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Unfälle passieren

von

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Der zweite Tag

Obwohl Lucci bereits gerne am Vortag einen vollständig ausgereiften Plan gehabt hätte, nahm er die überraschende Unentschlossenheit der anderen mit Fassung. Schließlich lag es nicht daran, dass sie ihm nicht grundsätzlich zustimmten – jeder von ihnen wollte Spandam tot sehen, und Lucci war sich auch ziemlich sicher, dass jeder von ihnen gerne derjenige sein wollte, der ihm den Hals letzten Endes umdrehte –, sondern an der Faulheit, die sie erstaunlicherweise alle an den Tag legten. Wäre Lucci nicht so unendlich genervt mit Spandam gewesen, hätte er Jabra vielleicht sogar recht gegeben und einfach still auf den Tag gewartet, an dem der Idiot sich selbst außer Gefecht setzte. Die Zeit hatte er nun allerdings nicht mehr, weil wer wusste schon, welcher Horror ihn auf einer Undercover-Mission erwartete, an der sie alle teilnahmen?

Die Hälfte von ihnen hatte er zumindest schon überzeugen können; Kaku war intelligent genug um ihn erstens nicht zu reizen und zweitens ohnehin in den meisten Angelegenheiten seiner Meinung zu sein, und Blueno folgte jedem seiner Befehle fast blind. Fukurou hatte deutlich gemacht, dass ihn die ganze Angelegenheit nicht wirklich interessierte und er sich einfach dem Mehrheitsentschluss fügen würde, was Lucci zumindest mit ihm Zeit einsparte. Blieben Kumadori, Kalifa und Jabra.

Kumadori zu überreden würde sich noch am einfachsten gestalten. Dazu musste er nur ein paar dramatische, idealistische Reden darüber schwingen, wie Spandam seine Macht schändlichst missbrauchte und dass seine Ideen mit wahrer Gerechtigkeit nichts zu tun hatten. Was ja auch der Wahrheit entsprach, aber manchmal hatte Lucci das Gefühl, er wäre der Einzige, dem das eigentlich bewusst war. Aber gut, für Kumadori würde ihm etwas einfallen. Er war immerhin ein überzeugender Schauspieler.

Kalifa zu überreden war an sich auch nicht schwer, solange er Argumente hatte, die sie überzeugten. Es musste sich für sie schlichtweg lohnen, dieses Risiko in Kauf zu nehmen, aber sobald er ihr mit seiner zumeist unschlagbaren Logik erklärte, warum Spandam endlich verrecken musste, würde sie schon mitmachen. Oder ihn nach getaner Arbeit zumindest nicht verpfeifen.

Das wirkliche Problem stellte Jabra dar, weil er einfach nur aus Prinzip gegen Luccis Vorschlag war. Jabra hasste Spandam genauso sehr wie jeder andere von ihnen auch – vielleicht sogar ein bisschen mehr, weil ihr schwachköpfiger Boss regelmäßig Witze über Hunde riss, die er selbst zugegeben sehr amüsant fand –, aber er konnte halt nicht zugeben, dass Lucci recht hatte. Wie immer eigentlich. War ja auch nicht das erste Mal, dass sie sich in so einer Situation befanden, obwohl das letzte Mal bestimmt zehn Jahre zurücklag.

Lucci seufzte schwer und schloss kurz die Augen. Er konnte die drei natürlich auch bedrohen und sie dazu zwingen, bei seinem Vorhaben mitzumachen, aber wenn ihnen eine gemeinsame Mission von wer weiß wie vielen Jahren bevorstand, war das wohl nicht die beste Idee. Nicht, dass ihm Harmonie innerhalb der Gruppe besonders wichtig war, aber er hatte wirklich keine Lust darauf, wochenlang so zu tun, als würden ihm die missbilligenden Blicke und das Zungenschnalzen der anderen nicht auffallen. Und es konnte doch nicht so schwer sein, einen Weg zu finden, die drei Sturköpfe zu überzeugen.

Unter normalen Umständen wäre es das auch nicht gewesen, aber derzeit hatte Lucci ja nicht einmal in seinem eigenen Zimmer seine Ruhe. Seit bestimmt einer Stunde jammerte Jabra nun schon im Gemeinschaftsraum, weil er wieder bei irgendeiner Dame abgeblitzt war und er das nicht verkraftete. Zwischen dem Gemeinschaftsraum und seinem eigenen Zimmer lagen ein langer Gang und zwei Sätze dicker Steinwände, also war es fast schon wieder eindrucksvoll, wie laut die Töle heulte. Aber auch nur fast.

Als Jabra ein besonders lautes Jaulen ausstieß, riss Lucci endgültig der Geduldsfaden. Er war ja gerade schlimmer als Spandam, verdammt noch mal. Er erhob sich so plötzlich, dass Hattori ihm beleidigt gurrend von der Schulter flog, und lief schnurstracks auf die Den Den Mushi zu, die auf seinem Schreibtisch stand. Es war an der Zeit, dass er endlich zu härteren Mitteln griff, denn so konnte es schlichtweg nicht weitergehen.
 

Ein professioneller Hundetrainer stand noch am selben Nachmittag vor der Tür. Jabra war sogar derjenige, der ihm die Tür öffnete, und Lucci hatte ihn lange nicht so verwirrt gesehen. Vermutlich roch er, dass sein Gegenüber mit Hunden zu tun hatte – zumindest für Lucci stank der untersetzte Mann mit Halbglatze ganz fürchterlich. Darüber konnte er jedoch hinwegsehen, denn der abschätzige Blick, mit dem der kleine Mann Jabra musterte, war unbezahlbar.

»Mein Name ist Korasu. Ich bin der Hundetrainer, den Sie so dringend heute noch sehen wollten.«

»Hundetrainer?!«

»Wie schön, dass Sie es noch geschafft haben«, schaltete Lucci sich ein, damit er etwas zu tun hatte, das ihn davon abhielt, laut loszulachen. Jabras Gesichtsausdruck machte es ihm schwer, sich weiterhin zusammenzureißen. Korasu rollte nur mit den Augen, nachdem er Lucci ebenfalls gemustert hatte.

»Sie haben sehr deutlich gemacht, dass ich keine Wahl habe, wenn ich den nächsten Tag noch erleben möchte. Ihretwegen musste ich einem Stammkunden absagen.«

»Das wird er Ihnen schon verzeihen«, sagte Lucci so freundlich wie möglich und versuchte immer noch vehement, sein Lachen zu unterdrücken. »Aber Sie werden verstehen, warum ich Ihre Hilfe noch heute benötige.«

Korasu seufzte so genervt, wie Lucci sich seit gestern fühlte. Obwohl er es wirklich nicht erwartet hatte, war irgendetwas an der subtil menschenverachtenden Art des Hundetrainers ihm bereits ans Herz gewachsen.

»Na gut, wo ist denn der Härtefall, von dem Sie erzählt haben?«

»Er steht direkt vor Ihnen.«

»Ha?!«

Jabras teils empörter, teils erschrockener Ausruf klang noch schöner in seinen Ohren als Spandams erbärmliches Jammern gestern, als er fast in Flammen aufgegangen wäre. Sein Gesichtsausdruck, als er zu ihm herumwirbelte und ihn entgeistert anstarrte, machte Lucci glücklicher als all die Geburtstagsgeschenke der letzten fünf Jahre, die er von seinen Kollegen bekommen hatte (mit Ausnahme des Trimm-Rasierers, den Kaku ihm einst geschenkt hatte).

»Du hast doch den Schuss nicht gehört!«

Auf Jabras Brüllen hin hob Korasu eine Augenbraue und warf einen prüfenden Blick in Richtung Lucci, so als wollte er noch ein letztes Mal sichergehen, dass er sich nicht verhört hatte.

»Na warte, du blöder Plüschball, jetzt kannst du was erleben!«

Damit verwandelte Jabra sich und sprintete so schnell auf Lucci zu, wie seine kratzbürstig beharrten Wolfsbeine ihn tragen konnten.
 

»Du hast einen Hundetrainer gerufen, weil Jabra nicht sofort zugestimmt hat, Spandam zu töten?«

»Nein. Ich habe einen Hundetrainer gerufen, weil Jabra mir mit seinem Gejaule schon mein Leben lang auf die Nerven geht.«

»Du musst zugeben, dass das Timing einen anderen Schluss zulässt.«

Kaku sah ihn skeptisch an, ehe er wieder beobachtete, was sich seit einigen Minuten in ihrem Gemeinschaftsraum abspielte. Korasu hatte schnell geschaltet, als Jabra plötzlich zu einem Wolf geworden war. Wie aus dem Nichts hatte er eine Leine samt Halsband hervorgezaubert und Jabra mit so viel Übung um den Hals gelegt, dass selbst Lucci milde beeindruckt gewesen war. Der anschließende Stromschlag, den er dem Wolfsmenschen verpasst hatte, war noch überraschender gekommen, aber je länger Lucci darüber nachdachte, desto mehr Sinn ergab es. Korasu arbeitete zwar mittlerweile primär mit Hunden von sehr reicher Kundschaft, aber in jüngeren Jahren hatte er häufiger mal mit Wildtieren zu tun gehabt, bei denen solche Maßnahmen durchaus angemessen waren.

Es war offensichtlich, dass Korasu kein großer Freund von Menschen war, aber von Hunden schien er auch nicht sonderlich begeistert zu sein. Lucci hinterfragte zwar die Berufswahl des kleinen Mannes, aber das änderte nichts daran, dass er ihm immer sympathischer wurde.

Jedenfalls hatte der Hundetrainer nun mit den ersten Lektionen begonnen und Lucci wusste bereits jetzt, dass dieses Erlebnis jeden Beli des überteuerten Honorars wert war, das Korasu dreist verlangt hatte. Wenn Jabra Zeit gehabt hätte, hätte er ihm bestimmt einen bösen Blick nach dem anderen zugeworfen, doch Korasu hielt ihn so beschäftigt, dass er sogar damit aufgehört hatte, ihn versucht einschüchternd anzuknurren.

Das Halsband hatte er Jabra immer noch nicht abgenommen, weil er ihm anscheinend nicht vertraute, ohne keine Dummheiten anzustellen – was eine weise Entscheidung war; Lucci hätte es nicht anders gemacht. Allgemein schlug Jabra sich aber nicht allzu gut. Auf Kommandos wie Sitz, Platz und Komm hörte er überhaupt nicht. Seine einzige Reaktion war in den meisten Fällen eine Beleidigung, die je nach Härtegrad einen kraftvollen Ruck an der Leine oder gleich einen Stromschlag zur Folge hatte. Als Korasu es mit Bleib versuchte, funktionierte das tatsächlich, aber Jabra war halt ein fauler Mistkerl, also wunderte Lucci das nicht.

Der Hundetrainer war ferne der Ansicht, dass es unentbehrlich war, Jabra Nein und Aus beizubringen, für den Fall, dass er mal etwas in den Mund nahm, was dort nicht hineingehörte. An diesem Punkt musste Lucci sich für einige Sekunden von den anderen abwenden, weil er sein Lachen kaum zurückhalten konnte. Mittlerweile war er sich sicher, dass dies die beste Idee war, die er je gehabt hatte. Es wäre grandios gewesen, wenn nicht nur Kaku und er selbst, sondern auch die anderen Jabra so hätten sehen können.

Blueno, Fukurou und Kumadori waren sonst wo, aber Kalifa war vor einiger Zeit in den Raum getreten, war minimal verwirrt stehengeblieben und hatte skeptisch zwischen Jabra und ihm hin und her gesehen, ehe sie sich die Brille gerichtet hatte und wieder gegangen war, ohne ein Wort zu sagen. Lucci war sich sicher, dass sie ihn missbilligend gemustert hatte, aber was kümmerte ihn das, wenn er dafür Zeuge von Jabras ultimativer Demütigung sein konnte.
 

Zehn frustrierend fruchtlose Minuten später hatte Korasu anscheinend genug. Er seufzte genervt, rieb sich die Schläfe und winkte Kaku zu sich hinüber, damit dieser ihm eine Sprühflasche mit Wasser füllen konnte. Kaku zögerte zwar, tat aber wie geheißen und trat schließlich gemeinsam mit Lucci näher ans Geschehen heran. Lucci hatte eine Ahnung, was nun passieren würde, und er konnte es kaum erwarten.

Dass Korasu Ahnung von seinem Beruf hatte, obwohl er Tiere nicht sonderlich zu mögen schien, wurde besonders dann deutlich, wenn er ihnen nebenher erklärte, welchen Sinn seine Übungen hatten. Die meiste Zeit hatte Lucci sich zwar auf Jabras wütendes Gesicht konzentriert, doch der nächste Satz ließ ihn aufhorchen.

»Es ist wichtig, dem Hund bewusst zu machen, dass er in Ihrem Rudel an letzter Stelle steht. Wollen Sie es mal versuchen?«

Korasu nickte in Kakus Richtung, der etwas unschlüssig den Kopf schief legte und fragend auf sich selbst zeigte. Korasu winkte ihn ungeduldig heran.

»Nun kommen Sie, ich habe nicht den ganzen Abend Zeit und jeder von Ihnen muss dazu in der Lage sein, ihn zu disziplinieren.«

»Disziplinieren?! Ich hab mich wohl verhört, du alter— hey!«

Ohne mit der Wimper zu zucken, spritzte Korasu Jabra eine Ladung Wasser ins Gesicht, die ihn erfolgreich zum Schweigen brachte. Dann reichte er die Flasche an Kaku weiter, der immer noch mit sich zu hadern schien.

»Und jetzt Sie«, sagte er salopp. Als er bemerkte, dass Kaku noch immer zögerte, rollte er mit den Augen und wurde etwas energischer. »Seien Sie nicht zimperlich. Wenn das Tier könnte, würde es dasselbe mit Ihnen machen.«

Jabra knurrte, wie nur ein gedemütigtes und in die Ecke gedrängtes Tier knurrte.

»Worauf du wetten kannst, du elende— Kaku!«

Jabras Augen schienen vor Wut zu brennen, als Kaku ihm zunächst zögerlich, aber dann zunehmend selbstbewusster Wasser ins Gesicht spritzte. Sogar Korasu schien zufrieden, nickte leicht und ließ die Sprühflasche im weiteren Verlauf des Trainings ganz in Kakus Obhut, der zunehmend mehr Spaß an seiner neuen Aufgabe fand. Lucci ging bei dem Anblick fast das Herz auf. Zumindest glaubte er das; er wusste ja nicht einmal, ob er überhaupt noch eins besaß.
 

Das Training dauerte noch eine gute Stunde, nachdem Lucci dem Hundetrainer eine zusätzliche Entlohnung versprochen hatte. Kurz bevor Korasu seine Ausrüstung dann endgültig zusammenpackte, schaute Blueno noch im Gemeinschaftsraum vorbei, wenn auch sichtlich verwirrter als Kalifa. In einem seltenen Anflug von Wohlwollen wollte Lucci ihn für seine konstante Loyalität belohnen, also durfte auch Blueno Jabra Wasser ins Gesicht spritzen, wann immer dieser eine Übung nicht zu Korasus Zufriedenheit ausführte – was ziemlich häufig vorkam, wenn man bedachte, dass er es eigentlich besser wissen müsste.

Lucci hatte Bluenos Augen noch nie so funkeln sehen und machte sich deswegen auch keine Sorge darüber, dass sie Jabras Training vielleicht schleifen lassen könnten, sobald der Hundetrainer sie verlassen hatte.

Wenig später verabschiedete Korasu sich mit der höflichen und zugleich herabwürdigenden Distanz, die Lucci selbst nach der kurzen Zeit so an ihm zu schätzen gelernt hatte. Er bat ihn ebenfalls darum, beim nächsten Mal doch bitte im Voraus einen Termin zu vereinbaren, obwohl er durchaus verstehen konnte, warum Lucci ihn so gedrängt hatte.

Korasu wünschte ihm außerdem viel Erfolg bei Jabras weiterer Erziehung, was Lucci zugleich sehr umgänglich und urkomisch fand.

Und dann war der Tag auch schon zu Ende und sie hatten noch immer nicht versucht, Spandam umzubringen. Lucci war dank Jabras jämmerlichem Geheule so sehr mit ihm beschäftigt gewesen, dass er den anderen Schwachkopf völlig vergessen hatte. Erstaunlicherweise hatte Spandam sich aber auch den ganzen Tag nicht blicken lassen, was höchst ungewöhnlich war. Aber vielleicht war das auch der Grund, aus dem er Fukurou und Kumadori nicht gesehen hatte.

Lucci war angefressen darüber, dass er nicht die Zeit und Ruhe gehabt hatte, sich einen ordentlichen Plan zu überlegen. Auch wenn er zugeben musste, dass der Hundetrainer seine beste Idee seit langem gewesen war. Aber gut. Jabra dürfte er für die nächsten Tage erst einmal gefügig gemacht haben, und sobald sie einen richtigen Plan hatten, war der wirkliche Mord eine Frage von Minuten. Sie hatten noch genügend Zeit.



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