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Unfälle passieren

von

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Der fünfte Tag

Lucci hätte wissen müssen, dass Jabra einmal mehr nichts weiter als große Töne gespuckt hatte. Das tat er immer, wenn er sich in seiner Ehre gekränkt sah, aber wirklich etwas tun, um ihm das Gegenteil zu beweisen, tat er selten. Er plusterte sich lediglich auf, so wie die Wölfe in diesen grausamen (aber durchaus erheiternden) Märchen, und ließ dann am Ende dennoch andere die Drecksarbeit erledigen.

Erneut begann er den Tag also mit schlechter Laune. Hattori flog ihm schon gar nicht mehr auf die Schulter, sondern beobachtete ihn nur aufmerksam von der Fensterbank aus, so als wollte er sichergehen, dass von ihm keine Gefahr ausging. Lucci rollte mit den Augen – als würde er Hattori etwas tun – und öffnete seine Zimmertür. Sie hatten zwar nun endlich eine Art Plan, aber es ging dennoch nicht so voran, wie er es gerne gehabt hätte. Die Zeit lief ihnen davon, also hatte er eigentlich erwartet, dass die anderen Schlange stehen würden, um Spandams Leben zu einem Ende zu bringen, wenn Jabra es schon nicht tat.

Als er jedoch die Küche erreichte, um sich am besten gleich drei Tassen Kaffee zu genehmigen, ehe er sich mit den anderen Mitgliedern herumschlug, hörte er ein vertrautes Jaulen aus dem Gemeinschaftsraum, gefolgt von einigen vertrauen Stimmen. Lucci hob eine Augenbraue, leerte schnell zumindest eine Tasse des schwarzen Gebräus und folgte dann dem Lärm. Er ahnte, dass das schnell in einen Fehler ausarten konnte, der sich hätte vermeiden lassen, aber er hatte noch genau zwei Tage, um Spandam umzubringen, und an diesem Punkt war ihm alles andere schlichtweg egal.

Als er den Gemeinschaftsraum betrat, musste er sich gar nicht lange umschauen, um die Geräuschquelle zu finden. Von Kalifa war wie erwartet keine Spur zu sehen, und auch Blueno war (vermutlich aus Scham) nicht anwesend. Fukurou hatte sich auf den Sessel niedergelassen, der am weitesten von dem jammernden Häufchen Elend entfernt war, und versuchte, in Ruhe ein Buch zu lesen. Kaku und Kumadori saßen auf der großen Couch in der Mitte des Raumes, während Jabra sich auf einem der breiten Sessel zusammengerollt hatte und laut jammerte. Für einen Moment sah es so aus, als würde er sich am liebsten über die Distanz hinweg an Kumadoris Schulter werfen, aber vielleicht bildete Lucci sich das auch nur ein, weil er immer das Schlechteste von dem anderen dachte.

»Warum nur hat sie mich zurückgewiesen?!«

Mehr Informationen brauchte Lucci nicht, um zu verstehen, was hier gerade vor sich ging. Mit großen Schritten ging er auf die anderen zu und ließ sich in einem der Sessel nieder.

»Ist das etwa immer noch ein Thema?« Er schlug die Beine übereinander und musterte Jabra abschätzig. »Weil dein Fell verfilzt ist, Straßenköter. Deshalb.«

»Kann ja nicht jeder sein ganzes Gehalt in Haarpflegeprodukte stecken!«, keifte er zurück, bevor er den Kopf von Lucci abwandte.

Kaku hob eine Augenbraue. »Aber rechtfertigen tut er sich nicht?«

»Er weiß, dass Lucci recht hat«, erwiderte Fukurou aus seiner Ecke, ohne von seinem Buch aufzusehen. Kumadori hingegen schlug sich mit der Faust auf die Brust und räusperte sich.

»Solange man einen edlen Geist hat, macht es nichts, ob die Haare filzig oder seidig weich sind.«

Ob Jabra nun einen edlen Geist hatte oder nicht, war nichts, was Kaku beurteilen konnte oder wollte. Der Gedanke weckte jedoch eine Erinnerung in ihm. Er dachte daran zurück, wie Pauli einst tatsächlich so dumm gewesen war, Luccis Haare anfassen zu wollen und danach eine Woche nicht zur Arbeit hatte kommen können. Er dachte auch daran zurück, wie Lucci vor vielen, vielen Jahren so ausgelaugt von ihrem Training gewesen war, dass er an seiner Schulter lehnend eingenickt war. Luccis Haare an seiner Wange und seinem Hals hatten sich wirklich unglaublich weich angefühlt, so unwirklich fast, dass Kaku jetzt für einen kurzen Moment zweifelte, ob er sich das nicht alles nur einbildete; aber das gehörte nicht hierher.

Lucci indes besah sich das Trauerspiel eine Weile schweigend. Jedes Mitglied der CP9 mochte brandgefährlich sein, aber das schloss nicht aus, dass mehr als die Hälfte von ihnen schlichtweg Idioten waren. Er dachte eine Weile darüber nach, wie er weiter vorgehen sollte und seufzte dann hörbar.

»Also kann ich davon ausgehen, dass du heute genauso nutzlos sein wirst, wie die vergangenen Tage auch schon.«

Es war eine Aussage, keine Frage, ausgesprochen mit der trockenen Stumpfheit eines Mannes, der in den letzten Tagen mehrmals darüber nachgedacht hatte, nicht doch den Beruf zu wechseln. Das war allerdings nicht wirklich eine Option, also musste er sich etwas einfallen lassen.

Aber erst musste er sich davon abhalten, Jabra für seinen empörten Gesichtsausdruck zu verprügeln.

»Ich bin ja wohl nicht in der emotionalen Verfassung, jetzt jemanden umzubringen!«

Lucci verdrehte die Augen und stand wortlos auf. Alles musste man in diesem Saftladen selbst machen.
 

Eigentlich plante Lucci den Großteil seiner Vorhaben vor ihrer Ausführung durch. Er konnte auch durchaus gut improvisieren – musste er in seinem Geschäft auch –, aber Spontanität war nichts, mit dem er sich rühmen wollte. Dann wiederum durfte er diesen Tag nicht ungenutzt verstreichen lassen.

Sein erster Weg führte ihn also zu Spandams Büro. Kurz überlegte er, ob er sich zumindest einen groben Plan zurechtlegen sollte, aber er beschloss schnell, einfach einzutreten. Irgendetwas würde ihm schon einfallen. Er öffnete die Tür ohne zu klopfen und war milde überrascht, dass sich nur Spandam im Raum befand. Normalerweise hatte er immer mindestens einen Sekretär um sich, den er eigentlich gar nicht brauchte, aber diesmal beugte er sich ohne jegliche Gesellschaft über ein Dokument und sah allen Ernstes so aus, als würde er arbeiten. Spandam hob sogar mit einem genervten Schnalzen den Kopf und wollte sich für die Störung beschweren, doch die Worte blieben ihm umgehend im Hals stecken, als er Lucci erkannte.

Lucci stellte mit Genugtuung fest, wie seinem Gegenüber sofort jede Farbe aus dem Gesicht wich. Dann wanderte sein Blick kurz hinter Spandam; das riesige Fenster an der ihm gegenüberliegenden Wand war weit geöffnet, um die frische Morgenluft in das sonst eher stickige Zimmer zu lassen.

Die Idee kam ihm, ohne dass er groß darüber nachdenken musste.

»Irgendwelche Aufgaben, Chef? Wir langweilen uns ein wenig ohne Auftrag.«

Die Hände in den Hosentaschen war er der Inbegriff von eleganter Lässigkeit, während Spandam sich mit jeder verstreichenden Sekunde mehr anzuspannen schien. Dabei lagen bestimmt noch drei Meter Abstand und ein unnötig großer Schreibtisch zwischen ihnen.

»Euer nächster Auftrag beginnt in ein paar Tagen. Warum entspannt ihr euch nicht einfach?«

Spandam war selten wirklich misstrauisch, schließlich wog er sich mit den Mitgliedern seines eigenen kleinen Killerkommandos um sich herum immer beschützt. Die vergangenen Erlebnisse mit Lucci schienen ihn jedoch so traumatisiert zu haben, dass er jetzt zögerte.

Probeweise machte Lucci einen Schritt nach vorne und beobachtete, wie Spandam sich wiederum weiter zurücklehnte. Ob er ihn wohl dazu bringen konnte, aus reiner Angst vor ihm aus dem Fenster zu springen? Wenn nicht war es auch nicht tragisch. Dann musste er ihn halt selbst dazu überreden und er hatte großes Vertrauen in seine Überredungskünste. Er musste nur herausfinden, wie er am besten auf das Thema zu sprechen kommen konnte.

»Wir sind Mörder. Unser Blutdurst lässt uns nie zur Ruhe kommen.«

Spandam rutsche unruhig auf seinem Sessel herum.

»Ist das so?«

Wie zur Antwort ging Lucci noch einen Schritt auf ihn zu. Er verbarg das Grinsen, das an seinen Mundwinkeln zog, so gut wie möglich; er hatte jetzt schon zu viel Spaß an dieser Herausforderung.

»Wir wissen nicht mehr, womit wir uns ablenken sollen«, sagte er, nachdem Spandam nichts erwiderte. »Einigen ist so langweilig, dass sie sich neue Dinge beibringen. Kalifa hat sogar vor zwei Tagen begonnen, eine neue Fremdsprache zu lernen.«

Er ging noch einen Schritt vorwärts, doch anstatt zu flüchten, presste Spandam sich nur weiter in seinen Sessel. Vermutlich konnte Lucci also lange darauf warten, dass er von sich aus sprang.

Dann musste er eben schwerere Geschütze auffahren.

»Dann lern doch auch was Neues. Kann in eurem Geschäft ja nicht schaden.«

Spandam versuchte zu sehr, seine Worte beiläufig klingen zu lassen, doch Lucci hätte ihm auch blind ansehen können, wie unwohl er sich fühlte. Mit vorgetäuschtem Interesse hob er eine Augenbraue.

»Zum Beispiel?«

»Was weiß ich«, Spandam zuckte mit den Schultern und vermied es, ihn anzusehen, »Fremdsprachen hat Kalifa ja schon abgedeckt, dann kümmere du dich doch ums Tanzen.«

Erneut hob Lucci seine Augenbraue, doch diesmal war er ehrlich überrascht. Er wusste nicht, was Spandam ihm mit dem Vorschlag sagen wollte, also entschied er sich, darüber hinwegzusehen und weiterzumachen, wie geplant.

»Oder etwas, das eine größere Herausforderung darstellt.«

Betont beiläufig (er machte das um Längen besser als sein Vorgesetzter) sah er sich im Raum um, bis Hattori zufällig durch das geöffnete Fenster in Spandams Büro flog und sich zufrieden gurrend auf Luccis Schulter niederließ. Ein Grinsen unterdrückend kraulte Lucci ihm das Köpfchen und nahm sich vor, ihm später ein besonders leckeres Abendessen zusammenzustellen.

Dann sah er Spandam direkt ins Gesicht und machte sich nicht mehr die Mühe, das Grinsen zu verbergen.

»Fliegen zu lernen erscheint mir sinnvoll.«

»Als ob ein Mensch Fliegen lernen könnte.«

Als ob Lucci es überhaupt lernen wollte, aber darum ging es jetzt nicht. Sonst besaß dieser Idiot doch auch nicht so viel gesunden Menschenverstand.

»Sind Sie sich sicher?« Er setzte sein überzeugendstes Raubtierlächeln auf. »Unsere Körper sind zu viel mehr imstande, als wir denken.«

Damit hatte er sein Interesse geweckt. Das konnte Lucci daran sehen, wie Spandams Augen sich weiteten und der Mund ihm leicht offenstand.

»Meinst du das ernst?«

»Selbstverständlich.«

Erneut ging er einen Schritt nach vorne und diesmal lehnte Spandam sich auch vor. Jetzt hatte er ihn. Dabei redete er absoluten Schwachsinn. Menschen konnten nicht fliegen wie Vögel, obwohl Spandam ihm vielleicht noch voraushatte, dass zumindest sein Kopf hohl war, wenn es seine Knochen schon nicht waren.

»Man braucht nur die richtige Technik, aber das Prinzip bleibt gleich.« Bevor Spandam Zeit dazu hatte, seine Worte erneut infrage zu stellen, fuhr er fort: »Wir beherrschen Geppo, und streng genommen schweben wir damit durch die Luft.«

Taten sie nicht, aber das wusste Spandam ja nicht. Eigentlich setzte seine Position voraus, dass er die Rokushiki zumindest als Techniken verstand, wenn er sie schon nicht selbst ausführen konnte, aber das wäre bei Spandam nun wirklich zu viel verlangt gewesen. Für Lucci war es einer der seltenen Momente, in denen das fehlende Fachwissen seines Vorgesetzten ihm tatsächlich gelegen kam, denn so verdächtigte er ihn nicht annähernd so sehr, wie er eigentlich sollte.

»Also meinst du wirklich, dass man mit der richtigen Technik fliegen könnte?«

»Wenn ich es Ihnen doch sage.« Seine Stimme wurde tiefer, verschwörerisch. »Soll ich es demonstrieren?«

»Du hast es schon ausprobiert?!«

Anstatt zu antworten, ging Lucci nur gemächlichen Schrittes auf das Fenster zu. Ohne noch groß zu zögern, sprang Spandam aus dem Sessel und trat ebenfalls näher ans Fenster. Lucci musste sich zurückhalten, ihn nicht einfach jetzt schon zu schubsen, aber für den Fall, dass sein Plan nicht funktionierte, war das seine Notlösung.

Lucci fasste sich gespielt entrüstet an die Brust.

»Meinen Sie, ich würde Ihnen diesen Vorschlag unterbreiten, wenn ich nicht absolut davon überzeugt wäre?«

Spandam sah ihn mit großen Augen an, als wäre er der Messias selbst. Luccis Worte schienen Sinn für ihn ergeben zu haben, also überlegte er jetzt, bis er entschlossen nickte, sich mit einer Hand am Fensterrahmen festhielt und schon einmal einen Fuß auf die Fensterbank stellte.

»Und was genau muss ich tun?«, fragte er, den Blick nach oben in den Himmel gerichtet.

Lucci hörte Engel singen – oder Hattori gurrte ihm ein neues Lied ins Ohr, das mochte auch sein. Jedenfalls war er seinem Ziel noch nie näher gewesen. Er wollte gerade zu seinem finalen Schlag ansetzen, als die Tür zu Spandams Büro mit so viel Schwung geöffnet wurde, das sie gegen die steinerne Wand knallte.

Während die Engel wieder verstummten gab Lucci sich der Hoffnung hin, dass Spandam sich vielleicht so sehr erschreckte, dass er von sich aus fiel, aber nein, ganz im Gegenteil; er zuckte zwar zusammen, stieg dann jedoch wütend von der Fensterbank und ging zurück zu seinem Schreibtisch.

»Was ist denn los, Jabra?«, fuhr er den Störenfried empört an.

Jabra. Natürlich.

Ganz langsam drehte Lucci sich um und machte sich nicht die geringste Mühe, seine Mordlust aus seinen Augen zu verbannen. Spandam stand ohnehin mit dem Rücken zu ihm. Jabra hingegen stoppte abrupt in seiner Erklärung, die Lucci geflissentlich ausgeblendet hatte, und brauchte fünf Sekunden zu lang für Luccis Geschmack um zu realisieren, dass er gerade seinen Plan durchkreuzt hatte.

Lucci war fest entschlossen, diese Woche mit einem Toten enden zu lassen. Und wenn es nicht Spandam war, den er ausschalten konnte, würde er sich auch mit Jabra begnügen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Myon-Wolf
2022-06-28T20:25:39+00:00 28.06.2022 22:25
Also jetzt habe ich mir alle Kapitel durchgelesen und muss sagen...selten so viel gelacht :D
Ich finde sie spitze!
Die Art wie du Lucci schreibst ist einfach genial! vielleicht schreibst du ja doch noch weiter ich würde es feiern!
Mich würde interessieren wie Kaku seinen Mordversuch startet! Oder ob er es sogar schaffen würde und Lucci ihm vielleicht doch einen Wunsch erfüllt :P

Danke für die bisher so unglaublich guten Kapitel!
Antwort von:  Schangia
30.06.2022 21:12
Das freut mich sehr zu hören! :D
Irgendwann will ich die letzten Kapitel auf jeden Fall noch schreiben, weil Lucci zu schreiben echt therapeutisch ist XD
Danke dir für den lieben Kommentar <3
Antwort von:  Myon-Wolf
01.07.2022 00:01
Das kann ich sehr gut verstehen! Aber ich finde die "fast Ausraster" einfach herrlich :D Ich kann mir so gut vorstellen wie er versucht nicht auszurasten und Jabra es schafft das alles über den Haufen zu werfen! Da ist Kaku doch eindeutig der kompetentere Part :P
Ich freue mich sehr drauf mehr davon zu lesen <3
Antwort von:  Schangia
04.07.2022 23:17
Ich kann mir gar nicht vorstellen, über wie viel Selbstbeherrschung Lucci verfügen muss, um das alles zu ertragen. Eigentlich hätte er es verdient, einmal richtig ausrasten zu dürfen xD Und definitiv, Kaku übertrifft Jabra was Kompetenz betrifft bei weitem!
<3
Antwort von:  Myon-Wolf
06.07.2022 19:00
Dann sollte er vielleicht auch mal richtig ausrasten dürfen! Spandi zu töten wäre doch ein erster Schritt in die richtige Richtung XD


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