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Wilder Mohn

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Herzlich willkommen zu meiner neuen Inu Yasha FF. Wie ihr bemerken werdet, wechselt der Erzählstil hin- und wieder zwischen Ich-Stil und auktorialem Stil. Das ist ein Experiment, auf das ich mich ganz bewusst eingelassen habe, weil ich es einfach in diesem Fall als passend empfinde – gerade bei Bankotsus Emotionen in Bezug auf seinen Tod.
Wenn ich in den Ich Stil wechsele, dann schreibe ich ausschließlich aus Bankotsus Sicht, eine Ich-Pov von anderen Charakteren wird es nicht geben. Später wird jedenfalls der Schwerpunkt definitiv auf dem auktorialen Stil liegen. Komplett anzeigen

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Bankotsu

Ich starb. Zweimal. Das erste Mal kostete mich der Hochmut das Leben. Und das meiner Brüder. Ich habe sie sterben sehen. Jeden von ihnen. Als ihre leblosen Körper in den Schnee bluteten, da stand ich noch. Und ich weinte mit erhobenem Haupt. Ich habe nie geweint in meinem Leben.

Mit meinem letzten Atemzug hab ich sie verflucht, die Daimyo, die verantwortlich für diesen Hinterhalt und mich selbst, der ich so hochmütig gewesen war, diese Falle nicht als solche zu erkennen.

Ich hörte ihren Spott, ich spürte ihre Häme. Die Fürsten, die sich seit jeher gegenseitig bekriegten hatten dank der Shichinintai nun das Kriegsbeil begraben.

Was für eine Ironie. Was für eine Tragödie.

Man hätte uns Monster nennen können. Doch den Krieg, den hatten wir nicht erfunden, wir hatten ihn uns nur zunutze gemacht.

Als ich sterben sollte, da brach der Himmel auf. Er war strahlend blau. Bei allem, was mir heilig ist, ich habe nie in meinem Leben oder danach einen schöneren Himmel gesehen.

Die Sonne blendete, doch ich schloss meine Augen nicht, sie tränten. Ich atmete ein letztes Mal das Leben und spürte den Puls, der mich trieb.

Ich empfand Reue. Aber nicht wegen den Dingen die ich getan hatte. Sondern wegen denen, die ich nicht getan hatte.
 

Als der Hanyō Naraku mich aus dem Totenreich zurückholte, da war das erste, an das ich mich erinnerte, das Sirren des herabsausenden O-Katana.

Es ging mir gehörig gegen den Strich, mich dem Willen dieser widerwärtigen Halbkreatur zu beugen. Aber ich hatte keine Wahl.

Wobei, das ist nicht ganz richtig. Ich hätte eine Wahl gehabt. Die Wahl zwischen sterben und leben.

Die Samurai mögen große Reden schwingen von Stolz und Ehre und lieber aufrecht stehend sterben als auf Knien leben, während sie sich heißen Sake servieren lassen und das Gesicht zwischen den Brüsten einer drallen Frau vergraben. Ich habe schon so viele von ihnen getötet und ich sage, keiner von ihnen hielt diesen Schwur im Angesicht des nackten Todes aufrecht. Das Leben weiß man erst zu lieben, wenn man es verloren hat.

Es war zugegebenermaßen einfältig von mir, zu glauben, gegen etwas wie diese Kreatur, die uns zurück ins Leben geholt hatte, etwas ausrichten zu können.

Ich weiß noch, wie mein Weg den der untoten Miko kreuzte, wir uns den Schwur gaben, so lange wie möglich am Leben zu bleiben.
 

Dann starb ich ein zweites Mal. Und alles, was mir dabei blieb, war Jakotsus Jadehaarspange, die ich ihm irgendwann einmal zum Geschenk gemacht hatte.

War das wirklich mein Leben? Es fühlte sich fremd an und alles in mir so kalt. Diesmal gab es keine Sonne, niemanden, den ich verfluchen konnte. Diesmal gab es nur Einsamkeit und das große, endlose Nichts nach dem Sterben.
 

Und dann. Ist irgendetwas passiert. Ich weiß nicht, was es war. Da war Wärme die ich spürte. Und es war die Wärme meines eigenen lebenden Körpers. Ich blickte zum Himmel. Und sah Sterne. Spürte Wind meinen nackten Körper streicheln und taufeuchtes Gras unter den Füßen. Als ich wieder ins Leben zurückkehrte, wurde ich also von dieser lauen Nacht empfangen. War sie lau? Oder doch kalt? Und wusste nicht, wer ich war und wo ich war und was ich getan hatte, dass man mir diese unendliche Gnade gewährte.

Ich spürte ein Lächeln mein Gesicht verzerren und gleichsam die bittersten Tränen, die ich jemals geweint hatte. Ich lebte. Ich. Lebte.
 

Als ich die ersten Schritte wagte, war es Laufen lernen. Es war Freiheit und gleichsam fühlte ich mich so verloren. Nackt und nass, alleine mit meinen verschwommenen Erinnerungen irgendwo in der Wildnis.

Mit Fingerspitzen tastete ich nach der Narbe auf meiner Stirn, die mit Tattoofarbe einst zu einem Stern gemalt worden war. Sie war noch da.

Meine Beine fühlten sich schwach an. Doch ich ging. Irgendwohin. Irgendwo musste ich ja hin. Musste ich das? Ich hörte bald die Vögel des Morgens. Ich fror. War es Herbst? Oder Frühling? Oder war gerade der Winter zu Ende, in dem ich gestorben war? Wann hatte ich mich das letzte Mal so verloren gefühlt? Wann hatte ich das letzte Mal überhaupt etwas gefühlt?
 

Irgendwann bemerkte ich Feuerschein in der Ferne. Ging darauf zu. Kleine Ziele. Meine Füße waren taub. Mein ganzer Körper fror. Ich erkannte bald ein Heerlager. Mit verschwimmendem Blick. Verschwendete keinen Gedanken, was geschah, wenn man mich erkannte.
 

Man bemerkte mich irgendwann. Eine schroffe Stimme erreichte mich. Aber ich blieb nicht stehen. Sie erklang erneut. Ich sah auf. Zwei Soldaten waren an mich herangetreten. Sie sprachen irgendetwas miteinander. Gefährlich sah ich in diesem Moment offensichtlich nicht gerade aus.

„Was ist hier los?“, durchdrang eine Stimme ihre Worte. Eine vertraute Stimme. Eine Stimme, die ich irgendwann vor meinem ersten Tod gekannt hatte. Eine Stimme, die ich gekannt hatte, noch bevor ich Bankotsu wurde.

„Herr… dieser Junge tauchte hier plötzlich auf … mit nichts am Leib und blaugefroren, wir wissen nicht…“

„Geht zur Seite. He Junge!“, wurde ich forsch angesprochen, gefolgt von einem groben Griff um die Oberarme. Ich hob den Blick. Dunkle Augen musterten mich, ein markantes Gesicht, das mich an jemanden erinnerte. Der Mann starrte mich an. Starrte mir in die Augen. Erbleichte dann aus irgendeinem Grund.

„Takeshi?“, presste er heiser hervor, „Takeshi? Bist du das? Wie ist das…“

Takeshi? Wie konnte er meinen Namen kennen? Meinen bürgerlichen Namen, den ich zugunsten eines Lebens in gesetzlicher Grauzone abgelegt hatte.

Ich konnte nicht antworten. Als hätte ich vergessen, wie man spricht. Der Mann strich mir ungläubig über die Wange und zwang mich dann, den Kopf zu neigen, damit er mir in die Augen sehen konnte. Kalter Stahl von Rüstung streifte meine Haut.

„Segawa-sama?“, meldete sich einer der Soldaten unsicher zu Wort. Der Mann wandte ruckartig den Kopf, ohne mich los zu lassen und befahl: „Schickt sofort nach dem Lazarettarzt. Er ist vielleicht unterkühlt und soll auf Verletzungen untersucht werden.“

Er wandte sich wieder zu mir und öffnete den Mund. Doch ich konnte seine Worte nicht mehr verstehen, denn Schwärze rahmte Blick und Gehör ein.

 

~*~
 

Schon zum gefühlt hundertsten Mal rieb Segawa Hideo sich die Nasenwurzel. Eine Geste, deren Ursprung im Wechsel zwischen Stress und Unglauben lag. Als er durch seine Soldaten auf den jungen Mann aufmerksam wurde, hatte er zunächst damit gerechnet, es handele sich um eine neue Strategie des verfeindeten Daimyo, sie zu infiltrieren, auszuspionieren, was auch immer sich Hashimoto Hanzo nun schon wieder ausgedacht hatte.

Diesen Gedanken hatte er jedoch recht bald verworfen als er ihn gesehen hatte. Vollkommen nackt, blass, blaugefroren und eiskalt. Das lange Haar wirr den Körper umtanzend wie zerfetzte Loden.

In der Morgendämmerung war es schwer gewesen, etwas Genaueres zu erkennen, aber als der erste Sonnenstrahl den Himmel durchwirkt hatte, hatte er das Blau gesehen.

Er hatte in die strahlend blauen Augen seiner Mutter gesehen, aber seine Mutter war tot. Seine Mutter und der einzige aus seiner Familie, der ihre Augen gehabt hatte. Das wusste er so genau, weil er dabei gewesen war, als man seinen kleinen Bruder Takeshi, zu dem Zeitpunkt längst bekannt als Bankotsu, Anführer der Shichinintai, den gefürchtetsten Söldnern des Landes im Alter von 18 Jahren hingerichtet hatte. Damals noch als kleiner unbedeutender Soldat unter dem Daimyo Hattori. Mittlerweile aufgestiegen zum ersten General seiner Garnison.

Er war dabei gewesen. Er hatte gesehen, wie man erst den anderen sechs und zuletzt Takeshi den Kopf mit einem O-Katana abgeschlagen hatte. Er erinnerte sich so genau daran. An das feine nasse Geräusch. An das Geräusch als der Körper leblos in den Schnee fiel und ausblutete.

Takeshi hatte ihn nicht erkannt während dieser ganzen Zeit. Seit jenem Tag waren Schuldgefühle Hideos ständige Begleiter. Schuldgefühle, Reue. Auch wenn er wusste, dass er niemals etwas hätte tun können ohne sein eigenes Leben zu verwirken.
 

„Segawa-sama?“

Die Stimme des Lazarettarztes riss ihn aus seinen Gedanken.

„Verzeihung“, fügte der ältliche Mann hinzu als er sein Zusammenzucken bemerkte. Hideo winkte ab.

„Ich bin fertig mit meiner Untersuchung. Wie es aussieht hat er keine inneren Verletzungen – er ist lediglich etwas unterkühlt, weder unterernährt, noch fiebrig, offensichtlich nur sehr erschöpft.“

„Und der Hals?“

„Herr?“

„Habt Ihr irgendwelche Wunden oder Narben … irgendwelche Verletzungen an seinem Hals bemerkt?“

Der Arzt blinzelte verwirrt. „Nein, Herr. Nicht einmal ein blauer Fleck.“

„Ich verstehe das einfach nicht…“, murmelte Hideo kopfschüttelnd und trat näher an das Feldbett heran auf den man seinen kleinen Bruder – so er es denn war und kein unglaublich überzeugender Doppelgänger – gebettet hatte. Sein Blick glitt über dessen Züge, suchte einen Unterschied, etwas, das bewies, dass er es NICHT war. Aber er fand keinen.

„Herr?“

„Ihr könnt Euch zurückziehen.“

Der Arzt nickte und verneigte sich, ehe er still das Zelt verließ. Hideo ließ sich auf einem Stuhl neben dem Krankenlager nieder, während ein Diener Wein brachte.

Takeshi wirkte keinen Tag gealtert. Keinen einzigen. Er sah aus wie an dem Tag als der Himmel aufbrach und ihn und seine Brüder verschlang. 17, höchstens 18 Jahre alt.

„Das kann einfach nicht sein“, sagte er abermals zu sich selbst. Ob da Götter ihre Hände im Spiel hatten? Dämonen? Es musste einfach irgendeine Erklärung geben.
 

Plötzlich war es ihm gleichgültig, was Takeshi getan hatte. Er war sein kleiner Bruder. Und vielleicht hatte nicht Takeshi ein zweites Leben bekommen. Vielleicht hatten die Götter Hideos Gebete um die Gnade auf Wiedergutmachung erhört…

 

~*~
 

Man gab mir Kleidung und einen Diener an die Seite, der nicht sehr viel älter war als ich selbst. Offensichtlich hatte man die Hoffnung, dass er mich zum Sprechen bringen konnte.

Während er mir stundenlang das Haar kämmte, bis es wieder in sanften Wellen schwer über meinen Rücken fiel, redete er. Er redete. Und redete. Und redete. Aber zum Reden brachte er mich dabei nicht. Ich konnte nicht. Ich hatte meine Sprache vergessen. Hatte Furcht, ein einzelnes Wort vermochte es, alles wieder zu zerstören. Oder was auch immer es war. Aber ich konnte nicht.

Aber ich erfuhr einiges. Zum Beispiel, dass man nun das Jahr 1494 schrieb. Etwas mehr als zehn Jahre nach meiner Hinrichtung. Ich weiß nicht wie lange nach meinem zweiten Tod. Zehn Jahre, die in meinem Leben nicht existierten. Ich erfuhr, dass das Bündnis der zehn Heere, geschlossen um die Shichinintai zu vernichten im ganzen Land als legendär galt. Erfuhr, dass drei der zehn Daimyo tot waren. Blieben noch sieben. Wie treffend. Ich wusste, ich sollte sie suchen, meinen und den Tod meiner Brüder rächen. Aber ich war müde. So unendlich müde.

Mein Bruder, offensichtlich nun oberster General unter einem der Daimyo, die die Verantwortung trugen, hatte Familie. Eine Frau, zwei Söhne, eine Tochter. So hatte er schlussendlich doch bekommen, was er wollte.
 

Ich weiß nicht, wie viele Tage ich in dem Heerlager war, doch irgendwann kam Hideo zu mir.

„Wir brechen auf. Ich habe mir Gedanken gemacht, was mit dir geschehen soll und beschlossen, dass du vorerst bei meiner Familie leben wirst. Alles Weitere wird sich zeigen.“

Er suchte meinen Blick, erwartete irgendeine Reaktion. Ich nickte, zum Zeichen, dass ich ihn verstanden hatte. Im Grunde war es mir egal. Irgendwo musste ich ja hin. Irgendwo musste ich bleiben, bis … ja, bis was?

Wir brachen am nächsten Morgen auf, man gab mir ein Pferd. Ich erinnerte mich daran, wie sehr ich den Geruch von Stall und Pferden als Knabe immer gemocht hatte. Und wie mir unser Rittmeister den Umgang mit den Tieren beigebracht hatte. Wie fern das nun alles war. Wie kalt.

Der weiche Gang des Tieres wirkte einschläfernd.

„Ich glaub, das Sonnenlicht tut Euch gut, Herr!“

Mein Diener war an meine Seite geeilt. Und machte sich wie auch sonst nichts daraus, dass ich ihm nicht antwortete. Ich hatte mir nichtmal seinen Namen gemerkt. Tatsuha? Takao? So etwas in der Richtung mochte es wohl gewesen sein. Es war Frühling. Als ich starb, da war es Winter. Das zweite Mal … ich weiß es nicht. Kalt war es noch. Wie hatte ich vor wenigen Tagen nur stundenlang nackt durch die Gegend irren können ohne mir eine Lungenentzündung zuzuziehen?
 

Wir waren eine Woche unterwegs. Hideo brachte mich zu seinem Haus.

„Meine Gattin, Chiyo.“

Die kleine Frau mit den warmen Augen verneigte sich zur Begrüßung. „Es ist mir eine Freude“, sagte sie.

„Ich hoffe, Ihr werdet Euch hier zuhause fühlen können.“

„Mein Sohn Heiji, er ist zehn und… Kenji, sechs Sommer alt…“

War es ein Zufall, dass die Knaben dieselbe Zahl an Jahren trennten wie Hideo und mich? Der Jüngere sah mich sehr neugierig an, der Ältere eine Spur misstrauisch. Sein Blick war scharf. Erinnerte mich unangenehm an meinen Vater.

„Meine Tochter Minako, 14 Sommer…“

Das Mädchen hielt den Blick gesenkt, verneigte sich, ebenso wie die Mutter es getan hatte. Sie sah auf und öffnete die Lippen um etwas zu sagen, doch ein strenger Blick ihres Vaters hinderte sie daran.
 

Hideo verabschiedete sich bald und man gab mir ein äußerst komfortables Zimmer.

„Wenn Ihr etwas braucht, bitte zögert nicht, Euch an mich zu wenden… Hideo ist so glücklich, dass Ihr am Leben seid, also bin ich es auch…“

Ich nickte und sie schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln. „Ihr seht ausgezehrt aus. Vielleicht legt Ihr Euch ein Weilchen hin und ich werde dem Gesinde auftragen, Euch ein Bad zurecht zu machen…“

Heißes Wasser, das klang wie die Erinnerung aus einem Traum. Und vielleicht vertrieb es ein wenig die Kälte in mir. Müdigkeit zerrte mich herab. Es war still. So herrlich still in diesem Haus und als die Schiebetüre sich hinter mir schloss, da war ich allein. Sah die Sonne draußen vor dem Fenster untergehen und fragte mich, was wohl aus meinen Brüdern geworden war. Jakotsu, Renkotsu, Suikotsu, Mukotsu, Kyokotsu, Ginkotsu. War es ihnen wie mir ergangen? Waren sie auch am Leben? Oder hatte die Gnade nur mir gegolten? Renkotsu war ein Verräter. Verschlagenheit war schon immer sein ständiger Begleiter gewesen. Oder aber war es am Ende gar nicht seine Schuld? Waren es nicht die Juwelensplitter und der Hanyō, die Zwietracht gesät hatten? Ich sehnte mich nach Worten. Renkotsus Verstand war messerscharf gewesen.

Vielleicht hätte er eine Erklärung gehabt für das alles. Und Jakotsu… seine Integrität war beispiellos. Immer gewesen. Ich sehnte mich plötzlich nach der sich überschlagenden fröhlichen Stimme, dem zauberhaften Lächeln, den Armen, die mich aus jeder Schwermut gezerrt hatten, seinem schwingenden Gang und sogar seiner Naivität, die mir zu Lebenszeiten regelmäßig den Blutdruck in die Höhe getrieben hatte und der Art mir fünf Dinge gleichzeitig zu erzählen.

Ich weiß, dass ich seine Liebe immer hatte. Er war Freund, Vertrauter und auch von Zeit zu Zeit Geliebter.

Keiner von uns hatte sich einsam gefühlt. Nie, wenn wir zusammen gewesen waren. Aber jetzt fühlte ich mich einsam. Ich fürchtete die Nacht. Ich fürchtete die Wahrheit.

 

~*~
 

„Minako O-Nee-chan schleicht immer um Takeshi-sans Zimmertüre herum!“

„Sei still, das ist doch gar nicht wahr!“, fuhr die große Schwester dem Jüngsten über den Mund und machte Anstalten den einzufangen, weil der ihr eine lange Nase zeigte, ein Blick von Chiyo jedoch genügte.

„Neugier ist keine Zier, Minako“, schalt Chiyo milde, die Augen auf den Stoff geheftet, den sie gerade bestickte. Minako streckte ihrem kleinen Bruder die Zunge raus und räusperte sich dann.

„Wir wissen doch gar nichts von ihm, Haha-ue. Ich finde ihn gruselig. Seine Augen sind wie tot, es ist beinahe als … ja als starre er durch einen hindurch.“

Es schüttelte sie ein wenig.

„Wir wissen nicht, was er erlebt hat“, erwiderte Chiyo sanft ohne von ihrer Stickarbeit aufzusehen, „Es ist gut möglich, dass der Dämon des Krieges seine Zunge gelähmt hat. Wir sollten ihm Zeit geben.“

Minako biss sich einen Moment auf die Unterlippe, nachdenklich, und tat es ihrer Mutter dann gleich, indem sie das eigene Stickzeug wieder aufnahm. Der blasse schmale Mund verzog sich unzufrieden. An die Fertigkeiten ihrer Mutter war sie nie herangekommen.

„Darf ich ihm später ein paar von Ami-sans süßen Bohnenmocchi bringen? Vielleicht krieg ich ihn ja zum Sprechen.“

Chiyos linke Augenbraue wanderte in die Höhe. Irgendwie beschlich sie das ungute Gefühl, dass ihre Tochter etwas mehr Interesse für ihren Onkel hegte, als sie sollte.

Sie wollte schon eine Zustimmung erteilen, doch dann fiel ihr etwas Besseres ein.

„Deine Idee ist wirklich wundervoll, Minako. Doch ich werde das selbst übernehmen. Masao!“, rief sie nach ihrer Dienerin, die dezent neben der Türe die Befehle ihrer Herrin erwartete und ignorierte dabei das enttäuschte Gesicht ihrer Tochter.
 

Etwa eine Stunde später begab Chiyo sich, gefolgt von den trippelnden Schritten ihrer Dienerin zu den Räumlichkeiten ihres Schwagers.

Sie ließ anklopfen und sie dann die Türe aufschieben und hinter sich wieder schließen. Da Takeshi ja nicht sprach, war eine Antwort zu erwarten sinnlos.

Er saß an der gepolsterten Fensterbank. Seine Hände ruhten schlaff in seinem Schoß, der Blick trübe aus dem Fenster gerichtet. Er sah nicht einmal auf als sie näher kam.

„Ich habe süße Bohnenmocchi für Euch. Die sind eine Spezialität unserer Köchin, Ihr solltet sie versuchen“, begrüßte sie ihn sanft und stellte das Tablett mit den Köstlichkeiten dann auf einem flachen Beistelltisch ab. Kam dann näher und ließ sich in gebührendem Abstand zu ihm nieder. Das Blau der Augen wanderte träge in ihre Richtung. Einen Moment trafen sich ihre Blicke und hätten gegensätzlicher nicht sein können. Wärme und Kälte.

„Er sagt, Ihr habt die Augen Eurer Mutter“, begann sie nach einer Weile der Stille und folgte seinem Blick hinaus. „Das hat er mir all die Jahre gesagt… Takeshi-san, er hat um Euch getrauert.“

Das Letzte war sehr leise. Und sie rechnete auch gar nicht mit einer Antwort.

„Euch geschieht hier nichts. Ihr steht unter seinem Schutz. Der Daimyo hält große Stücke auf sein Wort.“

Und dann … erklang seine Stimme. Erstaunlich klar und ruhig in Anbetracht der Worte, die sie sprach.

„Er hat getrauert.“ Bankotsu sah Chiyo in die Augen. Sah Erstaunen darin, Erleichterung, aber auch ein bisschen Furcht.

„So sehr getrauert, dass er zum General aufstieg im Heer eines der Daimyo, die seinen Bruder in eine Todesfalle gelockt haben. So sehr hat er getrauert.“

„Das ist eine Sache zwischen ihm und Euch. Aber ich bin sicher, wenn Ihr in Euch geht, dann werdet Ihr ihn verstehen können… gebt ihm die Möglichkeit auf Wiedergutmachung. Und um Eurer selbst Willen… sucht nach der Wahrheit. Ihr seid nicht ohne Grund wieder am Leben.“

Sein Kopf ruckte herum. Die Blicke trafen sich erneut, doch war seiner längst nicht mehr so kalt. Seine Lippen waren leicht geöffnet und er schüttelte sacht den Kopf. Wie vor Unglauben.

„Ich weiß nicht wie“, brachte er hervor, „ich weiß einfach nicht … wie…“

Sie war näher an ihn herangerutscht. Schenkte ihm ein wärmendes Lächeln. Und gab ihm plötzlich den Hauch eines Gefühls von Zuhause sein.

 

~*~
 

„Es ist erfreulich, dass du wieder sprichst“, brach Hideo nach einer Weile das Schweigen. Nachdem er zurückgekehrt war, hatte er Takeshi um einen Ausritt gebeten. Es gab vieles über das sie wohl sprechen mussten, zu viel, über das zu lange geschwiegen worden war.

Und das Wetter war herrlich.

Es war ein schöner Spätsommermorgen und die Pferde trotteten munter vor sich hin.

„Mh“, kam es von Takeshi, der sonst nichts zu antworten wusste.

„Gefällt dir das Pferd?“

„Was soll diese Frage?“

„Gefällt es dir?“, wiederholte der Ältere geduldig.

„Es hat einen guten Gang. Zumindest tut einem der Arsch nicht weh, wenn man länger nicht auf einem Gaul gesessen hat.“

Hideo lachte, „Kaum zu glauben, dass du mal ein Sohn aus gutem Hause warst.“

Takeshi lächelte schwach, aber auch Hideo sah, dass es mehr angestrengt wirkte als echt. Und das tat ihm leid.

„Nein, es … es ist ein wundervolles Tier. Hast du es aus der kaiserlichen Zucht?“

Hideos Blick ruhte einen Moment auf ihm, dann nickte er.

„Ja. Und ich wollte es dir schenken.“

Sie waren an einem Hügel angelangt, von dem aus man wundervoll das grüne Tal überblicken konnte. Takeshi zügelte das Pferd und sah eine Weile in die Ferne.

„Was soll das alles, Hideo?“, wollte er dann wissen ohne ihn anzusehen.

„Du nimmst mich bei dir auf, du schenkst mir ein Pferd von dessen Wert eine bürgerliche Familie ein ganzes Jahr leben könnte. Aber mein Leben, das wolltest du mir nicht retten.“

Es klang nicht einmal vorwurfsvoll. Es klang müde und matt.

„Ist das dein Versuch, dein eigenes Gewissen zu beruhigen, oder liegt dir wirklich etwas an mir?“

Hideo folgte seinem Blick in die Ferne.

„Beides“, gestand er dann.

„Als wir Knaben waren und als Tanaka sich für dich entschied als seinen Schüler… du weißt, wie sehr mir mein lächerlicher Stolz da im Wege stand.“

„Hideo, wir haben uns nie gemocht, das lag nicht nur an Tanaka“, erwiderte Takeshi daraufhin spöttisch und warf einen schiefen Blick in Richtung seines Bruders.

Der jedoch schüttelte den Kopf. „Ich war der Ältere, ich hätte es besser wissen müssen. Komm, lass uns weiter, es gibt da einen Ort, den ich dir zeigen möchte.“

Den nächsten Teil der Strecke verbrachten sie schweigend. Er führte einen steinigen, steilen Pfad hinauf und sie brauchten alle Konzentration. Als der Weg sich wieder in die Gerade und Breite zog, schloss Takeshi zu Hideo auf und der sagte dann:

„Was ich vorhin noch sagen wollte… Er hat mich fortgeschickt… Vater meine ich … erinnerst du dich an den Tag an dem ich dir den Verdacht äußerte, er habe mit Dämonen paktiert?“

Takeshi nickte. Wie hätte er das je vergessen können? Es war das letzte Mal, dass er mit seinem Bruder gesprochen hatte.

„Vater schickte mich zu Hattoris Heer. Sagte, ich sei nun alt genug, aber in Wirklichkeit… glaube ich, es war der letzte Moment klaren Gedankens, den er fassen konnte. Er wollte mich retten. Er ließ keinen Widerspruch zu und ich … ich bin gegangen. Und habe die Sünde des Verrats mit mir genommen. Als ich zurückkehrte, war es zu spät. Ich habe nichtmal mehr ihre Leichen gesehen, nur die Männer, die dafür zuständig waren, sie fortzuräumen. Man sagte mir, sie hätten dich fliehen sehen… sie hielten dich für den Mörder.“

„Das weiß ich, Hideo.“

„Ich schwieg.“

„Auch das weiß ich.“

„Kannst du mir verzeihen?“

Takeshi schwieg. Vergebung.

 

~*~
 

Er bat mich um Vergebung? Konnte ich ihm die geben? Konnte ich mir selbst vergeben?

 

~*~
 

„Du hast nicht gesehen, was ich gesehen habe, Hideo. Das, was nach ihrem Tod kam. Die leeren vor Insektenlarven wimmelnden Augenhöhlen unserer Mutter. Sie starrte mich an, Nacht um Nacht und sie sagte kein Wort, doch sie war voller Anklage. Als ich das Haus betrat, rutschte ich beinahe im Blut unserer Schwestern aus und ich spüre es noch immer an meinem Körper. Ich habe meinen Vater getötet, weil du nicht da warst, um es zu tun. Würdest du es vergeben? Könntest du?“

Es hatte nicht vorwurfsvoll geklungen. Und einen Moment als er sich seinen kleinen Bruder so betrachtete, fragte er sich, wer von ihnen beiden der Ältere war und wer der Jüngere.

„Ich weiß es nicht“, gestand er dann schlicht. Und wusste, er hätte da sein müssen. Er hätte Takeshi beschützen müssen. Dann wäre vielleicht kein Mörder, kein Söldner, kein herzloses, von Alpträumen getriebenes Monster aus ihm geworden. Dann wäre er nicht vielleicht viel zu früh gestorben und sein Leben hinge nicht an einer Macht, die sich keiner erklären konnte.
 

Sie ritten eine Weile schweigend nebeneinander her. Aber es war kein beklemmtes Schweigen, kein anklagendes. Es war einfach Schweigen.

„Dort“, meinte Hideo irgendwann und ließ das Pferd die letzten paar Schritte gehen, bis sie nah einer Schlucht zum Stillstand kamen. Takeshi zügelte sein eigenes Tier kurz darauf. Es war windig hier oben. Einzelne feine Strähnen, die sich aus seinem Zopf gelöst hatten peitschten ihm wirr ins Gesicht. Mit einer Hand wischte er sich den Pony aus der Stirn und folgte Hideos Blick. Und schwieg. Sie waren weit in den Bergen mittlerweile und hatten auf einer Anhöhe Rast gemacht, von der aus man das ganze Tal überblicken konnte. Die Sonne lag golden auf den Wipfeln der Bäume, deren Spitzen noch hauchfeine Frostkristalle trugen. Ein fast magisches Glitzern ging von ihnen aus. Es wirkte friedlich. Nur der gelegentliche Schrei eines Falken durchdrang wiederhallend die Weite oder das leise Schnauben von einem der Pferde.

Und Takeshi verstand auch ohne Erklärung, warum Hideo ihm diesen Ort hatte zeigen wollen. Frieden. Ruhe. Dinge, die man in einer Welt aus Krieg und Tod gerne mal vergaß. Wann hatte er zum letzten Mal so empfunden? Plötzlich dachte er an Minakos rosige zu einem Spalt geöffnete Lippen, ihren wachen, immer leicht spöttischen Blick und eine verloren geglaubte Sehnsucht durchpulste ihn für einen kurzen Moment.
 

„Ich habe mit Daimyo Hattori gesprochen“, durchbrach Hideos Stimme irgendwann die Stille. Und als Takeshi nichts darauf erwiderte: „Ich habe sehr lange mit ihm gesprochen. Er bietet dir Anonymität und eine hochrangige Stellung in seinem Heer, wenn du ihm dafür die Treue schwörst.“

Ein trockenes Lachen erhielt er daraufhin zur Antwort. „Ist das dein Ernst, Hideo?!“

„Schon gut, es war nur ein Vorschlag. Ich dachte mir schon, dass du nicht begeistert sein wirst. Aber du solltest längerfristig denken. Was willst du jetzt tun? Willst du weitermachen, wie vor deiner Hinrichtung? Weiterhin als Gesetzloser leben?“

„Das habe ich nie gesagt“, erwiderte Takeshi gereizt, „Ich halte es nur für mehr als geschmacklos, mir anzubieten, einem derjenigen zu Diensten zu sein, der diese hinterhältige, feige Falle mit zu verantworten hat!“

„Es ist eine Möglichkeit“, erwiderte Hideo, nicht minder gereizt, „außerdem bist du gerade recht unreflektiert, meinst du nicht? Die Falle mag feige gewesen sein, aber war das Handeln der Daimyo wirklich so wenig nachvollziehbar?“

Takeshi zog sein Pferd an den Zügeln herum und trieb es an.

„Fang grad DU mir nicht mit Moral an, Hideo!“, fauchte er – Hideo trieb sein Pferd soweit an, dass er ihn erreichte und versperrte ihm den Weg. Er wirkte wütend und einen Moment fragte Takeshi sich, ob er nicht überreagiert hatte.

Dann jedoch überraschenderweise glätteten sich Hideos Züge. „Wir müssen nicht weiter darüber sprechen. Denk einfach darüber nach. Hattori fürchtet dich nach wie vor, ich muss dir nicht sagen, wie du das für deine Ziele verwenden kannst.“

Dafür erntete er einen überraschten Blick, Worte fielen jedoch keine mehr darüber. Und Bankotsu dachte nach.
 

„Was denkst du?“, wollte Hideo nach einer Weile des Schweigens versöhnlich wissen. Sie waren inzwischen nicht mehr allzu weit von Zuhause entfernt. Takeshi antwortete nicht sofort. Dann wandte er sich zu seinem Bruder um mit einem herausfordernden Lächeln.

„Ich denke, dass mein Pferd zuhause sein wird, ehe deins erst losgelaufen ist!“

Damit gab er seinem Ross die Zügel, welches schnaubte und schließlich los galoppierte, während der Ältere ihm verblüfft hinterher sah. Früher, ja, da hatten sie sich in allem einen Wettstreit geliefert. Einen Moment lang sah er ihm hinterher und rief dann belustigt: „Das glaubst aber auch nur du!“

 

~*~
 

Als wir die Pferde den Stallburschen übergaben, bemerkte ich, wie sich gewichtig wirkender Besuch ankündigte.

„Entschuldige mich“, meinte Hideo etwas abwesend und Schritt näher zu den beiden Männern hin um einige Worte mit ihnen zu wechseln.

Ich sah hin und fing den Blick des Einen auf. Ein Würdenträger, ohne Zweifel, und er schien zu den Menschen zu gehören, die, um ihre Ziele zu erreichen gut und gerne auch mal einen Söldner beauftragten. Irgendetwas kam mir bekannt vor an ihm. Seine Züge? Das Wappen?

Ich zwang meinen Blick fort und begab mich zurück zum Wohnhaus – wo ich, als ich um die Ecke bog beinahe die kleine Minako über den Haufen gerannt hätte.

Sie sah mich an, wie ein verschrecktes Huhn, doch der Schrecken wandelte sich schnell in Empörung. Allerdings schien ich doch recht bald uninteressant zu werden, denn ihr Blick glitt flüchtig, jedoch länger als es noch zufällig gewesen wäre zu den Besuchern.

„He, wer ist das?“, wollte ich wissen.

„Schh“, meinte sie nur und versuchte, angestrengt zu lauschen, was dort gesprochen wurde, gab es dann jedoch auf.

Sie sah mich an, der leise Spott in ihren Augen irritierte mich einen Augenblick.

„Offensichtlich, mein lieber Oji-san, will man um meine Hand anhalten.“ Ein gewisser Stolz schwang mit, aber auch ein Hauch von Missbilligung.

„Wer ist denn der Ärmste?“, erwiderte ich scheinheilig, was mir einen unwiderstehlich bösen Blick einbrachte.

„Du hast gut spotten“, grummelte sie und gab mir einen recht undamenhaften Klaps gegen den Oberarm.

„Er ist der Sohn des Cousins des Damyo Hattori. Offensichtlich hat er beim letzten Frühlingsfest ein Auge auf mich geworfen. Komm, wir gehen mal nachschauen, ob Ami ihre leckeren Bohnenküchlein gemacht hat“, gab sie es dann auf und ich meinte, mir ein wenig Verzagtheit aus ihren Worten heraus einzubilden.

„Du scheinst nicht sonderlich fröhlich über diesen Umstand zu sein.“

„Ich weiß jedenfalls, dass ich es sollte“, erwiderte sie schnalzend. „Ich meine, er ist reich, er sieht gut aus und ist einigermaßen gebildet… hätte sicherlich schlimmer kommen können.“

Ich schwieg, weil ich irgendwie ahnte, was in ihr vorgehen mochte. Als Mädchen hatte sie ohnehin nicht wirklich die Wahl. Ich schätzte meinen Bruder zwar nicht so ein, dass er sie einem Mann gäbe, mit dem sie absolut nicht einverstanden war, aber wie ich meine Nichte kennengelernt hatte musste der, mit dem sie einverstanden wäre, erst noch von den Göttern gebaut werden.

„Was ist so lustig?“, brach ihre ärgerliche Stimme in meine Gedanken. Ich sah sie an und erblickte den unwiderstehlichsten Schmollmund aller Zeiten.

„Ich glaube, meine liebe Nichte, du fürchtest nur die Möglichkeit, dass es jemanden gibt, der dein freches Mundwerk zähmt.“

Sie schnappte empört nach Luft, musste dann jedoch lachen. Und dieses Lachen. Es war angenehm.
 

Als ich später auf meinem Futon lag und der Schlaf nicht kommen wollte, dachte ich diesmal nicht nur an meine Brüder und an das, was wir verloren hatten, sondern daran, was für eine Schande es wäre, ein Mädchen wie Minako einem Mann zu geben, der sie nicht zu schätzen wusste. Sie mochte ein freches Mundwerk haben, aber sie hatte etwas, das vielen Frauen unserer Zeit verwehrt war. Einen wachen Geist, ein Lachen, das sich nicht sittsam hinter weiten Kimonoärmeln versteckte. Plötzlich erwachten Begehrlichkeiten in mir und ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, wann in meinem Leben ich das letzte Mal bei einer Frau gelegen hatte.
 

Und dann, vier Tage später kam sie zu mir. Einfach so. Ich hörte wie die Schiebetür sich bewegte und meine Hand zuckte instinktiv zu dem Dolch, den ich unter dem Kissen aufbewahrte. Doch als ich die leichten Schritte hörte, die nur von einer Frau stammen konnten, entspannte ich mich wieder.

„Ich bin es“, hörte ich Minakos Stimme und als ich mich drehte und auf den Ellenbogen stützte, sah ich ihre zarte Silhouette im Mondlicht. Ich glaube, ich muss die Verwunderung, die ich über diesen nächtlichen Besuch empfand nicht in Worte fassen.

Sie ließ sich bei mir nieder und hob dann die Decke an, um zu mir zu kommen. Die Spitzen ihres offenen Haares streiften dabei meine Haut.

„Ich will ihn nicht“, sagte sie nur. „Und ich will nicht, dass er mich will. Bitte…“, flüsterte sie und ihre zittrigen Fingerspitzen glitten über die Linie meines Schlüsselbeines.

„Sorg dafür, dass er mich nicht will…“

Es dauerte ein wenig, bis die Bedeutung ihrer Worte in meinen Geist sickerte. Ich fing ihre Hand ein.

„Weißt du eigentlich, was du da verlangst, du dummes Mädchen?“

„Was ist, hast du vergessen, wie es geht?!“

„Fürchterlich bist du. Wenn dein Vater wüsste, was du hier veranstaltest.“

„Tja, der ist aber nicht hier, oder? Nur ich bin hier und es ist mein freier Wille! Bitte-“

Plötzlich fiel das aufmüpfige Gehabe von ihr ab und sie begann bitterlich zu weinen.

„Du weißt doch nicht, wie das ist! Du bist ein Mann, du kannst tun und lassen, was man von dir erwartet, du kannst gehen wohin du willst, du kannst liegen bei wem du willst! Aber was hab ich für ein Schicksal?“

„Minako…“, erwiderte ich leicht gequält, ihre festen, kleinen Brüste viel zu deutlich durch den unerhört dünnen Stoff des Schlafkimono spürbar.

„Bitte“ hauchte sie und im einfallenden Licht konnte ich ihre tränennassen Augen glänzen sehen. Ich stand unter Zugzwang. Aber ich fühlte mich unfähig, einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Eine träge Stimme appellierte pro Forma an mein Ehrgefühl. Minakos Fingerspitzen geisterten über meine Brust. Ich hielt sie nicht auf. Wie lange war sie her gewesen, eine solche Berührung? Eine solche Wärme? Ich erinnerte mich nur an die Kälte. Immer an die Kälte. Sie roch so gut. Unschuldig.

Ich sollte das nicht tun. Ich war Söldner gewesen, irgendwann einmal. Mit Menschenleben hatte ich gespielt, wie mit Go Steinen. Aber niemals hatte ich eine Frau wie Minako in Schwierigkeiten gebracht. Und noch weniger war diese Frau dabei meine Nichte gewesen. Ich keuchte auf, als ich ihre Hand plötzlich ein Stück zu weit unten spürte und umfasste beinahe verzweifelt ihr Handgelenk.

„Komm zur Vernunft“, bat ich, doch ich merkte selbst, wie lächerlich das klang in Anbetracht der Umstände. Ich war längst erregt, sinnlos es weiter zu verleugnen.
 

Ihre Augen schimmerten im Mondlicht, ihre Lippen einen Spalt geöffnet und sie senkten sich auf meine herab, während ich noch immer Minakos Handgelenk umfasst hielt.

Sie schmeckte wie Honig, ich schnaufte resigniert, bildete mir ein triumphierendes Lächeln ihrerseits an. Zum Teufel damit. Hatte ich mir auch nur einen Moment eingebildet, als rechtschaffener Bürger leben zu können?

Ich knurrte leise, drehte mich mit ihr, sodass sie nun auf dem Rücken vor mir lag und riss ihren Kimono auf. Sie keuchte erschrocken, erregt, ich weiß es nicht, vermutlich hatte sie nicht damit gerechnet, dass ich meine Meinung so schnell ändern würde.

Ein helles Stöhnen quittierte mein Tun als ich spielerisch in eine ihrer Knospen biss, zufrieden die Verhärtung derer bemerkte. Ich presste mich an sie, ließ sie die Erregung spüren, die sie verursachte, ließ sie spüren, dass es kein Zurück gab, jetzt wo sie mich so weit getrieben hatte.

Ihr Brustkorb hob- und senkte sich in aufgeregtem Atem als ich mit der Zunge eine Spur ihren milchigen Körper herab zog. Ich vergrub die Zähne vielleicht einen Hauch zu fest um ihren Bauchnabel herum, doch bis auf ein Zucken, ein Aufkeuchen ließ sie es geschehen.

Näherte mich dem Zentrum von Weiblichkeit und Lust und vergrub nur einen Moment darauf sehnsüchtig die Zunge zwischen ihren Schenkeln. Hörte sie leise stöhnen, spürte wie eine der zierlichen Hände sich erstaunlich hart in meinem Haar verkrallte.

Ihre Hitze, ihr Geruch, ihr Geschmack, die Reaktionen, die ich ihr entlockte, vernebelten mir völlig den Verstand und reduzierten mein Denken, insofern davon noch etwas übrig war einzig und allein auf jenen niederen Trieb. Ich kostete sie eine Weile aus, spürte, wie sie irgendwann erbebte und das erste Mal mit einem lieblichen, fast hilflosen Stöhnen kam, ehe auch meine Geduld sich langsam dem Ende zuneigte. Ich kam wieder hoch, sodass wir auf Augenhöhe waren, drängte meine Männlichkeit gegen ihre Blüte, ließ sie spüren, an was sie Schuld trug.

Sie sah mich keuchend an, sogar im fahlen Mondlicht erkannte ich die erregte Röte auf ihren Wangen, erkannte, dass sie jedes Wort, das sie vorhin gesprochen hatte, ernst gemeint hatte und nicht nachdem ersten Höhepunkt ihre Meinung zu ändern gedachte.

Irgendwie entlockte mir das ein Lächeln.
 

„Was ist?“, hauchte sie und drängte mir ihr Becken entgegen, während eine Hand sich in eine meiner Haarsträhnen verirrte und die spielerisch um zwei Finger wickelte. Ich schnaufte amüsiert und schüttelte den Kopf. Schließlich drängte ich mich gegen sie. Ihr Atem ging schnell, wie um den leisen Schmerz wegzuatmen, aber den konnte ich ihr nicht ersparen.

Sie war überwältigend eng, ich biss mir auf die Unterlippe um Geräusche zu verhindern, spürte einen Widerstand und sie zog scharf die Luft ein, als dieser Widerstand brach. Ich begann mich in ihr zu bewegen, versuchte die Geilheit nicht überhand nehmen zu lassen und einfach hart in sie zu stoßen, auch wenn mir das zusehends schwer fiel.

Minako entspannte sich nach und nach und die Hitze, die von ihrem Inneren ausging und mich zu verschlingen drohte, war überwältigend. Ich verlor irgendwann meinen Rhythmus, wurde schneller, härter und plötzlich war es mir egal, ob sie ebenso genoss, wie ich es tat. Sie hatte es so gewollt.

Ein vergessenes Gefühl von Macht durchpulste mich als ich sie stöhnen hörte und keinen Gedanken daran verschwendete, was geschah, wenn das außer mir noch jemand hörte. Viel zu schnell begann mein Unterleib sich angenehm zusammen zu ziehen – und schließlich fand ich in ihrem tiefsten Inneren mit einem unterdrückten, erleichterten Keuchen meinen Höhepunkt.

 

~*~
 

Ich fasste einen Entschluss. Ich musste weiterziehen. Und ich fasste diesen Entschluss lange bevor sich herausstellte, dass das eine Mal ausgereicht hatte, um Minako ein Kind zu machen. Chiyo teilte es mir mit in einer beinahe gespenstischen Gelassenheit.

Vermutlich hatte sie so etwas schon geahnt. Ich begleitete Minako in einer Nacht- und Nebelaktion in ein Dorf namens Musashi, in dem eine alte Miko lebte, die Erfahrung hatte mit dem, was man einen Abgang herbeiführen nennt.

Weder Minako, noch Chiyo oder ich verloren je wieder ein Wort über diese Angelegenheit und mein Bruder erfuhr nichts davon. Dennoch tat ich mir schwer, ihm weiterhin in die Augen zu sehen nach allem, was er für mich getan hatte. Und so etwas … durfte nicht noch einmal passieren. Ich hätte um ihre Hand bitten können, ja. Ich hätte viele Dinge tun oder nicht tun können. Aber ich war kein guter Mensch. Und ich musste meine Brüder finden.
 

 

 

 

 

 

The woods are lovely, dark and deep,

But I have promisses to keep

And miles to go before I sleep.

And miles to go before i sleep.

Jakotsu

Er streichelte dem jungen Mann, der neben ihm lag zärtlich über die Wange. „Ist dir kalt?“, flüsterte er. Die Stimme klang amüsiert. „Du fühlst dich eiskalt an.“

Die Fingerspitzen streichelten weiter, passierten die Lippen, das Schlüsselbein, streichelten die definierten Brustmuskeln. Glitten weiter herunter und fanden – nichts. Dort, in der Höhe des Herzens klaffte ein hässliches Loch.

„Stimmt ja, wenn man tot ist, ist man immer kalt.“ Jakotsu seufzte und streckte sich genüsslich. Schwerer eisenhaltiger Blutgeruch lag in der abgestandenen Zimmerluft.

Jakotsu hatte den jungen Krieger, der nun mausetot an seiner Seite lag gestern Nacht in dieses Zimmer gelockt. Er und seine Kameraden hatten gefeiert und gezecht. Er war ihm sofort aufgefallen. Das herrliche Lachen, die schönen, aristokratischen Gesichtszüge, der sehnig-muskulöse Körper und der Schalk in den Augen. Und als er seinen Blick aufgefangen und ihm übermütig zugeprostet hatte, da war es um Jakotsu geschehen. Es war ihm nie schwer gefallen, Männer für sich einzunehmen. Vielleicht lag das an seiner naiven Natürlichkeit, vielleicht auch nur an den unendlich tiefen, großen, immer irgendwie feucht schimmernden Augen.
 

Irgendwann hatte er ihn so scharf gemacht, dass er Jakotsu wie die Ratte dem Pfeifer auf das Zimmer folgte. Er hatte beinahe darum gebettelt, ihm den Schwanz lutschen zu dürfen. Und dann hatten sie miteinander gefickt. Hart und rau. Und als Jakotsu sie beide zum Höhepunkt geritten hatte, als er spürte, wie der Mann seinen Samen tief in ihn spritzte, da hatte er seinen Dolch gezückt und ihm in die Brust gestochen und dann spritzte nur noch Blut. Nach dem 37. Stich hatte er aufgehört zu zählen. War in einen Blutrausch verfallen und als er keuchend, immer noch auf dem Krieger sitzend zu sich kam, war der tot und das Blut in alle Richtungen gespritzt und er fühlte sich unendlich befriedigt. Er war von ihm abgestiegen und hatte seelenruhig neben ihm geschlafen bis zum späten Vormittag.
 

„Was denn?“, raunte Jakotsu als sein Blick auf die toten Augen fiel, „schau mich nicht so vorwurfsvoll an, es gibt wesentlich unangenehmere Sachen, bei denen man sterben kann.“

Er kicherte affektiert, zuckte jedoch zusammen als es plötzlich an die Türe hämmerte. Jakotsu verdrehte die Augen. Konnte man nicht einmal seine Ruhe haben?

Das Klopfen hörte irgendwann auf, als er einfach nicht reagierte, aber er wusste, dass er nicht mehr viel Zeit hatte, bis man misstrauisch werden und sich gewaltsam Zutritt verschaffen würde. Jakotsus Blick fiel auf seine Kleidung – ein Yukata mit ausgebleichten Blumen, den er vor einer Weile gestohlen hatte. Doch der war ziemlich lädiert – schon gewesen, als er hierhergekommen war auf der Suche nach etwas Zerstreuung. Aber die Kleidung des jungen Soldaten schien noch intakt zu sein. Nicht unbedingt das, was er an Kleidung bevorzugte, aber nunja, es war ja nur eine Übergangslösung.

Also zog er hastig die Sachen an – auch die Rüstungsteile, Harnisch, Arm- und Beinschoner – konnte ja nicht schaden, und griff nach kurzem Zögern auch nach dem Schwert. Immerhin hatte er nur den Dolch und da er immer noch nicht wusste, wo sein Jakotsutō abgeblieben war, war das sicher nicht die schlechteste Idee.

Wenig später schob Jakotsu das Fenster auf – er hatte bewusst ein Zimmer gewählt, das zur Hintergasse hinausging und wo er im Fall des Falles nicht allzu viel Aufmerksamkeit erregen würde. Nachdem er sich versichert hatte, dass die Luft rein war, kletterte er leichtfüßig auf das Fenstersims und sprang dann auf ein naheliegendes Schuppendach um von dort dann auf die Erde zu gelangen. Jakotsu strich kurz die Kleidung glatt, ging dann die Gasse entlang zur Hauptstraße und war kurz darauf in der Menge verschwunden.

 

~*~
 

Wie es jetzt weiterging, da war er sich selbst noch nicht so ganz sicher. Er wusste ja nichtmal, warum er hier war. Jakotsu war zwar nie der hellste Kopf gewesen, aber sogar er wusste, dass er eigentlich tot sein sollte. Irgendwann war er einfach wieder da gewesen. Irgendwie. Er wusste nicht warum, aber er hatte da ehrlicherweise auch kaum einen Gedanken verschwendet. Er lebte. Das war die Hauptsache. Leben war kostbar – zumindest das eigene – und das galt es auszukosten. Also lebte er. Aber es war nicht dasselbe. Nicht ohne Bankotsu. Auf den Rest konnte er getrost verzichten, aber sogar bei denen fragte er sich, was aus ihnen geworden war.

Hauptsächlich jedoch Bankotsu. Der, der ihm immer am wichtigsten gewesen war. Der, der von Anbeginn an seiner Seite gewesen war, als er Jakotsu geworden war. Er vermisste ihn schrecklich und er suchte ihn, jeden Tag.
 

Ein Gutes hatte es, dass er dem jungen Mann die Rüstung gestohlen hatte – man begegnete ihm offen mit Respekt, aber ihm war wohl klar, dass er die nicht allzu lange behalten durfte um nicht aufzufliegen. Und es war einfach, wie er bald feststellte, an wertvolle Informationen heranzukommen. Offensichtlich hatte der junge Soldat in einem der Heere der Daimyo gedient, die dafür verantwortlich waren, was mit ihnen passiert war. Konnte man sich zunutze machen. Bankotsu würde sich sicher rächen wollen…

Jakotsu hatte schon so einen Gedanken, wo er hingehen konnte. Sie hatten ein Haus gehabt früher. Er wusste nicht, ob es noch stand, es mochte gut sein, dass nach der Hinrichtung der Shichinintai damals alle Besitztümer gestohlen und das Haus niedergebrannt worden war oder etwas dergleichen. Aber einen anderen Anhaltspunkt hatte er nicht und vor allem war die Stelle an der ihr Haus gestanden hatte oder stand nicht allzu weit von dieser Stadt entfernt.

Unterwegs stahl er sich noch einen Yukata von einer Wäscheleine. Ein schönes, sonnengelbes Exemplar mit Dunkelgelben Sonnenblumen. Das tauschte er dann in einer Hintergasse geschützt von Blicken gegen die Rüstung die er trug, schnürte diese zusammen – wer wusste, wann man sowas nochmal brauchen konnte – schulterte das Päckchen dann und trat schließlich wieder aus der Gasse hervor. Ideal wäre natürlich gewesen, wenn er an Schminke gekommen wäre um die blassen Tätowierungen auf seinen Wangen zu übermalen, aber nun musste es eben so gehen. Außerdem… wer erinnerte sich schon an so etwas wie Tätowierungen, wenn er einmal in seine glänzenden Mandelaugen geblickt hatte?

Jakotsu kicherte leise. Früher, vor seinem Leben bei den Shichinintai, bevor er Bankotsu getroffen hatte, hatte er in einem Bordell gearbeitet und dieses körperliche Attribut hatte ihm einen auffallend hohen Verdienst eingebracht.

Später hatte er sich dann weniger durch körperliche Attribute, sondern durch Brutalität und Grausamkeit als Mitglied der Shichinintai einen Namen gemacht.

Er hatte dem Bordell den Rücken gekehrt und irgendwann war der Zeitpunkt gekommen, ab dem er es gewesen war, der sich die Männer herausgesucht hatten. Die getan hatten, was er wollte, allein schon aus Angst, ihr Leben zu verlieren. Und er hatte begonnen, diese Macht auszukosten.

Jakotsu erreichte bald die Stadtmauern. Eine der Wachen sah ihn komisch an, doch als Jakotsu ihm zuzwinkerte, zuckte der Mann ertappt zusammen und ließ ihn passieren.

 

~*~
 

Da Jakotsu nicht mit der besten Orientierung gesegnet war, verlief er sich zweimal im Wald, ehe er den richtigen Weg wiederfand und es dauerte geschlagene vier Tage ehe er seinem Ziel ansatzweise näher kam. Er bemerkte recht schnell, dass hier lange keiner mehr entlang gekommen war, was ein gutes Zeichen sein konnte. Abergläubische Menschen hielten sich nämlich von den Häusern Ermordeter fern, aus Angst vor Rachegeistern. Natürlich war es immer noch möglich, dass man ihr Haus niedergebrannt hatte. Er wusste zwar, dass Renkotsu regelmäßig die Fassaden mit einer seltsamen Substanz bearbeitet hatte, welche es schwer machte, es zu entzünden, aber seines Wissens nach musste des regelmäßig gemacht werden um eine Wirkung aufrecht zu erhalten. Jakotsu rechnete also mit allem und als die Bäume endlich lichter wurden und er den salzigen Geruch des Meeres spürte und das gedämpfte Rauschen der brechenden Wellen, breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus.
 

Bankotsu hatte damals darauf bestanden, ein Haus bei den steilen Klippen an der Küste zu bauen, um einen Hinterhalt möglichst gering zu halten. Außerdem war die salzige Seeluft angenehm und gut fürdie Haut. Was natürlich nicht Bankotsus Argument, sondern seines gewesen war. Suikotsu hatte gesagt, das Leben am Meer sei gut für die Lungen.

Er wagte sich nahe an die Klippe heran, stemmte die Hände in die Hüften und atmete einmal befreit ein- und aus. Seine Kleidung flatterte dabei im Wind. Die Zeit, die sie hier verbracht hatten, sie alle Sieben, war eigentlich die schönste seines Lebens gewesen. Auch, wenn das Zusammenleben natürlich nicht immer einfach gewesen war.
 

Er und Renkotsu waren bis zu einem speziellen Ereignis nie die besten Freunde gewesen. Jakotsus Blick verdüsterte sich. Renkotsu. Er war das letzte, an das er sich erinnerte, ehe es schwarz geworden war. Renkotsu, dieser Verräter hatte ihn umgebracht. Der sollte ihm mal unter die Augen treten. Er schirmte die Augen mit einer Hand ab und sah in die Ferne. Möwen ließen sich über dem Wasser im Wind treiben, von Zeit zu Zeit stieß eine hinab zur Wasseroberfläche um einen Fisch zu erbeuten. Es dürfte nicht mehr weit sein. Ein paar Meilen noch an der Küste entlang.
 

Nach einer Stunde kam etwas in Sicht, das er als die Überreste eines Hauses identifizieren konnte. Beim Näherkommen bemerkte er, dass man tatsächlich versucht haben musste, das Haus nieder zu brennen und bei einem Teil war das auch gelungen – bei dem Großteil des Restes stand das Meiste noch, war nur hier und da angekohlt und ein morscher, muffiger Geruch schlug ihm entgegen.

„Immerhin“, murmelte er vor sich hin, zuckte jedoch zusammen als er plötzlich ein Geräusch hörte. Jakotsu verengte die Augen und ging in Habachtstellung, wobei er um das Haus herumschlich.
 

Und dann sah er ihn dort sitzen, nah an der Klippe, reglos. Er erinnerte beinahe an einen Haufen Altmetall aus der Entfernung, wenn man ihn nicht kannte. Er rührte sich nicht als Jakotsu näher kam, obgleich er dessen Schritte genau hören musste. Als er bei ihm angekommen war, ließ er sich schließlich wortlos neben ihm in den Schneidersitz fallen. Nach einer Weile, in der nur das Schreien der Möwen und das Branden der Wellen zu hören gewesen war, sagte er leise:

„Hallo, mein Großer“, und lehnte sich vertrauensvoll seitlich gegen den Metallmann. Ginkotsu war nie ein Mann vieler Worte gewesen, aber Jakotsu hatte ihn immer gerne gehabt. Meistens hatte er auch nicht so gewirkt als nahm er groß wahr was um ihn herum geschah, aber wenn er dann einmal etwas sagte, merkte man, dass das sehr wohl der Fall war.

„Wie lang bist du schon hier?“

„Drei Tage. War lange unterwegs.“

Jakotsu nickte verstehend. Er war wohl nicht als einziger auf die Idee gekommen, hierher zurück zu kehren. Immerhin war es der einzige Ort, den sie hatten…

„Ist … ist von den anderen noch jemand hier?“ Er dachte dabei in erster Linie an Renkotsu, immerhin war er es gewesen, der Ginkotsu seinerzeit zu dem gemacht hatte, was er war. Die beiden waren bereits zusammen gewesen als Jakotsu und Bankotsu auf sie gestoßen waren.

Ginkotsu schüttelte den Kopf. „Gin allein.“

„Verstehe.“

Eine Weile wieder nur das Rauschen der Wellen.

„Bist du schon im Haus gewesen?“

Ginkotsu schüttelte den Kopf, aber das hätte Jakotsu sich auch so denken können.

„Ich denke, ich werd mich da mal umsehen“, beschloss er schließlich.

„Besser nicht. Ist gefährlich.“

„Ich pass schon auf, keine Sorge.“
 

Jakotsu schlug sofort der Mief von feuchtem Holz mit der charakteristischen Brandnote entgegen. Ein Geruch, der sich in heruntergebrannten Gemäuern wohl ewig zu halten schien.

Es fröstelte ihn unwillkürlich, während er über Schutt und Trümmer stieg, und das nicht nur wegen der klammen Luft.

Es war ein eigenartiges Gefühl, wieder hier zu sein. Hier, in diesem Haus, wo sie in einem anderen Leben zusammen gelebt hatten, gelacht, getrunken und gefeiert hatten. Zuflucht gefunden hatten, sie, die anders waren.

Es war nie leicht gewesen, aber Jakotsu hatte es geliebt dieses Leben, denn die Zeit bei den Shichinintai war die einzige Zeit seines Lebens gewesen, in der er sich wirklich lebendig gefühlt hatte.

Wäre Bankotsu nicht in sein Leben getreten damals… wer weiß, was aus ihm geworden wäre.
 

„Ich fürchte, das übersteigt meinen Rahmen“, erwiderte Bankotsu und nippte an dem Sake „Außerdem bin ich an Knaben nicht interessiert.“

Das Lächeln blieb, doch Makotos Blick nahm einen deutlich kühleren, fast schon eisigen Ausdruck an.

„Wieso kommt Ihr dann hierher, wenn Ihr es Euch nicht leisten könnt?“ Es hatte herablassend geklungen. Glaubte dieser Kerl etwa, er war etwas Besseres? Bankotsu verengte die Augen und erwiderte gehässig: „Vielleicht, weil ich mich über lächerliche Männer in Frauenkleidern amüsieren möchte!“

„Wie könnt Ihr es wagen, so mit mir zu sprechen!“, zischte der Mann, der gerade so gar nicht mehr fraulich wirkte in seiner Art. „Und überhaupt, wer seid Ihr eigentlich, dass-“
 

Ein zartes Lächeln zeichnete sich auf Jakotsus Lippen ab als er an ihre erste Begegnung dachte und die merkwürdigen Umstände, die sie begleitet hatten. Bankotsu war in das Bordell gekommen, in dem er gearbeitet hatte, aber nicht um sich zu Vergnügen, sondern weil er zu dem Zeitpunkt seit einer Ewigkeit unterwegs gewesen und ums Verrecken kein Zimmer in der Stadt gefunden hatte. Irgendein Fest oder Markt war, meinte er sich erinnern zu können, gewesen.

Nachdem er vorsichtig über Schutt gestiegen war, ohne auszurutschen, sah er am Ende des Gangs, dort wo die Treppe war, etwas Licht. Wie durch ein Wunder war die Treppe zu großen Teilen intakt geblieben, nur die Wände und der Handlauf waren rußig.

Er setzte einen Fuß auf die Treppe und verlagerte das Gewicht testweise auf die erste, dann auf die zweite Stufe. Es knarzte morsch, aber es fühlte sich nicht so an als würde es ihm jeden Moment unter den Füßen wegbrechen.
 

Vorsichtig erklomm er eine Stufe nach der anderen – der Lichteinfall wurde irgendwann stärker und Jakotsu bemerkte bald, dass das Dach an einigen Stellen wohl weggebrochen war. Im oberen Stockwerk angekommen bestätigte sich diese Annahme. Zur Küstenseite des Hauses war das meiste einigermaßen in Ordnung, aber die Westseite hatte einiges abbekommen. Vielleicht lag das an der Feuchtigkeit des Meeres und dem Zeug, dass Renkotsu auf die Wände geschmiert hatte, was wusste er schon. Mit so etwas kannte er sich nicht aus. Aber was sogar er erkannte war, dass es wohl nicht möglich war, dieses Haus wieder herzurichten.
 

Das stimmte ihn traurig. Bankotsu hatte damals das Land gekauft und aufgebaut hatten sie es beinahe ganz allein – unter Zuhilfenahme eines Architekten und Jakotsu musste kichern als er daran dachte, wie oft er Bankotsu verflucht hatte, warum er von dem Geld nicht noch ein paar Arbeiter beschäftigte. Das Argument, dass möglichst wenige wissen sollten, wo sie lebten, hatte dann sogar ihm irgendwann eingeleuchtet. Der Architekt hatte nach Fertigstellung des Hauses aus Sicherheitsgründen damals leider sein Leben lassen müssen.

Jakotsu stemmte eine Hand in die Hüfte und sah Richtung Wald. Das Haus an sich war nicht all zu hoch, aber der Standpunkt lag höher, sodass er bis zu einem gewissen Punkt über die Baumwipfel hinweg sehen konnte.
 

„Wie ist das eigentlich so?“

„Wie ist was so?“

„Dieses Vagabundenleben… ich stelle mir das unglaublich romantisch vor“, fügte Makoto seufzend hinzu, „durch das Land zu reisen, keine Verpflichtungen haben, sein eigener Herr sein … und überall gebrochene Herzen zurücklassen“, fügte er kichernd hinzu.

Bankotsu verzog das Gesicht. „Du hast ganz schön naive Vorstellungen von dem Leben da draußen. Ich habe es mir ausgesucht, aber ich kann nicht abstreiten, dass es hin- und wieder recht hart ist. Vor allem, wenn es Ende Herbst dann richtig kalt wird. Ich habe schon Männer gesehen, denen die Zehen und Finger abgefroren sind vor Kälte. Pechschwarz waren die, mussten dann mit einem Messerabgeschnitten werden“, fügte er grinsend hinzu.

Täuschte er sich, oder hatte Bankotsu gerade ziemlichen Spaß daran, ihn zu ekeln? Makoto rümpfte die Nase.

„Na, sowas passiert sicher nicht mit dem richtigen Schuhwerk.“

„Ganz zu schweigen von den wilden Yōkai, die überall lauern können. Wenn du dich da nicht selbst verteidigen kannst, wirst du schnell in tausend Stücke zerrissen.“

Makoto schnaubte nur. „Die Yōkai, die sich nah genug an den Menschen heranwagen, um ihm gefährlich zu werden, sind meist nicht sonderlich helle. Es braucht nur ein bisschen Geschick mit einem Dolch, um sich gegen die Viecher zu wehren. Also erzähl mir keinen Blödsinn, rein zufällig war mein Vater Dämonenjäger und hat mir eine Menge beigebracht.“

Die linke Augenbraue des Söldners wanderte interessiert in die Höhe.

„Wenn du dich so gut mit Yōkai auskennst, warum fristest du dann dein Dasein in einem Freudenhaus und verdingst dich nicht ebenfalls als Dämonenjäger? Zumindest könntest du dir dann deine Würde bewahren.“
 

Jakotsus Blick war glasig geworden, er starrte in die Ferne, aber eigentlich sah er die eigene Erinnerung. Nein, er hatte wirklich nicht den Hauch einer Ahnung gehabt, wie das Leben als Söldner sein würde. Es war hart und blutig, aber er hatte es genossen, in jedem Zug. Ihm war klar, dass das nicht allen so ergangen war. Suikotsus gute Seite hatte entsetzlich gefunden, was sie getan hatten. Er hatte nichtmal wirklich Blut sehen können und das als Arzt. Mit seiner bösen Seite hatte er ein sexuelles Verhältnis gehabt, auch wenn sein Herz mehr an Bankotsu gehangen hatte. Auch sie hatten in einsamen Stunden hin- und wieder das Bett geteilt. Manchmal hatte Jakotsu ihm Freundschaftsdienste getan, ohne etwas zu fordern, denn Bankotsu hatte zeitlebens unter Alpträumen gelitten und Körperlichkeiten, welcher Art auch immer sie gewesen waren, hatten immer geholfen, ihn zu beruhigen. Und seine Nähe in der Nacht. Und trotzdem hatte er sein Herz nie ganz gehabt.
 

„Bankotsu“, murmelte er seufzend und blinzelte dann, weil seine Augen vom Starren brannten. Was wenn sie sich nicht wieder fanden? Wenn Bankotsu einen anderen Ort gefunden hatte, an dem er zur Ruhe kommen konnte? Dann brauchte er ihn doch gar nicht mehr und…

Jakotsu schüttelte den Kopf und wandte sich dann ruckartig ab, um die Treppen wieder hinab zu steigen.

„Wenn er einen solchen Ort gefunden hat“, sagte er leise zu sich selbst, „dann soll er dort bleiben. Wenn einer Ruhe verdient hat… dann er…“

Er wischte sich kleine Tränchen aus den Augen, während er wieder zu Ginkotsu ging, der sich nicht einen Millimeter aus seiner sitzenden Position gerührt hatte. Setzte sich dann wieder neben ihn.

„Siehst du da irgendwas?“, wollte er nach einer Weile neugierig wissen.

Ginkotsu antwortete nicht auf seine Frage. Stattdessen sagte er: „Bankotsu-san wird kommen.“

„Ja, das wäre schön“, flüsterte Jakotsu dann und folgte dem Blick in die Ferne, wo die untergehende Sonne glutrote gleißende Reflexionen auf dem Wasser tanzen ließ. Und das Rauschen des Meeres. Es war schön. So schön.

 

~*~
 

Ginkotsu sollte Recht behalten. Jakotsu hörte entfernt die Schritte eines Pferdes und er meinte erst, es sich im Schlaf eingebildet zu haben. Doch die Schritte wurden lauter, beständiger. Mit klopfendem Herzen zog er sich seinen Yukata über den Schlafkimono und eilte hinaus, wobei er sich nicht einmal die Mühe machte, sich Schuhe anzuziehen. Der Boden war klamm und kalt, aber das spürte er kaum.

Ein Reiter kam in sich auf einem schneeweißen Ross. Jakotsu hielt den Atem an, denn er hatte ihn längst aus der Ferne erkannt.

„Bankotsu“, formte er lautlos mit den Lippen, ihm standen Tränen in den Augen, aber er lächelte.

Kagome

Mit einem Seufzen hielt die junge Frau inne und ließ den Blick auf dem trostlosen, heruntergekommenen Gebäude ruhen. Sie war hier richtig, das stand außer Frage. Und eigentlich mochte sie Besuche wie diese nicht, aber sie waren notwendig. Kagome straffte die Gestalt und ging schließlich die restlichen Schritte zu dem mehrstöckigen Wohnhaus. Es knirschte unter einem ihrer flachen Pumps und als sie einen Schritt zur Seite hopste um nach unten sehen zu können, bemerkte sie leicht angeekelt eine zerbrochene Heroinspritze. Was leider typisch war für dieses Viertel. Es war ihr unbegreiflich, wie man hier Kinder aufwachsen lassen konnte.

Als sie wenig später gegen den Hauseingang drückte, war dieser nicht verschlossen und ihr schlug, kaum hatte sie selbigen passiert, ein unangenehmes Geruchsbouquet aus gedünsteten Zwiebeln, Knoblauch, feuchten Wänden und Urin entgegen. Die Briefkästen, die hier alle in einer Reihe angebracht waren, waren nur teilweise beschriftet und manche der kleinen Türchen verbogen, sodass die Post seitlich und unten wieder herausfiel.

Soweit Kagome wusste, wohnte die Familie Kimura, der sie heute ihren Besuch abstatten musste im elften Stock. Wie gut, dass sie sich heute für die flachen Pumps entschieden hatte – dem Aufzug hier war nämlich nicht zu trauen.

 

Während sie also schnaufend die Treppen erklomm stellte sie sich mental schon auf ein sehr unangenehmes Gespräch ein. Die ersten Monate als Sozialarbeiterin war es ihr sehr schwer gefallen, die richtigen Worte zu finden und da war sie froh gewesen, dass sie solche Besuche immer in Begleitung eines erfahreneren Kollegen hatte machen dürfen. Sie hatte sogar die erste Zeit immer mal wieder mit dem Gedanken gespielt, einfach alles hinzuschmeißen, weil sie sich ungeeignet fühlte - sie war einfach zu nett, doch nach drei Jahren in diesem Beruf hatte sie endlich ein recht gutes Gespür entwickelt für die Menschen und ihre Schicksale und wie sie mit denen umzugehen hatte.

Als sie endlich im elften Stock angekommen war, stützte sie sich einen Moment schnaufend mit den Händen auf die Knie. Sie sollte wirklich dringend mehr für ihre Fitness tun. Als sie noch mit Inu Yasha und den anderen täglich Dämonen bekämpft hatte, war sie nicht so schnell aus der Puste gekommen. Man spürte zehn Jahre mehr eben doch.

 

Kagome ließ den Blick schweifen. Auf jedem Stockwerk waren sechs Wohnungen, teilweise vermietet, teilweise besetzt, weil sie zu heruntergekommen waren, um sie zu vermieten.

„So, Kimura, wo versteckt ihr euch?“, murmelte sie zu sich selbst, während sie die Türen abschritt und darum betete, die Familie möge ein Namensschild haben, sonst würde sich das nur unnötig kompliziert gestalten. Tatsächlich hatte sie Glück. Bei der letzten Türe auf der rechten Seite war ein von Feuchtigkeit hochgewelltes Namensschild, auf dem man „i ura“ erkennen konnte.

Sie lauschte einen Moment ehe sie die Klingel betätigte. Von drinnen drang ein sehr lauter Fernseher und das Keifen einer Frau heraus. Dass jemand zuhause war, daran bestand jedenfalls kein Zweifel.

Kagome drückte auf die Klingel – von Innen ertönte ein schrilles Geräusch und ein Fluchen, dann öffnete sich die Tür schließlich und durch den Türspalt mit der Sicherheitskette davor wurde Kagome von einem kleinen schmutzigen Gesicht mit großen dunkelbraunen Augen neugierig gemustert.

Sie lächelte warmherzig. „Bist du die kleine Kaori? Holst du deine Mama mal her?“

Die Kleine nickte und schlug dann die Türe wieder zu und kurz darauf wurde die so heftig aufgerissen, dass Kagome zurück zuckte.

Eine junge Frau, nicht viel älter als sie selbst starrte sie feindselig an. „Sind Sie die Gerichtsvollzieherin? Ich hab denen doch schonmal gesagt, dass es hier nichts zu holen gibt, meine Fresse…“

„Nein, ich bin Higurashi Kagome vom Jugendamt. Darf ich bitte hereinkommen? Wir müssten uns einmal unterhalten.“

Die junge Frau schien mit sich zu ringen. Allerdings ging von Kagome absolut nichts Negatives aus – mehr im Gegenteil.

„Na schön, mein Mann ist eh nicht da, kommen Sie rein.“

Kagome stieg umsichtig über ein paar einzelne Schuhe, die hier im Gang verstreut lagen und folgte der Frau ins Wohnzimmer. Es roch nach abgestandenem Zigarettenrauch und ihr Blick fiel auf zwei volle Aschenbecher, die auf dem Couchtisch standen.

„Kann ich Ihnen nen Kaffee anbieten?“, wollte die junge Frau etwas versöhnlicher wissen.

„Danke, nein“, lehnte Kagome höflich ab.

 

„Also was gibt’s?“, wollte Kimura wissen, als die beiden sich auf dem abgenutzten Sofa niedergelassen hatten, während sie sich eine Zigarette anzündete.

„Rauchen Sie immer in der Wohnung?“

„Schon, aber ich mach die Fenster regelmäßig auf.“

Kagome sagte nichts dazu, sondern machte sich eine dementsprechende Notiz auf einem Klemmbrett, das sie soeben aus ihrer Tasche geholt hatte.

„Es geht um die kleine Kaori“, begann sie dann, „ihre Klassenlehrerin sagte, sie sei schon länger nicht in der Schule gewesen – und wenn sie da ist, sei sie oft müde, unkonzentriert und habe nie fertige Hausaufgaben dabei. Ich wüsste gerne, was es damit auf sich hat.“

Kagomes Ton war nicht vorwurfsvoll, sie hatte schnell gelernt, dass man damit nicht weiterkam. Er symbolisierte eher ehrliches Interesse, die Bereitschaft zuzuhören und zu helfen, soweit es in ihrer Möglichkeit stand.

Frau Kimura verdrehte die Augen. „Ich kann das Kind ja nich zwingen, in die Schule zu gehen, oder? Wenn sie nicht will, will sie nicht. Von Hausaufgaben weiß ich nichts.“

„Kimura-san, Sie wissen, dass in Japan eine Schulpflicht herrscht?“

„Nie davon gehört.“

„Das bedeutet, dass die Lehrerin der Kleinen das nächste Mal, wenn sie nicht zur Schule kommt, sie von der Polizei abholen lassen wird – die Kosten des Einsatzes werden Sie zu tragen haben.“

„Was? A-aber das kann ich mir unmöglich leisten!“

Es war traurig, aber spätestens sobald es um Geld ging, hörten die Leute uneingeschränkt zu, was sie zu sagen hatte.

„Um das zu verhindern müssen Sie dafür sorgen, dass Ihre Tochter regelmäßig zur Schule geht“, sagte Kagome nachdrücklich.

Während sie sich unterhielten fiel Kagomes Blick plötzlich auf etwas, das sie unangenehmerweise als Crackpfeife identifizierte.

Auf diese Forderung hin wurde sie mit müden Augen und einem leicht gequälten Blick angesehen.

„Wissen Sie eigentlich wie schwer das hier alles ist?“, das erste Mal bröckelte etwas von der harten Fassade der Frau.

„Was ist mit Ihrem Mann?“, fragte Kagome einfühlsam, „Kann er Sie nicht ein wenig unterstützen?“

Kimura schnaubte trocken, „Der alte Säufer. Den hab ich schon seit Wochen nicht mehr gesehen. Der kommt und geht wie es ihm passt, hat wahrscheinlich ne andere.“

Sie drückte die Zigarette aus und zündete die nächste an, während Kagome abermals Notizen auf ihrem Klemmbrett machte.

„Bekommen Sie von Ihren Eltern Unterstützung?“

„Die Kleine ist ab und zu bei denen, wohnen ein bisschen außerhalb. Aber von mir wollen die nix wissen… kann man denen wohl nicht verübeln.“

„Sind Sie gerade berufstätig?“, wollte Kagome dann wissen, obwohl sie sich die Antwort eigentlich schon denken konnte.

„Ich helf ab und zu in ner Bar als Kellnerin aus, aber das ist nix Festes.“

Durch die Blumen gesagt, sie arbeitete schwarz.

„Verstehe. Kimura-san, ich würde mich gerne mit Ihrer Tochter unterhalten. Wo ist ihr Zimmer?“

„Warten Sie, ich zeigs Ihnen…“

Sie machte Anstalten aufzustehen, doch Kagome meinte schnell: „Sagen Sie mir einfach wo es ist, ich werde es schon finden.“

„Erste Tür rechts.“

 

Kagome klopfte sanft an die Türe und öffnete sie dann. Sie erblickte die Achtjährige beim Barbiespielen. „Hallo Kaori“, sagte sie warm, „ich bin Higurashi-san, darf ich mich ein bisschen zu dir setzen? Zeigst du mir deine Barbies?“

„Okay“, sagte die Kleine ohne in ihrem Spiel inne zu halten, während Kagome sich in ihrer unmittelbaren Nähe auf die Knie nieder ließ. Das Zimmer war nicht besonders groß, aber in Ordnung für ein Mädchen in Kaoris Alter. Allerdings fiel Kagome auf, wie abgenutzt die meisten Spielsachen und das Mobilar wirkte.

„Wie heißt sie?“

„Carrie.“

„Carrie? Das ist aber ein ungewöhnlicher Name.“

„Wie das Mädchen aus dem Film.“

Film? Da klingelte irgendwas.

„Das Mädchen, zu dem alle so gemein sind und die dann so magische Kräfte kriegt.“

Jetzt fiel der Groschen. Das Mädchen sprach von Carrie, der Stephen King Verfilmung. Nicht gerade ein kindgerechter Film.

„Und warum heißt sie ausgerechnet wie das Mädchen aus dem Film?“

„Carrie wird immer geärgert von ihren Klassenkameradinnen. Sie haben ihre Jacke mal ins Klo gestopft und schubsen sie dauernd rum. Sie sagen, dass sie stinkt und lassen sie auch in der Pause nie mitspielen und so weiter…“

Kagomes Blick ruhte auf der abgenutzten Barbie, der schon einige Haarbüschel fehlten.

„Ist das der Grund, warum Carrie nicht in die Schule gehen möchte?“, fragte sie dann leise.

Kaori nickte und Kagome spürte die Einsamkeit und die Traurigkeit, die von diesem kleinen Mädchen ausging und in solchen Momenten fiel es ihr sehr schwer, das nicht all zu sehr an sich heran zu lassen.

„Kaori“, sagte sie leise und nahm die Hand der Kleinen. Die sah zu ihr auf. „Es ist wichtig, dass Carrie zur Schule geht“, dabei ließ sie ein ganz klein wenig ihrer wärmenden Miko Kraft in das Mädchen fließen, „es ist wichtig, weil das der einzige Weg ist, dass Carrie hier irgendwann herauskommt, verstehst du das?“

Kaori nickte schüchtern.

„Auch wenn die anderen Kinder fürchterlich gemein sind. Irgendwann wird Carrie eine Freundin finden, mit der sie ganz viel Spaß haben kann. Und weißt du was? Ich werde dafür sorgen, dass die anderen Kinder nicht mehr so gemein sind.“

„Aber, was, wenn sie merken, dass Carrie gepetzt hat“, wollte die Kleine angstvoll wissen. „Dann wird doch alles nur schlimmer!“

Kagome lächelte und löste ihre Hand langsam. „Das wird nicht passieren, keine Sorge.“

Plötzlich lächelte das Mädchen. Sie hatte die Wärme gespürt, die die seltsame Frau da auf sie übertragen hatte. Dann nickte sie und Kagome stand auf, um sich zu verabschieden.

 

Nachdem sie noch einige Worte mit der Mutter gewechselt hatte, verabschiedete sie sich schließlich. Immerhin hatte das Mädchen keinerlei Anzeichen von körperlicher Misshandlung oder sonstiger Vernachlässigung gezeigt. Sie musste trotzdem darüber nachdenken, ob es nicht besser war, das Mädchen hier herauszuholen. Die Mutter hatte zwar glaubhaft beteuert, ihren Drogenkonsum niemals so auszuüben, dass die Kleine es mitbekam, was immerhin bedeutete, dass sie noch einen Rest Pflichtbewusstsein übrig hatte, aber ein Zustand war das ja trotzdem nicht. Sie beschloss, dass ihr nächster Schritt sein würde, die Großeltern des Mädchens zu kontaktieren. Eventuell könnte man die Kleine dauerhaft bei diesen unterbringen und der Mutter ein Besuchsrecht einräumen.

 

Während Kagome die Treppen hinunterstieg, dachte sie an ihre eigene Mutter, diese Seele von Mensch, die sie immer mit ihrer Liebe, ihrem Vertrauen und ihrer Unterstützung überschüttet hatte. Sie hatte sie gedeckt, wenn sie im Mittelalter gewesen war und deshalb die Schule längerfristig geschwänzt hatte, sie hatte sie eigene Entscheidungen treffen und daraus lernen lassen, war für sie da gewesen, wenn sie Kummer gehabt hatte. Sie war immer an ihrer Seite.

Auch jetzt, wo sie gerade im Begriff war, sich von ihrem Freund zu trennen. Mit etwas gemischten Gefühlen stieg die 26-jährige später ins Auto, das sie ein paar Straßen weiter geparkt hatte. Sie konnte dieses Gespräch nicht mehr aufschieben. Hojo und sie waren einfach zu unterschiedlich. Er hatte nie wirklich mit ihr mithalten können. Sicher, er war ein perfekter Mann. Einfühlsam, liebevoll, aufmerksam. Aber nicht der perfekte Mann für sie. Und er wollte Kinder. Sie nicht. Und das war eine Sache, bei der es keine Kompromisse gab. Man konnte immerhin kein halbes Kind bekommen. Keiner ihrer Freunde konnte nachvollziehen, warum gerade sie keine Kinder wollte. Kagome hatte irgendwann aufgehört, zu zählen, wie oft man ihr schon gesagt hatte, was für eine tolle Mutter sie doch wäre. Sie konnte nichtmal genau sagen, warum sie nicht wollte. Es fühlte sich einfach nicht richtig an.

 

Als sie an diesem Abend nachhause kam, stieg ihr der Duft von Essen in die Nase. Kuschelrock drang dezent aus der Musikanlage. Sie seufzte. Auch das noch. Musste er es ihr denn so schwer machen?

Kagome wollte schon aus ihren Schuhen schlüpfen um sie gegen bequeme Hausschlappen tauschen zu können als ihr Blick auf ein paar Rosenblätter fiel.

Sie ließ die Schuhe an und ging langsam in die Küche.

Hojo wandte sich um als er sie bemerkte und lächelte. „Hallo Liebling, wie war dein Tag?“

So etwas unendlich Warmes und Liebevolles lag in seiner Mine, dass es Kagome die Kehle zuschnürte. Warum ich?, dachte sie. Warum muss ich so ein Monster sein?

„Ganz okay“, presste sie hervor und plötzlich schwante ihr Übles. Es war nicht so als wäre Hojo nicht immer schon fürsorglich und aufmerksam gewesen, aber das hier …

„Hojo…“, sagte sie langsam, „bitte … was wird das?“

Er sah sie so verständnislos an, dass es sie beinahe schon nervte.

„Was wird was?“

„Na… na das hier…?“

„Ich dachte, du solltest dich mal wieder entspannen. Du wirkst so gestresst in der letzten Zeit, da dachte ich, ich koche dir dein Lieblingsessen – ich hab dir auch den Badezusatz gekauft, den du so gerne hast. Am besten du lässt dir ein Bad ein und ich mach in der Zwischenzeit das Essen fertig. Der Haushalt ist fertig, du musst dich heute um nichts mehr kümmern.“

 

Kagome stand immer noch da, wie bestellt und nicht abgeholt. Dann seufzte sie innerlich. In solchen Momenten zweifelte sie wieder, ob es die richtige Entscheidung war, einen Mann wie Hojo abzuservieren. Vielleicht musste sie einfach noch etwas länger darüber nachdenken… nur noch ein bisschen… zumindest bis nach dem Essen.

Kagome seufzte und erwiderte sein Lächeln. „Das ist so lieb von dir… danke….“

 

Wenig später ließ sie sich mit einem entspannten Stöhnen in das heiße Wasser gleiten, nachdem sie sich Oropax in die Ohren gestopft hatte, um die Geräusche des einlaufenden Wassers auszublenden. Sie mochte diese schlagartige Stille, denn es war so als hätte man die Welt auf Pause gedrückt. Sie schloss die Augen. Sie und Hojo waren erst drei Jahre nach dem gemeinsamen Schulabschluss zusammen gekommen. Er war hartnäckig geblieben und Kagome war wohl irgendwann eingeknickt. Sie und Inu Yasha, das … sie liebte Inu Yasha, ja. Aber als Freund. Er und die anderen waren ihr unglaublich wichtig. Sie waren immer ein tolles Team gewesen, aber eine Beziehung? So gern sie auch bei ihren Freunden gewesen war… ein Leben im Mittelalter war eigentlich nie in Frage gekommen für sie. Sie wollte die Freiheiten, die sie als Mensch, vor allem aber als Frau in der Moderne hatte nicht aufgeben.

 

Aber jetzt, wo sie gefangen war in ihrem Alltag und in einer Beziehung, die sie eigentlich nicht glücklich machte, dachte sie hin- und wieder daran, was gewesen wäre, wenn sie geblieben wäre… sie hätte als Miko leben können… und dann? Frauen hatten keinen guten Stand im Mittelalter, das war nunmal Fakt. Sie wäre vielleicht eine respektierte, aber einsame Priesterin in einer Hütte am Rande des Dorfes geworden, zu der die Menschen zwar kamen, wenn sie ihre heilenden Kräfte benötigten, der man aber ansonsten mit Distanz begegnete, weil sie eine Frau war. Und der Übergang von dem was man als Miko und was als Hexe wahrnahm oft zu schwammig.

Vielleicht sollte sie mal wieder durch den Brunnen reisen, ihre Freunde besuchen. Es funktionierte noch, obwohl es das Juwel nicht mehr gab.

 

Manchmal kam es ihr so vor, als hätte sie noch etwas zu erledigen in jener Zeit, aber da war nichts, das wusste sie. Mit den Dämonen, die hin- und wieder das Dorf Musashi angriffen, wurden Inu Yasha und die anderen auch alleine fertig.

Und sie und Hojo… tja. Irgendwie hatten alle erwartet, dass sie mal ein Paar würden. Mit ihm hatte sie ihr erstes Mal gehabt. Aber der Sex, der am Anfang so schön und blumig gewesen war, befriedigte sie schon lange nicht mehr. Da war keine Leidenschaft, kein Feuer mehr. Da war nur noch etwas das sich nach Schuldbewusstsein und Pflicht anfühlte.

Das heiße Wasser machte Kagome schläfrig und die Lider sanken ihr herab.

 

Die Luft war kalt und es roch nach Schnee. Der Himmel war grau, kein Sonnenlicht durchdrang die Wolkendecke. Beklemmung. Wo war sie hier? Instinktiv nahm sie wahr, dass das nicht das Japan sein konnte, in dem sie lebte. Sie war zurück im Mittelalter. Aber wo war sie? Und vor allem wann war sie? Sie ließ den Blick umher gleiten, drehte sich dabei einmal um die eigene Achse, doch nichts hier kam ihr bekannt vor. Sie bemerkte plötzlich, dass sie vollkommen nackt war, aber wie kam es dann, dass sie die Kälte nicht spürte? Es musste unendlich kalt sein. Sie spürte etwas.

Wandte den Blick nach Norden gen Horizont, verengte die Augen. Regen? Schnee? Etwas kam vom Himmel herab. Es kam schnell und tödlich. Und dann schlugen die Pfeile um sie herum in den gefrorenen Boden ein und sie hörte eine Stimme.

Lauft! Eine Männerstimme, bedeutungsschwanger. Der Tod nahte! Ein Hinterhalt. Plötzlicher Lärm wie während einer Schlacht, doch die Kämpfenden fehlten, aber es war so laut, dass Kagome stöhnend die Hände gegen die Ohren presste, weil sie das Gefühl hatte, ihr Trommelfell platzte und ein Schneesturm kam und verschluckte die unsichtbare Schlacht.

Als sie ihre Augen öffnete und verwundert die Hände sinken ließ, bemerkte sie, dass der Schneesturm immer noch tobte, doch es war weiß, nicht grau und kein Geräusch zu vernehmen. Ihre Lippen öffneten sich in stummem Erstaunen, denn sie war nicht mehr alleine. Ein Mann stand vor ihr, vielleicht fünf Meter entfernt. Sein Brustharnisch war in Höhe des Sternums gesprungen, in seiner weißen Kleidung überall getrocknetes Blut. Pfeile steckten in seinem Körper, unzählige. Langes Haar, das im Begriff war sich aus einem geflochtenen Zopf zu lösen durch den Wind der es erbarmungslos peitschte. Ein Blick aus saphirblauen Augen, der irgendetwas tief in ihr traf.

 

Kagome schreckte hoch und verursachte durch die hastige Bewegung eine riesige Wasserlache auf dem Badvorleger und dem Boden. Mehr unbewusst riss sie sich die Ohrstöpsel heraus. Ihr Herz raste, sie musste die Luft angehalten haben, denn ihr Atem ging flach und abgehackt. Die junge Frau brauchte einen Moment, um zu erkennen, dass sie in der Wanne eingeschlafen sein musste. Das Wasser war immer noch angenehm warm und ein Blick auf die Uhr im Zimmer bestätigte, dass sie höchstens eine halbe Stunde gedöst haben konnte.

Kagome strich sich abwesend die durch die Feuchtigkeit geringelten Fransen ihres Ponys aus der Stirn. Versuchte sich das Bild aus ihrem Traum – oder war es eine Vision gewesen? – ins Gedächtnis zu rufen. Sie wusste, irgendwo her kannte sie den Mann, aber sie kam nicht sofort darauf. Einen Moment ließ sie sich erschöpft zurück ins Wasser sinken, um wieder zur Ruhe zu kommen. Schluckte schwer. Das Herzrasen ließ langsam nach. Sie musste langsam raus, sonst fragte Hojo sich sicher bald wieder, ob sie in der Badewanne ertrunken war.

 

Wenig später verließ sie das Badezimmer in ihrem Lieblingsbademantel und wusste immer noch nicht, wer der Mann aus ihrer Vision gewesen war.

Beim gemeinsamen Essen war sie recht still, sodass es sogar Hojo auffiel. Er schien einen Moment mit dem Gedanken zu spielen, sie anzusprechen, aber dann zu dem Schluss zu kommen, dass sie offensichtlich müde war und so ließ er sie.

 

Sie gingen zu Bett und er streichelte ihren Körper, ihre empfindlichen Stellen und war unendlich zärtlich so wie immer. Aber Kagome empfand nicht das Geringste, als sie wenig später miteinander schliefen und so sehr er sich auch bemühte, fand sie keinen Höhepunkt.

Er kam und schlief wenig später, ihr Haar streichelnd ein. Sie fand keinen Schlaf diese Nacht. Während Hojos Atemzüge gleichmäßiger und tiefer wurden, starrte sie in die Dunkelheit und lauschte auf die leisen Geräusche der nächtlichen Großstadt, die gedämpft ins Zimmer drangen. Auf das schwache Schattenspiel an den Wänden, wenn unten ein Auto vorbei fuhr. Und sie fühlte sich plötzlich einsam.

 

~*~

 

Für Kagome eskalierte die Sache endgültig drei Tage später. Sie hatte ihren freien Tag genutzt, um zum Kickboxen zu gehen, was sie seit drei Jahren in ihrem Fitnessstudio betrieb. Auf diesen Tag freute sie sich immer ganz besonders, da sie sich während dieser eineinhalb Stunden richtig auspowern und die Sorgen des Alltags hinter sich lassen konnte.

Sie hatte, seit sie aus dem Mittelalter zurückgekommen war, schon länger mit dem Gedanken gespielt, einen Kampfsport anzufangen, da es sie nachhaltig nervte, ständig beschützt werden zu müssen. Man konnte sich nicht nur auf Pfeil und Bogen verlassen, außerdem war es auf lange Sicht besser, eine gesunde Muskulatur aufzubauen.

 

Nach dem Training duschte sie und zog sich um und ging zu ihrem Auto. Sie war heute mit ihrer Mutter verabredet.

Verträumt dachte sie an den Onsen, den ihre Mutter ihr versprochen hatte und bemerkte dabei nicht, dass sie eine Nachricht aufs Handy bekommen hatte.

Erst als sie bereits auf die Klingel gedrückt hatte und wartete, dass man ihr öffnete, holte sie es gewohnheitsgemäß aus der Jackentasche. Schaute darauf. Eine Nachricht von ihrer Mutter.

Sie öffnete sie und erstarrte.

/Schätzchen! Wolltest du nicht mit Hojo Schluss machen? Er ist spontan hergekommen und ich habe den Verdacht, dass er dir einen Heiratsantrag machen will!!/

Kagome begann zu schwitzen als sie Schritte aus dem Inneren des Hauses hörte – die Tür wurde aufgeschoben und sie sah direkt in das Gesicht ihres Freundes, der sie anstrahlte, wie um die Worte ihrer Mutter zu untermauern.

 

Kagome starrte ihn an wie ein Reh im Scheinwerferlicht, dann drehte sie sich wortlos um und rannte – ja, sie rannte, es war kein schnelles Gehen mehr – fort.

In ihrem Kopf war Leere und in ihr drin nur Panik und Fluchtbedürfnis.

Hojo rief überrascht nach ihr, doch sie nahm ihn gar nicht mehr wirklich wahr.

Beinahe wie von selbst lenkten ihre Schritte sie zum Schrein, den ihr Großvater sorgsam pflegte. Die Tür gab nach, obwohl ihr Großvater doch eigentlich immer abschloss, und sie spürte schon den altvertrauten Sog des Brunnens, der an ihr zerrte und mit grenzenloser Erleichterung ließ sie sich von den Wirbeln der Zeit umfangen und in die alte Welt tragen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Noch ein kleiner Hinweis: Diese FF ist minimal angelehnt an meine Shichinintai FF „Rot wie Blut“. Man muss diese FF jedoch NICHT gelesen haben, um diese hier zu verstehen. Gespräche wie das zwischen Hideo und Bankotsu in diesem Kapitel, die sich wirklich auf „Rot wie Blut“ beziehen bilden eher die Ausnahme.

Ich bin sehr gespannt auf eure Meinungen und komme auch gut mit höflich formulierter Kritik klar :)

Das Gedicht am Schluss ist übrigens von Robert Frost aus "Stopping by woods on a snowy evening" Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (4)

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Von:  Annasche
2020-10-05T15:33:47+00:00 05.10.2020 17:33
Na das ist doch mal was neues! Der Anfang macht sehr neugierig und ist sehr vielversprechend. Bin gespannter, was du daraus machst...ist schließlich mal ein echt ungewöhnliches Pairing!
Von:  KritzelFuchsKurai
2020-07-13T20:10:03+00:00 13.07.2020 22:10
Nackte realität... kein kitsch kein Fluff und kein zucker dass war die zeit eben nicht die zeit war kalt grausam und unbarmherzig dass alles hast du sehr gut geschrieben. du schafst es mit deinen Worten eben diese Stimmung rüber zu bringen und bringst mir so gerade einen charakter näher mit dem ich mich noch nie beschäftigt habe und bin gespannt wie weit du mich mit dem für mich komplett neuem paring in den bann ziehen kannzt. also ich werde jedenfalls gleich das zweite Kapitel verschlingen.

Lg kurai
Von:  CheyennesDream
2020-04-01T07:10:36+00:00 01.04.2020 09:10
Wie versprochen habe ich weitergelesen.

Sieht so aus, als wäre nicht nur Jakotsu wieder unter den Lebenden. Daher vermutet ich, es tauchen noch andere der 7 auf.
Renkotsu auch? Wenn der auf Bankotsu trifft, wird das sicherlich spannend.
Deswegen bin ich nur noch neugieriger geworden.

Ich hoffe, es gibt demnächst mehr Kapitel.

Chris

Inu no Taisho empfiehlt ...


Von:  CheyennesDream
2020-03-24T20:58:20+00:00 24.03.2020 21:58
Hallo

Wie ich sehe, hast du meinen Rat von 2017 befolgt und dich an anderen Paaren versucht. Hauptsache deine Schreibmotivation ist zurück.

Der Anfang war gut geschrieben, glaubhaft.
Allerdings hätte ich die Geschichte eher ein Jahrhundert später angesiedelt. Spielt doch nach der Serie oder? Natürlich kannst du auch deine Eigeninterpretation niederschreiben. Das ist jedem Autor selbst überlassen.

Mein Interesse ist definitiv geweckt und du hast mich als Leser gewonnen. Vor allem, weil mich das angekündigte Paar interessiert.

Chris




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