Alles weg?
Ich habe in Anbetracht meiner Unwissenheit über Japan das deutsche Sozialsystem als Vorlage benutzt. Isch schäme misch.
Seit Tagen gab es nur dieses eine Thema in allen Medien. Die Kaiba Corporation war, ohne jeglichen Wiederstand, von einer amerikanischen Firma geschluckt worden.
Keine langen Verhandlungen um die Konditionen, kein letzter Befreiungsschlag der KC und vor allem keine Absicherung für die hunderttausend Arbeiter.
In den unzähligen Berichten und Reportagen sah man lauter ungläubige und verzweifelte Gesichter, denn der neue Arbeitgeber hatte schon massive Kürzungen und Verlagerungen der Produktionsorte nach China angekündigt. Dazwischen immerwieder ein bleicher Seto Kaiba mit zusammengekniffen Lippen, der sich ohne jegliches Kommentar durch die Mengen drängte.
Und dann eines Tages war er verschwunden aus den Zeitungen, wurde nur noch ab und an am Rande erwähnt, als früherer Eigentümer und Wunderkind, dass den spektakulärsten Abstieg des Jahrzehnts hingelegt hatte.
Auch in der Schule war nichts mehr von ihm zu sehen. Früher hatte er schon ab und an mehrere Tage am Stück gefehlt, doch nun war er schon geschlagene zwei Wochen abwesend.
Die Sozitruppe (sorry!!) hatte das ganze Geschehen mehr oder weniger besorgt durch die Nachrichten mitverfolgt.
Yugi hatte des öfteren versucht Kontakt mit Kaiba aufzunehmen, doch dieser war nicht zu erreichen. Auch Mokuba war wie vom Erdboden verschluckt.
Zwei Wochen nach der Übernahme der KC traf sich die Sozitruppe morgens wie immer auf dem Schulhof. Yugi hatte die Tageszeitung dabei.
"Schaut mal hier, Kaibas Anwesen wird jetzt auch noch verkauft!" rief er seinen Freunden schon von weitem zu.
Überascht drehten sich Anzu, Honda und Joey zu ihm um.
"Was?! Aber wo wohnen die beiden denn dann?" erkundigte Anzu sich besorgt.
"Unter der Brücke, haben da sogar fließend Wasser." antwortete ihr Joey sofort grinsend.
"Joey!" Anzu sah den Blonden entrüstet an, "Wie kannst du sowas sagen? Hast du denn gar kein Mitleid?"
Da auch Honda ein Grinsen hatte nicht unterdrücken können, sah das braunhaarige Mädchen nun auch diesen finster an.
"Nö." erwiderte Joey ihr ungerührt. "Hat oft genug selber solche Scherze gemacht. Das bekommt Mister Eingebildet ganz gut, dass er jetzt auch mal mit der Nase im Dreck liegt."
Als er Anzus total entsetzten Blick sah, lenkte er jedoch schnell ein. "Keine Angst, der Staat kümmert sich schon um sie. Leb doch auch nicht auf der Straße, oder?"
Der blonde Junge setzte eines seiner strahlendsten Lächeln auf woraufhin Anzu ihm nicht länger böse sein konnte.
Ihre Aufmerksamkeit wand sie nun Yugi zu, der inzwischen den Artikel über den Hausverkauf der Kaibas überflogen hatte.
"Es scheint als hätte sich der Staat der Beiden schon angenommen. Hier steht das der Erlös des Verkaufes an die Stadt geht." berichtete dieser seinen Freunden.
"Was? Kaiba darf das Geld nicht behalten? Wie kacke ist das denn? Das ist doch Raub, oder?" ereiferte sich Joey sofort.
Yugi schüttelte den Kopf. "Im Anbetracht der Tatsache, das die Stadt nun finanziell für die Beiden aufkommt, scheint das gerechtfertigt."
Honda machte ein abwertendes Geräusch. "Da verdienen die aber ganz schön. Der Kasten ist doch mehrere Milliarden wert, da könnten sie Dutzende von Kindern mit durchfüttern!"
"Vielleicht tun sie das ja auch?" Yugi sah hoffnungsvoll von seiner Zeitung auf. "Auf jedenfall müssen wir rausfinden wo Kaiba jetzt ist. Er kann unsere Hilfe und ein bißchen freundschaftliche Unterstützung bestimmt dringend gebrauchen."
Joey und Honda gaben zwar gleichzeitig ungläubige Laute von sich, nickten aber trotzdem zustimmend. Wenn Yugi es probieren wollte, würden sie ihm natürlich helfen, auch wenn Kaiba ihnen eigentlich gestohlen bleiben konnte.
Diesen Nachmittag musste Joey mal wieder das ihm inzwischen gutbekannte Jugendamt aufsuchen um irgendeinen Antrag auszufüllen.
Gerade als er den Flur zu seiner Sachbearbeiterin hinunterschlenderte, wurde plötzlich eine Tür direkt vor seiner Nase so schwungvoll aufgerissen, das er einige Schritte zurückstolperte.
Sofort wurde die Tür auch wieder schwungvoll geschlossen und Joey stand einem ziemlich mitgenommen aussehenden Kaiba gegenüber.
Der Größere war sehr blass und hatte eindeutig an Gewicht verloren, wodurch sein Gesicht dem eines Totenschädel ähnelte.
Tiefschwarze Augenringe, eingefallene Wangen und die Haut so dünn, das man jeden Muskel bei der Arbeit sehen konnte.
Der Mund war ein schmaler Strich und beim Anblick seines Klassenkameraden schien er sich noch mehr zu verengen.
"Wheeler." Er spuckte Joey das Wort regelrecht vor die Füße.
Dieser sah ihn mit kampfeslustig funkelnden Augen an. Der Größere hatte vielleicht seine Arroganz noch nicht verloren, aber jetzt war er angreifbar und Joey würde nicht davor zurückschrecken, diese neue Schwäche des anderen gehörig auszubeuten.
Unbewusst war sein Blick zu dem Schild an der Tür gewandert, durch die Seto gerade gestürmt war.
Seine Augen weiteten sich. "Sie wollen euch doch nicht etwa trennen, oder?"
Joeys Stimmungswandel schien Kaiba für einen Moment verwirrt zu haben, doch dann begriff er was der Blonde meinte.
"Das sollten sie sich nur trauen." knurrte Kaiba, mehr zu sich selbst als zu Joey.
"Na ein Glück. Wir haben uns schon Sorgen um dich und deinen Bruder gemacht. Also vor allem Anzu und Yugi. Er hat versucht dich zu erreichen, sollst dich mal bei ihm melden." sprudelte es aus Joey hervor. Irgendwie schien er vergessen zu haben, mit wem genau er da sprach.
Bei der Erwähnung von Yugis Namen schnaubte Kaiba nur verächtlich. "Warum sollte ich mich bei dem Zwerg melden? Ich wüßte nicht was ich mit ihm zu bereden hätte."
Joey zuckte mit den Schultern. "Hab ihm schon gesagt, das du kein Interesse haben würdest, aber er hat halt noch nicht aufgegeben dein Freund zu werden. Aber sag mal, wir ham heut in der Zeitung gelesen dass die Stadt dein Haus verkauft und das ganze Geld für sich behält! Das ist doch ne Riesenunverschämtheit! Die bereichern sich da doch total dran! Voll unfair. Aber nen Anwalt kannste dir wohl jetzt nicht mehr leisten."
Während Joeys ungestoppten Redefluss hatte sich Kaiba immer mehr verspannt. Nun sah er Joey mit zusammengekniffenen Augen an. "Was regst du dich da so auf. Das kann dir doch egal sein." zischte er ihm zu.
Joey schien eher auf die Worte als auf den Tonfall zu achten."Warum ich mich aufreg? Weil das ne verdammte Ungerechtigkeit ist! Aber du, du bist doch net wirklich pleite,oder? Ich mein, du bist zwar ziemlich eingebildet und so, aber blöd nich. Hast doch bestimmt das eine oder andere Millönchen auf ein Schweizer Bankkonto in Sicherheit gebracht." Unbekümmert zwinkerte der Blonde seinem Gegenüber zu.
Dieser war bei den letzten Worten erstarrt, doch nun sackte er regelrecht in sich zusammen. Verwundert betrachtete Joey die zusammengesunkene Gestalt vor sich, als diese sich auch schon wieder aufrichtete und ihn mit geballten Fäusten wütend anfunkelte.
Erschrocken trat Joey einen Schritt zurück. Kaiba sah doch recht irre aus mit diesem Blick.
Doch dieser sah nicht ihn an, sondern durch ihn durch.
"Wenn ich ihn erwische, dann wird er seine Taten bereuen. Ich werd ihn büßen lassen für das was er uns angetan hat." kam es in einem gefährlichen Tonfall aus seinem Mund.
"Wen willst du erwischen? Heißt das jemand hat dich reingelegt?" Mit großen Augen musterte der Kleinere Kaiba. "Wars einer deiner Angestellten?"
Plötzlich schien wieder alle Kraft aus dem Braunhaarigen zu entweichen. Mit einem müden "Lass mich in Ruhe." ging er an Joey vorbei und den Gang hinunter.
Dieser war aber noch nicht fertig mit dem ehemaligen Firmenbesitzer."Hey Kaiba, warte! Yugi will wissen wo du steckst, also entweder versprichst du mir dich bei ihm zu melden, oder du gibst mir deine neue Nummer und Adresse."
Der Blonde war dem anderen hinterhergerannt und kam nun vor Kaiba so zum stehen, dass der nicht mehr vorbeikonnte.
Unwillig sah dieser ihn an. "Was soll das Wheeler, musst du mich jetzt so nerven? Ich hab echt keine Zeit für sowas."
"Ach wirklich? Was haste denn so wichtiges vor? Deine Firma ist ja den Bach runtergegangen, bist also jetzt arbeitslos und hast von daher doch jede Menge Zeit." antwortete ihm Joey herausfordernd.
Als er sah, wie der andere durch seine Worte kurz zusammen zuckte, konnte er sich ein hämisches Grinsen nicht verkneifen. Endlich war nicht nur er angreifbar und schutzlos. Jetzt hatte auch Kaiba einen riesengroßen wunden Punkt.
Für einen Moment schien Kaiba mit sich zu ringen, seine Backenknochen gerieten in Bewegung und seine dünne Haut spannte sich über seiner Stirn.
"Ich komm in zwei Tagen wieder in die Schule, okay? Reicht das?" presste er schlechtgelaunt hervor.
Joey grinste. "Ja das reicht, danke. Und Kaiba," Dieser sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.
"Iss mal wieder was, du siehst echt scheiße aus."
Damit ging er an dem anderen vorbei zu seinem eigentlichen Ziel. Er musste sich beeilen, die Unterhaltung mit Kaiba hatte ihn ganz schön Zeit gekostet. Hoffentlich kam er nicht wieder zu spät zur Arbeit.
Kritik, Verbesserungsvorschläge und Vermutungen sind erwünscht!
