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Wilder Mohn

von

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Jakotsu

Er streichelte dem jungen Mann, der neben ihm lag zärtlich über die Wange. „Ist dir kalt?“, flüsterte er. Die Stimme klang amüsiert. „Du fühlst dich eiskalt an.“

Die Fingerspitzen streichelten weiter, passierten die Lippen, das Schlüsselbein, streichelten die definierten Brustmuskeln. Glitten weiter herunter und fanden – nichts. Dort, in der Höhe des Herzens klaffte ein hässliches Loch.

„Stimmt ja, wenn man tot ist, ist man immer kalt.“ Jakotsu seufzte und streckte sich genüsslich. Schwerer eisenhaltiger Blutgeruch lag in der abgestandenen Zimmerluft.

Jakotsu hatte den jungen Krieger, der nun mausetot an seiner Seite lag gestern Nacht in dieses Zimmer gelockt. Er und seine Kameraden hatten gefeiert und gezecht. Er war ihm sofort aufgefallen. Das herrliche Lachen, die schönen, aristokratischen Gesichtszüge, der sehnig-muskulöse Körper und der Schalk in den Augen. Und als er seinen Blick aufgefangen und ihm übermütig zugeprostet hatte, da war es um Jakotsu geschehen. Es war ihm nie schwer gefallen, Männer für sich einzunehmen. Vielleicht lag das an seiner naiven Natürlichkeit, vielleicht auch nur an den unendlich tiefen, großen, immer irgendwie feucht schimmernden Augen.
 

Irgendwann hatte er ihn so scharf gemacht, dass er Jakotsu wie die Ratte dem Pfeifer auf das Zimmer folgte. Er hatte beinahe darum gebettelt, ihm den Schwanz lutschen zu dürfen. Und dann hatten sie miteinander gefickt. Hart und rau. Und als Jakotsu sie beide zum Höhepunkt geritten hatte, als er spürte, wie der Mann seinen Samen tief in ihn spritzte, da hatte er seinen Dolch gezückt und ihm in die Brust gestochen und dann spritzte nur noch Blut. Nach dem 37. Stich hatte er aufgehört zu zählen. War in einen Blutrausch verfallen und als er keuchend, immer noch auf dem Krieger sitzend zu sich kam, war der tot und das Blut in alle Richtungen gespritzt und er fühlte sich unendlich befriedigt. Er war von ihm abgestiegen und hatte seelenruhig neben ihm geschlafen bis zum späten Vormittag.
 

„Was denn?“, raunte Jakotsu als sein Blick auf die toten Augen fiel, „schau mich nicht so vorwurfsvoll an, es gibt wesentlich unangenehmere Sachen, bei denen man sterben kann.“

Er kicherte affektiert, zuckte jedoch zusammen als es plötzlich an die Türe hämmerte. Jakotsu verdrehte die Augen. Konnte man nicht einmal seine Ruhe haben?

Das Klopfen hörte irgendwann auf, als er einfach nicht reagierte, aber er wusste, dass er nicht mehr viel Zeit hatte, bis man misstrauisch werden und sich gewaltsam Zutritt verschaffen würde. Jakotsus Blick fiel auf seine Kleidung – ein Yukata mit ausgebleichten Blumen, den er vor einer Weile gestohlen hatte. Doch der war ziemlich lädiert – schon gewesen, als er hierhergekommen war auf der Suche nach etwas Zerstreuung. Aber die Kleidung des jungen Soldaten schien noch intakt zu sein. Nicht unbedingt das, was er an Kleidung bevorzugte, aber nunja, es war ja nur eine Übergangslösung.

Also zog er hastig die Sachen an – auch die Rüstungsteile, Harnisch, Arm- und Beinschoner – konnte ja nicht schaden, und griff nach kurzem Zögern auch nach dem Schwert. Immerhin hatte er nur den Dolch und da er immer noch nicht wusste, wo sein Jakotsutō abgeblieben war, war das sicher nicht die schlechteste Idee.

Wenig später schob Jakotsu das Fenster auf – er hatte bewusst ein Zimmer gewählt, das zur Hintergasse hinausging und wo er im Fall des Falles nicht allzu viel Aufmerksamkeit erregen würde. Nachdem er sich versichert hatte, dass die Luft rein war, kletterte er leichtfüßig auf das Fenstersims und sprang dann auf ein naheliegendes Schuppendach um von dort dann auf die Erde zu gelangen. Jakotsu strich kurz die Kleidung glatt, ging dann die Gasse entlang zur Hauptstraße und war kurz darauf in der Menge verschwunden.

 

~*~
 

Wie es jetzt weiterging, da war er sich selbst noch nicht so ganz sicher. Er wusste ja nichtmal, warum er hier war. Jakotsu war zwar nie der hellste Kopf gewesen, aber sogar er wusste, dass er eigentlich tot sein sollte. Irgendwann war er einfach wieder da gewesen. Irgendwie. Er wusste nicht warum, aber er hatte da ehrlicherweise auch kaum einen Gedanken verschwendet. Er lebte. Das war die Hauptsache. Leben war kostbar – zumindest das eigene – und das galt es auszukosten. Also lebte er. Aber es war nicht dasselbe. Nicht ohne Bankotsu. Auf den Rest konnte er getrost verzichten, aber sogar bei denen fragte er sich, was aus ihnen geworden war.

Hauptsächlich jedoch Bankotsu. Der, der ihm immer am wichtigsten gewesen war. Der, der von Anbeginn an seiner Seite gewesen war, als er Jakotsu geworden war. Er vermisste ihn schrecklich und er suchte ihn, jeden Tag.
 

Ein Gutes hatte es, dass er dem jungen Mann die Rüstung gestohlen hatte – man begegnete ihm offen mit Respekt, aber ihm war wohl klar, dass er die nicht allzu lange behalten durfte um nicht aufzufliegen. Und es war einfach, wie er bald feststellte, an wertvolle Informationen heranzukommen. Offensichtlich hatte der junge Soldat in einem der Heere der Daimyo gedient, die dafür verantwortlich waren, was mit ihnen passiert war. Konnte man sich zunutze machen. Bankotsu würde sich sicher rächen wollen…

Jakotsu hatte schon so einen Gedanken, wo er hingehen konnte. Sie hatten ein Haus gehabt früher. Er wusste nicht, ob es noch stand, es mochte gut sein, dass nach der Hinrichtung der Shichinintai damals alle Besitztümer gestohlen und das Haus niedergebrannt worden war oder etwas dergleichen. Aber einen anderen Anhaltspunkt hatte er nicht und vor allem war die Stelle an der ihr Haus gestanden hatte oder stand nicht allzu weit von dieser Stadt entfernt.

Unterwegs stahl er sich noch einen Yukata von einer Wäscheleine. Ein schönes, sonnengelbes Exemplar mit Dunkelgelben Sonnenblumen. Das tauschte er dann in einer Hintergasse geschützt von Blicken gegen die Rüstung die er trug, schnürte diese zusammen – wer wusste, wann man sowas nochmal brauchen konnte – schulterte das Päckchen dann und trat schließlich wieder aus der Gasse hervor. Ideal wäre natürlich gewesen, wenn er an Schminke gekommen wäre um die blassen Tätowierungen auf seinen Wangen zu übermalen, aber nun musste es eben so gehen. Außerdem… wer erinnerte sich schon an so etwas wie Tätowierungen, wenn er einmal in seine glänzenden Mandelaugen geblickt hatte?

Jakotsu kicherte leise. Früher, vor seinem Leben bei den Shichinintai, bevor er Bankotsu getroffen hatte, hatte er in einem Bordell gearbeitet und dieses körperliche Attribut hatte ihm einen auffallend hohen Verdienst eingebracht.

Später hatte er sich dann weniger durch körperliche Attribute, sondern durch Brutalität und Grausamkeit als Mitglied der Shichinintai einen Namen gemacht.

Er hatte dem Bordell den Rücken gekehrt und irgendwann war der Zeitpunkt gekommen, ab dem er es gewesen war, der sich die Männer herausgesucht hatten. Die getan hatten, was er wollte, allein schon aus Angst, ihr Leben zu verlieren. Und er hatte begonnen, diese Macht auszukosten.

Jakotsu erreichte bald die Stadtmauern. Eine der Wachen sah ihn komisch an, doch als Jakotsu ihm zuzwinkerte, zuckte der Mann ertappt zusammen und ließ ihn passieren.

 

~*~
 

Da Jakotsu nicht mit der besten Orientierung gesegnet war, verlief er sich zweimal im Wald, ehe er den richtigen Weg wiederfand und es dauerte geschlagene vier Tage ehe er seinem Ziel ansatzweise näher kam. Er bemerkte recht schnell, dass hier lange keiner mehr entlang gekommen war, was ein gutes Zeichen sein konnte. Abergläubische Menschen hielten sich nämlich von den Häusern Ermordeter fern, aus Angst vor Rachegeistern. Natürlich war es immer noch möglich, dass man ihr Haus niedergebrannt hatte. Er wusste zwar, dass Renkotsu regelmäßig die Fassaden mit einer seltsamen Substanz bearbeitet hatte, welche es schwer machte, es zu entzünden, aber seines Wissens nach musste des regelmäßig gemacht werden um eine Wirkung aufrecht zu erhalten. Jakotsu rechnete also mit allem und als die Bäume endlich lichter wurden und er den salzigen Geruch des Meeres spürte und das gedämpfte Rauschen der brechenden Wellen, breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus.
 

Bankotsu hatte damals darauf bestanden, ein Haus bei den steilen Klippen an der Küste zu bauen, um einen Hinterhalt möglichst gering zu halten. Außerdem war die salzige Seeluft angenehm und gut fürdie Haut. Was natürlich nicht Bankotsus Argument, sondern seines gewesen war. Suikotsu hatte gesagt, das Leben am Meer sei gut für die Lungen.

Er wagte sich nahe an die Klippe heran, stemmte die Hände in die Hüften und atmete einmal befreit ein- und aus. Seine Kleidung flatterte dabei im Wind. Die Zeit, die sie hier verbracht hatten, sie alle Sieben, war eigentlich die schönste seines Lebens gewesen. Auch, wenn das Zusammenleben natürlich nicht immer einfach gewesen war.
 

Er und Renkotsu waren bis zu einem speziellen Ereignis nie die besten Freunde gewesen. Jakotsus Blick verdüsterte sich. Renkotsu. Er war das letzte, an das er sich erinnerte, ehe es schwarz geworden war. Renkotsu, dieser Verräter hatte ihn umgebracht. Der sollte ihm mal unter die Augen treten. Er schirmte die Augen mit einer Hand ab und sah in die Ferne. Möwen ließen sich über dem Wasser im Wind treiben, von Zeit zu Zeit stieß eine hinab zur Wasseroberfläche um einen Fisch zu erbeuten. Es dürfte nicht mehr weit sein. Ein paar Meilen noch an der Küste entlang.
 

Nach einer Stunde kam etwas in Sicht, das er als die Überreste eines Hauses identifizieren konnte. Beim Näherkommen bemerkte er, dass man tatsächlich versucht haben musste, das Haus nieder zu brennen und bei einem Teil war das auch gelungen – bei dem Großteil des Restes stand das Meiste noch, war nur hier und da angekohlt und ein morscher, muffiger Geruch schlug ihm entgegen.

„Immerhin“, murmelte er vor sich hin, zuckte jedoch zusammen als er plötzlich ein Geräusch hörte. Jakotsu verengte die Augen und ging in Habachtstellung, wobei er um das Haus herumschlich.
 

Und dann sah er ihn dort sitzen, nah an der Klippe, reglos. Er erinnerte beinahe an einen Haufen Altmetall aus der Entfernung, wenn man ihn nicht kannte. Er rührte sich nicht als Jakotsu näher kam, obgleich er dessen Schritte genau hören musste. Als er bei ihm angekommen war, ließ er sich schließlich wortlos neben ihm in den Schneidersitz fallen. Nach einer Weile, in der nur das Schreien der Möwen und das Branden der Wellen zu hören gewesen war, sagte er leise:

„Hallo, mein Großer“, und lehnte sich vertrauensvoll seitlich gegen den Metallmann. Ginkotsu war nie ein Mann vieler Worte gewesen, aber Jakotsu hatte ihn immer gerne gehabt. Meistens hatte er auch nicht so gewirkt als nahm er groß wahr was um ihn herum geschah, aber wenn er dann einmal etwas sagte, merkte man, dass das sehr wohl der Fall war.

„Wie lang bist du schon hier?“

„Drei Tage. War lange unterwegs.“

Jakotsu nickte verstehend. Er war wohl nicht als einziger auf die Idee gekommen, hierher zurück zu kehren. Immerhin war es der einzige Ort, den sie hatten…

„Ist … ist von den anderen noch jemand hier?“ Er dachte dabei in erster Linie an Renkotsu, immerhin war er es gewesen, der Ginkotsu seinerzeit zu dem gemacht hatte, was er war. Die beiden waren bereits zusammen gewesen als Jakotsu und Bankotsu auf sie gestoßen waren.

Ginkotsu schüttelte den Kopf. „Gin allein.“

„Verstehe.“

Eine Weile wieder nur das Rauschen der Wellen.

„Bist du schon im Haus gewesen?“

Ginkotsu schüttelte den Kopf, aber das hätte Jakotsu sich auch so denken können.

„Ich denke, ich werd mich da mal umsehen“, beschloss er schließlich.

„Besser nicht. Ist gefährlich.“

„Ich pass schon auf, keine Sorge.“
 

Jakotsu schlug sofort der Mief von feuchtem Holz mit der charakteristischen Brandnote entgegen. Ein Geruch, der sich in heruntergebrannten Gemäuern wohl ewig zu halten schien.

Es fröstelte ihn unwillkürlich, während er über Schutt und Trümmer stieg, und das nicht nur wegen der klammen Luft.

Es war ein eigenartiges Gefühl, wieder hier zu sein. Hier, in diesem Haus, wo sie in einem anderen Leben zusammen gelebt hatten, gelacht, getrunken und gefeiert hatten. Zuflucht gefunden hatten, sie, die anders waren.

Es war nie leicht gewesen, aber Jakotsu hatte es geliebt dieses Leben, denn die Zeit bei den Shichinintai war die einzige Zeit seines Lebens gewesen, in der er sich wirklich lebendig gefühlt hatte.

Wäre Bankotsu nicht in sein Leben getreten damals… wer weiß, was aus ihm geworden wäre.
 

„Ich fürchte, das übersteigt meinen Rahmen“, erwiderte Bankotsu und nippte an dem Sake „Außerdem bin ich an Knaben nicht interessiert.“

Das Lächeln blieb, doch Makotos Blick nahm einen deutlich kühleren, fast schon eisigen Ausdruck an.

„Wieso kommt Ihr dann hierher, wenn Ihr es Euch nicht leisten könnt?“ Es hatte herablassend geklungen. Glaubte dieser Kerl etwa, er war etwas Besseres? Bankotsu verengte die Augen und erwiderte gehässig: „Vielleicht, weil ich mich über lächerliche Männer in Frauenkleidern amüsieren möchte!“

„Wie könnt Ihr es wagen, so mit mir zu sprechen!“, zischte der Mann, der gerade so gar nicht mehr fraulich wirkte in seiner Art. „Und überhaupt, wer seid Ihr eigentlich, dass-“
 

Ein zartes Lächeln zeichnete sich auf Jakotsus Lippen ab als er an ihre erste Begegnung dachte und die merkwürdigen Umstände, die sie begleitet hatten. Bankotsu war in das Bordell gekommen, in dem er gearbeitet hatte, aber nicht um sich zu Vergnügen, sondern weil er zu dem Zeitpunkt seit einer Ewigkeit unterwegs gewesen und ums Verrecken kein Zimmer in der Stadt gefunden hatte. Irgendein Fest oder Markt war, meinte er sich erinnern zu können, gewesen.

Nachdem er vorsichtig über Schutt gestiegen war, ohne auszurutschen, sah er am Ende des Gangs, dort wo die Treppe war, etwas Licht. Wie durch ein Wunder war die Treppe zu großen Teilen intakt geblieben, nur die Wände und der Handlauf waren rußig.

Er setzte einen Fuß auf die Treppe und verlagerte das Gewicht testweise auf die erste, dann auf die zweite Stufe. Es knarzte morsch, aber es fühlte sich nicht so an als würde es ihm jeden Moment unter den Füßen wegbrechen.
 

Vorsichtig erklomm er eine Stufe nach der anderen – der Lichteinfall wurde irgendwann stärker und Jakotsu bemerkte bald, dass das Dach an einigen Stellen wohl weggebrochen war. Im oberen Stockwerk angekommen bestätigte sich diese Annahme. Zur Küstenseite des Hauses war das meiste einigermaßen in Ordnung, aber die Westseite hatte einiges abbekommen. Vielleicht lag das an der Feuchtigkeit des Meeres und dem Zeug, dass Renkotsu auf die Wände geschmiert hatte, was wusste er schon. Mit so etwas kannte er sich nicht aus. Aber was sogar er erkannte war, dass es wohl nicht möglich war, dieses Haus wieder herzurichten.
 

Das stimmte ihn traurig. Bankotsu hatte damals das Land gekauft und aufgebaut hatten sie es beinahe ganz allein – unter Zuhilfenahme eines Architekten und Jakotsu musste kichern als er daran dachte, wie oft er Bankotsu verflucht hatte, warum er von dem Geld nicht noch ein paar Arbeiter beschäftigte. Das Argument, dass möglichst wenige wissen sollten, wo sie lebten, hatte dann sogar ihm irgendwann eingeleuchtet. Der Architekt hatte nach Fertigstellung des Hauses aus Sicherheitsgründen damals leider sein Leben lassen müssen.

Jakotsu stemmte eine Hand in die Hüfte und sah Richtung Wald. Das Haus an sich war nicht all zu hoch, aber der Standpunkt lag höher, sodass er bis zu einem gewissen Punkt über die Baumwipfel hinweg sehen konnte.
 

„Wie ist das eigentlich so?“

„Wie ist was so?“

„Dieses Vagabundenleben… ich stelle mir das unglaublich romantisch vor“, fügte Makoto seufzend hinzu, „durch das Land zu reisen, keine Verpflichtungen haben, sein eigener Herr sein … und überall gebrochene Herzen zurücklassen“, fügte er kichernd hinzu.

Bankotsu verzog das Gesicht. „Du hast ganz schön naive Vorstellungen von dem Leben da draußen. Ich habe es mir ausgesucht, aber ich kann nicht abstreiten, dass es hin- und wieder recht hart ist. Vor allem, wenn es Ende Herbst dann richtig kalt wird. Ich habe schon Männer gesehen, denen die Zehen und Finger abgefroren sind vor Kälte. Pechschwarz waren die, mussten dann mit einem Messerabgeschnitten werden“, fügte er grinsend hinzu.

Täuschte er sich, oder hatte Bankotsu gerade ziemlichen Spaß daran, ihn zu ekeln? Makoto rümpfte die Nase.

„Na, sowas passiert sicher nicht mit dem richtigen Schuhwerk.“

„Ganz zu schweigen von den wilden Yōkai, die überall lauern können. Wenn du dich da nicht selbst verteidigen kannst, wirst du schnell in tausend Stücke zerrissen.“

Makoto schnaubte nur. „Die Yōkai, die sich nah genug an den Menschen heranwagen, um ihm gefährlich zu werden, sind meist nicht sonderlich helle. Es braucht nur ein bisschen Geschick mit einem Dolch, um sich gegen die Viecher zu wehren. Also erzähl mir keinen Blödsinn, rein zufällig war mein Vater Dämonenjäger und hat mir eine Menge beigebracht.“

Die linke Augenbraue des Söldners wanderte interessiert in die Höhe.

„Wenn du dich so gut mit Yōkai auskennst, warum fristest du dann dein Dasein in einem Freudenhaus und verdingst dich nicht ebenfalls als Dämonenjäger? Zumindest könntest du dir dann deine Würde bewahren.“
 

Jakotsus Blick war glasig geworden, er starrte in die Ferne, aber eigentlich sah er die eigene Erinnerung. Nein, er hatte wirklich nicht den Hauch einer Ahnung gehabt, wie das Leben als Söldner sein würde. Es war hart und blutig, aber er hatte es genossen, in jedem Zug. Ihm war klar, dass das nicht allen so ergangen war. Suikotsus gute Seite hatte entsetzlich gefunden, was sie getan hatten. Er hatte nichtmal wirklich Blut sehen können und das als Arzt. Mit seiner bösen Seite hatte er ein sexuelles Verhältnis gehabt, auch wenn sein Herz mehr an Bankotsu gehangen hatte. Auch sie hatten in einsamen Stunden hin- und wieder das Bett geteilt. Manchmal hatte Jakotsu ihm Freundschaftsdienste getan, ohne etwas zu fordern, denn Bankotsu hatte zeitlebens unter Alpträumen gelitten und Körperlichkeiten, welcher Art auch immer sie gewesen waren, hatten immer geholfen, ihn zu beruhigen. Und seine Nähe in der Nacht. Und trotzdem hatte er sein Herz nie ganz gehabt.
 

„Bankotsu“, murmelte er seufzend und blinzelte dann, weil seine Augen vom Starren brannten. Was wenn sie sich nicht wieder fanden? Wenn Bankotsu einen anderen Ort gefunden hatte, an dem er zur Ruhe kommen konnte? Dann brauchte er ihn doch gar nicht mehr und…

Jakotsu schüttelte den Kopf und wandte sich dann ruckartig ab, um die Treppen wieder hinab zu steigen.

„Wenn er einen solchen Ort gefunden hat“, sagte er leise zu sich selbst, „dann soll er dort bleiben. Wenn einer Ruhe verdient hat… dann er…“

Er wischte sich kleine Tränchen aus den Augen, während er wieder zu Ginkotsu ging, der sich nicht einen Millimeter aus seiner sitzenden Position gerührt hatte. Setzte sich dann wieder neben ihn.

„Siehst du da irgendwas?“, wollte er nach einer Weile neugierig wissen.

Ginkotsu antwortete nicht auf seine Frage. Stattdessen sagte er: „Bankotsu-san wird kommen.“

„Ja, das wäre schön“, flüsterte Jakotsu dann und folgte dem Blick in die Ferne, wo die untergehende Sonne glutrote gleißende Reflexionen auf dem Wasser tanzen ließ. Und das Rauschen des Meeres. Es war schön. So schön.

 

~*~
 

Ginkotsu sollte Recht behalten. Jakotsu hörte entfernt die Schritte eines Pferdes und er meinte erst, es sich im Schlaf eingebildet zu haben. Doch die Schritte wurden lauter, beständiger. Mit klopfendem Herzen zog er sich seinen Yukata über den Schlafkimono und eilte hinaus, wobei er sich nicht einmal die Mühe machte, sich Schuhe anzuziehen. Der Boden war klamm und kalt, aber das spürte er kaum.

Ein Reiter kam in sich auf einem schneeweißen Ross. Jakotsu hielt den Atem an, denn er hatte ihn längst aus der Ferne erkannt.

„Bankotsu“, formte er lautlos mit den Lippen, ihm standen Tränen in den Augen, aber er lächelte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  CheyennesDream
2020-04-01T07:10:36+00:00 01.04.2020 09:10
Wie versprochen habe ich weitergelesen.

Sieht so aus, als wäre nicht nur Jakotsu wieder unter den Lebenden. Daher vermutet ich, es tauchen noch andere der 7 auf.
Renkotsu auch? Wenn der auf Bankotsu trifft, wird das sicherlich spannend.
Deswegen bin ich nur noch neugieriger geworden.

Ich hoffe, es gibt demnächst mehr Kapitel.

Chris

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