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Auferstehung

Weiß Reborn
von

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Autor: audrey (darkwing_sylver@gmx.net)

Disclamer: Kennt ihr ja... gehört mir nicht. ^^

Serie: Weiss Kreuz
 

Aaalso... nach meinem plötzlichen Anfall von Weißkreuz-wahn (hier mal kurz Danke an alle Fanfic-Schreiber, die mich für WK begeistert haben, bevor ich überhaupt die eigentliche Serie kannte ^^) hab ich in einigen nächtlichen Sessions sowohl WK als auch Glühen geschaut. Im großen und ganzen ist das Ergebnis ja klar... *träum* ...aber, und ich betone aber: warum zum teufel war so ein trauriges Ende nötig? Hätte das nicht auch etwas glücklicher ausklingen können? Ich hätte am Ende fast geheult... aber ein gutes hatte es: ich hatte nämlich das Gefühl, dieses Ende unbedingt verbessern zu müssen. Dazu kam die passende Idee und den Rest der Nacht bekam mein Bleistift keinen Schlaf. Ich übrigens auch nicht. ^^

Ergebnis: meine erste veröffentlichte Fanfic.

Also: Viel ist es noch nicht. Ich kann auch nicht versprechen, dass jemals was vernünftiges oder auch nur fertiges daraus wird. Aber...

Lest selbst und sagt mir, was ihr denkt!

Viel Spaß,
 

Audrey ^^
 


 

Auferstehung
 

~ Weiß Reborn ~
 

Kapitel 1
 

Das Surren eines altersschwachen Filmprojektors erfüllte den abgedunkelten Kellerraum. Fünf Augenpaare blickten wie gebannt auf die Stirnwand des Zimmers, wo sich der schattenhafte Umriss eines Mannes im Gegenlicht eines Fensters abzeichnete. Der Mann drehte sich um und sah genau in die Kamera.

"Jäger der Dunkelheit - Weiß! Findet diesen Diener des Bösen und nehmt ihm die Zukunft!"
 

"Yuki?"

Der große schlanke Mann auf dem Sofa wandte den Kopf. Seine Frau stand in der Tür, barfuß und im Nachthemd, das schwarze Haar offen auf den Schultern. Sie sah müde aus - und besorgt.

"Hast du wieder geträumt?"

Er nickte stumm. Seit fast einer Stunde saß er hier, erschöpft, aber schlaflos. Wieder einmal war er zitternd und schweißüberströmt aus dem Schlaf geschreckt. Er hatte keine Erinnerung an den Alptraum, der ihn geweckt hatte. Wie immer blieb nur das vage Gefühl einer nahenden Katastrophe und die Gewissheit, dass er in dieser Nacht keinen Schlaf mehr finden würde. Und, ebenfalls wie immer, war dieses Gefühl begleitet von schrecklichen Kopfschmerzen.

"Ich mache dir einen Tee", sagte sie. Er nickte abermals ohne ein Wort. Es war fast schon ein Ritual. Eigentlich war es erstaunlich, dachte er, dass eine Frau beim geringsten Laut ihres Söhnchens aufwachte, es sie dagegen nicht zu stören schien, wenn er neben ihr schreiend aus dem Schlaf auffuhr. Aber jedesmal bemerkte sie nach einer Weile das leere Bett und stand auf, um ihn zu trösten.

Er hörte, wie sie leise in der Küche hantierte und lächelte. Wieder überspülte ihn die warme, intensive Zuneigung, die ihn vor zwei Jahren dazu bewogen hatte, sie zu heiraten. Das Gefühl hatte seither nicht nachgelassen, war im Gegenteil weiter gewachsen...

Sein Lächeln erstarb, als sein Blick auf den flimmernden Bildschirm des Laptops fiel. Etwas stimmte da nicht. Er hatte den Computer selbst eingeschaltet, um sich mit der Arbeit abzulenken, doch er hatte nicht mehr als zwei Zeilen zustande gebracht, bevor die Schmerzen ihm die Konzentration raubten und sein geplagter Kopf nur noch Unsinn produzierte. Einen Artikel über rote Gummibärchen, die unschuldige Massenmörder ausraubten, würde sein Redakteur samt dem verantwortlichen Reporter - ihm - aus dem Fenster werfen. Trübe Aussichten.

Doch sosehr ihn die ungewisse Zukunft sonst auch beunruhigen mochte - in diesem Augenblick erfüllte ihn etwas ganz anderes mit einem tiefen, unerklärlichen Schrecken. Er hatte sich seit einer Ewigkeit nicht gerührt, der Computer war längst in den Standby-Modus gesprungen.

Vielleicht hatte er... nein, er war nicht einmal an den Tisch gestoßen, dessen war er sich ganz sicher.

Dennoch leuchtete der Bildschirm Aufmerksamkeit heischend. Von einer schrecklichen Faszination erfüllt starrte er auf das weiße Rechteck. Der rechte Bildrand wurde dunkel. Der Schatten kam näher, entfernte sich, zog sich in der Mitte des Bildes zusammen, und nahm schließlich die verschwommene Silhouette eines Mannes an.

Ein Rauschen erklang. Er fuhr zusammen und brauchte einige Sekunden, bis ihm klar wurde, dass in der Küche das Teewasser zischend den Siedepunkt anstrebte.

Er atmete auf, doch in dem Moment begann die Person auf dem Bildschirm zu sprechen. Ihre Bewegungen zumindest deuteten es an, obwohl keine Worte zu hören waren.

Ein paar Sekunden lang sah er dem stillen Schauspiel verwirrt zu. Dann beugte er sich fluchend vor und schaltete mit einem raschen Handgriff den Ton an. Während im Nebenraum das Wasser brodelnd aufkochte, drang eine tiefe, fast zur Unkenntlichkeit verzerrte Stimme aus dem Lautsprecher.

"...Notfall. Melde dich, Balinese."

Der Bildschirm wurde schwarz.
 

"Hier, der Tee."

Erschrocken fuhr er aus seinen Gedanken hoch. Er musste minutenlang wie im Trance da gesessen haben, denn sie hatte sich unbemerkt neben ihm niedergelassen, zwei zarte Porzellantassen in den Händen.

Er zwang sich, den starren Blick vom Computer zu lösen, nahm ihr eine Tasse ab und atmete den herben Duft des Tees ein.

Sie legte ihm eine Hand auf den Oberschenkel. "Was ist los, Yuki? Du wirkst so verstört."

Verstört, dachte er. Ja, verstört war das richtige Wort.

"Ich...", begann er, doch plötzlich wusste er nicht mehr, was er sagen sollte.

"Sind die Kopfschmerzen schlimmer geworden?"

Er stellte die Tasse achtlos zur Seite, Tee schwappte über den Rand und platschte auf die gläserne Tischplatte. Stöhnend schlug er die Hände vors Gesicht und massierte mit zitternden Findern seine Schläfen.

"Ja, die Schmerzen", murmelte er dumpf. "Du hast Recht, sie werden schlimmer."

Wie von fern hörte er sich diese Worte sprechen. Seine Gedanken rasten. Warum sagte er ihr nicht die Wahrheit?

Aber was war die Wahrheit? Sollte er ihr tatsächlich erzählen, dass sein Computer ungefragt eine geheimnisvolle Nachricht abgespielt hatte, die inzwischen zweifellos ohne jede Spur wieder verschwunden war? Er stöhnte gequält.

"Yuki? Vielleicht solltest du doch endlich zum Arzt-"

"Nein", fuhr er auf. "Ich will keinen Arzt, ich muss das einfach ertragen..." Das war ernst gemeint; er war sich sicher, dass ein Arzt bei ihm nichts finden würde. Möglicherweise waren die Schmerzne auch Nachwirkungen des Unfalls, der zu seiner Amnesie geführt hatte - zugegeben, sehr spät eintretende Nachwirkungen, aber wer konnte schon mit Sicherheit sagen, was in einem menschlichen Gehirn so vor sich ging?

"Bist du sicher?", versuchte sie es noch einmal. "Du siehst wirklich schlecht aus..."

"Nein! Ich meine, ja! Ich meine... ich brauche keinen Arzt. Bitte, Asuka, ich-" Er stockte. Wie ein gleißender Blitz zerriss der Schmerz seine wirren Gedanken, als er ihren Namen aussprach. Gleichzeitig erschien ein Gesicht vor seinem inneren Auge und er krümmte sich unter den starken Gefühlen, die er beim Anblick dieser Person empfand. Liebe, Hass, Wut, Enttäuschung, bittere Traurigkeit.

Seine Frau sah ihn mit großen Augen an. Überrascht und betroffen von seinem heftigen Ausbruch, aber auch zutiefst besorgt. Er hob die Hand, bevor sie sprechen konnte.

"Ich... es tut mir Leid." Seine Stimme zitterte. "Bitte, ich möchte allein sein. Bitte..."

Er vermied es, ihren Namen auszusprechen. Noch immer sah er das Bild vor sich, das ihn so tief berührt hatte. Diese Frau, diese andere Asuka.

Sie lächelte traurig und stellte ihre Tasse auf den Tisch. "Schon gut, Yuki." Warum klang es so falsch, wie sie seinen Namen aussprach? "Versuch noch ein wenig zu schlafen, ja?"

Sie beugte sich über ihn uns küsste ihn aufs Haar. Er rührte sich nicht, bis ihre leichten Schritte im Flur verklungen waren.

Mit einem tiefen Seufzen ließ er sich nach vorne fallen, stützte die Arme auf den Tisch und starrte auf die glänzende Glasplatte hinab. Einen Moment lang blickte ihm aus dem Spiegel ein ganz anderer Mensch entgegen. Es war sein Gesicht, seine Züge. Aber wann hatten seine Augen jemals diesen Ausdruck gezeigt?

Er fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare und die Illusion verschwand. Sein Haar war lang geworden, dachte er. In leichten Wellen umrahmte es sein Gesicht und fiel ihm fast bis auf die Schultern. Das war es, sagte er sich. Aus seinen langen Haaren und dem inzwischen ausgezehrten Gesicht hatten seine übermüdeten Augen etwas völlig Fremdes gemacht.

Dennoch spürte er zum ersten Mal seit langer Zeit wieder die Frage nach dem Leben, das er geführt hatte, bevor er damals im Krankenhaus aufgewacht war.

Er rieb sich die brennenden Augen.

Asuka, Yuki, Asuka...

Wer war er?
 

Es war später Nachmittag, als Yuki nach Hause kam. Die Sonne ging gerade unter. Ihre letzten rötlichen Strahlen erreichten gerade noch die Fenster im obersten Stock, beleuchteten die Wohnungstür und das Namensschild an der Wand. Der Schriftzug "Itou" war in diesem Licht kaum zu erkennen.

Er brauchte lange, um aufzuschließen. Der Tag war anstrengend gewesen. Wenn er seinen Job behalten wollte, musste er beste Arbeit leisten, das war ihm klar. Keine Rücksicht auf ständige Kopfschmerzen und zunehmende Übermüdung.

Er drückte die Tür hinter sich mit der Schulter ins Schloss, streifte Schuhe und Mantel ab und trat ins Wohnzimmer.

"Hallo Kleiner", begrüßte er sein Söhnchen. Saidou lag mitten im Wohnzimmer auf dem Boden, die Hände im flauschigen Teppich vergraben, und brabbelte fröhlich vor sich hin.

"Yuki, bist du da?", drang Asukas Stimme aus der Küche.

"Anwesend, Schatz." Er ging zu ihr und küsste sie zur Begrüßung.

"So gut gelaunt?", fragte sie lächelnd. "Nicht müde?"

"Doch", gab er zu. "Beides." Er öffnete den Kühlschrank und suchte zwischen Kohlköpfen, Paprika und frischen Pilzen nach einer Dose Bier.

"Yuki", begann sie warnend.

"Ich weiß, ich weiß", fiel er ihr sanft ins Wort. "Nur ein Bier pro Abend. Mehr will ich doch gar nicht." Er versuche, ein unschuldiges Gesicht zu machen. Sie lachte und wandte sich wieder dem Herd zu, um einen Topf Reis aufzusetzen.

Er lehnte sich hinter ihr an den Tisch. "Kann ich dir helfen?"

"Nicht nötig. Hast du daran gedacht, einzukaufen?"

"Oh, verdammt." Er schlug mit der Faust auf den Tisch, wütend über seine Zerstreutheit. "Hab ich vergessen. Tut mir Leid..."

Ihr Lächeln versprach Verständnis. "Schon gut. Ich nehme den Kleinen mit, wir waren heute noch gar nicht an der frischen Luft."

"Macht es dir wirklich nichts aus...?" Das schlechte Gewissen plagte ihn. Er hatte sich in letzter Zeit zu oft bei ihr entschuldigen müssen.

"Yuki." Sie drehte sich zu ihm um und legte ihm die Arme um den Hals. "Ich sagte: schon gut."

Er wollte aufbegehren, doch sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn und unter der Liebkosung ihrer weichen Lippen vergaß er seine Einwände.

Mit dem untrüglichen Gespür eines kleinen Kindes merkte Saidou, dass er nicht beachtet wurde und machte quengelnd auf sich aufmerksam. Asuka kicherte und löste sich mit einem verführerischen Lächeln aus seinen Armen. "Die Familie ruft." Sie eilte aus der Küche.

"Familie?", brummte er. "Und was bin ich - der Postbote?"

Sie lachte hell auf und sofort ließ auch Saidou sein fröhliches Glucksen hören. Yuki schnappte sich seine Bierdose und sah von der Tür her zu, wie sie den Kleinen mit Jacke, Schal und Mütze dick einpackte.

"Vergiss seine Schuhe nicht", bemerkte er und öffnete die Bierdose.

"Yuki! Ich bin seine Mutter!" Sie warf ihm einen empörten Blick zu. "Wer würde vergessen, seinem Kind die Schuhe anzuziehen?" Sie lachte, während Yuki sich in Gedanken einen Idioten schimpfte und versuchte, sich unauffällig in Luft aufzulösen.

"Äh... soll ich das Essen vorbereiten, während du weg bist?", wechselte er rasch das Thema.

"Nicht nötig. Aber es wäre nett, wenn du das Gemüse vom Herd nimmst, wenn es gar ist." Sie kicherte, als habe sie plötzlich einen Witz verstanden, und ihre Stimme zitterte vor unterdrücktem Lachen, als sie sagte: "Es gibt Sellerie mit Karotten. Lass es nicht verkochen!"

Yuki verzichtete auf eine Antwort. Statt dessen nahm er einen tiefen Schluck Bier.

"So", rief Asuka vom Eingang her. "Wir sind bald wieder da!"

Yuki folgte ihr zur Tür. "Bis später, Schatz." Er wollte sie küssen, aber Asuka wich ihm aus und schüttelte sich.

"Keine Küsse mit Biergeschmack", erklärte sie nachdrücklich und trat hinaus auf den Flur, das Kind auf die Hüfte gesetzt.

Yuki seufzte tief und trank noch einen Schluck. Mit dem Fuß stieß er die Tür zu, dann fiel sein Blick auf den Spiegel. Er trug das Haar heute zum Zopf gebunden und war eigentlich ganz zufrieden mit der Wirkung. Genau genommen sah er unverschämt gut aus... Das hatte jedenfalls seine Frau heute morgen behauptet.

Er grinste sein wohlgeratenes Abbild an und wandte sich ab. In dem Moment geschah es wieder. Aus dem Augenwinkel sah er im Spiegel jemand anderen.

Unwillkürlich hob er die Hand zum Gesicht, aber da war keine Sonnenbrille, die von der Nase zu rutschen drohte. Als er wieder hinsah, waren seine blauen Augen auch im Spiegel wieder nur von ebenso blauen Ringen umrahmt.

"Bezaubernd", murmelte er selbstironisch und machte sich auf den Weg ins Wohnzimmer. Seine Hochstimmung war verflogen. Als er sich ins Sofa fallen ließ, war die Bierdose bereits leer. Er überlegte, sich eine zweite zu genehmigen, aber mehr noch als das schlechte Gewissen, das er Asuka gegenüber haben würde, hielt ihn die bleierne Schwere seiner Beine davon ab. Jetzt, da er sich niedergelassen hatte, würde ihn nur eine Naturkatastrophe mittleren Grades wieder auf die Beine holen.

Er ließ den Kopf zurückfallen und schloss die Augen. Die Abendstunden waren die Zeit, die ihm zum Ausruhen blieb, wenn sein nächtlicher Schlaf von Alpträumen heimgesucht wurde...

Er musste tatsächlich eingenickt sein, denn als es an der Tür klingelte, war es bereits dunkel. Stöhnend stemmte Yuki sich hoch. Er fühlte sich schlapp und kraftlos vom Schlafen.

Hatte Asuka den Schlüssel vergessen?

Im Dunkeln stolperte er beinahe über die Stufe im Eingang. Hätte er bloß das Licht eingeschaltet!

Ach, zu spät.

Mit einem Tritt beförderte er seine Schuhe aus dem Weg, die er zuvor einfach mitten im Raum hatte liegen lassen, und riss schwungvoll die Tür auf.

"Hallo Schatz, hast du etwa-" Er prallte zurück.

Es war nicht Asuka, die da in der Tür stand.

Ein junger Mann im dunklen Mantel klammerte sich am Türrahmen fest, als würde er ohne die Stütze umfallen. Sein Gesicht lag im Schatten und war kaum zu erkennen, aber seine ganze Erscheinung stieß eine ungute Erinnerung in ihm an.

Der Junge nahm all seine Kraft zusammen, trat in die Wohnung und stieß die Tür mit dem Fuß zu. Augenblicklich war es dunkel.

Yuki wich langsam zurück. "W-wer sind Sie?"

Er hörte nur unregelmäßigen Atem und tappende Schritte, dann ein dumpfes Poltern und einen Schmerzensschrei. Yuki fand endlich den Lichtschalter, die Deckenleuchte flammte auf und erhellte ein seltsames Bild. Der Junge war tatsächlich über die Stufe gestolpert und auf Händen und Knien gelandet. Während Yuki ihn misstrauisch beäugte, kam er wieder auf die Füße.

Ihre Blicke begegneten sich. Yuki sah in ein blasses Gesicht mit großen blauen Augen, die ihn unter einem wirren Haarschopf hervor flehentlich anstarrte.

"Wer sind Sie?", forderte er, nun schon mutiger, da von dem Eindringling offenbar keine unmittelbare Gefahr ausging.

Der Junge riss ungläubig die Augen auf und trat einen Schritt auf Yuki zu.

"Youji", keuchte er, und auch das brachte in Yuki eine vergessen geglaubte Saite zum Klingen. "Hilf mir..."

Er machte einen Schritt und taumelte, versuchte vergeblich, sich festzuhalten und stieß eine große Vase um, die klirrend auf den Fliesen zerschellte. Yuki sprang hinzu und fing ihn auf, bevor er am Boden aufschlug.

Schlagartig war es mit Yukis Angst vorbei.

"Komm schon", murmelte er beruhigend. "Ich helfe dir."

Er versuchte, den Jungen aufzurichten, doch der hatte die Augen geschlossen und hing völlig leblos in seinem Arm. Yuki seufzte und hob den Bewusstlosen auf. Er war erstaunlich leicht.

Yuki bettete ihn aufs Sofa und blickte nachdenklich auf ihn hinab. Dieses Gesicht war ihm so vertraut wie Asukas... aber er war sicher, diesen Jungen noch nie gesehen zu haben!

Der Gedanke an seine Frau rief seinen Sinn fürs Praktische wach. Was nun? Der Junge machte keine Anstalten, aufzuwachen. Kaltes Wasser könnte helfen...

Yuki sprang auf, um in der Küche einen nassen Lappen zu holen. Ratlos stand er vor der Schrankwand und starrte auf die vielen Fächer. Wo zum Teufel hob Asuka die Trockentücher auf? Er hätte ihr öfter in der Küche helfen sollen...

In höchster Eile versuchte er, alle Schränke gleichzeitig zu öffnen und riss eine der Türen beinahe aus den Angeln, bevor er auf die Tücher stieß. Als er das oberste Tuch aus dem Fach zog, kippte ihm der ganze Stapel entgegen. Er wollte sie noch auffangen... doch vergeblich. Rot, blau, gelb, wie Farbkleckse auf einem abstrakten Gemälde verteilten sich die bunten Tücher auf den weißen Küchenfliesen. Eigentlich sah es doch ganz hübsch aus... und jetzt war keine Zeit zum Aufräumen.

Yuki trat mit einem großen Schritt über das Durcheinander auf dem Boden hinweg. Er drehte den Wasserhahn auf und hielt den Lappen unter den kalten Strahl, als sich im Wohnzimmer etwas regte. Er lief hinüber; das nasse Tuch in seiner Hand zog unbeachtet eine Spur von Tropfen über den Teppich.

Der Junge hatte sich halb aufgerichtet; zu mehr hatte ihm offensichtlich die Kraft gefehlt, denn er dämmerte schon wieder weg. Als Yuki ihn ansprach, reagierte er nicht.

Ohne noch mehr Zeit zu verschwenden, klatschte er dem Jungen den nassen Lappen auf die Stirn. Und knöpfte ihm den Mantel auf. Er kam nicht umhin, die edle Machart seiner Kleider zu bemerken, vom Designer-Mantel über Hemd und Hose - Maßanfertigung - bis hin zum ehemals weißen Seidentuch: Stoffe vom Feinsten, ganz in Schwarz. Nur die vielen Risse und Flecken fügten sich nicht in das Gesamtbild ein.

Als Yuki ihm den Mantel auszog, kam der Junge langsam zu sich. Er tastete benommen nach seinem Kopf und zog das nasse Tuch weg. Das kalte Wasser war ihm über das Gesicht und in den Kragen gelaufen.

"Ging nicht anders", erklärte Yuki entschuldigend. "Bist du jetzt wach?"

Der Junge nuschelte etwas und schloss schon wieder die Augen.

"He, he! Nicht, bleib wach, Kleiner!" Yuki packte ihn bei den Schultern und schüttelte ihn.

Der Junge stöhnte und riss die Augen auf. Plötzlich saß er wach und aufrecht da. Yuki ließ ihn los.

"Alles klar?"

Der Junge starrte ihn an und verdrehte die Augen. "Mir ist schlecht..."

Yuki gab vorsichtshalber den Weg frei. "Das Bad ist gleich da drüben-"

Der Junge war schon aufgesprungen und taumelte in Richtung Toilette, beide Hände vor den Mund gepresst. Yuki folgte ihm langsamer und blieb vor der Tür stehen. Er hörte krampfhaftes Würgen, übertönt vom Geräusch laufenden Wassers.

"Hey, Kleiner!" Er klopfte an die Tür. "Alles klar da drin?"

Ein gequältes Husten, dann eine zittrige Stimme. "Alles klar. Kannst reinkommen, Youji."

Yuki öffnete die Tür. Der Junge beugte sich über das Waschbecken und spritzte sich mit beiden Händen Wasser ins Gesicht.

"Also?" Es kam schärfer heraus, als er beabsichtigt hatte. Der Junge sah auf. Wasser tropfte von seiner Nase und das aschblonde Haar klebte ihm in nassen Strähnen in der Stirn. Aber sein Blick war jetzt klar, wenn er auch sehr verwirrt und erschreckt dreinsah.

"Was?"

"Was willst du von mir und - wer bist du überhaupt?"

Er sah aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen. "Ich... ich dachte, ich meine...", stammelte er. "Ich wusste nicht, dass du..."

Ein Schrei unterbrach ihn. Der Junge zuckte zusammen.

"Oh." Yuki trat auf den Flur hinaus. "Das muss Asuka sein."

"Asuka?" Seine Stimme überschlug sich. "Youji, Asuka ist tot. Du hast sie selbst-"

"Asuka ist meine Frau", unterbrach Yuki ihn scharf. Im Wohnraum schnappte jemand entsetzt nach Luft. Ein Säugling fing an zu jammern.

Yuki straffte die Schultern und ging ins Wohnzimmer. Asuka stand mitten im Raum, Saidou im Arm, und zitterte vor Wut.

"Yuki, was hast du..." Sie brach ab und deutete anklagend zur Wohnungstür. "Meine Lieblingsvase! Das Sofa! Der Teppich!" Ihre weit ausholende Geste bezog die ganze Wohnung mit ein. "Und vermutlich - Wer ist das?", unterbrach sie sich und fixierte mit großen Augen den unbekannten jungen Mann, der wie ein Schatten hinter ihrem zerknirschten Ehemann stand.

"Asuka", begann dieser. "Ich kann alles erklären..." Er brach ab, als ihm klar wurde, dass er selbst völlig verwirrt war, doch eine Erklärung blieb ihm zunächst erspart. Asuka hatte ihren Faden wieder aufgenommen.

"Vermutlich hast du dich auch nicht um das Essen gekümmert..."

Verdammt, dachte Yuki. Asuka rauschte an ihm vorbei in die Küche. "Und was ist hier passiert?" In ihrer Stimme schwang Entsetzen mit, als sie die offen stehenden Schränke und den bunten Haufen Handtücher auf dem Boden kommentierte. Dann klapperte etwas und sie schimpfte laut weiter.

"Richtig, das Gemüse ist völlig verkocht. Yuki, was ist heute nur los..." Es zischte und klapperte abermals und der Geruch von zu Matsch gekochtem Sellerie breitete sich in der Wohnung aus.

"Youji..." Yuki drehte sich um. Der Junge war kreidebleich. "Oh", stieß er gepresst hervor, drehte sich auf dem Absatz um und stürzte zurück ins Bad.

Yuki ließ sich erschöpft gegen die Wand fallen. Das war alles zuviel für ihn.

Eine ganze Weile blieb er allein, während es in der Wohnung so laut war wie noch nie. Dann trat Asuka aus der Küche. Sie hatte Saidou in der Küche abgesetzt und ignorierte sein lautes Heulen. Sie wirkte nicht mehr wütend, nur noch verwirrt. "Yuki, es tut mir Leid. Ich-"

In dem Augenblick kam auch der Junge wieder zum Vorschein. Er trocknete sich mit dem Ärmel das Gesicht ab.

"Youji..."

"Yuki..."

Er sah verwirrt von einem zum anderen. Warum erschien ihm dieser fremde Name richtiger als sein eigener?

Asuka musterte den Jungen kritisch. Ihr entging weder seine kränkliche Gesichtsfarbe, noch die zerissenen Knie seiner maßgeschneiderten Hosen.

"Äh, ich...", begann er zaghaft, doch Asuka überging ihn einfach.

"Du siehst schlecht aus. Möchtest du einen Tee?"

Er riss verwundert die Augen auf, dann lächelte er. "Ja, gerne."

Wenig später saßen sie nebeneinander auf dem Sofa, das inzwischen von schmutzigen Mantel befreit worden war. Asuka hatte sich mit dem jammernden Saidou zurückgezogen, um ihn zu Bett zu bringen.

Yuki gab sich einen Ruck.

"Findest du nicht, du solltest mich endlich aufklären?"

"Ich dachte...", begann der Junge, und seine Stimme zitterte. "Ich dachte, du würdest mich wiedererkennen und dann würde alles gut werden. Ich wusste ja nicht, dass... und Asuka... es tut mir so Leid..."

"Warum sagst du mir nicht einfach deinen Namen?"

Keine Antwort. Yuki sah auf. Der Junge umklammerte mit beiden Händen seinen Becher. Seine Schultern bebten. Und dann, zu Yukis Entsetzen, traten Tränen aus seinen Augen und zogen glitzernde Spuren über seine Wangen.

"Heulst du schon wieder, Omi?" Yuki schlug eine Hand vor den Mund. Hatte er das wirklich gesagt? Der Junge - Omi - starrte ihn mit offenem Mund an.

"Du... du erinnerst dich... Youji..."

"Ich bin nicht..."

"Du bist Youji", sagte Omi fest. Er stellte seinen Becher zur Seite und fuhr eindringlich fort: "Und du wirst dich wieder erinnern. Du musst, Youji!"

"Omi..." Der Junge wischte sich mit dem Ärmel über die Augen und hob erwartungsvoll den Kopf.

Yuki setzte sich auf. "Wir müssen reden. Draußen. Ich habe einige Fragen an dich."

Omi sah erschreckt zu ihm auf. "Aber draußen sind..."

"Wer?" Schuldbewusstes Schweigen. "Wer, Omi?"

"Ich darf dir nichts sagen, solange du dich nicht an Weiß erinnerst..." Er stockte und schüttelte wütend den Kopf.

Yuki starrte ihn an. Weiß. Der Name spukte ihm im Kopf herum, beschwor undeutliche Erinnerungen herauf. Beunruhigend.

Mit einem Ruck stand er auf. "Asuka, ich gehe noch mal weg!", rief er den Flur hinunter.

"In Ordnung", tönte ihre Stimme aus dem Schlafzimmer. "Wann kommst du wieder?" Ihr Tonfall klang beinahe normal, allenfalls ein wenig kühl, aber Yuki wusste, dass die Ereignisse des heutigen Abends noch nicht vergeben und vergessen waren.

"Spät", antwortete er aus einer plötzlichen Vorahnung heraus. "Warte nicht auf mich. - Omi? Komm."



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2005-01-05T22:17:15+00:00 05.01.2005 23:17
Wow.
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