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Spiel ohne Limit

von

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"Ich dachte schon, du kommst zu spät", waren Kaibas ersten Worte, nachdem sie sein Büro betreten hatte. Es war sechzehn Uhr achtundfünfzig - sie hatte es also rechtzeitig geschafft; ohne Unwetter, ohne Marathon, der ihre Lungenflügel ausgeweitet hatte. Einmal geklopft hatte sie - ohne eine Antwort abzuwarten - einfach die Tür geöffnet. Zu ihrem Erstaunen war seine Sekretärin bereits aus dem Haus, obwohl sich beide vor langer Zeit darüber ausgelassen hatten, dass frühes Nachhausekommen geradezu an ein Wunder grenzen würde. Nicht, dass die Grippewelle auch Mitsuki erwischt hatte!
 

Der Lärm gegenüber seines Schreibtisches lenkte sie kurzzeitig ab, bevor sie sich ganz dem jungen Firmenchef widmete, der sie und ihre Becher kritisch beäugte. "Ist das deine berüchtigte Suppe?", nickte er in ihre Richtung, noch immer mit Ärger im Gesicht, als hätte Rin sonst etwas verbrochen. Warum war er denn jetzt sauer auf sie?

Hat dem Kerl keiner die Bedeutung von Höflichkeit gelernt?!

Langsam schritt sie aus dem Türrahmen in Richtung des jungen Firmenchefs. Scheinbar hatte er ihr Gespräch doch belauscht - irgendwie irritierte sie Kaiba, der seit Neuestem so etwas wie Interesse an ihrem Leben bekundete (wenn dieses Wort nicht bereits schon den Rahmen an Möglichkeiten sprengte).

"Ja", entgegnete sie und schaute selbst auf ihre Becher hinunter. "Ich kann halt nicht anders, ich wurde so erzogen", und mit einem leichten Murmeln fügte sie hinzu, "du musst sie ja nicht essen."

Nach einem tiefen Atemzug streckte er seine rechte Hand aus. "Gib' schon her", kam es grummelnd von dem Chef der Kaiba Corporation und er nahm einen der Becher entgegen. Zu Rins Überraschung öffnete er den Becher, dass Rin ihm wortlos die mitgebrachten Stäbchen auf den Tisch legte.

"Was ist das eigentlich für eine Reportage?" Als ihr wieder der Lärm entgegenkam, musste sie sich erneut zu dessen Quelle umdrehen. Da war doch nicht ernsthaft ein Flatscreen in der Wand! Der war ihr ja noch nie aufgefallen. Andererseits wirkte er so gut mit der Tapete verschmolzen, dass er wohl nicht weiter auffiel - wenn er nicht gerade eingeschaltet war; und wie oft würde Kaiba schon den Fernseher laufen lassen? Die Bilder verfolgend, begriff sie, dass es sich um eine Art Versammlung handeln musste. Die Mitglieder waren allesamt in schwarze Ledermäntel gehüllt (unheimlich, skurrile Personen wie sie fand und ihr auf unangenehme Weise bekannt vorkamen), sie sprachen laut, der Tonfall war aggressiv, dass sie überhaupt nichts verstehen konnte.

"Rin, glaubst du an Gott?", kam es aus dem Nichts von dem jungen Firmenchef.

Was ist das denn für eine Frage?!

Dieses Treffen wurde zunehmend eigenartiger.

"Nicht wirklich", entgegnete sie und beobachtete, wie Kaiba tatsächlich die Stäbchen auseinander riss und den Deckel des Bechers beiseite legte. Das Bild war einfach so ungewohnt für die junge Frau, dass sie nicht wusste, wie sie sich zu verhalten hatte. Ein tiefer Atemzug und der junge Firmenchef antwortete: "Sonst hättest du mir sagen können, wie man auf so einen hirnverbrannten Mist kommen kann." Er lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück und begann die Nudeln aus der Suppe zu fischen. So wie Kaiba in seinem Sessel lehnte, schien es ihr so surreal, dass sie ihn für einen Moment bloß anstarren konnte. Ihr Magen meldete sich nun ebenfalls zu Wort und bevor es sich Kaiba doch noch anders überlegte, setzte sie sich auf die Lehne des schwarz-braunen Ledersofas, direkt zwischen dem jungen Firmenchef und dem Fernseher, und packte nun selbst ihr Essen aus.

"Ich wusste nicht, dass du dich für Okkultes interessierst", sagte sie und wechselte immer wieder zwischen Kaiba und dem Programm. Die Meute hatte nun aufgehört zu schreien, stattdessen marschierten sie über den Marktplatz von Kyoto, mit Schildern in der Hand, auf denen ein zu schlecht gezeichnetes Seeungeheuer abgebildet war.

Soll das Leviathan sein-

"Das ist Dartz' Sekte", entgegnete er trocken und riss Rin aus den immer verrückter werdenden Szenen, "seit Jahren versuchen sie, ihre gestörten Ideologien durchzusetzen. Scheinbar gibt es doch noch ein paar kranke Idioten, die auf so eine Gehirnwäsche hereinfallen." Mit einem Nicken deutete er auf den Bildschirm. "Diese Kundgebungen veranstalten die Spinner fast wöchentlich. Wenigstens ist Domino bisher verschont geblieben. Sie scheinen sich lieber in den Großstädten von Kyoto und Tokyo zu sammeln. Wie es aussieht, hat man hier schon ein Auge auf Paradius und seine Organisation geworfen. Das erspart zumindest mir zusätzlichen Ärger."

"Und was wollen sie?"

"Am liebsten zurück in die Steinzeit befördert werden. Sie verlangen einen Stopp sämtlicher technologischer Fortschritte…ausgenommen ihrer eigenen. Aber das kapieren diese Schwachköpfe nicht", ein müdes Lächeln ging über seine Lippen, "sie denken ernsthaft, dass ihr Gott dahinter steckt," wieder deutete er auf den Fernseher, "scheint, als hätte keiner von denen in der Schule aufgepasst. Dann wüssten sie, dass dieses Ungeheuer nur ein Fabelwesen ist."

"Dann soll das also wirklich Leviathan sein?!" Das Seeungeheuer aus der jüdischen Mythologie? Rin nahm einen Schluck von der Brühe.

"Ja. Nach ihren Vorstellungen wird er bald in Erscheinung treten, um sich für all die Einmischungen auf der Erde rächen zu wollen. Wir müssen nicht darüber diskutieren, dass das völliger Unsinn ist. Der einzige, der hier die Fäden zieht, ist ihr sogenannter Erlöser…Dartz - und keine erfundene Gottheit oder sonst was. Die Chaos DuelDisc zum Beispiel unterliegt Dartz' alleiniger Kontrolle. Er lässt seine Marionetten für sich tanzen und diese Dummköpfe nennen dieses Phänomen Gott. Wenn sie damit nicht so viel Ärger verursachen würden, wären diese Hampelmänner fast schon unterhaltsam."

"Meinst du, dass während der Aufnahmen neulich, Yuta gar nicht seine Finger im Spiel hatte? Na gut, du sagtest ja mal, dass das, was ich kann, eher atypisch ist. Also war das im Grunde der Chef von Paradius' Inc?"

"Einfach ausgedrückt, ja. Er hat das Prinzip von Solid Vision etwas abgeändert. Du musst es dir wie einen Parasiten vorstellen, der in die Chaos DuelDisc eingebaut wurde. Dieser Parasit frisst sich während eines Duells in den Anwender der DuelDisc und erzeugt technisch hochentwickelte Hologramme, die über ihre üblichen Fähigkeiten hinausgehen."

"Das ist irgendwie…krank. Im Grunde hat Hii Yuta seinen eigenen Willen aufgegeben."

"Richtig. Er glaubt zwar etwas anderes, aber diesen Leuten ist kaum zu helfen. Schon gar nicht Yuta. Der vergöttert seinen Propheten über alle Maßen, dass einem schon übel werden kann."

Rin schüttelte den Kopf. "Was für eine Beleidigung an das Spiel…und sag' jetzt nicht, dass das bei DuelMonsters normal ist." Sie zeigte mit den Essstäbchen auf ihn, dass er lediglich mit den Schultern zuckte. "Normalerweise interessiert mich nicht, was andere mit ihrer Technik anstellen", er legte den Becher zurück auf den Tisch, "aber ich kann es nicht ausstehen, wenn jemand mein Basisprogramm für seinen apokalyptischen Unsinn missbraucht." Seine Augen blitzten auf. "Oder meine Firma damit in den Dreck zieht…wieder einmal. Yamamori, diese Angelegenheit geht weit über DuelMonsters hinaus…aber einige würden wohl sagen, dass es zur Tagesordnung gehört. Du wirst ja sicher von den Gerüchten gehört haben, die um einige Duelle kursieren."

"Ja", sie wünschte, sie hätte es nicht gehört.

Rin hielt inne. "Schon wieder", wiederholte sie, wobei sie langsam erst die vorherigen Informationen zu verarbeiten versuchte.

"Vor etwa vier Jahren hat Dartz diese Show schon einmal abgezogen", erzählte Kaiba weiter, "damals noch mit weniger Anhängern, aber umso effizienter. Das Siegel von Orichalcos", er verschränkte die Arme vor der Brust, "war damals ein ziemlich wirksames Mittel, seine Gegner auszuschalten. Um die grünen Ringe war etwas eingebaut, das den Verlierer in einen komatösen Schlaf versetzt hat." Mit großen Augen sah sie ihn an. Mokubas Worte kamen ihr in den Sinn.

"Und du", ihre Worte waren lediglich ein Hauchen, "hast du auch-"

"Natürlich nicht", erwiderte er in seinem üblichen überheblichen Ton. "Als ob ich mich von so ein paar Hohlbirnen besiegen lasse! Ich will damit nur sagen", jetzt beugte er sich leicht nach vorne und fokussierte die junge Frau, welcher ihr Unbehagen ins Gesicht geschrieben stand, "der Vorfall neulich bei der Gruppenauslosung lief noch harmlos im Vergleich zu dem ab, was noch auf dich zukommen könnte. Ich weiß nicht, was Dartz und seine Anhänger planen, aber sie werden alles dafür tun, damit du morgen verlierst. Mai Kujaku hat ihr Ticket bereits in der Tasche und in den anderen DuelMonsters Weltmetropolen fahren Dartz' Lakaien einen Sieg nach dem anderen ein." Sie hatte keine Ahnung, dass Paradius' Firmenchef weltweit seine Spieler aufgestellt hatte. War das überhaupt legitim? Schließlich bestand selbst Pegasus J. Crawfords Team lediglich aus Duellanten, die nur in Japan registriert waren. Bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, sprach Kaiba auch schon weiter - und er klang ganz und gar nicht heiter: "Du weißt, was es bedeutet, wenn Hii Yuta dieses Duell gewinnt."

"Er sichert sich das Ticket für die finalen Spiele", antwortete sie etwas kleinlaut. Mit vier gewonnenen Spielen in Folge wäre Yuta der ungeschlagene Spieler in ihrer Gruppe. Nur sie und der Grünhaarige waren die einzigen, die noch keine Niederlage hatten einstecken müssen. Rin krallte sich an dem leeren Becher fest. "Darf ich dich etwas fragen?" Sie sah zu dem jungen Firmenchef herüber, der sie stumm anblickte. Rin genügte das als Antwort, und sie fuhr ungehindert fort: "Was ist nach dem Duell mit Zigfried von Schroeder passiert?"

"Er hat sich ins Ausland abgesetzt."

"Ich verstehe", murmelte Rin und sah jetzt wieder auf den Becher. Lumina hatte recht - reichen Schnöseln wie von Schroeder würde nicht der Prozess gemacht. Diese konnten sich stattdessen auf eine einsame Insel zurückziehen und die Sonne auf ihren bleichen Rücken genießen.

"Der Kerl wird keine Probleme machen", fügte Kaiba nach einer drückenden Schweigeminute hinzu, seine Seelenspiegel leuchteten gefährlich auf, "und sollte er es trotzdem wagen, hier in Domino wieder aufzutauchen, werde ich mich eigenhändig um diese rosane Schmalzlocke kümmern." Die letzten Worte kamen nur noch als Knurren. Rin beruhigte die Festigkeit, die in seiner Stimme lag. Jemand wie Seto Kaiba würde in der Lage sein, etwas gegen von Schroeder Corps. Firmenchefs zu unternehmen. Der Ausdruck in seinem Gesicht strahlte so viel Überzeugung aus, dass nur noch ein >versprochen< in seinen Worten gefehlt hätte. Dies wäre jedoch eindeutig zu viel des Guten - immerhin war Seto Kaiba ihr Vorgesetzter und nicht ihr…

"Und?", er betrachtete Rins Gesichtszüge,"ist jetzt alles gut?"

Sie blinzelte ihn an.

"Na das soll doch eine >Alles-Wird-Gut-Suppe< sein." Er hatte ein schiefes Grinsen aufgesetzt. Rin kniff die Augen zusammen. "Ja, ja schon kapiert", murrte die junge Frau, woraufhin Kaiba nur noch verschmitzter lächelte.

Irgendwie ja süß…was denkst du denn da schon wieder. Kaiba ist ganz sicher nicht süß und du wirst jetzt gefälligst nicht schwach von ein paar kleinen Lachfältchen…

"Lass' uns lieber arbeiten", sie erhob sich, "und nur damit du es weißt: wenn du jetzt krank wärst, würdest du mir wegen meiner Suppe zu Kreuze kriechen."

Gehirn an Mund: halt die Klappe!

"Ach ja?!", richtete sich der Chef der Kaiba Corporation ebenfalls auf, dass seine Augen herausfordernd zu ihren sahen. "Du bist dir ja deiner Fähigkeiten sehr sicher."

"Immer", konterte sie mit ihrem eigenen stechenden Blick und steuerte den wandelbaren Bücherschrank an. Kaibas überragende Statur zwang sie, direkt neben seinem Schreibtisch stehen zu bleiben. Wieder einmal war er ihr gefährlich nahe. Sein eiskalter Blick kreuzte den ihren. "Wir nehmen heute den konventionellen Fahrstuhl."



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