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Ein Bett gemacht aus Schweigen

von

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Egal

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dude1996: hi bro
 

Torte: moin
 

dude1996: sag ma was hast n du alles von subway
 

Torte: alles

Torte: wieso?
 

dude1996: auf festplatte
 

Torte: ja
 

dude1996: ich hab das ganze alte zeug nicht mehr . kannst du mir die ersten 3 alben schicken
 

Torte: nope. ich mag die band. kauf dir die
 

dude1996: ich mag subway auch alter

dude1996: das ist es ja

dude1996: wie lange wird es die band wohl jetzt noch geben??
 

Torte: hä? wollen die sich auflösen?
 

dude1996: ey du weißt es noch nicht??

dude1996: du weißt nicht was bei denen passiert ist??
 

Torte: ich weiß gar nix … was denn passiert?
 

dude1996: alter halt dich fest

dude1996: der sänger i

dude1996: s tot
 

Torte: WAS?

Torte: eric fish?
 

dude1996: ja der eric fish alter

dude1996: der ist tot
 

Torte: ey, verarschst du mich jetzt?
 

dude1996: nein mann! das stand heute in der lokalzeitung von dem kaff wo der gewohnt hat

dude1996: nine hat mir den artiekl abfotografiert

dude1996: ich schicks dir
 

Torte: mann. ooooooh MANN. ich kann es grad nicht glauben
 

dude1996: ich schick dir den artikel du schickst mir die alben

dude1996: ok??
 

Torte: warte

Torte: lass mich das erst mal nen moment verarbeiten … das ist ja echt krass
 

dude1996: pass auf bald berichten alle hps aus der schwarzen szene darüber
 

Torte: das tut mir total leid …
 

dude1996: mir auch

dude1996: RIP eric fish

- -
 

13. Oktober, 12.05 Uhr
 

Alea starrte auf seine Hände, die leicht zitternd vor ihm auf der kühlen hellen Tischplatte lagen.

Ich kann das nicht glauben, dachte er. Erwarten die jetzt wirklich von mir, dass ich das glaube?

»Könntest du bitte mal was sagen? Irgendwas?« Lasterbalk lehnte mit vor der Brust verschränkten Armen an der zitronengelben Wand, die einen hässlichen Kontrast zu seinem beigefarbenen T-Shirt bot, und seit fast vier Minuten ruhte sein Blick unverwandt auf Alea, darauf fixiert, eine erste Regung in dessen starrem Gesicht sofort zu registrieren. Lasterbalk war ein scharfäugiger Beobachter. Und jetzt genoss Alea seine uneingeschränkte Aufmerksamkeit.

»Was soll ich denn sagen?«, gab Alea lahm zurück, die Stimme so teilnahmslos wie seine Miene. »Du hast mir gerade sagt, dass einer meiner besten Freunde …« Es sollte leicht sein, diesen Satz zu beenden. In Filmen schafften sie es nie, dieses eine einfache Wort auszusprechen, verschluckten sich nur an ihrer Zunge und ließen stattdessen ihre großen, feuchten Augen die Botschaft tragen. Aber es stimmte. Es war tatsächlich unmöglich, das Wort laut zu sagen. Das hätte Alea nicht gedacht.

»Du könntest mir sagen, dass du’s verstanden hast. Wenigstens nicken.«

»Ich hab es verstanden.«

»Na gut. Ich brauch dir nicht zu sagen, wie ich mich dabei fühle, oder?« Lasterbalk klang gestresst und müde, ein Umstand, der Alea erst jetzt auffiel. »Muss ich mir Sorgen um dich machen?«

Nein, wollte er sagen. Aber sein Mund öffnete sich nicht. Träge blieben seine Lippen, wo sie waren.

»Das heißt ›Ja‹, oder?« Lasterbalk entknotete seufzend seine langen, muskulösen Arme, schob sich nachlässig das Haar hinters Ohr und kam in zwei langen Schritten zu dem Tisch, an dem Alea saß, dem einzigen verdammten Tisch im Aufenthaltsraum jener Karlsruher Jugendherberge, in der sie Station machten.

Seit gestern.

Zum Feiern.

»Hör mal … Ich kann dich entweder nach Hause bringen oder du kommst mit zu mir. Aber alleine hierlassen werd ich dich jetzt nicht.« Lasterbalk sah ihn abwartend an.

»Ist mir egal«, hörte Alea sich sagen. »Ehrlich, ist mir total egal.« Es stimmte.

»Na, dann hol deinen Kram.« Nach einem ungewohnt vorsichtigen Schulterklopfen stellte sein langjähriger Freund die räumliche Distanz zwischen ihnen, die er eben so kühn überbrückt hatte, wieder her. »Ich warte am Auto auf dich. Trödel nicht rum, bitte. Das bringt nichts.«

Alea nickte stumpf. Gott, war ihm das egal. Es war alles so egal.
 

12.21 Uhr
 

»Wer war das?«, fragte Alea träge und nickte mit dem Kopf zur offenen Autotür, durch die Lasterbalk gerade einstieg. »Der Typ, mit dem du eben noch gesprochen hast.«

Der große Mann musterte ihn eingehend, während er seine langen Beine unter dem Lenkrad zusammenfaltete. »Gut zu sehen, dass du doch noch an deiner Umwelt teilnimmst.« Er startete den Motor. »Das war Olaf Knussen von der KriPo. Der bearbeitet … den Fall.«

»Du meinst, den …« Schon wieder. Das Wort wollte schon wieder nicht heraus.

»Mord«, sagte Lasterbalk gefasst. »Ja. Der soll gefälligst rausfinden, wer Eric erschossen hat.«

Alea schluckte. »Wieso hab ich …« Und noch mal schlucken. »… das nicht mitgekriegt? Wo war ich denn …«

»Keine Ahnung«, fiel sein Freund, der nun auf die Hauptstraße abbog, ihm auffallend schnell ins Wort. »Aber das tut auch wenig zur Sache. Keiner von uns hat es mitgekriegt, wir waren im ganzen Gebäude verteilt, die Party war gut, wir hatten alle viel getrunken … Es macht keinen Sinn, sich Vorwürfe zu machen. Dich wird der Knussen erst befragen, wenn du dich ein bisschen erholt hast.«

Alea vermied es noch immer, ihn anzusehen; es war auch unnötig, Blickkontakt zu halten, während Lasterbalk fuhr. Zum Glück. Sein forschender Blick war für Alea im Moment schwer zu ertragen. »Wieso tust du eigentlich so, als wär ich der Einzige, der sich erholen muss? Was ist denn mit den anderen? Mit dem Rest von Subway? Ist von denen keiner … irgendwie … in Betreuung?«

»Doch«, war Lasterbalks simple, ausweichende Antwort. »Alle.«

»Und wieso werde ich mit Samthandschuhen angefasst, sogar von der Polizei?«

Wieder ein Seufzen. »Ganz einfach. Du bist mein Freund. Ich kenn die Leute, und ich hab ja eine gewisse … Autorität, sag ich mal vorsichtig. Wenn ich denen sage, dass du gerade noch nicht vernehmungsfähig bist, dann glauben die mir das schon.«

»Ach, und du kannst das beurteilen?«

»Ja. Ja, kann ich.«

»Aber –«

»Diskutier jetzt bitte nicht mit mir, ja? Bitte. Ich mach das für dich. Ich weiß, wie gut du mit Eric befreundet warst. Mehr als mit mir – nein, widersprich nicht«, sagte Lasterbalk streng, als Alea erneut den Mund öffnete. »Ich will jetzt nur, dass es dir gut geht.«

Alea machte den Mund wieder zu, und sein Blick glitt zurück zum Fenster. Dort huschte Karlsruhe unter einem mit grauen Wolken verhangenen Himmel an ihm vorüber. Schließlich sagte er leise: »Und ich will nur, dass sie ihn kriegen.« Er meinte den Mörder, doch das musste er Lasterbalk nicht erklären. »Ich wünschte, ich könnte irgendwas dafür tun, dass sie den Arsch erwischen.« Mit welchem Recht nahm ein Fremder ihm einen seiner engsten Freunde? Alea spürte Wut im Bauch, eine kalte, ohnmächtige Wut, die sich jedoch sofort zu Hilflosigkeit und dann zu Lethargie weiterentwickelte. Es gab nichts mehr, das er für Eric tun konnte.

»Aber nicht jetzt«, sagte Lasterbalk ruhig. »Jetzt kümmerst du dich erst mal um dich selbst. Denn du lebst noch.«

»Mmmmh.« Alea lehnte den Kopf schwer gegen die Scheibe. Sie war innen leicht beschlagen und befeuchtete die rotgefärbte Haarsträhne, die ihm seitlich ins Gesicht fiel.

Es gab nichts mehr zu sagen.
 

18.23 Uhr
 

Das Aufflackern von Interesse und das Bedürfnis nach emotionaler Auseinandersetzung mit dem Verlust, das Alea auf der Autofahrt verspürt hatte, waren von kurzer Dauer gewesen. Unmittelbar danach war er in seine Apathie zurückgesunken, und er wusste, dass sie sich seither nur verschlimmert hatte. Den gesamten Rest des Nachmittags hatte er in einem Zustand geistiger Lähmung verbracht. Lasterbalks Bemühungen, ihn zu umsorgen und von dem klaffenden Loch in seinem Inneren abzulenken, waren offenkundig, aber nicht von Erfolg gekrönt.

Eigentlich müsste Lasterbalk ihm Leid tun. Eigentlich müsste Alea sich dafür schlecht fühlen, ihm für seine Zuwendung keine Resonanz zu geben. Aber er konnte nicht. Sein Gefühlsleben war wie betäubt. Hatte sich abgeschaltet, um die Reizüberladung abzuwehren. Bis zum Abend dämmerte er vor sich hin, während sie in Lasterbalks Wohnung fernsahen und etwas spielten – absurd, dass der andere ernsthaft Konzentration von ihm verlangte –, und die ganze Zeit herrschte in seinem Inneren eine gespenstische Stille, wie in einem fremden Haus, dessen Besitzer verreist waren.

Es kann einfach nicht wahr sein.

Das war der einzige ausgeformte Gedanke, der hin und wieder an die Oberfläche stieg.

Es ist unmöglich. Ich hab ihn gestern noch gesehen. Wir haben getrunken. Und gelacht. Laut und viel.

Und dann:

Wie kann jemand einfach in die Jugendherberge kommen und Eric erschießen? Wieso hat es keiner gemerkt? Wieso habe ICH es nicht gemerkt? Warum – Sein Blick glitt zu Lasterbalk, der lang auf seiner Couch lag, mit darüber hinausragenden Füßen, und dort eingenickt war. – Warum musste mich erst jemand wecken und mir sagen, dass Eric seit Stunden …

Alea blinzelte. Seine Augen brannten, so unausgesetzt hatte er Lasterbalk angestarrt. Diese plötzliche Feuchtigkeit, das waren nicht etwa Tränen. Zu weinen hätte bedeutet, Erics Tod zu begreifen und zu akzeptieren. So weit war er noch nicht. Noch war der Schock nicht überwunden, die Erkenntnis nicht eingesunken.

Noch leugne ich es. Weil ich es nicht glauben kann.

Lasterbalk sah so friedlich aus, wie er hingegossen auf seinem Sofa lag, das viel zu kurz für seinen hochgewachsenen, sehnigen Körper war. Seine Brust hob und senkte sich sanft. Mit intuitiver Gewissheit wusste Alea, dass Eric nicht so ausgesehen hatte. Wahrscheinlich hatten sie ihn so gefunden, wie es im Fernsehen immer aussah: mit weit offenen, starren Augen, die helle Jacke rotfleckig vom eigenen Blut. Vielleicht die Finger noch zuckend. Vielleicht die Zunge zwischen den Zähnen. Vielleicht mit einem frischen Blutrinnsal im Mundwinkel.

Nein. Nein. Er war doch noch lebendig, als ich … als wir …

Schlagartig sah Alea ihn vor sich, als sie beide, im Nachtdunkel vor der Herberge sitzend, über irgendetwas halbernst diskutierten. Auf dem Tisch flackerte ein Windlicht mit dickem Docht, aus dem Boden stieg die Herbstkälte langsam in die klare Luft hinauf. Ganz in der Nähe rauchten Elsi und Luzi, zwei rotglimmende Punkte markierten ihre Standorte. Eric sagte irgendetwas, während das orange Licht seine Züge beschien, und Alea hörte seine helle, durchdringende Stimme mit dem schnoddrigen Brandenburger Regiolekt.

Dieser Moment, der sich ihm eingeprägt hatte, war noch keinen Tag her. Keine vierundzwanzig Stunden. Bereits um zwölf am nächsten Vormittag danach würde Lasterbalk Alea in seinem Bett aufwecken, in dem kleinen gelbgestrichenen Zimmer, das er mit Luzi für den kurzen Aufenthalt bezogen hatte, würde ihn in den kargen Gruppenraum bitten und ihm dort ruhig mitteilen, dass Eric Fish von einem Unbekannten ermordet worden war. Direkt ins Herz geschossen. Aus wenigen Metern Distanz.

So kurze Zeit … So kurze Entfernung …

Etwas polterte und ließ Alea zusammenzucken. Er fuhr herum; Lasterbalk hatte sich geregt und dabei die Fernbedienung von seinem Bauch gewischt, die lautstark auf dem Laminat aufgeschlagen war.

Augenblick schlug sein langjähriger Freund die Augen auf. Sein Blick richtete sich schuldbewusst auf Alea. »Ach, fuck. Bin ich eingepennt? Hatte ich nicht vor. Tut mir Leid. Ist der Rest vom Hangover.«

Alea quittierte die Bemerkung nur mit einem schwachen Kopfnicken. Er verstand ohnehin nicht, wie Lasterbalk schlafen konnte. Er selbst konnte keinen klaren Gedanken fassen, doch das ehrwürdige Oberhaupt von Saltatio Mortis hatte den Schicksalsschlag – das Attentat, den schrecklichen Verlust – bemerkenswert gut verkraftet. Um nicht zu sagen: professionell.

»Echt, tut mir Leid«, wiederholte Lasterbalk und rieb sich energisch die Augen. »Ich will ja fast behaupten, dass dir ein bisschen Schlaf auch ganz gut tun würde. Aber ich kann nicht von dir verlangen, dass du dich in mein Gästebett legst und die Augen zumachst, oder?« Die Frage klang hoffnungsvoll.

»Ist mir egal«, gab Alea nuschelnd zur Antwort. Und das war es auch. Scheißegal. Ob er nun im Bett lag und ins Dunkel starrte oder hier auf den leise quakenden Fernseher, während Lasterbalk ohnehin nichts mitbekam – welche Rolle spielte das schon? Eric und die Unglaublichkeit des Geschehenen würden seine Gedanken ohnehin beherrschen.
 

21.27 Uhr
 

Aus Lasterbalks Schlafzimmer drang nichts als Stille.

Alea hätte viel dafür gegeben, irgendein lebendiges Geräusch zu hören. Er hatte das kleine Fenster angekippt, in der Hoffnung, noch einen Vogel singen zu hören, doch es war dunkel und noch dazu Mitte Oktober, und die gefiederten Sänger schwiegen. Es gab keinen Grund mehr zu singen.

Wir werden nie wieder singen, er und ich.

Keine gemeinsamen Auftritte und feuchtfröhlichen Backstagepartys mit Subway To Sally mehr. Ganz sicher nicht. Nie wieder.

So unglaublich. Noch immer war diese neue Zukunft einfach unvorstellbar.

Ich muss schlafen. Ich muss das verarbeiten. Ich komm nicht klar, so wie es jetzt ist.

Er wünschte, er könnte beim ersten Sonnenschein erwachen und feststellen, dass alles nur ein böser Traum gewesen war. Einer von diesen Scheißträumen, bei denen man, wenn man sie am Morgen als solche erkannte, am liebsten vor Erleichterung laut lachen wollte.

Doch tief im Innern wusste er, dass die Wahrheit zu grausam war, um ein Traum zu sein.
 

I saw your life through a photograph

I thought it up, but it brought up the past

Once you know you can never go back

I got to take it on the otherside

– Eric Fish – Otherside (Red Hot Chili Peppers Cover)
 

14. Oktober, 08.02 Uhr
 

»Magst du irgendwas anderes haben?« Lasterbalk nickte zu dem Korb mit den frisch aufgebackenen Mehrkornbrötchen. »Du scheinst ja nicht gerade wild auf die zu sein, obwohl ich die nur wärmstens empfehlen kann. Warte mal, ich hab noch … Müsli. Aber da sind Rosinen drin. Oh, du kannst auch richtiges Brot haben, muss ich nur auftauen.«

Richtiges Brot, wiederholte Alea im Geiste. Er hatte auch schon mal bei Eric auf der Terrasse gefrühstückt, irgendwann im Juli vor ein oder zwei Jahren, und der hatte ihm dasselbe angeboten, nur mit weniger Worten: »Schrippe oder Stulle?«

»Danke«, sagte er phlegmatisch, »ich will echt nichts. Bin noch nicht so weit.«

Lasterbalk hob eine Augenbraue, für gewöhnlich eine Geste, die zeigte, wie unbeeindruckt er war. »Glaubst du, Eric kommt wieder, wenn du nichts isst?«

»Was?«

»Das ist hart, ich weiß, aber glaubst du, er würde wollen, dass du dich fertig machst?«

»Er würde mir überhaupt nicht sagen, was ich machen soll.« Und DU machst das immer, fügte Alea in Gedanken hinzu, nicht nur bei Saltatio, sondern dauernd. Hör doch einfach mal auf mit dem Scheiß. Mit gesenktem Blick nippte er an seinem Kaffee. Er war köstlich, doch auf Aleas Zunge wurde er zu bitterem Abwaschwasser.

Lasterbalk gab sich geschlagen, seufzte und zog den Brötchenkorb beinahe grob auf seine Seite des Tisches. »Okay«, sagte er ruhig. »Mach, was du willst. Ich weiß, du willst nicht umsorgt werden. Ist angekommen. Tut mir Leid. Ich lass dich jetzt in Ruhe.«

»Ich will’s jetzt nicht«, zwang Alea sich zu korrigieren. Er wollte im Grunde nicht barsch zu seinem Freund sein. Schließlich war er hier nicht der Einzige, der unter Erics Verlust litt. Oder doch? »Ich glaub, ich fahr erst mal nach Hause.«

»Und dann?« Lasterbalk zersägte das Brötchen sichtlich niedergeschlagen.

»Dann warte ich auf Nachricht. Ich meine, wir werden doch bestimmt … eingeladen.«

Der andere begriff. »Geh ich mal von aus.«

»Oder … behalten sie ihn noch, um …?«

»Nein, nein. Ganz sicher nicht. Die Sache ist ja klar.«

»Wirklich? Die haben schon … alles rausgefunden?«

»Naja, was man eben so rausfinden kann. Den … Einschusskanal und so, das haben die ja schon gecheckt. Wie weit der Typ mit der Waffe entfernt war und wie er gestanden haben muss.«

Alea zwang sich, einen weiteren Mundvoll Kaffee zu schlucken. »Und wann haben die das gemacht?«

»Na, gestern noch.«

»Während wir hier rumgesessen haben?«

»Jap. Und Bodi hat mich noch angerufen, als du schon im Bett warst«, schickte Lasterbalk prompt als Erklärung hinterher. »Ich dachte, ich muss dir das nicht jetzt erzählen, aber nun hast du ja danach gefragt.« Er verteilte die Butter ziemlich lieblos auf der unteren Brötchenhälfte und klatschte zwei Löffel selbstgekochte Pfirsichmarmelade oben drauf.

»Und wieso hat er mich nicht angerufen?«, fragte Alea, der dabei ein merkwürdiges Gefühl hatte. »Hast du’s irgendwie hingekriegt, dass gar keiner mit mir reden darf?«

»Hmm – ja, so in etwa, ja.«

»Ah, na schön. Ich will mit Bodenski reden. Wenn schon nicht mit allen von Subway, dann wenigstens mit dem.«

»Okay.« Lasterbalk zuckte die Achseln. »Mach ich klar für nachher.«

Alea nickte bedeutungsvoll. Die Begegnung mit einem Leidensgenossen war ihm jetzt wirklich wichtig. Wenn er diese Sache irgendwie verdauen wollte, dann brauchte er den Austausch mit Menschen, denen es mit Sicherheit gerade genauso beschissen ging wie ihm. Und zu denen Lasterbalk offenbar nicht gehörte.
 

11.33 Uhr
 

Zuerst wusste Alea nicht, wo Lasterbalk mit ihm hinfuhr. Der Weg durch die Stadt war ihm nicht vertraut, aber zumindest war er dankbar dafür, dass es nicht zurück zur Jugendherberge ging. Er wollte diesen Ort, an dem sie das Ende ihrer gemeinsamen Herbsttournee begossen hatten, nie wieder sehen.

Die Durlacher Straße kannte er inzwischen, und dass sie auf das Polizeipräsidium zuhielten, wunderte ihn wenig, obgleich er sich dunkel erinnerte, dass die Kriminalpolizeidirektion irgendwo in der Hertzstraße ansässig war.

»Hältst du mich jetzt für vernehmungsfähig?«

»Wir gehen nicht zu dem Knussen«, antwortete Lasterbalk ruhig.

Alea hatte keine Lust, ihn weiter zu fragen. Er wollte eigentlich mit niemandem reden – jedenfalls mit niemandem, der nicht selbst betroffen war. Und zunächst wurde das auch nicht von ihm verlangt. Lasterbalk verlor ein paar Worte an der Rezeption, während Alea mit hängenden Schultern im nüchtern gehaltenen Wartebereich saß und das ausliegende Infomaterial zu Einbruchsicherung, Kinderschutz und sexueller Nötigung keines Blickes würdigte. Keine Minute später holte sein alter Freund ihn wieder ab und führte ihn einen Gang mit abzweigenden Türen hinunter, bis sie vor einer geöffneten ankamen, hinter der sich eine Art geräumiger Schulungsraum auftat, durch dessen große Fenster milchiges Tageslicht hereinflutete. Vor einem dieser Fenster stand, ihnen den Rücken zukehrend, Bodenski.

Alea erkannte ihn augenblicklich, auch wenn im Gegenlicht kaum mehr als seine Silhouette zu erkennen war. Der Mann mit dem langen blonden Pferdeschwanz wandte ihnen langsam das Gesicht zu. Er trug ein schwarzes T-Shirt ohne Aufdruck, dessen Ärmel die Tätowierungen auf seinen kräftigen Oberarmen nur zum Teil bedeckten. Zweifellos hatte er sich die letzten zwei Tage nicht rasiert. Als sein Blick auf Alea fiel, holte er tief Atem, den er in einem kaum hörbaren Seufzen herausließ, machte zwei große Schritte auf den Kleineren zu und legte wortlos einen Arm um ihn. Er tat das mit derselben Forschheit wie sonst, aber gleichzeitig so vorsichtig, als wäre Alea aus Glas.

Lasterbalk kam langsam in den Raum getrottet, ebenfalls den Mund haltend und mit vor der Brust gekreuzten Armen. Alea hörte seine langsamen Schritte hinter sich. Leise fragte er, während Bodenski immer noch seltsam unbeholfen seine Schulter tätschelte: »Gibt es … irgendwas … Neues?«

»Nee.« Bodenskis Stimme klang heiser. »Nee, nicht so wirklich.« Dann trat er von Alea zurück und nahm dieselbe distanzierte Haltung ein wie Lasterbalk. »Und es sieht so aus, als werden wir nicht zur Beerdigung eingeladen. Gar keiner von uns, nur die engste Familie.«

»Na toll«, murrte Lasterbalk.

»Es wird aber einen Termin geben, wo auch Freunde Abschied nehmen können. Es ist noch nicht raus, wann das sein wird. Sorry.«

Alea spürte wieder nichts als Leere in sich. Eben gerade, bei der etwas zurückhaltenden Umarmung, hatte er kurz die Empfindung gehabt, nicht allein mit seinem Schmerz zu sein, doch der Moment war vorbei. Jetzt wurde er das Gefühl nicht los, dass der Gitarrist von Subway To Sally ihn genauso forschend musterte wie Lasterbalk. Und das gefiel ihm nicht. Dieser scharfe Blick, der nunmehr aus zwei Paar Augen auf ihm ruhte, wirkte beinahe voyeuristisch.

Was wollen die von mir? Was ist denn bloß los hier?

Er bekam beinahe eine Gänsehaut.

Die sind so gefasst …

Zwei unbehagliche Sekunden später steckte eine uniformierte Polizistin den Kopf zur offenen Tür herein. »Möchten Sie jetzt zu Frau Sabelke? Die könnte jetzt ein paar Minuten für Sie einschieben.«

»Ja!«, sagte Lasterbalk entschieden und griff nach Aleas Schulter, ehe er fast schuldbewusst zurückzuckte und seinen Freund stattdessen sanft von hinten anschob. »Komm. Das wird dir helfen, ich versprech’s dir.«

»Wer ist die?«, fragte Alea unglücklich.

»Eine alte Freundin von mir.«

Er verstand. »Du meinst, eine alte Kommilitonin von dir.«

»Ja, stimmt«, räumte der Hüne ein. »Tut mir Leid, aber … echt. Du brauchst das.«

»Er hat Recht«, sprang Bodenski ihm in ruhigem Ton bei. »Ich war vorhin bei der drinnen. Ich muss echt mal wieder schlafen. Vielleicht geht das ja jetzt endlich.«

Alea sträubte sich nicht länger. Das kurze Aufwallen von Widerstand machte der dumpfen Lethargie Platz, die er schätzen gelernt hatte. Ihr nachzugeben war bequem. Sie verlangte kein Nachdenken von ihm.

»Okay, ich geh hin«, murmelte er tonlos.
 

11.52 Uhr
 

»Nehmen Sie ruhig Platz«, wies die Polizeipsychologin ihn lächend an und wies auf einen der mit schwarzem Kunstleder bespannten Stühle, die um einen niedrigen Holztisch gruppiert waren. »Ich bin sofort bei Ihnen.«

Alea fand, dass ihre Augen auf seltsame Weise viel zu groß für ihr schmales Gesicht wirkten, beinahe eulenhaft. Ihr Haarschnitt war furchtbar altmodisch, mit geraden Kanten und vollkommener Symmetrie, und dies ließ die Frau, die wahrscheinlich noch keine vierzig war, hundert Jahre älter aussehen als Lasterbalk, dessen Kommilitonin sie angeblich einst gewesen war. Als sie sich ihm kurz darauf gegenüber setzte, war ihr Blick analytisch und durchdringend, und während sie ihn so betrachtete, nickte sie immer wieder wie als Bestätigung für sich selbst. Auf dem dienstlichen Namensschildchen, das in Brusthöhe an ihre Bluse gesteckt war, stand ›Dr. Marianne Sabelke‹.

Alea fühlte sich durchleuchtet und unbehaglich. »Was?«, fragte er schließlich, dem starren Blick ausweichend.

»Wie fühlen Sie sich?«, war ihre unverblümte Frage, als säßen sie bei einer alljährlichen Routinebesprechung.

»Na, nicht so wirklich toll.« Blöde Frage. Warum stellen die immer so blöde Fragen?

»Und warum nicht?«

»Warum nicht?«, wiederholte er fassungslos.

Sie machte eine beschwichtigende Geste. »Abgesehen von dem Verlust. Was wissen Sie über die Umstände der Tat?« Ihre Stimme war weich und freundlich, aber der Ton bestimmt. Sie wollte diese Frage wirklich beantwortet haben.

»Na, nichts«, gab Alea also missmutig zu Protokoll. »Er wurde erschossen, hat man mir gesagt.«

»Sie können darüber reden«, stellte sie fest.

Aber ich WILL nicht, dachte er. »Und wozu? Ich hab’s gestern erst erfahren, ich bin noch nicht so weit, dass ich mich damit abfinden will. Ich will, dass man den Kerl fängt.« Und ihm wehtut. So, wie mir das jetzt wehtut. Scheißkerl. »Und falls mein Freund – … unser Freund Ihnen gesagt hat, dass er nicht will, dass ich befragt werde, dann sag ich dazu, dass ich das selber entscheiden kann.«

»Das hat er nicht«, beruhigte sie ihn.

»Und?«

»Sie wissen nichts darüber, wie es passiert ist.«

»Nein, irgendwie erinnert sich anscheinend keiner von uns dran. Was ich ziemlich komisch finde.«

Ihre Eulenaugen blinzelten, und das Nicken setzte wieder ein. »Es ist nicht so überraschend, wie Sie denken. Eine etwas wilde Feier – …«

»… Mit Schnaps, der anscheinend bei uns allen das Gedächtnis gelöscht hat …«

»Das Opfer war wohl mit dem Täter allein, da ist es nicht ungewöhnlich, dass niemand etwas bemerkt.« Wieder nickte sie in schneller Folge, während sie nachdachte. »Darf ich Ihnen ein paar allgemeine Fragen stellen? Wir werden nicht über die Tat sprechen.« Seltsam, dass sie nicht ›Mord‹ sagte, denn genau das war es doch gewesen.

»Ja, okay«, antwortete Alea widerwillig. »Fragen Sie mich irgendwas.«

Das tat Dr. Sabelke. Sie befragte ihn nach seinem Befinden vor dem vergangenen Tag, als seine Welt noch in Ordnung gewesen war, dann nach seiner Familie, seinem Freundeskreis und sehr allgemein nach seiner Lebensweise. Er gab sehr knapp, aber halbwegs vollständig Auskunft und ließ sich durch die Denkanstöße sogar zeitweise von der Leere in seiner Körpermitte ablenken, die sich dort mehr und mehr auszubreiten drohte.

Nach einer guten halben Stunde lenkte die Ärztin das Thema behutsam wieder zurück auf das jüngste Ereignis. »Ich möchte«, sagte sie deutlich und hielt ihren staunenden Eulenblick fest auf ihn gerichtet, »dass Sie ganz zur Ruhe kommen, bevor Sie bei der Aufklärung des Falls als Zeuge herangezogen werden. Ich bitte Sie, vorerst auf eine Aussage zu verzichten.«

Alea hob die Augenbrauen. »Wieso?«

»Weil unser gemeinsamer Freund ganz Recht damit hat, dass Sie noch nicht vernommen werden sollten.«

»Aber ich will, dass das Schwein geschnappt wird!« Er war lauter geworden als beabsichtigt und staunte nun, wie schwer es ihm fiel, seine krampfenden Finger wieder von den Armlehnen zu lösen. »Ich will nur das im Moment, sonst nichts!«

»Dann lassen Sie mich Ihnen eine kleine Kur verschreiben.« Sie griff nach dem karierten Block, auf dem sie sich während der Unterhaltung stichpunktartig Notizen gemacht hatte, riss das oberste Blatt ab und begann aufs Neue zu kritzeln. Ihre Schrift war klein, eng und zackig. »Ziehen Sie sich an einen möglichst einsamen Ort zurück, an dem keine aufwühlenden Reize auf Sie einwirken. Eine Empfehlung gebe ich Ihnen mit. Meiden Sie die Gesellschaft anderer.«

Alea spürte einen Stich von Angst, beinahe Entsetzen. Allein sein? Jetzt? Mit dieser Katastrophe, dieser Leere, dieser Traurigkeit, die er gar nicht bewältigen konnte? Wollte sie etwa, dass er ganz in diesen Abgrund stürzte und sich in der Einöde an irgendeiner Tür erhängte?

Seine Hand zitterte leicht, als er die beschriebene Seite von ihr entgegen nahm. Er warf keinen einzigen Blick darauf, als er sie in die Hosentasche steckte.
 

12.32 Uhr
 

»Du hast was vergessen«, sagte Lasterbalk, als sie sich wieder im Schulungsraum trafen.

Alea stand am Fenster und starrte hinaus auf die gelb verfärbten Alleebäume. Bodenksi war schon nicht mehr da gewesen, als er wieder hereingekommen war. Einige Minuten hatte der Sänger somit schweigend und mit sich allein verbracht.

Ein guter Auftakt für die Kur, dachte er bitter.

»Hey«, versuchte Lasterbalk es noch einmal von der Tür aus. »Du hast was vergessen.«

»Was denn bitte?« Alea drehte sich nicht um. Er verspürte nicht die geringste Lust dazu. Kurz nachdem er Dr. Sabelkes Gesprächszimmer verlassen hatte, war Lasterbalk an ihm vorbei in selbiges abgebogen und hatte die Tür hinter sich zugezogen. Sie hatten miteinander geredet. Zweifellos über ihn. Alea hatte ihre Stimmen gehört, und worum sonst sollte es dabei gegangen sein? Endlich war wieder ein Gefühl in ihm aufgeflackert: jähe Wut. Lasterbalk mischte sich immer und überall ein und hatte zu allem eine Meinung. Jetzt musste er wieder ungefragt seine Expertise beisteuern, weil er Alea so gut und lange kannte. Nun redeten sie also über ihn wie über eine aktuelle Studie und beschlossen, was das Beste für ihn war.

Aleas Kiefer verkrampften sich kurz, als er seinen Freund hinter sich traurig seufzen hörte, und dann verflog die starke Emotion in ihm wieder genauso plötzlich wie zuvor. Da war sie erneut, die Passivität, die Lähmung. Was er dachte oder fühlte, hatte ohnehin keine Bedeutung. Sollten Lasterbalk und diese Ärztin doch planen, was sie wollten. Alea würde es einfach mit sich machen lassen. Es war doch sowieso egal.

Mit gebrochenem Widerstand drehte er sich um. »Was hab ich denn vergessen?«

Lasterbalk stand im Türrahmen und hielt eine kleine Schachtel hoch. »Deine Tabletten.«

»Was … Tabletten? Ihr gebt mir Medis? Einfach so?« Es hätte ihn überraschen müssen, aber irgendwie tat es das nicht. Nicht wirklich.

»Ja. Du nimmst vorläufig je morgens und abends eine.«

»Und dann?«

»Dann beruhigst du dich.«

So funktioniert das nicht, dachte Alea, so funktioniert gar nichts davon. Aber er sagte lahm: »Okay.«

Eine Minute später waren sie wieder im Freien. Lasterbalk zog seine Jacke gegen den Wind hoch, und Alea folgte ihm im Trott zum Auto.

»Bringst du mich jetzt nach Hause?«

»Ja«, antwortete Lasterbalk, »aber nur kurz. Damit du ein paar Sachen mitnehmen kannst. Dann fahren wir weiter.«

»Aha. Das Ziel?«

»Hast du in der Hosentasche.«

Alea verstand. Es sollte schnell gehen.

Zum ersten Mal verspürte er Misstrauen, empfand echten Zweifel gegen das Verhalten des Älteren, das seit Erics Tod so seltsam war. Lasterbalk hatte es wirklich eilig damit, ihm zu helfen: Schutz vor Polizei und Presse, intensive persönliche Betreuung, Tabletten, Kur in Abgeschiedenheit … Alles so bald wie möglich.

»Kommst du mit?«, fragte er argwöhnisch.

»Wohl kaum. Du sollst alleine sein«, erinnerte ihn Lasterbalk. »Keine Leute treffen, möglichst nicht rausgehen. Aber ich bin in der Nähe, wenn du mich brauchst. Hörst du? Das muss dir klar sein. Ich bin immer da.« Die Eindringlichkeit seiner Worte und auch seines Blickes irritierte Alea.

Und wenn ich nicht will? Er dachte es nur ganz kurz. Es gab kein ›Nein‹. Alea war zu gebrochen, um Widerstand zu leisten. Und Lasterbalk wusste das.
 

18.56 Uhr
 

Ich frage nicht, warum wir so weit fahren. Ich will es nicht wissen.

Sie hatten zuletzt um kurz nach drei eine Pause eingelegt, um alle Bedürfnisse zu stillen. Lasterbalk war ein ausdauernder Fahrer, aber um den Schein zu wahren, war er auf dem Parkplatz zweimal um das Auto gerannt.

Alea schenkte dem Straßenverkehr zu keiner Zeit Beachtung. Nach der durchwachten Nacht, die er hinter sich hatte, interessierten ihn weder das Ziel noch die Strecke, und so hatte er nicht gegen den Schlaf angekämpft, sondern sich einfach seinem Schicksal überlassen. Lasterbalk versuchte dankenswerter Weise nicht, sich mit ihm zu unterhalten oder ihn zu typischen Beifahrertätigkeiten zu motivieren; das Navigationssystem war programmiert, eine offene Tüte mit gerösteten Nüssen lag griffbereit. Für Alea gab es nichts zu tun.

Gut so.

Nur jetzt öffnete er einmal kurz die Augen und sah die blauen Autobahnschilder über der Fahrbahn heranrauschen. A113. Gerade passierten sie die Ausfahrt Lübbenau.

Der Spreewald.

Alea zuckte innerlich zusammen. Er würde doch fragen. Er musste fragen. Es brannte in ihm.
 

19.07 Uhr
 

»Wir fahren doch nicht zu … zu seinem Haus, oder?«, fragte Alea mit dünner Stimme. Selbst in seinen eigenen Ohren klang es absurd.

Lasterbalk schüttelte den Kopf. »So weit nördlich wollen wir nicht. Dann wären wir auch über die A10 gefahren. Wir fahren Teupitz runter.«

»Aber warum so in der Nähe …?«

»Weil es ruhig ist.«

»Aber – ! Scheiße, aber dann muss ich dauernd dran denken! Guck dir doch mal die Umgebung an! Nix, keine Häuser, Kiefern, Sand, alles flach, Rieseneinöde …«

»Brandenburg eben«, stellte Lasterbalk stumpf fest.

»Aber wie soll mich denn das von Eric ablenken, verdammt noch mal? Da, wo er wohnt – … gewohnt hat, sieht’s doch genauso aus!«

»Das ist schon okay.«

»Ach ja?«

»Ja. Bitte, mach keinen Terz. Vertrau mir einfach.«

Das war schwer in diesem Moment. Alea konnte sich Lasterbalks einerseits aufopferndes, andererseits distanziertes und seltsam unbeteiligtes Verhalten nicht erklären. Sein langjähriger Bandkollege und Freund war schon oft an seiner Seite gewesen, wenn er einen geliebten Menschen verloren hatte, und deshalb wusste Alea, was er in solchen Ausnahmesituation von Lasterbalk zu erwarten hatte. Und das hier, was seit Erics Ermordung passierte, war es nicht. Zwar war es offensichtlich, dass der Ältere versuchte, Trost zu spenden, aber es wirkte so unbeholfen, so unbetroffen, als hätte Lasterbalk selbst Eric Fish überhaupt nicht gekannt und stünde seinem Tod deshalb so ratlos gegenüber wie dem eines völlig Fremden in einem anderen Land. Alea fühlte sich mehr und mehr wie der Mittelpunkt einer Studie, beobachtet und ausgewertet.

Vertrauen. Lasterbalk bat ihn um Vertrauen. Und ja, nach den vielen mitunter schwierigen Jahren ihrer engen Freundschaft verdiente er dieses auch.

»Ist gut … Bring mich hin, wo du willst.«

Lasterbalk wirkte unglücklich. »Es ist wirklich zu deinem Besten«, sagte er leise.

Dann nahmen sie die Ausfahrt nach Teupitz, Halbe und Märkisch Buchholz.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich muss noch was loswerden. Und zwar hatte ich hier schon jahrelang eine CD von Eric Fish rumliegen („Auge in Auge“), sie aber niiiiiie gehört. Ich wollte sie schon weiterverschenken, ohne sie mir überhaupt jemals angehört zu haben, weil ich dachte: Das ist nur Eric Fish mit ’ner Gitarre, Genre Liedermacherei, wie bitte kann das gut sein? Ich war sowieso nie ein großer Fan von ihm. Als dann hier das Gerüst für die Story stand und es ans Losschreiben ging, habe ich sie mir dann doch mal angehört. Eigentlich nur, weil mir jemand gesagt hat, dass Eric das englische th nicht aussprechen kann. Und dann … war ich überrascht. Denn die CD ist echt … schön. Besonders die balladesken Coversongs haben es mir (wie man sieht) sehr angetan und wurden schnell zum perfekten Soundtrack für die Ausarbeitung dieser Geschichte. Einfach von der Stimmung her. (Die Originalversionen passten nicht halb so gut.)
Tja, wieder ein Beweis dafür, dass man alles ausprobieren muss, bevor man sich ein Urteil bildet.
Und nein, das th kann er wirklich nicht. Komplett anzeigen

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