Zweisamkeit
Max hielt weiterhin den Griff nach unten gedrückt und zögerte etwas, die Tür doch aufzumachen.
,Oh bitte lass ihn nicht im Zimmer sein!', dachte der Amerikaner, fasste allen Mut zusammen und öffnete dann doch die Tür. Zumindest einen ganz kleinen Spalt.
Vorsichtig streckte er seinen Kopf durch die kleine Öffnung.. das erste, was er bemerkte, war das Fenster, welches offen stand. Daneben stand der Schreibtisch, an dem Kai nicht saß.
Unsicher ließ er seinen Blick weiterschweifen und bemerkte dann die beiden Betten, die im Zimmer standen.
Auf beiden waren die Taschen von Kai und Ray abgestellt, aber irgendwie war keiner der beiden im Zimmer.
Max atmete erleichtert aus. Puh, da hatte er echt noch mal Glück gehabt! Wäre ja echt schlimm gewesen, wenn er Kai bei irgendetwas gestört hätte.
Ob er wollte, oder nicht. Dieser Russe - ganz gleich, wie lange er jetzt schon mit ihm im selben Team war - machte ihm noch immer Angst.
Er konnte dagegen tun, was er wollte, aber dieses merkwürdige Gefühl, das er immer wieder hatte, wurde er einfach nicht los. Es war auch gar nicht zu beschreiben. Angst konnte man es nicht nennen, doch irgendetwas anderes.. es musste knapp an der Grenze von Angst und noch etwas liegen.
Doch Max warf diesen Gedanken sofort wieder zur Seite. Was brachte es ihm, wenn er jetzt darüber nachdachte? Eigentlich gar nichts, denn das wichtigste war, Kai zu finden und der schien ja irgendwie verschwunden zu sein.
"Mann, kaum braucht man ihn einmal, ist er nicht da!", seufzte der Blonde laut und machte die Tür wieder zu.
Also musste er doch bis zum Abendessen warten, bis er die Antwort auf seine und Tysons Frage bekam.
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"Wir hätten den anderen etwas sagen sollen..!", bemerkte Ray. Er schaute zu seinem Freund auf, welcher einfach weiter die Straße entlang ging.
"Die verkraften das schon und bis zum Abendessen sind wir ja wieder da.", meinte Kai knapp.
Die beiden waren gerade auf dem Weg in den Park, da Kai es in diesem Appartement einfach nicht mehr ausgehalten hatte.
Zwar hatte er die Zweisamkeit mit Ray genossen, aber allein der Gedanke daran, dass die anderen ins Zimmer platzen könnten, hatte ihn dazu gebracht, ihre Zweisamkeit wo anders hinzuverlegen.
Er war nervlich eh schon komplett am Ende, da konnte er es schließlich überhaupt nicht gebrauchen, wenn ihm jemand wegen irgendetwas auf die Nerven ging.
"..Wir können ja wieder zurück gehen, nur..", murmelte Kai und sein Schritte wurden immer langsamer, bis er schlussendlich stehen blieb. Er wollte gerade weiter sprechen, als Ray ihn an der Hand nahm und herzlich anlächelte. "Ich weiß, was du meinst..", sagte er und zog Kai mit sich.
Der Russe guckte etwas bedrückt vor sich hin und schwieg den restlichen Weg, bis sie endlich im Park ankamen.
Ray steuerte auf die erstbeste Parkbank zu und setzte sich schließlich hin. Kai nahm neben ihm platz und rückte nahe an den Chinesen heran, so dass er seinen Kopf auf dessen Schulter legen konnte.
Seufzend schloss er die Augen und lächelte stillschweigend vor sich hin. Hier draußen war es zwar ein bisschen kühl, aber zu dieser Jahreszeit war auch nichts anderes zu erwarten.
"Bist aber heute verschmust..", bemerkte Ray und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Er blickte auf den Jungen neben sich herab, welchem ein paar Haarsträhnen ins Gesicht hingen.
Vorsichtig strich er sie ihm zur Seite, woraufhin Kai seine Augen langsam wieder aufschlug.
Traurig blickte er vor sich hin und legte schließlich einen Arm um Ray, um ihn noch näher an sich zu ziehen. "..Tut mir leid..", flüsterte er leise.
"Hm?", gab der Chinese nachdenklich von sich. "Was denn?" -"Das alles..", murmelte Kai.
Eigentlich hatte er vorgehabt, einfach nur still hier zu sitzen und die Zeit, die er mit Ray verbringen konnte, zu genießen!
Doch irgendwie hatten sich seine Schuldgefühle durch diese Stille noch weiter ausgebreitet.
"Wenn.. wenn wir uns nicht begegnet wären, dann wäre das alles nicht passiert.", flüsterte er leise vor sich hin und zog den Chinesen noch weiter an sich.
Dieser hingegen schwieg und schaute einfach nur vor sich hin, fixierte einen kleinen Ast, der sich im kühlen Wind, immer wieder hin und her bewegte.
"Hör auf..", murmelte Ray. "..Ich will das nicht hören..", er war gerade dabei das ganze halbwegs gut zu verarbeiten, als Kai schon wieder damit anfing.
"Nein, Ray.. Hör mir zu.", Kai hob seinen Kopf von Rays Schulter und blickte dem Jüngeren nun direkt in die Augen.
Der Chinese nickte nur.
"..Du musst nicht nach Moskau mit.", flüsterte Kai. "..Es wäre vermutlich sogar besser, wenn du hier bleibst."
"Was?", Ray schaute Kai entsetzt an. "Wieso?"
Der Russe wandte kurz seinen Blick zur Seite. Gut, und wie sollte er ihm das jetzt am besten erklären?
"Weil es so sicher das beste ist...", murmelte Kai. "Ich will nicht, dass du wieder an die ganze Sache erinnert wirst." -"Du meinst, wenn wir... Boris begegnen..?", Rays Stimme war ins schwanken gekommen, als er den Namen des Peinigers ausgesprochen hatte.
Sein Blick wurde leicht verzweifelt, fast panisch und sein Atem beschleunigte sich augenblicklich.
Er fasste sich an den Kopf und musste sich zusammenreißen, sich nicht an die Geschehnisse zu erinnern. Doch so schwer es ihm auch fiel, es blieb nicht aus.. Denn er hatte schon wieder dieses widerliche Lachen im Kopf, die Worte, die Boris gesagt hatte...
Er hätte schwören können, dass er Boris direkt vor sich sah, spürte, was dieser in jener Nacht mit ihm angestellt hatte..
Ray kniff die Augen zusammen und schüttelte hastig den Kopf, als er plötzlich an den Armen gepackt wurde.
"Ray..!", murmelte Kai, zog den Chinesen sofort her und drückte ihn fest an sich.
"Tut mir leid, ich wollte nicht..", der Russe verstummte und vergrub sanft seine Hand in Rays schwarzem Haar.
Verdammt, wie sollte Ray in Moskau damit fertig werden, wenn er hier schon beinahe zusammenbrach?
Allerdings... na ja, Kai war sich 100%ig sicher, dass sie Boris nicht begegnen würden, aber das konnte er Ray nicht sagen. Immerhin war dieser ja noch immer im Glauben, dass sein Peiniger lebte..
Er könnte und würde - wenn er noch leben täte - Ray sicher die ganze Zeit über den Weg laufen.
Boris war schließlich Talas und sein Ausbilder gewesen.. da wäre es nur zu selbstverständlich, wenn er auftauchen würde.
"Beruhig dich wieder.. er ist nicht hier..", flüsterte Kai und streichelte Ray sanft über den Rücken.
Er vernahm den stockenden Atem des Chinesen und spürte die zarten Hände, welche sich leicht in seinem Mantel vergruben.
Ray blieb einfach stumm an Kai gekuschelt sitzen, hatte noch immer sein Gesicht in Kais Halsbeuge vergraben und seine Finger in dem schwarzen Mantel, den der Russe trug.
Er spürte, wie Kai ihm zärtlich über den Rücken strich, seinen Nacken leicht kraulte und immer wieder beruhigende Worte von sich gab, so dass sich die Anspannung in Ray langsam wieder auflöste.
"..Verstehst du jetzt..?", flüsterte Kai, als er bemerkte das Rays Zittern aufgehört hatte.
Der Chinese nickte nur knapp, krallte sich aber weiter an Kai fest und dachte nicht einmal im Traum daran, ihn jetzt loszulassen.
...
"..Mr. Dickenson hat ganz schön dumm aus der Wäsche gekuckt, als er gesehen hat, dass meine Haare ab sind..", murmelte Ray nach einiger Zeit und schaute leicht lächelnd zu Kai auf, welcher ihn verwirrt anblickte.
Wie kam er denn jetzt auf das..?
"Stimmt..", flüsterte Kai nachdenklich. "..Wundert mich aber nicht. Immerhin waren sie dir ja heilig.. und das wusste jeder.", er versuchte Rays Lächeln zu erwidern und streichelte ihm zärtlich ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht, welche Rays Augen zu verdecken schienen.
Der Chinese nickte knapp und genoss Kais Berührungen in vollen Zügen, so dass er widerwillig die Umarmung löste und den Russen an der Hand nahm.
Dieser schaute ihn verwirrt an, stand aber dann auf, als Ray sich erhob und leicht an Kais Hand zog.
"Was wird das?", fragte der Russe und schaute ihn weiterhin irritiert an.
Doch Ray lächelte einfach nur und ging mit Kai zu der kleinen Aussichtsplattform, von der man eine schöne Aussicht auf die gesamte Stadt hatte.
Da es bereits Abend war, war alles in ein leichtes Dunkel gehüllt, was die Stadt etwas düster erscheinen ließ.
Das Licht der Straßenlaternen war bereits an und erhellte die teilweise finsteren Gassen..
Ray stellte sich direkt zum Geländer, zog etwas an Kais Hand und brachte ihn so dazu, sich hinter den kleinen Chinesen zu stellen.
Der Russe legte vorsichtig die Arme um Ray, fasste nach seinen Händen und hielt sie fest. Seinen Kopf lehnte er an Rays und blickte mit ihm über die Stadt, welche bald schlafen würde.
"..Wolltest du mir das zeigen?", flüsterte der Russe in Rays Ohr.
Doch als Antwort erhielt er nur ein leises Seufzen. Der Chinese lehnte sich an Kai und lächelte vor sich hin.
Die Stille hier oben war viel zu angenehm, als das er sie durch Worte brechen wollte.
Denn eines war für Ray klar. Auch wenn Kai ihn darum bat, nicht nach Moskau mitzufliegen.. er würde es trotzdem tun.
Immerhin konnte er Kai nicht einfach alleine lassen.. Nicht nach alle dem, was passiert war. Dazu liebte er ihn zu sehr und die Tatsache, dass sich Kai allein seiner Vergangenheit stellen sollte, konnte er nicht billigen.
Schließlich hatte der Russe ihm erzählt, was sein Großvater mit seinen Eltern gemacht hatte.. und auch so, ohne diese Details, würde er Kai nicht gehen lassen.
Entweder sie gingen beide zu dieser Beerdigung oder gar keiner. Doch da Kai so viel an Tala zu liegen schien, würde er sich beugen und mit ihm gehen. Selbst wenn das hieß, dass er sich mit Boris auseinander setzen musste...
Vielleicht hatte er ja Glück und er würde ihm nicht begegnen? Die Hoffnung durfte er zumindest nicht aufgeben und solange Kai bei ihm war, war er sich sicher, dass er so gut wie alles ertragen könnte..
"Wenn wir zurück sind..", flüsterte Ray plötzlich und brach schließlich doch diese angenehme Ruhe.
Kai gab ein "..Hm..?", von sich und zog den Chinesen noch etwas fester an sich, da es langsam aber sicher doch ziemlich kühl wurde.
"..dann werd' ich uns etwas kochen. Nur für uns beide, ja?", Ray hatte sich in Kais Umarmung umgedreht und lächelte den Russen nun an.
Dieser konnte es nur erwidern und strich Ray zärtlich über die Wange.. ließ seine Fingerspitzen nur sachte über die Haut des anderen gleiten..
Es waren keine Worte von Nöten, um Ray klar zu machen, dass Kai damit einverstanden war. Dieses Lächeln sagte alles.
"...Ich liebe dein Lächeln..", musste der Chinese leicht verlegen zugeben, woraufhin er etwas beschämt zur Seite sah.
"Ach ja?", flüsterte Kai überrascht, zog Ray mit sanfter Gewalt noch näher an sich heran und legte sanft seine Hand unter sein Kinn.
Ray nickte nur schwach und blickte seinem Gegenüber tief in die Augen.. es war, als würde er in diesem wunderschönen rubinrot versinken..
Der kleine Chinese spürte wieder diese warme Hand, welche ihm über die Wange und einige störende Haarsträhnen zur Seite strich. Er schloss genießerisch die Augen und lächelte stillschweigend vor sich hin..
Es war wirklich ein wunderbares Gefühl, Kai so nah zu sein. Dieses Gefühl ließ ihn alles um sich herum vergessen, all seine schrecklichen Erinnerungen, die er in letzter Zeit erlebt hatte.. all diese negativen Gedanken, Zweifel und sonst alles, was ihn beschäftigt und einfach nicht mehr in Ruhe gelassen hatte..
Kai musste bei diesem Anblick lächeln.. Ray sah einfach zu niedlich aus, wenn er die Augen geschlossen hatte und vor sich hinlächelte.
Es verursachte in dem Russen ein angenehmes Kribbeln im Bauch, fast so, als wären es Schmetterlinge, die wie wild in ihm herumflatterten.
Jedes mal, wenn er dieses entspannte Lächeln sah, war es, als hätte er sich von neuem in Ray verliebt.. wollte immer bei ihm sein und ihn nie mehr loslassen..
"..Ich liebe dich..", flüsterte Kai, legte die Hand, die Ray vorhin noch über die Wange gestreichelt hatte, wieder unter sein Kinn und hob es ein Stückchen hoch.
Er selbst senkte seinen Kopf ein klein bisschen, schloss die Augen und fast schon zitternd versiegelte er Rays Lippen mit den seinen...
