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Kontrolle

Urban Fantasy Thriller
von

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Drachenatem

Pakhet musste sich an der Wand abstützen, um aufrecht gehen zu können. Sie hatte ihre Energie verbraucht. Das einzige, was sie auf den Beinen hielt, war ihr Wille.

Egal. Sie war am Hotel. Sie war – hoffentlich – in Sicherheit. Es war spät genug in der Nacht, als dass kaum jemand hier war. Hoffentlich hatte niemand sie bemerkt. Sie konnte gerade keine Fragen beantworten. Und das Blut, das ihren Körper bedeckte, rief, genau so wie ihr geschwollenes Gesicht, schnell einige Fragen hervor. Das keiner der Taxifahrer sie zu einem Krankenhaus oder zur Polizei gefahren hatte, hatte sie tatsächlich überrascht.

Auf dem Weg hierher hatte sie so oft das Taxi gewechselt, wie sie es gewagt hatte. Hoffentlich war ihr niemand gefolgt. Hoffentlich. Denn weiter könnte sie nicht kämpfen.

Erst, als sie vor ihrem Zimmer stand, bemerkte sie, dass sie ihre Karte nicht dabei hatte. Diese lag noch immer in einem Schließfach in einer der U-Bahn-Stationen. Verdammt. Und jetzt? Was konnte sie jetzt tun?

Wieder war da dieser Knoten in ihrem Magen. Würde sie sterben? Würde sie wirklich sterben? Sie brauchte ihr Handy, brauchte Michael. Ohne ihn hatte sie keine Chance schnell genug einen Heiler zu finden.

Die Panik kroch ihre Kehle hoch. Sie wollte brüllen, schreien.

Nein. Sie musste denken. Einfach denken. Es gab einfache Lösungen. Die Putzfrauen hatten Universalschlüssel. Meistens gab es welche in den Putzräumen. Wenn sie Glück hatte, dann war der nicht abgeschlossen. Gott, sie würde später Dinge erklären müssen. Doch jetzt war es egal. Jetzt musste sie überleben, brauchte ihr Handy. Wenn sie einmal ihr Handy hatte, konnte sie Michael anrufen. Dann konnte jemand sie heilen. Jemand würde sie heilen können … Selbst wenn sie dafür die Art von Schulden machen musste, die sie am meisten hasste.

Sie schleppte sich zum Ende des Gangs, fand den Putzraum. Er war abgeschlossen, doch war das Zahlenpad an der Tür abgenutzt genug, als dass es nicht schwer war, dass lächerliche Passwort zu erraten. 1, 2, 3, 4. Die Tür ging auf.

Ihr Blickfeld war, als würde sie in einen Tunnel schauen. Ein Tunnel, in dem seltsame schwarze Flecken schwammen.

Da. Eine Uniform.

Pakhets Hände hinterließen blutige Spuren auf dem Stoff. Doch da. Eine Karte. War es nur eine Mitarbeiterkarte oder kam sie damit in die Räume?

Sie musste es einfach versuchen. Sie hatte nicht mehr viel Zeit. Ihr war kalt. So kalt. Sie hatte zu viel Blut verloren.

So zog sie die Tür zu, schleppte sich zu ihrer Zimmertür zurück und steckte die Karte in den Schlitz. Eine Sekunde verging. Dann ein Piepen. Das Licht über der Türklinke wurde grün. Die Tür ging auf. Gut. Dankbarerweise hatte sie das Zimmer ein paar Tage zu lang gebucht. Niemand hatte es ausgeräumt.

Sie fiel halb in den Raum, hielt sich an der Tür fest. Scheiße. Verdammt.

Sie schob die Tür zu. Dann krabbelte sie zu dem Bett hinüber, zum Nachtschrank, in dem sie ihr Handy gelassen hatte. Mit zittriger Hand fischte sie es heraus, klappte es auf und lehnte sich gegen das Bett. Sie brauchte mehrere Anläufe, die PIN einzugeben, während ihr Blick immer wieder verschwamm. Sie durfte nicht ohnmächtig werden. War sie einmal ohnmächtig, würde sie sterben.

Endlich: Ihr Handy startete korrekt. Da. Sie konnte es nutzen, rief das Telefonbuch auf. Jetzt konnte sie dankbar sein, dass sie Michael unter „A“ wie „Arschloch“ gespeichert hatte.

Sie schaltete das Handy auf Lautsprecher, während sie die südafrikanische Nummer wählte. Dann wartete sie. Seltsam, dass Michael nicht versucht hatte, sie anzurufen. Immerhin hatte sie sich an dem Abend melden wollen. Dem Datum nach war sie drei Tage in Gefangenschaft gewesen.

Endlich seine Stimme. „Pakhet. Wie schön, dass du dich auch meldest.“

Sie schloss die Augen, atmete tief ein und aus. „Ich brauche einen Heiler, Michael“, hauchte sie. „Einen Heiler. Zum Hotel.“

„Einen Heiler?“ Seine Stimme klang hämisch. Nahm er jemals etwas ernst?

„Ja. Michael. Bitte. Ich verblute.“

„Ich hoffe, du hast genug Geld dabei …“

„Nicht die Art Heiler, die Geld nimmt“, flüsterte sie. „Die Art, die man mit Gefallen bezahlt.“ Sie atmete schwer ein und aus. Es tat weh. „Ich bin im Hotelzimmer. Bitte.“

„Oh, darüber werden wir sprechen müssen.“

„Wenn du den Heiler nicht schnell herschickst, werden wir über gar nichts mehr sprechen“, erwiderte sie. „Bitte.“ Sie hasste es dieses Arschloch anzubetteln. „Bitte, Michael.“

Er lachte leise. „Verstanden.“ Damit legte er auf.

Pakhet ließ das Handy sinken. Sie atmete tief, bewusst. Sie durfte nicht ohnmächtig werden. Nicht ohnmächtig. Sie musste wach bleiben. Wach. Irgendwie.

Ihr war so kalt. Ihr Inneres fühlte sich an, als hätte jemand es komplett rausgenommen und irgendwie wieder reingesteckt. Ihr Bein schmerzte. Sie wäre nicht überrascht, wenn der Fuß ebenfalls angebrochen war. Egal. Alles war egal. Ein Heiler würde es alles hinbekommen. Ein guter Heiler würde die Dinge verschwinden lassen können. Sie brauchte jemanden, ein Fae, einen Geist, so etwas. Irgendsoetwas.

Ihre Wangen waren nass. Vor Schweiß? Vor Tränen. Sie weinte. Weinte sie wirklich? Am liebsten hätte sie geschrien. Vielleicht tat sie es auch. Sie wusste es nicht. Sie wusste nichts mehr. Gar nichts mehr. Punkte tanzten selbst vor ihren geschlossenen Augen. Sie wollte nicht sterben. Nicht so.

Sie wollte nicht sterben.

Dann, endlich, wurde die Tür aufgebrochen. Sie konnte nur hoffen, dass es Leute waren, die hier waren, um sie zu einem Heiler zu bringen. Sehen tat sie nichts mehr. Und langsam schwanden ihr doch die Sinne.
 

Viel bekam Pakhet nicht mit. Sie merkte, wie die beiden, die gekommen waren, sie aufhoben, stützten und auf eine Liege brachte. Zumindest das sprach gegen die Triaden. Sie wurde zu einem Wagen gebracht und für eine Weile verschwand die Welt wieder in Schwarz. Als sie das nächste Mal zu sich kam, waren die Schmerzen leicht gedämpft. Wahrscheinlich hatte man ihr etwas gegeben. Ordentlich konnte sie jedoch weiterhin nicht sehen. So blieb sie einfach liegen. Rührte sich nicht. Auch nicht, als man die Liege bewegte. Sie hatte nicht einmal gesehen, wie die, die sie geholt hatten, aussahen.

Wasser plätscherte. Sie wusste nicht, was passierte, während man die Liege fuhr. Dann nahm sie jemand runter. Zwei. Sie trugen sie. Ließen sie in Wasser sinken. Würden sie sie ertränken? Es war egal. Sie konnte nichts mehr tun. Sie konnte nicht.

Sie fiel. Es war schwarz. Alles war schwarz. Sie spürte ihren Körper nicht einmal mehr.

Wie lange es so ging, konnte sie nicht genau sagen. Es rauschte, es plätscherte. Da war mehr Wasser. Mehr und mehr Wasser.

Irgendwann erklang eine Stimme. Eine Stimme, die sie zu umgeben schien. „Ein Mensch?“

Die Stimme war tief, respekteinflößend. Ein leichtes Knurren klang in ihr mit. Dennoch war es schwer zu sagen, ob sie männlich oder weiblich war.

„Du stirbst“, stellte die Stimme fest.

Als ob sie das nicht selbst wüsste!

„Das ist, warum man dich hergebracht hat“, meinte die Stimme.

Dann war das der Heiler?

„Ich denke von mir selbst nicht als ein Heiler. Aber ja. Man hat dich hergebracht, um geheilt zu werden.“

Was auch immer es war, konnte ihre Gedanken lesen.

„Ich spreche direkt in deinen Geist“, erklärte die Stimme.

Das erklärte einiges. Zumindest nahm es ihr die zusätzliche Belastung zu sprechen ab.

„Ich kann dein Leben retten“, fuhr die Stimme fort. „Aber du weißt, dass es einen Preis hat.“

Natürlich wusste sie das.

„Was ist es, das du genau willst?“

Pakhet sammelte ihre Gedanken. Versuchte klar zu denken: „Ich will, dass du die Wunden aus den letzten drei Tagen heilst, sie komplett verschwinden lässt. Keine Narben. Nichts. Ich will daran nicht länger erinnert werden.“

„Das ist nicht wenig“, stellte die Stimme fest.

„Ich weiß.“

„Der Preis wäre entsprechend. Zwei große Gefallen.“

Große Gefallen. Das bedeutete Aufträge für magische Geschöpfe, die ziemlich sicher lebensgefährlich waren.

„Man hat dich also aufgeklärt.“

„Ja“, dachte sie.

„Ja?“

„Ja. Ich bin mit dem Preis einverstanden. Zwei große Gefallen für eine vollständige Heilung.“

„In Ordnung“, erwiderte die Stimme.

Wind rauschte. Ein seltsamer Wind, der Regen mit sich brachte oder zumindest danach roch. Er war kalt, aber nicht kühl. Er umgab ihren Körper. Jedenfalls war das das letzte, was sie spürte, ehe die Sinne ihr schwanden. Ob durch einen Zauber oder aus Schwäche vermochte sie nicht mehr zu sagen.
 

Als Pakhet zu sich kam, war sie nackt. Sie lag auf einem weichen, jedoch feuchten Untergrund. Moos.

Sie blinzelte. Ihre Sicht war wieder frei. Sie konnte sehen. Sie konnte sich auch bewegen, sich aufsetzen, ohne dass es schmerzte.

Richtig. Sie war wirklich zu einem Heiler gebracht worden. Ein Glück. Das hieß wohl, dass dieser Ort das Territorium des Heilers war? Ein Geist? Nein. Das hier sah nach Anderswelt aus. Ein Fae.

Tatsächlich war ihr Lager ein länglicher, moosüberzogener Fels gewesen, der zwischen sechs Pfeilern stand. Diese Pfeiler hielten – wie auch immer – Wasser über ihnen, hielten es davon ab auf die Felsen zu tropfen.

Die Pfeiler waren mit bunten Farben und Zeichnungen verziert. Es erinnerte an irgendein Heiligtum oder so etwas. Allerdings hatte sich Moos auch über die Pfeiler gezogen.

Nur den Heiler konnte Pakhet nicht sehen.

Was hätte sie für Kleidung getan? Doch ihre Kleidung war nicht hier. Nun, die Kleidung, die sie von dem Typen geklaut hatte, war ohnehin hinüber. Dennoch. Sie mochte das Gefühl der Nacktheit nicht. Sie hatte es nie gemocht, aber nach den letzten Tagen war es noch schlimmer.

Sie lenkte sich ab, in dem sie ihre Beine begutachtete. Dort, wo die Schnitte gewesen waren, war keine Spur zu sehen. Keine Rötung. Keine Narbe. Dasselbe galt für die Stellen, an denen sie die Zigaretten ausgedrückt hatten.

Vorsichtig tastete sie zwischen ihre Beine, zuckte unter ihrer eigenen Bewegung zusammen. Erinnerungen. Da waren die Erinnerungen. Nein. Nicht jetzt. Nicht jetzt …

Sie hatte auch dort aufgehört zu bluten. Auch der Schmerz in ihrem Inneren war verschwunden. Sie war wirklich geheilt.

Seufzend blieb sie sitzen, zog die Beine an, um ihren Körper vor möglichen Blicken zu schützen. Ja. Die Fae dachten nicht so über nackte Körper, aber dennoch fühlte sie sich so etwas besser. Wie kam sie jetzt in die reale Welt zurück? In die physische Welt?

Sie legte die Stirn gegen die Knie.

Ihr Magen knurrte. Sie spürte den Hunger. Es war kaum verwunderlich. Immerhin hatte sie so wenig gegessen und eine Heilung nahm auch einige Energie vom Geheilten.

Also. Wo konnte sie etwas zu Essen bekommen?

Wahrscheinlich musste sie auf den Heiler warten. Also wartete sie.

Sie hatte überlebt. Der Gedanke breitete sich in ihrem Inneren auf. Sie hatte überlebt. Sie hatte irgendwie überlebt. Sie würde nicht sterben. Ein Glück. Sie hatte wirklich nicht so sterben wollen.

Diese Arschlöcher. Warum hatten sie ihr das angetan? Das war mehr gewesen, als sie je befürchtet hatte. Es wäre verständlich gewesen, hätte er ihr das Gift gespritzt, das für ihn bestimmt war. Doch nicht das. Nichts davon.

Sie hatte solche Angst gehabt.

Wieder kämpfte die gegen Tränen. Nein. Sie würde nicht weinen. Sie weinte nicht. Sie war niemand, der so die eigene Schwäche zeigte. Sie war stärker als das. Sie weinte nicht. Sie hatte seit fünfzehn Jahren nicht mehr geweint.

Also atmete sie bewusst ein und aus, bemühte sich um Entspannung, bis sie etwas hörte.

Da bewegte sich etwas im Wasser.

Sie sah auf, sah in das endlose Wasser, dass den Platz zwischen den Pfeilern in alle Richtungen zu umgeben schien. Da war ein längliches Wesen, das durch das Gewässer schwamm. Ein längliches Wesen, dass hierher kam.

Erst einen Moment, bevor der Kopf das Wasser durchbrach, erkannte Pakhet, was es war: Ein Drache. Ein langer, bläulich schimmernder Drache.

Sie musste sich beherrschen nicht von ihm zurückzuschrecken.

Er musterte sie. Seine Augen waren so groß, wie ihr ganzer Schädel. Sie glommen in Jade, als würde ein Feuer sie ausfüllen. Wie chinesische Drachen auf den Zeichnungen, die sie gesehen hatte, hingen Haare von seinen Hüstern hinab. Ein seltsamer Bart. Doch diese Haare streckten sich nun nach ihr aus.

Sollte sie davor zurückweichen? Sie blieb sitzen. Wenn der Drache sie hätte töten wollen, hätte er es lange getan.

Und so berührten die Haare ihre Stirn, ehe einen Moment später wieder die Stimme erklang. „Ich sehe, du bist wach.“

Das war also, wie der Drache kommunizierte.

„Jedenfalls, wenn es mit einem Fremdländer ist.“

„Ich … verstehe.“

„Gut. Dann bist du nicht schwer von Begriff.“ Die Augen des Drachen ruhten auf ihr.

„Nein. Bin ich nicht.“ Offenbar musste sie nicht sprechen, damit er sie verstand.

„Natürlich nicht.“

„Warum bin ich noch hier?“

„Weil ich dir die Ruhe gönnen wollte und sicher stellen musste, dass du dich noch an unsere Abmachung erinnerst.“

Pakhet atmete tief aus. „Ja. Zwei große Gefallen.“

„Richtig. Dann verstehen wir uns.“ Die Lippen des Drachen verformten sich zu der Karikatur eines Lächelns, das zu viele spitze Zähne zeigte.

„Ja. Ich halte mein Wort. Ist einer der Gefallen jetzt fällig?“

„Nein. Noch nicht. Ich werde dich bei Zeiten kontaktieren.“

„Heißt es, dass ich in die physische Wert zurückkehren kann.“

„Kannst du?“ Der Drache grinste.

„Ich kann nicht selbst du Ebene wechseln“, erwiderte sie in Gedanken.

„Ja. Ich weiß.“

„Dann?“

„Ich habe noch ein Angebot zu machen.“

„Ein Angebot?“ Das war nie ein gutes Thema, wenn es von einem Fae aufgebracht wurde.

„Kein Grund so misstrauisch zu sein.“ Der Drache ließ seinen Kopf ein wenig sinken, um nicht über ihr zu schweben. „Mir ist nur der Umstand mit deinem Arm aufgefallen, Menschlein. Du hast einiges verloren.“

Es war klar, worauf es hinauslaufen würde.

„Ich könnte deinen Arm wiederherstellen. Deinen Arm und das Auge. Für fünf Jahre Dienerschaft jeweils.“

Ja, genau das war der Grund, warum sie es nie hatte machen lassen, seit sie von Magie wusste. „Ich habe andere Verpflichtungen.“

„Für diesen Mann arbeiten, den du so verachtest?“

„Er ist ein notwendiges Übel“, erwiderte sie. „Deswegen muss ich dein großzügiges Angebot ausschlagen. Im Moment kann ich es mir nicht erlauben.“

„Zu Schade“, meinte die Stimme des Drachen in ihrem Kopf. Er hauchte sie an. Es war sein Atem, der nach Regen roch.

„Kannst du mich in die physische Welt zurückschicken?“

„Ich habe wohl keine Wahl, hmm?“ Sein Blick wanderte zu einer Wasserfläche zwischen zwei der Pfeiler hinüber. Licht reflektierte sich in ihr, stärker. Es glitzerte, bis sie zu einer spiegelnden Fläche wurde. „Du wirst im Gemach von einer meiner Dienerinnen erscheinen“, erklärte der Drache. „Sie wird dir helfen.“

„Für weitere Schulden?“

Ein Lachen klang durch ihren Kopf. „Nein. Meine Diener sind im Preis einbegriffen. Außerdem glaube ich, sie haben sich bereits monetär zahlen lassen.“

Pakhet nickte. Sie zögerte, stand dann aber auf. Wie war es noch gleich? Sie verbeugte sich, auch wenn sie nicht sicher war, ob das in China richtige Etikette war. „Ich danke Euch dafür, mein Leben gerettet zu haben.“

„Wir werden voneinander hören.“

Pakhet atmete tief durch, ehe sie zur Spiegelwand hinüberging. Es war gruselig sich selbst so zu sehen. Nackt. Doch zumindest waren offenbar keine Narben an ihrem Körper geblieben. Und so schloss sie die Augen und trat durch das Wasser hindurch, nur um mit dem Fuß einen Moment später auf eine Holzfläche zu treten.

Sonnenlicht schien in das Zimmer, das nach einem einfachen Arbeitszimmer aussah. Die Wände waren weiß gestrichen. Da war ein Schreibtisch, daneben ein Regal, gefüllt mich Büchern in verschiedenen Sprachen. Die meisten jedoch chinesisch. Ob Mandarin oder Kantonesisch konnte sie nicht sagen.

Da lag ein Bademantel über dem Stuhl. War er für sie?

Pakhet sah sich um. Aktuell wünschte sie sich nichts mehr, als Kleidung.

Sie konnte sich später entschuldigen. So nahm sie erst einmal den Bademantel und zog ihn sich über. Sie atmete durch, als sie den Mantel vor dem Körper zuband. Ja. So fühlte es sich besser an.

„Hallo?“, fragte sie in die Leere hinein.

Sie kam sich mies vor, sich einfach umzuschauen. Aber ihr blieb kaum eine Wahl, da sie auch Hunger hatte.

Den Raum hatte sie durch einen großen Standspiegel betreten, der nun unscheinbar hinter ihr stand. Zu ihrer rechten – dank der Raumgröße keine zwei Meter von ihr entfernt – war eine weiße Tür. Vorsichtig ging sie dahin hinüber, fand hinter der Tür einen schmalen Gang. „Hallo?“

Eine Stimme erklang irgendwo weiter den Gang hinab: „Entschuldigen Sie.“ Die Stimme hatte erneut Dialekt, doch aktuell war Pakhet wacher, tat sich damit leichter sie zu verstehen.

Eine andere Tür wurde geöffnet. Licht drang in den Flur. Dann kam eine kleine, behäbig wirkende, jedoch junge Frau in den Flur gelaufen. „Entschuldigen Sie. Ich habe die Katze gefüttert.“

Pakhet bevorzugte es diese Aussage unkommentiert zu lassen, hob daher nur eine Augenbraue. „Ich … ich bin mir nicht ganz sicher, wo ich bin.“

„In meiner Wohnung“, erwiderte die Frau. „Entschuldigen Sie. Sie kennen mich nicht. Ich bin Weiwen. Meinen Nachnamen müssen Sie ja nicht wissen. Ich habe Sie zu Meister Hualong gebracht.“

Für einen Moment zögerte Pakhet. „Dann haben Sie mir mein Leben gerettet. Danke.“

„Ja. Ihr Kontakt hat mich angerufen. Wir sind so schnell gekommen, wie wir konnten. Dankbarerweise waren Sie nicht so weit entfernt.“

Pakhet nickte. Sie war sich nicht sicher, was sie sagen sollte. Es fühlte sich seltsam unwirklich an. Hier zu sein. Zu leben. Die Sonne draußen. „Haben Sie Kleidung für mich?“, fragte sie schließlich, um die Frau, die ihr gerade einmal bis zur Brust reichte, nicht mit offenen Mund anzustarren.

„Kleidung? Oh, natürlich. Wir haben Ihren Koffer mitgenommen“, erwiderte die Frau. „Und die anderen Dinge. Die Bezahlung haben wir uns schon genommen. Wenn das in Ordnung ist. 450 Yuan.“

Wieder nickte Pakhet bloß. „Ja, das ist in Ordnung. Sie …“ Sie unterbrach sich. „Wo ist mein Koffer?“

„Ich bringe ihn Ihnen“, antwortete die Frau. Ohne auf eine Erwiderung zu warten, wandte sie sich ab und verschwand in einem weiteren Zimmer.

Es waren einige Laute zu hören, als sie offenbar nach den richtigen Dingen suchte. Die vorher erwähnte Katze nutzte die Zeit, um ihrem vorherigen Raum zu fliehen. Sie kam den Gang hinaufgelaufen, huschte an Pakhets Beinen vorbei und hockte sich in den Raum.

Von dort aus beobachtete sie Pakhet und ließ ein vorwurfsvolles Mauzen von sich hören.

Pakhet starrte das Tier nur an. Sie wusste nicht wirklich, wie sie damit umgehen sollte.

Die Katze war recht groß, vornehmlich weiß, jedoch mit einem länglichen grauen Flecken am Rücken, sowie grauen Spitzen an den Ohren. Die Augen waren gelblich und selbst dann noch auf sie gerichtet, als die Katze anfing ihre Pfoten zu lecken.

„Mei“, meinte Weiwen vorwurfsvoll, als sie mit dem Schiebekoffer den Gang hinaufkam. Sie stellte sich hinter Pakhet in die Tür und schaute die Katze strafend an.

Die Katze störte sich daran jedoch nicht.

Dann drückte Weiwen Pakhet den Koffer in die Hand. „Hier. Da sollten die meisten Dinge drin sein. Die Waffen und dergleichen haben wir in eine Tüte gepackt. Auch die unter dem Bett.“ Sie strahlte Pakhet an.

Ein wenig gruselig kam die Frau Pakhet vor. In den weiten, gemütlichen Dingen sah sie nicht wie jemand aus, der in magischen oder illegalen Dingen involviert war. Doch wahrscheinlich war es nur ein Vorurteil. Dennoch ließ die weite Strickjacke, die die Frau trug, sie ein wenig wirken, als sei sie auf halben Weg zur seltsamen Katzendame.

Natürlich behielt sie diese Gedanken für sich. „Danke“, sagte Pakhet daher nur. „Ich werde mich dann anziehen.“

„Machen Sie das“, erwiderte Weiwen. „Soll ich Ihnen noch etwas zu essen bringen?“

Pakhet nickte. „Das wäre sehr nett. Danke.“

Die Frau lächelte breit. „Kein Ding.“ Dann wandte sie sich wieder der Katze zu. „Kommst du, Mei?“

Als wüsste sie ganz genau, was ihr Frauchen wollte, wandte die Katze ihr den Rücken zu und begann sich ausgiebig zwischen den Hinterbeinen zu lecken.

„Also mich stört die Katze nicht, solange es eine normale Katze ist“, meinte Pakhet.

„Ist eine sehr normale Katze“, bestätigte Weiwen.

Pakhet nickte. „Dann ist es alles okay.“ Sie wollte sich einfach nur anziehen.

„Sehr gut. Ich schaue mal, dass ich Essen besorgen kann“, meinte Weiwen und wandte sich ab.

Pakhet atmete auf und schloss die Tür, ehe sie sich dem Koffer zuwandte. Ihr war nicht ganz wohl dabei, dass die Frau und wer auch immer sie vorher begleitet hatte, die Sachen durchschaut hatten. Aber es war wohl das geringste ihrer Probleme der letzten Tage.

Sie öffnete das Schloss des Koffers, dann den Reißverschluss. Vorsichtig klappte sie den Koffer auf und zögerte. Sie atmete durch. Es war alles so surreal. Sie hatte das überlebt. Aber es fühlte sich nicht richtig an. Nein, das war es nicht. Es fühlte sich gut an, zu leben, keine Schmerzen mehr zu haben. Nur schien ihr Gehirn Probleme damit zu haben, die magische Heilung zu verarbeiten. Nicht, während es noch versuchte das Trauma der vergangenen Tage zu überwinden.

Langsam ließ sie sich auf den Boden sinken, lehnte den Rücken vorsichtig an das Bücherregal.

Das Atmen fiel ihr seltsam schwer, als ihre Gedanken zu den Ereignissen in diesem Zimmer wanderten. Verflucht. Sie hatten sie gefoltert. Sie hatten sie vergewaltigt. Sie hatte immer gewusst, dass so etwas passieren konnte, dass es zum Job dazu gehören konnte. Vor allem als Frau.

Aber sie hatte es nicht gewollt. Sie hatte Angst gehabt. Solche Angst. So viel Angst, die sie nicht hatte zeigen dürfen.

So viel Angst.

Nein. Sie durfte ihre Gedanken nicht dieses Loch hinablaufen lassen. Sie musste sich anziehen. Und dann … ja, dann was?



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Thrawni
2021-04-08T12:38:36+00:00 08.04.2021 14:38
Zunächst einmal mag ich hier besonders den Titel. Davon ab: Es ist schön zu sehen, dass Pakhet es geschafft hat, ohne bleibende körperliche Schäden davonzutragen, aber zugleich ist es einfach übel zu sehen, was das psychisch mit ihr gemacht hat. Und trotzdem muss sie erst einmal weitermachen und hat keine Chance, sich in irgendeiner Form eine Pause zu gönnen ... Uff. Der Auftrag ist noch nicht erledigt und zusätzlich gibt es jetzt noch zwei große Gefallen, die sie irgendwann erledigen muss.
Wobei ich sagen muss, dass ich es in gewisser Weise natürlich gut finde, dass du die seelischen Konsequenzen thematisierst und sie entsprechend eben nicht "okay" ist. Ich meine, ich erwarte von dir natürlich auch nichts anderes, ich meine das jetzt nur im Vergleich zu diversen anderen Geschichten, wo die Protagonist:innen auch nach traumatischen Erfahrungen schnell wieder gut drauf sind; da finde ich es halt gut, dass du dich da weit stärker auch mit den Folgen von so etwas auseinandersetzt.

Auf einer anderen Seite mag ich besonders die Szenen in der Anderswelt und auch den vorhergehenden Handel mit dem Drachen - das war wirklich magisch und mir gefällt auch das Motiv, eben für Gefälligkeiten von magischen Wesen auch eine Gegenleistung erbringen zu müssen (auch wenn ich mir wie gesagt ein bisschen Sorgen wegen der Gefallen mache).
Antwort von:  Alaiya
08.04.2021 19:04
Danke dir für den Kommentar mal wieder :D

Ja, das Trauma hiervon bleibt auch bis in Mosaik bestehen, was halt letzten Endes auch damit zusammenhängt, dass Pakhet keine guten Trauma-Coping-Machanismen hat. Sie verdrängt einfach und "gut is'", aber das hilft halt nicht das Trauma zu bewältigen.

Von den beiden großen Gefallen schuldet sie zum Zeitpunkt von Mosaik übrigens noch immer einen.
Von:  Taroru
2020-04-20T19:57:38+00:00 20.04.2020 21:57
sie wirkt so zerbrechlich.
man merkt dann so, das sie tatsächlich an ihrer vergangenheit gewachsen ist. ich hab echt respekt vor ihr, das sie das so weg steckt, und weiter macht. der wille zu leben ist echt unglaublich.
Antwort von:  Alaiya
20.04.2020 21:59
Ja, sie hat zumindest Willen. Kaum etwas so viel wie Willen.


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