier, der Tee."

Erschrocken fuhr er aus seinen Gedanken hoch. Er musste minutenlang wie im Trance da gesessen haben, denn sie hatte sich unbemerkt neben ihm niedergelassen, zwei zarte Porzellantassen in den Händen.

Er zwang sich, den starren Blick vom Computer zu lösen, nahm ihr eine Tasse ab und atmete den herben Duft des Tees ein.

Sie legte ihm eine Hand auf den Oberschenkel. "Was ist los, Yuki? Du wirkst so verstört."

Verstört, dachte er. Ja, verstört war das richtige Wort.

"Ich...", begann er, doch plötzlich wusste er nicht mehr, was er sagen sollte.

"Sind die Kopfschmerzen schlimmer geworden?"

Er stellte die Tasse achtlos zur Seite, Tee schwappte über den Rand und platschte auf die gläserne Tischplatte. Stöhnend schlug er die Hände vors Gesicht und massierte mit zitternden Findern seine Schläfen.

"Ja, die Schmerzen", murmelte er dumpf. "Du hast Recht, sie werden schlimmer."

Wie von fern hörte er sich diese Worte sprechen. Seine Gedanken rasten. Warum sagte er ihr nicht die Wahrheit?

Aber was war die Wahrheit? Sollte er ihr tatsächlich erzählen, dass sein Computer ungefragt eine geheimnisvolle Nachricht abgespielt hatte, die inzwischen zweifellos ohne jede Spur wieder verschwunden war? Er stöhnte gequält.

"Yuki? Vielleicht solltest du doch endlich zum Arzt-"

"Nein", fuhr er auf. "Ich will keinen Arzt, ich muss das einfach ertragen..." Das war ernst gemeint; er war sich sicher, dass ein Arzt bei ihm nichts finden würde. Möglicherweise waren die Schmerzne auch Nachwirkungen des Unfalls, der zu seiner Amnesie geführt hatte - zugegeben, sehr spät eintretende Nachwirkungen, aber wer konnte schon mit Sicherheit sagen, was in einem menschlichen Gehirn so vor sich ging?

"Bist du sicher?", versuchte sie es noch einmal. "Du siehst wirklich schlecht aus..."

"Nein! Ich meine, ja! Ich meine... ich brauche keinen Arzt. Bitte, Asuka, ich-" Er stockte. Wie ein gleißender Blitz zerriss der Schmerz seine wirren Gedanken, als er ihren Namen aussprach. Gleichzeitig erschien ein Gesicht vor seinem inneren Auge und er krümmte sich unter den starken Gefühlen, die er beim Anblick dieser Person empfand. Liebe, Hass, Wut, Enttäuschung, bittere Traurigkeit.

Seine Frau sah ihn mit großen Augen an. Überrascht und betroffen von seinem heftigen Ausbruch, aber auch zutiefst besorgt. Er hob die Hand, bevor sie sprechen konnte.

"Ich... es tut mir Leid." Seine Stimme zitterte. "Bitte, ich möchte allein sein. Bitte..."

Er vermied es, ihren Namen auszusprechen. Noch immer sah er das Bild vor sich, das ihn so tief berührt hatte. Diese Frau, diese andere Asuka.

Sie lächelte traurig und stellte ihre Tasse auf den Tisch. "Schon gut, Yuki." Warum klang es so falsch, wie sie seinen Namen aussprach? "Versuch noch ein wenig zu schlafen, ja?"

Sie beugte sich über ihn uns küsste ihn aufs Haar. Er rührte sich nicht, bis ihre leichten Schritte im Flur verklungen waren.

Mit einem tiefen Seufzen ließ er sich nach vorne fallen, stützte die Arme auf den Tisch und starrte auf die glänzende Glasplatte hinab. Einen Moment lang blickte ihm aus dem Spiegel ein ganz anderer Mensch entgegen. Es war sein Gesicht, seine Züge. Aber wann hatten seine Augen jemals diesen Ausdruck gezeigt?

Er fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare und die Illusion verschwand. Sein Haar war lang geworden, dachte er. In leichten Wellen umrahmte es sein Gesicht und fiel ihm fast bis auf die Schultern. Das war es, sagte er sich. Aus seinen langen Haaren und dem inzwischen ausgezehrten Gesicht hatten seine übermüdeten Augen etwas völlig Fremdes gemacht.

Dennoch spürte er zum ersten Mal seit langer Zeit wieder die Frage nach dem Leben, das er geführt hatte, bevor er damals im Krankenhaus aufgewacht war.

Er rieb sich die brennenden Augen.

Asuka, Yuki, Asuka...

Wer war er?
 

Es war später Nachmittag, als Yuki nach Hause kam. Die Sonne ging gerade unter. Ihre letzten rötlichen Strahlen erreichten gerade noch die Fenster im obersten Stock, beleuchteten die Wohnungstür und das Namensschild an der Wand. Der Schriftzug "Itou" war in diesem Licht kaum zu erkennen.

Er brauchte lange, um aufzuschließen. Der Tag war anstrengend gewesen. Wenn er seinen Job behalten wollte, musste er beste Arbeit leisten, das war ihm klar. Keine Rücksicht auf ständige Kopfschmerzen und zunehmende Übermüdung.

Er drückte die Tür hinter sich mit der Schulter ins Schloss, streifte Schuhe und Mantel ab und trat ins Wohnzimmer.

"Hallo Kleiner", begrüßte er sein Söhnchen. Saidou lag mitten im Wohnzimmer auf dem Boden, die Hände im flauschigen Teppich vergraben, und brabbelte fröhlich vor sich hin.

"Yuki, bist du da?", drang Asukas Stimme aus der Küche.

"Anwesend, Schatz." Er ging zu ihr und küsste sie zur Begrüßung.

"So gut gelaunt?", fragte sie lächelnd. "Nicht müde?"

"Doch", gab er zu. "Beides." Er öffnete den Kühlschrank und suchte zwischen Kohlköpfen, Paprika und frischen Pilzen nach einer Dose Bier.

"Yuki", begann sie warnend.

"Ich weiß, ich weiß", fiel er ihr sanft ins Wort. "Nur ein Bier pro Abend. Mehr will ich doch gar nicht." Er versuche, ein unschuldiges Gesicht zu machen. Sie lachte und wandte sich wieder dem Herd zu, um einen Topf Reis aufzusetzen.

Er lehnte sich hinter ihr an den Tisch. "Kann ich dir helfen?"

"Nicht nötig. Hast du daran gedacht, einzukaufen?"

"Oh, verdammt." Er schlug mit der Faust auf den Tisch, wütend über seine Zerstreutheit. "Hab ich vergessen. Tut mir Leid..."

Ihr Lächeln versprach Verständnis. "Schon gut. Ich nehme den Kleinen mit, wir waren heute noch gar nicht an der frischen Luft."

"Macht es dir wirklich nichts aus...?" Das schlechte Gewissen plagte ihn. Er hatte sich in letzter Zeit zu oft bei ihr entschuldigen müssen.

"Yuki." Sie drehte sich zu ihm um und legte ihm die Arme um den Hals. "Ich sagte: schon gut."

Er wollte aufbegehren, doch sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn und unter der Liebkosung ihrer weichen Lippen vergaß er seine Einwände.

Mit dem untrüglichen Gespür eines kleinen Kindes merkte Saidou, dass er nicht beachtet wurde und machte quengelnd auf sich aufmerksam. Asuka kicherte und löste sich mit einem verführerischen Lächeln aus seinen Armen. "Die Familie ruft." Sie eilte aus der Küche.

"Familie?", brummte er. "Und was bin ich - der Postbote?"

Sie lachte hell auf und sofort ließ auch Saidou sein fröhliches Glucksen hören. Yuki schnappte sich seine Bierdose und sah von der Tür her zu, wie sie den Kleinen mit Jacke, Schal und Mütze dick einpackte.

"Vergiss seine Schuhe nicht", bemerkte er und öffnete die Bierdose.

"Yuki! Ich bin seine Mutter!" Sie warf ihm einen empörten Blick zu. "Wer würde vergessen, seinem Kind die Schuhe anzuziehen?" Sie lachte, während Yuki sich in Gedanken einen Idioten schimpfte und versuchte, sich unauffällig in Luft aufzulösen.

"Äh... soll ich das Essen vorbereiten, während du weg bist?", wechselte er rasch das Thema.

"Nicht nötig. Aber es wäre nett, wenn du das Gemüse vom Herd nimmst, wenn es gar ist." Sie kicherte, als habe sie plötzlich einen Witz verstanden, und ihre Stimme zitterte vor unterdrücktem Lachen, als sie sagte: "Es gibt Sellerie mit Karotten. Lass es nicht verkochen!"

Yuki verzichtete auf eine Antwort. Statt dessen nahm er einen tiefen Schluck Bier.

"So", rief Asuka vom Eingang her. "Wir sind bald wieder da!"

Yuki folgte ihr zur Tür. "Bis später, Schatz." Er wollte sie küssen, aber Asuka wich ihm aus und schüttelte sich.

"Keine Küsse mit Biergeschmack", erklärte sie nachdrücklich und trat hinaus auf den Flur, das Kind auf die Hüfte gesetzt.

Yuki seufzte tief und trank noch einen Schluck. Mit dem Fuß stieß er die Tür zu, dann fiel sein Blick auf den Spiegel. Er trug das Haar heute zum Zopf gebunden und war eigentlich ganz zufrieden mit der Wirkung. Genau genommen sah er unverschämt gut aus... Das hatte jedenfalls seine Frau heute morgen behauptet.

Er grinste sein wohlgeratenes Abbild an und wandte sich ab. In dem Moment geschah es wieder. Aus dem Augenwinkel sah er im Spiegel jemand anderen.

Unwillkürlich hob er die Hand zum Gesicht, aber da war keine Sonnenbrille, die von der Nase zu rutschen drohte. Als er wieder hinsah, waren seine blauen Augen auch im Spiegel wieder nur von ebenso blauen Ringen umrahmt.

"Bezaubernd", murmelte er selbstironisch und machte sich auf den Weg ins Wohnzimmer. Seine Hochstimmung war verflogen. Als er sich ins Sofa fallen ließ, war die Bierdose bereits leer. Er überlegte, sich eine zweite zu genehmigen, aber mehr noch als das schlechte Gewissen, das er Asuka gegenüber haben würde, hielt ihn die bleierne Schwere seiner Beine davon ab. Jetzt, da er sich niedergelassen hatte, würde ihn nur eine Naturkatastrophe mittleren Grades wieder auf die Beine holen.

Er ließ den Kopf zurückfallen und schloss die Augen. Die Abendstunden waren die Zeit, die ihm zum Ausruhen blieb, wenn sein nächtlicher Schlaf von Alpträumen heimgesucht wurde...

Er musste tatsächlich eingenickt sein, denn als es an der Tür klingelte, war es bereits dunkel. Stöhnend stemmte Yuki sich hoch. Er fühlte sich schlapp und kraftlos vom Schlafen.

Hatte Asuka den Schlüssel vergessen?

Im Dunkeln stolperte er beinahe über die Stufe im Eingang. Hätte er bloß das Licht eingeschaltet!

Ach, zu spät.

Mit einem Tritt beförderte er seine Schuhe aus dem Weg, die er zuvor einfach mitten im Raum hatte liegen lassen, und riss schwungvoll die Tür auf.

"Hallo Schatz, hast du etwa-" Er prallte zurück.

Es war nicht Asuka, die da in der Tür stand.

Ein junger Mann im dunklen Mantel klammerte sich am Türrahmen fest, als würde er ohne die Stütze umfallen. Sein Gesicht lag im Schatten und war kaum zu erkennen, aber seine ganze Erscheinung stieß eine ungute Erinnerung in ihm an.

Der Junge nahm all seine Kraft zusammen, trat in die Wohnung und stieß die Tür mit dem Fuß zu. Augenblicklich war es dunkel.

Yuki wich langsam zurück. "W-wer sind Sie?"

Er hörte nur unregelmäßigen Atem und tappende Schritte, dann ein dumpfes Poltern und einen Schmerzensschrei. Yuki fand endlich den Lichtschalter, die Deckenleuchte flammte auf und erhellte ein seltsames Bild. Der Junge war tatsächlich über die Stufe gestolpert und auf Händen und Knien gelandet. Während Yuki ihn misstrauisch beäugte, kam er wieder auf die Füße.

Ihre Blicke begegneten sich. Yuki sah in ein blasses Gesicht mit großen blauen Augen, die ihn unter einem wirren Haarschopf hervor flehentlich anstarrte.

"Wer sind Sie?", forderte er, nun schon mutiger, da von dem Eindringling offenbar keine unmittelbare Gefahr ausging.

Der Junge riss ungläubig die Augen auf und trat einen Schritt auf Yuki zu.

"Youji", keuchte er, und auch das brachte in Yuki eine vergessen geglaubte Saite zum Klingen. "Hilf mir..."

Er machte einen Schritt und taumelte, versuchte vergeblich, sich festzuhalten und stieß eine große Vase um, die klirrend auf den Fliesen zerschellte. Yuki sprang hinzu und fing ihn auf, bevor er am Boden aufschlug.

Schlagartig war es mit Yukis Angst vorbei.

"Komm schon", murmelte er beruhigend. "Ich helfe dir."

Er versuchte, den Jungen aufzurichten, doch der hatte die Augen geschlossen und hing völlig leblos in seinem Arm. Yuki seufzte und hob den Bewusstlosen auf. Er war erstaunlich leicht.

Yuki bettete ihn aufs Sofa und blickte nachdenklich auf ihn hinab. Dieses Gesicht war ihm so vertraut wie Asukas... aber er war sicher, diesen Jungen noch nie gesehen zu haben!

Der Gedanke an seine Frau rief seinen Sinn fürs Praktische wach. Was nun? Der Junge machte keine Anstalten, aufzuwachen. Kaltes Wasser könnte helfen...

Yuki sprang auf, um in der Küche einen nassen Lappen zu holen. Ratlos stand er vor der Schrankwand und starrte auf die vielen Fächer. Wo zum Teufel hob Asuka die Trockentücher auf? Er hätte ihr öfter in der Küche helfen sollen...

In höchster Eile versuchte er, alle Schränke gleichzeitig zu öffnen und riss eine der Türen beinahe aus den Angeln, bevor er auf die Tücher stieß. Als er das oberste Tuch aus dem Fach zog, kippte ihm der ganze Stapel entgegen. Er wollte sie noch auffangen... doch vergeblich. Rot, blau, gelb, wie Farbkleckse auf einem abstrakten Gemälde verteilten sich die bunten Tücher auf den weißen Küchenfliesen. Eigentlich sah es doch ganz hübsch aus... und jetzt war keine Zeit zum Aufräumen.

Yuki trat mit einem großen Schritt über das Durcheinander auf dem Boden hinweg. Er drehte den Wasserhahn auf und hielt den Lappen unter den kalten Strahl, als sich im Wohnzimmer etwas regte. Er lief hinüber; das nasse Tuch in seiner Hand zog unbeachtet eine Spur von Tropfen über den Teppich.

Der Junge hatte sich halb aufgerichtet; zu mehr hatte ihm offensichtlich die Kraft gefehlt, denn er dämmerte schon wieder weg. Als Yuki ihn ansprach, reagierte er nicht.

Ohne noch mehr Zeit zu verschwenden, klatschte er dem Jungen den nassen Lappen auf die Stirn. Und knöpfte ihm den Mantel auf. Er kam nicht umhin, die edle Machart seiner Kleider zu bemerken, vom Designer-Mantel über Hemd und Hose - Maßanfertigung - bis hin zum ehemals weißen Seidentuch: Stoffe vom Feinsten, ganz in Schwarz. Nur die vielen Risse und Flecken fügten sich nicht in das Gesamtbild ein.

Als Yuki ihm den Mantel auszog, kam der Junge langsam zu sich. Er tastete benommen nach seinem Kopf und zog das nasse Tuch weg. Das kalte Wasser war ihm über das Gesicht und in den Kragen gelaufen.

"Ging nicht anders", erklärte Yuki entschuldigend. "Bist du jetzt wach?"

Der Junge nuschelte etwas und schloss schon wieder die Augen.

"He, he! Nicht, bleib wach, Kleiner!" Yuki packte ihn bei den Schultern und schüttelte ihn.

Der Junge stöhnte und riss die Augen auf. Plötzlich saß er wach und aufrecht da. Yuki ließ ihn los.

"Alles klar?"

Der Junge starrte ihn an und verdrehte die Augen. "Mir ist schlecht..."

Yuki gab vorsichtshalber den Weg frei. "Das Bad ist gleich da drüben-"

Der Junge war schon aufgesprungen und taumelte in Richtung Toilette, beide Hände vor den Mund gepresst. Yuki folgte ihm langsamer und blieb vor der Tür stehen. Er hörte krampfhaftes Würgen, übertönt vom Geräusch laufenden Wassers.

"Hey, Kleiner!" Er klopfte an die Tür. "Alles klar da drin?"

Ein gequältes Husten, dann eine zittrige Stimme. "Alles klar. Kannst reinkommen, Youji."

Yuki öffnete die Tür. Der Junge beugte sich über das Waschbecken und spritzte sich mit beiden Händen Wasser ins Gesicht.

"Also?" Es kam schärfer heraus, als er beabsichtigt hatte. Der Junge sah auf. Wasser tropfte von seiner Nase und das aschblonde Haar klebte ihm in nassen Strähnen in der Stirn. Aber sein Blick war jetzt klar, wenn er auch sehr verwirrt und erschreckt dreinsah.

"Was?"

"Was willst du von mir und - wer bist du überhaupt?"

Er sah aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen. "Ich... ich dachte, ich meine...", stammelte er. "Ich wusste nicht, dass du..."

Ein Schrei unterbrach ihn. Der Junge zuckte zusammen.

"Oh." Yuki trat auf den Flur hinaus. "Das muss Asuka sein."

"Asuka?" Seine Stimme überschlug sich. "Youji, Asuka ist tot. Du hast sie selbst-"

"Asuka ist meine Frau", unterbrach Yuki ihn scharf. Im Wohnraum schnappte jemand entsetzt nach Luft. Ein Säugling fing an zu jammern.

Yuki straffte die Schultern und ging ins Wohnzimmer. Asuka stand mitten im Raum, Saidou im Arm, und zitterte vor Wut.

"Yuki, was hast du..." Sie brach ab und deutete anklagend zur Wohnungstür. "Meine Lieblingsvase! Das Sofa! Der Teppich!" Ihre weit ausholende Geste bezog die ganze Wohnung mit ein. "Und vermutlich - Wer ist das?", unterbrach sie sich und fixierte mit großen Augen den unbekannten jungen Mann, der wie ein Schatten hinter ihrem zerknirschten Ehemann stand.

"Asuka", begann dieser. "Ich kann alles erklären..." Er brach ab, als ihm klar wurde, dass er selbst völlig verwirrt war, doch eine Erklärung blieb ihm zunächst erspart. Asuka hatte ihren Faden wieder aufgenommen.

"Vermutlich hast du dich auch nicht um das Essen gekümmert..."

Verdammt, dachte Yuki. Asuka rauschte an ihm vorbei in die Küche. "Und was ist hier passiert?" In ihrer Stimme schwang Entsetzen mit, als sie die offen stehenden Schränke und den bunten Haufen Handtücher auf dem Boden kommentierte. Dann klapperte etwas und sie schimpfte laut weiter.

"Richtig, das Gemüse ist völlig verkocht. Yuki, was ist heute nur los..." Es zischte und klapperte abermals und der Geruch von zu Matsch gekochtem Sellerie breitete sich in der Wohnung aus.

"Youji..." Yuki drehte sich um. Der Junge war kreidebleich. "Oh", stieß er gepresst hervor, drehte sich auf dem Absatz um und stürzte zurück ins Bad.

Yuki ließ sich erschöpft gegen die Wand fallen. Das war alles zuviel für ihn.

Eine ganze Weile blieb er allein, während es in der Wohnung so laut war wie noch nie. Dann trat Asuka aus der Küche. Sie hatte Saidou in der Küche abgesetzt und ignorierte sein lautes Heulen. Sie wirkte nicht mehr wütend, nur noch verwirrt. "Yuki, es tut mir Leid. Ich-"

In dem Augenblick kam auch der Junge wieder zum Vorschein. Er trocknete sich mit dem Ärmel das Gesicht ab.

"Youji..."

"Yuki..."

Er sah verwirrt von einem zum anderen. Warum erschien ihm dieser fremde Name richtiger als sein eigener?

Asuka musterte den Jungen kritisch. Ihr entging weder seine kränkliche Gesichtsfarbe, noch die zerissenen Knie seiner maßgeschneiderten Hosen.

"Äh, ich...", begann er zaghaft, doch Asuka überging ihn einfach.

"Du siehst schlecht aus. Möchtest du einen Tee?"

Er riss verwundert die Augen auf, dann lächelte er. "Ja, gerne."

Wenig später saßen sie nebeneinander auf dem Sofa, das inzwischen von schmutzigen Mantel befreit worden war. Asuka hatte sich mit dem jammernden Saidou zurückgezogen, um ihn zu Bett zu bringen.

Yuki gab sich einen Ruck.

"Findest du nicht, du solltest mich endlich aufklären?"

"Ich dachte...", begann der Junge, und seine Stimme zitterte. "Ich dachte, du würdest mich wiedererkennen und dann würde alles gut werden. Ich wusste ja nicht, dass... und Asuka... es tut mir so Leid..."

"Warum sagst du mir nicht einfach deinen Namen?"

Keine Antwort. Yuki sah auf. Der Junge umklammerte mit beiden Händen seinen Becher. Seine Schultern bebten. Und dann, zu Yukis Entsetzen, traten Tränen aus seinen Augen und zogen glitzernde Spuren über seine Wangen.

"Heulst du schon wieder, Omi?" Yuki schlug eine Hand vor den Mund. Hatte er das wirklich gesagt? Der Junge - Omi - starrte ihn mit offenem Mund an.

"Du... du erinnerst dich... Youji..."

"Ich bin nicht..."

"Du bist Youji", sagte Omi fest. Er stellte seinen Becher zur Seite und fuhr eindringlich fort: "Und du wirst dich wieder erinnern. Du musst, Youji!"

"Omi..." Der Junge wischte sich mit dem Ärmel über die Augen und hob erwartungsvoll den Kopf.

Yuki setzte sich auf. "Wir müssen reden. Draußen. Ich habe einige Fragen an dich."

Omi sah erschreckt zu ihm auf. "Aber draußen sind..."

"Wer?" Schuldbewusstes Schweigen. "Wer, Omi?"

"Ich darf dir nichts sagen, solange du dich nicht an Weiß erinnerst..." Er stockte und schüttelte wütend den Kopf.

Yuki starrte ihn an. Weiß. Der Name spukte ihm im Kopf herum, beschwor undeutliche Erinnerungen herauf. Beunruhigend.

Mit einem Ruck stand er auf. "Asuka, ich gehe noch mal weg!", rief er den Flur hinunter.

"In Ordnung", tönte ihre Stimme aus dem Schlafzimmer. "Wann kommst du wieder?" Ihr Tonfall klang beinahe normal, allenfalls ein wenig kühl, aber Yuki wusste, dass die Ereignisse des heutigen Abends noch nicht vergeben und vergessen waren.

"Spät", antwortete er aus einer plötzlichen Vorahnung heraus. "Warte nicht auf mich. - Omi? Komm."

So, es geht weiter. Ich weiß, es hat lange gedauert, aber ich schreibe nebenher auch noch an zwei anderen Projekten, von denen eins eine Collab ist... und damit erhöhter Aufmerksamkeit bedarf. Immerhin, fürs zweite Kapitel hat es gereicht. ^^

Ich warte immer noch auf die guten Ideen (meine Muse ist gerade auf Fantasy eingestellt, und so nett elfenartige Vorväter, aufopferungsvolle Heiler und diktatorische Kaiser auch sind, passen sie doch leider nicht ins WK-Universum... ^__^)

Dieses Kapitel ist etwas brutaler als das erste (ok, nicht wirklich schlimm, aber eher untypisch für meine "nette" art ^.^")- ich muss ja irgendwo meine sadistische Ader ausleben...

Also dann, ich hoffe es gefällt jemandem... hoffe natürlich wie immer auf Kommentare und Kritik.
 

Audrey ^^
 


 

Kapitel 2
 

Verdammt.

Verdammt, verdammt, verdammt!

Das hätte niemals passieren dürfen! Was hatte er sich dabei gedacht... Er hätte es ahnen müssen, als Youji sich nicht auf den Hilferuf meldete, den Omi ihm geschickt hatte. Youji erinnerte sich an nichts. Rein gar nichts! Weder an Weiß, noch an ihn... Omi wünschte, diese Erkenntnis wäre nicht so schmerzhaft.

Schlimmer jedoch war, dass Youji - oder Yuki, wenn man ihn bei seinem neuen Namen nennen wollte - mit dieser Asuka ein ganz neues Leben angefangen hatte. Welches er gerade im Begriff war, zu zerstören... Dazu hatte er kein Recht. Das wusste er, aber nun war es zu spät. Zu spät für Reue, zu spät, um irgendetwas rückgängig zu machen. Youji hatte sich entschlossen, ihm zu helfen. Jetzt gab es kein Zurück.

Omi lehnte mit geschlossenen Augen an der glatten Wand der Aufzugkabine und machte sich Vorwürfe. Er spürte die Kühle seiner Kleider, verschwitzt und feucht von der nassen Straße, und konnte die Erinnerung nicht unterdrücken, wie er plötzlich durch die Luft flog, der Boden auf ihn zuraste...

Mit einem Keuchen riss er die Augen auf. Aus dem Spiegel in der gegenüberliegenden Wand sah ihm sein eigenes Gesicht entgegen, die bleiche Haut nur unterbrochen von einem dunklen Bluterguss, der sich auf seiner Wange gebildet hatte.

"Was ist los, Kleiner?" Youji stand neben ihm und begegnete seinem Blick im Spiegel.

Omi schwieg. Der Aufzug bewegte sich stetig abwärts, die Zahlenanzeige über der Tür blinkte im Wechsel der Stockwerke, die sie passierten.

"He, keine Angst", sagte Youji und sein sorgloser Tonfall erinnerte Omi zum ersten Mal wieder an den Mann, den er gekannt hatte. "Ich beschütze dich." Er wollte ihm die Hand auf die Schulter legen. Der Junge zuckte zusammen, und Youji zog sich zurück.

Omi versuchte, seine Skepsis zu verbergen. Wieviel von seinem alten Teamkollegen steckte noch in diesem völlig veränderten Youji?

"Schon gut", murmelte er mit rauer Stimme. "Ich kann mich ja schlecht hier verstecken."

Erneut senkte sich Schweigen auf sie herab. Beide hingen ihren eigenen Gedanken nach, bis der Aufzug im Erdgeschoss hielt.

Nebeneinander verließen sie den Aufzug, durchquerten die Eingangshalle und traten noch immer ohne ein Wort durch die gläserne Schwingtür ins Freie. Omi schauderte in der kalten Luft.

Automatisch lenkte Youji seine Schritte in Richtung Parkplatz. Es war inzwischen vollkommen dunkel. Das einzige Licht spendeten die Laternen, die in regelmäßigen Abständen helle Inseln in der Nacht um sich formten. Die Wolkendecke, die am frühen Abend aufgerissen war, hatte sich wieder verdichtet und verbarg die Sterne. Ein leichter Nieselregen fiel. Omi fühlte sich unangenehm an den Nachmittag erinnert.

Er folgte Youji zu dessen Auto und verbarg ein Lächeln. Ein mit Hingabe gepflegter Oldtimer, natürlich. Manche Vorlieben schienen sich nie zu ändern.

Und andere Dinge auch nicht... Er erstarrte, als er aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm.

"Youji", flüsterte er. "Wir sind nicht allein."

Youji suchte gerade in seiner Manteltasche nach dem Schlüssel. Verunsichert blickte er auf Omi hinab. "Was jetzt?"

"Lass dir nichts anmerken. Schließ auf und steig ein - wir versuchen, abzuhauen." Unauffällig schob er eine Hand unter den Mantel. Diesmal war er vorbereitet. Er fühlte noch immer am ganzen Körper die Schläge, die er hatte einstecken müssen. Noch einmal würde er sich nicht überwältigen lassen.

Etwas klimperte... Youji hatte seinen Schlüsselbund fallen lassen. Omi bückte sich danach und nutzte die Gelegenheit zu einem Blick in die Runde. Ein Paar Füße unter einem Auto waren alles, was von den Verfolgern zu sehen war. Da, eine Bewegung in den Büschen, die nicht vom Wind herrührte - jemand versteckte sich in der Randbegrenzung der Grünanlage...

Er reichte Youji die Schlüssel - und wie auf ein geheimes Signal gingen die Männer zum Angriff über. Es waren nur zwei, stellte Omi ruhig fest, die da auf sie losstürmten. Er hatte kaum zu hoffen gewagt, dass die beiden, die er entdeckt hatte, allein waren.

Der eine schnellte aus seinem Versteck in den Büschen, schwang sich über die Motorhaube von Youjis Auto und wollte diesen mit einem gezielten Schlag zu Boden schicken. Mit unerwartet schnellen Reflexen wich Youji aus. Sofort sprang Omi in die Bresche, wehrte den nächsten Schlag ab und versetzte dem Angreifer in schneller Folge einen Tritt in die Magengrube, dann einen ans Kinn. Ein gezielter Handkantenschlag in den Nacken ließ den Mann endgültig zusammenbrechen, bevor sein Komplize sie erreichte.

Noch in der gleichen Bewegung fuhr Omi herum. Youji wusste nicht, woher die Pfeile kamen, die plötzlich in seiner Hand aufblitzten und dann zielsicher wie wütende Hornissen durch die Luft sausten. Der zweite Mann hatte den längeren Weg fast hinter sich gebracht, da riss er erschreckt die Hände in die Höhe und taumelte. Sein entschlossenes Grinsen wich einem Ausdruck der Überraschung, als er ohne einen Laut zu Boden fiel, zwei von Omis Wurfpfeilen im Hals.

Youji leckte sich nervös über die Lippen. "Nachdem ich das gesehen habe, kann ich mir nicht vorstellen, wer dich vorhin so zugerichtet hat..."

Omi sah mit gequältem Gesicht zu ihm auf. "Youji, bitte - lass uns fahren."

"Na schön. Steig ein." Youji hielt ihm die Tür auf. Omi trat mit einem großen Schritt über den bewusstlosen Mann hinweg und ließ sich in den weichen Sitz sinken.

Erst als Youji den Motor anließ und der Wagen langsam vom Parkplatz rollte, entspannte er sich. Sie kamen auf eine größere Straße und reihten sich in den zügigen Verkehr ein. Schließlich brach Youji das Schweigen.

"Wenn du so wehrhaft bist... warum hast du das nicht früher getan?"

Omi wusste sofort, wovon er sprach. "Jetzt waren es nur zwei. Heute abend waren es sieben. Und sie waren an mir dran, bevor ich die Darts einsetzen konnte."

"Sieben gegen einen? Das ist unfair."

Omi lächelte grimmig. "Das habe ich auch gesagt."

Youji wandte den Blick sekundenlang von der Straße, um den Jungen anzusehen. "Und?"

Omi verzog das Gesicht.
 

Einige Stunden zuvor...

Es war ungewöhnlich kalt. Der Wind fuhr schneidend durch die Straßenschluchten und gab sich alle Mühe, die Menschen in die warmen Häuser zurückzutreiben. Aber das Wetter konnte nicht verhindern, dass Tokyo Innenstadt wie an jedem Tag vollgepfropft war mit Menschen. Zwar trugen sie alle Schals und Mützen oder hatten wenigstens den Mantelkragen hochgeschlagen, um sich mit hochgezogenen Schultern vor der Kälte zu schützen, aber nichts konnte das geschäftige Treiben in dem großen Einkaufsviertel dämpfen.

Mamoru Takatori hatte es nicht eilig, aber auch er ging mit schnellen Schritten von einem Geschäft zum nächsten. Die ungemütliche Kälte beschleunigte den geplanten nachmittagsfüllenden Einkaufsbummel. Er hatte sich ein paar Stunden frei genommen - nicht, dass er Zeit übrig hätte. Aber er kam einfach nicht weiter. Seit Tagen saß er am Computer, traf sich mit allen möglichen und unmöglichen Leuten und versuchte, Spuren aufzustöbern... ohne Erfolg.

Wenn er von den fruchtlosen Nachforschungen genug hatte, stattete er dem Blumenladen einen Besuch ab. Er hielt sich in letzter Zeit mehr dort auf als in seinem Büro... bis er die gedrückte Stimmung nicht mehr ertrug und sich wieder aus dem Staub machte. So wie jetzt.

Mit düsterem Gesicht verließ er das letzte Kaufhaus. Die ganze Situation war äußerst frustrierend. Er kam einfach nicht weiter! Und statt sich ablenken zu lassen, drehten sich seine Gedanken unaufhaltsam im Kreis.

Er schreckte auf, als ihn jemand leicht anrempelte. Der Mann hastete mit langen Schritten weiter, er hatte den Zusammenstoß offenbar gar nicht bemerkt.

Mamoru sah ihm nach - und erstarrte. Ungläubig verengte er die Augen zu Schlitzen und versuchte, mehr zu erkennen, aber der andere war bereits zu weit entfernt. Schon verschwand er zwischen den Menschen, welche die Straße bevölkerten. Mamoru blieb reglos stehen. Er hatte den Mann nur einen Moment lang gesehen. Dennoch - er war beinahe sicher, ihn erkannt zu haben. Das Gesicht, die Figur, das lange Haar... kein Zweifel.

Er erwachte aus seiner Starre und schritt voll von neu erwachtem Tatendrang los. Zielstrebig hielt er auf die nächste Straßenecke zu, wo in langer Reihe eine Anzahl Taxis auf Fahrgäste wartete. Er wusste schon lange, wo Youji wohnte. Er kannte auch den Namen, den er angenommen hatte und die Zeitung, für die er als Reporter arbeitete.

Während der Fahrt grübelte er über Youjis Versteckspiel nach. Er hatte ihm eine Nachricht geschickt, als sich abzeichnete, dass sie ihn brauchen würden, doch seitdem hatte Youji sich nicht gemeldet.

Was hatte ihn dazu bewogen, die Warnung zu ignorieren? Er musste doch wissen, dass sie ihn nur im größten Notfall kontaktieren würden. Und es sah ihm gar nicht ähnlich, seine Freunde im Stich zu lassen...

Wenig später stand er vor dem Wohnblock. Ganz in der Nähe war ein großer Park angelegt, zwischen ihm und dem Hochhaus lag ein großer Parkplatz. Zum Haupteingang gelangte man über einen Fußweg, der von niedrigen Hecken eingerahmt war und mit Unterbrechungen - für die durchfahrenden Autos - bis zu dem hoch aufragenden Gebäude führte.

Der Junge blickte unschlüssig zu dem Haus hinüber. Hier war er - aber was nun? Noch war Youji nicht zu Hause, er würde frühestens in einer Stunde hier auftauchen.

Frierend trat er von einem Bein aufs andere. Mit einem Blick auf die Uhr beschloss er, den Park zu erkunden. Das war besser, als in der Kälte zu warten, und er hoffte noch immer auf etwas Abwechslung, um seine Gedanken aus der ausgetretenen Bahn zu stoßen.

Die Abwechslung kam schneller, als ihm lieb war. Er war eine Weile über schmale Sandwege und kleine Holzbrücken gewandert. Die Wolken waren aufgerissen und hatten ein paar spärliche Strahlen der untergehenden Sonne durchgelassen. Hin und wieder begegneten ihm bunt gekleidete Jogger und auf einer Wiese tollten drei Hunde herum.

Doch jetzt wurde es langsam dunkel. Ein feiner Sprühregen hatte eingesetzt und legte sich auf sein Gesicht. Das Wetter vertrieb langsam alle Menschen aus dem Park, bis er schließlich allein im Schatten von Ziersträuchern und Bambusgehölzen herumstromerte.

Die Feuchtigkeit machte die Kälte noch schlimmer. Schaudernd schob er die Hände in die Manteltaschen und schlenderte um den Brunnen herum, der in der Mitte eines runden, mit rotem Stein gepflasterten Platzes lag. Außer ihm saß nur noch eine ältliche Frau auf einer Bank und lauschte dem leisen Plätschern des Wassers.

Er blickte zum wiederholten Male auf die Uhr und überlegte, ob der richtige Zeitpunkt jetzt gekommen war, als er hinter sich eilige Schritte hörte.

"Entschuldigen Sie vielmals", sagte eine gehetzte Stimme hinter ihm. "Könnten Sie mir bitte die Uhrzeit verraten?"

"Oh, natürlich. Es ist..." Er zog die Hand aus der Tasche. "...fünf vor acht."

"Vielen Dank." Der Mann machte keine Anstalten, seinen Weg fortzusetzen. Der Junge drehte sich zu ihm um. Er trug einen grauen Anzug, darüber ein dunkles Cape. Sein Kopf war unbedeckt und das straff zurückgekämmte schwarze Haar glänzte vor Nässe. "Mamoru Takatori?"

Der Junge nickte überrascht.

"Erlauben Sie, dass ich mich vorstelle: Claude DeRenard ist mein Name. Darf ich Sie bitten, mir zu folgen?", bat er mit formvollendeter Höflichkeit.

Was soll das?, dachte Mamoru. Sein Sinn für Gefahr ließ die Alarmglocken in seinem Kopf Sturm läuten. Er sah sich unauffällig um: die alte Frau saß noch immer auf der Bank und beobachtete sie mit mildem Interesse. Hier war keine Hilfe zu erwarten. Betont höflich sagte er: "Das würde ich lieber nicht tun."

"Das solltest du aber." DeRenard legte ihm eine kalte Hand in den Nacken. Der Junge zuckte zusammen und wollte sich losmachen, doch der Mann hielt ihn fest.

"Was wollen Sie von mir?" Es kam kläglicher heraus, als er gehofft hatte. Die alte Frau konnte ihm nicht helfen, aber vor Zeugen durfte er diesen Mann nicht ernsthaft verletzen - und darauf würde es unweigerlich hinauslaufen, wenn er sich wehren musste.

DeRenard zog ihn nah zu sich heran. Er hatte verschlagene Augen und einen kleinen Schnurrbart. Sein Gesicht war spitz und erinnerte an einen Fuchs.

"Das wirst du schon sehen, Omi", zischte er. Der Junge zuckte zusammen, als hätte ihn jemand geschlagen. Dieser Mann kannte ihn. Er kannte seine Vergangenheit bei Weiß. Was hatte das zu bedeuten? Nichts Gutes, soviel ist sicher.

"Nein", sagte Omi fest. "Ich komme nicht mit."

Zu seiner Verwunderung ließ DeRenard ihn gehen, als er sich losriss und davonlief. Etwas sagte ihm, dass er sich darüber Gedanken machen sollte, doch dafür war keine Zeit. Omi ließ den eleganten Herrn am Brunnen zurück, stürmte um die Biegung des gewundenen Weges - und prallte gegen eine Wand.

Benommen taumelte er zurück. Vor ihm stand ein riesiger Mann. Er hatte Schultern wie ein Bär und ein drohendes Funkeln lag in seinen Augen. Als Omi erschreckt zurückwich, stieß er erneut gegen ein Hindernis, das ihn augenblicklich am Arm festhielt. Während er noch versuchte, sich zu befreien, schälten sich nach und nach sieben Gestalten aus der Dunkelheit.

Omi griff mit der freien Hand unter seinen Mantel und riss eine Handvoll Darts hervor.

"Lassen Sie mich los", keuchte er und drehte sich, um seinem Fänger einen der Pfeile in den Arm zu rammen. Sofort erschlaffte dessen Griff. Er war frei - aber für wie lange?

Omi fuhr herum und schleuderte die restlichen Darts auf die Männer, die ihn umringten. Zwei von ihnen sanken augenblicklich zu Boden, aber die übrigen ließen sich davon nicht ablenken. Die verbliebenen Angreifer traten entschlossen auf ihn zu. Er tastete erneut nach seinen Wurfpfeilen, doch bevor er auch nur an Verteidigung denken konnte, traf ihn von hinten ein Schlag, der ihn zu Boden schleuderte.

Reflexartig warf Omi sich zur Seite, als jemand nach ihm trat und spürte, wie eine Schuhspitze seine Schulter streifte. Mit gezückten Darts wollte er sich aufrappeln, doch einer der Angreifer stellte ihm einen Fuß auf die Hand. Omi schrie auf und ließ die Darts los, als das beachtliche Gewicht des Mannes seine Finger zu zerquetschen drohte.

Der Mann trat zurück und Omi sprang auf. Er war umzingelt und einer solchen Masse von Gegnern hoffnungslos unterlegen. Trotzdem... er würde nicht einfach aufgeben!

Sein suchender Blick glitt über den umgebenden Kreis und fand eine Lücke. Beherzt stürzte er darauf zu, stieß einem der Männer den Ellbogen ins Gesicht und - verlor abermals den Boden unter den Füßen, als ein anderer ihm geschickt die Beine unter dem Körper weg fegte.

Er schrammte sich schmerzhaft die Hände auf, als er den Sturz abzufangen versuchte. Benommen schnappte er nach Luft und versuchte, die aufwallende Panik zu verdrängen. Er durfte jetzt nur an eins denken: Flucht!

Doch es war zu spät. Jemand ergriff ihn, drehte ihm einen Arm auf den Rücken und zog ihn hoch. Seine Schulter protestierte mit stechendem Schmerz gegen die Misshandlung. Er starrte krampfhaft zu Boden. Ein Paar glänzender schwarzer Schuhe unter grauen Hosenbeinen bewegte sich in sein Blickfeld.

"Sieh mich an", sagte eine samtweiche Stimme. Omi weigerte sich, aufzusehen.

Eine Hand packte sein Kinn, und er warf wild den Kopf zurück, aber ohne Erfolg. Er knirschte mit den Zähnen, als sich stählerne Finger in sein Fleisch bohrten und seinen Kopf still hielten, um ihm ins Gesicht zu sehen.

"Sieh an. Ich wusste doch, dass du auf mich warten würdest." Der grau gekleidete Herr lächelte überlegen. Seine Stimme war trügerisch sanft.

Omi erwiderte seinen Blick wütend. "Was soll das?", zischte er durch zusammengebissene Zähne.

"Nur keine Aufregung", sagte DeRenard besänftigend. "Bisher hat dich doch niemand schlecht behandelt, oder?" Sein Lächeln war geradezu ekelhaft freundlich.

"Was nennen Sie denn schlechte Behandlung?", fauchte Omi.

"Willst du das wirklich wissen?" In seiner heuchlerischen Stimme schwang jetzt ein drohender Unterton mit. "Ich möchte mich nur mit dir unterhalten. Und da du so unhöflich warst, mich einfach stehenzulassen, haben meine Leute dich freundlicherweise aufgehalten." Sein dankendes Nicken galt den Männern, die Omi noch immer umringten. Zwei von ihnen waren hinter ihren Herrn getreten und flankierten ihn wie eine persönliche Leibwache.

"Aufgehalten?", entgegnete Omi aufgebracht. "Überfallen, wäre ein treffenderes Wort!"

"Unerheblich", tat der Franzose den Einwand ab. "Meine Männer tun nur, was ich ihnen auftrage."

Omi warf einen Blick in die Runde. "Sieben gegen einen - das ist unfair", beschwerte er sich.

"Ich habe nie behauptet, fair zu spielen", belehrte DeRenard ihn herablassend.

"Sie sind erbärmlich", urteilte Omi voller Verachtung. "Lassen Sie mich - ah!"

Sein Bewacher hatte ihm einem Tritt in die Kniekehlen versetzt, so dass er vor dem Mann auf die Knie sank. Omi hob den Kopf und funkelte ihn an. Er hoffte mit aller Macht, dass sein Gesicht die Angst nicht verriet, die ihn innerlich auffraß. DeRenard blickte belustigt auf ihn hinab.

"Schon besser. Du wirst noch lernen, wie man mich behandeln sollte."

"Was wollen Sie?"

"Dich wissen lassen, dass es mich gibt. Das sollte fürs Erste genügen. Ihr dürft fortfahren", erlaubte er seinen Schergen liebenswürdig. "Nein, halt - Moment noch. Keine bleibenden Schäden. Wäre doch schade um das hübsche Gesicht." Er zwinkerte Omi zu, wandte sich zum Gehen und hielt noch einmal inne.

"Ach, eins hätte ich beinahe vergessen..."

Er trat vor Omi, der noch immer auf seinen schmerzenden Knien hockte und kreidebleich geworden war, während der Franzose seine Anweisungen verteilte. DeRenard schob die Ärmel seines Jackets hoch, ballte probeweise ein Hand zur Faust und holte aus.

Der schmächtige Mann war stärker als seine Statur vermuten ließ. Sein Schlag schleuderte Omi rücklings zu Boden und ließ ihn sekundenlang nach Luft schnappen.

DeRenard beugte sich über ihn.

"Das war für das erbärmlich", flüsterte er triumphierend.

Omi schloss die Augen. Seine Wange fühlte sich taub an und ein zunehmendes Schwindelgefühl ließ die Welt um ihn herum schwanken. Wie aus weiter Ferne hörte er noch einmal DeRenards Stimme.

"Bitte. Er gehört euch."

Diesmal sah er den Tritt nicht kommen. Er traf ihn unversehens in die Seite und erzeugte einen grellen Schmerz, der ihn wie eine Welle überflutete. Omi keuchte auf, doch man ließ ihm keine Zeit, zu Atem zu kommen.

Er konnte nicht entkommen, nicht einmal ausweichen. Zu Anfang schrie er noch bei jedem Schlag, jedem Tritt, der ihn traf, doch bald wichen seine gequälten Schreie einem kraftlosen Stöhnen. Wimmernd vor Schmerz rollte er sich zusammen, machte sich ganz klein.

Am Rande nahm er wahr, dass die Männer grobe Witze über ihn rissen, während sie mit offensichtlichem Vergnügen ihre Arbeit taten. Ihr Lachen drang wie aus einer fremden Welt zu ihm hinüber und ließ seine Verzweiflung wachsen, bis sie ihn völlig ausfüllte.

Als sie von ihm abließen, konnte er nicht glauben, dass die Folter zu Ende war. Er blieb reglos liegen und lauschte seinen eigenen zitternden Atemzügen, bis er in weiter Ferne eine ungeduldige Stimme hörte: "Na los, du kannst gehen."

Er war ganz und gar nicht sicher, ob er das konnte.

Lieblose Hände zerrten ihn in die Höhe und stellten ihn auf die Füße. Einen Moment lang stand er da wie betäubt. Die Welt schwankte um ihn her. Er wagte nicht, den Blick vom Boden zu heben.

Ein rohes Lachen. "Hast du noch nicht genug, Kleiner?"

"Vielleicht gefällt es ihm bei uns", schlug eine andere Stimme vor. Omi stöhnte leise, als ihm jemand leicht gegen die Schulter schlug. "Hey Kleiner, willst du noch eine Runde?"

Nur das nicht! Vorsichtig hob er einen Fuß vom Boden und machte einen Schritt. Wie weit würde er kommen, bis sie ihn wieder einfingen? Sie würden ihn nicht entkommen lassen, sicher nicht. Aber er konnte diese Chance nicht ungenutzt verstreichen lassen...

Schwankend ging er weiter. Die Männer gaben den Weg für ihn frei. Meinten sie es doch ernst? War er frei?

Der letzte stellte ihm ein Bein. Zu benommen, um auszuweichen, stolperte er und fiel. Der Boden unter seinen Händen war nass. Unter dem schadenfrohen Gelächter der Zuschauer rappelte Omi sich auf. Irgendwie war Sand in seinen Mund gelangt. Er spuckte aus und wankte weiter.

Niemand hielt ihn an. Ein zaghafter Funken Hoffnung glomm in ihm auf. Ließen sie ihn tatsächlich gehen? War er frei?

Seine Schritte wurden leichter, schließlich lief er taumelnd los. Die Männer blieben in der Dunkelheit zurück, aber ihre lachenden Stimmen folgten ihm, als er stolpernd das Weite suchte. Schmutzig, zerschunden und gedemütigt, aber am Leben.
 

Omi starrte stumm aus dem Fenster. Er hatte stockend berichtet, was geschehen war. Die schmerzhaften Einzelheiten hatte er verschwiegen. So war es ein sehr kurzer Bericht geworden. Jetzt saß er teilnahmslos da und brach sein Schweigen nur, um Youji Richtungsanweisungen zu geben.

Endlich hielten sie vor dem Blumenladen. Youji parkte schwungvoll und stieg aus, doch als Omi auf die Ladentür zusteuerte, blieb er unsicher auf dem Gehsteig stehen.

Omi wartete an der Tür auf ihn. "Na, was ist? Kommst du?"

"Ich weiß nicht." Youji zögerte. "Darf ich denn..."

"Es macht keinen Sinn mehr, dir alles zu verheimlichen. Wir brauchen dich." Er blickte unglücklich zu Boden. "Nach dem heutigen Abend ist das mehr als klar."

"Also gut..." Youji folgte ihm zögernd ins Haus. Ein seltsames Gefühl ergriff ihn, als er durch den Laden ging. Der Duft frischer Schnittblumen, die Einrichtung des Verkaufsraumes, die bunten Schürzen am Kleiderhaken neben der Tür... alles kam ihm merkwürdig bekannt vor. Als wäre er erst gestern hier gewesen. Als käme er nach Hause. Gleichzeitig aber war er so sicher, diesen Ort nicht zu kennen...

Es verwirrte ihn maßlos, und so schüttelte er nur müde den Kopf und folgte Omi in den hinteren Teil des Ladens. Als der Junge die Tür öffnete, hörten sie bereits laute Stimmen.

"Wir brauchen dich nicht, Schwarz!", sagte jemand drohend.

"Lügner", entgegnete eine spöttische Stimme. "Du denkst gerade: Wie sollen wir es ohne sie schaffen?"

"Halt dich aus meinen Gedanken raus!"

Ein amüsiertes Lachen. "Falsch gedacht. Deine Gedanken gehören nicht dir allein."

"Raus aus meinem Kopf!", brüllte der andere.

Omi beschleunigte beunruhigt seine Schritte.

"Warum so aufgeregt?", stichelte die ruhige Stimme. "Du musst dich daran gewöhnen, dass..."

"Halt den Mund!"

Ein dumpfes Krachen, ein doppelter Aufschrei und dann eine dritte Stimme:

"Was soll das? Hört auf! Schuldig! Ken!"

Omi stürmte die Wendeltreppe hinunter. Youji blieb ihm dicht auf den Fersen.

Zwei Gestalten wälzten sich keuchend am Boden. Eine von ihnen hatte flammend orange-rotes Haar. Papierschnipsel wirbelten durch die Luft wie Schnee. Etwas abseits stand ein junger Mann, der den beiden Kontrahenten hilflos zusah. Er drehte sich um und erblickte Omi.

"Omi, schnell! Tu etwas!"

Ohne zu zögern versuchte Omi, die beiden zu trennen. Doch bei der ersten Berührung sprang er mit einem Aufschrei zurück, als hätte er sich verbrannt.

"Nagi, ich kann nicht! Was ist das?"

Nagi wirkte verzweifelt. "Schuldig hat völlig die Kontrolle verloren! Sie haben gestritten, Ken ist explodiert und hat ihn angegriffen. Bei dem Kontakt gab es eine Art Rückkopplung seiner Gefühle und jetzt-"

"Kannst du nicht..."

"Ich kann meine Kraft auch so kaum kontrollieren. Wenn ich einen von ihnen berühre, fliegt hier alles in die Luft!" Seine Haare flatterten in einem unsichtbaren Wind. Alles im Raum schien sich zu bewegen. Ein Buch rutschte über die Tischplatte, flog quer durchs Zimmer und knallte gegen die Wand. Unter dem Schreien und Stöhnen der zwei Männer, die verzweifelt miteinander rangen, schlug Omi die Hände vors Gesicht.

"Verdammt!"

Sekunden später sah er auf. "Youji, komm her! Nagi, er hat eine Amnesie. Könnte ihn das schützen?"

Nagi biss sich auf die Lippen. "Möglich... Versuch es."

Youji blickte unsicher von einem zum anderen.

"Bitte", flehte Omi drängend.

Youji holte tief Luft, trat zu den Kämpfenden und packte den Rothaarigen. Während er den wild um sich schlagenden Mann zur Seite zerrte, fühlte er dessen überkochende Gefühle auf sich abfärben. Ein brodelndes Gemisch aus Wut und Angst floss durch den anderen in seinen Geist, bis sich alles in ihm schmerzhaft verkrampfte... doch da blieb eine Wand, wie eine Glasscheibe, die ihm erlaubte, die fremden Emotionen wahrzunehmen, aber verhinderte, dass er ihnen erlag. Und dann war es vorbei.

Der andere wehrte sich nicht mehr und Youji ließ ihn los. Nagi atmete auf und das fliegende Papier sank langsam zu Boden.

Omi stürzte an ihm vorbei zu dem Jungen, der noch am Boden lag.

"Ken!" Er fiel neben ihm auf die Knie. "Ken, alles in Ordnung?"

Ken hob den Kopf und stöhnte. "Mann, hat der einen harten Schlag..."

Omi drehte sich zu dem anderen um. "Schuldig, was sollte das?"

"Der Idiot hat mich angegriffen", sagte Schuldig und betastete seine aufgeplatzte Lippe. Ärgerlich starrte er auf seine blutverschmierten Finger. "So kann ich mich doch nicht auf der Straße sehen lassen..." Omi warf ihm einen bösen Blick zu.

Ken setzte sich auf. "Er hat mich provoziert!", rechtfertigte er sich. "Woher sollte ich wissen, dass er gleich völlig ausrastet?"

Schuldig lachte auf. "Du weißt doch, dass wir alle langsam die Kontrolle verlieren. Ich habe dich für klüger gehalten. Andererseits, wenn man sich ansieht, was so in deinem Kopf vor sich geht..."

Ken sprang auf. "Suchst du Streit? Ich hätte gute Lust auf eine zweite Runde!"

"Ich aber nicht", entgegnete Schuldig nur und ließ sich auf die Rückenlehne des Sofas sinken.

Nagi schaltete sich ein. "Schuldig, wie konnte das passieren?"

"Körperkontakt", antwortete der gelassen. "Das verstärkt die Übertragung. Kenken ist ein solcher Hitzkopf", sagte er in übertrieben süßlichem Ton. "Diese Riesenwut hat meine Schutzwände einfach überrannt."

"Meine Wut?" Ken hatte sich aufgerichtet und klang schon wieder sehr gereizt. "Zugegeben, ich war wütend. Ich bin es immer noch! Aber die Angst, die ich gespürt habe, kam allein von dir."

Schuldig zeigte keine Regung. "Das mag sein. Übrigens, Ken-" Er lächelte boshaft. "Du hast mir nie zuvor erzählt, dass du..."

Ken ahnte wohl, was er sagen wollte, denn er lief rot an vor Zorn. "Pass auf, was du sagst, sonst..." Er machte einen Schritt auf Schuldig zu.

"Das reicht!", fuhr Omi scharf dazwischen. Er hob beschwichtigend die Hände und trat zwischen die Streitenden. "Die Situation ist schon kompliziert genug, ohne dass ihr Euch an den Hals geht."

Ken atmete tief durch und sah Omi erstmals genauer an.

"Was ist denn mit dir passiert? Du siehst schrecklich aus."

Schuldig verschränkte die Arme vor der Brust. "Er hat gewaltig eins aufs Maul gekriegt", antwortete er lakonisch, bevor Omi wusste, was er sagen sollte.



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Kommentare zu dieser Fanfic (5)

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Von:  SilentHypoCrit
2005-09-30T05:37:53+00:00 30.09.2005 07:37
Nur so als Anmerkung bzw. Disklaimer. Habe die Fic um etwa 3 Uhr Nachts gelesen. Den Kommentar dann um halb acht geschrieben, ohne dazwischen geschlafen zu haben. Von daher übernehme ich keine Qualitätsansprüche für die Review ^^
Von:  SilentHypoCrit
2005-09-30T05:34:51+00:00 30.09.2005 07:34
Oh ja, gute Fragen da oben (bzw. Unten), was machen Schwarz bei Weiß (oder dem, was davon noch übrig ist?) So etwas wurde oft versucht und scheiterete wohl meisten kläglich (bzw. die Erklärung tat es) Ich kann dabei nur hoffen, dass du weißt was Du tust. Die Konstruktion des ersten Kapitels schließt das nicht aus. Für das zweite gilt das leider nicht so.
Vor allem der Flashback bzw. der Übergang zum Flashback haben irgendwie nicht so gepasst. Vielleicht hätte man den Flashback selbst erst vor Yukis Tür beginnen lassen und das davor in einen Gedankenmonolog verpacken können, der das Ganze zusammenfast.
Der größte Kritikpunkt allerdings ist leider der Bösewicht. Ok bin gespannt ob du das hinkriegst. Aber ein obergemeiner dreckige Schüft (hey er isn schleimiger Franzose), der ja einem (nach Glühen spielt das ganze, oder?) Nagi und Omi(der ist Perser gewesen!) entgegentreten kann (das sollte er, oder noch nicht genannte Hintermänner zumindest können, und das ist nicht ganz leicht) und nur mal so vorbeischaut, um den kleinen Omi verhauen zu lassen? Entweder er ist komplett durchgeknallt und größenwahnsinnig, oder er hat was ganz anderes im Sinn. Seine Dialoge sind auch komisch, aber ich glaube das liegt in diesem Falle einfach an der deutschen Sprache (ein Grund warum ich bisher auf Englisch geschrieben habe). Das "Du" lässt das ganze irgendwie so harmlos erscheinen. Gleichzeitig wäre ein "Sie" aber wahrscheinlich zu geschwollen.
Überarbeitet den Diaolog wirklich nochmal. Am besten mit weniger Worten überhaupt. So klingt es einfach zu klischeehaft. In Erinnerung habe ich ungefähr folgendes:
"Ich bin der böse Bösewicht und hier um dich zu verhauen."
"Wie gemein!"
"Tja so bin ich eben!"
"Kommt jungs seit noch ein bischen gemeiner zu ihm. Er hat ja nur gerade zwei von uns umgelegt."
Naja, wäre aber trotzdem interessant zu erfahren, wohin das gehen würde. Wir werden sehen. ^^
Dein Stil ansich (ausser die etwas verunglückten Dialoge) finde ich nämlich ziemlich gut. Vor allem im Ersten Kapitel.
Von:  Xell
2005-03-31T17:14:01+00:00 31.03.2005 19:14
Interesante FF. Aber was machen Schu und Nagi bei Weiß? O_O Schreib bitte weiter!
Von: abgemeldet
2005-02-09T22:17:15+00:00 09.02.2005 23:17
Uhhh....jetzt wird's interessant. *gg*
Schwarz und Weiß....Vereinigung????
Wäre ja geil.
Weiterschreiben!!
Von: abgemeldet
2005-01-05T22:17:15+00:00 05.01.2005 23:17
Wow.
Weiterschreiben.


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