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Unfälle passieren

von

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Der vierte Tag

Das einzig Gute, was der vergangene Tag gebracht hatte, war, dass jetzt alle auf seiner Seite waren. Es war das erste Mal seit langem, dass sie sich alle so früh im Gemeinschaftsraum befanden, und Lucci wäre fast stolz auf sie gewesen, wenn ihm nicht noch so lebhaft im Gedächtnis geblieben wäre, wie sie sich in den vorangegangenen Tagen gegen ihn gestellt hatten. Aber da waren die meisten von ihnen aus dem gleichen Holz geschnitzt; anstatt vergeben und vergessen hieß es für sie in der Regel erinnern und nachtragen.

Ihnen ihre fehlende Kooperation nachzutragen war jedoch etwas, das er in Angriff nehmen konnte, sobald sie Spandam endlich ausgeschaltet hatten. Die Hälfte ihrer Woche in Enies Lobby war bereits verstrichen und bis auf die Tatsache, dass er ihren Vorgesetzten beinahe in einem Tobsuchtsanfall vor Zeugen erledigt hätte, war nicht viel geschehen, worüber es sich zu reden lohnte. (Wenigstens trug Hattori es ihm nicht mehr nach, dass er ihn nicht mit nach San Faldo genommen hatte.)

Keines der anderen Mitglieder sagte zunächst etwas, als sie Lucci teils erwartungsvoll, teils unruhig ansahen und darauf warteten, dass er endlich mit ihnen sprach. Obwohl die Zeit drängte, wollte Lucci diesen Moment so lang hinauszögern wie er konnte. Die anderen konnten ruhig ein wenig ins Schwitzen geraten, immerhin hatten sie ihn auch lang genug warten lassen. Und, wenn er ehrlich war, genoss er die Stille.

Natürlich konnte dieser wunderschöne Moment nicht ewig anhalten.

»Also«, Jabra lehnte sich in einem letzten Akt der Provokation in seinem Sessel zurück, »wie sieht dein genialer Plan aus?«

Lucci hätte lang und breit erklären können, dass der fehlende Plan einzig und allein ihre Schuld war. Schließlich hatte er oft genug versucht, in Ruhe über ihr Vorgehen nachzudenken, war jedoch immer von seinen werten Kollegen unterbrochen worden. Aber er sparte sich den Atem, immerhin hatten sie dafür nun wirklich keine Zeit. Er konnte ihnen später noch Vorwürfe machen. Außerdem hatten diese Saboteure keinen ausgefeilten Plan verdient; sie sollten ihre Köpfe selbst anstrengen und sich etwas überlegen.

»Da ich weiß, dass einige von euch nur in Aktion treten, wenn etwas für sie dabei rumspringt, machen wir einen Wettstreit aus dem Ganzen.«

»Einen Wettstreit?«

Ihm war klar, dass er mit dieser Formulierung zumindest Jabra für sein Vorhaben interessieren konnte. Aber selbst Kalifa rückte versucht beiläufig ihre Brille zurecht und Kaku und Blueno tauschten vielsagende Blicke aus. Fukurou sah wie erwartet weiterhin recht desinteressiert aus, doch das war ihm recht, solange er dicht hielt. Kumadori stampfte einmal mit seinem Stab auf den harten Boden.

»Ein nobler Wettstreit unter Ehrenmännern!«

›Ehrenmänner‹ war etwas weit hergeholt, wie Lucci fand, aber wer war er, seinem enthusiastischen Kollegen zu widersprechen? Nachdem seine Worte bei allen ein wenig gesackt waren, fuhr er mit seiner Erklärung fort. Es gab keine festgelegte Methode, wie sie Spandam ermorden sollten, sodass jeder nach eigenem Ermessen handeln konnte. Das einzige Kriterium war, dass es wie ein Unfall aussehen musste, damit sie nicht vor Gericht aussagen mussten und nachher noch bestraft wurden, nur weil sie der Welt einen Gefallen getan hatten.

Jabra lehnte sich nach vorne und stützte seine Ellbogen auf den Knien ab.

»Und was gibt es zu gewinnen?«

»Einen Preis von unermesslichem Wert. Oder, wahlweise, einen Wunsch, den ich euch ohne Zögern erfüllen muss«, antwortete Lucci und beobachtete mit Vergnügen, wie Jabras Augen blitzten.

Dabei bluffte er nur. Selbst wenn sie einen Preis verdient hätte, besaß er nichts, was sich als Preis gelohnt hätte. Und angenommen, einer der anderen brachte Spandam tatsächlich um, hatte er dennoch nicht im Sinn, ihnen einen Wunsch zu erfüllen. Auch das hatten sie nicht verdient.

Ob sie nun ahnten, dass er sie nur anlog oder nicht, sie schienen dennoch alle soweit mit seiner Idee einverstanden zu sein – oder hatten zumindest keine Einwände, solange sie keinen Finger krümmen mussten. Besonders Jabra wirkte, als wäre er zu allem bereit.

Doch es war Blueno, der sich zuerst erhob und einen entschiedenen Schritt nach vorne machte.

»Ich fange an.«

Jabra murmelte etwas in seinen Bart, das verdächtig nach einer Beleidigung klang, aber Lucci beachtete ihn nicht weiter. Stattdessen grinste er Blueno an und warf dann einen Blick in die Runde.

»Ganz wie du willst. Wir treffen uns zum Sonnenuntergang wieder hier.«
 

Dass Lucci Blueno den Rest des Tages unbemerkt wie ein Schatten folgte, bedeutete nicht, dass er ihn nicht dazu in der Lage hielt, Spandam zu töten. Er vertraute jedem Mitglied gleich wenig, mit wenigen, situationsbedingten Ausnahmen. Aber er wollte zum einen einfach sichergehen, dass Blueno es auch wirklich so durchzog, wie er es sich vorstellte, und zum anderen wollte Lucci dabei sein, wenn Spandam endlich den Löffel abgab. Letzteres war etwas Persönliches und das nicht erst, seit Spandam ihm Wasser ins Gesicht gepfeffert hatte.

Es dauerte eine Weile, bis Blueno nach seiner heroischen Verkündung zur Tat schreiten konnte, was größtenteils daran lag, dass Spandam ein Langschläfer war. Das war er immer, aber gerade heute schlief er noch länger als sonst, vermutlich weil er sich am Vortag mal zur Abwechslung körperlich betätigt hatte. Bluenos erste Chance kam gegen Mittag, als Spandam endlich von seinem Schlafzimmer in sein Arbeitszimmer kroch und es dabei doch tatsächlich schaffte, eine Kanne brühenden Kaffees zu tragen, ohne etwas zu verschütten. Sowie er Blueno erkannte, gestikulierte er träge in dessen Richtung und gähnte ihm entgegen, dass er ihm gefälligst assistieren sollte. Wobei genau war weder Blueno noch Lucci klar, denn immerhin tat Spandam selten etwas, bei dem ein kompetenter Mensch Assistenz benötigen würde – aber vermutlich war das der Knackpunkt.

Lucci konnte nur ahnen, welcher Plan in Bluenos Kopf heranreifte. Hätte er raten müssen, wäre er wohl davon ausgegangen, dass Blueno ihren Boss irgendwie dazu bringen wollte, sich den Kaffee über den Körper zu schütten, und während Spandam wie am Spieß schrie, würde er mit dem weitermachen, was hinterher am natürlichsten aussah. Aber eigentlich wollte Lucci gar nicht raten, am Ende war er ja doch nur enttäuscht.

Es geschah, als Spandam noch etwa drei Meter von seinem Schreibtisch entfernt war. Blueno stellte ihm unauffällig ein Bein, obwohl Spandam noch so verschlafen war, dass er auch einem offensichtlichen Hindernis zum Opfer gefallen wäre. Wie erwartet stolperte Spandam, wirbelte aber unerwartet so stark herum, dass er den Kaffee stattdessen Blueno ins Gesicht schüttete.

Nun, Blueno hätte ausweichen können. Er war ein Mitglied der CP9 mit fast gottgleichen Reflexen und jahrelangem Training. Er hatte die Rokushiki gemeistert und unzählige Missionen zur Zufriedenheit aller ausgeführt. Also nutzte er eine der Techniken, die er gelernt hatte – aber nicht Soru, so wie jeder von ihnen es vermutlich getan hätte (es war die schlauste Idee, fand Lucci), sondern Tekkai, weil Blueno simpel war und immer instinktiv Tekkai nutzte, wenn er sich in einer brenzligen Lage fand.

Zumindest zuckte er nicht einmal mit den Wimpern, als ihn die heiße Flüssigkeit mit einem ebenso lauten Klatschen im Gesicht traf, wie Luccis Hand, die dieser sich gegen die Stirn schlug. So viel also zum ersten Versuch.
 

Der Ansatz für Bluenos zweiten Versuch war nicht schlecht, das musste Lucci ihm lassen. Spandam war niemand, den man mit spitzen, scharfen oder leicht entflammbaren Gegenständen herumhantieren lassen sollte, aber da er viel an seinem Schreibtisch saß, um zumindest so zu tun, als hätte er etwas von Bedeutung zu erledigen, ergaben sich über den Tag verteilt unzählige Möglichkeiten, die mit etwas Hilfe eskalieren konnten.

Außerdem hatte Spandam Blueno ohnehin dazu verdonnert, ihm den Rest des Tages zu helfen. Normalerweise war das leider Luccis Job, weil Spandams einzige Stärke darin lag zu erkennen, welcher seiner Untergebenen am kompetentesten war, aber er hatte wohl zu viel Angst, ihn zu fragen, nach dem, was am Vortag geschehen war. War Lucci nur recht. Wenn Blueno jetzt an seiner Stelle litt, war das in seinen Augen nur ausgleichende Gerechtigkeit.

Während Spandam ihm also mit irgendeiner Nichtigkeit in den Ohren lag, ließ Blueno den Blick über dessen Schreibtisch wandern, um ein geeignetes Werkzeug zu finden. Es war das tückische Blitzen des Brieföffners, das schließlich seine Aufmerksamkeit auf sich zog, und Lucci verstand seine Wahl durchaus. Spandam schnitt sich regelmäßig an der zugegeben nicht allzu scharfen Klinge; solange Blueno es irgendwie so hinbiegen konnte, dass er sich das Ding vielleicht selbst in die Kehle rammte, konnte der Plan durchaus gelingen.

Als Bluenos Versuch jedoch damit endete, dass Spandam den Brieföffner statt in seinen eigenen Körper fast durch Bluenos Hand jagte (das arme Stück Metall hatte keine Chance gegen seinen Tekkai), fragte Lucci sich für einen kurzen Moment, ob er eigentlich nichts Besseres zu tun hatte, als seinem Kollegen beim Versagen zuzusehen.
 

Als Blueno seinen dritten Versuch startete, hatte Lucci die Hoffnung ehrlich gesagt schon aufgegeben. Es musste auch mehr eine Kurzschlussreaktion seinerseits gewesen sein als ein ausgeklügelter Plan, zumindest wollte Lucci das sehr für ihn hoffen.

Es war bereits später Nachmittag, als Spandam sich eine Belohnung in Form von Kuchen für seine harte Arbeit genehmigen wollte (Lucci hatte ihn den ganzen Tag lang beobachtet; von welcher harten Arbeit er sprach, war ihm schleierhaft), und deswegen zusammen mit Blueno sein Büro verließ. Blueno sah so fertig mit der Welt aus, wie Lucci ihn selten gesehen hatte, aber nach allem, was er an diesem Tag schon hatte ertragen müssen, wunderte ihn das nicht.

Als sie an der Treppe angekommen waren, funkelten Bluenos Augen plötzlich fast schon manisch. Lucci hatte ein ungutes Gefühl, besaß aber weder genug Mitgefühl noch hatte er sonderlich Lust, Blueno vor einem eventuellen Fehltritt zu bewahren. So endete es damit, dass Lucci wie in Zeitlupe miterlebte, wie ein Mitglied des weltweit gefürchtetsten Assassinkommandos so massiv versagte, dass es eigentlich schon nicht mehr lustig war.

Lucci konnte nur vermuten, dass Blueno Spandam die Treppe hatte herunterstoßen wollen. Was stattdessen geschehen war, entzog sich seinem eigenen Verständnis, aber irgendwie hatte Spandam es geschafft, sich nicht nur an Blueno festzukrallen, während er panisch schrie, sondern diesen auch noch so zu drehen, dass er an seiner Stelle die Treppen hinabstürzte. Ohne an Tekkai zu denken, wenn Lucci nach dem Brüllen ging, das er hatte hören können.

Entgegen all seinen Erwartungen war Lucci fast von Spandam beeindruckt. Es verlangte schon ein gewisses Genie, ein Mitglied der CP9 die Treppe herunterfallen zu lassen.
 

Als die Zeit für ihr abendliches Treffen gekommen war, war Blueno der Letzte, auf den sie warteten. Es hätte Lucci nicht gewundert, wenn er sich mit seiner Abwesenheit die Schande ersparen wollte zu erklären, wie Spandam ihm gleich dreimal überlegen gewesen war, aber einige Minuten später tauchte er tatsächlich auf, das Gesicht grimmig und die Stirn in Falten gelegt.

Jabra musterte ihn skeptisch.

»Du bist zu spät. Wir haben gesagt, dass wir uns zum Sonnenuntergang treffen.«

»Im Gegensatz zu dir kann ich die Sonne noch sehen, du verlauster Zwerg«, entgegnete Blueno mürrisch, ohne Jabra anzusehen. Lucci war noch nie so stolz auf ihn gewesen, besonders als er sah, dass Jabra zu geschockt war, um etwas zu erwidern. Fukurou und Kaku lachten sogar leise. Eigentlich hatte Lucci zuvor noch überlegt, ob er Blueno auf seine beschämenden Fehltritte ansprechen sollte, doch für diese Aussage wollte er ihm die Schmach ersparen. Stattdessen wartete er, bis sich alle beruhigt hatten, und begann dann zu reden.

»Wir haben noch zwei Tage, bevor wir versetzt werden.« Er warf einen prüfenden Blick in die Runde. »Irgendwelche Vorschläge?«

»Wir können den ganzen Mist auch einfach abblasen«, maulte Jabra, der sich wieder gefangen hatte und sich nun mit einem Finger im Ohr pulte. Lucci rollte mit den Augen.

»Ernstgemeinte Vorschläge?«

»Das war ernstgemeint, du sturer Kuschelkater!«

Darauf hob er nur abschätzig eine Augenbraue. War es Jabra überhaupt wert, dass er darauf antwortete? Lucci blickte den anderen lange beinahe ausdruckslos an und wandte schließlich wortlos den Kopf ab.

»Wie ich bereits sagte—«

»Ignorier mich nicht!«

Wie immer besaß Jabra null Selbstbeherrschung, aber daran störte Lucci sich nicht.

»Zwei Tage dürften eigentlich genug Zeit für uns sein.«

Die anderen nickten zustimmend. Vermutlich kratzte es auch ein wenig an ihrem Stolz, dass Blueno so eine lächerlich simple Aufgabe nicht hatte erledigen können. Die CP9 versagte nicht – schon gar nicht, wenn sie lediglich jemanden wie Spandam ausschalten mussten.

»Spandam hatte schon immer mehr Glück als Verstand«, meinte Kaku nachdenklich. »Vielleicht bringt es mehr, wenn wir zu zweit agieren?«

An sich kein dummer Gedanke, aber bevor jemand darauf eingehen konnte, fuhr Jabra dazwischen.

»Du willst mit jemandem zusammenarbeiten? Kriegst du's allein nicht auf die Kette?«

Kaku mochte auf seine Provokation zwar nicht anspringen, doch Lucci ließ es sich nicht nehmen. Er sah darin eine Möglichkeit zu bekommen, was er in diesem Fall wollte, und das ohne große Anstrengung oder Widerstand.

»Dann nehme ich an, dass du dich dazu in der Lage siehst, Spandam allein auszuschalten?«

Mit einem selbstgefälligen Grinsen auf den Lippen plusterte Jabra sich auf und schlug sich mit einer Faust gegen die Brust. Blueno verdrehte die Augen und Lucci musste sich Mühe geben, sein eigenes Grinsen zurückzuhalten.

»Darauf kannst du wetten, Plüschball!«



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