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All of our Flaws

Vi/Cait
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallöchen. Das hier ist die zensieerte Version von Kapitel 7. Es fehlt nichts Story-relevantes, ich dachte nur, ich schneide den Sex-Teil heraus für alle Minderjährigen, die das hier eventuell lesen :) Hoffe, es gefällt euch. Komplett anzeigen

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Prolog: Die alte Fischfabrik

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Die Nacht war schon vor einigen Stunden über Piltover hereingebrochen und die Straßenlampen in den besseren Vierteln der Stadt hatten sich aktiviert – eine der großen Errungenschaften der Stadt, immerhin einen Großteil seiner Bürger mit Strom zu versorgen. Dieser wurde aus den Gasen der Sümpfe gewonnen wurde und speiste die unterschiedlichen Hextechgerätschaften, die die Stadt zu dem machte, was sie war – die Metropole des Fortschritts. Große Institute der Forschung, Akademien, Zentren der Bildung, Museen, automatische Hextechbrücken, Pumpen, die das unwirtliche Sumpfland bewohnbar machten, surrende Instrumente, die ständig Wetter- und Luftveränderungen bestimmten, leuchtende Reklametafeln, die Fortschritt und Frieden propagierten, und hier und dort auch ein Plakat für die weltbekannte Liga der Legenden, prägten das Stadtbild.
 

Doch Piltover hatte auch seine Schattenseiten. Die äußeren Viertel, nur wenig beleuchtet, weit abseits von der Pracht der Stadt, heruntergekommen und zum Teil verlassen, gehörten den zwielichtigeren Bewohnern der Stadt... und denen, die man vergessen hatte. Zwar war es in Piltover sehr schwer, Verbrecher zu sein – immerhin war die Kriminalitätsrate hier sehr gering und die Rate der Verbrecher, die gefasst und verurteilt wurden, exponentiell hoch, doch änderte das nichts daran, dass eine Stadt wie diese gerade aufgrund ihres Reichtums viele Verbrecher anlockte. Außerdem sorgte die Tatsache, dass in Piltover Bildung über alles geschätzt war, dafür, dass die Kluft zwischen den gebildeten, betuchten Mitgliedern der oberen Gesellschaftsschicht der Stadt und dem ungebildeten Volke größer war als in anderen Städten. Wer in eine arme Familie hineingeboren worden war, hatte wenig Möglichkeit auf Bildung in einer der Akademien der Stadt und somit wenig Gelegenheit, aus dem Kreislauf der Armut zu entkommen.
 

Hier in den äußeren Bezirken herrschte das Recht des Stärkeren. Wenn nicht gerade eine Razzia der Wache stadtfand, galten hier keine Regeln. Die von der Stadt zur Verfügung gestellten Sicherheitsroboter patroullierten hier nicht, und die Sitten auf den Straßen waren rauh und die Lebensumstände unwirtlich. Die Abflüsse und der Abfall der Hextechakademien wurde durch diese Bezirke geleitet, und verschwand schließlich irgendwo in den Tiefen der Klippe, um schließlich in Zaun zu landen, doch der Unrat und die Gerüche, die nicht selten die armen Bewohner krank machten, waren hier allgegenwärtig.
 

Hier war Vi aufgewachsen. Etwas anderes hatte sie nie gekannt und sich auch nie vorgestellt, dass es etwas anderes für sie geben könnte. Mit einem erleichterten Stöhnen ließ sie den schweren Sack fallen, nachdem sie die letzte halbe Stunde damit verbracht hatte, ihn möglichst ungesehen durch die Straßen zu schleppen. Ihre Kleidung war völlig durchgeschwitzt und unter ihrer provisorisch zusammengeschraubte Rüstung war ihr unendlich warm. Ständig liefen ihr Schweißtropfen über Stirn und Nacken und sie wünschte sich nichts sehnlicher, als die riesigen Hextechhandschuhe auszuziehen, die sie bereits seit mehreren Stunden trug. Zwar fühlte sie sich ohne sie unwohl, doch schmerzten ihre Arme und Schultern von dem immensen Gewicht und ihre Fäuste fühlten sich taub und gefühllos an. Der Inhalt des Sacks verrutschte beim Abstellen und schepperte und klapperte leise. Heute hatte sie einen guten Beutezug gemacht. Sie hatte eine Gruppe Schmuggler dabei erwischt, wie sie die Lieferung einer Hextechakademie abgezweigt hatten und es war ihr nach einer längeren Rangelei gelungen, einen Teil davon mitzunehmen. Morgen würde sie den ganzen Tag damit verbringen, ihre Handschuhe zu reparieren und auf den neusten Stand zu bringen. Wenn sie richtig gesehen hatte, war ein Druckluftmodul dabei, etwas, das sie schon seit Jahren hatte einbauen wollen.
 

Sie blickte auf ihre Handschuhe. Sie waren blutverschmiert. Zum Glück war es nicht ihr eigenes, doch es machte ihr erneut bewusst, dass sie für diesen Sack mit Hextechkleinteilen einige Knochen hatte brechen müssen. Zwar waren es nur Verbrecher gewesen, die hatten leiden müssen – Personen, die es nicht anders verdienten – aber trotzdem war es wichtig, dass sie es nicht vergaß, sonst wäre sie ja nicht anders als die, die sie jagte.
 

Vi ließ sich auf einer ziemlich morschen Holzkiste nieder. Sie befand sich in einem ihrer Unterschlüpfe – sie tendierte dazu, nie zu lange an einem Ort zu bleiben, da es sonst zu leicht war, sie zu finden. Dies hier war, so glaubte sie, früher einmal eine alte Fischfabrik gewesen, zumindest hatte sie sich das aufgrund der vielen stilisierten Fischsymbole auf den Maschinen erschlossen. Im alten Lagerraum lagen ihre Besitztümer. Viel war es nicht – ein ziemlich abgewetzter Rucksack mit ihren Habseligkeiten, ihr Werkzeugkoffer mit dem zusammengewürfelten und -geklauten Inhalt und ein Seesack mit ihren jüngsten 'Funden' – ihrem Diebesgut. Mehr brauchte sie nicht und mehr konnte sie sich auch nicht leisten, seit sie eigentlich ständig auf der Flucht war. Mehr Besitz bedeutete mehr Ballast und das war gefährlich.
 

Umständlich und durch die tauben Finger noch zusätzlich behindert, löste sie die Verschlüsse ihrer Handschuhe. Sie gaben ein Zischen von sich, lösten selbständig einige Schaniere, weiteten sich und erlaubten schließlich, dass sie ihre Hände herauszog. Schon in dem schlechten Licht der verrußten Öllampe, die Vi angezündet hatte, erkannte sie sehr deutlich, dass sie nicht besonders gut aussahen. Ihre Fingerknöchel waren zum Teil aufgeplatzt und blutverkrustet, sogar eine ältere Narbe hatte sich wieder geöffnet und pumpte nun im Rhythmus ihres Herzschlages tropfenweise Blut aus der Wunde. Außerdem hatte sie einige Hämatome, die immer deutlicher zu sehen waren und die morgen sicherlich eine unschöne, tiefblaue Farbe angenommen haben würden. Sie versuchte, die Finger zu bewegen und biss die Zähne zusammen, als nach und nach das Gefühle in ihre Hände zurückkam und der Schmerz immer deutlicher wurde. Schließlich tastete sie ihre Knochen ab und pfiff erleichtert durch die Zähne, als sie feststellte, dass wohl nichts gebrochen war. Zum Glück hatte sie auch bei dem Kampf nur unwesentliche Verletzungen davongetragen. Eine leichte Quetschung an der Hüfte durch einen unschönen Aufprall und ansonsten wohl nur ein paar blaue Flecken. Nichts, was sie nicht gewohnt war und in Kauf nahm. Nachdem sie sich die Hände gewaschen hatte, holte sie einen kleinen Kasten aus ihrem Gepäck und desinifizierte die Wunden, bevor sie sich daran machte, sie zu verbinden.
 

Wie sie sich darauf freute, gleich etwas zu essen. Sie hatte wirklich einen Bärenhunger. Und vielleicht einen Schluck Schnaps gegen den Schmerz und die langverdiente Zigarette. Diese vielleicht sogar am Besten zuerst. Als das Verbandszeug weggepackt war, zündete Vi sich eine Zigarette an und lehnte sich rücklings gegen eine weitere Kiste, schloss kurz die Augen und nahm dann einen Tiefen Zug. 'Endlich entspannen', dachte sie und ließ ihren Körper in eine möglichst bequeme Haltung gleiten, als sie plötzlich etwas unerwartetes hörte. Draußen aus dem Hauptraum der Fabrik. Waren das... Schritte? Wenn, dann waren sie sehr leise gewesen – vielleicht Ratten? Vi saß augenblicklich wieder aufrecht auf ihrer Kiste, die Zigarette zwischen die Zähne geklemmt, ohne sie weiter zu beachten. Ihre Ohren waren gespitzt und sie lauschte mit klopfendem Herzen nach den Geräuschen. Es war schonmal vorgekommen, dass sie in einem Unterschlupf entdeckt worden war und das war eine sehr blutige Angelegenheit gewesen. Und heute war sie definitiv nicht mehr zu einer Prügelei aufgelegt, geschweige denn dazu in der Lage, diese mit Sicherheit für sich zu entscheiden.
 

Das Geräusch wiederholte sich nicht, doch Vi entschied, auf Nummer Sicher zu gehen. Sie schwang sich so leise wie möglich von der Kiste, verursachte dabei allerdings leises Knacken bei dem morschen Holz. Schleichen war nie eine ihrer besonderen Qualitäten gewesen, doch sie gab sich alle Mühe, möglichst keine Geräusche zu verursachen, während sie – von ihren metallbeschlagenen Schuhen behindert – in den Hauptraum der Fabrik schlich. Sie strich sich eine der verschwitzten, knallpinken Strähnen aus dem Gesicht und blickte sich um. Ihre Hextechhandschuhe lagen noch immer bei ihrem Gepäck – sie anzuziehen hätte ihr jetzt mehr geschadet als geholfen, ihren Händen ging es schon schlimm genug.
 

Die Fabrikhalle wurde nur durch den Schein des Mondes erleuchtet, der durch die verstaubten, zum Teil zerbrochenen hohen Fabrikfenster oben unter dem Dach, schien. Viele Ecken lagen in tiefem Schatten, nur die alten Transportbänder und ein Haufen Schutt vom eingestürzten Dach waren in groben Umrissen in der Mitte der Halle auszumachen. Mit misstrauischen, aufmerksamen Blicken begann Vi ihren Streifzug durch die Halle, um sicherzugehen, dass sie alleine und sicher war. Es gab zu viele Leute hier im Viertel, die ihren Tod wollten und das würde sie zu verhindern wissen. Als sie etwa die Hälfte der Strecke durch die Halle durchquert hatte, hörte sie plötzlich ein Geräuch hinter sich und fuhr herum. Hinter ihr stand eine Frau, nur wenig vom Licht des Mondes erleuchtet, sodass sie das Gesicht nicht erkennen konnte und versperrte Vi den Rückweg in ihren Lagerraum. Sie war schlank und trug eine eng anliegende Hose und darüber einen modischen Mantel, der mit einem Gürtel zugebunden war und ihre gute Figur betonte. Die wohl längeren Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden und darüber trug sie einen Hut, dessen Krempe sie tief ins Gesicht gezogen hatte. Über der Schulter hing ein Gewehr, das Vi trotz der schlechten Beleuchtung als modifiziertes Scharfschützengewehr erkennen konnte. Allerdings – was Vi mehr als alles andere verwunderte – machte die Person keinerlei Anstalten, die Waffe schussbereit zu machen, sie wirkte für den Moment nicht aggressiv. „Was willst du?“, knurrte Vi zwischen zusammgengekniffenen Lippen und Zigarette hervor, ungehalten über die Störung und noch immer sehr misstrauisch. Ihre Augen huschten über die Umgebung und suchten nach einer Deckung, falls die Frau doch noch ihre Waffe ziehen würde. Als sie sah, dass der Trümmerhaufen nicht weit von ihrer aktuellen Position war, fühlte sie sich erleichtert und ein wenig beruhigt. Sie kannte ihre Sprintfähigkeiten, die sogar ziemlich gut waren und wusste, dass sie die Deckung erreichen konnte, bevor die Frau schussbereit war.
 

„Gehe ich richtig in der Annahme, dass ich mit Miss Vi spreche?“, antwortete die fremde Frau mit merkwürdigem Akzent und hochtrabenden Worten, die definitiv nicht in dieses Viertel gehörten. Noch immer konnte Vi ihr Gesicht nicht erkennen. „Wer will das wissen?“, fragte Vi mit aggressivem Tonfall. Sie war offensichtlich gesucht und gefunden worden – von jemand Professionellem. War da ein Auftragsmörder auf sie angesetzt worden? Wenn ja, warum hatte sie dann noch nicht geschossen?

„Bitte seien Sie ganz beruhigt. Ich bin nicht hier, um ein Attentat auf Sie auszuüben. Wäre dies meine Absicht, so hätte ich Sie bereits getötet.“ Die Stimme klang kühl und ein klein wenig arrogant, jedoch – da war Vi sich sicher – schwang keine Spur Angeberei darin mit. Die Frau meinte, was sie sagte.
 

„Was willste dann?“, fauchte Vi, die es nicht mochte, am kürzeren Hebel zu sitzen, und spuckte die Zigarette auf den Boden, um sie direkt auszutreten. Sie fühlte sich alles andere als wohl und wünschte sich nichts sehnlicher als ihre Handschuhe an den Händen und einen Sprungangriff auf die Frau durchzuführen. Leider befand sich diese – vermutlich absichtlich – leicht außerhalb der Reichweite, die sie mit einem hextechverstärkten Sprung überbrücken konnte.
 

„Ich bin hier, um Ihnen ein Angebot zu machen, Miss Vi. Einen Vorschlag, wenn man so möchte.“

Die Frau schob die Krempe ihres Huts nach oben, sodass es Vi nun möglich war, ihr Gesicht im blassen Mondlicht zu erkennen. Und als sie die schönen, filigranen Züge in dem ovalen, sehr femininen Gesicht sah, den harten Zug um die Augen, die schön geschwungenen Lippen und die kühlen Augen, die sie aufmerksam musterten, wusste sie, wen sie vor sich hatte und ein Stein sank ihr in die Magengrube. Der Sheriff von Piltover. Caitlyn. Die beste Scharfschützin und beste Ermittlerin der Stadt – vielleicht sogar ganz Valorans. Nun verstand sie die selbstsicheren Worte.
 

„Und was willste, Sheriff?“, fragte Vi mit betont unberührter Stimme, die den Sturm in ihrem Inneren nicht zeigte. Allgemein war sie recht gut darin, ihre Emotionen zu verbergen, wenn es sein musste, und eine harte, selbstsichere, arrogante Fassade aufrecht zu halten.

„Wie ich bereits sagte. Ich bin hier, um Ihnen ein Angebot zu unterbreiten. Uns sind die... Veränderungen in Ihren kriminellen Tätigkeiten nicht entgangen. Die Tatsache, dass Sie abseits des Gesetzes in gewisser Weise für dieses eintreten, wenn auch auf unkonventionelle und nicht von uns authorisierte Weise, hat meine Aufmerksamkeit erregt. Sie zeigen Talent dafür, Informationen über geplante Verbrechen zu sammeln und diese zu unterbrechen. Dass Sie das Diebesgut dann an sich nehmen, ist natürlich ein anderer Umstand, über den wir noch reden müssten.“ Der Sheriff machte eine kurze Pause und fixierte Vis Blick, deren Augen immer wieder nach eventuellen Fluchtmöglichkeiten suchte. Der Blick der braunen Augen war berechnend, kalt, aber nicht bedrohlich – zumindest im Moment. Dennoch fiel es Vi schwer, zu glauben, dass der Sheriff aus einem anderen Grund als einer Festnahme hier war.
 

„Komm auf'n Punkt“, knurrte Vi und kniff die Augen leicht misstrauisch zusammen. Wäre sie nicht in so schlechtem Zustand gewesen, wäre sie vermutlich direkt in die Offensive gegangen. Aber wahrscheinlich hatte der Sheriff das genau deswegen abgepasst.

Caitlyn räusperte sich kurz, war scheinbar ein wenig von Vi's mangelndem Benehmen abgestoßen, fuhr dann aber mit ihrem kleinen Vortrag fort: „Ich bin hier, um Ihnen die Möglichkeit anzubieten, mit Ihrer kriminellen Vergangenheit abzuschließen und sich auf die Seite des Gesetzes zu stellen. Als mein Partner.“
 

„...Partner?“ gab Vi nach einer kurzen Pause fassungslos zurück. „Fuck, willste mich verarschen!?“ Ihre geweiteten Augen waren fest auf Caitlyns Gesicht gerichtet, suchten Spuren darin, die darauf hinwiesen, dass diese sich über sie lustig machte. Doch der Blick war genauso ernst und unterkühlt wie zuvor.

„Ich scherze nie bezüglich meiner Arbeit“, antwortete Caitlyn reserviert. „Mein Angebot ist ernst gemeint. Es mag zwar sein, dass mir Ihre Methoden nicht gefallen, aber Sie sind effektiv in dem, was Sie tun. Und ich suche bereits seit einigen Jahren nach einem Partner, der mir gewachsen ist, was seine Fähigkeiten betrifft. Ich habe einige Mitarbeiter, doch diese können weder mit Ihnen noch mit mir mithalten. Ich benötige jemanden mit Ihrer Erfahrung in der... Branche. Und Ihre Durchschlagskraft wird sich sicherlich ebenfalls als nützlich erweisen.“
 

„Lass mich mal zusammenfassen“, begann Vi, die langsam aus ihrer perplexen Starre erwachte und ihre Fäuste in die Hüfte stemmte. „Du willst mir nen Job bei der Wache von Piltover anbieten? Mit Uniform und allem? Mir?“

„Die Uniform ist sicherlich ein Teil dessen, das ist richtig“, antwortete der Sheriff. „Mir geht es darum, Ihre sicherlich löblichen Intentionen in die richtigen Bahnen zu lenken. Sie könnten für die Verbrechensbekämpfung von Piltover eine nützliche Akquirierung sein.“

Auch wenn Vi nicht alle Worte verstand, die der Sheriff benutzte, so wurde ihr langsam aber sicher klar, dass Caitlyn es ernst zu meinen schien. Das hier war kein Hinterhalt, um sie festzunehmen, sonst wäre es längst passiert, so wehrlos wie sie gerade war (Das gab sie nur mit knirschenden Zähnen zu).
 

„Das heißt, ich kann Verbrecher verprügeln und muss dafür nich vor'n Bull'n abhaun?“, fragte Vi und langsam schlich sich ein Grinsen auf ihre Lippen.

„Nun, es wird selbstverständlich gefordert, dass Sie sich an die Dienstvorschriften halten, Miss Vi. Aber zu Ihrem Aufgabengebiet wird es gehören, mit mir gemeinsam Ermittlungen zu tätigen und Verbrecher dingfest zu machen.“
 

Ach Vorschriften... Vi war sich sicher, dass sie Mittel und Wege finden würde, ihren Spaß beim Arbeiten zu haben. Und ein Leben ohne das ständige Weglaufen? Das schien ihr fast zu gut um wahr zu sein. Niemals hätte sie erwartet, dass sich ihr einmal so eine Gelegenheit bieten würde, ihr, die auf der Straße aufgewachsen war, seit ihren jungen Kinderjahren ums Überleben hatte kämpfen müssen, stehlen, betrügen, manchmal sogar morden. Und nun wurde ihr eine vollkommene Absolution vor dem Gesetz angeboten.
 

„Mit welcher Antwort darf ich also rechnen?“, fragte Caitlyn kühl, als Vi länger schwieg.

„Weißte was, Sheriff. Klingt gut für mich.“ Noch immer war Vi das Risiko wohl bewusst, das ihre Vertrauensseligkeit ihr einbringen konnte, doch sie konnte und wollte diese Chance nicht vorbeiziehen lassen. Sie würde sie ergreifen. Die erste Möglichkeit, ihr dreckiges Leben, das sie ohnehin schon lange satt gewesen war, zu etwas Besserem zu machen.
 

Sie ging ein paar Schritte auf Caitlyn zu. Diese straffte ihre ohnehin schon kerzengerade Haltung noch ein wenig weiter – Vi hätte nicht gedacht, dass das noch möglich war – und ihr Gesicht verzog sich zu einer leicht misstrauischen Miene, dann jedoch, als sie erkannte, dass Vi keinerlei Aggression im Gesicht zeigte, ließ sie die Hand, die zum Gewehr geschnellt war, wieder sinken. Als Vi sie schließlich erreichte, hob sie eine Hand, um ihr einen Handschlag anzubieten. „Klingt, als wär'n wir ab jetz Partner, was, Sheriff?“ Auf ihrem Gesicht war ein breites Grinsen und ihre pinken Haare hingen ihr wild ins Gesicht. Caitlyn zögerte kurz, ergriff die ihr dargebotene Hand dann jedoch mit festem, aber elegantem Griff. Vi spürte sofort, wie zart Caitlyns Hände waren, wie schmal die Knochen, obwohl diese sich bei der Arbeit ziemlich oft die Hände schmutzig machte und das schwere Gewehr führte, als würde es nichts wiegen. „Partner“, bestätigte Caitlyn mit kühler Stimme und reserviertem Gesichtsausdruck. „Ich erwarte von Ihnen, dass Sie morgen früh um sieben Uhr bei der Wache erscheinen. Dann wird Ihnen Ihre Uniform zugeteilt werden und wir werden gemeinsam die nötigen Papiere ausfüllen.“
 

„Geht klar“, antwortete Vi grinsend und ließ Caitlyns Hand dann wieder los. Auch wenn der Sheriff unterkühlt und berechnend war, Vi war sich sicher, dass sie sie schon noch auftauen würde. Sie war dafür bekannt, dass sie den meisten Personen entweder sympatisch war oder dass sie sie auf den Tod nicht ausstehen konnten. Sie spaltete die Massen, so wie ihre Fausthiebe Wände spalteten. Und sie war gespannt, welches von beidem auf Caitlyn zutreffen würde.

„Des weiteren würde ich Sie mit Nachdruck darauf hinweisen, ab jetzt jegliche eigenmächtigen Aktionen oder weitere gesetzeswidrigen Tätigkeiten einzustellen, da Sie sich dafür vor der Wache und dem Parlament verantworten müssten.“

Das gefiel Vi nicht unbedingt, genauer gesagt überhaupt nicht, doch sie wollte die Zusammenarbeit nicht zum Scheitern verurteilen, bevor sie begonnen hatte. „Werd versuch'n, mich zusammenzureiß'n“, antwortete sie und strich sich ein paar Strähnen aus dem Gesicht.

„Das will ich hoffen“, antwortete Caitlyn mit hochgezogener Augenbraue. „Dann erwarte ich Sie morgen früh. Seien Sie pünktlich.“
 

Mit diesen Worten nickte sie Vi abschließend zu, ohne weitere Worte zuzulassen und drehte sich um. Mit eleganten Bewegungen ihrer langen Beine bewegte sie sich katzenartig und kaum hörbar zu einer der offenstehenden und kaputten Seitentüren der Fabrik und war bald aus Vi's Blickfeld verschwunden.
 

Eine Weile stand sie noch wie versteinert auf dem Fleck, dann kehrte sie in den Lagerraum zurück, um ihre Handschuhe zu warten. Die würde sie morgen sicherlich brauchen.

In ihrem Bauch rumorten noch immer Nervosität und Unsicherheit, doch nach Außen hin würde sie sich nichts anmerken lassen. Hier in den Außenvierteln von Piltover bedeutete Schwäche den Tod. Und Vi zeigte nie Schwäche.
 

Morgen würde sie sich das erste Mal ins Zentrum von Piltover aufmachen, ohne dort ein Verbrechen geplant zu haben oder in eines eingreifen zu wollen. Der Gedanke bereitete ihr Unbehagen, füllte sie allerdings auch mit einer gewissen, ungläubigen Vorfreude.

Ein amüsiertes Schnauben entglitt ihr und während sie eine Schraube an einem ihrer Handschuhe löste, sprach sie zu sich selbst: „Ich bei der Piltover-Wache. Wer hätte das gedacht...“
 

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Kapitel 1: Cupcakes

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Kapitel 1: Cupcakes
 

Am nächsten Tag fand sich Vi tatsächlich pünktlich am geforderten Ort ein – der Wache von Piltover. Das massive, mehrstöckige Steingebäude mit imposanter Vortreppe, das mit einigem techmaturgischen Schnickschnack versehen war, baute sich hoch und eindrucksvoll vor ihr auf. Über der großen, gläsernen Eingangstür war ein stilisiertes Profilbild von Caitlyn abgebildet, darunter ein passender, goldener Sheriffstern mit dem Schriftzug ‚Piltovers Wachstation‘. Im oberen Stockwerk verließen über ein paar Rohre unter ständigem Pfeifen violette und türkisfarbene Dämpfe das Gebäude, vermutlich fand sich dort eine Art Labor, das für die Analyse von an Tatorten gefundenen Substanzen zuständig war. Neben dem Gebäude war ein Parkplatz für die Einsatzfahrzeuge, die wohl ausschließlich von Heimerdingers und Corkis Piltover Customs gebaut und gewartet wurden. Vor allem für diese hatte Vi den einen oder anderen neugierigen Blick übrig. Ab und an hatte sie in einer heruntergekommen Bar einmal die Möglichkeit gehabt, einen Blick auf die bunten Magazine oder eine neuere Ausgabe des ‚Valorans Bote‘ zu werfen und darin die eine oder andere Abbildung von einem der faszinierenden Roboter oder Fahrzeuge gefunden, die von dort stammten.
 

Ja, Vi war pünktlich. Genau genommen sogar überpünktlich. Und da sie die gesamte Nacht nicht hatte schlafen können, war sie übermüdet, dank einer billigen Tasse Kaffee, die sie unterwegs gekauft hatte, entsprechend überdreht und aufgeregt. Ihr Herz schlug wie verrückt und noch immer hegte sie die leise Vermutung, dass das alles doch nur ein böser Scherz gewesen war, den der Sheriff ihr gespielt hatte, damit ihre Verhaftung leichter war und für einen Lacher für die Zeitungen gut war.
 

Sie hatte die schlaflose Nacht damit verbracht, ihre Handschuhe zu säubern und auf den neusten Stand zu bringen und – als dann immer noch zu viel Nacht übrig war – ihre Garderobe durchgesehen, auf der Suche nach irgendetwas, das sie morgen tragen konnte, um in den besseren Vierteln Piltovers nicht übermäßig aufzufallen. Leider war sie nicht fündig geworden und sich schließlich für ihre Lieblingshose, ihre abgewetzte Lederjacke und ein immerhin frischgewaschenes Tanktop entschieden, nachdem sie sich dagegen entschieden hatte, ihre doch recht auffällige, selbst zusammengeschweißte und -geschraubte Rüstung anzulegen.
 

Nachdem sie die Front des Gebäudes angestarrt hatte, bis die nahe Turmuhr sieben anzeigte, atmete sie tief durch, spülte ihre Sorgen mit dem letzten Schluck Kaffee hinunter und warf den leeren Becher in einen der vor der Wachstation befindlichen Mülleimer. Dann packte sie ihren großen, extrem schweren Seesack fester und machte sich auf den Weg die Treppen hinauf. All ihren restlichen Besitz hatte sie in dem alten Lagerhaus zurückgelassen, in einer der morschen Kisten versteckt, aber ihre Hextechhandschuhe hatte sie unbedingt mitnehmen müssen. Allerdings waren diese so auffällig und ihr Ruf so zweifelhaft, dass sie sie lieber im Seesack transportiert hatte.

Kurz zögerte sie, dann stieß sie die Tür auf und fand sich in einer recht hübschen, mit Holzboden verkleideten Eingangshalle, in dem sich auch eine Rezeption befand. Die junge Dame mit braunem Dutt und dunkelblauem Kostümchen, die diesen Posten besetzte, betrachtete sie aufmerksam und – ob ihrer etwas abgerissenen Erscheinung – skeptisch, schien sie aber im nächsten Moment zu erkennen. Sie kam auf hochhackigen Schuhen hinter ihrem Schreibtisch hervorgewackelt und schob ihre runde Brille zurecht: „Sie sind Miss Vi, richtig? Sie wurden mir bereits angekündigt.“ Vi musterte die recht hübsche, aber für sie in kaum einer Hinsicht außergewöhnliche oder interessante Frau und nickte: „Vi reicht. Der Sheriff wollte mit mir reden.“ Sie kratzte sich etwas verlegen am Hinterkopf – für solche Situationen war sie einfach nicht geschaffen.
 

„Sie werden bereits erwartet. Folgen Sie mir doch bitte“, antwortete die Sekretärin und überging Vi‘s Aufforderung, sie beim Vornamen zu nennen, dann drehte sie sich um und brachte Vi in einen rechts von der Eingangshalle abgehenden Trakt, der wohl zu den Büros der Mitarbeiter führte. Neugierig und immer noch mehr als nur nervös blickte Vi sich um und erkannte einen Aufenthaltsraum mit gemütlichen Sitzgelegenheiten, einen Umkleideraum mit Spinden, in dem gerade zwei Männer in Wachenuniform miteinander redeten, dann mehrere Büros und schließlich, am Ende des Ganges, das Büro von Caitlyn.
 

Die Sekretärin klopfte höflich an und wartete auf eine Antwort, die nach einem kurzen Moment erfolgte: „Ja bitte?“, erklang Caitlyns kühle Stimme.

„Ihr Gast ist eingetroffen, Sheriff“, antwortete die Sekretärin höflich und wartete auf das prompt folgende ‚Herein‘, bevor sie die Tür für Vi öffnete und sich mit einem höflichen Nicken verabschiedete. Vi fühlte sich kurz völlig allein gelassen, riss sich dann jedoch zusammen und betrat das Büro. Wie sie fast erwartet hatte, war es völlig charakterlos. Zwei schwere Aktenschränke aus dunklem Holz zierten die linke Wand, flankiert von zwei pflegeleichten Topfplanzen. Caitlyns Schreibtisch war aus demselben dunklen, lackierten Holz und war bis auf einen Stapel aktuell bearbeiteter Akten, Schreibmaterialien, einer geschlossenen Pappschachtel mit dem Logo einer Bäckerei und einer Tasse Tee leer. An der hinteren Wand fand sich ein Fenster mit Ausblick auf den Parkplatz, das einen simplen, schmucklosen Vorhang hatte. Die rechte Wand jedoch war von einer riesigen Karte von Piltover bedeckt, die über und über mit Zetteln beheftet, mit gesponnen Schnüren verbunden und immer wieder persönlich aktualisiert und überarbeitet worden war. Hier schien Caitlyn hauptsächlich die Einsätze ihrer Wache zu koordinieren.
 

Vor dem Schreibtisch standen zwei Stühle und auf einen dieser beiden deutete Caitlyn nun: „Nehmen Sie Platz, Miss Vi.“

Ein wenig eingeschüchtert, doch fest entschlossen, das nicht zu zeigen, ließ sich Vi nonchalant auf den angedeuteten Stuhl fallen und legte ihren rechten Arm über die Lehne des benachbarten Stuhles, ließ sich tief in den Sitz sinken und machte es sich bequem. Die Tragegurte ihres Seesacks behielt sie sicherheitshalber in der linken Hand.
 

„Gut, dass Sie pünktlich sind. Wir führen hier genau Buch über die Arbeitszeiten unserer Mitarbeiter und zeigen uns Versäumnissen nicht gerade verständnisvoll gegenüber. Wir sind hier, um Piltover zu dienen und nicht, um die Mittel des Stadtrates zu verschwenden.“

Vi war klar, dass sie nichts falsch gemacht hatte, aber dennoch fühlte sie sich belehrt. Sie hatte zwar nie einen gehabt, aber so stellte sie sich einen Oberlehrer vor.

„Ja, is schon klar“, antwortete sie etwas ungehalten und fixierte Caitlyn mit aufmerksamem Blick. Diese war heute anders gekleidet als am vergangenen Abend. Ihre blaue Wachenuniform, die trotz der Tatsache, dass sie praktisch sein musste, vorteilhaft geschnitten war und die Vorzüge ihrer tadellosen Figur betonten, stand ihr ausgezeichnet – und selbstverständlich trug sie ihren auffälligen, zur Uniform passenden Zylinder, der wohl neben ihrer Waffe ihr optisches Markenzeichen geworden war.
 

Caitlyn hob eine Augenbraue, was ihrem Gesichtsausdruck einen noch arroganteren Zug als vorher schon gab. „Ich nehme an, Sie hatten seit gestern Zeit, noch einmal über mein Angebot nachzudenken. Haben Sie Ihre Meinung geändert?“

Die Stimmung war unerträglich und Vi konnte nicht anders, als den Versuch zu starten, sie aufzulockern. Also erhob sie sich aus ihrer lässigen Haltung, legte einen Unterarm auf Caitlyns Schreibtisch und beugte sich vor: „Wär‘ doch nicht hier, wenn ich‘s mir anders überlegt hätte, oder?“ Sie grinste breit. Langsam begann sie, sich ein wenig zu entspannen. Allgemein war sie recht geübt darin, sich schnell an neue Situationen zu gewöhnen und von Caitlyn ging in diesem Moment keine Gefahr für sie aus, dessen war sie sich sicher. Das Schlimmste in diesem Moment war der Stock in Caitlyns Arsch. Und Vi war gewillt zu versuchen, diesen herauszuziehen.
 

„Nun gut“, antwortete Caitlyn kühl und griff nach dem Wust aus Akten und losen Papieren, die auf ihrem Schreibtisch aufgebaut waren. Zielsicher zog sie ein paar Blatt heraus und schob es Vi über den Tisch. „Hier ist Ihr Arbeitsvertrag. Bitte füllen Sie ihn aus, Miss Vi.“

„Vi reicht. Scheiß auf die Förmlichkeit. Wenn wir zusammenarbeiten sollen, dann ist das doch viel zu umständlich“, antwortete Vi und warf einen Blick auf die Zettel, die nun vor ihr lagen. „Und kannst du das nicht ausfüllen? Bin nicht so gut in sowas.“ Sie wollte nicht zugeben, dass sie in ihrem Leben noch keine offiziellen Anträge oder Verträge gesehen hatte, doch Caitlyn schien es ohnehin zu wissen oder zu erkennen. Sie zog die Zettel zurück und füllte in geübter Schönschrift die Zeilen aus. „Ich nehme an, Sie möchten Ihre Bezahlung bar erhalten?“
 

Etwa eine halbe Stunde später brummte Vi der Kopf von den ganzen Fragen, bei denen sie die Hälfte ausweichend oder gar nicht hatte beantworten können und Caitlyn war genervt, was man an ihrem leicht zuckenden Augenlid erkennen konnte. „Nun, eigentlich hatte ich nicht geplant, mich derart lange mit Formalitäten aufhalten zu müssen. Aber nun gut, immerhin haben wir es jetzt hinter uns gebracht. Bitte unterschreiben Sie hier unten, Miss Vi.“

„Vi“, antwortete diese zurechtweisend und kritzelte die zwei Buchsstaben ihres Namens in das vorgesehene Kästchen. Es fühlte sich gut an – irgendwie.
 

Ein kaum hörbares Seufzen der Erleichterung entfuhr Caitlyns Nase, während ihre Lippen eng zusammengepresst waren, und sie heftete die Akten ab. „Dann zeige ich Ihnen jetzt die Wache.“

Sie erhob sich mit eleganten Bewegungen von ihrem bequemen Ledersessel und griff zu ihrer Waffe, die neben ihr am Tisch lehnte. Sie legte sich den Gurt über die Schulter und gebot Vi, ihr zu folgen.
 

Diese jedoch war noch nicht in der Stimmung dazu, denn als Caitlyn aufgestanden war, hatte der Bäckereikarton ihre Aufmerksamkeit geweckt. Bevor der Sheriff reagieren konnte, hatte sie über den Tisch gelangt und die Packung zu sich gezogen. „Riecht gut, was ist das?“

Über Caitlyns Gesicht zog kurz ein Funken von Überraschung, dann fasste sie sich wieder. „Ein kleiner Imbiss für die Mittagspause. Würden Sie das bitte wieder hinlegen?“ Ihre Aufforderung klang perplex, vermutlich war sie es nicht gewohnt, dass Fremde einfach ihren Besitz anlangten. Doch Vi störte sich nicht daran und öffnete die Schachtel. Darin waren zwei braune Cupcakes in niedlichen Förmchen, garniert mit rosa Creme. Einer davon war angebissen.

Ein breites Grinsen schlich sich über Vi‘s Gesicht, als sie Caitlyn daraufhin anblickte: „Stehst wohl auf Cupcakes, hm? Hätte gar nicht gedacht, dass du so eine Süße bist.“ Schelmisch zwinkerte sie ihr zu und es gelang ihr tatsächlich, für einen Moment, Caitlyns kühlen Gesichtsausdruck zu brechen und ihr eine zarte Röte auf die Wangen zu zaubern: „Legen Sie das weg. Und folgen Sie mir endlich, wir vertrödeln kostbare Zeit.“

Mit diesen Worten verließ sie das Büro und deutete Vi energisch an, ihr zu deuten, was diese tat, aber nicht, ohne sich eine Fingerspitze voll Creme von Caitlyns Cupcake gegönnt zu haben.
 

Nacheinander zeigte Caitlyn ihr die verschiedenen Räumlichkeiten der Wache. Auch wurden ihr die verschiedenen Mitarbeiter vorgestellt, darunter die wachhabenden Ermittler, die für das Sammeln von Informationen, Befragen von Zivilpersonen und die allgemeine Sicherheit bei größeren Events verantwortlich waren. Vi‘s Gedächtnis war nicht besonders gut, doch sie versuchte, sich wenigstens ein paar der vielen Namen zu behalten, die ihr genannt wurden – Marshall, Barkins, Everett, dann noch die beiden Laborarbeiter Staios und Varnell, die – für Vi zumindest – ziemlich offensichtlich eine Affäre am Laufen hatten. Außerdem staunte sie nicht schlecht, als sie im Keller einen Trainingsraum mit teilweise techmaturgischen Trainingsgeräten entdeckte, der direkt Begeisterung in ihr weckte. Sie wusste nun zumindest schon, wo sie ihre dienstfreie Zeit zum Teil verbringen konnte und ließ es sich nicht nehmen, einen der Boxsäcke probeweise mit einigen ihrer härtesten Schlägen zu malträtieren.
 

Schließlich bekam sie ihren Spind zugewiesen. Caitlyn öffnete ihn und händigte Vi dann den Schlüssel aus. „Dies ist Ihr Privatschließfach, Miss Vi.“

„Vi“, verbesserte diese unermüdlich und warf einen Blick hinein. Drei Sätze Uniform, zwei Sätze Sportkleidung, schwere Schuhe und ein Rucksack mit dem Logo der Wache. „Da passen meine Handschuhe aber nicht rein“, kritisierte sie grinsend und blickte Caitlyn an, wobei sie auf ihren Seesack deutete.

„Nun, ich gehe davon aus, dass Sie sie ohnehin an ihre Uniform anpassen und die meiste Zeit tragen werden“, antwortete diese.

„Die werden auf Dauer ganz schön schwer, zumindest wenn man sie den ganzen Tag anhat“, gab Vi zurück. „Aber hast schon Recht, werd‘ mich sicher nicht von ihnen trennen.“

Caitlyn ließ ihren Blick über den abgewetzten schmutzigen, zum Teil zerlöcherten Seesack gleiten und rümpfte ein wenig ihre Stupsnase: „Nun, wenn es Ihnen gefallen würde, würde ich Ihnen einen passenden Transportkoffer bestellen.“

Vi folgte dem kritischen Blick und zuckte mit den Achseln: „Das Ding tut seinen Dienst. Aber wenn‘s dich stört, dann halt ein Koffer, ist mir egal.“

Ein wenig ging es ihr auf die Nerven, dass Caitlyn ihre Ausrüstung nicht gut genug war, aber was wollte man denn schon erwarten. Das, was für die Straße gut genug war, taugte hier nur noch für die Mülltonne. Es würde Vi schwer fallen, sich daran zu gewöhnen.

„Ich werde es auf meine Liste setzen“, gab Caitlyn zurück und inspizierte erneut den Spind. „Ich würde Sie dann bitten, sich jetzt umzuziehen, damit ich Sie mit dem Rest des Geländes vertraut machen kann, Miss Vi.“
 

Langsam reichte es Vi der Sturheit und andauernden Überhöflichkeit des Sheriffs und ihre Augenbrauen zogen sich leicht zusammen: „Musst du immer so förmlich sein?“

„Reine Höflichkeit“, antwortete der Sheriff, wurde jedoch seitens Vi von weiteren Ausführungen abgehalten, indem sie sie mit einer simplen Geste der Hand gegen einen Spind drückte und sich vor ihr aufbaute. Ein Grinsen entschärfte die Situation, sodass Caitlyn die Hand, die zu ihrer Waffe geschnellt war, wieder sinken ließ. „Seh‘ ich aus, als würd‘ ich Höflichkeit wollen, Cupcake?“

Von der Reaktion Vi‘s überrumpelt und ein wenig beschämt ob der extrem unhöglichen Anrede, schwieg Caitlyn einen Moment, bevor sie schließlich ihre Sprache wiederfand und fast schon abwertend und kritisch ein knappes „Wohl eher nicht“ von sich gab.

„Richtig erkannt. Also sag endlich Vi zu mir und lass gut sein. Wir sind Partner, oder? Du wolltest, dass ich mit dir zusammenarbeite und wenn wir das machen sollen, dann sollten wir uns kennen lernen. Und dieses ‚Sie‘ steht dem ziemlich im Weg, meinst du nicht?“

Vi ließ ihren Arm sinken, mit dem sie Caitlyn gegen den Stahlspind gedrückt hatte und griff sich einen Teil ihrer Uniform aus ihrem Schließfach.
 

Eine kurze Weile schwieg Caitlyn, dann seufzte sie kurz und straffte ihre Haltung wieder: „Nun gut… Vi. Es liegt mir fern, diese Sache schwieriger als nötig zu gestalten. Wenn mich zu duzen dir beim Einleben hilft, dann soll es mich nicht stören. Allerdings würde ich dich bitten, diesen lächerlichen Spitznamen sofort wieder abzulegen, bevor er sich einbürgert.“

„Zu spät“, antwortete Vi grinsend, während sie sich ihrer Jacke entledigte und postwendend ihr Oberteil über den Kopf zog. „Cupcake gefällt mir ziemlich gut für dich. Passt zu dir.“ Eigentlich war es simpel zu erklären, warum Vi diesen Spitznamen für Caitlyn gewählt hatte. Diese rosafarbenen Zuckerbomben auf dem Schreibtisch des Sheriffs waren das erste Anzeichen von Persönlichkeit gewesen, das sie bei ihr hatte erkennen dürfen, das erste Anzeichen von Menschlichkeit hinter dieser kühlen, perfekten, berechnenden Schale. Und daran wollte sie sich festhalten und, wenn möglich, noch mehr davon hervorkitzeln.
 

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Kapitel 2: Von Zigaretten und Schlachtplänen

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Kapitel 2: Von Zigaretten und Schlachtplänen
 

„Er ist hier lang“, rief Caitlyn mit energischer Stimme und deutete mit einem Nicken ihres Kopfes die Straße hinunter. Vi, die mitten im Sprint in Richtung einer anderen Seitengasse war, bremste ab und versuchte im Lauf, die Richtung zu wechseln, was darin resultierte, dass sie gegen eine Wand krachte. Ohne dass es ihr etwas auszumachen schien, drückte sie sich kraftvoll mit ihrer Faust von ihr ab und setzte zu einem erneuten rasenden Spurt in die Richtung an, in die Caitlyn gedeutet hatte. „Geht klar, Cupcake. Den schnapp ich mir!“

Und schon war sie unterwegs. Ihr so schnell sie konnte hinterherrennend, versuchte Caitlyn noch, ihr Anweisungen zu geben: „Wir brauchen ihn möglichst unversehrt. Ich muss ihn heute noch befragen!“
 

Doch Vi war schon außer Hörweite. Mal wieder. Caitlyn seufzte und entsicherte ihre Waffe – immerhin war es gut möglich, dass sie würde schießen müssen. Auch wenn sie als Sheriff durchaus sehr sportlich und ausdauernd war, die Sprintgeschwindigkeit von Vi war ihr ein absolutes Rätsel. Wie konnte man eine so schwere Rüstung mit solchen riesigen Handschuhen tragen und trotzdem so rasend schnell rennen können? Es war schon oft vorgekommen, dass Vi sie bei einem Einsatz abgehängt hatte und jedes Mal hatte das darin geendet, dass irgendetwas zu Bruch gegangen war, bevor sie eingetroffen war. Caitlyn beschleunigte ihren Schritt – vielleicht konnte sie ja noch Schlimmeres verhindern.
 

Die Nebentraße am Rande Piltovers, die der Kriminelle, den sie beim Verkauf alchemischer Drogen aus Zaun erwischt hatten, für seinen Fluchtweg ausgesucht hatte, lag inzwischen ausgestorben vor ihr. Caitlyn war schon länger hinter dem Drogensyndikat her, das Produkte aus Zaun an die viel zu gutgläubigen Piltover Kunden verkaufte und damit immer wieder Todesfälle unter den Junkies hervorrief, und nun war es ihre Chance, mehr über die Drogenküche herauszufinden, die dafür verantwortlich war – wenn es Vi gelang, den Drogenkurier am Leben zu lassen.

Langsam außer Atem geratend gelangte Caitlyn auf die große Klippenstraße, die um die Außenbereiche von Piltover verlief und die oft für Transporte größerer Firmen oder Akademien genutzt wurde. Sie blickte nach rechts und links und versuchte, Vi oder den Drogenkurier zu erspähen und erkannte zu ihrem Schrecken gleich, was passiert war.
 

Linker Hand befand sich ein großes Fabrikgelände und in der Steinwand der äußeren Mauer war ein großes Loch. Mindestens groß genug, dass Vi hindurchgepasst hatte. Auch wenn sie eine Pause gebraucht hätte, setzte Caitlyn sich wieder in Bewegung und folgte ihrer unverantwortlichen Partnerin durch das Loch, gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie die Wand des Verwaltungsgebäudes der Fabrik krachend und polternd einstürzte und etwa die Hälfte des Daches mit sich nahm. Die mit zu Boden gerissenen Kabel und Stützbalken hingen quer und eine grüne Flüssigkeit, die wohl zur Verarbeitungsanlage gehörte, tropfte hinunter, zischend und sich durch den Stein ätzend. Und aus dem Inneren des Gebäudes erklangen noch immer Kampfgeräusche.

‚Warum verdammt nochmal ist Vi nur unfähig, Türen zu benutzen‘, fragte Caitlyn sich ungehalten und mit verkniffenen Lippen näherte sie sich – vorsichtig – dem Gebäude. Der Kurier war bewaffnet und gefährlich. Und wenn er Vi entkommen sollte, dann musste sie ihn aufhalten.

Mit einigen schnellen Bewegungen war sie auf die Mauer geklettert und hatte sich auf einem der Pfosten niedergelassen. Sie ging auf ein Knie hinunter und legte ihre Waffe an, spähte durch die Linse und wartete mehr oder weniger geduldig darauf, dass sich etwas tat. Dort jetzt hineinzugehen, war Selbstmord. Entweder würde sie in den Kampf, der zwischen Vi und dem Kurier entbrannt war, geraten oder von dem einstürzenden Gebäude erschlagen werden. Nein – direkte Konfrontation war nicht Caitlyns Stil.
 

Es dauerte nicht einmal mehr eine halbe Minute, bis Vi auf den Plan trat. Mit dem jungen Mann – offensichtlich ohnmächtig – über der Schulter und einem breiten Grinsen sowie einer nicht unerheblichen Platzwunde am Kopf trat sie zwischen Schutt und Säureregen hervor und zeigte Caitlyn den erhobenen Daumen ihres Hextechhandschuhs. „Hab ihn, Cupcake.“
 

Etwa eine Stunde später saßen sie beide in Caitlyns Büro in der Wache. Auf der Stirn des Sheriffs zeigte sich eine kleine Falte, die von unterdrückter Wut zeugte, und sie tippte immer wieder ungehalten mit dem Stift auf den Tisch.

„Was hast du dir dabei gedacht, Vi. Ich hatte dir den Plan mehrfach erklärt, aber erneut hast du dich meinen Anweisungen widersetzt und bist ohne Rückendeckung und ohne nachzudenken alleine vorgegangen. Ganz zu schweigen davon, dass du einen immensen Sachschaden verursacht hast, den die Wache von Piltover nun erstatten muss.“
 

Vi lehnte sich in Caitlyns Besucherstuhl zurück und legte beide Beine übereinander auf Caitlyns Schreibtisch. Ihr Grinsen war selbstzufrieden – Caitlyn hätte es ihr am Liebsten aus dem Gesicht gekratzt. „Na und? Hab ihn doch erwischt. Das wolltest du doch.“

„Ich sagte dir, dass ich ihn unverletzt brauche. Er ist in ärztlicher Behandlung und ich werde ihn erst morgen verhören können, was den Mitgliedern der Drogenküche genug Zeit gibt, ihre Gerätschaften und Lagerorte zu wechseln, sodass unsere Spur wieder einmal ins Leere verlaufen wird. Und das ist deine Schuld.“ Caitlyns Stimme war eisig und sie fixierte Vi mit einem strengen, tadelnden Blick. Innerlich brodelte sie, jedoch war es gegen ihre Prinzipien, wirklich auszurasten oder gar zu schreien. Dafür war doch zu viel gute Erziehung in ihr – oder, wie ihre Mutter es sagen würde: Eine Dame von Welt schreit nicht und prügelt sich nicht.

Das Grinsen auf Vi‘s Gesicht wich einem eher trotzigen Ausdruck, der Caitlyn noch wütender machte. Was war ihre Partnerin? Ein kleines Kind?!

„Ich hab ihn erwischt“, protestierte Vi energisch. „Du hast schon wochenlang versucht, auf deine Art einen von denen in die Hände zu kriegen und hast es nicht geschafft. Ich liefer dir einen auf dem Silbertablett und du meckerst wieder nur. `N schöner Dank.“

„Benimm‘ dich nicht wie ein Kleinkind“, tadelte Caitlyn. „Und nimm endlich die Füße von meinem Tisch. Du bist hier in der Wache und nicht zuhause.“
 

Vi reagierte nicht auf die Anweisung, sondern griff in die Brusttasche ihrer Uniformjacke, um sich – schon wieder – eine ihrer dämlichen Zigaretten anzuzünden.

„Nicht in meinem Büro, wie oft muss ich dir das noch sagen!“, wurde Caitlyn nun doch etwas lauter und griff über den Tisch, um Vi die Zigarette aus der Hand zu nehmen, diese jedoch reagierte zu schnell und packte sie sich zwischen die Zähne, um daran zu ziehen und ihr den Rauch direkt ins Gesicht zu blasen.

Dieser… Trotz… Diese fehlende Bereitschaft, sich an Regeln zu halten, brachte Caitlyn zur Weißglut. Sie arbeiteten seit nicht einmal einem Monat zusammen und sie bereute es gerade nicht zum ersten Mal, dass sie Vi hierher gebracht und ihr diese Chance gegeben hatte. Ja, sicherlich leistete Vi herausragende Arbeit, aber ihre Methoden waren alles andere als publikumstauglich. Scheinbar hatte ihre neue Partnerin es noch immer nicht verstanden, dass sie sich nach außen hin für ihre Taten verantworten musste.
 

„Hör ma zu, Cupcake“, antwortete Vi zwischen zwei tiefen Zügen an ihrer Zigarette. „Ich bin, wie ich bin. Du wolltest mich für die Wache, du hast mich gekriegt. Wenn dir jetzt nicht passt, wie ich arbeite, dann biste selbst schuld dran.“

Da hatte Vi allerdings Recht. Und leider sahen das die piltover‘schen Autoritäten genauso und hatten Caitlyn bei jedem bisherigen Fehlverhalten von Vi zur Rechenschaft gezogen, was für sie einen immensen Berg an Papierkram bedeutete.

„Ich habe dir die Gelegenheitgegeben, dein Leben zu ändern und zu verbessern. Aber du änderst nichts. Du verhälst dich wie ein trotziges Kind“, antwortete Caitlyn und versuchte, ihre bebende Stimme wieder unter Kontrolle zu bringen. „Du scheinst zu glauben, dass sich für dich nichts geändert hat, außer der Tatsache, dass du nun legal Verbrecher zur Rechenschaft ziehen kannst. Aber dem ist nicht so. Wir beide – du und ich – müssen für unsere Taten geradestehen und uns für eventuelle Schäden, die wir verursachen, rechtfertigen. Du hast heute einer Firma einen großen Sachschaden verursacht, der – da sind wir uns hoffentlich einig – absolut unnötig war. Und dafür muss die Stadt aufkommen. Und davon ist sie wenig begeistert, das kannst du mir glauben. Wenn du deine Arbeitsstelle behalten willst, solltest du lernen, dich zu zügeln und auf mich zu hören.“

Ob Vi ihr zugehört hatte oder nicht, konnte Caitlyn nicht genau einschätzen, denn deren Blick war gelangweilt aus dem Fenster gewandert, während sie immer wieder die Asche ihrer Zigarette auf den schönen Holzboden schnickte.
 

„Biste fertig?“, fragte Vi schließlich, als Caitlyn einen Moment lang innegehalten hatte.

Diese… Dreistigkeit. Caitlyn atmete tief durch, um sich nicht wieder reizen zu lassen. „Nein, das bin ich nicht.“ Ihre Stimme wurde langsam etwas ruhiger und beinahe schon vertraulicher. Sie wollte wirklich, dass das hier funktionierte. Nicht umsonst hatte sie Vi monatelang beobachtet, ihre Handlungen, ihre Persönlichkeit, ihre Prinzipien, ihre Methoden, bis sie sich schließlich sicher gewesen war, dass sie sie wirklich als ihre Partnerin haben wollte. Vi war ein Rohdiamant, der nur etwas… geformt werden musste, nur ein paar klare Regeln brauchte und verstehen musste und dann sicherlich einwandfreie Arbeit leisten würde. Sie ergänzten sich ausgezeichnet, aber sie mussten beide lernen, miteinander statt gegeneinander zu arbeiten.
 

„Hör mir zu, Vi“, sagte sie nun in beinahe freundschaftlichem, aber auch ein wenig resignierten Ton. „Versteh bitte, dass ich für dein Handeln geradestehen muss. Ich habe dich in die Wache gebracht – entgegen der Meinung vieler anderer, die dich lieber im Gefängnis gesehen hätten. Ich wollte dir diese Chance geben, deine Fähigkeiten für das Wohl Piltovers einzusetzen. Und ich wünsche mir, dass wir besser zusammenarbeiten. Dafür jedoch musst du meinen Erfahrungen vertrauen und der Tatsache, dass wir uns nun im Rahmen der Gesetze bewegen müssen, entgegen den Methoden, die du früher benutzt hast.“

Vi‘s Blick wanderte bei ihrem Tonfall vom Fenster zu Caitlyns Gesicht und musterte sie sehr aufmerksam – so intensiv, dass es Caitlyn beinahe unangenehm war und sie kurz spürte, wie ihr die Hitze in die Wangen stieg, bevor sie dieses Gefühl niederkämpfen konnte.

„Ich will auch, dass das funktioniert“, antwortete Vi ernst und ohne jegliche Spur ihres üblichen Grinsens im Gesicht. „Aber du musst mir auch vertrauen. Ich kenn‘ mich in der Szene besser aus als du und kenn‘ unsere Gegner. Die schrecken vor nichts zurück. Und sollten wir das tun, sind sie uns überlegen, so einfach ist das. Verbrecher musst du mit ihren eigenen Waffen schlagen – und da funktioniert rohe Gewalt einfach immer noch am Besten.“
 

Einen so ernsten Vortrag mit fundierter Basis hatte Caitlyn nicht erwartet, das musste sie zugeben. Kurz dachte sie einen Moment lang nach, bevor sie antwortete, inzwischen wieder fast ruhig. „Das mag sein, Vi. Aber wir sind nicht wie sie. Du bist nicht wie sie. Wenn du dich auf ihre Ebene herablässt, dann haben sie gewonnen. Wir arbeiten für das Gesetz und sind an seine Richtlinien gebunden, daran wirst du dich gewöhnen müssen. Aber wir werden Möglichkeiten finden, deine… Fähigkeiten passend einzusetzen.“ Sie war bereit, Zugeständnisse zu machen, wenn Vi ihr dafür auch ein wenig entgegenkam. „Ich werde meine Pläne ein wenig… interessanter für dich gestalten und du hörst im Gegenzug auf das, was ich sage und hälst dich an meine Einsatzpläne. Können wir uns darauf einigen?“
 

Vi kaute auf dem Stummel ihrer abgebrannten Zigarette herum und drückte diesen dann auf einem Stapel Papiere auf Caitlyns Schreibtisch aus. „Abgemacht.“ Die Vollstreckerin Piltovers lehnte sich über den Tisch und hielt dem Sheriff die ausgestreckte Hand hin. „Schlag ein.“

Mit einem Seufzen ergriff Caitlyn Vi‘s Hand, die zum Glück gerade nicht in einem der riesigen Handschuhe steckte, zog sie nach einem knappen Händedruck allerdings direkt wieder zurück.

„Ich nehme stark an, dass du dich wieder einmal vor dem Papierkram drücken wirst, Vi?“, fragte Caitlyn dann das Thema wechselnd und schnippte mit einem etwas pikierten Gesichtsausdruck den Zigarettenstummel von ihren Akten.

Vi lehnte sich wieder auf ihrem Stuhl zurück und verschränkte die Finger über ihrem Bauch. „Jau, so sieht‘s aus. Mach du das mal, kannst das eh besser als ich.“

„Du wirst dich nicht ewig darum drücken können, Vi“, tadelte Caitlyn und zog den Bericht über den heutigen Einsatz zu sich, um damit zu beginnen, ihn auszufüllen.

„Werden wir sehen“, antwortete diese frech und zog sich eine neue Zigarette aus der Brusttasche, die sie umgehend anzündete.
 

Caitlyn blickte kritisch von ihrem Bericht auf. Ihr war es seit dem ersten Tag ein Dorn im Auge, dass Vi rauchte – nicht nur dass es ihr Büro mit schlechter Luft verpestete, überall Dreck machte, nein, es war auch noch schlecht für die Gesundheit.

„Du solltest mit dem Rauchen aufhören“, meinte Caitlyn, während sie sich wieder ihrem Papierkram zuwandte. Ihre Stimme klang nicht unfreundlich und zeigte trotz der üblichen, distanzierten Nuancen ein gewisses Maß an Besorgnis.

„Warum das?“, fragte Vi mit hochgezogener Augenbraue und schnippte Asche auf den Boden.

Inzwischen hatte Caitlyn es aufgegeben, sich darüber zu beschweren, dass Vi in ihrem Büro nichts anderes als Dreck machte und stattdessen der Putzfrau gesagt, sie solle zweimal am Tag mit dem Wischer den Boden säubern und den Tisch abwischen. Dennoch ließ die unhöfliche Geste kurz ihr Augenlid zucken. Sie blätterte um und setzte an drei Stellen ihre Unterschrift unter den formalen Teil des Berichtes. „Weil es ungesund ist“, antwortete sie dann und klappte die Akte zu. „Es ruiniert deine Ausdauer und deine Atmung und deine Zähne werden schlechter. Ganz zu schweigen davon, das der Geschmackssinn und die allgemeine Fitness darunter leiden. Außerdem kann man daran sterben, wenn man es übertreibt.“
 

„Merk ich noch nix von“, antwortete Vi achselzuckend und ungerührt. „Ich rauch schon ewig und bin fit wie immer.“

Obwohl sie versuchte, nicht direkt wieder in den Oberlehrerton zu verfallen, setzte Caitlyn zu einer Belehrung an: „Noch nicht. Aber das ist nur eine Frage der Zeit. Und wenn du die nächsten dreißig oder vierzig Jahre gesund sein und arbeiten willst, dann solltest du das Rauchen wirklich aufgeben, bevor sich die Symptome einstellen.“

„Lass das mal meine Sache sein, Cupcake. Ich beschwer‘ mich ja auch nicht über den Süßigkeitendreck, den du dir die ganze Zeit reinschiebst, wenn keiner hinguckt“, gab Vi schlagfertig und feixend zurück.
 

Caitlyns Gesicht lief rot an – vor allem, weil in der Schublade ihres Schreibtisches gerade erneut ein Karton mit Donuts stand, die nur darauf warteten, nach Feierabend mit nach Hause genommen und bei einer gemütlichen Tasse Tee und einem guten Buch verspeist zu werden.

„Das ist… etwas gänzlich andere“, protestierte sie. „Davon abgesehen ernähre ich mich gesund und ausgewogen.“

„Klar, bei dir ist‘s was ganz anderes, wenn du `n Laster hast, schon klar“, gab Vi zurück und grinste noch immer breit, um ihrem Vorwurf den Dorn zu ziehen.

Caitlyn seufzte: „Nun gut, ich werde nicht mehr damit anfangen. Aber ungesund ist es dennoch. Und ich würde es wirklich begrüßen, wenn du den Boden meines Büros nicht ständig als Aschenbecher benutzen würdest.“

Wie aus Protest schnippte Vi genau in diesem Moment erneut Asche auf den Boden und zuckte mit den Achseln: „Dann besorg mir entweder `nen Aschenbecher oder `n eigenes Büro, in dem ich rumhängen kann.“
 

„Ich habe dir schon letzte Woche gesagt, dass wir derzeit Raummangel haben. Sobald der Anbau genehmigt ist, wirst du deine eigenes Büro bekommen, solange musst du dich leider damit begnügen, Gast in meinem zu sein“, antwortete Caitlyn etwas angesäuert. Sie selbst war auch nicht begeistert von der Situation, wenn es ihr auch die Möglichkeit gab, Vi etwas besser im Auge zu behalten. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, was diese nach Feierabend alles so anstellte. Obwohl… eigentlich interessierte es sie schon. Selbstverständlich ausschließlich, weil sie wissen wollte, ob Vi ihre Auflagen und Vorschriften befolgte und sich aus Problemen heraushielt.

„Ja ja, weiß ich ja“, antwortete Vi und rollte mit den Augen. „Bin ja eh meistens unten im Sportraum. Apropos. Da geh ich jetzt mal hin und lass dich mit deinen Donuts allein. Die sind doch in deiner Schublade, oder?“ Vi grinste breit und deutlich süffisant. „So wie du grade aussiehst, hast du einen dringend nötig.“

„Vi!“, rief Caitlyn tadelnd, während ihre Partnerin laut lachend aufstand und aus dem Büro schlenderte. Als die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war, seufzte Caitlyn tief und stützte die Stirn in die Hand. Was hatte sie sich hiermit nur aufgehalst…
 

Selbstverständlich stand am nächsten Tag ein Aschenbecher in Caitlyns Büro.
 

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Kapitel 3: Neuanschaffungen

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Kapitel 3: Neuanschaffungen
 

„Das hier ist echt rattenscharf!“, stieß Vi begeistert aus und fuhr mit der Handfläche beinahe sinnlich über das blankpolierte silberne Metall des Cockpits des vor ihr stehenden Motorrades. „Absoluter Oberhammer“, fügte sie an, als hätte ihre erste Aussage ihrer Begeisterung noch nicht genügend Ausdruck verliehen.

„Das ist eine Spezialanfertigung für einen Kunden“, antwortete der Yordle, der sie gerade durch die Werkstatt führte und blickte sie mit einem tadelnden Blick an. Er steckte seinen Schraubenzieher, mit dem er gerade daran gearbeitet hatte, in den Gürtel und warf seine wilde, lockige Mähne nach hinten, bevor er sich ihr wieder zuwandte: „Bitte nicht anfassen. Es ist noch instabil.“

„Schaaaarf“, war Vi‘s einzige Antwort darauf, doch sie nahm die Finger von dem Motorrad. Sie wollte heute doch lieber noch nicht wegen instabiler Hextechmechanik in die Luft fliegen, nein danke.
 

Heimerdinger lächelte beinahe gutmütig über so viel Begeisterung für seine Schöpfungen und musterte die junge Frau dann von oben bis unten: „Sie sind die neue Partnerin von unserem Sheriff, nicht wahr?“ Vi rollte als Antwort nur mit den Augen: „Hat sich schon rumgesprochen, was?“

„So etwas bleibt nicht lange geheim. Vor allem, wenn man sich so schnell einen Ruf macht wie Sie“, antwortete der berühmte Erfinder und schob seine Schutzbrille nach oben: „Wie kann ich Ihnen also weiterhelfen? Wollten Sie sich die weltberühmte Werkstatt der Piltover Customs nur besichtigen, oder führt Sie etwa ein Fall hierher?“
 

Vi blickte sich in der Werkstatt um. Sie war zwar recht durcheinander, doch schien es in dem Chaos ein gut durchdachtes System zu geben. In einer Ecke der Werkstatt war die Flugmaschine des berühmten Piloten Corki aufgebockt, an der wohl gerade gearbeitet wurde, der Pilot selbst war allerdings nicht zu sehen. Die Wände hingen voll mit Werkzeug, Ersatzteilen, Bildern von fertigen Maschinen und Blaupausen, die Arbeitstische quollen mit ähnlichen Dingen über und von der Decke hingen hier und dort Maschinenteile, die zu groß waren, um sie anderswo zu lagern. Und natürlich durfte man das ständige Surren, Pfeifen und Blubbern der für die Hextechmaschinen genutzten Substanzen und Kristallen nicht vergessen. Sie war beeindruckt, gelinde gesagt. Schon seit ihren Kinderjahren hatte sie sich mit dem Handwerk des Hextech beschäftigt, doch ein solcher Schatz war ihr noch nie untergekommen.
 

„Umsehen. Und was bestellen“, antwortete Vi, nachdem sie ihren schweifenden Blick wieder auf Heimerdinger fokussiert hatte.

„Etwas bestellen, soso. Wir machen hier nur Spezialanfertigungen, junge Dame. Was sollte mich denn überzeugen, dass wir Sie auf unsere sehr ausgesuchte Kundenliste nehmen sollten?“, fragte der Erfinder mit geschürzten Lippen und strengem Blick.

„Reicht‘s nicht, dass ich der Partner vom Sheriff bin? Ich arbeite für die Sicherheit von Piltover… oder so.“ Sie zuckte mit den Achseln. „Und eure Maschinen sind einfach die Besten. Ich hab euch früher ab und an mal gesehen, wenn ein Ligakampf übertragen war. Und es ist absolut fantastisch, was ihr so leistet.“
 

Es geschah nicht oft, dass Vi so begeistert und überschwänglich wurde, doch das ganze Umfeld hier raubte ihr schier den Atem. Wenn sie doch nur zwei oder drei Stündchen alleine hier bleiben könnte… was sie hier alles anstellen könnte und welche Verbesserungen sie allein mit den hier herumliegenden Ersatzteilen an ihren Handschuhen vornehmen könnte. Apropos Ersatzteile.

„Verdammte Scheiße, ich glaub, ich werd‘ schwanger! Ist das da drüben etwa ein Rückstoßbalancekatalysator? Sind die Dinger nicht verflucht teuer?“, fragte sie euphorisch und spähte zu dem Schreibtisch hinüber, auf dem sie das Teil unter ein paar Blaupausen entdeckt hatte.

„So so, Sie verstehen also etwas von Hextech, junge Dame?“, fragte Heimerdinger, nun doch langsam ein wenig interessiert an seinem sehr unhöflichen Besuch, der einfach während seiner Experimente hereingeplatzt war.
 

„Ich schraub‘ schon mein ganzes Leben“, antwortete Vi und ließ den schmuddeligen Seesack, den sie über der Schulter getragen hatte, auf einen ungenutzten Hocker knallen. „Schau nach.“

Heimerdinger drückte auf einen kleinen Knopf am Hocker, der automatisch mit einem Pfeifen und dem Ausstoß von Luft herunterfuhr, sodass er auf seiner Größe war und öffnete mit fachmännischem, aber neugierigem Blick den Reißverschluss. Seine Augenbrauen hoben sich und er nickte langsam und anerkennend. „Ich erkenne das Modell. Bergbauroboter GX-714-T, ein altes Modell, heute kaum noch in Benutzung. Sie sind modifiziert.“

Vi nickte stolz: „Hab ich gemacht. Ich schraub seit Jahren an den Dingern rum. Sind ziemlich praktisch und haben krasse Durchschlagskraft.“

„Das glaube ich gerne“, antwortete Heimerdinger schmunzelnd. „Das bedeutet, Sie könnten sich um eines unserer Gefährte auch… fachmännisch kümmern, richtig?“
 

„Worauf du einen lassen kannst!“, antwortete Vi bekräftigend. „Nur um mir sowas selbst zu bauen, fehlen mir die Teile. Kommt man ja nur schwer ran, ohne die passenden Beziehungen.“

„Viele Teile bauen wir hier selbst, aber einiges lassen wir uns auch von den Akademien liefern“, antwortete Heimerdinger. „Aber ich muss Ihnen zustimmen. Vor allem die instabileren Einzelteile sind schwer erhältlich ohne die passende Reputation.“

Vor allem für ein Straßenkind wie Vi. Alles, was sie bislang an Teilen bekommen hatte, hatte sie irgendwo auf einem Beutezug mitgehen lassen und dann mühevoll anpassen können. Inzwischen könnte sie das eine oder andere über die Wache bestellen, doch auch dort wurde immer zehnmal gefragt und sie hätte drei Anträge ausfüllen müssen, um es eventuell in 10 Monaten mal zu sehen und dann in der falschen Ausführung.
 

„Also gut“, stimmte Heimerdinger nach einigem Überlegen nun endlich zu. „Ich baue Ihnen etwas. Es wird nicht billig, oh, ganz und gar nicht und es wird eine Weile dauern. Aber Sie werden in ganz Piltover kein besseres Gefährt finden. Was schwebt Ihnen denn vor?“

Vi konnte sich nicht vorstellen, ihre ersten Monatsgehälter in etwas anderes zu investieren und ihre Augen leuchteten. Ohne großes Überlegen wanderte ihr Blick erneut zu dem Motorrad, an dem Heimerdinger gearbeitet hatte, als sie hereingekommen war. „Sowas. Nur… größer!“
 

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Die Sonne war schon vor einer ganzen Weile untergegangen und noch immer saß Caitlyn in ihrem Büro. Eigentlich hatte sie bereits vor mehreren Stunden nach Hause gehen wollen, doch der Bericht, der morgen früh beim dafür zuständigen Ausschuss der Abgeordneten des Rates sein musste, hatte nicht warten können. Vi war wohl schon Zuhause, sie hatte sich vor einigen Stunden verabschiedet, in ihrer üblichen lautstarken Art hatte sie ihre letzte Zigarette ausgedrückt und die Tür hinter sich zugeschlagen. Sie hatte laut ihren Worten noch etwas vorgehabt, was genau es war, hatte Caitlyn in ihrem Stress nicht mehr gefragt und es interessierte sie im Moment auch nicht besonders.
 

Ihr Nacken schmerzte und ihre Augen brannten, zum einen vom Rauch, der den ganzen Tag in ihrem Büro hing und trotz ständigen Lüftens nicht wich und zum anderen vom stundenlangen Akten bearbeiten. Die Uhr vom nahen Glockenturm die Straße hinunter begann zu schlagen und Caitlyn lauschte aufmerksam. Ein Uhr nachts. Sie seufzte und beschloss, es für heute gut sein zu lassen und schloss die Aktenmappe – sie würde ohnehin nur unnötige Fehler machen, wenn sie jetzt noch weiterarbeiten würde, so müde wie sie war. Lieber kam sie morgen eine halbe Stunde früher hierher, um das Dokument zu beenden und dann persönlich zur Ratshalle zu bringen, das machte ohnehin immer einen besseren Eindruck.
 

Sie nippte an ihrer Teetasse und verzog kurz das Gesicht. Kalt und außerdem zu stark. Brr. Schlechter Tee, war ihr ein Graus und so ließ sie ihn für die Putzfrau stehen, die morgen früh noch vor ihrem Erscheinen das Zimmer aufräumen würde.
 

Seufzend erhob sie sich von ihrem Sessel, der ihr, egal wie bequem er auch war, irgendwann noch den Rücken ruinieren würde, und packte ihre Tasche mit dem wenigen, was sie von der Arbeit zuhause brauchen würde. Dann verließ sie ihr Büro, schloss die Tür hinter sich ab und wollte sich gerade in Richtung des inzwischen nicht mehr besetzten Empfangs begeben, als sie an der Treppe nach unten zu den Trainingsräumen vorbeikam. Dort unten brannte noch Licht. Um diese Uhrzeit? War das etwa der für die Notfälle zuständige Offizier? Dieser sollte allerdings eigentlich im Pförtnerhäuschen 50 Meter die Straße hinunter sitzen. Sollte er seinen Posten verlassen haben, würde er einen Tadel und vermutlich eine Verwarnung erhalten.
 

Caitlyn rollte mit den Augen – eigentlich hatte sie sich auf ihre Wohnung gefreut und nicht noch einen faulen Kollegen tadeln wollen, doch es half ja nichts. Sie schulterte ihre hübsche Tasche und begab sich die Treppe hinunter. Sie kam am dunklen Trainingsraum vorbei und spähte weiter den Gang hinunter. Das Licht kam von den Frauenduschen, und auch im nebenanliegenden Pausenraum brannte noch welches. Mürrisch öffnete Caitlyn die Tür und entdeckte eine ihr wohlbekannte Gestalt, die gerade in Shorts und weitem, löchrigem Shirt vor dem Spiegel stand und… Zähne putzte. Eine verwuschelte, übermüdete und offensichtlich frisch geduschte Vi, die sofort herumfuhr, als sie hörte, dass die Tür sich öffnete.
 

„Vi. Was um Himmels willen machst du um diese Uhrzeit noch hier? Und was machst du da?“, fragte Caitlyn ein wenig ungehalten.

Vi zog mit einem beinahe verlegenen Ausdruck eine Augenbraue hoch und zuckte mit den Achseln. Ohne die Zahnbürste aus dem Mund zu nehmen oder den Schaum auszuspucken, nuschelte sie: „Schähne pudschen, schieht man doch.“
 

„Nimm gefälligst die Zahnbürste aus dem Mund, wenn du mit mir redest“, meinte Caitlyn mit reserviertem Tonfall. „Ich meine natürlich, was du um diese Uhrzeit noch hier machst?“

Noch immer fiel es ihr ein wenig schwer, Vi zu duzen, obwohl sie inzwischen seit bald drei Monaten Partner waren. Es nahm einfach die nötige Distanz, die sie im Beruf brauchte. Selbst ihren Kollegen, die seit vielen Jahren mit ihr zusammenarbeiteten, hatte sie das ‚Du‘ noch nicht angeboten. Aber Vi war eben in jeglicher Hinsicht… anders.
 

Vi tat wie ihr geheißen – selten, dass das mal passierte, wie Caitlyn beinahe überrascht feststellen musste – spuckte den Schaum aus und legte die benutzte Zahnbürste achtlos auf das Waschbecken. „Wie sieht‘s denn aus. Ich penn‘ hier“, antwortete sie so gelassen wie möglich, doch Caitlyn sah ihr auf den ersten Blick die Unsicherheit hinter der Aussage an. Es passierte nicht oft, dass Vi sich hinter ihre selbstbewusste Art blicken und so etwas wie Schwäche erkennen ließ, obwohl selbst das ihrer starken Persönlichkeit, die Caitlyn inzwischen schätzen gelernt hatte, keinen Abbruch tat, sondern sie im Gegenteil zum ersten Mal beinahe menschlich für sie machte.
 

„Du hattest doch schon vor ein paar Stunden Feierabend. Warum bist du nicht nach Hause?“, fragte Caitlyn ehrlich verwundert. Natürlich kam es ab und an vor, dass einer von ihnen nach langen Überstunden einmal hier auf dem Sofa im Pausenraum übernachtete, aber Vi war nach ihrem Wissen vor über sechs Stunden heimgegangen.
 

„Cupcake, ich hab kein Zuhause“, antwortete Vi und ihr Tonfall, der wohl locker und gleichgültig klingen sollte, hatte einen feinen, bitteren Unterton. Caitlyn fiel es wie Schuppen von den Augen. Sie hatte Vi in einer heruntergekommenen Fabrikhalle aufgestöbert und war ihr vorher durch die Straßen gefolgt – mehrere Wochen lang immer wieder – und niemals hatte Vi Anzeichen gezeigt, irgendwo länger zu bleiben.
 

„Willst du mir sagen, du hast die letzten Monate hier unten geschlafen?“, fragte sie und ihre Stimme hatte ihre übliche Strenge und kühle Schärfe verloren. Sie war wirklich und ehrlich offen besorgt um ihre Partnerin.

Vi zuckte mit den Achseln: „Ist besser als so ziemlich alles, wo ich vorher gepennt hab.“ Sie kratzte sich am Hinterkopf, eine Geste, die Caitlyn bei ihr beobachtet hatte, wenn sie sich unsicher fühlte und es nicht zeigen wollte.
 

Kurz überlegte Caitlyn, was sie sagen sollte, dann nickte sie zur Tür. Hier im Badezimmer ließ sich nicht gut reden. Vi rollte mit den Augen, es war offensichtlich, dass sie auf eine weitere Lektion von Caitlyn nicht die geringste Lust hatte. Allerdings fügte sie sich, schnappte sich ihre Zahnbürste und ihr Handtuch, mit dem sie sich noch einmal durch die noch leicht tropfenden Haare wuschelte und folgte Caitlyn in den Pausenraum, wo sie sich breitbeinig und beinahe machohaft auf das Sofa fallen ließ, auf dem sie offenbar immer schlief.
 

Der Sheriff machte sich daran, Tee für sie beide zu kochen und bis dieser dampfend vor ihnen stand, schwiegen sie beide. Da sie nicht alleine am Tisch sitzen wollte, ließ sich Caitlyn elegant neben Vi, die ihr ein wenig Platz machte, auf die Couch sinken. Caitlyn nippte an ihrem Tee, Vi starrte nur geradeaus.

„Willste mich nich anmeckern oder verwarnen oder so?“, fragte Vi und blickte sie kritisch an. „Wo bleibt dein Vortrag? Vorschriften und blahblah?“

In diesem Moment realisierte Caitlyn, warum Vi ihr gerade so anders war als sonst, beinahe zurückhaltend für ihre Verhältnisse. Weil sie sie erwischt hatte bei etwas, bei dem sie nicht hatte gesehen werden wollen. Bei etwas, das eine ihrer Schwächen offenbarte. Bei etwas, bei dem sie verletzlich wirkte. Kurz spürte sie einen kleinen Stich in der Brust und blickte zu ihrer Partnerin hinüber. „Nein, das will ich nicht...“, sprach sie so sanft wie Vi sie wohl bestimmt noch nie erlebt hatte. Und auch sie selbst. „Vi, ich möchte...“ Sie brach ab und blickte nach vorne, auf das Bild, das an der Wand hing, ein billiger Druck eines Gemäldes, das die Piltover umgebenden Sümpfe zeigte.

Was wollte sie eigentlich…?
 

Vi schien überrascht zu sein und fixierte sie mit dem fesselnden Blick ihrer blauen Augen. „...Was?“, fragte sie beinahe ruhig und lehnte sich ein wenig vor.
 

„Es mag dir noch nicht ganz klar sein… Aber die Zeit deines Lebens, in der du kein Zuhause haben konntest, ist vorbei. Du bist nicht mehr auf der Flucht. Du verdienst Geld, du kannst dir eine Bleibe mieten, eine Wohnung, etwas… eigenes. Du musst nicht hier auf dem Sofa schlafen, in den Gemeinschaftsduschen duschen und deine Sachen immer mit herumtragen“, fuhr Caitlyn fort, als sie endlich die richtigen Worte gefunden hatte und blickte Vi wieder an. Ihre Fürsorge war nicht gespielt, das sah Vi ihr bestimmt an. Diese petzte die Lippen zusammen und ließ sich wieder gegen die Sofalehne fallen, wie ein störrisches Kind, das nicht einsehen wollte, dass seine Mutter mit etwas Recht hatte. Kurz schwieg sie, dann brummte sie unwillig: „Hab‘ ich noch gar nicht drüber nachgedacht.“
 

Das konnte Caitlyn sich lebhaft vorstellen. Für jemanden wie Vi – wenn es ihr in ihrem eigenen Lebensstil, bei dem es ihr nie an etwas gemangelt hatte, auch unvorstellbar war – war eine solche drastische Veränderung bestimmt nicht von heute auf morgen zu bewältigen. „Soll ich dir helfen?“, fragte sie. „Wir könnten zusammen eine Wohnung für dich suchen.“
 

Mit einem schiefen, recht misstrauischem Blick stierte Vi sie auf diesen Vorschlag hin an: „Du… willst mir helfen?“ Sie schien es nicht so recht glauben zu können. Caitlyn lächelte minimal, etwas, was sie sehr selten tat, und diese Tatsache löste Vi‘s misstrauischen Ausdruck etwas auf und stattdessen trat Verwunderung in ihren Blick… und noch etwas anderes, das Caitlyn nicht deuten konnte. „Ich habe dich hierher gebracht, damit du meine Partnerin wirst, Vi. Weil ich daran glaube, dass du ein besseres Leben verdienst. Also lass mich dir dabei helfen, es zu erreichen.“
 

Vi stieg die Röte ins Gesicht, auch wenn sie diese mit einem Räuspern niederzukämpfen versuchte und abwehrend die Arme vor der Brust verschränkte. „Das krieg ich auch allein hin. Wie schwer kann‘s denn sein, `ne dämliche Wohnung zu mieten.“ Sie schnaubte und kippte dann ihren noch heißen Tee hinunter, nur um in lautes Fluchen auszubrechen: „Scheiße verdammt, ist das Dreckszeug heiß.“
 

Caitlyn konnte nicht anders als sanft zu lachen und meinte dann versöhnlich: „Dann mach es alleine. Aber wenn du Unterstützung brauchst, melde dich bei mir. Dieser ganze Papierkram liegt dir ja nicht. Und Mietverträge können ganz schön… aufwendig sein.“ Vi zuckte mit den Achseln und schnaubte erneut: „Kinderspiel.“
 

„Gut, wie du meinst“, antwortete Caitlyn, stellte ihre Teetasse zur Seite und erhob sich: „Wenn du mich jetzt entschuldigst, ich mache mich auf den Heimweg, dann bekomme ich wenigstens noch drei Stunden Schlaf, bis ich morgen wieder hier sein muss.“ Vi nickte: „Dann mach‘ dich heim. Ich hau‘ mich auch auf‘s Ohr. Und wenn du morgen herkommst, bring mir nen Kaffee mit, wenn du dir deinen Süßkram holst.“ Sie feixte und blickte Caitlyn aus den üblichen, schalkhaft funkensprühenden Augen an.
 

Es war gleichzeitig gut und schade, dass Vi in ihr übliches Verhaltensmuster zurückgefallen war – stark, unnahbar und alles abwehrend, was an sie herankommen wollte. Aber dennoch war Caitlyn dankbar, einmal hinter die Maske geblickt zu haben, von der sie nun wusste, dass sie da war. Zu sehen, dass auch Vi nur ein Mensch war, der seine Probleme hatte und nicht gleichgültig und achtlos gegenüber allem war, allem nur mit Verachtung oder Humor begegnete, sondern sich tatsächlich ein paar Dinge zu Herzen nahm. Dass auch sie eine verletzliche Seite hatte, die Caitlyn auf eine Art berührt hatte, die sie nicht ganz verstand. Sie wollte ihr helfen, wirklich und aus tiefstem Herzen. Als sie Vi rekrutiert hatte, war sie sich deren guten Absichten sicher gewesen und dass sie das Herz am rechten Fleck hatte. Und nun hatte sie das erste Mal einen Blick auf dieses werfen dürfen.
 

Mit einem merkwürdig warmem Gefühl in der Brust verabschiedete Caitlyn sich, ging die Treppe hinauf und machte sich durch die nächtlichen Straßen Piltovers auf den Weg nach Hause.
 

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Kapitel 4: Gezielte Sprengungen

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Kapitel 4: Gezielte Sprengungen
 

„Wenn du mir helfen würdest, die Berichte auszufüllen, würde das hier wesentlich schneller gehen“, versuchte Caitlyn zum gefühlt zehnten Mal Vi mit Argumenten dazu zu bringen, ihr zu helfen. Diese jedoch lehnte sich nur in ihrem Stuhl zurück, wippte mit dem Fuß und rauchte eine Zigarette – schon wieder. „Wenn ich den Mist ausfülle, bist du doch eh nicht zufrieden damit, wie ich es mache. Also kannst du‘s auch gleich selbst machen“, antwortete Vi mit einem Grinsen auf den Lippen.
 

„Das weißt du nicht. Du hast noch niemals Berichte für mich ausgefüllt. Vielleicht wäre ich ja auch zufrieden damit“, antwortete Caitlyn und blätterte mit gerunzelter Stirn um. Sie war zwar eigentlich nicht zu Diskussionen aufgelegt, doch nach einigen Monaten gemeinsamer Arbeit mit Vi ging es ihr langsam auf die Nerven, dass der leidige Papierkram immer an ihr hängen blieb und ihre Partnerin ihr dabei sogar süffisant zusah.
 

„Dann gehen wir das Risiko lieber gar nicht erst ein“, gab Vi schlagfertig zurück und beugte sich vor: „Außerdem mag ich es, dir beim Arbeiten zuzusehen. Mit hochkonzentriertem Gesicht und mit deiner Brille auf der Nase siehst du aus wie `ne Professorin.“ Sie hob die Hand und stupste mit einem Finger ihrer Hextechhandschuhe gegen Caitlyns Brille – eine Lesebrille, die sie nur beim Bearbeiten von Akten und Lesen von Büchern trug. Caitlyn war immer wieder erstaunt, über wie viel Fingerspitzengefühl Vi trotz der klobigen Handschuhe verfügte. Inzwischen hatte sie sich daran gewöhnt und war darum nicht zurückgezuckt, doch anfangs war sie sehr vorsichtig gewesen, wenn Vi ihre Handschuhe trug. Mittlerweile wusste sie, dass sie für Vi wie eine zweite Haut war und sie ihre Kraft genau einschätzen konnte, sodass sie sich keine Sorgen mehr machen musste, dass sie versehentlich etwas kaputt machte oder jemanden verletzte.

Caitlyns Augenbraue hob sich und sie blickte Vi unschlüssig an: „Du bist einfach nur faul, das ist alles.“
 

Vi‘s Gesichtsausdruck veränderte sich ein wenig und nahm eine Nuance an, die Caitlyn nur selten darin sah und die andere gar nicht bemerkten. Sie selbst hatte erst in den letzten zwei Wochen, seit sie Vi unten beim Schlafen in den Räumlichkeiten der Wache erwischt hatte, damit angefangen, sie zu sehen. Irgendetwas war ihr unangenehm und brachte ihre sonst so perfekte gut gelaunte Maske zum Bröckeln. Sie hatte wohl gerade etwas Unangenehmes angesprochen.

Doch gleich im nächsten Moment winkte Vi ab: „Ich bin nicht faul, nur pragmatisch. Wenn ich Akten machen würde, müsste ich jedes Mal meine Handschuhe ausziehen. Und wenn dann ein Notfall reinkommt, dauert‘s wieder ewig, bis ich einsatzbereit bin. Ich denke nur an die armen Bürger von Piltover.“
 

Und schon war der kurze Moment wieder weg, in denen Caitlyn geglaubt hatte, etwas in Vi‘s Augen aufblitzen zu sehen. Schon war sie wieder die Alte. Eigentlich gut so, immerhin sollte man sich bei der Arbeit keine Schwäche erlauben. Dennoch… Sie konnte nicht umhin, sich zu wünschen, dass Vi ihr mehr vertrauen würde.

„Du bist nie um eine Ausrede verlegen“, tadelte sie Vi, jedoch mit mildem Tonfall. Sie hatte nicht wirklich erwartet, mit ihrer Predigt etwas zu erreichen, hatte sie eigentlich nur gerügt, damit Vi sich nicht zu unbeobachtet und unkontrolliert fühlte.
 

„So bin ich eben, denke immer einen Schritt voraus“, gab Vi grinsend zurück und angelte sich einen Donut aus der noch offenen Schachtel, die auf dem Schreibtisch stand.

Caitlyn sehnte den Tag herbei, an dem sie ihr eigenes Büro wieder für sich alleine haben würde, andererseits würde es ihr sicherlich auch beinahe ein wenig… einsam vorkommen.
 

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Der Sheriff sah erst wieder von den Akten auf, als es an der Tür klopfte. Es war Everett, der eine Nachricht der Streife überbrachte, die auf den Straßen im Künstlerviertel unterwegs gewesen war. Caitlyn schlug die Aktenmappe zu, schulterte ihre Waffe, nickte Vi zu und war bereit, sich den Tatort anzusehen.
 

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„Bist du sicher, dass du weißt, wie man dieses… Gefährt richtig bedient?“, fragte Caitlyn etwas besorgt, als sie hinter Vi auf dem Motorrad Platz nahm.

„Ja klar, Cupcake. Is‘ gar nich so schwer, Heimerdinger hat mir alles erklärt“, antwortete Vi und streichelte begeistert den Rumpf ihrer neuen Maschine, mit der sie heute zum ersten Mal auf einen Einsatz fahren würde. Natürlich bestand immer die Möglichkeit, dass dem schicken Teil etwas passierte, doch Vi war nicht gewillt, ihr geliebtes, neues Stück nur herumstehen und Staub fangen zu lassen. Lieber nahm sie es mit auf die Verbrecherjagd mit. Sie drückte die Handfläche ihres Hextechhandschuhs auf den Kristall, der auf dem Rumpf angebracht war und aktivierte damit den Hextechmotor des Motorrades, der wie auf einen Schlüssel nur auf die maschinelle Codierung ihres Handschuhs reagierte – etwas absolut Wundervolles, so konnte man ihr die Mühle nicht stehlen. Sie spürte, wie Caitlyn hinter ihr etwas zusammenzuckte, als die Maschine zischte und ihre Ventile justierte. Die Kristalle begannen zu leuchten und den Motor mit Energie zu speisen und schon waren sie abfahrtbereit. „Halt dich gut fest“, rief Vi und nahm den Lenker fest in den Griff ihrer Handschuhe.
 

„Und wo?“, fragte Caitlyn – berechtigterweise, wie Vi einfiel. Sie hatte keine Griffe für Mitfahrer anbringen lassen. Nun, dann musste es anders gehen.

„An mir“, antwortete sie und deutete an, dass Caitlyn die Arme um sie legen sollte. Caitlyn würde das bestimmt… wie sagte sie immer… ach ja. Sie würde es unschicklich nennen. Vi musste breit grinsen, als Caitlyn schließlich die Arme um ihre Taille legte. Fast bedauerte Vi, dass sie eine Rüstung trug und die Berührungen des Sheriffs so kaum spüren konnte, doch mit der Metallpanzerung war es nun mal einfach sicherer auf Einsätzen.

„Es kann los gehen“, meinte Caitlyn schließlich, eng an Vi‘s Rücken geschmiegt und offensichtlich ein wenig unsicher, was die Sicherheit dieses Gefährts anging. Doch Vi war hochmotiviert, sie vom Gegenteil zu überzeugen.
 

Sie ließ den Motor kurz jaulen und beschleunigte dann aus dem Stand. Mit einem langgezogenen Zischen der Ventile und einem lauten Reifenquietschen reihte sich Vi‘s Motorrad in den Verkehr ein. Da sie jedoch nicht allzu viel von Verkehrsregeln hielt – und außerdem mussten sie ja so schnell wie möglich auf einen Tatort – schaltete sie die eigens dafür vorgesehene Warnsirene ein und schlängelte sich durch den Verkehr von Piltover, umfuhr einige der Hextechkutschen der Reichen und der noch handgesteuerten Droschken der nicht ganz so Reichen und bog in die nächste Straße ein.
 

Sie spürte, wie Caitlyn ihr Gesicht an ihren Rücken drückte und sich fest an sie presste, wohl auf den prophezeiten Unfall wartend. Das fühlte sich zwar gut an – das musste Vi zugeben – trotzdem war es unangebracht. Sie kannte sich mit Maschinen aus, sie würde sicher keinen Unfall bauen. Nach ein paar hundert Metern wurde der eiserne Griff lockerer und schließlich blickte Caitlyn ihr sogar über die Schulter. Scheinbar fasste der Sheriff langsam Vertrauen zu ihr. Und prompt, Vi hatte es nicht anders erwartet, begann Caitlyn sie wegen ihres Fahrstils zu tadeln und ihren Weg zu korrigieren.
 

Der Weg zum Tatort dauerte nicht allzu lang. Nur wenige Minuten später parkte Vi das Motorrad auf einem Bordstein, deaktivierte die Hextechmaschinerie und stieg ab. Caitlyn glitt hinter ihr elegant vom Sitz, rückte ihren Hut und ihre Waffe zurecht und musterte die Umgebung. Vi folgte ihrem Blick. Die Straße bot ein Bild der Zerstörung. Mehrere Gebäude waren zum Teil oder ganz eingestürzt, mitten auf dem Gehweg lag das Ziffernblatt einer nahen, großen Turmuhr, natürlich zerbrochen und in seine Einzelteile zerlegt. Und überall auf der Straße verteilt lagen zwischen den Trümmern die Überreste der Roboter, die sie als Patroille in den reicheren Vierteln einsetzten, alle durch Waffengewalt zerstört oder sogar gesprengt, offenbar schon vor ein paar Stunden wie die nur noch leicht schwelenden Überreste verschiedener Feuersbrünste zeigten. Caitlyn legte ihre Waffe an und machte sich daran, die Gegend zu sichern, Vi besah sich die Überreste der Gebäude. Vor einer halb umgefallenen Mauer, die nur noch von dem ausgebrannten Wracks einer Kutsche oben gehalten wurde, blieb sie stehen.
 

Scheinbar hatte der Übeltäter sich dort verewigt. ‚Hier kommt Jinx‘ stand mit pinken, krakeligen Buchstaben darauf gesprayt. Vi kniff die Augen zusammen und musterte die Buchstaben genauer. „Hey, Cupcake. Schau dir das mal an“, rief sie Caitlyn herbei, die von einem Schutthaufen hinuntersprang, von dem aus sie Ausschau gehalten hatte, und zu ihr hinüberkam. „Hier kommt Jinx?“, fragte Caitlyn, als sie den Schriftzug gelesen hatte. „Jinx? Kommt dir der Name bekannt vor?“
 

Vi zuckte mit den Achseln: „Nein, eigentlich nicht. Dir?“

Caitlyn schüttelte den Kopf: „Nein. Muss ein neues Gesicht in der Szene sein. Und er oder sie hat ein ziemliches Chaos angestellt, von den Sachschäden mal abgesehen.“

„Ist jemand verletzt worden?“, erkundigte Vi sich. Immerhin hatten Mitglieder der Wache von Piltover den Tatort schon vor einer Stunde gesichert, bevor ihnen Bescheid gegeben wurde.

„Scheinbar glücklicherweise nicht“, antwortete Caitlyn und zeichnete den Schriftzug ordentlich in ihr Notizbuch ab. „Als die erste Explosion auf der Straße losging, haben sich die meisten Bewohner in Sicherheit gebracht. Einer berichtete, dass er ein irres Lachen gehört habe, wohl von einem Mädchen. Wir haben es wohl also mit mindestens einer jungen Frau zu tun.“ Caitlyn klappte ihr Notizbuch zu und steckte es wieder in ihre Tasche. „Hast du eine Idee, wie wir mit den Ermittlungen anfangen sollen?“
 

Caitlyn hatte in den vergangenen Wochen vermehrt damit angefangen, Vi in Polizeiarbeit zu schulen und ihr beizubringen, wie man regelkonform vorging.

Vi seufzte. „Wir schauen, was wir noch an Spuren finden, halten das alles fest und geben das, was interessant sein könnte ins Labor.“

„Gut“, antwortete Caitlyn und blickte sich um. „Dann legen wir los. Wir haben viel zu tun.“
 

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Zwei Wochen später waren sie mit ihren Ermittlungen um den Fall ‚Jinx‘ noch immer nicht weiter. Die Spuren waren ins Nichts verlaufen. Das Einzige, was sie herausgefunden hatten, war, dass die Zielperson wohl türkisblaue Haare hatte, nicht besonders groß war und ein ziemlich hohes, irres Lachen hatte. Und besonders gerne mit Sprengstoff und großen Waffen hantierte.

Caitlyn war frustriert. Sie hasste es, wenn wichtige Fälle – und diesen ordnete sie als einen solchen ein – keine Fortschritte machten. Noch immer hoffte sie, dass es sich bei den Angriffen auf die Roboter der Wache um einen Einzelfall handeln und Jinx nicht noch einmal zuschlagen würde, doch innerlich wusste sie, dass dem nicht so sein würde. Der Schriftzug war eine Ankündigung gewesen, der sicherlich noch viel mehr folgen würde.
 

Und sie sollte Recht behalten. Am späten Nachmittag dieses regnerischen Tages, kurz vor Feierabend, erhielt Caitlyn eine Nachricht, die ihr sonst so glattes Gesicht in sorgenvolle Falten legte. Vi blickte von dem kleinen Tisch auf, der inzwischen im Büro stand und an dem sie gerade damit beschäftigt gewesen war, an einem neuen Modul ihrer Handschuhe herumzuschrauben und musterte Caitlyn genau. Ihr sonst so kühler Gesichtsausdruck zeigte Zeichen von Ärger und… Sorge. „Alles ok, Cupcake?“, fragte sie ruhig und ohne die übliche Spur von Belustigung in der Stimme.

Caitlyn blickte von dem Schriftstück auf, das sie in der Hand hielt und erwiderte Vi‘s Blick ernst. „Sie haben die Hextechakademie meiner Mutter gesprengt“, antwortete sie knapp.

„Scheiße“, zischte Vi. „Geht‘s ihr gut?“ Sie legte das feinmechanische Werkzeug weg und schraubte den Verschluss des Druckluftgenerators zu, dessen Farbe sich von grün zu blau wechselte und kam zu Caitlyns Schreibtisch hinüber.
 

„Sie ist unverletzt, wenn du das meinst“, antwortete Caitlyn und knallte das Stück Papier mit einer energischen Geste ihrer Hand auf den Tisch. „Dafür wird sie bezahlen“, fauchte sie dann.

„Sie? Meinst du, es war… diese Jinx?“, fragte Vi und musterte Caitlyn fast ein wenig unsicher. Man sah sie selten außer sich, da sie normalerweise die personifizierte Selbstkontrolle war, doch scheinbar ging es bei Familienangelegenheiten mit ihr durch – das war wohl verständlich, wenn man Familie hatte, um die man sich sorgen konnte. Vi konnte das zwar nicht nachvollziehen, aber versuchte dennoch, es sich vorzustellen.
 

„Ja, sie war es. Sie hat wieder ihre Signatur hinterlassen. Meine Mutter ist außer sich. Alles zerstört. Teure Apparaturen, jahrelange Forschungsprojekte, Aufzeichnungen, alles verloren. Und als wäre das noch nicht genug, ist das Gebäude selbst eingestürzt“, antwortete Caitlyn und schulterte ihre Waffe mit einem Gesichtsausdruck, als wolle sie jetzt jemanden erschießen gehen – egal wen.

„Cupcake, ganz ruhig“, versuchte Vi, sie ein wenig herunterzubringen, jedoch mit dem völlig gegenteiligen Effekt.
 

„Ich soll RUHIG sein?“, fauchte Caitlyn. „Das hier war nicht nur ein Angriff auf eines der zahlreichen Institute von Piltover. Nein. Das war ein Angriff gegen die Familie Chapman. Ein Angriff gegen MICH, Vi! Diese Jinx legt sich mit mir direkt an. Sie fordert mich heraus. Sie lacht mich aus. Sie versucht, meine Familie zu ruinieren und mich dabei als unfähig und lächerlich dastehen zu lassen.“
 

Einen solchen Ausbruch hatte Vi noch nie erlebt und war einen Moment lang unsicher, wie sie reagieren sollte. Schließlich jedoch trat sie vor und legte Caitlyn beruhigend eine Hand auf die Schulter und da sie gerade mechanisch gearbeitet hatte, handelte es sich diesmal sogar um ihre blanke Hand. „Wir kriegen sie“, sagte sie mit fester Stimme und blickte Caitlyn direkt in die Augen. „Ich versprech‘s dir.“

Caitlyn stutzte einen Moment, wohl überrascht von Vi‘s plötzlicher Ernsthaftigkeit, dann erwiderte sie den Blick ebenso fest. „Das werden wir.“

„Zieh deine Handschuhe an, wir sehen uns die Reste von Mutters Institut an“, wies Caitlyn sie an und Vi nickte. „Besser ist‘s.“
 

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Etwa eine halbe Stunde später, kurz nach Einsetzen der Abenddämmerung, waren sie vor Ort. Einst war das Institut einmal ein prächtiges, modernes Gebäude mit hohen Türmen, fantastisch ausgestatteten Laboren, exzellent bestückten Bibliotheken und ästhetischer Architektur gewesen, nun war es eine schwelende Ruine, in pinker und türkiser Farbe mit gesprayten Sprüchen verschandelt. Kein Stein stand mehr auf den anderen. Die offensichtlich von ‚Jinx‘ hinterlassenen Spuren wurden von Caitlyns Mitarbeitern, die das Gelände gesichert hatten, bereits penibel abgezeichnet, während der Sheriff selbst mit ihrem Partner direkt auf eines der Zelte zuhielt, die aufgebaut worden waren, um dem wenigen, was man aus den Trümmern hatte retten können, Obdach zu bieten.
 

Caitlyn schob die Zeltplane beiseite und trat ein. Das Innere des Zeltes war ein Chaos aus Kisten, Pergamentrollen, einem Wirrwar aus Büchern, Hextechgerätschaften und anderen kleinen und großen Dingen, die man hatte retten können. Sofort fiel ihr Blick auf ihre Mutter, die voller Schmutz und Ruß war, aber darunter dieselbe elegante, schöne Frau, die sie immer war, mit geradem Kreuz und ungebrochenem Stolz. Sie hatte dieselbe Haarfarbe wie sie – ein schönes, dunkles Braun, obwohl sich durch die zu einem strengen Dutt gedrehten Haare ein paar graue Strähnen zogen. Eine Brille saß auf der schmalen Nase und die müden Augen sahen von den Papieren auf, in denen Caitlyns Mutter vertieft gewesen war, als sie hereingekommen waren. „Caitlyn, Liebes“, sagte Mrs. Chapman mit gezwungen ruhiger Stimme und legte die Papiere beiseite. „Da bist du ja.“
 

Caitlyn nickte: „Ich bin sofort gekommen, als ich davon hörte. Wie ist das Ganze passiert?“

Mrs Chapman bot ihnen beiden einige Hocker an, auf die sie sich setzen konnten. Caitlyn nahm Platz, doch Vi zog es vor zu stehen, genau genommen neben der ‚Tür‘. Ihr Blick schweifte über die Ruinen, doch sie hörte mit halbem Ohr dem Gespräch zwischen Caitlyn und ihrer Mutter zu.

„Vor drei Stunden ging unser Alarm los. Du weißt, der Schadstoffalarm, den wir dazu benutzen, das Gebäude zu evakuieren, wenn gefährliche Gase austreten. Kurz nachdem die meisten unserer Mitarbeiter das Gebäude verlassen hatten, wurden einige wohl im Vorhinein angebrachte Sprengstoffe gezündet, die die wichtigsten Labore und die statisch wichtigsten Punkte des Gebäudes als Ziel hatten und dafür sorgten, dass alles einstürtze. Vier unserer Mitarbeiter, die zurückblieben, um mit Gasmasken nach dem Leck zu suchen, wurden dabei von Trümmern erschlagen oder von den Explosionen… getötet.“ Sie seufzte und nahm ihre Brille ab, um sie an ihrem schmutzigen Laborkittel zu putzen. „Niemand hatte es kommen sehen.“
 

Caitlyn nickte: „Wie auch. Das war ein feiger Angriff.“

„Weißt du, wer es getan hat, Liebes?“, fragte Mrs. Chapman mit leicht zusammengekniffenen Augen, ein Gesichtsausdruck, den Vi von Caitlyn nur allzu gut kannte.

„Ja, Mutter“, antwortete diese knapp. „Eine Verbrecherin, über die wir bislang leider nicht allzu viel wissen. Aber sei versichert, wir werden sie finden und verhaften.“

Vi‘s Blick glitt über ein grob an die Wand gespraytes Bild von einem Totenkopf in Pink mit ein paar Patronenhülsen nebendran. Irgendetwas daran kam ihr… bekannt vor, auch wenn sie nicht genau wusste, woher. War sie bei ihren zahlreichen Razzien vielleicht mal über eines dieser Bilder gestolpert? Jinx, Jinx, Jinx… Sie durchstöberte angestreng ihr Gehirn. Irgendwo in ihr bewegte diese Name etwas, aber sie wusste nicht genau, was. Sie hatte ihn schon einmal gehört. Vielleicht auf der Straße oder in einer Bar im Elendsviertel aufgeschnappt.
 

„Das will ich hoffen, Liebes. Wir werden hier noch eine Weile damit beschäftigt sein, die Aufräumarbeiten zu beaufsichtigen“, meinte Mrs. Chapman nun und seufzte erneut leise, während sie ihre Brille wieder aufsetzte.

„Hast du Vater schon unterrichtet?“, fragte Caitlyn und zog erneut ihr Notizbuch heraus, um ein paar Details festzuhalten.

„Natürlich. Er ist noch in einer Sitzung, aber er wird so bald er kann hierher kommen“, antwortete Caitlyns Mutter und musterte ihre Tochter genau. „Warum fragst du?“

„Aus welchem Grund auch immer diese Sprengung ausgeführt wurde. Sie hatten es auf unsere Familie abgesehen, Mutter. Bitte richte Vater aus, dass er besonders vorsichtig sein soll und vielleicht eine oder zwei Wachen mehr mitnehmen soll, wenn er ausgeht. Und du solltest dasselbe tun. Bis wir wissen, was diese… Jinx will, müssen wir vorsichtig sein.“
 

Vi dachte nach. Caitlyn hatte vermutlich Recht. Der erste Anschlag war auf die Roboter der Wache gewesen, der zweite auf ein Institut von Caitlyns Mutter. Die Verbindung zwischen den beiden Zielen war Caitlyn. Das gefiel ihr nicht – ganz und gar nicht. Sie ballte ihre Hände in den Handschuhen zu Fäusten und ließ ihren Blick über Caitlyn gleiten, die elegant und mit überschlagenen Beinen auf der Kiste saß. Sie war schön, auch wenn ihr Gesicht momentan trotz größter Mühen ruhig zu bleiben, Besorgnis zeigte. Im Gegensatz zu Vi war Caitlyns Gestalt schmaler und regelrecht… fragil.
 

Wie Vi sie kannte, würde sie die nächsten Wochen noch mehr arbeiten wollen als sowieso schon. Sie würde sicherlich noch weniger schlafen und noch mehr Kaffee trinken. Also war es an ihr, auf sie achtzugeben. Und das würde sie sehr ernst nehmen. Sie war ihre Partnerin und sie wollte nicht, dass Caitlyn etwas geschah. Sie würde sie beschützen, mit Fäusten vor ihren Feinden und wenn es sein musste auch mit Worten vor ihrer eigenen Arbeitswut.
 

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Es dauerte noch drei Stunden, bis sie schließlich den Tatort verließen. Es war lange nach Feierabend, als Vi Caitlyn endlich dazu hatte bringen können, es für heute gut sein zu lassen und nach Hause zu gehen. „Den Bericht kannste auch noch morgen schreiben, Cupcake. Du gehörst ins Bett“, meinte sie beinahe streng. „Komm, ich fahr dich direkt heim. Wo wohnste denn?“

Caitlyn musterte Vi kurz mit einem schwer zu deutenden Blick: „Wenn ich dir das verrate, musst du mir schwören, es niemals jemandem weiterzugeben.“
 

„Warum das?“, fragte Vi mit hochgezogener Augenbraue und ungläubigem Blick.

Caitlyn nahm schon einmal ihren Platz auf dem Motorrad ein – inzwischen hatte sie sich gewöhnt, mit dem halsbrecherischen Ding mitzufahren. „Weil ich für Verbrecher eine der meistbegehrten Zielpersonen von ganz Valoran bin, Vi. Es gibt sehr, sehr viele Leute, die mich gerne tot sehen würden – oder schlimmeres. Mein Wohnort ist nur sehr wenigen bekannt und so möchte ich es auch in Zukunft halten.“
 

Kurz hielt Vi inne und biss sich auf die Innenseite ihrer Unterlippe. Dann nickte sie: „Ich werd‘s mit ins Grab nehmen“, versicherte sie Caitlyn schließlich ernst. Diese nickte: „Ich weiß. Ich wollte es nur… klarstellen.“ Dann nannte sie ihr die Adresse, schlang die Arme um Vi‘s Taille und ließ sich von ihr heimbringen. Dabei legte sie ihr Gesicht an Vi‘s vertrauten, starken Rücken und war froh, dass sie – zumindest für den Moment – noch nicht alleine war.

Kapitel 5: Verausgabt

Kapitel 5: Verausgabt
 

Vi wischte sich den Schweiß von der Stirn und lehnte sich rücklings an den Boxsack, auf den sie nun seit etwa einer halben Stunde einschlug, als gäbe es kein Morgen.

„Willst du nicht langsam mal eine Pause machen?“, fragte der Sheriff fast ein wenig besorgt und blickte zu ihrer Partnerin hinüber, die sich schon viel zu lange verausgabte.

Vi jedoch zuckte nur mit den Achseln. „Noch nicht“, antwortete sie knapp, ging wieder in Position und fuhr mit ihrem Training fort. Sie fühlte sich momentan nicht gut. Gar nicht gut, um genau zu sein. Seit diese Jinx aufgetaucht war, hatte sich etwas in ihrem Inneren zu bewegen begonnen und irgendwie kam sie damit nicht besonders gut klar. Überhaupt nicht. Seit Tagen verbrachte sie jede Minute ihrer Freizeit damit, sich körperlich völlig zu erschöpfen, sei es nun beim Training hier in der Wache oder bei wilden, halsbrecherischen Motorradfahrten in den Straßen. Und Sex, Sex hatte sie auch gehabt, zumindest einmal.
 

Caitlyn überschlug die Beine und lehnte sich auf der Bank zurück, die am Rand des Trainingsraumes stand und eigentlich für bestimmte Übungen gedacht war. Sie saß hier bereits seit über einer Stunde und bearbeitete Akten. Warum sie dafür nicht in ihrem Büro war, war relativ einfach zu erklären. Da Vi sich ja nicht direkt an dem Ausfüllen von Berichten beteiligte, ließ sie sie auf diese Weise wenigstens passiv teilhaben, indem sie ihr ab und an Fragen stellte, Aussagen treffen ließ und ihre Ansichten festhielt. Sie waren inzwischen ein eingespieltes Team, aber an Vi‘s Problemen mit Autorität und Regeln hatte sich noch immer nichts geändert. Doch Caitlyn hatte noch lange nicht aufgegeben, das zu ändern. Darum saß sie nun auf der unbequemen Bank und versuchte, Vi dazu zu bringen, behilflich zu sein – mit mäßigem Erfolg.
 

„Würdest du mir noch einmal diktieren, was die Zeugin Miss Anna Karell sagte, als du sie befragt hast?“, bohrte Caitlyn noch einmal nach, während Vi wieder wie eine Furie auf den Boxsack einschlug. Gut, dass sie einen aus besonderem Material bestellt hatte, der auch Vi‘s immenser Körperkraft standhielt. Das war aber auch wirklich nötig gewesen, nachdem Vi innerhalb weniger Tage zwei Stück zerlegt hatte – was auch immer in letzter Zeit in sie gefahren war.

„Hab ich doch schon“, knurrte Vi zwischen zwei Schlägen. Sie war ziemlich außer Atem, nicht unüblich für sie, wie Caitlyn festgestellt hatte. Vi war ziemlich stark und brandgefährlich auf kurze Distanzen, aber hauptsächlich auch aufgrund ihrer schweren Ausrüstung war sie keine gute Ausdauerläuferin und erschöpfte recht schnell.
 

„Aber jetzt möchte ich es festhalten“, antwortete Caitlyn ruhig und taxierte Vi mit einem strengen Blick. Sie sollte bloß nicht glauben, ihr davonzukommen.

Vi stöhnte und rollte mit den Augen, ließ dann den Boxsack für einen Moment in Ruhe und kam zu Caitlyn hinüber, um sich die Hände in die Hüfte zu stemmen und sich vornüber zu ihr hinunterzubeugen. Caitlyn konnte den Schweiß auf Vi‘s Haut deutlich sehen. Für einen kurzen Augenblick beobachtete der Sheriff fasziniert, wie ein Schweißtropfen von Vi‘s Kinn rann, den Hals hinunterlief und im Ausschnitt ihres eng anliegenden Muskelshirts verschwand. Kurz blinzelte Caitlyn und sammelte sich. Was war das denn eben gewesen.
 

„Also, Cupcake. Die Tante hat nix geseh‘n, wie ich dir schon gesagt hab. Hat gegen Mitternacht `n paar laute Schreie gehört, ausm Nachbarhaus. Hat die Wachen gerufen und sich dann in der Wohnung eingeschlossen, bis wir kamen. Kurz bevor wir da waren, haben die Schreie dann aufgehört und ab da hat sie nichts mehr mitbekommen.“

Caitlyn löste ihre Augen von Vi‘s Anblick und begann das, was ihr berichtet wurde, niederzuschreiben. Vi unterdessen strich sich die verschwitzten Strähnen aus dem Gesicht und richtete sich wieder auf, streckte die Arme über dem Kopf aus und dehnte ihre Seiten und ihren Rücken. Ein leises Knacken ihrer Gelenke ertönte und sie seufzte wohlig.
 

„Sonst noch etwas?“, fragte Caitlyn und blickte wieder von ihrem Bericht auf.

Vi schüttelte uninteressiert den Kopf: „Nein. Sonst nix. Hab‘ ich jetzt deine Erlaubnis, weiterzumachen?“ Sie nickte knapp zum Boxsack hinüber und an ihrem Gesichtsausdruck war deutlich zu erkennen, dass sie keinerlei Interesse dabei hatte, Caitlyn weiterhin zu assistieren.

„Nein, noch nicht. Ich wollte noch etwas mit dir besprechen“, antwortete diese jedoch und blickte Vi ernst an. Sie hatte schon ein paar Tage lang beobachtet, wie Vi sich völlig verausgabte und jeden Morgen todmüde zur Arbeit erschien. Und langsam begann sie, sich Sorgen zu machen.

„Was‘n?“, fragte Vi ungehalten und hockte sich breitbeinig und mit verschränkten Armen, beinahe wie ein trotziges Kind, auf eine Hantelbank. Immer wieder erstaunte es Caitlyn, wie trainiert ihre Partnerin war. Die Oberarme waren deutlich muskulös, vor allem jetzt direkt nach dem Training, ihr Hals stark und ihr Rücken für eine Frau recht breit. Bewundernswert. Sie selbst war zwar nicht unsportlich, aber für ein so exzessives Training wie es Vi betrieb, fehlten ihr Zeit und Motivation. Außerdem, wenn sie sich an die Worte ihrer Eltern erinnerte, gehörte sich solch ein Körperbau auch nicht für eine Frau von Rang und Namen.
 

Erneut blinzelte Caitlyn – schon wieder hatte sie sich dabei erwischt, Vi‘s Äußeres zu bewundern. Stattdessen blickte sie ihr nun ins Gesicht und erlaubte es sich, tatsächlich einen Funken Besorgnis in ihr sonst so unterkühltes, ernstes Gesicht dringen zu lassen.

„Du wirkst seit einiger Zeit so anders, Vi. Ich mache mir Gedanken um dich. Gibt es etwas, was dich bedrückt, etwas, bei dem ich dir vielleicht helfen kann?“

Vi verharrte kurz in ihrer trotzigen Haltung, öffnete schon den Mund, bereit, etwas Gepfeffertes zu antworten, dann stutzte sie jedoch. Scheinbar hatte sie eine Rüge erwartet und war nun überrascht. „Ne, alles in Ordnung“, meinte sie schließlich abwehrend, sah Caitlyn dabei jedoch nicht in die Augen. Eine Lüge, das war offensichtlich.

„Vi, ich bin eine Meisterin des Verhörs. Meinst du wirklich, mich so einfach täuschen zu können“, antwortete Caitlyn mit beinahe weicher Stimme.

„‘S mir egal“, murrte Vi ein wenig ertappt und blickte Caitlyn dann jedoch an: „Ich hab in der letzten Zeit nur‘n bissel zu viel nachgedacht, das ist alles. Sollt‘ ich nicht machen, bekommt mir nicht gut.“
 

Caitlyn legte das Klemmbrett und den Stift beiseite und widmete Vi somit ihre volle Aufmerksamkeit. Diese schien dadurch ein wenig unruhig zu werden und wechselte ihre Sitzposition, stützte ihre beiden Arme auf den Knien ab und lehnte sich nach vorne.

„Worüber hast du nachgedacht?“, fragte Caitlyn auffordernd, aber hoffentlich nicht drängend. Vi redete selten über sich und noch seltener über das, was sie beschäftigte. Hoffentlich konnte sie sie heute dazu bringen. Außer ihnen war niemand im Trainingsraum und es war kein Einsatz geplant, eine hoffentlich gute Gelegenheit.
 

„Über meine Kindheit“, antwortete Vi ehrlich und blickte Caitlyn direkt an, während sie sich auf die Innenseite der Unterlippe biss. „Ich weiß‘ nich viel drüber. Eigentlich gar nix.“

Der Sheriff nickte langsam: „Über deine Familie meinst du?“ Sie selbst wusste nicht viel über Vi‘s familiäre Umstände. Genau genommen eigentlich gar nichts, denn ihre Partnerin tauchte in keiner städtischen Akte auf.

„Ja. Meine Erinnerungen setzen ein, da war ich… puh… acht oder so“, antwortete Vi und kratzte sich am Kopf. „Und ich war schon auf der Straße. Allein. Kurz darauf bin ich in meine Gang gekommen.“ Sie machte eine kurze Pause und erhob sich, begann, unruhig im Raum hin und her zu laufen, bis sie sich schließlich gegen die Wand neben Caitlyns Bank lehnte. „Keine Ahnung, wer ich eigentlich bin. Seit ner Weile denk ich viel drüber nach.“
 

„Du bist Vi“, antwortete Caitlyn sanft und blickte seitlich zu ihrer Partnerin hinauf.

Diese jedoch schnaubte: „Is nich‘ mal ein richtiger Name. So haben sie mich einfach genannt. Weil ich das sechste Mitglied war. Vi. VI. 6. Aber ich muss doch nen richtigen Namen gekriegt haben. Bei meiner Geburt. Bin ja nich einfach aus ner Mülltonne gekrabbelt.“

Caitlyn überlegte einen kleinen Moment, bevor sie wieder das Wort ergriff: „Möchtest du, dass ich Recherchen anstelle? Wenn jemand etwas darüber herausfinden kann, dann ich.“

„Lass stecken, Cupcake“, antwortete plötzlich Vi ruppig, brach abrupt den Blickkontakt und stieß sich energisch von der Wand ab, um wieder zum Boxsack hinüberzugehen. „Halt ma dein hübsches Aristokraten-Näschen aus meinen Angelegenheiten raus. Das is meine Sache und ich hab keinen Bock drauf, dass du da drin rumwühlst. Geht dich nix an.“ Mit diesem Worten holte sie aus und setzte ihr Training fort, schlug sogar noch heftiger und erbarmungsloser auf den Boxsack ein, ohne den Blick von ihm zu wenden. Das Gespräch war ganz offensichtlich beendet.
 

Für einen Moment spürte Caitlyn einen schmerzhaften Stich in der Brust. Vi vertraute ihr noch immer nicht, obwohl sie nun schon eine ganze Weile Partnerinnen waren. Aber warum auch? Sie hatte ja keine Ahnung, was Vi durchgemacht hatte in ihrem Leben und scheinbar wollte Vi auch nicht, dass sie das tat. Dass sie ein Teil von ihrem Leben wurde.

Caitlyn griff nach dem Klemmbrett und befestigte den Stift daran. „Wenn du deine Meinung änderst, melde dich bitte bei mir“, meinte sie knapp und blickte kurz zu Vi hinüber, die jedoch nicht auf ihre Worte reagierte.

Also erhob sie sich und verließ den Trainingsraum, die Treppe hinauf und in ihr Büro, um dort den Bericht fertig auszufüllen. Und aus einem unerfindlichen Grund musste sie auf dem Weg die Treppe hoch ein paar Tränen niederkämpfen.
 

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„Verdammte Drecksscheiße“, fluchte Vi laut und trat gegen die Backsteinmauer, vor der sie ihr Motorrad abgestellt hatte. Sie brachte es immer hierhin, da dies einer der wenigen unauffälligen, aber sicheren Plätze in der Gegend ihrer neuen Wohnung war, an dem man das Motorrad nicht von der Straße aus sehen konnte und es somit auch weniger Gefahr lief, gestohlen oder in seine Einzelteile zerlegt und dann gestohlen zu werden.

Der Tag war beschissen gelaufen. Sie hatte Caitlyns Blick gesehen, als sie sie zurückgewiesen hatte, auch wenn sie versucht hatte, sich völlig auf das Training zu konzentrieren. War sie beleidigt gewesen? Oder wirklich verletzt? Sicher hatte sie sich da nur geirrt. Der Sheriff war so eine unterkühlte Persönlichkeit, da würde sie doch nicht wegen so einer Kleinigkeit eingeschnappt sein… oder?
 

So ein Bullshit, all diese Bullen-Fassade, die sie aufrecht halten musste, seit sie bei der Wache arbeitete. Das war nicht sie. Das würde sie auch niemals werden. Sie war die ehemalige Verbrecherin von der Straße, die anderen die Tour vermasselte, von der Hand in den Mund lebte und auf Müllkippen hauste. Und nicht Caitlyns angeleinter Bluthund, den sie zu dressieren versuchte.
 

Vi versenkte ihre Hände in den Hosentaschen ihrer Hose und marschierte mit verkniffenem Gesicht die belebte Straße hinunter, bis sie zu einer Kreuzung kam. Sie war auf dem Weg in einer Kneipe, die bei ihr in der Gegend war und die sie seit ein paar Wochen häufiger besuchte. Vor ein paar Tagen hatte sie eine hübsche Blondine abgeschleppt und mit nach Hause genommen. Der Sex war gut gewesen, wenn ihr das Mädel auch mehrfach gesagt hatte, dass sie ein wenig zu rabiat war. Aber Vi mochte es, wenn der Sex leidenschaftlich und rau war. Letzten Endes war die Blondine, an deren Namen sie sich nicht mehr erinnern konnte, noch vor dem Morgen nach Hause gegangen und sie hatte am Fenster gestanden und geraucht. Und irgendetwas hatte nicht gestimmt, so wie schon die ganze beschissene Zeit.
 

In der Seitengasse angekommen, in der die Bar ‚Oilshale‘ lag, stieß Vi die Tür der Bar auf und blickte sich knapp um. Hier verkehrten hauptsächlich einige Bergarbeiter – daher auch der Name – und ähnliches hart arbeitendes Handwerkervolk, hier und da auch ein paar junge Leute aus der Gegend, die wenig Geld hatten und ein wenig Abwechslung suchten – und natürlich hin und wieder auch ein paar zwielichtigere Gesellen, wie in jeder billigen Schenke. Der Hauptraum war relativ niedrig, mit altem Holz verkleidet und lag drei Stufen unter Straßenhöhe, besaß eine minder gut erleuchtete Bar mit Hockern, dazu noch einige simple Holztische, von denen die meisten besetzt waren. Die große Attraktion war eine Hextechleinwand, auf der die größeren Kämpfe der Liga der Legenden übertragen wurden, musste den Besitzer der Bar, den alten Ed, wohl ein Vermögen gekostet haben – oder war irgendwo ‚vom Transporter gefallen‘.
 

Ed, ein älterer etwas schmieriger Mann mit Halbglatze und nach hinten gegelten weißem Resthaar nickte ihr knapp zu, er kannte sie schon. „Das Übliche“, knurrte sie ihm zu und suchte sich einen der wenigen noch leeren Tische. Ein Bier konnte sie jetzt wirklich gut gebrauchen. Und dann vielleicht noch einen oder zwei Schnäpse, bis sie endlich diesen verschissenen Dreckstag vergessen hatte. Und ihre Partnerin. Vor allem die.
 

Eds Bedienung, die besagte Blondine, brachte ihr das Bier und musterte sie kurz: „Siehst ganz schön mitgenommen aus. Schlechten Tag gehabt?“ Sie war eigentlich ziemlich hübsch, wenn man ihr auch ansah, dass sie viel arbeitete. Ihre Haare trug sie im Zopf und dazu einen mittellangen Rock mit schmutzigem Spitzenrand und abgewetzter, dreckiger Schürze und eine Bluse mit ein wenig Ausschnitt – je mehr Ausschnitt, desto mehr Trinkgeld.

„Kann man so sagen“, antwortete Vi knurrend und nahm den Krug, um ein paar tiefe Züge zu nehmen. Wie hieß das Mädel nochmal? Sie war sich sicher, dass sie es ihr gesagt hatte, aber sie konnte sich einfach nicht daran erinnern. War ja eigentlich auch egal.
 

„Marlen!“, rief Ed. „Keine Zeit für Smalltalk. Komm her und hol das Tablett für Tisch vier ab.“

Marlen. Das war es gewesen.

Die Blondine lächelte Vi entschuldigend an: „Tut mir Leid, ich muss weg. Reden wir, wenn ich Feierabend hab?“

Reden, soso. Vi zuckte mit den Achseln: „Muss schauen, muss morgen früh zur Arbeit.“

Marlen betrachtete sie beinahe bewundernd – tat gut. „Du arbeitest bei der Wache, richtig?“

„MARLEN“, brüllte Ed ungehalten und die Bedienung lächelte kurz nochmal. „Wir reden später“, meinte sie und huschte dann davon, um weiterzuarbeiten.
 

Vi war das ganz recht. Eigentlich hatte sie nicht vorgehabt, dass aus der Sache etwas anderes wurde als ein One Night Stand, aber scheinbar sah Marlen das anders. Das würde sie ihr austreiben müssen. Natürlich hatte sie auch früher schon die eine oder andere Affäre gehabt, aber niemals etwas Ernstes daraus werden lassen – dafür war ihr Leben zu gefährlich und zu unstet. Und eigentlich hatte sie auch nie das Bedürfnis danach gehabt.

Vi nahm einige tiefe Schlucke von ihrem Bier und blickte sich in der Bar um. An einem Tisch am Rand saß ein Stammtisch von eher zwielichtigen Leuten – nun nichts unbedingt Ungewöhnliches für die Gegend, doch sie behielt sie lieber im Blick. Gut, dass ihr Motorrad ein gutes Stück entfernt in der Nähe ihrer Wohnung stand, die hätten es ihr sicherlich unter den Fingern weggeklaut. Nicht, dass sie selbst früher anders gewesen war.

„Was starrste so?!“, hallte es von besagtem Tisch herüber. Einer der Kerle, ein recht großer Mann mittleren Alters mit auffälliger Narbe auf der Wange, die wohl von einem Messerstich stammte, mit breitem Kreuz und schiefer Nase, erwiderte ihren Blick hart.
 

Leider hatte er heute den falschen Tag erwischt, Vi anzupöbeln. Sie hatte schlechte Laune. Wirklich schlechte. „Wieso, haste ein Problem damit?“, erwiderte sie angewidert dreinblickend und richtete sich zu voller Größe auf. Trotz ihrer Lederjacke, die sie trug, konnte man ihre durchtrainierte Statur erkennen und sie wusste, dass sie einschüchternd wirken konnte. Scheinbar jedoch nicht auf diesen Kerl – er hatte ja auch erstens fünf Kumpels im Hintergrund und konnte sich zweitens vor einer Frau nicht die Blöße geben.
 

„Und ob ich das hab“, antwortete das Narbengesicht und legte seine Faust auffällig auf den Tisch – eine deutlich drohende Geste. „Du bist doch die neue Partnerin vom Sheriff. Für jemanden wie dich hat der gute Ed hier keinen Tisch.“ Er nickte zum Wirt hinüber, der die Situation besorgt betrachtete und Marlen zu sich hinter die Theke rief, damit sie nicht ins Kreuzfeuer geriet. Diese musterte Vi und deutete ihr mit einem unauffälligen Nicken zur Tür an, dass sie abhauen sollte.

„Piltover is ne freie Stadt. Und ich trink mein Bier wo ich will“, gab Vi zurück. Klein beigeben war nicht ihr Ding und sie hatte sich schon öfter gegen mehrere Gegner gleichzeitig durchgesetzt. Außerdem war sie heute auf Krawall gebürstet. Dass sie sich heute im Trainingsraum schon mehrere Stunden lang verausgabt hatte und eigentlich völlig fertig war, ignorierte sie dabei gekonnt.

„Solang ich hier das Sagen hab, machst du gar nichts“, antwortete der Kerl und erhob sich nun von seinem Sitz. Die Handwerker, die an einem Tisch zwischen ihnen saßen, erhoben sich rasch und zogen sich mitsamt ihrer Bierkrüge an einen anderen Tisch mehr am Rand der dunklen Kneipe zurück.
 

„Und muss man von dir gehört haben? Ich bin bei der Wache und hab keine Ahnung wer du bist. Kannst also nur‘n kleiner Fisch sein“, feixte Vi und erhob sich ebenfalls. Ihre Hände steckten in engen Handschuhen, die die Fingerkuppen frei ließen, gut für eine Prügelei, darum mochte sie sie auch so. Sie ballte ihre Fäuste und machte sich bereit für den Kampf.

„Rugen aus Zaun“, fauchte das Narbengesicht beinahe rasend. „Merk dir den Namen, damit du ihn in deinen Bericht schreiben kannst. Falls du den Abend überlebst.“

„Und Rugen aus Zaun braucht vier Mann, um eine Frau zusammenzuschlagen?“, antwortete Vi breit grinsend und winkte ihn herausfordernd herbei. „Na komm, trau dich.“
 

Als der Kerl zu einem kurzen Sprint ansetzte, dabei mit einem Stoß seines Armes den Tisch zwischen ihnen beiseite fegte, wusste Vi, dass sie ihn unterschätzt hatte. Den ersten Schlag seiner linken Hand blockte sie ohne Probleme, doch der zweite traf sie in die Magengrube. Doch nicht umsonst hatte sie Jahre auf der Straße verbracht. Sie konnte einstecken wie keine zweite. Sie hob das Knie, verpasste Rugen einen Tritt in die Weichteile, woraufhin er sich jaulend nach vorne beugte, packte dann seine beiden Schultern und gab ihm mit ihrem gefühlt eisenharten Schädel eine Kopfnuss, die bei ihm sicherlich die Glocken ringen ließ. Er knirschte mit den Zähnen, hielt seine Position und nutzte seine gebeugte Haltung, um sie frontal mit seinem gesamten Körpergewicht zu rammen und tatsächlich von den Füßen zu fegen und ihr seinen Fuß auf den Bauch zu stellen. „Nicht mehr so mutig jetzt, huh?“, meinte er grinsend und spuckte ihr ins Gesicht. Noch gab sie sich jedoch nicht geschlagen. Sie nutzte seinen aufgrund des Tritts in die Weichteile recht wackeligen Stand, drehte sich unter ihm, fegte ihn mit einem Tritt von den Füßen, sprang selbst auf die Beine, beugte sich über ihn und verpasste ihm einen Schlag ins Gesicht, der mit einem fiesen Knacken seinen Kiefer brach, unter blutigem Spritzen zwei Zähne fliegen ließ und die Haut über ihren eigenen Fingerknöcheln platzen ließ, sodass sich Blut in ihrem Handschuh sammelte. Scheinbar hatte sie genug Eindruck gemacht und Rugen genug zugesetzt, als dass seine Männer nicht mehr tatenlos herumstehen wollten. Vi schlug die noch unverletzte Faust in die offene Handfläche der anderen und schaute sie herausfordernd an: „Kommt nur und holt euch auch `ne Tracht Prügel ab.“
 

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Caitlyn stieg aus der mit Hextechmagie angetriebenen Kutsche und dankte dem Fahrer, bevor sie ihn bezahlte. Dann blickte sie das hohe Gebäude hinauf, vor dem sie sich befand. Die Gegend war heruntergekommen und sah nicht besonders vertrauenserweckend aus. Es war ein Arbeiterviertel, knapp an der Grenze zu den verbrechensdurchzogenen und verlassenen Außenbezirken von Piltover. Das Haus selbst war ziemlich hoch, aus Stein gebaut und offensichtlich wurde es seit vielen Jahren nicht mehr ordentlich gewartet oder repariert. Der Putz bröckelte an einigen Stellen ab, ein paar der Glasfenster waren eingeschlagen oder eingeworfen worden und die unteren Stockwerke waren mit farbenfrohem, mehr oder weniger künstlerisch wertvollen Graffiti verschandelt worden. In den wenigen Metern Hof, die das Haus von der vielbefahrenen Straße trennten, lagen Müllbeutel, Schutt und ein riesiger Haufen Metallreste.

Was genau hatte Vi sich dabei gedacht, sich hier häuslich niederzulassen? Mit ihrem Gehalt hätte sie sich doch definitiv eine bessere Bleibe leisten können.

Caitlyn sammelte sich kurz, atmete tief durch und ging dann hinüber zur Eingangstür. Sie durfte nicht vergessen, warum sie hier war. Zum ersten Mal würde sie Vi in ihrer neuen Wohnung besuchen – in der Hoffnung, dass sie überhaupt da war.
 

Vi war heute nicht zur Arbeit erschienen. Und das war noch nie vorgekommen. Nicht nur dass sie trotz ihrer sonstigen Einstellung zu Regeln und Gesetzen ziemlich zuverlässig und pünktlich war, nein. In den Monaten, die sie zusammen arbeiteten, hatte sie auch nicht einen Tag gefehlt.

Es wäre unmöglich gewesen zu leugnen, dass Caitlyn sich Sorgen machte. Erhebliche Sorgen. War Vi etwas zugestoßen? War sie krank? Oder war sie etwa wegen ihrer gestrigen Unterhaltung im Trainingsraum nicht zur Arbeit gekommen? Hatte sie gar eine Dummheit begangen?

Der Sheriff schüttelte den Kopf. Nicht zu viele Gedanken machen. Erst einmal die Tatsachen untersuchen und dann abwägen – da war diese Situation nicht anders als ein Verbrechen.
 

Sie selbst war in Zivil unterwegs – sie wollte ja nicht zu viel Aufmerksamkeit erregen. Sie trug ihre langen Haare in einem unauffälligem, hohen Pferdeschwanz, den sie mit der Kapuze eines Pullovers verdeckte. Dazu eine schlichte Hose, ein Instrumentenkoffer, in dem sie sicherheitshalter ihre Waffe mit sich führte, und eine Brille mit Fenstergläsern, damit man sie schlechter erkannte.

„Entschuldigung“, wandte sie sich an eine ausgemergelte, müde Frau mittleren Alters, die gerade aus der Haustür trat, offensichtlich auf dem Weg zur Arbeit in einem Bergwerk unter Piltover, wie Caitlyn aus der Uniform schlussfolgerte, die sie trug.
 

„Ja?“, erwiderte die Frau vorsichtig und musterte Caitlyn misstrauisch. „Was ist?“

„Wohnt hier eine Vi? Große Frau, pinke Haare mit Sidecut?“, fragte Caitlyn knapp, versuchte aber, einen freundlich neutralen Gesichtsausdruck zu behalten und nicht zu sehr nach verhörender Ermittlerin zu klingen.

„Ja, aber mit der hab‘ ich nix zu tun. Dritter Stock“, antwortete die Bergarbeiterin und setzte sich ohne ein Wort der Verabschiedung in Bewegung.

Caitlyn seufzte unhörbar und nutzte die Tatsache, dass die Eingangstür noch offen war, um sich Zutritt zum Treppenhaus zu verschaffen.
 

Drei Treppen später stand sie vor einer Holztür mit abblätternder Lackierung und mehreren Kratzern, die sie von Vi‘s Apartment trennte. Kein Name an der Tür, auch sonst nichts, was auf ihre Partnerin hinwies, doch sie klopfte an. Keine Reaktion. Caitlyn nahm die Brille ab, verstaute sie in einem Fach an ihrem Koffer und versuchte es erneut.

„Vi?“, rief sie leise, aber deutlich hörbar und klopfte erneut. Nichts.

In Caitlyns Bauch machte sich ein unruhiges Gefühl der Besorgnis breit. Hier stimmte doch irgendetwas nicht. Definitiv nicht. Sie beide hatten viele Feinde, von der Arbeit her und Vi auch aus ihrem früheren Leben. Sie musste nachschauen, ob es ihr gut ging.

Ohne sich wirklich etwas davon zu erhoffen, testete sie die Türklinge aus – und wurde überrascht.

Die Tür war offen.
 

Nach kurzem Zögern und einem kurzen „Vi, ich komme jetzt rein“ drückte sie die Tür knarzend auf und erhaschte den ersten Blick in Vi‘s Wohnsituation, die einen sehr bleibenden Eindruck bei ihr hinterließ.

Der Raum, in den sie blickte, war wohl der Hauptraum der Wohnung, denn sie sah nur eine einzige Tür, die von ihm abging, wohl ins Badezimmer. Das Zimmer war nicht besonders groß und besaß ein einziges, ziemlich schmutziges Fenster ohne Gardine. Die blanke Wand zu Caitlyns Rechten hatte einen recht langen, besorgniserregenden Riss und die Tapete war fleckig. In der Ecke stand ein Ofen mit Kochstelle dabei, nebendran ein ziemlich abgewetzter Kochtopf. Eine Kommode stand an der Wand - auch diese hatte deutlich bessere Jahre gesehen. Auf ihr lag Vi‘s neuer Koffer, in dem sie ihre Hextechhandschuhe herumtrug, und nebendran der Seesack, zusammen mit jeder Menge Hextechmechanik und Gerümpel. In der Mitte des Raumes stand eine alte Couch, bezogen mit verblasstem grünen Stoff, schon ziemlich durchgelegen - das war alles, was sich an Möbeln in Vi‘s Wohnung befand.
 

Auf der Couch lag Vi, auf der Seite, offensichtlich in tiefem Schlaf, unter einer dünnen Flickendecke, die Caitlyn auch schon im Revier gesehen hatte.

„...Vi?“, fragte Caitlyn ruhig, doch sie erhielt keine Reaktion ihrer Partnerin. War sie etwa…?

Caitlyn schloss die Tür schnell aber leise hinter sich und huschte zu Vi hinüber, nicht ohne kurz auf sonstige Geräusche aus der Wohnung zu lauschen. Nun, da sie vor dem Sofa stand, erkannte sie zwei Dinge deutlich. Vi war in eine Prügelei geraten. Und sie hatte sich offensichtlich in den Schlaf getrunken. Das Gesicht ihrer Partnerin war ziemlich übel zugerichtet, ihre rechte Wange war blauviolett angelaufen und die Haut war an einer Stelle aufgeplatzt, die Lippe war blutverkrustet. Vor der Couch lag eine leere Flasche mit billigem Alkohol, dessen Etikett Caitlyn nichts sagte – musste wirklich günstig sein.
 

Caitlyn lehnte sich vor und hielt zwei Finger an Vi‘s Halsschlagader, nur um wenige Momente später erleichtert auszuatmen. Vi lebte noch. Zum Glück.

Ohne genau zu wissen, warum, spürte Caitlyn, wie ihre Beine ein wenig wackelig wurden und sie ließ sich rasch auf der Lehne des Sofas nieder. Ein Gefühl unendlicher Erleichterung durchströmte sie und sie konnte nicht anders als auf Vi‘s malträtiertes Gesicht hinabzuschauen und ihr mit zittrigen Fingern einige Strähnen ihres verwuschelten und veschwitzten pinken Haares aus der Stirn zu streichen. Es ging ihr gut – mehr oder weniger. Und das war für den Moment alles, was zählte.

Ihre Blicke fokussierten nun genauer die Umstände des Raumes, für den sie zuvor nicht wirklich viel Aufmerksamkeit übrig gehabt hatte. Wirklich schmutzig war der Raum nicht, aber alt und unwohnlich. Außerdem voller Gerümpel und Ersatzteile, bestimmt aufgrund des fehlenden Stauraumes überall im Zimmer verteilt. Ein kleiner Hocker stand hinter der Kommode, die wohl auch als Tisch genutzt wurde, darauf Vi‘s Werkzeuge, die sie immer in einem Ledermäppchen hatte. Warum hatte Vi sich entschieden, hier zu leben, statt sich in einem der besseren Viertel eine Wohnung zu nehmen, die ihrem Gehalt entsprach? Sie würde es sie wohl irgendwann fragen. Aber nicht jetzt.
 

„Vi…?“, fragte Caitlyn sanft und rüttelte sie leicht an der Schulter. War sie ohnmächtig oder schlief sie nur ihren Rausch aus?

„Hnggnnnh“, grummelte Vi und kniff die Augen zusammen, nur um dann im nächsten Moment aus ihrer liegenden Haltung hochzufahren und mit abrupter Geste Caitlyn am Kragen ihres Pullovers zu packen.

„Was willst du hier?“, zischte sie bedrohlich und fixierte Caitlyn mit bedrohlich verengten Augen. Der Sheriff war von Vi‘s Verhalten völlig überrumpelt und hielt in allem inne, dann jedoch sprach sie möglichst beruhigend und neutral: „Vi, ich bin es. Caitlyn. Lass mich los.“

Vi stutzte kurz, hatte Caitlyn wohl ob der gänzlich anderen Aufmachung nicht erkannt, ließ sie dann jedoch los, während ein Funken des Erkennens in ihre Augen trat. Scheinbar kehrten nach dem anfänglichen Schock auch die Schmerzen in ihren Körper zurück und stöhnend stützte sie sich mit einem Arm auf der Couch ab.
 

Caitlyn rümpfte unwillentlich die Nase. Vi stank nach Alkohol, Schweiß und Blut, eine Kombination, die ihr alles andere als gefiel. „Vi, was ist passiert? Du warst heute nicht bei der Arbeit, da habe ich mir Sorgen um dich gemacht.“

„Scheiße, ist der Tag schon rum?“, fragte Vi orientierungslos und blickte aus dem Fenster in die bereits anbrechende Nacht.

„Ja“, antwortete Caitlyn schlicht und musterte ihre Partnerin genau. Außer den Blessuren im Gesicht sahen ihre Hände alles andere als gut aus. Sie hatte wohl ziemlich heftig zugeschlagen, anders konnte sie sich die geplatzte Haut an den Fingerknöcheln und das dort getrocknete Blut nicht erklären, das sicherlich nicht nur von ihrer Partnerin stammte. „Du hast ziemlich was abbekommen. Das sollte sich ein Arzt anschauen.“
 

„Ne, kein Arzt“, knurrte Vi abwehrend. „Mir gehts gut.“

„Verarsch mich nicht, Vi“, fauchte Caitlyn und blickte sie streng, aber auch voller Besorgnis an. Sie konnte Vi‘s selbstzerstörerisches Verhalten nicht mehr mit ansehen.

Diese starrte sie wie vom Donner gerührt an und grinste dann ein wenig schief: „Cupcake, du kannst ja fluchen.“

Caitlyn rollte mit den Augen: „Natürlich kann ich das. Und wenn du nicht zu einem Arzt willst, darf ich mir deine Verletzungen dann wenigstens ansehen?“

Der Ausdruck in Vi‘s Gesicht veränderte sich kurz – Caitlyn konnte ihn beim besten Willen nicht deuten, dann nickte sie: „Wenn du drauf bestehst.“
 

Mit diesen Worten zog sich Vi ohne Vorwarnung das Shirt über den Kopf und präsentierte nebst ihres Sport-Bhs, den sie auch beim Training immer darunter trug eine Vielzahl an blauen Flecken am Oberkörper, dazu noch eine verkrustete, leichte Schnittwunde am Oberarm. Caitlyn, kurz überrumpelt von Vi‘s plötzlichem Drang, sich zu entkleiden, musterte diese kurz: „Ich bin kein Arzt, also kann ich dir nicht sagen, ob etwas gebrochen ist. Zumindest was die Rippen angeht. Aber die Schnitte am Arm und die Platzwunden im Gesicht und an den Händen müsste man desinfizieren und verbinden. Hast du Verbandsmaterial da?“

Vi nickte: „Da hinten in der oberen Kommodenschublade.“

Ohne Zeit zu verlieren, erhob sich Caitlyn von der Couchlehne und begab sich zur Kommode hinüber, um in der besagten Schublade nach Vi‘s Verbandskasten zu suchen. Es dauerte eine Weile, der Inhalt der Schublade war völlig wild zusammengewürfelt und eng gestopft.
 

„Ganz schön erbärmlich, was?“, fragte Vi kaum hörbar.

Caitlyn blickte über die Schulter zu ihrer Partnerin hinüber, die ihr noch immer den Rücken zugewandt hatte, sodass sie ihr Gesicht nicht sehen konnte. „Was meinst du?“

„Wollte nicht, dass du mich so siehst“, fuhr Vi leise fort.

„Verletzt?“, fragte Caitlyn und nahm, als sie ihn nun endlich gefunden hatte, den Verbandskasten aus der Kommode.

Vi drehte sich noch immer nicht zu ihr um. „Schwach.“

Caitlyn betrachtete beinahe schon zärtlich Vi‘s sturen Hinterkopf und musste ein wenig traurig lächeln. Vi war es nicht gewohnt, Schwäche zu zeigen. Da waren sie schon zwei. „Du bist nicht schwach, Vi...“, meinte Caitlyn mit sanfter Stimme.

„Hab mich ganz schön verprügeln lassen. Passiert mir nich oft“, brummte Vi ungehalten und verschränkte die Arme vor der Brust. „Und dann musst du mich auch noch finden. Scheiße.“
 

Einem spontanen Impuls folgend trat Caitlyn hinter sie, beugte sich hinab und schlang von hinten die Arme um sie. Vi roch nicht gut – wie auch nach einer durchzechten Nacht mit Prügelei, doch das störte sie nicht. „Ist schon in Ordnung“, sagte sie ruhig und drückte Vi kurz sanft an sich, darauf achtend, sie nicht zu fest anzufassen, immerhin war sie über und über mit Blessuren bedeckt.

Vi spannte sich kurz in der Umarmung an, dann fragte sie mit deutlich hörbarer Skepsis in der Stimme: „Cupcake, was machste da?“

Beinahe fühlte Caitlyn sich ein wenig ertappt, als sie die Umarmung löste. „Ich dachte...“

„Was dachtest du?“, fragte Vi und drehte nun doch den Kopf, um sie mit einem feixenden Grinsen anzusehen.

Auf Caitlyns Wangen schlich sich eine leichte Röte. „Du sahst aus, als könntest du eine Umarmung gebrauchen.“

Vi‘s Grinsen veränderte sich, wurde… beinahe etwas sanfter und verlegener, ein Gesichtsausdruck, der Caitlyn überraschte und auch irgendwie berührte. „Dann präg‘ dir das ein. Wirste nie wieder sehen.“
 

Mit wenigen Schritten hatte Caitlyn die Couch umrundet und ließ sich neben Vi darauf nieder. „Dann komm mal her, lass dich verarzten.“ Es war nicht das erste Mal, dass sie sich um eine von Vi‘s Verletzungen kümmerte, doch die anderen Male war es nach einem Einsatz gewesen, bevor der Sanitäter übernommen hatte. Diesmal war es… anders.

Vi hielt still, während Caitlyn sich über sie beugte und mit einem sauberen Tuch und Desinfektionsmittel die Wunden im Gesicht säuberte. Sie zuckte kaum zusammen, obwohl sie sicherlich Schmerzen haben musste. Aber so war Vi eben. Was Schmerzen aushalten anging, konnte ihr kaum einer das Wasser reichen, das hatte Caitlyn schon feststellen dürfen. Was sie wohl alles hatte durchmachen müssen, um sich diese Fähigkeit zu erarbeiten? Sie kannte sicherlich nur einen Bruchteil davon.
 

Vorsichtig und so sanft wie möglich strich sie mit dem Tuch erst über Vi‘s Wange und dann über ihre Lippen, bis die Wunde wieder leicht zu bluten begann und der Dreck herausgewaschen war. Auch wenn sie ein wenig angeschwollen waren, hatte Vi schöne Lippen, wie Caitlyn zum ersten Mal festellen musste. Voll, aber nicht zu voluminös, mit schönem Schwung der Oberlippe. Merkwürdig, dass ihr das jetzt auffiel. „An der Lippe kann ich nicht viel tun, das wird von alleine heilen müssen“, meinte Caitlyn und riss sich von dem Anblick und diesen merkwürdigen Gedanken los.

„Ja, kenn ich schon“, antwortete Vi gleichgültig und zuckte mit den Achseln. „Is ja nich‘ das erste Mal.“
 

Caitlyn nickte und klebte dann ein Pflaster über die Wunde auf Vi‘s Wange. „So, mit dem Gesicht bin ich fertig.“ Vi blickte sie aus ihren türkisblauen Augen an und nickte ebenfalls: „Als nächstes der Arm?“

„Ja, am Besten“, antwortete Caitlyn und ließ sich von Vi den Arm über den Oberschenkel legen. Während sie die Schnittwunde am Unterarm verarztete, glitt ihr Blick über Vi‘s Oberkörper. Da sie sie gerade zum ersten Mal oben ohne sah, fielen ihr erstmals die sonst verdeckten Tätowierungen und Narben an ihr auf. Die Zahl ‚6‘ oberhalb der linken Brust, der komplette Verlauf der tätowierten Zahnräder und Hextechmechanik am Hals, die sich die komplette Schulter hinunterzogen und nicht zuletzt zwei Einschussnarben am unteren Bauchbereich. Die waren sicherlich lebensgefährlich gewesen… Nicht nur Vi‘s Verhalten sprach Bände über ihre Vergangenheit, auch ihr Körper.

Und als die Wunde am Arm verarztet war und sie sich um ihre Hände kümmern wollte, fiel ihr noch etwas auf.
 

Der gesamte Handrücken, vor allem die Fingerknöchel und die Finger selbst waren überzogen von Narben, manche Jahre alt, manche relativ frisch, teilweise nebeneinander, teilweise überkreuzt, manche wohl von tiefen Schnitten, manche Platzwunden, wohl auch der eine oder andere Bruch dabei. Mit vorsichtigen Bewegungen streichelte Caitlyn Vi‘s Finger entlang und fuhr ein paar der Narben am Handrücken nach. „Was ist passiert, Vi?“, fragte sie beinahe atemlos und blickte auf, in Vi‘s Gesicht – und musste feststellen, dass diese sie die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen hatte.

„Sieht ziemlich übel aus, hm?“, fragte sie mit schiefem Grinsen. „Meine Hände sind ziemlich hinüber.“

„Ist das wegen der Handschuhe?“, fragte Caitlyn. Es war klar, dass sie über die Narben sprachen und nicht über die Wunden.
 

Vi zuckte mit den Achseln: „Man muss sich eben durchschlagen draußen auf der Straße. Aber das meiste kommt von den Handschuhen. Bevor ich angefangen hab, sie auszupolstern. Waren halt eigentlich nicht für so `ne Benutzung gedacht.“

„Du hast dir beim Kämpfen die Hände blutig geschlagen?“, fragte Caitlyn ruhig, doch es entsetzte sie ein wenig. Dass Vi rabiat vorging, war ihr immer klar gewesen, doch dass sie so wenig Rücksicht auf sich selbst nahm… ging ihr nahe.

„Ja. Passiert auch heute noch oft. Das ist eben Metall und wenn ich zu fest zuschlage, dann wirkt sich das halt trotz Puffer und Polsterung auch auf die Hände und Arme aus.“

Caitlyns Blick wanderte wieder zu den Händen und erneut fuhr sie die Narben nach. „Gibt es… langfristige Schäden?“
 

„‘N paar“, antwortete Vi vage, doch als Caitlyn sie erneut anblickte, wurde sie genauer. „Kommt auf die Tagesform an. An schlechten Tagen hab ich kaum Gefühle in den Fingern. Taub. Klobig. Dann fallen mir feine Arbeiten schwer. An solchen Tagen lass ich die Hände immer von der Mechanik, klappt dann eh nich. An guten Tagen ist‘s etwas besser. Aber so gut wie früher sind sie nicht mehr. Ein Arzt hat mir mal gesagt, dass da wohl ein paar Nerven hinüber sind. Hab kein Fingerspitzengefühl mehr.“
 

Das war die offenste und ehrlichste Antwort, die sie von Vi jemals erhalten hatte und Caitlyn konnte darauf nur schlucken und nicken. „Das tut mir Leid“, antwortete sie ehrlich.

„Muss es nich. Denen, denen ich damit die Fresse poliert hab, geht‘s schlimmer“, gab Vi feixend zurück, doch Caitlyn konnte erkennen, dass hinter der taffen Antwort auch etwas anderes steckte. Es machte Vi zu schaffen, natürlich.
 

„Das glaube ich dir aufs Wort“, meinte Caitlyn mit leichtem Lächeln und machte sich daran, die Wunden an den Händen zu säubern.

Für einige Minuten schwieg Vi, dann fragte sie ruhig, aber auch ein klein wenig herausfordernd: „Willst du mir gar keinen Vortrag halten, Cupcake? Dass ich mich nicht betrinken und prügeln soll?“

Caitlyn antwortete, ohne von ihrer Arbeit aufzublicken. „Nein, will ich nicht.“

Vi stutzte: „Und warum nicht? Sonst lässt du dich doch auch nicht davon abhalten.“
 

Mit einem Streifen Klebeband befestigte Caitlyn den letzten Verband, bevor sie nun doch den Kopf hob und Vi‘s Blick erwiderte: „Ich bin nicht als deine Chefin hier. Ich bin hier als deine Freundin. Weil ich mir Sorgen um dich gemacht habe.“ Sie lächelte leicht und Vi erwiderte das Lächeln matt.

Dennoch konnte Caitlyn nicht anders, als mit erhobenen Augenbrauen hinzuzufügen: „Und dass du deine Arbeit nicht wegen deiner Eskapaden verpassen solltest, weißt du sicherlich selbst.“

Vi lachte laut los und klopfte Caitlyn mit der frisch verarzteten Hand grob auf die Schulter – heute war wohl ein schlechter Tag, was die Hände anging. „Kannst nicht aus deiner Haut, Cupcake.“

Caitlyn lächelte leicht: „Gut, dich lachen zu sehen. Und entschuldige, dass ich dich… gestern bedrängt habe. Im Trainingsraum.“

Vi blickte Caitlyn mit schiefem Grinsen an und fuhr sich durch die verwuschelten Haare. „Ich bin nur nicht so gut mit sowas.“
 

„Mit was?“, fragte Caitlyn und musterte Vi aufmerksam. Ihre Mimik war so aussagekräftig. Das war etwas, das sie aus ihren Kreisen nicht kannte. In der Welt der Reichen und Schönen zeigte jeder stets den gleichen Ausdruck. Höfliche, distanzierte Freundlichkeit. Etwas, das sie sich schon in jungen Jahren angewöhnt hatte. Jetzt hier mit Vi war es einfach anders… echter… lebendiger.

„Na ja. Es ist Jahre her, dass ich jemanden hatte, den es interessiert, wie‘s mir geht. Ich glaub, daran muss ich mich erst wieder gewöhnen. Bin nicht so gut darin… Freunde zu haben.“

Mit einem Lächeln zuckte Caitlyn mit den Achseln: „Ich auch nicht, Vi.“
 

Vi zog eine Augenbraue hoch, bevor sie Caitlyn musterte: „Na wenn du die ganze Zeit dreinschaust wie ne Oberlehrerin, dann ist das auch kein Wunder.“ Sie hob eine ihrer mit Verband umwickelten Händen und legte sie Caitlyn an die Wange: „Du musst öfter lächeln, Cupcake.“

Vi‘s Hand fühlte sich überraschend gut an, wenn sie auch grob und rau war. Caitlyns Herz begann heftig zu schlagen, ohne dass sie sich erklären konnte, warum und sie biss sich auf die Unterlippe. „Warum das?“, fragte sie schließlich mit leicht belegter Stimme.

„Weil ich es mag, wenn du du selbst bist“, antwortete Vi mit einem leichten Lächeln und blickte sie mit für ihr Verhältnis geradezu ernstem Gesicht an. Etwas in Caitlyns Magengegend flatterte aufgeregt.

„Das kann ich nur zurückgeben“, antwortete Caitlyn leise und schloss für einen sehr kurzen Moment die Augen, atmete durch und genoss das Gefühl von Vi‘s warmer Hand an ihrer Wange. Dann löste sie sich mit einer seitlichen Kopfbewegung von ihr und blickte sie wieder ein wenig strenger an: „Dann kann ich erwarten, dass du morgen wieder bei der Arbeit bist?“

„Aye, aye, Sheriff“, antwortete Vi grinsend und salutierte.
 

Noch einmal löste ein leichtes Lächeln Caitlyns strenges Gesicht ab: „Gut. Wie wärs. Du wäschst mal das ganze Blut von dir runter und dann gehen wir uns etwas zum Abendessen holen? Ich bin noch nicht dazu gekommen, nach der Arbeit was zu essen und du siehst aus, als könntest du etwas gebrauchen.“

Vi grinste breit: „Gib‘s zu, du willst dir bloß noch nen zweiten Cupcake holen.“

„Den habe ich mir verdient, immerhin hast du mich heute für zwei arbeiten lassen“, antwortete Caitlyn mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Ich lad dich ein. Als Entschädigung“, meinte Vi und erhob sich leise ächzend. Als sie stand, streckte sie sich unter deutlich hörbarem Knacken ihrer Gelenke. „Und als Dank.“

Sie blickte Caitlyn kurz ehrlich an, dann öffnete sie die Tür ins Badezimmer und entschwand ihrem Blick für den Moment.
 

Caitlyn lehnte sich mit einem langen Ausatmen in der Couch zurück und schloss die Augen. Irgendetwas hatte sich verändert – zwischen Vi und ihr. Und was auch immer es war, es hatte ihr Inneres in Aufruhr versetzt und ließ ihr Herz schnell schlagen. Zwar hatte sie auch heute nicht wirklich etwas aus Vi herausbekommen, doch sie spürte, dass ihre Partnerin ihr nach und nach immer mehr vertraute. Vielleicht würden sie ja eines Tages offen über alles sprechen können. Es war ein ungewöhnlicher Wunsch, das stellte Caitlyn fest, denn bisher hatte sie niemanden gebraucht, um gut zurechtzukommen. Natürlich hatte sie ihre Familie, doch die Gespräche waren nie tiefgründig, waren von ihrem tiefen Respekt vor ihren Eltern gekennzeichnet und nicht von ehrlicher Zuneigung. Natürlich hatte sie bei der Arbeit Kollegen, mit denen sie seit vielen Jahren zusammenarbeitete, aber wirkliche Freunschaften waren nie entstanden. Doch jetzt, mit Vi, wünschte sie sich plötzlich, sie kennen zu lernen, auch abseits von der Arbeit. Sie wollte alles über sie wissen, sie wollte… von sich erzählen - ein Wunsch, den sie noch nie verspürt hatte und der sie ziemlich überforderte. Sie atmete mehrfach tief durch und versuchte, sich zu sammeln und zu konzentrieren, während sie aus dem Nebenzimmer das Geräusch von fließendem Wasser hörte.

Und als Vi wieder aus dem Bad zurückkehrte, sauber und mit klatschnassen Haaren, grinsend und hungrig, war sie wieder die alte Caitlyn, distanziert und kontrolliert.

Kapitel 6: Unbezahlbare Schätze

Kapitel 6: Unbezahlbare Schätze
 

„Nichts“, seufzte Caitlyn resigniert und ließ sich auf der Fensterbank eines der großen Panoramafensters des Museumstraktes nieder, in dem sie gerade seit mehreren Stunden nach Spuren suchten. „Rein gar nichts“, fügte sie bestärkend hinzu und blickte zu Vi hinüber, die gerade hochkonzentriert mit einem Hextech-Scanner die Glassplitter auf dem Boden untersuchte, die von einer der zertrümmerten Vitrinen herrührten, in denen unbezahlbare Gemälde und Büsten aufbewahrt worden waren – einer der Kulturschätze von Piltover – zusammengetragen über Jahrzehnte und Jahrhunderte von Stadtgeschichte. Nicht nur, dass dieser Raub einen immens hohen materiellen Verlust bedeutete, es war auch ein Angriff auf die Stadt selbst – und ihre Geschichte. Und nicht nur das nagte an Caitlyns Stolz. Nein. An einer Säule direkt neben der Vitrine des Aetheriols, einem gelblichen Kristall, der im allerersten Hextechgerät der Stadt benutzt worden war und somit einen Meilenstein in der techmaturgischen Entwicklung Piltovers darstellte, prangte ein in roter Farbe gemaltes ‚C‘. Das Zeichen von C, dem Meisterdieb, nach dem Caitlyn nun schon seit vielen Jahren suchte und der sie bislang immer wieder ausgetrickst hatte.
 

Mit einer groben Geste schob Vi ihre Schutzbrille nach oben in die Haare und blickte zu Caitlyn hinüber. Ihr war bewusst, wie sehr Caitlyn dieser Fall an die Nieren ging, darum machte sie sich auf den Weg zu ihr und setzte sich neben sie auf das Fensterbrett. „An den Glassplittern ist auch nichts“, meinte sie knapp und ließ den Blick über den ausgeraubten Raum gleiten, der nicht nur von ihnen beiden, sondern auch von zahlreichen Mitgliedern der Wache Piltovers untersucht und gesichert wurde – auch wenn es nicht mehr viel zu sichern gab, denn das Meiste, das von wert gewesen war, war gestohlen worden.
 

„Ich denke bereits seit zwei Stunden darüber nach...“, begann Caitlyn und erlaubte sich, kurz seufzend ihren Kopf in die Hand zu stützen – sie war erschöpft. „Aber ich komme einfach nicht dahinter, wie er hier hereingekommen ist. Keines der Sicherheitssysteme außer das in diesem Raum hier wurde berührt, kein Fenster zerstört, keine Tür geöffnet.“

„Vielleicht hat er sich irgendwie `nen Zweitschlüssel besorgt“, überlegte Vi laut und blickte zu ihrer Partnerin. Caitlyn hatte die letzte Zeit wirklich viel für sie getan und nur zu gerne wollte sie das zurückgeben – auch wenn ihr nicht viel anderes einfiel außer sich beruflich noch mehr anzustrengen.
 

„Unwahrscheinlich“, antwortete Caitlyn. „Der Museumsdirektor allein besitzt die Schlüssel für die wichtigsten Türen. Und diese werden nachts in einem Safe weggeschlossen, den nur er kennt. Und auch dort wurden keine Sicherheitsvorkehrungen ausgelöst oder außer Kraft gesetzt.“

„Vielleicht ist er ein Glaser und hat das Fenster direkt wieder ausgetauscht?“, scherzte Vi grinsend und zuckte mit den Achseln. Doch Caitlyns Gesichtsausdruck ließ ihr Grinsen gleich wieder verschwinden. Ihre Partnerin war deutlich sichtbar nicht zu Scherzen aufgelegt. „Ich meine es ernst, Vi. Es ist mir völlig schleierhaft, wie er das Ganze angefangen hat.“

Sie seufzte und lehnte sich rücklings gegen das Fenster und schloss für einen kleinen Moment die Augen.
 

„Vielleicht kann ich helfen“, tönte eine gut gelaunte, beinahe schon amüsierte Stimme vom Eingang der Halle und als Caitlyn hinüberblickte, sah sie Ezreal, den berühmten Entdecker und ebenfalls Mitglied der Liga der Legenden, mit dem sie schon häufiger auf den Richtfeldern gestanden hatte. Mit einer geschickten, flinken Bewegung setzte er über die Absperrung und kam zu den beiden hinüber, strich sich eine Strähne seines wuscheligen, blonden Haares aus dem Gesicht und lächelte sie schalkhaft an – ein wahrer Chameur und Frauenheld wie er im Buche stand. Gut, dass Caitlyn für derlei Charme unempfänglich war. Sie erhob sich von der Fensterbank und wartete, bis Ezreal zu ihnen aufgeschlossen hatte. Vi blickte ihn ein wenig misstrauisch an. Sie kannte ihn nur von den Übertragungen der Kämpfe auf den Richtfeldern und wusste wenig über ihn, vor allem wenig über die Beziehung zwischen ihrer Partnerin und dem hübschen, jungen Mann. Schließlich stand sie jedoch ebenfalls auf und baute sich neben ihrer Partnerin zu voller Größe auf – tatsächlich stand sie Ezreal um nichts nach.
 

„Und wie kannst du uns helfen, Ezreal?“, fragte Caitlyn und gab ihm zur Begrüßung die Hand. Ezreal nickte Vi lächelnd zu und wandte sich dann dem Sheriff zu: „Ich kam nicht umhin, eure Unterhaltung zu hören.“

„Du hast also gelauscht?“, fragte Caitlyn mit gespielt strengem Blick. Sie machte sich nicht viel daraus – Ezreal war ein vertrauenswürdiger Mann und sie hatten in der Vergangenheit schon das eine oder andere Mal zusammengearbeitet, wenn sich ihre Aufgabenfelder überschnitten hatten.

„Dein hilfloses Stöhnen war weithin zu hören“, antwortete Ezreal feixend und wurde dann allerdings etwas ernster. „Das hier war C, nehme ich an?“

Caitlyn nickte. „Ja, natürlich. Er hat sich einige Zeit bedeckt gehalten, aber scheinbar hat er die Zeit genutzt, um diesen Coup zu planen.“

Mit aufmerksamem Blick sah sich Ezreal in dem Raum um. Das Museum, in dem sie sich befanden, war ein sehr altes Gebäude – geschichtsträchtig und mühevoll restauriert und renoviert worden. Vor vielen Jahren hatte hier einmal die Regierung von Piltover residiert, bevor sie nach Übernahme durch den Stadtrat umgezogen war. Nach der Restaurierung hatte man das Schloss mit seinen hübschen Türmen, Erkern und dem prächtigen Schlossgarten mit modernsten Sicherheitsvorkehrungen versehen und als Museum eingerichtet.
 

„Gebt mir einen Moment“, meinte Ezreal locker und hob die linke Hand, an der der mystische Talisman war, der ihm in den Kämpfen auf den Richtfeldern zu einer solchen Berühmtheit verholfen hatte – neben seinen Frauengeschichten natürlich. Ein blaues Leuchten ging von dem Stein aus, der in den Handschuh eingearbeitet war und Ezreal schritt mit diesem abtastend die Wände ab, bis er schließlich irritiert stehen blieb und eine Wand näher betrachtete. „Kommt mal rüber“, meinte er kopfnickend und begann, die gut verspachtelten Steine der Mauer abzutasten. Caitlyn folgte seiner Aufforderung und Vi, die misstrauisch und neugierig zugleich war, begleitete sie. Während sie noch unterwegs waren, frohlockte Ezreal mit einem triumphierenden „Ha“ und drückte mit dem Daumen ein Stück Stein in der Wand, wodurch sich unter lautem Knirschen und Ruckeln in der eigentlich massiv geglaubten Wand eine Geheimtür auftat. „Diese alten Gebäude sind voll von Geheimwegen. Das hier war früher mal der Thronsaal“, meinte Ezreal beinahe ein wenig selbstverliebt. „Natürlich gibt es da einen geheimen Fluchttunnel. Scheinbar kennt unser guter C sich gut mit Bauplänen aus – oder hat ein Händchen für so etwas.“
 

Caitlyn blickte in den sich öffnenden Tunnel hinein und erkannte im staubigen Boden sofort ein paar verräterische Spuren. Sie winkte einen ihrer Kollegen herbei: „Fußspuren sichern. Und schick jemanden ins Archiv des Bauamtes und lass ihn nach den Blaupausen des Museums fragen und ob in der letzten Zeit jemand nach diesen gefragt hat.“ Die Wache nickte: „Sofort, Sheriff.“

Ezreal blickte Caitlyn an und seine Augen funkelten: „Willst du wirklich bei den trockenen Nachforschungen bleiben?“

Caitlyn erwiderte seinen Blick und sie wusste, dass sie nicht anders konnte als seine indirekte Herausforderung anzunehmen. Wer war sie denn? Eine Bürokratin? Sicherlich nicht. „Nach dir“, meinte sie kühl. „Aber nicht dass du mir irgendwelche Spuren verwischst.“ Dann blickte sie zu Vi: „Du hast deine Handschuhe dabei?“
 

Vi‘s Gesicht hellte sich sichtlich auf, als sie erahnte, dass es jetzt wohl doch spannender werden würde und sie nickte, bevor sie sich umdrehte, um ihre Hextechhandschuhe anzulegen und sich kampfbereit zu machen. Caitlyn musste ein wenig lächeln – es war so einfach, Vi zufrieden zu stellen. Ezreal folgte ihrem Blick und fragte leise, sodass Vi ihn nicht hören konnte. „Wie stellt sie sich an?“

„Sie ist ein wenig ungestüm, aber ich denke, ich bekomme sie noch gezähmt“, antwortete Caitlyn ein wenig schmunzelnd.
 

Ezreal schwieg für einen Moment, bevor er antwortete: „Ich war eine ganze Weile weg, hm?“ Das war wahr, Ezreal war das letzte halbe Jahr auf einer Ausgrabung in der Wüste von Shurima gewesen, um eine alte Ruine zu erkunden.

„Du meinst, du hast einiges verpasst?“, fragte Caitlyn, wandte ihren Blick jedoch nicht von Vi ab, die mit geübten Handgriffen die Handschuhe befestigte und aktivierte, sodass die Scharniere sich mit mechanischem Surren selbst schlossen und der blaue Kristall an ihrem Rücken, der in ihre Rüstung eingefasst war, zu leuchten begann. Vi war kampfbereit.

„Ja. Aber nicht nur das. Du wirkst… anders“, fuhr Ezreal ruhig fort. Der Tonfall in seiner Stimme war nicht zu deuten, doch Caitlyn blickte ihn leicht verwundert an. „Anders?“, fragte Caitlyn mit einer leicht hochgezogenen Augenbraue.

„Vergiss es“, winkte der Entdecker nun ab und setzte wieder sein übliches, fröhliches Gesicht auf und blickte voller Vorfreude in den Geheimtunnel hinein. „Ich bin gespannt, wo uns das hinführt.“

Nach kurzem Nachdenken entschied Caitlyn, das Thema fallen zu lassen und nickte, bevor sie ihr Gewehr schulterte, an dem sie schon einmal sicherheitshalber das Zielfernrohr befestigt hatte. „Ich auch.“
 

„Du solltest Vi fragen, ob sie der Liga beitreten will“, meinte Ezreal noch beiläufig, bevor er den Gang schon einmal betrat, um sich umzusehen.

Caitlyn stutzte und blieb einen Moment lang stehen. Auf den Gedanken war sie noch nicht gekommen, doch als sie einen Blick über die Schulter warf und Vi beobachtete, die mit einem vorfreudigen Grinsen auf den Lippen auf sie zukam, die metallenen Finger ihres Handschuhs zu einer riesigen Faust ballend, den starken Rücken gestrafft und die Augen voller Abenteuerlust, fand sie, dass das gar keine schlechte Idee war.
 

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Unter Ezreals Führung fanden sie von den Geheimtunneln des Schlosses einen weiteren Fluchttunnel, der sie unter den Gärten entlang führte und schließlich in die Kanalisation mündete, ein abscheulicher Ort, der den stinkenden Schlamm, die verflüssigten Abgase der Stadt und andere Fäkalien und Abfälle hinunter nach Zaun beförderte. Die feuchten Wände der ovalen Tunnel waren glitschig und von Algen überwachsen, in denen sich hier und da Abfall verfangen hatte.
 

Glücklicherweise gab es Wartungsschächte und begehbare Wege, die die verschiedenen Abstiege des Tunnelsystems miteinander verbanden, sodass sie nicht direkt durch die siffige Brühe waten mussten. Unbeeindruckt band sich Caitlyn ihr Halstuch vor den Mund und auch Ezreal zeigte sich nicht besonders beeinträchtigt. Vi jedoch fluchte angeekelt. „Sogar im Dreckviertel am Rand stinkt‘s weniger.“ Es war nicht das erste Mal, dass sie in der Kanalisation war, doch es war einfach widerlich hier unten – sie freute sich jetzt schon darauf, wenn sie wieder oben sein würden – oder darauf, dass sie wenigstens jemandem die Fresse polieren konnte. Bevorzugt natürlich C, der Caitlyn so viele schlaflose Nächte bereitet hatte und dessen Diebstähle ihr so viel Kopfzerbrechen bereiteten. Ob Caitlyn ihr wohl sehr dankbar sein würde, wenn sie ihn für sie zur Strecke bringen würde? Oder wäre sie eher beleidigt, dass sie es nicht alleine gemacht hatte? Vi beobachtete ihre Partnerin, die einen halben Schritt vor ihr ging, musterte ihr schönes Gesicht im Profil, von dem sie allerdings nur Teile der Nase und die konzentrierten Augen sehen konnte. Dann riss sie sich zusammen und konzentrierte sich auf den Fall. Nicht, dass der Bastard entkam, weil sie Caitlyn angestarrt hatte…
 

Als sie einen etwas größeren Knotenpunkt der Kanalisation erreicht hatten, hielt Ezreal kurz inne und holte aus seinem Rucksack eine Kiste heraus, deren Schloss er mit seinem Handschuh öffnete. Ein Uhrwerkschloss öffnete sich und der Deckel sprang von selbst auf, um ihnen eine beeindruckende Sammlung von sorgsam aufbewahrten Karten zu offenbaren. Eine kurze Weile wühlte Ezreal darin herum und beförderte dann eine Karte der Kanalisation zutage, in die er sich für einen Moment vertiefte.

„Hast du die Karte aus den Archiven“, fragte Caitlyn und sah ihm über die Schulter.

„Selbst kartographiert“, antwortete Ezreal kurz angebunden und runzelte konzentriert die Stirn. „Ich kenne mich unter Piltover extrem gut aus.“

Während Ezreal und Caitlyn sich mit der für sie dann doch eher langweiligen Karte beschäftigte, blickte Vi sich in den Tunneln näher um. Jetzt, da sie sich langsam an den Gestank gewöhnt hatte, fühlte sie sich mehr und mehr an ihre Zeit auf der Straße erinnert. Häufiger hatte sie die Tunnel der Kanalisation als Fluchtwege benutzt, um nach einem ihrer Coups ungesehen zu verschwinden. Aber so gut wie Ezreal kannte sie sich nicht aus – sie war einfach irgendwo in einen Zugang hinabgestiegen und den nächstbesten wieder hinauf. Auch konnte sie sich nicht vorstellen, warum man freiwillig hier unten herumrennen sollte, nur um eine Karte davon zu kritzeln – auch wenn es ihnen jetzt zugute kam.
 

„Ein paar hundert Meter diesen Gang hinunter ist ein alter Wartungsraum, in dem früher einige Pumpen zum Druckausgleich angebracht waren. Er ist allerdings heute leer und wird nicht mehr benutzt. Direkt nebendran gibt es einen Aufgang in eine alte Fabrik, die nicht mehr benutzt wird. Klingt nach einem idealen Ort für einen Einstieg, oder?“ Er grinste breit und rollte die Karte zusammen, bevor er sie wieder wegpackte. Caitlyn nickte: „Sehen wir uns dort mal um.

Sorgsam verschloss Ezreal seine Kartenkiste wieder und verstaute sie, bevor er sie erneut anführte und ihnen den Weg den Tunnel hinunter zeigte. Die Tür zu dem von ihm erwähnten Wartungsraum war verschlossen und das Schloss wirkte… neu.

Ein selbstzufriedenes Lächeln umspielte Ezreals Lippen, als er sich zu Caitlyn umdrehte und mit einem Zeichen still zu sein auf das Schloss zeigte. Sie nickte und schaute dann zu Vi.

Diese wusste das Zeichen zu deuten, grinste breit, trat an Ezreal vorbei und – sich darüber freuend, dass sie endlich mal wieder etwas kurz und klein schlagen konnte, zerbeulte sie mit einem gezielten Schlag ihrer Rechten die starke Metalltür und katapultierte sie mit einem harten Tritt in den Wartungsraum hinein, der… nicht leer war.
 

Caitlyns aufmerksamer, geübter Blick scannte sofort alles, was sich in dem Raum befand und das Gewehr angelegt, trat sie hinter Vi ein, die sich mit erhobenen Fäusten nach einem eventuellen Bewohner umsah.

Doch sie waren alleine… mit der Beute des Einbruchs. Kisten über Kisten voller Kunstgegenstände, Gemälde, Juwelen und Modellen der technischen Errungenschaften von Piltover.
 

„Das muss die Beute von mindestens drei Raubzügen sein“, meinte Caitlyn konzentriert, nachdem sie ein paar der vermissten Objekte erkannt hatte. „Er hat wohl einiges hier zwischengelagert.“

Nach ihnen beiden trat nun auch Ezreal ein: „Da hatte ich wohl den richtigen Riecher.“ Seine Stimme klang selbstsicher und ein klein wenig arrogant, doch Caitlyn konnte es ihm nicht verdenken. „Gute Arbeit“, meinte sie und klopfte ihm kurz auf die Schulter. „Würdest du mir den Gefallen tun und zum Museum zurückkehren und mir ein paar Männer herschicken?“ Ezreal blickte ein wenig enttäuscht drein, nickte dann jedoch: „In Ordnung.“ Und schon war er leichtfüßig wie immer verschwunden. „Ich halte Wache“, meinte Vi knapp und verschwand nach einem letzten, sehr langen, merkwürdig intensiven Blick auf Caitlyn aus dem Raum. Und diese… machte sich daran, die Beute zu katalogisieren.
 

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„Ich hab‘ keinen Bock auf die Scheiße“, fluchte Vi und trat gegen das hübsche Sofa, bevor sie sich mit trotzig vor der Brust verschränkten Armen darauf fallen ließ. Caitlyn trat auf die Türschwelle ihres Schlafzimmers und sah zu ihrer Partnerin hinüber, die es sich gerade unwillig in ihrem perfekt aufgeräumten, ordentlichen und beinahe sterilen Wohnzimmer bequem gemacht hatte. „Nun stellt dich bitte nicht so an“, meinte sie tadelnd und warf Vi einen strengen Blick zu.

„Warum muss ich da überhaupt mit? Ist doch Bullshit“, gab Vi zurück und musterte die schöne Aussicht, die man von Caitlyns Wohnzimmer durch das Panoramafenster auf die nächtliche Skyline Piltovers hatte. Es war beinahe erschrecken wie viel Caitlyns Wohngegend von ihrer eigenen unterschied.
 

„Weil du ebenso hart an dem Fall gearbeitet hast wie ich“, antwortete Caitlyn und verschwand wieder im Schlafzimmer, um sich weiter umzuziehen. „Also sei jetzt bitte so gut und zieh‘ dich um, damit wir bald aufbrechen können.“

Vi verzog eine trotzige Schnute und blickte weiterhin aus dem Fenster, ohne sich zu rühren: „‘N Scheiß werd‘ ich. Ezreal hat den Kram doch allein gemacht, warum muss ich mit auf die Feier. Da gehn‘ doch eh nur die ganzen scheißreichen Mistkerle hin, saufen Wein und finden sich großartig.“ Ein öffentlicher Anlass wie dieser war ihr unangenehm – sehr sogar. Da gehörte sie einfach nicht hin. Ein Empfang im Rathaus zu Ehren der Wache Piltovers, die die Beute von C geortet und wiederbeschafft hatte – und damit der Stadt einen großen Dienst erwiesen hatte. Vi löste kurz ihre Augen von dem Panorama und musterte den Anzug, den Caitlyn ihr besorgt hatte – schlicht und schwarz und ohne Krawatte – damit hätte sie sich sowieso nur an der Decke aufgehängt. Immerhin war es kein Kleid, aber… „Warum soll ich überhaupt den scheiß Anzug da tragen.“ In so etwas würde sie sich nur unwohl fühlen… Überhaupt würde sie sich den ganzen Abend unwohl fühlen. Wieso überhaupt da hingehen? Viel lieber würde sie sich eine Bar suchen und sich besinnungslos saufen, vielleicht eine Prügelei anfangen und sich dann heimschleppen, um auf dem Sofa einzupennen. Klang viel angenehmer als den ganzen Abend zu versuchen, sich irgendwelchen gesellschaftlichen Normen anzupassen, die sie nicht kannte und zu versuchen, sich an Etikette-Regeln zu halten, von denen sie nicht einmal wusste, wie sie lauteten.
 

„Vi, das ist ein Abend uns zu Ehren. Und es geht nicht nur um diesen Fall. Die Wache hat in den letzten Monaten gute Arbeit geleistet und daran bist du nicht unbeteiligt. Stelle doch bitte dein Licht nicht immer unter den Scheffel“, tönte es neutral und etwas gedämpft auf dem Schlafzimmer, während parallel Kleiderrascheln zu hören war.

„Ich will trotzdem nich hin“, antwortete Vi. „Interessiert mich nich. Ich mach‘ meinen Job und damit is‘ gut. Ich brauch sowas nich.“

Aus dem Schlafzimmer hörte Vi, wie Caitlyn sich die Haare kämmte – ein unverwechselbares Geräusch, das sie auch schon von der Wache kannte, wenn ihre Partnerin sich einen Pferdeschwanz machte. Ein vertrautes Geräusch.
 

Inzwischen war sie schon das eine oder andere Mal hier in Caitlyns Wohnung gewesen und fühlte sich nicht mehr ganz so unwohl wie am Anfang, obwohl die sterile Ordnung sie immer noch ein wenig irritierte. Die Dreizimmerwohnung war geschmackvoll eingerichtet und besaß die modernsten technischen Errungenschaften, die einem das Leben leicht und angenehm gestalteten – Vi war fast ein wenig neidisch darauf. War bestimmt toll, reich zu sein.

Als Vi von nebenan das Geräusch von hochhackigen Schuhen auf dem Parkettboden hörte, drehte sie ihren Kopf doch und sah, wie Caitlyn fertig zurechtgemacht aus dem Schlafzimmer trat – und erstarrte.

„Du bist meine Partnerin, Vi. Es wird erwartet, dass du dich bei derlei Anlässen zeigst.“ Doch Vi hörte gar nicht so recht, was ihre Partnerin überhaupt sagte, denn all ihre Konzentration lag darin, zu versuchen, nicht dreinzuschauen wie ein Vollidiot. Denn Caitlyn war atemberaubend.
 

Vi hatte gewusst, dass der Sheriff eine gute Figur hatte – immerhin war ihre Arbeitskleidung nicht gerade verhüllend – aber das hier war noch einmal ein ganz anderes Kaliber. Caitlyn trug ihre langen, braunen, glänzenden Haare zum Teil mit einer silbernen Spange hochgestellt und hatte ihr schönes Gesicht dezent, aber mit deutlicher Betonung ihrer Augen geschminkt. Ihre perfekte Figur war in ein blaues Kleid im Meerjungfrauenschnitt gehüllt, der ihre langen Beine exzellent zur Geltung brachte. Dazu trug sie ein schlichtes Silbercollier mit blauen Edelsteinen, passende Ohrringe und ihr Handgelenk wurde von einem Armband verziert. Ein fassungsloses „Wow“ glitt Vi über die Lippen, bevor sie sich auf eben jene beißen konnte.

„Und jetzt zieh dich bitte um“, forderte Caitlyn sie streng auf und schritt unter dem Klackern ihrer hochhackigen Schuhe hinüber zu der Anrichte in ihrer Küche, wo ihre Handtasche bereits gepackt war.
 

Vi folgte ihrer Partnerin mit den Augen, konnte den Blick nicht von den perfekten Rundungen von Caitlyns Hüfte nehmen, von dem tiefen Rückenausschnitt des Kleides, der ihre Schulterblätter zeigte. Wie gerne wäre sie aufgestanden, hätte Caitlyn von hinten umarmt und den zarten, zum Teil von den hochgesteckten Haaren entblößten Hals geküsst. Natürlich war ihr auch vorher schon bewusst gewesen, dass Caitlyn schön war – und eigentlich sogar genau ihr Typ, wenn man mal von der unterkühlten Persönlichkeit absah – aber sie hatten sich bisher nun einmal meistens bei der Arbeit gesehen und da waren ihr solche Gedanken selten gekommen. Aber Caitlyn jetzt hier so zu sehen, raubte Vi einfach den Atem und ihr Herz schlug ihr mit einem Male bis zum Hals.

„Was ist, hast du plötzlich deine Zunge verschluckt?“, fragte Caitlyn und blickte Vi über die Schulter mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen an – und einem merkwürdigen Funkeln in den Augen, das Vi von ihr bisher nicht kannte. Und mit einem Mal wurde ihr klar, dass Caitlyn genau wusste, wie sie auf sie wirkte. Und dass ihr das gefiel.
 

Vi wollte dazu ansetzen, etwas zu sagen, stellte fest, dass ihr die Stimme fehlte, schluckte, räusperte sich kurz und meinte dann: „Ich komm‘ nicht drumrum, oder?“

Caitlyn schüttelte dezent den Kopf: „Keine Chance. Und wenn ich dich in Handschellen zum Rathaus bringen muss.“

Auch eine anregende Vorstellung, das musste Vi zugeben, dann jedoch seufzte sie und erhob sich vom Sofa. „Also gut.“ Sie schnappte sich den Anzug, den Caitlyn ihr besorgt hatte und machte sich daran, sich umzuziehen, ungeniert mitten im Wohnzimmer natürlich.

Caitlyn drehte ihr höflich den Rücken zu und beschäftigte sich damit, noch einmal den Inhalt ihrer Handtasche durchzugehen und Vi war auch irgendwie ganz dankbar dafür, denn Caitlyns Vorderansicht war beinahe noch verführerischer als der Rücken.
 

Das Hemd machte ihr jedoch mehr Probleme als erwartet und sie kämpfte mit den Knöpfen. Heute war ein schlechter Tag – ihre Finger hatten sich schon beim Aufstehen recht taub angefühlt, was wohl am gestrigen Boxtraining lag – und es fiel ihr schwer, die kleinen Knöpfe in die dafür vorgesehenen Löcher zu friemeln. „Scheiße nochmal“, fluchte sie vor sich hin und verfluchte zum bestimmt tausendsten Mal die Taubheit ihrer Fingernerven. So konzentriert war sie, dass sie nicht hörte, wie Caitlyn zu ihr hinüberkam und neben sie trat. „Komm, lass mich das machen“, meinte sie beinahe schon überraschend sanft und ohne Vorwurf oder Ungeduld in der Stimme. Ein wenig schämte sich Vi dafür, dass ihr solche einfachen Dinge Probleme bereiteten, doch die Nähe zu Caitlyn und ihr Geruch – sie trug heute ein anderes Parfüm – stiegen ihr zu Kopf und betäubten ihren Widerstand. „‘N Ordnung“, brummte sie gefügig und ließ zu, dass Caitlyn sich ihr gegenüber hinstellte, ihr rasch die Knöpfe des Hemdes schloss und schließlich noch den Kragen richtete.

Vi‘s Blick blieb an Caitlyns schön geformten Lippen hängen, die gerade richtig geschminkt waren und sie widerstand nur schwer dem Drang, sich nach vorne zu beugen, Caitlyn in die Arme zu schließen und sie einfach zu küssen. Aber das wäre sicherlich nicht besonders gut für das Arbeitsklima gewesen – also ließ sie solche Dinge wohl besser.

Was war denn überhaupt mit ihr los? War sie so heillos untervögelt, dass sie ihre Partnerin bespringen wollte? Caitlyn, die unterkühlte, korrekte Ordnungsfanatikerin, die sie beinahe jeden Tag zur Weißglut brachte?!
 

„So“, meinte Caitlyn schließlich und betrachtete Vi von oben bis unten, den Blick ein wenig skeptisch, die Lippen geschürzt.

„Was is? Willste mir noch die Haare hochstecken?“ Vi feixte und war dankbar, dass es ihr endlich gelungen war, sich wieder ein wenig zu fangen und zusammenzureißen. Sie war doch keine 15 mehr.

„Das dürfte schwer werden“, antwortete Caitlyn neutral, zog dann allerdings eine klappbare Haarbürste aus der Handtasche und begann, Vi‘s Wuschelschopf ein wenig zu bearbeiten und in angemessenere Bahnen zu bekommen, den unrasierten Ponyteil zumindest, der nicht in Dreadlocks endete.

Über Vi‘s Körper zog sich eine Gänsehaut, die ihr irgendwie… unangenehm war und die sie verlegen machte. Das war das erste Mal, an das sie sich erinnern konnte, dass jemand sie gekämmt hatte – oder sich überhaupt auf eine solche Weise um sie gekümmert hatte. Zuerst wollte sie sich wehren, doch dann hielt sie einfach still.
 

„So, jetzt siehst du präsentabel aus“, meinte Caitlyn, nachdem sie einen Schritt zurückgetreten war und ihr Werk betrachtet hatte. Mit einem knappen Nicken fügte sie hinzu: „Ich hatte den richtigen Blick – der Anzug steht dir gut.“

„Warum haste mir eigentlich `nen Anzug und kein Kleid geholt? Werden bestimmt nich viele Frauen im Anzug da sein“, meinte Vi ein wenig schief grinsend.

„Weil ich dich sicherlich hätte K.O. schlagen müssen, um dich in ein Kleid hinein zu bekommen, habe ich Recht?“, gab Caitlyn leicht schmunzelnd zurück.

Vi‘s Grinsen wurde zu einem kurzen amüsierten Lachen: „Da haste Recht, Partner. Also los, dann zeig‘ ich den ganzen Bürokraten-Typen mal, wie man ´n Glas Wein auf Ex trinkt.“

„Ich denke, da kann ich dir noch das eine oder andere beibringen“, antwortete Caitlyn kokett lächelnd.
 

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„Soviel zu `was beibringen´“, fluchte Vi und schleifte die halb bewusstlose Caitlyn, die ihr kraftlos über der Schulter hing, Stufe um Stufe nach oben. Zwar war Caitlyn eigentlich nicht besonders schwer, aber auch für Vi war es ein langer Tag gewesen und – verflucht nochmal – warum wohnte Caitlyn nochmal im 16. Stockwerk?!

„‘sch hätte den letzten Drink… nich mehr...“, begann Caitlyn und brach dann jedoch ab.

„Und ob de den hättest stehen lassen sollen“, knurrte Vi und setzte Caitlyn erleichtert seufzend auf einer Stufe ab, um den Schlüssel, den sie ihrer Partnerin schon unten an der Haustür abgenommen hatte, ins Schloss zu friemeln und die Wohnungstür aufzusperren. Als sie sich umdrehte, war Caitlyns Kopf gegen die Wand gesunken. Selbst im betrunkenen Halbdelirium sah sie noch immer bezaubernd aus: ihr Makeup war ein wenig verwischt – sicherlich wegen des Helmes, den sie für die Motorradfahrt getragen hatte – ihre Hochsteckfrisur verwuschelt, sodass ihr ein paar lose Strähnen um die schönen Gesichtszüge spielten, und ihr Ausdruck war entspannt und – hemmungslos betrunken. Vi musste ein wenig schmunzeln.
 

Auf der Feier, die exakt genauso schlimm gewesen war wie Vi es erwartet hatte, waren jede Menge Leute ziemlich interessiert daran gewesen, Caitlyn für ihren Erfolg zu gratulieren (Vi dabei natürlich nur mit verachtenden Blicken zu traktieren) und ihr Weinglas darauf zu erheben – und Caitlyn hatte mit jedem einen Schluck getrunken, dazu hatte sie sich wohl verpflichtet gefühlt. Und als sie gegen Ende hin gemeinsam an der Bar gesessen hatten und sich ein wenig entspannter unterhalten hatte, hatte sich Caitlyn mit dem letzten Cocktail selbst den Rest gegeben. Sie hatte sich dann bei einem anderen Mitglied der Wache verabschiedet, Caitlyn geschultert und sich auf den Weg gemacht, sie sicher nach Hause zu bringen. Unter keinen Umständen hätte sie sie dort alleine zurückgelassen, auch wenn Caitlyn das verlangt hatte – immerhin war der offizielle Anlass noch nicht zu Ende und sie konnte doch als Hauptperson nicht einfach früher gehen. Ezreal hatte ihnen grinsend hinterher geblickt, das hatte Vi noch aus dem Augenwinkel gesehen, sich jedoch entschieden, den arroganten Kerl zu ignorieren.
 

„Wir sind da“, meinte sie nun, während sie versuchte, sich Caitlyns Arm wieder über die Schulter zu legen. Diese jedoch fuchtelte unkoordiniert mit ihren Gliedmaßen herum und nuschelte: „Trag… mich...“ Vi rollte gespielt mit den Augen, nahm Caitlyn dann jedoch im Prinzessinengriff auf den Arm, um sie die letzten Meter in ihre Wohnung zu bringen. Ihre sonst so strenge und perfekte Partnerin so zu sehen war… erfrischend und… irgendwie süß. Und zu sehen, wie sie ihr erschöpftes Gesicht mit geschlossenen Augen vertrauensvoll gegen Vi‘s Brust legte, war… schön. Vi rann ein kurzer, angenehmer Schauer über den Rücken und ihr Herz klopfte heftig, während sie die Tür mit dem Fuß schloss und Caitlyn wie eine aus der Not gerettete Jungfer – einen unbezahbaren Schatz - in ihr Schlafzimmer trug, wo sie sie auf ihr Bett legte und sich für einen Moment neben sie auf die Matratze setzte.
 

Caitlyn war definitiv nicht mehr fähig, sich selbst umzuziehen oder sich gar abzuschminken, also würde Vi selbstlos das Gröbste für sie übernehmen. Umsichtig zog sie Caitlyn die hochhackigen Schuhe von den Füßen, auf denen ihre Partnerin gegen Ende des Abends ohnehin nicht mehr hatte laufen können, und friemelte ihr die Handtasche unter dem Körper hervor, um beides zu einem Stuhl neben dem großen Kleiderschrank zu bringen. Es war das erste Mal, dass sie Caitlyns Schlafzimmer betreten hatte. Das große Bett – groß genug für zwei Personen, wirkte gemütlich und besaß neben ein paar Dekokissen (Wozu verdammt brauchte man denn sowas?!) noch eine Tagesdecke. Auf dem Boden lag ein weicher Teppich, an der Seite gab es einen großen Einbaukleiderschrank nebst Stuhl und großem Spiegel. Dann noch ein Schminktisch, auf dem Caitlyns Makeup ordentlich aufgereiht war – sogar perfekt ausgerichtet und nach Größe und Farbe sortiert. Kurz überkam Vi der Gedanke, ob Caitlyn schonmal jemanden mit in dieses Bett gebracht hatte. Bestimmt – ihre Partnerin war wunderschön und bekam sicherlich oft genug passende Angebote. Irgendwie fiel es Vi schwer, sich Caitlyn beim Sex vorzustellen und kurz musste sie leise lachen, als ihr das Bild von einer strengen Caitlyn, die tadelnd zu ihrem Sexpartner aufblickte und ihm mitteilte, dass er das nicht ordentlich machte, vor Augen kam.
 

„‘S machst du…?“, fragte Caitlyn in diesem Moment müde und Vi drehte sich zu ihr um, um sich dann im nächsten Moment wieder neben ihr hinzusetzen. „Komm, wir müssen dich irgendwie aus dem Kleid rauskriegen. Da kannste nich drin schlafen“, meinte sie auffordernd.

„Geht schon...“, meinte Caitlyn, rollte sich dann aber doch alles andere als elegant und dabei Laute ausstoßend, die alles andere als sexy waren, auf den Bauch, damit Vi den Reißverschluss des Kleides öffnen konnte. Als sie Caitlyn das Kleid abstreifte und ihre schöne Spitzenunterwäsche zum Vorschein kam – der trägerlose BH, das perfekt die Konturen umfassende Höschen, überkam Vi kurz das Bedürfnis, Caitlyns Betrunkenheit auszunutzen, sie zärtlich zu berühren und mit ihr zu schlafen, dann jedoch erinnerte sie sich daran, wer sie beide waren und dass sie – der Gedanke überraschte sie selbst – dafür zu viel Respekt vor Caitlyn hatte. Also suchte sie aus dem Kleiderschrank, der VOLL mit den verschiedensten modischen Kleidungsstücken war, ein Nachthemd heraus, zog es der willenlosen Caitlyn über den Kopf und verfrachtete sie mühevoll unter die Bettdecke.
 

„Ist schön… dass du heute dabei warst“, brummte Caitlyn, als sie schließlich im Bett lag und aus trunkenen, verschleierten Augen zu Vi hinauf blickte.

„Hatte doch keine Wahl“, antwortete diese und ließ sich nochmal auf dem Bett nieder. Scheinbar wollte Caitlyn noch etwas loswerden, denn ihre Hände spielten beinahe ein wenig nervös mit dem Saum der Bettdecke.

„Ich… hatte selbst keine Lust hinzugehen“, erwiderte Caitlyn fast ein wenig beschämt. „Ich mag… solche Anlässe auch nich… besonders.“
 

Diese Aussage überraschte Vi ungemein. Sie zog eine Augenbraue hoch und überlegte, ob Caitlyn sie da gerade verscheißerte. Aber Betrunkene waren eigentlich immer ehrlich. „Warum das?“

„Ich weiß nich...“, antwortet Caitlyn ausweichend und zuckte unkoordiniert mit den Achseln. „Mochte ich schon als kleines Mädchen nich… Man muss zu jedem nett sein und freundlich und immer darauf achten, was man sagt und wie man wirkt...“, meinte sie dann jedoch schließlich. „Ich bin nich‘ gut in Smalltalk. Ich sag Leuten lieber... klipp und klar und ehrlich meine Meinung...“ Es fiel ihr offensichtlich schwer, ihr übliches Level an Artikulation zu halten, doch sie gab sich sichtlich Mühe und ihre schwere Zunge stolperte hier und da über Worte, die ihr sonst neutral und geübt von den Lippen glitten. Vi fand es niedlich.
 

„Dann haben wir was gemeinsam“, antwortete sie grinsend. „Ich auch.“

Caitlyn erwiderte das Lächeln ein wenig schüchtern. „Ich weiß… Das mag ich auch so an dir.“

Vi spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg und war dankbar dafür, dass es hier im Zimmer doch nicht ganz so hell war. Hoffentlich bemerkte Caitlyn das nicht – und wenn doch hatte sie es hoffentlich bis morgen früh vergessen.

„Du… magst das an mir?“, fragte sie schließlich mit leiser Stimme.

Caitlyn nickte langsam, spürte dann wohl jedoch, dass ihr Nicken nicht gut bekam und schien kurz zu schwindeln. „Ja… Du bist ehrlich und sprichst wie dir der Schnabel gewachsen ist… Ich bin aufgewachsen unter Leuten, die… gesellschaftlich geachtet waren. Die immer auf das achten mussten, was sie sagten. Eigentlich war nie jemand wirklich ehrlich zu mir. Auch heute...“ Sie machte eine kurze Pause und blickte Vi ehrlich an. „Auch heute passt jeder auf, was er in meiner Gegenwart sagt. Ich bin Sheriff. Und ich bin eine Chapman. Aber dir… dir is‘ das egal. Für dich bin ich einfach… ich… weißt du? Klingt dumm, ich weiß...“
 

Verlegen strich sich Caitlyn ein paar Strähnen aus dem Gesicht und löste bei der Gelegenheit fahrig ihre Hochsteckfrisur, sodass ihr ihre glatten, ein wenig wuscheligen Haare auf die Schultern fielen.

„Das… klingt nicht dumm“, antwortete Vi fast ein wenig atemlos und erneut schlug ihr Herz ihr bis zum Hals. Sie hatte nicht erwartet, dass Caitlyn so über ihr Verhalten dachte. Im Gegenteil, eigentlich hätte sie eher erwartet, dass ihre Partnerin von ihrer dauernden Direktheit genervt war. Aber scheinbar… war dem nicht so.
 

Ohne dass sie es verhindern konnte, hob Vi ihre Hand uns streichelte Caitlyn zärtlich über die Wange. „Mich interessiert nicht dein Familienname… oder dein Status, Caitlyn.“ Ihre Stimme wurde leiser und sie fixierte ihre Partnerin mit einem intensiven Blick, den diese nur erwidern konnte: „Nur du...“

Vi spürte, wie Caitlyns Wange wärmer wurde, als ihr die Röte in die Wange schoss, als sie trotz Betrunkenheit begriff, was Vi‘s Worte bedeuteten. „...Lieb… von dir“, meinte sie schließlich verlegen.
 

Der Drang in Vi, Caitlyn zu küssen, wurde immer stärker und sie konnte sich nur noch mit körperlicher Gewalt davon abhalten, ihm nachzugehen. Also löste sie die Hand von ihrer Partnerin und machte Anstalten, aufzustehen. „Ich sollte langsam heim.“

„Du hast doch auch getrunken… du solltest… nicht fahren“, meinte Caitlyn vorwurfsvoll und blickte Vi streng an – nun wieder ganz die Alte. Oder war das doch nur eine Ausrede? Vi wollte es gerne glauben.

„Ich hab uns doch auch hierher gebracht. Ich kann ordentlich was wegstecken, so hacke bin ich nich“, antwortet Vi feixend und wollte sich erheben, als sie die Hand ihrer Partnerin an ihrem eigenen Handgelenk spürte.
 

„Geh nicht...“, flüsterte Caitlyn atemlos und sah Vi mit einem Blick an, der eine verwirrende Mischung aus Trunkenheit, Verlegenheit, Offenheit und… noch etwas anderem darstellte.

Vi schluckte. Mehrfach. Es wäre gerade so einfach, Caitlyns Situation auszunutzen und sich das zu nehmen, was sie so sehr wollte.
 

Aber es war nicht richtig.
 

Und verdammt nochmal, einmal im Leben wollte Vi das Richtige tun. Also streichelte sie Caitlyn kurz über die Hand, lächelte ihr zu und meinte: „Dann bleib ich hier. Aber ich schlaf auf der Couch. Und du haust dich jetzt besser hin, du siehst völlig fertig aus.“ Ihre Stimme war sanft und auch ihre Hand war sanft, als sie Caitlyns schwachen Griff löste.

Diese seufzte ein wenig unwillig, fügte sich aber dann ihrem Schicksal: „Ist gut...“
 

Caitlyn rutschte unter ihre Bettdecke und schloss die Augen, um zu schlafen. Lange würde es bestimmt nicht dauern, bis sie eingeschlafen war – und morgen würde sie sich sicherlich an nichts erinnern. Und vielleicht war das auch besser so, auch wenn es Vi bei dem Gedanken daran das Herz zusammenzog, als sie die Schlafzimmertür von außen schloss, sich eine der ordentlich zusammengefalteten kuscheligen Decken von Caitlyns Couch nahm und sich auf eben dieser langmachte.

Kapitel 7: Fehler

Kapitel 7: Fehler
 

„Aufwachen. Vi“, drang von weiter Ferne eine Stimme in ihr Bewusstsein vor. „Ich sagte aufwachen. Wir kommen zu spät zur Arbeit.“

Langsam und unwillig öffnete Vi ihre Augen und blinzelte in das langsam dämmernde Licht des Morgens, das Caitlyns Wohnzimmer durchflutete. Dann setzte sie sich leise murrend auf und blickte sich um, um schließlich ihre Partnerin in der Küche zu entdecken, die gerade Tee kochte, bereits angezogen und für die Arbeit bereit. War das dieselbe Caitlyn, die sich am gestrigen Abend sturzbetrunken von Vi hatte über die Schwelle tragen lassen? Man sah ihr nicht einmal einen Kater an, wenn Vi auch auffiel, dass sie vielleicht ein wenig mehr Makeup als sonst aufgetragen hatte.

Ob sich Caitlyn wohl an den gestrigen Abend erinnerte? Vi war nicht sicher, ob sie sich das wünschen sollte.
 

„Morg‘n“, knurrte Vi und streckte ihren Oberkörper, sodass ihre Schultern und ihre Wirbelsäule kurz knackten.

„Guten Morgen“, antwortete Caitlyn in ihrem üblichen kühlen Tonfall und goss das heiße Wasser in die Teetasse. „Möchtest du auch eine Tasse Tee?“, fragte sie höflich, blickte jedoch nicht zu Vi hinüber, was diese doch ein wenig wunderte. Normalerweise war Caitlyn ein Mensch, dem Blickkontakt bei Unterhaltungen wichtig war – war ja auch höflich.

„Ne. Ich hol mir nachher Kaffee“, antwortete Vi. „Müss‘n wir wirklich schon raus, Cupcake? Ich könnt‘ noch‘n paar Stunden Schlaf gebrauchen“, fügte sie nörgelnd hinzu.

„Wir müssen in einer Stunde auf der Wache sein“, antwortete Caitlyn streng. „Und wenn du noch duschen willst, dann solltest du langsam aufstehen. Wir haben heute viel zu tun, da wird dir leider keine Zeit für eine Trainingseinheit und eine Dusche im Trainingsraum bleiben.“
 

Vi stöhnte unwillig, erhob sich dann aber gehorsam. Sie trug noch immer den Anzug, den Caitlyn ihr gestern aufgezwungen hatte und er war natürlich völlig verknittert. Nun, sie störte sich nicht daran. Mit einer simplen Geste zog sie sich das Hemd über den Kopf und die Anzughose aus und ging dann in Unterwäsche hinüber zu der Theke der Küche, hinter der Caitlyn gerade einen Löffel Zucker in den Tee rührte. „‘N Handtuch kann ich mir nehmen?“, fragte sie ein wenig grinsend und versuchte sich zu erklären, warum Caitlyn sie noch immer nicht ansah.

„Natürlich, bedien dich. Die Handtücher sind im Fach unter dem Waschbecken“, antwortete ihre Partnerin höflich und beugte sich nach unten, um eine Schublade zu öffnen. Was suchte sie?
 

„Wie haste deinen Suff eigentlich weggesteckt, Cupcake? Haste nen Filmriss?“, fragte Vi grinsend und versuchte damit, Caitlyn dazu zu provozieren, sie endlich anzusehen – langsam begann es sie zu wurmen.

„Ich… hatte noch nie einen Filmriss“, antwortete Caitlyn mit einem kurzen Stocken in der Stimme, das ihr sonst definitiv fremd war. Also wusste sie noch all das Peinliche, was sie in stockbetrunkenem Zustand von sich gegeben hatte und… schämte sich jetzt dafür?

Vi grinste schelmisch. Die Gelegenheit würde sie nicht einfach so verstreichen lassen, dafür war sie zu gut. „Also… erinnerst du dich noch dran, dass du mir gesagt hast, dass du meine Direktheit magst?“, fragte sie vorwitzig und lehnte sich über die Theke.

Caitlyn beförderte eine Untertasse für ihre Teetasse aus der Schublade und drehte Vi dann den Rücken zu, um am Herd herumzufuhrwerken – damit sie sie nicht ansehen musste wahrscheinlich.

„Ich bitte dich, Vi. Wenn man betrunken ist, dann ist man eben nicht Herr seiner Worte und Gedanken. Das hat keine Bedeutung“, antwortete Caitlyn kühl und räumte ein wenig Geschirr in den Schrank.

Ohne es zu wollen, spürte Vi einen kleinen Stich in der Brust – dass Caitlyn es nicht abstritt, sondern einfach… entwertete, hatte sie nicht erwartet.

„Aber man ist ehrlicher“, antwortete sie trotzig und kniff ein wenig die Augen zusammen.

Doch Caitlyn ließ sich heute auf keine Diskussion ein: „Geh‘ bitte ins Bad, Vi. Wir haben nicht mehr viel Zeit, bis wir aufbrechen müssen.“
 

„Langweilerin“, seufzte Vi und schnappte sich den Haufen mit ihren Klamotten, die sie am Vortag angehabt hatte, bevor sie sich in Schale hatte schmeißen müssen, und verschwand mit diesem im Bad, ein wenig beleidigt. Wie hatte sie auch denken können, dass der gestrige Abend für ihre Freundschaft eine Art Durchbruch gewesen sein konnte? Das war ziemlich naiv von ihr gewesen und zeigte ihr nur wieder einmal, dass Caitlyn einfach aus einer anderen Welt kam. Das Bad, in dem sie jetzt landete, verdeutlichte diesen Eindruck nur noch. Marmorfliesen, Glas, spiegelnde Oberflächen und überall standen Fläschchen und Tiegelchen mit Duftölen, Parfüm, Badezusatz und ähnlichem Krimskrams herum, mit dem Vi nicht wirklich etwas anfangen konnte. Aber diese… riesige Badewanne… da würde sie sich bei Gelegenheit wirklich gerne mal reinlegen.

Für den Moment musste sie sich leider mit einer Dusche zufrieden geben, also zog sie ihre Unterwäsche aus und übergab ihren Körper dem warmen Strahl sauberen Wassers. Und sie bediente sich an Caitlyns Pflegeprodukten. Großzügig. Das hatte sie jetzt davon…
 

Nachdem sie aus der Dusche gestiegen war, sich grob abgetrocknet und angezogen hatte, spülte sie sich den Mund mit Zahnpasta aus – Caitlyns Zahnbürste wollte sie nun wirklich nicht benutzen – und wollte gerade das Badezimmer verlassen, als sie Stimmen aus dem Wohnzimmer hörte – zwei Frauenstimmen, von denen eine natürlich zu Caitlyn gehörte. Die andere kam ihr vage bekannt vor und nach ein paar Sätzen hatte sie sie zuordnen können – es war die Mutter ihrer Partnerin. Scheinbar unterhielten sich die beiden durch eines dieser neumodischen hextech-betriebenen Kommunikationsgeräte, bei dem Wort und Bild übertragen wurden.

Vi wollte nicht stören, doch auch hier im Bad konnte sie nicht umhin, das eine oder andere Wort der Unterhaltung aufzuschnappen, die für sie jedoch keinen wirklichen Sinn ergab.
 

„Caitlyn, mein Schatz, wo wir gerade bei dem Thema sind. Ich habe mit deinem Vater gesprochen...“

„Bitte, Mutter. Ich habe dir doch gesagt, dass das gerade kein guter Zeitpunkt dafür ist.“

„Ja, das hast du erwähnt. Ich habe dir die Umstände schon einmal erklärt. Du weißt, dass die Stiftung seit der Sprengung meines Instituts große Schwierigkeiten bekommen hat – und dein Vater und ich verlassen uns darauf, dass du deinen Teil beträgst.“

„Du hast doch sicherlich von C‘s Einbruch ins Museum für Stadtgeschichte gehört, nicht wahr, Mutter?“

„Selbstverständlich. Die Zeitungen sind voll davon. Du hast herausragende Arbeit geleistet.“

„Dennoch ist er noch auf freiem Fuße. Und noch sind die Spuren frisch – ich habe momentan einfach keine Zeit, noch etwas anderes neben der Arbeit zu machen, Mutter.“

Caitlyns Stimme klang kühl und… ausweichend. Sie klang nicht ehrlich, das konnte Vi trotz der Dämpfung durch die Tür hören. Außerdem war sowohl ihr als auch Caitlyn nur zu klar, dass es keine Spuren gab. Sie hatten Tage damit verbracht, zusammen mit Ezreal das Museum und die Kanalisation nach eventuellen Hinweisen zu untersuchen und nichts gefunden, daran würde sich auch in den kommenden Wochen nichts ändern. Caitlyn log.

„Nun, es hat auch noch eine oder zwei Wochen Zeit, bis Vater seine Entscheidung mitteilen muss. Er wird sicherlich noch mit dir persönlich sprechen wollen, auch um dir noch einmal selbst zu gratulieren. Aber du weißt, er ist mit dem Stadtrat einfach so furchtbar beschäftigt.“

„Natürlich, Mutter. Ich muss jetzt leider aufhören, die Arbeit wartet. Wir hören bald wieder voneinander.“

„Selbstverständlich. Und halte mich auf dem Laufenden, was die Nachforschungen nach demjenigen angeht, der mein Institut zerstört hat.“

„Das werde ich. Auf Wiedersehen.“
 

Mit diesen Worten trennte Caitlyn hörbar die Verbindung und Vi glaubte, sie kurz seufzen zu hören. Worum war es da gegangen? Vi hatte nicht genug gehört, um die Zusammenhänge zu verstehen, doch es handelte sich wohl um etwas, über das Caitlyn nicht mit ihren Eltern reden wollte.

Vi wartete noch ein paar Momente, dann verließ sie das Badezimmer und sah Caitlyn mit dem Rücken zu ihr vor dem Panoramafenster stehen, auf die Dächer von Piltover schauend.

„Bin fertig, Cupcake. Wir können los“, meinte sie. Vielleicht würde sie ihre Partnerin bei Gelegenheit mal darauf ansprechen.
 

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„Marshall und Barkins sichern das hintere Gartentor. Everett, Sie nehmen Paulsen und Silva und sorgen dafür, dass der komplette Keller mit Tränengas ausgeräuchert wird, dann zieht Sie sich zur Auffahrt zurück und versperren diese.“

Caitlyns kühle, kontrollierte Stimme hallte durch den stickigen, ein wenig zu dunklen Besprechungsraum, in dem sich ungemütlich viele Menschen aufhielten, und deutete auf einige von ihr gezeichneten Orientierungspunkte auf der Grundrisskarte eines Mehrfamilienwohnhauses.

„Wir gehen nicht rein. Ich wiederhole, wir begeben uns nicht auf ihr Terrain. Wir räuchern sie aus, bis sie nicht anders können, als zu uns herauszukommen. Dann werden wir zugreifen. Vi, du wirst hier drüben warten und ihnen den Weg abschneiden, falls sie durch die Tiefgarage hinauswollen. Ich positioniere mich auf dem Gebäude nebenan und gebe euch Rückendeckung.“
 

Sie blickte sich streng im Kreis ihrer Kollegen um und fokussierte jeden ihrer Mitarbeiter. Mit den meisten arbeitete sie schon mehrere Jahre zusammen und für gewöhnlich arbeiteten sie verlässlich und korrekt. Doch Vi machte ihr Sorgen. Seit ein paar Tagen – eigentlich seit der Feier zu Ehren ihres Funds von C‘s Beute – verhielt sie sich merkwürdig rebellisch und desinteressiert. Hoffentlich würde sie sich heute zusammenreißen. Caitlyn musterte ihre Partnerin genau. Sie stand an die Wand gelehnt, trug bereits ihre Rüstung und ihre Handschuhe, kaute gelangweilt auf einer nicht angezündeten Zigarette herum – Caitlyn hatte ihr verboten, in dem viel zu engen Raum zu rauchen – und schien nicht unbedingt zuzuhören.
 

„Vi, wo hast du zu warten?“, fragte sie also streng und ein klein wenig genervt.

„Tiefgarage“, knurrte diese und schob mit den Lippen die Zigarette in den anderen Mundwinkel. Was auch immer Vi so die Lauen verdorben hatte, es musste bis später warten – der Einsatz war lange geplant und die Drogenküche im Keller des Mehrfamilienhauses, die sie ausfindig gemacht hatten, konnte jederzeit an einen anderen Ort verlegt werden.

„Gut. Dann ist der Plan klar. Aufbruch.
 

Nicht einmal eine halbe Stunde später waren sie vor Ort und bezogen so unauffällig wie möglich ihre Posten. Vi beobachtete aus dem Augenwinkel wie Caitlyn letzte Befehle gab und sich dann mit ihrem Funkgerät in das Hochhaus nebenan zurückzog, um sich dort mit ihrem Scharfschützengewehr auf dem Dach zu positionieren und von oben den Einsatz zu koordinieren.

Mit einer missmutigen Geste warf Vi ihren Zigarettenstummel zu Boden und trat ihn grob aus, bevor sie sich mit ein paar kurzen Hüpfern auf der Stelle ein wenig aufwärmte. Es ging los.

Der letzte Einsatz, der eventuell kämpferische Aktionen beinhaltet hatte, war schon ein paar Tage her und Vi dürstete es nach Adrenalin und körperlicher Erschöpfung.

Seit der Übernachtung bei Caitlyn hatte sie sich nicht mehr richtig wohl gefühlt – irgendetwas war anders und das gefiel ihr nicht. Etwas an ihrer Beziehung zu Caitlyn hatte sich geändert, ohne dass sie es rückgängig machen konnte und das ging ihr gewaltig auf die Nerven – außerdem war sie noch immer ein wenig beleidigt darüber, dass ihre Partnerin all die netten Worte, die sie ihr gesagt hatte, einfach so als unwichtig abgetan hatte. Sie wusste, dass das kindisch war, aber dennoch konnte sie nicht anders.
 

Auf Caitlyns Anweisung hin bezog sie Position hinter einer Mauer bei einem großen Müllcontainer und… wartete. Wie so oft beinhaltete Caitlyns Plan diesmal wohl wieder stundenlanges Warten auf den richtigen Zeitpunkt. Vi stöhnte innerlich und sehnte sich danach, noch eine Zigarette rauchen zu können, das hätte immerhin ein wenig gegen ihre Anspannung geholfen.

Über den Funk verfolgte sie, dass Everett das Tränengas durch die Fenster in den Kellerräumen freigesetzt hatte.

„Warten und überwachen“, wies Caitlyn an. „Sie sind dort.“

Warten. Immer warten. Vi scharrte mit der Ferse in der Erde neben der Mülltonne und trat dann unruhig von einem Fuß auf den anderen. Da passierte einfach nichts.

„Es tut sich nichts“, hörte sie Marshall mit seiner typischen, angespannten, kratzigen Stimme durch das Funkgerät melden und auch Everett bestätigte: „Alles ruhig.“
 

Minuten vergingen, die sich für Vi zogen wie Jahrzehnte. Sie beobachtete einen Vogel auf einem Baum im Garten, der ein paar Zweige für ein Nest zusammensuchte und als er davonflog, riss ihr der Geduldsfaden. „Ich geh rein“, knurrte sie ins Funkgerät, zog Atemmaske und Schutzbrille herunter und setzte zu einem Sprint an.

„Halt“, hörte sie noch Caitlyns warnend zischende Stimme, doch sie hatte genug vom Warten. Sie stürmte die Kellertreppe hinunter, holte weit aus, ignorierte die schwere Feuerschutztür, und zertrümmerte stattdessen die Backsteinwand nebendran mit einem einzigen Schlag ihrer wuchtigen Hextechhandschuhe und sprang durch die so entstandene Öffnung. Aufgrund des noch in der Luft hängenden Tränengases und des von ihr soeben aufgewirbelten Schutts konnte sie kaum etwas sehen, doch sie hatte noch grob den Bauplan des Kellers im Kopf, also blieb sie nicht lange stehen, sondern machte sich auf den Weg zu der Stelle, an der sie das Labor vermutet hatten.
 

Als sie die Tür zum Raum gewaltsam öffnete, erkannte sie sofort, warum niemand das Gebäude verlassen hatte. Drei von den in dem laienhaft zusammengestellten Labor befindlichen Männern trugen Gasmasken und einen weiteren hatten sie wohl K.O. geschlagen, damit er sie nicht verriet. Per Knopfdruck im Handschuh aktivierte Vi die Hextechventile, die die Wucht ihrer Schläge maschinell noch weiter verstärkten und hechtete im Sprint auf einen der Kerle zu, dem es selbstverständlich nicht gelang, ihr auszuweichen. Sie riss ihn mit sich und schlug ihn mit dem Kopf gegen die Wand, sodass er ohnmächtig zusammensank. Das Adrenalin pumpte durch ihre Adern und zum ersten Mal seit Tagen fühlte sie sich wieder wirklich gut. Ein triumphierendes Lachen ausstoßend, wirbelte sie auf dem Fuß herum, um sich den restlichen Männern zu widmen, während sie gedämpft und nur ganz am Rande ihres Kampfrausches ein hektisches „Zugriff. Zugriff!“ seitens Caitlyn aus dem Funkgerät hören konnte.
 

In einem kämpferischen Tanz, anmutiger als man ihr es in ihrer klobigen Rüstung vermutlich zugetraut hätte, rammte Vi einem der anderen Kerle ihre Faust in die Magengrube, während der dritte aus seiner Schockstarre erwachte und sie in einen Kugelhagel aus seinem Maschinengewehr eindeckte. Vi riss eine Faust nach oben und blockte den Großteil der Salve mit dem widerstandsfähigen Metall ihres Handschuhes, spürte jedoch, wie eine Kugel ihren Oberkörper streifte und wohl trotz Rüstung eine heftige Prellung hinterlassen würde. In einer einzigen raschen Bewegung wirbelte sie herum und traf den Kerl so heftig mit der Faust, dass er mit voller Wucht gegen einen der Labortische krachte, über diesen hinüberschlitterte, dabei sämtliche Gerätschaften mit sich riss und in einem Regen von Glassplittern zu Boden sank. Vi atmete rasch. Sie hatte es geschafft. Ganz alleine.
 

Kurz genoss sie die Euphorie, die durch ihre Adern pumpte, dann hörte sie von draußen etwas, das ihrer Begeisterung eine sofortige Dämpfung verpasste. „Sheriff. Die Tiefgarage!“ Everett erstattete hektisch Meldung, schwer atmend und gedämpft durch die Gasmaske.

„VI!“, hallte Caitlyns Stimme herrisch und wütend durch das Funkgerät und Vi wirbelte auf dem Fuße herum, um den Flüchtigen, die sich wohl in einem anderen Raum aufgehalten hatten, hinterher zu sprinten.
 

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Mit einem resignierten Seufzen trat Vi aus der Dusche und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare, strich sich die nassen Strähnen aus dem Gesicht und trocknete sich grob mit einem Handtuch ab. Nach einem Einsatz, bei dem Tränengas zum Einsatz gekommen war, war es Pflicht für jedes Mitglied der Wache, gründlich zu duschen, um möglichst nichts von der Substanz in den Haaren oder auf der Haut zurückzubehalten. Und Vi war dankbar dafür gewesen – das war immerhin eine viertel Stunde, die sie alleine zubringen konnte, um den Einsatz Revue passieren lassen zu können. Nach ihrem Vorstoß in den Keller war alles schiefgegangen, was nur hatte schiefgehen können. Vier Mitglieder der Drogenbande, die sich in einem anderen Teil des Kellers aufgehalten hatten, hatten versucht, durch die Tiefgarage zu entkommen, die Vi eigentlich hatte bewachen sollen, hatten dabei Silva schwer angeschossen und drei von ihnen waren über die Mauer geklettert und durch die umliegenden Gassen geflohen, nachdem Caitlyn einen von ihnen noch durch einen Schuss ins Knie lahmgelegt hatte. Die Tiefgarage war an der Rückseite des Hauses gewesen – auf der anderen Seite des Gebäudes, außerhalb von Caitlyns Sichtfeld. Darum hatte sie wohl auch Vi dort positioniert… weil sie ihr vertraute.
 

Vi grollte und rammte ihre nackte Faust gegen die Fliesen des Duschraumes – nicht fest genug, um sich selbst zu verletzen oder die Fliesen zu zerbrechen, aber fest genug, um einen zuckenden Schmerzen den Arm hinaufwandern zu spüren.

Caitlyn hatte ihr vertraut und ihr eine simple, aber wichtige Aufgabe gegeben. Und sie hatte sie enttäuscht. Sie hatte es vermasselt. Jetzt würden die restlichen Mitglieder der Bande untertauchen, sich vielleicht sogar nach Zaun absetzen und sich neu organisieren. Und wieder von vorne anfangen. Und sie hatten nichts gewonnen – Monatelange Ermittlungen, an denen viele Mitglieder der Wache beteiligt gewesen waren für nichts. Nur wegen ihr.
 

Die Rückfahrt hatte sie alleine mit ihrem Motorrad vorgenommen. Caitlyn war zurückgeblieben, um das Sichern des Tatortes zu überwachen. Es kam normalerweise selten vor, dass sie sich auf diese Weise trennten, aber sie hatte ihrer Partnerin nicht in die Augen sehen können. Und als sie aus dem Augenwinkel Caitlyns Gesicht gemustert hatte, hatte die kalte Wut darin sie ein wenig entsetzt.

Vi trat aus dem Duschraum hinaus in die Umkleide und trat zu ihrem Spind, um sich eine frische Uniform herauszuholen, wog sie kurz in der Hand und entschied sich dann dagegen. Sie hängte sie wieder auf und zog sich ihre Privatkleidung an, ein Muskelshirt und eine Jeans. Sorgsam packte sie ihre Handschuhe in ihren alten Seesack, nahm ihre Marke und begab sich nach oben in Caitlyns Büro, das sie sich noch immer mit ihr teilte. Sie stand eine gefühlte Ewigkeit vor dem Schreibtisch, den Caitlyn vorhin erst aufgeräumt hatte, nachdem die Unordnung, die Vi veranstaltet hatte, sie mal wieder zur Weißglut getrieben hatte. Dann legte sie ihre Marke darauf und wollte sich umdrehen, um zu gehen, als sie eine bekannte Stimme hinter sich hörte.

„Was glaubst du, was du da tust?“ Caitlyns Tonfall war kalt und streng, allerdings auch vorwurfsvoll.
 

„Ich lass meine Marke da. Das Ganze war ne Schnapsidee. Ich hau ab“, antwortete Vi knapp und wollte an Caitlyn vorbeigehen, ohne sie anzusehen. Diese jedoch hob den Arm, um sie aufzuhalten und Vi blieb unwillig stehen.

„Du hast heute gegen meine Anordnungen verstoßen, den Plan missachtet und dabei drei der Zielpersonen entkommen lassen“, sprach Caitlyn ruhig und sachlich. Es war eine Feststellung. Auch ein Vorwurf? Vi konnte es nicht ganz aus ihrem Tonfall herauslesen.

„Jau“, antwortete sie so lässig sie konnte und trat ein paar Schritte zurück, um sich auf die Kante des Schreibtisches zu setzen. Um etwas zu tun zu haben, griff sie in die Tasche, holte sich eine Zigarette heraus und zündete sie an. Es beruhigte sie, etwas zwischen den Lippen zu haben, das sie ablenkte.
 

„Du hast einen Fehler gemacht. Und jetzt willst du alles hinwerfen?“, fragte Caitlyn und langsam kehrte ein Hauch von Gefühlen in ihre Stimme zurück… so wie es Vi eigentlich bis vor ein paar Tagen von ihr gewohnt gewesen war. Überrascht sah sie auf und begegnete Caitlyns Blick, der direkt auf sie gerichtet war. Er war nicht halb so hasserfüllt wie Vi erwartet hatte.

„Ich dacht‘ mir, bevor ihr mich eh rauswerft, geht‘s schneller, wenn ich einfach geh“, antwortete Vi achselzuckend.

Caitlyn schüttelte leicht den Kopf, trat vollends in das Büro ein und schloss die Tür hinter sich. Dann kam sie zu Vi herüber und setzte sich neben sie auf die Schreibtischplatte. „Ich werfe dich doch nicht heraus, weil du einen Fehler machst, Vi. Auch wenn ich mich sehr darüber geärgert habe.“

Nun klang ihre Stimme beinahe sanft… Wie ungewohnt. Vi blinzelte und blickte zur Seite und Caitlyn erwiderte ihren Blick. In diesem Moment wurde ihnen wohl beiden bewusst, dass sie recht nah beieinander saßen, doch keiner änderte das, im Gegenteil; nur einen Augenblick später legte Caitlyn eine Hand auf Vi‘s Oberschenkel. „Ich will keinen anderen Partner, Vi. Wir müssen nur lernen, besser zusammenzuarbeiten.“
 

Vi spürte einen Kloß in ihrer Kehle und konnte nur nicken. „Scheint so“, brachte sie schließlich heraus, bevor sie sich von Caitlyn löste, aufstand und ihre Marke wieder vom Schreibtisch nahm, um sie dann in ihrer Hosentasche zu versenken. „Dann verpiss ich mich mal besser heim. Bevor du mich noch zum Berichtschreiben verdonnerst“, meinte sie mit einem schiefen Grinsen.

Ein kleines Lächeln breitete sich auf Caitlyns Lippen aus: „So leicht kommst du mir nicht davon. Du wirst mir wenigstens dabei assistieren. Immerhin muss ich auch deine Sicht der Dinge schildern – du hast den Zugriff ja quasi alleine durchgeführt.“

Vi seufzte und rollte mit den Augen, bevor sie sich in ihren Stuhl fallen ließ. „Mir bleibt auch nix erspart.“
 

Caitlyn erhob sich vom Schreibtisch und ließ sich elegant auf ihrem eigenen Stuhl nieder. „Strafe muss sein.“ Sie schwieg für einen Moment und blickte Vi dann ernst an. „Aber versuch bitte zukünftig, dich nicht gegen jede meiner Anweisungen zu stellen, in Ordnung?“

Vi zog lange an ihrer Zigarette, blies den Rauch durch die Nase aus und seufzte, bevor sie antwortete: „Versprechen kann ich nix. Aber ich versuch‘s.“

„Damit gebe ich mich für den Moment zufrieden.“ Caitlyn lächelte wieder leicht und machte sich dann daran, den Bericht zu schreiben.

Kapitel 8: Unvermeidliches

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Kapitel 8: Unvermeidliches (Zensiert)

Kapitel 7: Unvermeidliches
 

„Das ist nicht deine Entscheidung, Caitlyn“, tönte die feste Stimme ihres Vaters und es fiel ihr sehr schwer, seinen kalten, distanzierten Blick zu erwidern. Dennoch tat sie es.

Caitlyn nippte an ihrer Tasse Tee und sah von ihrem Vater zu ihrer Mutter, die ihr beide gegenüber am Tisch im Besprechungsraum der Wache gegenübersaßen. Der Raum war nicht besonders komfortabel eingerichet und beide ihrer Elternteile waren Besseres gewohnt – was man ihnen ansah. Caitlyns Mutter, Elisa Chapman zupfte kurz an dem Jäckchen, das sie über ihrem schönen Kleid trug – heute war wohl kein Arbeitstag, sonst hätte sie Laborkleidung getragen – und blickte ihren Mann an, machte jedoch keine Anstalten, sich in das Gespräch zwischen Caitlyn und ihm einzumischen.

Caitlyn hasste sie dafür.
 

Roderick Chapman fixierte seine Tochter weiterhin streng. „Deine Mutter hat bereits mit dir über die Einzelheiten gesprochen?“

„Ja, das hat sie“, antwortete Caitlyn so ruhig sie konnte. Innerlich wünschte sie sich gerade nichts sehnlicher als aus diesem Raum zu verschwinden. Es war kurz vor Feierabend und sie hatte es nur ihren üblichen Überstunden zu verdanken, dass ihre Eltern sie hier noch erwischt hatten, bevor sie sich auf den Weg nach Hause gemacht hätte.

„Dann sollte es ja deinerseits keine Fragen mehr geben“, fuhr Mr. Chapman kühl fort. „Dann werde ich alles Weitere in die Wege leiten.“
 

„Hat Mutter dir auch erzählt, dass ich einige frische Spuren von C gefunden habe, denen ich nachgehen will? Bis diese Sache erledigt ist, möchte ich mich vollends auf die Arbeit konzentrieren, Vater.“ Es war nur eine Ausrede. Sie hatte nichts in der Hand – gar nichts, aber ihr fiel nichts anderes ein, wie sie ihrem Vater wenigstens noch ein paar Wochen oder Monate Gnadenfrist aus den Rippen leiern konnte. Leider würde sie nicht wirklich verhindern können, dass er seinen Willen durchsetzte – so war es nun mal. Aber noch war sie nicht bereit dazu.
 

„Du findest jedes Mal eine andere Ausrede, Caitlyn. Du weißt, dass ich stolz auf dich und deine Arbeit bin und dich in jeder Hinsicht unterstütze, aber es wird auch noch anderes von dir erwartet. Du hast auch familiäre Verpflichtungen, die du – wenn ich das betonen darf – in den letzten Jahren sehr vernachlässigt hast.“ Seine Stimme duldete keinen Widerspruch und dennoch… Es geschah selten, dass Caitlyn sich gegen ihren Vater auflehnte, doch gerade musste es sein.

„Ich sagte es bereits, Vater. Gib mir noch ein paar Wochen, bis ich diesen Fall abgeschlossen habe.“

Sie erwiderte seinen Blick fest und versuchte, dem Drang ihm zu gehorchen nicht nachzugeben. Sie war immer eine gute Tochter gewesen, eine gehorsame Tochter, eine folgsame Tochter. Die Situationen, in denen sie ihrem Vater widersprochen hatte, konnte sie an einer Hand abzählen. Eine davon war ihre Berufswahl gewesen.

„Du hast mir nicht zu widersprechen, Caitlyn!“, wurde Mr. Chapman nun etwas lauter. „Du bist meine Tochter und...“
 

In diesem Moment wurde das Gespräch abrupt von einem Klopfen an der Tür unterbrochen.

„Entschuldigt mich kurz“, sagte Caitlyn und mit einem unhörbaren Seufzen der Erleichterung erhob sie ihre Stimme: „Ja, bitte?“

Die Tür öffnete sich und Vi trat mit vom Training wuscheligen Haaren und in Uniform in das Besprechungszimmer. „Jo, Cupcake. Will nich stören, aber die Arbeit ruft. Kam grad was rein.“ Sie nickte in Richtung ihres Büros.“

Caitlyn nickte: „Natürlich.“ Dann wandte sie sich ihren Eltern zu: „Ich werde gebraucht. Entschuldigt bitte, dass ich euch nicht zur Tür bringe.“ Mit diesen Worten erhob sie sich, ohne weitere Widerworte zuzulassen und verließ mit Vi gemeinsam den Besprechungsraum und folgte ihr in Richtung ihres gemeinsamen Büros: „Was ist passiert?“ Um diese Uhrzeit kamen für gewöhnlich nur Notfälle herein und dann hieß es, schnell zu handeln.

Vi jedoch grinste: „Nix. Wollte dich nur da rausboxen. Bin am Zimmer vorbeigekommen und du klangst, als hätteste keinen Bock mehr auf deine Eltern. Also dacht ich, ich spiel‘ die Heldin und rette dich.“ Sie zwinkerte schalkhaft und Caitlyn konnte nicht anders als kurz zu lachen: „Wirklich sehr heroisch von dir.“
 

Innerlich war sie mehr als nur ein wenig dankbar für Vi‘s Tat. Sie wusste nicht, wie lange ihre Eltern sonst noch geblieben wären, um sie zu bearbeiten und weich zu klopfen… Und sie mit etwas zu konfrontieren, das sie momentan lieber verdrängte.

„Stets zu Diensten“, gab Vi zurück und verbeugte sich spielerisch vor Caitlyn. „Aber wir sollten uns hier verpissen. Sonst fliegt die Deckung auf. Wie wär‘s mit ner Spritztour?“

Einen Moment lang ging Caitlyn die Optionen durch und nickte dann: „Eigentlich haben wir ja ohnehin Feierabend. Ja, lass uns gehen. Ich hole nur noch meine Sachen.“
 

Wenige Minuten später schwang Caitlyn das Bein über die Sitzfläche des Motorrades und nahm hinter Vi Platz, rutschte in eine bequeme Haltung und schlang die Arme um die Taille ihrer Partnerin. Diese startete den Motor und ließ das Motorrad vom Gelände der Wache und auf die Straßen rollen, wo sie langsam Tempo aufnahm. Wohin Vi fahren wollte, wusste sie nicht und es war ihr auch egal. Anfangs hatte Caitlyn sich bei Vi‘s Fahrstil Sorgen gemacht, so rabiat und rasant wie er war, doch inzwischen vertraute sie ihr voll und ganz. Sie lehnte ihren Oberkörper nach vorne, schmiegte sich eng an Vi und legte die Wange an ihren Rücken. Mit geschlossenen Augen genoss sie die Wärme der anderen Frau, den Wind in den Haaren und auf der Haut und die nächtlichen Geräusche von Piltover, dessen Lichter sie hinter ihren Augenlidern flackern sehen konnte.

Wie lange sie ziellos durch die Gegend fuhren, konnte Caitlyn nicht sagen. Wenige Minuten, vielleicht eine Stunde? Doch sie spürte, wie langsam aber sicher die Anspannung des Gespräches und der letzten Tage und Wochen von ihr abfiel und sie sich zum ersten Mal seit Ewigkeiten wirklich wohl fühlte. Aufgehoben. Geborgen. Sicher.
 

Schließlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, hielt Vi schließlich an und stellte die Füße auf den Boden, um das Motorrad aufrecht zu halten. „Wir sind da...“, meinte sie mit warmer Stimme, die beinahe ein wenig belegt klang.

Caitlyn öffnete die Augen und stellte fest, dass sie vor Caitlyns Apartmenthaus standen. Vi hatte sie wohl über einige Umwege nach Hause gebracht.

Zu ihrer eigenen Überraschung gefiel Caitlyn allerdings der Gedanke an ihre Wohnung überhaupt nicht. Zwar mochte sie sie eigentlich – immerhin war sie geschmackvoll eingerichtet und eigentlich auch recht gemütlich – aber gerade… wollte sie nicht alleine sein. Und sie wollte nicht Zuhause sein. Zu präsent war der Gedanke an ihre Eltern und die Möglichkeit, dass sie sie morgen früh wieder kontaktieren oder gar besuchen würden.
 

Vi blickte über die Schulter, als Caitlyn nicht abstieg. „Stimmt was nich, Cupcake?“, fragte sie ruhig. Eine Stimmlage, die man sonst von Vi nicht wirklich kannte. Ernst und beinahe… besorgt.

„Nein, alles in Ordnung“, antwortete Caitlyn und machte eine lange Pause, bis sie sich schließlich überwinden konnte, fortzufahren: „Aber kann ich vielleicht heute bei dir übernachten?“

Vi stellte keine Fragen. Sie nickte knapp, startete den Motor wieder und fuhr diesmal auf direktem Weg zu sich nach Hause, wo sie das Motorrad abstellte, sicherte und dann vor Caitlyn die Treppen des heruntergekommenen Treppenhauses nach oben hinaufstieg, die zerkratzte Wohnungstür öffnete und sie einließ. „Komm rein. Is‘ nich ordentlich, aber hab nich erwartet, dass jemand kommt.“ Sie kratzte sich ein wenig verlegen am Kopf, doch Caitlyn lächelte nur leicht: „Das macht nichts. Ich bin schlimmere Unordnung von dir gewohnt.“
 

Sie blickte sich kurz um. Seit ihrem letzten Besuch hatte sich nicht viel verändert, die durchgelegene Couch, die alte Kommode, der Ofen, das schmutzige Fenster. Um viel Unordnung zu veranstalten, besaß Vi zu wenige Sachen, doch ihre Kleidung lag wüst übereinandergeworfen über und neben der Couch und einige nicht zusammenpassende, benutzte Teller samt Besteck lagen davor. Scheinbar war ihr kürzlich etwas Öl ausgelaufen, das den Holzboden gefärbt hatte, und bei dem sie sich nicht die Mühe gemacht hatte, es zu säubern. Immerhin hatte sie wohl gerade erst ihre Mechanik und Einzelteile sortiert, denn diese befanden sich nicht mehr in einem großen unübersichtlichen Haufen, sondern in kleineren Häufchen.

Während Caitlyn die Tür hinter ihnen schloss, schob Vi kurzerhand die schmutzigen Kleidungsstücke von der Couch. „Ich glaub, man kann die ausziehen“, meinte sie nachdenklich und begann, an dem alten Möbelstück herumzufuhrwerken, was ihre Bemühungen mit dem Knirschen von rostigen Federn quittierte.
 

Caitlyn stellte ihre Tasche in eine leere Ecke und beobachtete ihre Partnerin, die vor Konzentration die Zunge zwischen die Lippen schob wie ein Kleinkind, während sie hier und da zog und schob.

Schließlich stieß Vi ein triumphierendes „Ha“ aus und klappte die Couch unter gefährlichem Quietschen und Knarren aus, wobei sie eine riesige Staubwolke freisetzte, die sie selbst zum Husten brachte. Caitlyn musste leise lachen und trat zu ihr. „Danke“, sagte sie schlicht.

Vi stockte kurz und sah sie mit einem merkwürdigen Blick an, den Caitlyn noch nie bei ihr gesehen hatte. Gefühlvoll, intensiv und irgendwie… sehnsüchtig?

Bevor sie noch etwas tun konnte, hatte Vi die Distanz zwischen ihnen überbrückt und sie in ihre starken Arme geschlossen. Caitlyn, zuerst völlig überrumpelt von einer derart intimen Geste, die so ganz anders war als alles was sie bislang geteilt hatten, wenn sie auch beim Motorradfahren immer die Arme um Vi‘s Taille legte, hielt still und atmete Vi‘s Geruch ein. Motoröl, Zigaretten, Schweiß und… Vi. Nichts davon hätte sie noch vor ein paar Monaten als angenehm bezeichnet, doch gerade störte es sie nicht im Geringsten. Nach anfänglichem Zögern hob sie ebenfalls die Arme, legte sie an Vi‘s Rücken und erwiderte die Umarmung.
 

„Is schon in Ordnung“, meinte Vi leise und Caitlyn rann ein Schauer über den Rücken, als sie die Stimme ihrer Partnerin so nah an ihrem Ohr hörte und ihren Atem auf ihrer Haut spürte.

Dann lockerte Vi die Umarmung wieder und löste sie schließlich. Beinahe war Caitlyn enttäuscht, doch dann riss sie sich zusammen und räusperte sich leise.

Vi blickte sich um: „Irgendwo hatte ich doch noch ne zweite Decke...“ Sie fuhr sich nachdenklich über die rasierte Seite ihres Kopfes und wühlte schließlich aus den Untiefen der Kleiderhaufen noch eine zweite Decke, die sie nun zum Bettlaken umfunktionierte, auf der ausgeklappten Couch ausbreitete und grob in den Ecken feststeckte. „Mehr kann ich dir nich bieten“, meinte sie schließlich achselzuckend und beinahe ein wenig verlegen. „Mit deiner Wohnung kann ich nich mithalten, fürchte ich“

„Keine Sorge“, antwortete Caitlyn leicht lächelnd. „Für heute ist es genau das Richtige.“

Vi‘s Miene hellte sich auf und sie grinste wieder: „Dann is ja gut.“
 

Caitlyn ließ sich am Rand der Liegefläche nieder und zog ihre Schuhe aus. Wie sie feststellen musste, war sie schon recht müde. Zwar hatten sie beide nicht wirklich etwas zu Abend gegessen, doch das Gespräch von vorhin hatte ihr gehörig den Appetit verdorben.

„Willste direkt pennen?“, fragte Vi. „Ich kann‘s Licht ausmachen.“ Caitlyn nickte: „Ja. Es war ein langer Tag.“

Vi stapfte durch den Raum, streifte dabei im Laufen ihre Schuhe ab und löschte das Licht. Das Zimmer wurde nun nur noch spärlich von den Lichtern Piltovers erleuchtet, der Stadt, die niemals schlief. Caitlyn konnte im Schein der Straßenlampen Vi‘s Gesichtszüge und ihre Körperkonturen erkennen, doch es fiel ihr schwerer, ihre Mimik zu deuten. Perfekt. Caitlyn zog ihre Jacke aus und streifte auch ihre Strümpfe ab. „Willste ´n Shirt von mir zum Pennen?“, fragte Vi und Caitlyn war überrascht, was für ein guter Gastgeber ihre Partnerin war. Besser als sie, wenn sie sich daran erinnerte, wie sie sich von Vi betrunken hatte bettfertig machen lassen, nur um am nächsten Morgen zu sehen, wie diese es sich in Kleidung auf dem Sofa hatte gemütlich machen müssen… „Gerne“, antwortete sie und wartete, bis Vi ihr ein weites Shirt gereicht hatte, das, wie sie am Geruch erkennen konnte, zum Glück frisch gewaschen war. Beinahe ein wenig schamhaft zog sie sich so schnell wie möglich um und war dankbar, endlich ihren BH loszuwerden. So nötig diese Kleidungsstücke auch waren, es war immer eine Erleichterung, sie am Ende eines langen Tages auszuziehen.
 

Dann machte sie sich auf der Couch lang, nachdem sie sich eines der Kissen unter den Kopf geklemmt hatte. Das Sofa roch alt und staubig, doch sie versuchte, sich nicht daran zu stören. Im Halbdunkeln sah sie, wie Vi sich ebenfalls auszog und sich schließlich in Sport-BH und Jogginghose neben ihr auf die Liegefläche setzte.

Caitlyns Blick glitt über die leicht beleuchteten Konturen ihrer Partnerin und sie bewunderte die starken Schultern, den muskulösen Bauch und auch die schönen Brüste. Vi hatte eine tolle Figur, trainiert, aber immer noch anziehend weiblich. Dass ihre Gedanken mehr als nur bewundernde Anerkennung waren, war ihr in diesem Moment nicht so recht bewusst, aber es war ihr nicht unwohl dabei, als Vi schließlich neben ihr nach unten rutschte und sich mit ihr unter die Decke legte. Sie spürte die Wärme ihrer Partnerin neben sich und hörte ihren Atem, nahm sie hier im Dunkeln stärker und deutlicher wahr als sonst.

Vi lag auf dem Rücken und starrte an die Decke – zumindest glaubte Caitlyn das, als sie ein gebrummeltes „Nacht“ von Vi hörte.

„Gute Nacht“, erwiderte sie leise und fühlte sich plötzlich überhaupt nicht mehr müde.
 

Mit klopfendem Herzen lag Vi stocksteif unter der Decke und blickte in die Dunkelheit über sich. Mit jeder Faser ihres Körpers spürte sie, dass Caitlyn neben ihr lag, sie roch ihr Parfüm, konnte ihre Wärme und ihre Bewegungen unter der Decke fühlen.

Als sie heute morgen aufgestanden war, hatte sie definitiv nicht damit gerechnet, die Nacht mit Caitlyn auf ihrer Couch zu verbringen. Ein wenig unangenehm war es ihr schon, dass ihre Partnerin hier in ihrer Wohnung war, immerhin war diese viel besseres gewohnt. Aber scheinbar war Caitlyn einfach nur dankbar dafür, heute Nacht irgendwo Zuflucht gefunden zu haben.

Nein. Nicht irgendwo. Bei ihr. Sie hätte auch einfach in ein Hotel gehen können, wenn sie nicht daheim übernachten wollte, aber sie war hier. Bei Vi. Auf ihrer dreckigen Couch. Und dieser Gedanke ließ Vi‘s Herz einen ihr nicht ganz verständlichen Freudenhüpfer machen.

Neben ihr raschelte es unter der Decke und plötzlich spürte Vi, wie Caitlyn sich ihr näherte. Was war denn jetzt los?
 

Einen Moment lang machte Vi Anstalten, sich aufzusetzen, doch Caitlyn legte sich seitlich neben sie, schob einen Arm über ihren Bauch und legte ihren Kopf auf Vi‘s Schlüsselbein. Ihr Herz schlug heftig, als sie Caitlyns Atem auf ihrer nackten Haut spürte und beinahe wie von selbst legte sie einen Arm um die Schulter ihrer Partnerin.

„Ist das in Ordnung für dich?“, fragte Caitlyn kaum hörbar und fast schon schüchtern.

Vi begann, mit dem Daumen über die weiche Haut von Caitlyns Oberarm zu streicheln. „Hmhm“, murmelte sie bestätigend und Caitlyns vorher etwas steife Haltung entspannte sich.

Wie von selbst wanderten Vi‘s kraulende Finger nach einer Weile den Arm hoch und zu Caitlyns weichen Haaren, die sich zwischen ihren groben, rauen Fingern wie Seide anfühlten. Es war unglaublich, wie perfekt diese Frau war. Ein wenig zu streng und ein wenig zu reserviert, aber wenn man sie näher kennen lernte, hatte sie einen erstaunlich liebenswerten Kern – fürsorglich, treu und… irgendwie einsam.

Vi kannte das Gefühl.
 

Bislang war sie nie der Typ Frau gewesen, der gerne mit anderen kuschelte. Sie mochte Sex, vor allem, wenn es grob und rau zuging. Leidenschaftlich und rabiat, nicht sanft und zärtlich. Aber gerade in diesem Moment… genoss sie die beinahe zarte Nähe zu Caitlyn.

Aus dem Affekt heraus neigte sie sich etwas zur Seite und legte ihre Lippen auf Caitlyns Haare, um ihr einen kleinen Kuss auf den Haarschopf zu geben.
 

Ihre Partnerin regte sich in ihrem Arm, drehte den Kopf und stützte sich ein wenig auf den Ellbogen, sodass sie einander in die Augen blickten, nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. Im Halbdunkeln konnte Vi die Umrisse von Caitlyns schönem Gesicht sehen, die Konturen ihrer Lippen, ihrer Nase, ihrer Augen, deren Blick sie erwiderte. Vi hob die Hand und fuhr über Caitlyns Wange, die genießerisch die Augen schloss und das Gesicht in Vi‘s Handfläche schmiegte.

Und im nächsten Moment senkte Vi ihre Lippen auf die Caitlyns, sanft, kaum spürbar, während sie ihre Finger in die Haare ihrer Partnerin schob. Einen kleinen Augenblick spürte sie, wie Caitlyn erstarrte, dann wurde sie in ihren Armen weich, schmiegte sich an Vi und lehnte sich in den Kuss.
 

Als Vi sie küsste, schlug Caitlyns Herz bis zum Hals. Es war nicht so, dass es ihr erster Kuss war – dafür war sie nun doch schon ein wenig zu alt und hatte zu viele Verehrer gehabt. Aber es war der erste, der ihr Herz wirklich höher schlagen ließ. Der ihr Inneres in Vibration versetzte. Caitlyn seufzte leise in den Kuss hinein, spürte, wie Vi einen Arm fest um sie legte und mit der anderen Hand durch ihre Haare fuhr. Vi‘s starke Hände fühlten sich so gut an…

Sie begann, ihre Lippen ein wenig gegen die ihrer Partnerin zu bewegen und bemerkte den schwachen Geschmack von Tabak auf Vi‘s Lippen, bevor sie schließlich ihren Mund ein wenig öffnete und im nächsten Moment Vi‘s Zunge an ihrer eigenen spürte.

Wie war es hierzu gekommen? Warum tat sie das eigentlich? Sie schob diese Fragen einfach beiseite, um sie an einem anderen Zeitpunkt zu beantworten, wie ein lästiges Formular, das sie auf einen später zu bearbeitenden Stapel legte.

Stattdessen genoss sie den Moment, ließ ihn einfach geschehen, hinterfragte nicht, sondern gab sich hin.
 

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Erschöpft lag Caitlyn in Vi‘s Armen und spürte den noch immer schnellen Herzschlag ihrer Partnerin unter ihrer Wange. Sie musste zugeben, wie war ein wenig stolz auf sich. Es war ihr trotz ihrer fehlenden Erfahrung gelungen, Vi zum Stöhnen zu bringen und ihr das zurückzugeben, was sie von ihr erhalten hatte.

Mit einem Lächeln bemerkte Caitlyn, wie Vi‘s Finger wie von selbst wieder in ihren Haaren verschwanden und sie wieder kraulten. Es war wirklich schön, wie selbstverständlich sich das auf einmal anfühlte… Wie viel doch diese eine Stunde verändern konnte…

Was das alles bedeuten würde, darüber konnte sie an einem anderen Zeitpunkt nachdenken. Dass sie gerade mit einer ihrer wichtigsten, vehement verteidigten Regeln gebrochen hatte, niemals etwas mit einem Arbeitskollegen anzufangen, war ihr bewusst, aber sie verdrängte diesen Gedanken in den hintersten Teil ihres Bewusstseins.

Gerade wollte sie einfach nur den Moment genießen, die Nähe eines anderen Menschen. Die Vertrautheit von Vi‘s Geruch, ihre Umarmung und ihre Zärtlichkeit. Alles andere konnte warten...

Kapitel 9: Veränderungen

Kapitel 9: Veränderungen
 

Als Vi am nächsten Morgen die Augen öffnete, schien die Sonne bereits durch die kaputten Rolläden ihrer Wohnung. Noch bevor sie sich in ihrem Apartment umsah, wusste sie, dass… irgendetwas anders war als sonst. Der… Geruch. Sie blinzelte zur Seite und sah, dass ihre Partnerin noch neben ihr lag. Caitlyns schlafendes Gesicht, das sie seit deren betrunkenem Ausfall nicht mehr gesehen hatte, wirkte entspannt und ihre verwuschelten Haare hingen ihr in Strähnen über den Augen. Sie lag in einer beinahe verwundbaren Haltung da, auf der Seite, die Beine ein wenig angezogen, wie ein Kind. Und noch immer nackt unter der dünnen Decke.

Vi schluckte und schaffte es nicht, den Blick von Caitlyn abzuwenden. Was war da gestern nur in sie gefahren?! Und noch wichtiger: Was würde das jetzt für die Zukunft bedeuten? Für ihre Arbeit? Für ihre Freundschaft? Vi war es gewohnt, Sex keine Bedeutung beizumessen, aber in diesem Fall konnte es definitiv Probleme nach sich ziehen… Denn sie wusste nicht, wie Caitlyn über die Sache dachte.
 

Mit einem unangenehmen Gefühl im Magen biss sich Vi auf die Unterlippe und schälte sich aus der Decke, möglichst ohne Caitlyn aufzuwecken, was ihr zu ihrer Dankbarkeit auch gelang. Dann verschwand sie in dem heruntergekommenen Badezimmer und sprang unter die Dusche. Das kühle Wasser tat ihr gut und es gelang ihr zumindest ein Stück weit, ihren Kopf freizubekommen. Als sie sich abtrocknete und die Haare kämmte, hörte sie, wie Caitlyn sich im Wohnzimmer regte. Wie sollte sie ihr jetzt begegnen? Was sollte sie sagen? Am Liebsten wäre sie zu ihr gegangen, hätte ihr einen Kuss gegeben und sie gefragt, ob sie sich auf dem Weg zur Arbeit was zum Frühstücken holen würden, weil sie nichts zuhause hatte. Doch das war sicher eine ziemlich schlechte Idee, zumindest wenn sie Caitlyn richtig einschätzte.
 

Also zögerte Vi ihren Badezimmeraufenthalt so lange wie möglich hinaus, putzte sich so gründlich wie nie ihre Zähne, zog sich ein paar Kleidungsstücke an, die sie wohl irgendwann mal hier drinnen vergessen hatte – ihr Bad war nicht ordentlicher als der Rest ihrer kleinen Wohnung – und öffnete dann die Tür einen Spalt weit, um zu hören, was Caitlyn gerade tat. Gerade als sie ins Wohnzimmer hinaustreten wollte, um Caitlyn anzusprechen, hörte sie die Haustür ins Schloss fallen und dann… Stille.
 

Während Caitlyn in der Hextechkutsche saß und sich zur Arbeit bringen ließ, fühlte sie sich vor allem eins: schmutzig. Das lag zum einen an ihrer getragenen Kleidung, die sie einfach wieder angezogen hatte, ohne vorher ein Badezimmer aufzusuchen und zum anderen daran, dass sie gestern nach ihren… Aktivitäten… einfach eingeschlafen waren, ohne vorher diverse Sauereien sauber zu machen.

Sie würde bei der Arbeit duschen und eine ihrer Uniformen anziehen, die sie in ihrem Spind lagerte, und dann… hoffentlich einen klaren Kopf bekommen.

Innerlich schalt sich Caitlyn aus. Sie war nicht der Typ, der vor Konfrontationen und Konflikten davonlief – so wie sie es soeben getan hatte – aber sie hatte einfach nicht gewusst, wie sie Vi hätte in die Augen schauen sollen, nach dem, was in der vergangenen Nacht zwischen ihnen vorgefallen war.
 

Was war nur mit ihr los gewesen? Sie hatte Prinzipien! Und sie hatte noch nie mit ihnen gebrochen. Es war schon häufiger vorgekommen, dass ein Mitglied der Wache ihr Avancen gemacht hatte, doch jedes Mal hatte sie sie höflich abgelehnt und den Kollegen gewarnt, dass sie dergleichen bei der Arbeit nicht duldete. Und jetzt war sie einfach mit Vi… Es gelang ihr nicht einmal, das Ganze in Gedanken in Worte zu fassen. Sie würde sich… einfach nicht damit befassen. Sie würde so tun, als wäre das Ganze nicht geschehen und hoffentlich würde Vi das auch tun. Das war sicher das Beste.

Caitlyn strich sich die strähnigen, verschwitzten Haare aus dem Gesicht, die sie nur grob mit den Fingern gekämmt hatte, und hoffte, dass niemand sie sehen würde, wenn sie sich durch den Hintereingang in die Wachstation schleichen würde.
 

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Während der gesamten Einsatzbesprechung hatte Vi schweigend in der Ecke gesessen. Caitlyn war wie immer – zumindest auf den ersten Blick. Mit strenger Stimme hatte sie die Aufgaben verteilt und vor eventuell auftretenden Sonderfällen gewarnt und ihre Kollegen zu korrekter Arbeit ermahnt. Und während der ganzen Zeit – mindestens eine Stunde – hatte sie Vi nicht angesehen.

Vi seufzte unhörbar. Das ging jetzt schon seit drei Tagen so… seit Caitlyn sich morgens wortlos aus dem Staub gemacht hatte, redete sie nur das allernötigste mit ihr, hielt sich so gut wie gar nicht mehr mit ihr alleine in einem Raum auf und beschränkte ihre Konversation auf das Nötigste.

Scheinbar hatte Caitlyn sich dazu entschieden, dass das Ganze nie geschehen war und tat scheinbar alles, um sich selbst davon zu überzeugen. Und nebenbei vernichtete sie die Freundschaft, die sich zwischen ihnen beiden so mühsam aufgebaut hatte und rüttelte an dem ohnehin nicht stabilen Vertrauensverhältnis, das sie beide verband.

Vi hätte sie dafür schlagen wollen… wenn sie denn selbst gewusst hätte, was sie stattdessen gewollt hätte. Dass sich nichts zwischen ihnen veränderte? Nein, irgendwie nicht. Aber was dann?

Was auch immer es war, das Vi wollte – das hier war es nicht.
 

Während Caitlyn auf ihrem Aussichtspunkt auf der Mauer stand und den dunklen Park beobachtete, der gerade von ihren Kollegen auf der Suche nach einem Obdachlosen, der einen reichen Bänker erstochen und sein Geld gestohlen hatte durchstreift wurde. Ihre Aufgabe war es, den Flüchtigen mit einem ihrer berühmtberüchtigten 90-Kaliber Netze einzufangen, wenn ihre Kollegen ihn in Richtung des Ausgangs getrieben hatten. Keine schwere Aufgabe – Caitlyn hatte in ihrer Berufslaufbahn definitiv schon Schwereres erledigt.

Ihre Aufgabe als Wachposten war langwierig, anstrengend und langweilig. Sie konnte es sich keine Sekunde erlauben, unaufmerksam zu sein und doch… schweiften ihre Gedanken ständig ab.

Die letzten Tage waren die Hölle gewesen und Caitlyn wollte sich lieber in die Zaun‘schen Giftgruben stürzen als zuzulassen, dass es so weiterging.
 

Sie hatte Vi‘s Gesichtsausdruck aus dem Augenwinkel gesehen und es war ihr schwer gefallen, ihn zu deuten. War sie verletzt? Beleidigt? Verwundert? Wütend? Sie selbst war einfach nur… verwirrt.

Wie sollte sie nur mit dieser Sache umgehen, die ihr so noch nie in ihrem Leben passiert war und die all ihre Prinzipien auf den Kopf stellte? Außerdem – es fiel ihr sehr schwer, das zuzugeben – vermisste sie Vi. Sie vermisste ihr Lachen, ihre dummen Kommentare, das Chaos, das sie überall anzuziehen schien, und ihre Ehrlichkeit. Gestern hatte sie sich sogar dabei erwischt, vor einer Werkstatt stehen zu bleiben, um den Öl- und Motorengeruch einzuatmen. Das war doch alles nicht normal. Sie musste sich zusammenreißen und konzentrieren.
 

Vor sich im Unterholz des kleinen, hübsch angelegten nächtlichen Wäldchens regte sich etwas. Ein Tier? Der Gesuchte?

Caitlyn beschloss, dass sie nachsehen würde. Wenn sie hier noch weiter herumstand, würde sie noch verrückt werden – und solange sie den Ausgang im Blick behielt, war alles in Ordnung. Also sprang sie elegant von der Mauer, überprüfte, dass ihr Gewehr das Netz geladen hatte und bahnte sich so leise wie möglich einen Weg durch das Gebüsch ins Innere des Wäldchens.

Aus dem Blätterdach über ihr, durch dessen Lücken sie den klaren Nachthimmel mit den zahlreichen Sternen sehen konnte, hörte sie das Rascheln von nachtaktiven Tieren, das sie schnell auszublenden versuchte. Ihre Augen, die sich gut an die Dunkelheit gewöhnt hatten, glitten über die Zwischenräume zwischen den Bäumen und fokussierte sich schließlich auf einen dunklen Schatten, der aus einem Busch heraus huschte.
 

Ohne nachzudenken feuerte Caitlyn ihre Waffe ab und das Netz, das mit einem lauten Zischen ihrer Waffe entwich, jagte durch das Dunkel und fand sein Ziel.

Mit einem innerlichen Triumphieren trat Caitlyn durch das Unterholz und schob einige Äste und Zweige beiseite, um ihre Beute zu betrachten, nur um festzustellen, dass es sich dabei nicht um den von ihr erwarteten hilflosen Obdachlosen handelte, sondern um einen streunenden Hund, der mit im Netz verfangenen Pfoten winselnd herumzappelte. In diesem Moment wusste Caitlyn, dass sie voreilig gehandelt hatte. Und noch bevor sie normale Munition in ihre Waffe laden konnte, hörte sie hinter sich eine Bewegung im Gestrüpp, sah aus dem Augenwinkel eine schnelle Geste und spürte einen stechenden Schmerz in der Seite.
 

Die Stimme, die den leisen Schrei ausgestoßen hatte, hätte Vi überall erkannt. Sofort fuhr sie herum und hastete in die Richtung, aus der sie den Schrei gehört hatte… die Richtung, in der sich Caitlyns Wachposten befand. Caitlyn schrie nie bei der Arbeit. Nicht mal vor Überraschung.

Also musste ihr etwas passiert sein. Und Vi würde sicherlich nicht hier herumsitzen, während ihre Partnerin Probleme hatte, nicht mal, wenn sie dafür ihren angewiesenen Posten verlassen musste.

Durch ihre Handschuhe geschützt, die sie wie einen Schild vor sich hielt, brach sie durch das Unterholz des kleinen Wäldchens auf der Nordseite des Parks und sah sich um. Ihre Adern waren voller Adrenalin, ihr Herz pumpte heftig, als sie nur zwanzig Meter von ihrer Position aus einen Mann in abgewetzter Kleidung sah, der ein Messer in den Händen hielt, dessen blutiger Film rötlich im Mondlicht glänzte. Caitlyn. Wo war Caitlyn?!
 

Sie entdeckte sie nur wenige Meter von ihm entfernt. Sie hielt sich die Seite und versuchte, vor dem Obdachlosen zu entkommen… und sie hatte ziemlich offensichtlich ihre Waffe fallen lassen.

Was zur Hölle machte Caitlyn überhaupt hier? Sie hätte doch eigentlich auf der Mauer sein sollen?!

Ohne weiter nachzudenken, setzte Vi zu einem Sprint an, um dem Mann den Weg zu Caitlyn abzuschneiden. Die Vorstellung, dass sie ihre Partnerin hier und heute verlieren konnte, brannte wie Feuer in ihren Adern und trieb sie zu körperlichen Höchstleistungen an.
 

Mit einem lauten Schrei brach Vi aus dem Unterholz und stürzte sich auf Caitlyns Peiniger, brach ihm mit einem rechten Haken die Wangenknochen und vermutlich auch den Kiefer und rammte ihm die zweite Faust in die Magengrube, was mit einem zischenden Japsen jegliche Luft aus seinem Körper presste und ihn ohnmächtig zusammenbrechen ließ.

„Cupcake? Bist du in Ordnung?“, fragte Vi beinahe panisch, nachdem sie mit einem Tritt gegen die Seite des zusammengesunkenen Mannes sichergegangen war, dass er so schnell nicht mehr aufstehen würde.

Caitlyn blickte sie aus zusammengekniffenen Zügen an und presste ein simples: „Messerstich in der Seite“, hervor.
 

Unwillkürlich und ohne dass sie sich selbst davon abhalten konnte, trat sie den Kerl erneut, diesmal ins Gesicht, wobei sie seine ohnehin schon ziemlich malträtierten Gesichtszüge noch weiter bearbeitete, und fixierte ihren Blick auf Caitlyns Seite, wo sie zu ihrem Entsetzen feststellen musste, dass langsam aber stetig Blut zwischen Caitlyns Fingern hervorsickerte. Sofort riss Vi ihr Funkgerät hervor und bellte: „Wir brauchen `nen Sani beim Wald im Norden.“ Dann presste sie den Knopf, der ihren Handschuh öffnete. Quälend langsam öffneten sich die Scharniere surrend, bis sie schließlich den Hextech-Panzerhandschuh abstreifte und achtlos zu Boden fallen ließ.
 

„Setz dich hin“, knurrte Vi und brachte Caitlyn mit wenigen Gesten dazu, sich langsam an einem Baum zu Boden sinken zu lassen. „Was haste dir dabei gedacht, einfach so hier rumzurennen?“, fragte Vi vorwurfsvoll und ließ auch den zweiten Handschuh in den Dreck neben dem ohnmächtigen Obdachlosen fallen. „Jetzt weißt du, wie ich mich immer fühle, wenn du ohne nachzudenken irgendwo hineinstürmst“, antwortete Caitlyn schwach lächelnd und für einen Moment begegneten sich ihre Blicke – und das Schweigen, das die letzten Tage zwischen ihnen geherrscht hatte, war mit einem Mal gebrochen. Vi grinste schief: „Schlechter Zeitpunkt, um mir deswegen Vorwürfe zu machen.“
 

Dann zog sie aus der Hüfttasche, die sie immer bei sich hatte, ein kleines Täschchen heraus und aus diesem einen sauber eingepackten, weitgehend sterilen Druckverband. „Oberteil hoch und Finger weg.“

Caitlyn tat wie ihr geheißen – ihre Handbewegungen wirkten schwach und selbst im schwachen Mondlicht konnte Vi sehen, dass sie ziemlich blass war – ein Eindruck, der von der Tatsache, dass inzwischen die komplette Seite ihres Oberteiles und der gesamte Stoff, der den rechten Oberschenkel bedeckte, blutüberströmt war.

Vi besah sich die Wunde. Sie war kein Arzt – weit davon entfernt – aber sie hatte in ihrem Leben mehr Wunden selbst behandelt als die meisten anderen und allein durch praktische Übung hatte sie sich gewisse Fähigkeiten angeeignet. Und gerade war sie dafür sehr dankbar.

Einigermaßen fachmännisch brachte sie einen provisorischen Druckverband an, der dafür sorgte, dass Caitlyn nicht noch mehr Blut verlor und hoffte stark, dass ihre Partnerin keine schweren inneren Verletzungen davongetragen hatte– aber das würde später der Arzt sagen müssen.
 

„Das… machst du gar nicht schlecht“, meinte Caitlyn leise und schloss kurz die Augen… Ihr schien schwindelig zu sein.

„Übung“, antwortete Vi kurz angebunden, innerlich ihre Kollegen hetzend, sich doch verfickt nochmal endlich zu beeilen.

Nach einem kurzen Moment des Schweigens öffnete Caitlyn ihre Augen wieder und blickte Vi schwach an. „Ich war… unaufmerksam. Das… passiert mir sonst nie.“

Vi war natürlich sofort klar, was der Grund dafür gewesen war. Natürlich. Was auch sonst. Nachdem sie dem bewusstlosen Obdachlosen Handschellen angelegt hatte, ließ sie sich neben ihrer Partnerin am Baum nieder und schwieg einen Moment lang. „Hätt‘ dich heut nich allein lassen sollen“, sagte sie schließlich ruhig.

„Warum das?“, fragte Caitlyn und wandte den Kopf matt zur Seite, um Vi ins Gesicht sehen zu können.

„Weil ich deine Partnerin bin. Und dafür verantwortlich, dass dir nix passiert“, antwortete diese schlicht, ohne den Blick zu erwidern.
 

Caitlyn lächelte matt, während sie in der Ferne schon ihre Kollegen hören konnte, die wohl einen Arzt mitbrachten, der zum Glück bei jedem Einsatz immer auf Abruf bereit stand, falls etwas schief ging. „Verletzungen gehören zum Job, Vi. Es kann jederzeit etwas schief gehen...“

Vi nickte knapp: „Das weiß ich. Und‘s is mir auch eigentlich scheißegal, wenn mir was passiert. Hab genug Narben. Aber ich will nich, dass...“ Sie brach ab. Aber das war egal.

Denn Caitlyn wusste ohnehin, was sie hatte sagen wollen. Sie erwiderte nichts. Aber sie legte matt eine Hand auf Vi‘s Oberschenkel. „Danke...“, flüsterte sie schließlich – ihre Stimme war leise und schwach, aber die Wärme, die darin lag, zeigte Vi nur zu deutlich, dass sich etwas verändert hatte. Was genau das war… das würden wohl die nächsten Wochen und Monate zeigen müssen. Aber sie war sich sicher, dass die Phase des unangenehmen Schweigens zwischen ihnen endlich vorbei war.
 

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Mit einem unwohlen Gefühl in der Magengrube betrachtete Vi das Gemälde, das an der Wand ihr gegenüber im Wartezimmer hing. Die Räumlichkeiten, in denen sie sich befand, waren sauber, beinahe steril, und verströmten einen merkwürdigen Geruch, den sie so noch nie wahrgenommen hatte. Eine gewisse Ahnung, dass dies der Geruch der Magie war, befiel sie, denn immerhin befand sie sich im Kriegsinstitut, dem Hauptsitz der Liga der Legenden.

Das Gemälde ihr gegenüber zeigte in schön detaillierter Darstellung das bekannteste und berühmteste der Richtfelder: Die Kluft der Beschwörer, in der viele der politisch entscheidenden Kämpfe ausgetragen wurden, die man in ganz Valoran ansehen konnte – und die schon viele kriegerische Aktionen verhindert und viele politischen Fragen geregelt hatten, nicht zuletzt auch zwischen Zaun und Piltover.
 

Wie sie den Mut gefunden hatte, durch eines der Portale, von dem Caitlyn ihr einmal erzählt hatte, hierher zu reisen, wusste sie noch nicht recht, doch nachdem sie ein wenig unbeholfen an der Rezeption nachgefragt hatte, hatte man ihr tatsächlich einen Termin bei Ratsmitglied Vessaria Kolminye gegeben und sie gebeten, eine halbe Stunde zu warten, bis diese verfügbar war.

Der Name der Frau sagte ihr was – sie war wohl diejenige, die dafür zuständig war, zu überprüfen, ob jemand würdig war, der Liga der Legenden als Champion beizutreten, so wie Caitlyn und Ezreal es waren.
 

Große Hoffnungen, aufgenommen zu werden, hatte Vi nicht wirklich. Dafür besaß sie ein zu schlechtes Bild von sich selbst. Und dennoch. Die letzten Wochen hatten sie zum Nachdenken angeregt. Während Caitlyns Genesung hatten sie beide keine größeren Einsätze geplant und waren zum Großteil nur im Büro gewesen – also hatte sie viel Zeit gehabt, in der sie sich den Kopf zerbrechen konnte.

Sie wusste, was für eine große Aufgabe und auch Bürde es war, sich dazu bereitzuerklären, sich auf die Richtfelder beschwören zu lassen, seine Seele mit der von einem der Beschwörer zu verbinden und diesem seine Kraft, Fähigkeiten und… sein Leben zu überantworten, zum Wohle seiner Heimat.
 

Sie wusste, dass Caitlyn es tat. Ja sicher. Caitlyn war patriotisch.

Und sie selbst? Warum wollte sie es ihr gleichtun? Vi seufzte. Eigentlich gab es nur einen einzigen Grund dafür.

Caitlyn war ihr wichtig. Und sie wollte sie in allem, was sie tat, unterstützen. Sie hatte Caitlyn seit ihrer ersten Begegnung als absolut perfekten, selbstständigen Menschen kennen gelernt und angenommen, dass diese keine wirklichen Schwächen besaß. Doch seit ihrer gemeinsamen Nacht und der darauf folgenden Verletzung, die Caitlyn bei dem Einsatz davongetragen hatte, war ihr klar geworden, dass Caitlyn auch nur ein Mensch war – mit Gefühlen, die sie tief hinter ihrer perfekten Maske verbarg und einem weichen, schönen Körper, der jetzt eine kleine Narbe an der Seite besaß, die sie – Vi – hätte verhindern können.

Sie wollte sie nicht mehr alleine lassen. Und wenn Caitlyn meinte, dass es richtig und wichtig war, auf den Richtfeldern zu kämpfen, dann würde sie es ihr gleichtun.
 

Die Tür zum Wartezimmer öffnete sich und eine schöne Frauenstimme mit einem energischen, disziplinierten Unterton ertönte: „Vi?“

Vi wandte den Kopf und erblickte eine groß gewachsene Frau in einer goldroten Rüstung, die einen muskulösen, schönen Körper verbarg. Ihr Gesicht wurde von dem verdunkelden Visir eines goldenen Helmes mit mehreren langen, roten Federn verdeckt, auf der Scheide in ihrem Rücken steckte ein langes, goldenes Schwert und ein Schwall goldblonder Haare drängte unter dem Helm hervor und fiel glatt auf die Schulterplatten, während sie Vi spürbar mit einem festen Blick fixierte. Im ersten Moment wusste Vi nicht so recht, wen sie vor sich hatte, dann jedoch erkannte sie den Helm. Es war Kayle, einer der Champions des Kriegsinstituts. Kein Wunder, dass sie sie nicht sofort erkannt hatte, denn im Moment waren ihre großen, hellen Flügel nicht zu sehen.

„Ja?“, antwortete sie und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass sie ein wenig eingeschüchtert war.

„Großmeisterin Kolminye bat mich, Euch zu ihr zu schicken. Sie hat jetzt Zeit für Euch“, antwortete Kayle mit klarer Stimme und trat ein Stück von der Tür zurück, Vi indirekt dazu auffordernd, ihr zu folgen.
 

Diese erhob sich von ihrem Stuhl, straffte ihre Haltung, versuchte, sich innerlich Selbstbewusstsein einzuprügeln und folgte Kayle durch den langen Gang zu ihrer rechten. Das Institut war still – eigentlich war es hier still gewesen seit Vi im Portalraum angekommen war – und das verwunderte sie. Eigentlich hatte sie erwartet, dass hier immer viel los war, immer viel Trubel und Streit – immerhin trafen hier die Champions und Beschwörer feindlicher Königreiche aufeinander. Aber bisher war alles ruhig und gesittet verlaufen.
 

„Ich hörte, Ihr wäret die neue Partnerin des Sheriffs von Piltover“, sprach Kayle nach einem kurzen Moment des Schweigens. Vi war fasziniert von ihrer im Helm leicht widerhallenden Stimme, die irgendwie anders klang als die von normalen Menschen. Aber Kayle war ja wohl auch keiner.

Sie versuchte, sich nicht einschüchtern zu lassen und zuckte mit den Achseln: „Jau, bin ich.“

„Eine schwere Bürde und ehrenhafte Pflicht, sich um Ordnung und Gerechtigkeit zu kümmern“, antwortete Kayle kühl. „Seid Ihr Euch sicher, dass Ihr dafür bereit seid?“

Ob sie damit jetzt ihren Job als Mitglied der Wache Piltovers meinte oder die Aufgabe als Champion der Liga, war Vi nicht ganz klar, doch sie war nicht gewillt, sich von Kayle unterkriegen zu lassen. „Gerechtigkeit is keine Schwarz-weiß-Sache. Manchmal brauch‘ man jemanden, der sich nich scheut, sich die Hände schmutzig zu machen. Der halt einfach mal zuschlägt. Der nich zögert, das Nötige und Richtige zu tun. Sowas kann ich gut. Und wenn es `n paar Fressen gibt, die ich polieren muss oder `n paar Wände zum Einreißen, um den Sherrif und Piltover zu unterstützen, dann bin ich dabei.“ Um ihre Aussage zu untermalen, schlug sie mit ihrer Faust fest in die geöffnete Handfläche der anderen Hand.
 

Ob Kayle ihre Ansicht der Dinge gefiel, wusste sie nicht – es war aber auch verdammt schwer, jemanden zu deuten, wenn man dessen Gesicht nicht sehen sollte. Diese ließ sich mit ihrer Antwort Zeit. „Gerechtigkeit ist ein hehres Ziel. Aber verliert Eure Methoden nicht aus den Augen. Denn wenn Ihr mit den Mitteln des Chaos kämpft, dann werdet Ihr nie wahre Ordnung erreichen.“

„Ich bin auf der Straße aufgewachsen. Da gibt‘s keine Ordnung. Da gewinnt, wer härter zuschlägt. Und so werd‘ ich‘s auf den Richtfeldern auch halten. Wenn ich‘s richtig verstanden hab, geht‘s doch darum, länger durchzuhalten, stärker zu sein und besser zu kämpfen als die Gegner. Also genau das Richtige für mich. Und für den Ordnungspart ist der Sheriff zuständig“, antwortete Vi feixend.
 

Kayle hielt inne und blieb vor einer Tür zu ihrer linken stehen, die ein magisches Siegel trug und mit einem hübsch gravierten Holzrahmen umgeben war. „Ihr seid es gewohnt, unerbittlich zu kämpfen, das ist eine Qualität, die Ihr Euch bewahren solltet. Aber nehmt meinen Rat an und werdet Euch klar darüber, warum und wofür Ihr kämpft. Denn selbst die größte Kraft ist nutzlos ohne eine Bestimmung.“
 

Mit diesen Worten und ohne noch auf eine Antwort von Vi zu warten, klopfte sie an die Tür und öffnete sie nach einer Aufforderung. Es zeigte sich der Blick in ein Büro, dessen Möbel einheitlich aus dunklem Holz gefertigt waren und in dessen hinterem Bereich sich ein Areal stark vibrierender magischer Energie befand, der die Luft zittern ließ, scheinbar ein Ritual oder etwas ähnliches. An einem hübschen Schreibtisch zwischen zwei hohen, dunklen Bücherregalen voller alter, arkaner Bücher und Rollen saß eine Frau mittleren Alters, mit einem zu einem strengen Dutt zurückgekämmten braunen, von einigen grauen Strähnen durchzogenen Haaren, in dunkelblauen, mit goldenen Ornamenten verzierten Roben. Sie trug eine merkwürdig geformte Brille mit zwei verschiedenen Gläsern und brütete gerade über einigen Papieren, die vor ihr lagen. „Vi, nehme ich an? Nehmt Platz.“
 

Von den magischen Vibrationen, die selbst ein magisch unbegabter Mensch wie sie spüren konnte, ein wenig eingeschüchtert, trat Vi schließlich ein, hörte jedoch zu ihrer Überraschung kein Geräusch hinter sich, das auf ein Schließen der Tür hingedeutet hätte.

„Ja, Kayle?“, fragte Kanzlerin Kolminye und blickte über Vi‘s Schulter zu der gerüsteten Frau, die sie hierhin geleitet hatte.

Vi blickte sich noch einmal um und sah Kayle in der Türschwelle stehen, mit selbstbewusster Haltung und sie erkannte, dass die beiden Frauen schon öfter miteinander geredet hatten – ihre Sprache wirkte vertraut. „Ich werde für einige Wochen nicht zugegen sein“, sprach Kayle nun. „Falls Ihr jedoch auf eine Spur von Großmeister Ashram stoßen solltet, so unterrichtet mich bitte umgehend. Dergleichen hat Priorität für mich.“
 

„Natürlich, Kayle“, antwortete die Kanzlerin und deutete leicht in Richtung des pulsierenden Rituals. „Wie Ihr gewünscht habt, habe ich bereits eine erneute Suche nach seinen magischen Energien eingeleitet. Wenn sie Früchte tragen sollte, werdet Ihr als erste davon erfahren.“

Kayle nickte knapp: „Sehr gut. Dann werde ich mich jetzt zurückziehen und meinen Aufbruch vorbereiten.“ Sie schwieg einen kurzen Moment. „Was Eure Bitte angeht, die Ihr vorhin äußertet…“ Die Kanzlerin betrachtete sie aufmerksam: „Ja?“

Kayle legte Vi eine Hand auf die Schulter und sprach mit ihrer merkwürdig hallenden, klaren Stimme. „Ihre Absichten sind edel, wenn auch ihre Methoden rauh und unpoliert sind. Wenn die Beschwörer Piltovers einverstanden sind, sie in ihre Kreise aufzunehmen, so sehe ich keinen Grund, dies nicht zu tun.“
 

Vi blickte zu der Frau neben sich und spürte nur allzu deutlich die Schwere der gerüsteten Hand auf ihrer Schulter. War das also eben schon eine Prüfung gewesen? Sie zog eine Augenbraue hoch, beinahe ein wenig verärgert darüber, so an der Nase herumgeführt worden zu sein. Doch die Kanzlerin antwortete Kayle, bevor Vi etwas sagen konnte: „Ich danke Euch. Gebt auf Euch Acht.“ Mit einer letzten, kurzen, höflichen Verneigung verließ Kayle das Büro und schloss die Tür hinter sich.
 

„Nehmt bitte Platz, Vi“, fuhr die Kanzlerin vor und zog einen der Zettel aus dem Stapel, der vor ihr lag. „Meinen Unterlagen entnehme ich, dass Ihr Interesse daran hegt, der Liga der Legenden beizutreten...“

Kapitel 10: Vom Kämpfen und Sterben

Kapitel 10: Vom Kämpfen und Sterben
 

Caitlyns Blick glitt über Vi‘s Gesicht, während sie nebeneinander aus dem Portalraum traten und einen der zahlreichen, schier endlosen, sterilen Gänge des Kriegsinstituts entlang gingen. Als sie erfahren hatte, dass Vi als Champion von Piltover akzeptiert worden war, hatte sie ein merkwürdiger Mischmasch aus Gefühlen überkommen, der auch jetzt noch spürbar war. Stolz auf Vi und sich selbst. Auf Vi, weil sie die Prüfung geschafft hatte und auf sich, weil sie es gewesen war, die Vi gefunden und rehabilitiert hatte. Besorgnis, weil sie wusste, was es hieß, ein Champion zu sein und sie nicht sicher war, ob Vi diesem Druck von außen standhalten würde. Und nicht zuletzt Freude darüber, dass ihre Partnerin nun auch in den Richtfeldern an ihrer Seite stehen würde, auch wenn sie sich noch nicht so recht vorstellen konnte, wie das sein würde.
 

Heute war ihr erstes gemeinsames Match. Vor drei Tagen war die Botschaft von der Liga gekommen, die eine Bitte um ihre Anwesenheit enthielt. Und natürlich waren sie der Bitte gefolgt. Der Grund für das Match war der Fund eines alten unterirdischen Labors – von dem sowohl Piltover als auch Zaun behaupteten, dass es zu ihren eigenen alten Forschungslaboren gehörte. Da man sich anderweitig nicht einigen konnte, wurde entschieden, die Richtfelder darüber urteilen zu lassen.

„Hier müssen wir nach rechts“, meinte Caitlyn und öffnete eine Tür, die zu einem neuerlichen Gang führte.

„Wie genau läuft das jetzt eigentlich ab“, fragte Vi mit einem betont gelangweilten Gesichtsausdruck, wenn auch Caitlyn an ihrer Gestik deutlich erkennen konnte, wie aufgeregt sie war.

„Zuerst einmal müssen wir in den Warteraum. Wenn der Kampf beginnt, werden wir aufgerufen, uns in die Beschwörungsräume zu begeben, wo unser Geist mit dem der Beschwörer verbunden wird und wir in die magische Zone des entsprechenden Richtfeldes gebracht werden. Das geschieht in einem einzigen Augenblick und fühlt sich ein wenig… merkwürdig an am Anfang. Als wärst du du selbst und doch irgendwie nicht.“ Sie machte eine vage Geste. „Es ist schwer zu beschreiben. Du wirst es selbst feststellen.“
 

Vi nickte knapp. „Hoff mal, wir müss‘n nich allzu lang warten“, brummte sie dann und fuhr sich über den rasierten Teil ihrer Haare – wie sie es immer tat, wenn sie unsicher und nervös war. Caitlyn musste leicht lächeln. Vi war grob und rauh, doch wenn man sie erst ein wenig besser kannte, war es leicht, die Nuancen ihrer Stimmungen zu erkennen.

„Das kommt wohl auf die Beschwörer an“, antwortete Caitlyn und bog erneut in einen anderen Gang ab, der in einen großen, runden Raum mit schwarzen Wänden mündete, in dessen Mitte sich momentan inaktive magische Linien und Windungen befanden, die fünf blaue Steinplatten umkreisten, die wohl die Portalsteine waren, mit deren Hilfe sie auf das Richtfeld gelangen würden. Erleuchtet war der Raum nur durch ein paar blau leuchtende, magische Fackeln, die auch die Seite symbolisierten, auf der sie im Richtfeld kämpfen würden.

Doch noch war dieser Raum nicht ihr Ziel. Caitlyn öffnete eine der zwei Türen zu ihrer Rechten – die Seite der Champions, während sich die Beschwörer links aufhielten – und trat vor Vi hinein. „Komm, Vi, ich werde dich denen vorstellen, die du noch nicht kennst.“

Diese nickte und folgte Caitlyn in den Warteraum, der ansprechend gestaltet war. Mehrere gemütlich aussehende Sessel um kleine Tische, eine Theke mit Erfrischungen und – nicht zuletzt – ein Bereich, der dazu da war, die Rüstungen für die Richtfelder anzulegen und letzte Vorbereitungen zu treffen.
 

An der Theke mit Erfrischungen lehnte ein gutaussehender Mann mit markantem Gesicht, bereits in seine typische, auffällige Rüstung gekleidet. Neben ihm stand seine Signaturwaffe, sein Merkur-Hammer, der im Kampf die Form und damit den bevorzugten Kampfstil wechseln konnte. Er blickte auf, als die Tür aufging und stellte seinen Drink, den er in der Hand hielt, zurück auf die Theke, um Caitlyn ein vielsagendes, charmantes Grinsen zuzuwerfen. An einem Tisch saßen zwei Yordles, die in ein angeregtes Gespräch vertieft waren. Einen davon kannte Vi schon. Es handelte sich um den genialen Erfinder Heimerdinger. Der andere war in eine auffällige Fliegermontur mit hochgeschobener Fliegerbrille gehüllt und trug einen enormen weißen Schnauzbart. An einem Fenster des Raumes, den Blick nach draußen gewandt, befand sich eine junge Frau mit nach Vi‘s Ansicht beinahe perfektem Körper. Was an ihr jedoch auffällig war, war die Tatsache, dass sie nicht einfach so herumstand. Nein. Sie schwebte elegant eine handbreit über dem Boden und es schien unablässig eine leichte Brise durch ihre langen, blonden Haare zu wehen. Gekleidet war sie sehr knapp – nicht wirklich mehr als zwei verzierte Stoffbahnen, die sie ästhetisch umwehten. Neben ihr lehnte ein langer Stab.
 

Ezreal war nicht hier – Vi war gleichzeitig erleichtert und enttäuscht. Er war ein lustiger Zeitgenosse und wäre wenigstens jemand gewesen, den sie schon kannte. Allerdings mochte sie die Vertrautheit nicht, mit der er mit Caitlyn verbunden zu sein schien.

Die beiden Yordles unterbrachen ihr Gespräch und wandten sich zu den Neuankömmlingen um und auch die Frau am Fenster wandte den Blick zu ihnen.

Caitlyn setzte ihr übliches, höfliches, aber distanziertes Gesicht auf und sprach mit fester Stimme: „Gut, dass wir beinahe vollständig sind.“ Ihre Aussage schien auf Ezreal abzuzielen. Der Mann ihnen gegenüber schulterte seinen Hammer und kam zu ihnen hinüber. „Er lässt sich entschuldigen. Seine Kontakte haben wohl eine neue Ausgrabungsstätte in Shurima entdeckt, die er sich jetzt ansehen will.“

Caitlyn nickte knapp: „Nun gut. Lasst mich euch allen Vi vorstellen, meine Partnerin bei der Wache Piltovers, die ab heute hier in der Liga der Legenden als die Vollstreckerin Piltovers bekannt sein wird. Sie wird uns in unseren Kämpfen gegen Zaun unterstützen. Vi, das hier sind Jayce, der Verteidiger von Morgen, Heimerdinger, der verehrte Erfinder, Corki, der kühne Bombenschütze und Janna, die Wut des Sturmes.“
 

Jayce beugte sich nach vorne und reichte Vi freundschaftlich die Hand. Er war ihr auf den ersten Blick sympathisch. Ein wenig arrogant schien er zu sein, doch hatte er wohl das Herz am richtigen Fleck und die nötige Portion Humor, um ihr sofort zu gefallen. Vi nahm seine Hand und schüttelte sie grinsend. „Freut mich, dich kennen zu lernen, Vi“, meinte er und ihr entging nicht, dass er ihre Rundungen interessiert musterte. Männer. Waren doch alle gleich.

Nachdem sie auch Heimerdinger, der sie lächelnd wiedererkannt hatte, und Corki die Hand geschüttelt hatte, tauschte sie einen kurzen Blick mit Janna, die ihr mit einem sanften Lächeln zunickte: „Willkommen in der Liga.“
 

Wie Vi wusste, war Janna ein langjähriges Mitglied der Liga der Legenden, ja, sie gehörte sogar zu den Champions, die direkt nach der Gründung beigetreten waren. Sie war nicht direkt ein Champion Piltovers, allerdings verband sie eine jahrelange Freundschaft mit der Stadt, seit sie bei einem Brückenunglück bei einem Unwetter viele Leben gerettet hatte. Außerdem hatte sie mit den meisten Champions Piltovers eine Aversion gegen Zaun gemeinsam.

„Abwesend sind heute Ziggs, der Hexplosions-Experte und natürlich Ezreal, der verwegene Forscher, der… wohl genau das tut. Wie immer“, fügte Caitlyn nun noch mit leicht gereizter Stimme hinzu. „Dabei hatte ich darum gebeten, dass heute jeder anwesend ist.“

Jayce zuckte mit den Achseln und grinste Vi an: „Du wirst sie schon noch alle im Laufe der Zeit treffen.“
 

Vi zuckte mit den Achseln. Wenn es nach ihr ginge, hätte das hier alles durchaus weniger förmlich zugehen können. Sie mochte diesen ganzen Trubel sowieso nicht. Also grinste sie ein wenig schief und meinte: „Ich zieh‘ mich dann mal um“, und deutete mit dem Daumen auf die Umkleiden. Als sie sich in eine der Kabinen zurückgezogen hatte, war sie erleichtert, für einen Moment alleine zu sein und sich mental auf das vorbereiten zu können, was gleich auf sie warten würde. In ihrer Magengrube flatterte es unangenehm und all die fremden, wichtigen Persönlichkeiten machten das Ganze auch nicht besser. Nachdem sie ihre Rüstung und ihre Handschuhe angelegt hatte, deren Funktion noch ein letztes Mal überprüft hatte, hörte sie ein Klopfen an der Tür. „Vi?“

Es war Caitlyn. „Was gibts?“, erwiderte sie. „Kannst reinkommen.“
 

Die Tür öffnete sich und Caitlyn trat ein, nur um sich dann auf einer der Bänke der Umkleide niederzulassen. „Es ist bald soweit“, sagte sie schlicht und blickte zu Vi hinüber.

Diese nickte. „Dacht‘ ich mir.“

„Bist du in Ordnung“, fragte Caitlyn ruhig und nicht im Geringsten vorwurfsvoll. Vi wurde bewusst, dass Caitlyn – natürlich – durch ihr selbstbewusstes Auftreten hindurchgeschaut hatte und erkannt hatte, wie aufgeregt sie war. Zwar fühlte sie sich ein klein wenig beleidigt, doch schluckte sie das schnell hinunter.

„Ja. Denk‘ schon“, antwortete Vi achselzuckend. „Lampenfieber“, fügte sie noch leicht grinsend hinzu.

„So ging es mir beim ersten Mal auch“, antwortete Caitlyn ruhig. „Und eigentlich ist es immer noch so.“
 

Vi musterte sie. Caitlyn trug bereits ihre typische Uniform für die Richtfelder – eigentlich war es nicht mehr als ein modisches, lilafarbenes Kleid mit weißen und braunen Verzierungen und – nicht zu vergessen – einen enormen, lilanen Zylinder.

Früher hatte Vi sich gefragt, warum man auf den Richtfeldern so unpraktische Kleidung trug und nicht lieber schützende Rüstungen, inzwischen wusste sie jedoch, dass dergleichen auf den Richtfeldern ohnehin keinen Schutz bot. Denn die Magie, die dort gewoben wurde, sorgte dafür, dass nur das, was innerhalb der Richtfelder erworben wurde, einen Einfluss auf die eigene Kraft und Widerstandsfähigkeit hatte. Auch daran würde sie sich gewöhnen müssen. Sich anfangs schwach zu fühlen und dann Stück für Stück immer stärker zu werden.
 

„Du siehst aber nich nervös aus, Cupcake“, meinte sie schließlich und setzte sich Caitlyn gegenüber auf eine Bank, sich mit ihren riesigen Kampfhandschuhen abstützend.

„Nervös ist vielleicht das falsche Wort“, antwortete Caitlyn ausweichend. „Ich möchte dir keine Sorgen bereiten, aber… ein Kampf auf den Richtfeldern ist meistens nicht gerade die angenehmste Erfahrung. Die wenigsten von uns haben wirklichen Spaß daran.“

Vi schwieg für einen Moment und fragte dann: „Warum?“

„Weil die Kämpfe dort unerbittlich sind. Schmerzhaft. Grausam. Bis zum Tod. Und das immer wieder, bis eine der beiden Seiten gewinnt“, antwortete Caitlyn ruhig.
 

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Mit einem letzten Schlag ihrer Stahlfäuste zwang sie den Kluftkrabbler zu Boden und beobachtete, wie er im Fluss abtauchte, in dessen Mitte schwamm und die Fühler nach oben richtete. Aus der Verbindung mit ihrem Beschwörer konnte sie spüren, dass sie damit die Sichtverhältnisse für ihr Team verändert hatte. Gut.
 

Die Feuchtigkeit des knietiefen Flusses, in dem sie stand, kroch ihr die Beine hinauf, behinderte sie jedoch nicht so stark, wie sie anfangs befürchtet hatte. Die Atmosphäre hier im Richtfeld selbst war… merkwürdig, so wie Caitlyn es beschrieben hatte. Sie fühlte sich irgendwie… von sich selbst distanziert und der Eindringling in ihrem Kopf, der ihren Bewegungen nachhelfen konnte und ihr Anweisungen gab, machte die ganze Sache nicht wirklich angenehmer. Zwar ließ ihr der Beschwörer, der den Namen Lucius Hamilton trug, im Kampf weitgehende Freiheit, doch war es schon vorgekommen, dass sie sich plötzlich an einem gänzlich anderen Platz wiedergefunden hatte oder dass die wilde Kreatur im Dickicht, auf die sie eben noch mit voller Kraft eingeschlagen hatte, plötzlich vernichtet zu Boden fiel. Langsam gewöhnte sie sich ein wenig daran.

Das Match war noch nicht allzu lange im Gange, nicht einmal zehn Minuten wohl, wenn ihr die Zeit auch wesentlich länger vorkam.
 

„Versuchen wir mal, etwas unten zu bewegen“, hörte sie die Stimme von Hamilton im Kopf und hörte, wie er ihren Teammitgliedern ihre baldige Ankunft ankündigte. Vi setzte sich in Bewegung den Fluss hinab und konnte erkennen, wie dieser bald im Boden versiegte und den Blick auf den von Büschen umrahmten Weg freigab, auf dem gerade Caitlyn und Janna damit beschäftigt waren, Wellen um Wellen von Vasallen zu bekämpfen, während sie versuchten, den giftigen Nebeln auszuweichen, die die beiden zhaunitischen Champions Singed und Twitch ihnen entgegenwarfen – keine leichte Aufgabe, wie es schien, denn sie waren bis zu ihrem Turm zurückgewichen.

Auf Hamiltons Anweisung hin schlug Vi einen Bogen und bereitete einen Sprint vor. „Jetzt!“, brüllte Hamilton und auf sein Kommando hin setzten sich auch Caitlyn und Janna in Bewegung, scheinbar deutlich besser in Einklang mit ihrem Beschwörer – selbstverständlich, immerhin machten sie das Ganze auch schon länger.
 

Vi sprang aus dem Busch hervor, holte Schwung und rammte ihre Faust fest in den Rücken der Pestratte, die gerade einen Beutel mit stinkendem Gift nach ihrer Partnerin geworfen hatte. Mit einem breiten Grinsen auf den Lippen rief sie: „Zeit für das Abrisskommando!“ Es war leicht, die Ratte niederzuringen, wenn ihr sein Gestank auch beinahe Tränen in die Augen trieb.

Sie hörte, wie Caitlyn eine ihrer berühmten Fallen abschoss, die im nächsten Moment zuschnappte und eine von Twitchs Pfoten festhielt, der quietschend jaulte.
 

Gerade wollte Vi ihn ein weiteres Mal schlagen, als sie spürte, wie sie um die Hüfte gepackt und über die Schulter des verrückten Chemikers in eine Pfütze aus Kleber geworfen wurde und sich in einer Wolke aus Gift widerfand, das ihr in den Augen brannte, ihr Blut aus Nase und Mund laufen ließ und ihre Haut wie Säure verätzte. Sie keuchte hustend und ihre Sicht vernebelte, während sie um sich herum noch immer den Kampflärm hörte. Ein lautes, quiekendes Kreischen zeigte ihr deutlich, dass es Caitlyn gelungen sein musste, Twitch zu erledigen, doch es blieb immer noch der wahnsinnige Chemiker, der ihr in diesem Moment in den dunstigen Giftnebeln entgegentrat.

Vi riss sich zusammen, obwohl ihr das Gift gerade die Atemwege verätzte und sie Blut spucken ließ, holte aus und schlug mit voller Kraft nach dem dürren Mann, der jedoch sein Schild hob, um ihren Schlag abzublocken. „Aus dem Gift heraus“, rief Hamilton in ihrem Kopf.
 

Ihre Schuhe, die noch immer in zähem Klebstoff feststeckten, ließen sich kaum bewegen und Vi spürte, wie ihre Lebensgeister wichen… ein Gefühl, das ihr Angst machte. Wirkliche Angst.

In diesem Moment spürte sie, wie eine wundervoll weiche Aura sie umgab, die das Gift mit sanftem Wind vertrieb und ihr neue Kraft gab. Durch den weichenden Nebel konnte sie Janna sehen, die ihre Magie in einen Schild gewoben hatte und nun einen heilenden Sturm um sich herum wirkte, der den wahnsinnigen Chemiker hinfortgefegt hatte. Vi wischte sich das Blut von Nase und Mund und sprang Singed hinterher, bereit, ihm den Rest zu geben.
 

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„Wir können sie nicht davon abhalten, den Baron zu töten“, hörte Vi Hamilton in ihrem Kopf mit den verbündeten Beschwörern diskutieren.

„Wir müssen es versuchen“, antwortete Caitlyns Beschwörerin, eine ältere Frau, die Vi schon das gesamte Match über durch ihre energische und unnachgiebige Art aufgefallen war. „Sonst verlieren wir die Türme in der gesamten mittleren Linie. Das können wir uns taktisch nicht erlauben. Wir müssen versuchen, den Segen des Barons zu stehlen.“
 

Im ersten Moment wusste Vi nicht, was genau die Bedeutung der Worte war, die sie da gerade gehört hatte, doch nur ein paar Sekunden später wurde es ihr klar, als Hamilton sie anwies, sich hinter einer Felswand in Stellung zu bringen und auf sein Kommando zu warten.

Caitlyn war nicht bei ihr. Sie war gefallen, ein Strahl von Viktors dritter Hand hatte sie vor ihren Augen zerteilt, bevor sie sich aufgelöst hatte, um sich im Brunnen erneut zu materialisieren.

Einzig Jayce war noch übrig, der auf der anderen Seite des Richtfeldes gerade damit beschäftigt war, den wahnsinnigen Dr. Mundo in Schach zu halten – von ihm war keine Hilfe zu erwarten. Sie war auf sich alleine gestellt.
 

„Jetzt!“, gab Hamilton erneut das Kommando und seinem Wort folgend brach Vi mit einem einzigen Schlag ihrer Faust durch die Wand, um sich dann in einem runden, von Felswänden umkreisten Bereich des Flusses wiederzufinden, der dem ähnlich war, in dem sie Minuten zuvor einen wahrhaftigen Drachen erlegt hatten. Inmitten des Wassers war ein Kampf entbrannt. Auf der einen Seite befanden sich Viktor, Twitch, Singed und Zac, voll und ganz damit beschäftigt, ihrem Kontrahenten den Sieg abzuringen – einer riesigen schlangenähnlichen Bestie, der die Beschwörer den Namen Baron Nashor gegeben hatten.
 

Vi wusste sofort, was Hamilton von ihr gewollt hatte. Von ihr erwartete.
 

Mit einem Schlag ihrer Faust zerschmetterte sie die riesige Bestie und spürte, wie beinahe sofort eine neue Kraft sie durchfuhr, die sie so noch nie gespürt hatte. Doch all die Macht, die sie in diesem Moment durch den Segen des Barons bekam, würde ihr nicht helfen, gegen die Übermacht der vier zhaunitischen Champions.
 

„Sie hat es gewagt“, hörte sie Viktors beinahe mechanische Stimme, während er mithilfe seines dritten Armes ein Feld um sie herum aufbaute. „Tötet sie, tötet sie!“, quietschte Twitch und lud seien Armbrust nach. Das letzte, was sie sah, bevor sie in eine Welt des Schmerzes und Giftes eintauchte, war Zac, der seine Arme im Boden vergrub, sie spannte, mit einem langen Satz bei ihr war, ihren Kopf mit einem seiner Arme packte und in den matschigen Grund des Flusses drückte.
 

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„Komm, Vi. Es ist Zeit, heimzugehen.“

Es dauerte eine ganze Weile, bis Vi aufblickte. Wie lange sie hier in der Umkleide gesessen hatte, wusste sie nicht, aber dem Licht, das vom Warteraum in den Flur fiel, zeigte ihr, dass es wohl schon Abend war.

Vor ihr stand Caitlyn, inzwischen wieder in Alltagskleidung, ihre Waffe geschultert, mit einer Tasche in der Hand.

„Hmmm“, brummte Vi, machte jedoch keine Anstalten, sich zu erheben. Alles fühlte sich… ungewohnt an, und das, obwohl sie nicht einmal eine Stunde in der Kluft der Beschwörer gewesen war. Ihr Körper… fühlte sich unecht an, ungewohnt und schwer.

Caitlyn wartete einen Moment, trat dann aber zu Vi in die Umkleide und setzte sich neben sie. Vi mied ihren Blick und stierte nur auf die Wand ihr gegenüber.
 

Eine Weile lang schwiegen sie sich an, dann ergriff Caitlyn wieder das Wort: „Willst du darüber reden?“

Es dauerte einen Moment, bis Vi antwortete. „Ich weiß nicht, ob ich mich daran gewöhnen kann.“

„Woran“, fragte Caitlyn ruhig. Irgendwie tat Vi ihre Stimme gut. Sie war ein ruhiger Pol in all den aufgewühlten Gefühlen, die in ihr kämpften. Sie schloss die Augen.

„Das Sterben“, antwortete sie schlicht.

Erneut wurde der in der Abenddämmerung langsam immer dunkler werdende Umkleideraum in Schweigen gehüllt.
 

„Es ist schwer, ich weiß“, meinte Caitlyn schließlich. „Es ging mir anfangs nicht anders. Man durchlebt in den Richtfeldern… vieles. Vieles, das unangenehm ist. Das Sterben ist eines davon.“

Vi nickte knapp. Sie hatte in ihrem Leben schon oft Verletzungen davongetragen oder Schmerzen erlitten. Aber das, was sie heute auf den Richtfeldern erlebt hatte, war eine ganz neue Ebene von Leiden. Und Caitlyn erlebte das Ganze schon seit Jahren.

Plötzlich fand Vi eine Verachtung in sich für all die Leute, die sich die Ligamatches ansahen wie… Sport. So wie sie es früher getan hatte. In einer Kneipe sitzend, mit einem Auge die Übertragung verfolgend, mit dem anderen Auge mit einem hübschen Mädel flirtend. Während auf den Richtfeldern gerade Champions für das Wohl von Piltover litten, kämpften und… starben.
 

„Nichts davon ist echt“, fuhr Caitlyn nach einer Pause fort. „Es ist nur ein… temporäres Gefühl. Du musst dich davon distanzieren.“

„Temporäres Sterben fühlt sich immer noch verdammt scheiße echt an, wenn du mich fragst“, schnauzte Vi und spuckte auf den Boden.

Caitlyn schwieg erneut. „Ich weiß“, sagte sie schließlich und legte Vi eine Hand auf den Oberschenkel. Unwillkürlich musste Vi an den Moment denken, als Caitlyn verletzt am Baum gesessen hatte.

„Lass uns nach Hause gehen, Vi.“

Endlich drehte Vi den Kopf und blickte ihre Partnerin an, deren ernster, aber auch ein wenig besorgter Blick wohl die ganze Zeit auf ihr geruht hatte.
 

„Okay“, antwortete Vi schlicht, erhob sich, schulterte ihre Tasche und machte sich mit Caitlyn zusammen auf den Weg zu den Portalräumen, die sie zurück nach Piltover bringen würden.

„Willst du heute bei mir übernachten?“, fragte Caitlyn wie beiläufig, als sie nicht einmal eine halbe Stunde später das Rathaus von Piltover verließen, in dessen Keller sich eines der Portale zum Institut des Krieges befand. Vi, die sich gerade auf den Weg zu ihrem Motorrad hatte machen wollen, blickte sie an und war kurz ein wenig überrascht. Seit der Nacht in Vi‘s heruntergekommen Apartment hatten sie keine Nacht mehr gemeinsam verbracht – auf welche Art auch immer.

Vi wusste, warum Caitlyn es ihr anbot. Und sie konnte nicht ablehnen.

„Warum nich“, meinte sie knapp. „Du fährst mit?“, fügte sie hinzu und deutete mit dem Daumen locker auf ihr Motorrad, das auf dem Parkplatz des Rathauses stand.
 

„Möchtest du auch eine Tasse Tee?“, fragte Caitlyn, während sie Wasser auf dem Herd erhitzte. Vi löste ihren Blick von den nächtlichen Lichtern Piltovers und blickte über die Schulter zu ihrer Partnerin, die in der Küche stand. „Okay“, antwortete sie schlicht. Es war noch keine fünf Minuten her, dass Caitlyn die Tür zu ihrer Wohnung aufgeschlossen hatte. Vi war die Fahrt über schweigsam gewesen – ihr war einfach nicht danach, zu reden – und Caitlyn hatte das respektiert.

Auf einem Tablett brachte Caitlyn zwei Teetassen und eine Schüssel mit Keksen hinüber zum Wohnzimmertisch und setzte sich auf einen Sessel schräg neben Vi, wo sie die Beine elegant überschlug und eine Tasse in die Hand nahm.

Wäre ihre Stimmung nicht so gedrückt gewesen, hätte Vi wohl nicht umhin gekonnt, die weiche Eleganz von Caitlyns Beinen zu bewundern, die von ihrem recht kurzen Rock vollkommen entblößt wurden. Gerade war ihr aber nicht danach.
 

Dafür, dass Caitlyn sie heute hier übernachten ließ, war Vi dankbar. Sie hätte daheim nicht gewusst, was sie mit sich hätte anfangen sollen.

„Mein erstes Ligamatch war dem, das wir heute hatten, recht ähnlich“, fing Caitlyn schließlich doch an zu reden. Vi reagierte kaum, nahm einen Schluck Tee und ließ ihre Partnerin sprechen, ohne sie zu unterbrechen.

„Piltover gegen Zaun. Ich hatte Janna bei mir – so wie heute. Ich weiß nicht, wie es ohne sie verlaufen wäre.“ Sie machte eine kurze Pause und rührte ihren Tee um. Ein leises `kling` ertönte, als der Löffel gegen das Porzellan der Tasse stieß. „Ich kam nicht besonders gut mit meinem Beschwörer klar. Ich meinte, alles besser zu wissen. Ich… bin sehr oft gestorben. Ohne Janna vermutlich noch öfter. Gegen Ende des Matches hatte ich kaum noch den Mut, die Basis zu verlassen. Ich hatte Angst.“
 

Erneut schwieg sie für eine Weile. Vi wandte den Kopf zur Seite und blickte in Caitlyns Gesicht, die den Blick erwiderte. Warm und verständnisvoll. Und voller schmerzhafter Erinnerungen.

„Das Ganze war mir eine Lehre, besser mit meinem Beschwörer zusammenzuarbeiten. Vor dem nächsten Match hatte ich jedoch regelrecht Panik. Wie du dir sicher vorstellen kannst, habe ich anfangs nicht besonders gut abgeschnitten.“

Sie lächelte ein wenig schief. „Allerdings ist mir im Laufe dieses zweiten Matches eines klar geworden. Der Grund, warum ich das Ganze tue.“
 

Ihr Blick wanderte aus dem Fenster und sie ließ ihn über die zahlreichen bunt erleuchteten Hochhäuser Piltovers gleiten. „Das dort draußen. Piltover und seine Bürger. Wir liegen seit so vielen Jahren mit Zhaun in Streit und Krieg. Die kleineren oder größeren Unstimmigkeiten und Gefechte haben schon so viele Opfer gefordert, so viele Unschuldige, die bei Hextechexplosionen oder Giftattentaten gestorben sind. Mit der Liga und den Kämpfen auf den Richtfeldern können wir solche Opfer verhindern, Vi.“ Sie suchte erneut den Blick ihrer Partnerin und blickte sie fest an. „Ich weiß nicht, was genau dich letztendlich bewogen hat, den Schritt zu gehen, der Liga beizutreten… Und ich weiß auch nicht, ob ich das Recht dazu habe, dich danach zu fragen. Aber vergiss deine Gründe nicht. Behalte sie vor Augen.“
 

Sie nahm einen Schluck Tee, bevor sie weiter redete. „Wir beide kämpfen tagtäglich zum Wohl der Bevölkerung von Piltover. Gegen Verbrecher von innerhalb und außerhalb. Aber mit diesem einen Match, das wir heute gegen Zhaun ausgefochten haben, haben wir wohl mehr Leben gerettet als mit einem ganzen Monat Arbeit in der Wache. Und dabei ist es sogar vollkommen gleichgültig, ob wir gewinnen oder verlieren. Denn die Angelegenheit, um die es geht, ist mit dem Ende des Matches rechtsgültig und unwiderruflich.“ Sie lächelte leicht. „Natürlich bin ich trotzdem froh, dass wir gewonnen haben.“
 

Vi schwieg eine ganze Weile und ließ die kleine Rede, die Caitlyn gerade gehalten hatte, erst einmal sacken. In diesem Moment erinnerte sie sich an das, was Kayle ihr gesagt hatte, bevor sie in das Büro der Kanzlerin eingetreten waren. Dann nickte sie: „Du hast Recht. Ich mach‘ den Job, weil mir was liegt. An Piltover.“ Das war wahr. Es war nicht nur die Tatsache gewesen, dass sie bei Caitlyn sein wollte, dass sie der Liga beigetreten war. Seit einigen Jahren hatte sie das Verbrechen aus dem Schatten heraus bekämpft, dann hatte sie es dank Caitlyn mit dem Rückhalt des Gesetzes tun können und jetzt… konnte sie auf den Richtfeldern dafür kämpfen, dass Piltover seine Konflikte friedlich lösen konnte und konnte dabei sogar mit ihrer Kraft dafür einstehen, dass Piltover seine politischen Differenzen siegreich beenden konnte.

Caitlyn nickte: „Ich weiß. Darum habe ich dich damals auch für die Wache rekrutiert. Ich wusste, dass unsere Stadt und seine Bewohner etwas bedeuten und dass deine Fähigkeiten im Kampf gegen das Verbrechen von unschätzbarem Wert sein würden.“
 

„Und dafür musst du jetzt mit meinem Chaos und meinem Problem mit Autoritätspersonen arbeiten. Du bist wohl schon immer so gewesen, dass du die anderen über dich stellst“, meinte Vi schließlich mit einem leichten Grinsen.

Caitlyn erwiderte ihren Blick mit einem warmherzigen Lächeln. „In dieser Sache haben wir wohl einiges gemeinsam, meinst du nicht…?“

Kapitel 11: Asche

Kapitel 11: Asche
 

„Verdammte Scheiße“, fluchte Vi, die gerade damit beschäftigt war, nach einem erfolgreichen Einsatz ihre Handschuhe auszuziehen. Sie bleckte die Zähne, zwischen denen eine Zigarette klemmte und schnickte dabei die überstehende Asche auf den Boden von Caitlyns gerade erst geputztem Büro. Diese blickte von ihren Akten auf, die sie gerade bearbeitet hatte und musterte zuerst die Asche kritisch und dann Vi aufmerksam. „Stimmt etwas nicht?“, fragte sie ruhig.

„Das Drecks Scharnier geht nich auf“, presste Vi zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und betätigte erneut dem Knopf im Inneren der Handschuhe, obwohl sie wusste, dass das eigentlich nicht das Problem an der Sache war.
 

„Soll ich mir das mal anschauen?“, fragte Caitlyn hilfsbereit, steckte die Kappe zurück auf den Füller und steckte ihn in seine Halterung. Dann erhob sie sich von ihrem Stuhl, um den Schreibtisch zu umrunden und Vi unter die Arme zu greifen.

Diese jedoch zeigte einen ablehnenden Gesichtsausdruck und zog die Handschuhe zurück, bevor Caitlyn sie berühren konnte. „Geht schon“, knurrte sie und hockte sich auf ihren Stuhl, bevor sie weiter mit den klobigen Fingern der einen Stulpe versuchte, die andere abzustreifen.

„Nun lass dir schon helfen“, meinte Caitlyn und wurde langsam sichtlich ein klein wenig genervt. „Was ist denn schon dabei? Selbst die beste Technik kann hin und wieder kleine Macken aufweisen.“
 

Noch immer stand sie vor Vi und musterte den Gesichtsausdruck ihrer Partnerin. Irgendetwas stimmte nicht mit ihr, schon seit sie vorhin von dem recht unspektakulären Einsatz zurückgekehrt waren. Vi war mit muffigem Ausdruck von ihrem Motorrad gestiegen und wortlos hinter Caitlyn ins Büro gestiefelt.

Die Mechanikerin schwieg einen Moment, dann seufzte sie. „Ist einfach `n schlechter Tag heute.“

Caitlyn setzte sich seitlich auf den Schreibtisch und überschlug die Beine, Vi noch immer im Auge behaltend. Diese schien so schlechte Laune zu haben, dass sie nicht einmal wie sonst die langen, bloßen Beine würdigen konnte. Innerlich musste Caitlyn ein wenig darüber schmunzeln, normalerweise konnte sie Vi damit immer ein wenig aufheitern. Im nächsten Moment schalt sie sich für diesen Gedanken und konzentrierte sich wieder auf die aktuelle Situation.
 

„Schlechter Tag? Inwiefern?“, fragte sie ruhig.

Vi schnaubte und hielt beide Handschuhe hoch: „Spür‘ meine Hände kaum.“

Sofort fiel Caitlyn wieder das ein, was Vi ihr vor einiger Zeit erzählt hatte, als sie sie in schlechtem Zustand in ihrer Wohnung vorgefunden hatte. Dass sie an schlechten Tagen kaum Gefühl in den Händen hatte und sich ihre Finger fremd und unkontrollierbar anfühlten.

„Verstehe“, antwortete sie schlicht und beugte sich vor, um die noch geschlossenen Schnallen zu lösen und Vi wortlos und mit neutralem Blick beim Ablegen ihrer Handschuhe zu helfen. Diesmal ließ Vi es sich mit nicht besonders beigeistertem Ausdruck gefallen – was hatte sie auch groß für eine Wahl.
 

Als die Handschuhe schließlich neben dem Schreibtisch lehnten, beugte Caitlyn sich vor und nahm beide Hände ihrer Partnerin in ihre eigenen, bevor sie begann, mit dem Daumen sanft über die Finger und den Handrücken zu massieren.

Vi blickte zu ihr auf, erneut mit diesem schwer zu deutenden Blick, mit dem sie sie in letzter Zeit öfter bedachte, schwieg jedoch.

Langsam, gemächlich, aber mit deutlich spürbarem Druck strich Caitlyn die Muskeln der Finger aus, fuhr über die Sehnen und Knöchel streichelte über die zahlreichen Narben, bewegte die Glieder der Finger leicht und hoffte, dass das, was sie in ihrer laienhaften Art tat, irgendetwas brachte. Immerhin schien es Vi ein wenig… zu beruhigen, wenn sie die Veränderung in ihren Zügen richtig deutete.
 

„Wird es ein wenig besser?“, fragte sie nach kurzer Zeit.

Vi zuckte mit den Achseln, stieß aber ein bestätigendes „Hmhm“, aus, während sie einen tiefen Zug von ihrer Zigarette nahm und sich langsam ein wenig zu entspannen schien.

Der Rauch kitzelte Caitlyn in der Nase und sie wedelte ihn mit einer Hand weg, um nicht zu husten. Dann fragte sie: „Ist es in letzter Zeit häufiger vorgekommen, dass du wenig Gefühl in den Händen hattest?“

„Nich öfter als sonst auch“, antwortete Vi. „Wird nich schlimmer. Aber auch nich besser.“

Caitlyn nickte. Immerhin etwas. „Vielleicht solltest du noch einmal zu einem Arzt gehen. Oder einem der Heiler im Kriegsinstitut. Es kann gut sein, dass sie dir dort helfen können.“

Vi zuckte mit den Achseln: „Solang‘s nich schlimmer wird, isses mir eigentlich egal.“ Doch Caitlyn konnte an dem Gesicht ihrer Partnerin nur zu deutlich erkennen, dass es nicht so war.
 

„Vielleicht erwähnst du es einfach mal beim Check-up nach dem nächsten Ligamatch. Schaden kann es jedenfalls nicht“, schlug sie wohlmeinend vor, während sie noch immer Vi‘s Hände in ihren eigenen hielt. Irgendwie war das ein schönes Gefühl, das musste sie zugeben. Zu ihrem Bedauern entzog sich Vi nun ihrem Griff, nahm die Zigarette umständlich und wie mit betäubten Fingern aus dem Mund, um die Asche am Rand des Aschenbechers von der Spitze der Zigarette zu schnicken. „Ja, mal schauen“, meinte sie ausweichend und nahm erneut einen tiefen Zug von der Zigarette.

Caitlyn war klar, dass sie es nicht erwähnen würde. Dennoch würde sie weiterhin versuchen, Vi dazu zu bringen, besser auf sich und ihre Gesundheit zu achten. „Ich will dir wirklich keine Vorträge halten, Vi… Aber meinst du nicht, du solltest vielleicht mit dem Rauchen aufhören?“

Vi stöhnte und lehnte sich mit ihrem Stuhl rücklings, bis sie auf den zwei hinteren Beinen zu kippeln begann. „Ne, mein‘ ich nich.“

„Ich mache mir nur Gedanken um dich, das weißt du“, fuhr Caitlyn damit fort, ihr jetzt doch einen Vortrag zu halten. „Und Rauchen verringert deine Ausdauer, schädigt deine Lungen und verschlechtert deine sportlichen Leistungen. Auch deine kämpferischen Leistungen.“

„Aber `s entspannt mich“, antwortete Vi und lehnte sich vor, um den Stummel der Zigarette im Aschenbecher auszudrücken. Dann verschränkte sie protestierend und abwehrend die Arme vor der Brust, bevor sie mit dem Kippeln fortfuhr.
 

Caitlyn seufzte leicht. Manchmal war Vi wirklich wie ein unbelehrbares Kind. „Aber es gibt auch andere Dinge, die man tun kann, um sich zu entspannen, Vi.“

„Sicher gibt‘s die“, antwortete Vi, fokussierte Caitlyn und grinste beinahe… lüstern.

Normalerweise hätte ein Kommentar wie dieser Caitlyn nicht aus dem Konzept gebracht, doch gerade erwischte er sie auf dem falschen Fuß und ein Schimmer Röte erschien auf ihren Wangen. „Lenk bitte nicht vom Thema ab, Vi“, tadelte sie ihre Partnerin, die daraufhin noch breiter zu grinsen begann.
 

„Ach komm schon, Cupcake. Ich ärger‘ dich ja nur‘n bisschen“, gab sie zurück und lachte kurz.

„Zieh meine Sorgen um deine Gesundheit bitte nicht ins Lächerliche“, antwortete Caitlyn und war überrascht wie ernst es ihr war. Wie sehr sie sich wirklich um Vi sorgte. Nicht nur unbedingt bezüglich der Zigaretten oder ihrer verletzten Hände. Sondern allgemein. Sie wollte sie nicht verlieren. Und in diesem Moment spürte Caitlyn, wie verletzlich sie das selbst machte.

„Ich möchte nur, dass...“, fuhr sie fort, verfiel dann jedoch in ein langes Schweigen. Sie wusste nicht, wie sie es ausdrücken sollte, ohne zu viel preiszugeben, von dem sie selbst noch nicht wusste, was es war.
 

„Was willst du, Cupcake?“, fragte Vi. Das Grinsen war aus ihrem Gesicht verschwunden und sie blickte ihre Partnerin ernst an.

Caitlyn schluckte kurz, bevor sie weitersprach: „Ich möchte, dass du bei guter Gesundheit bleibst. Weil ich mir Sorgen um dich mache.“

„Um mich brauchste dir keine Sorgen machen“, antwortete Vi. „Ich kann schon auf mich aufpassen. Hab ich immer.“

„Das weiß ich. Du hast viel durchgemacht und bist bei allem lebend herausgekommen. Und das ist auch bewundernswert.“ Sie stockte kurz, friemelte mit einer Hand an dem Saum ihrer Uniform, bevor sie sich schließlich zusammenriss und mit fester Stimme weitersprach, ihrer Partnerin dabei unablässig in die Augen sehend. „Ich möchte einfach nicht, dass dir etwas passiert, Vi. Dafür bist du zu wichtig. Für Piltover.“ Erneut schwieg sie kurz, bevor sie ehrlich hinzufügte: „Und für mich inzwischen auch.“
 

Vi erwiderte Caitlyns Blick schweigend und mit einem Funken Unsicherheit in den Augen, bevor sie schließlich mit den Achseln zuckte: „Werd‘ schon nicht sofort tot umfallen. Ich bin zäh, weißt du doch.“

Es war wohl kein Durchkommen bei Vi und Caitlyn spürte, dass sie dringend ihre schützende Mauer wieder aufbauen musste, bevor sie sich noch völlig emotional vor Vi entblößte, die ihre Freundschaft noch immer auf die leichte Schulter zu nehmen schien. Also erhob sie sich von ihrem Schreibtisch, setzte ihren üblichen neutral-kühlen Blick auf und nahm wieder auf ihrem Stuhl platz, bevor sie ihren Füller wieder zur Hand nahm. „Tu, was du willst, Vi. Du lässt dir ohnehin nicht von mir hereinreden. Ich wollte dir nur einen guten Ratschlag geben.“

Da sich ihr Blick nun wieder auf die Akten fixierte, konnte sie Vi‘s Gesicht und ihre Reaktion nicht sehen, doch wenige Momente später murmelte sie: „Ich geh trainieren“, verließ das Büro und zog die Tür hinter sich zu.
 

Am nächsten Tag fand Caitlyn eine halbleere Packung Zigaretten im Mülleimer ihres gemeinsamen Büros.
 

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„Warum muss das nur so verdammt schwer sein“, knurrte Vi und hörte, wie der Lutscher, den sie im Mund hatte, zwischen ihren zusammengebissenen Zähnen knirschte und knackte, bevor ein Stück davon absplitterte.
 

Seit etwa einer Woche hatte sie keine Zigarette mehr angefasst – und es war schwerer gewesen als alles, was sie bisher in ihrem Leben versucht hatte – und das wollte schon was heißen.

Fluchend trat sie gegen die Kellerwand, die den Trainingsraum der Wache mit dem Flur verband und schob den Stängel des Lutschers in den anderen Mundwinkel, bevor sie weiter auf ihm herumkaute. Seit sie ihre Zigaretten weggeworfen hatte und einen persönlichen Schwur geleistet hatte, sich keine weiteren zu kaufen, hatte sie bestimmt fünfzig oder sechzig Lutscher vertilgt, nur um das Gefühl zu bekämpfen, unbedingt etwas im Mund haben zu wollen. Das war sicherlich nicht gut für ihre Figur, wenn sie ihren Frust auch beim Training abließ.
 

Mit einem genervten Stöhnen warf sie ihre Tasche in die Ecke, zog sich die Uniformjacke über den Kopf und stürzte sich nur noch in Muskelshirt und Uniformhose auf den Boxsack des Trainingsraumes, der die letzten Tage sehr unter ihrer schlechten Stimmung gelitten hatte.

Heute war der Entzug besonders schlimm – wenn sie auch hoffte, dass sie das Schlimmste bald überstanden hatte. Wie sie den Abend überstehen sollte, ohne sich besinnungslos zu betrinken, wusste sie noch nicht so wirklich, vor allem, da sie sich Zuhause nicht einmal körperlich verausgaben konnte. Vielleicht sollte sie sich auch einen Boxsack für Zuhause kaufen – so teuer konnten die Dinger doch gar nicht sein…
 

Nachdem sie in der Mittagspause eine komplette Packung Donuts alleine geleert hatte und noch vier weitere leere Lutscherstiele in den Abfall gewandert waren, konnte Vi endlich Feierabend machen. Und auf dem Weg nach Hause hielt sie bei einer Lederhandlung und kaufte sich einen mit alten Textilresten gefüllten, gepolsterten Ledersack, ließ ihn sich direkt einpacken und verlud ihn auf ihr Motorrad, bevor sie ihn Zuhause an einem Haken an der Decke anbrachte und sich zwei Stunden lang völlig an ihm verausgabte.
 

Als sie schließlich dampfend, schwitzend und völlig erledigt auf der Couch saß und den Kopf mit geschlossenen Augen in den Nacken legte, während sie erneut an einem Lutscher saugte, erschien Caitlyns Gesicht vor ihrem geistigen Auge, wie sie sie mit ehrlich besorgtem Gesicht voller Zuneigung angesehen hatte. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sich jemand genug um sie geschert, um zu versuchen, ihr wirklich… zu helfen. Und so war es doch schon die ganze Zeit mit Caitlyn gewesen. Nach außen hin wirkte sie eiskalt, aber wenn sie beide alleine waren, zeigte sie Seiten an sich, die Vi wirklich berührten und etwas in ihr bewegten, von dem sie nicht gedacht hatte, dass daran gerüttelt werden könnte: Ihre absolute und unangefochtene Selbstbestimmung.
 

Caitlyn zuliebe würde sie etwas besser auf sich Acht geben, etwas weniger rücksichtslos mit ihrem Körper umgehen. Denn wie sollte sie ihre Partnerin beschützen, wenn sie mit gebrochenen Gliedern im Straßengraben oder mit ruinierten Lungen im Krankenhaus… Nein. Vi fühlte sich Piltover verpflichtet. Und noch mehr als der Stadt fühlte sie sich ihrer Partnerin verpflichtet. So leicht würde Caitlyn sie nicht loswerden.

„Wirst schon sehen, Cupcake“, knurrte Vi und spuckte den leeren Lutscherstiel in hohem Bogen aus. „Das mach‘ ich mit links.“
 

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Als Vi am nächsten Morgen aufwachte, fühlte sie sich wie gerädert. Ihr kompletter Körper fühlte sich taub und schwach an und als sie sich von ihrer Couch erhob, schmerzten all ihre Muskeln in einem grauenvollen Ziehen.

„Verfluchter Muskelkater“, raunte sie und schleppte sich matt ins Bad, um zu duschen und wieder Leben in ihre Glieder zu bekommen, immerhin musste sie gleich fit zur Arbeit erscheinen. Und natürlich wollte sie Caitlyn nicht zeigen, wie sehr der Entzug sie mitnahm, also musste sie frisch und voller Energie wirken.
 

Nachdem sie sich angezogen und ihre Tasche gepackt hatte und gerade überlegte, ob ihr noch etwas fehlte, fielen ihr zweierlei Dinge auf. Das erste war ein bekannter Geruch, der aus dem Treppenhaus herrührte. Rauch, Schießpulver, Feuer. Das zweite war das Geräusch von schnellen Schritten, die die Treppe hinaufhetzten, einem leisen ‚Klink‘ und einem Zischen, das sie sehr eindeutig einer Lunte zuordnen konnte.
 

„Scheiße“, knurrte Vi und reagierte im Bruchteil einer Sekunde. Durch den Flur gab es kein Entkommen, also musste sie den anderen Weg nehmen – aus dem Fenster. Dass das bei der Höhe – immerhin wohnte sie im dritten Stock – tödlich enden konnte, ignorierte sie.

Hektisch drehte sie sich auf dem Fuße um und wetzte in halsbrecherischer Geschwindigkeit auf das Fenster zu, ihre Tasche mit den Handschuhen und ihren Werkzeugen geschultert, verschränkte die Arme schützend vor dem Gesicht und brach mit einem lauten Klirren durch die Glasscheibe.
 

Noch während sie sich im Flug befand hörte sie die Explosion hinter sich, spürte die Hitze, als die Flammen des sofort einsetzenden Feuers sie umzüngelten, fühlte den Druck der Detonation, bevor sie sich in der Luft drehte und mit der rechten Hand nach einer an ihr vorbeisausenden Stange griff. Ein schmerzhafter Ruck ging durch ihren Körper, als ihr gesamtes Gewicht sie weiter nach unten zog, was sie mit einem kurzen Zischen zwischen zusammengebissenen Zähnen kommentierte, dann baumelte sie an der Regenrinne eines Balkons, ein Stockwerk unter dem ihren.
 

Ihr Blick glitt nach oben. Lodernde Flammen schlugen aus der zerstörten Fensterscheibe, leckten an den Mauern des Gebäudes und verbrannte in kürzester Zeit alles, was sich in ihrer Wohnung befand – ihren wenigen Besitz, ihr Sofa, ihr Heim – zu Asche.
 

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„Das war ein Anschlag auf dein Leben, Vi“, protestierte Caitlyn und stemmte die Hände in die Hüfte, während der Sanitäter noch immer damit beschäftigt war, Vi‘s Schürfwunden zu verarzten, die sie sich beim Zerbrechen des Glasfensters und den anschließenden Sturz vom Balkon aus dem zweiten Stock auf einen Müllcontainer zugezogen hatte.

„Das weiß ich selbst“, antwortete Vi knurrend und funkelte den Sanitäter wütend an, der kurz zurückzuckte, dann jedoch seine Arbeit fortsetzte und ihr ein formschönes Pflaster auf die Stirn klebte, wo sie eine ziemlich auffällige Schramme davongetragen hatte.

„Dann werden wir dagegen vorgehen“, fuhr Caitlyn vehement fort. „Wir müssen das untersuchen. Ich werde sicherlich nicht zulassen, dass ein solcher Angriff auf die Wache Piltovers und noch schlimmer – auf meine Partnerin – ungestraft bleibt.“
 

Vi blickte auf und Caitlyn erschrak ob der Kälte in Vi‘s blauen Augen, die sie bei ihr so noch nie gesehen hatte. „Das wirst du bleiben lassen“, knurrte sie. „Das ist meine Sache.“

Für einen kurzen Moment hielt Caitlyn inne, dann fand sie ihren Schwung wieder. Die Wut, die in ihr brodelte war mit der zu vergleichen, die sie verspürt hatte, als das Institut ihrer Mutter in die Luft gejagt worden war – und sie war sich sicher, dass die beiden Fälle etwas miteinander zu tun hatten. „Das war diese Jinx“, meinte sie mit einem deutlich hörbaren hasserfüllten Unterton.

Vi jedoch blieb ruhig und ernst. „Nein. Das war sie nicht, da bin ich mir sicher. Am Tatort war nichts – kein Graffiti, keine Notiz, gar nichts. Jinx hinterlässt Zeichen, damit man weiß, dass sie es war. Außerdem hätte sie von außen eine Bombe durch das Fenster gejagt. Das ist nicht ihr Stil.“

Seit dem Bombardement auf die Universität von Caitlyns Mutter hatte es noch zwei weitere Vorfälle gegeben, die man Jinx zuordnen konnte, doch noch immer waren sie ihrer nicht habhaft geworden.

„Aber es würde zu ihr passen, Vi. Mit jeder ihrer Aktionen hat sie die Wache selbst angegriffen. Ob es nun die Sabotage eines unserer Einsätze war, die Akademie meiner Mutter oder die Roboter, die wir im Dienst einsetzen. Dein Apartment in die Luft zu jagen, passt in ihr Schema“, gab Caitlyn zu bedenken.
 

Vi schüttelte leicht den Kopf und schubste den Sanitäter grob beiseite. Sie hatte genug von dem Herumgefummel an ihren Wunden – den Rest würde sie selbst versorgen.

„Ich weiß genau, wer das war“, knurrte sie.

Caitlyn schwieg einen Moment und bedeutete dem Sanitäter, sich aus dem Büro zu entfernen, was dieser schließlich tat, sich innerlich bestimmt über Vi‘s Unhöflichkeit beschwerend.

„Wer?“, fragte sie schlicht, als sie alleine waren.

Vi schnaubte: „Werd dir ihre Namen sicher nich‘ geben. Sind… alte Freunde von mir.“

Caitlyn setzte sich auf ihren Stuhl und blickte ihre Partnerin aufmerksam an: „Alte Freunde? Aus welcher Episode deines Lebens?“
 

„Die erste Episode, an die ich mich erinner“, antwortete Vi. „Sie ham mich in den Gassen aufgelesen und mir was zu essen gegeben. Dafür bin ich mit ihnen auf Diebestour gegangen.“

Caitlyn wusste, dass es Vi nicht gefallen hätte, wenn sie sich bei dieser ‚Befragung‘ Notizen gemacht hätte, aber ihr Gedächtnis war gut genug, als dass sie sich die Details würde behalten können. „Wie alt warst du?“

Vi überlegte einen Moment: „Keine Ahnung. Hab auch heute keinen wirklichen Plan, wie alt ich eigentlich bin. War bei ihnen, bis ich in dem Bergwerk verschüttet wurde. Danach hab ich mein eigenes Ding gedreht und Verbrecher gejagt.“

„Also die Jugendbande, bei der du warst?“, fragte Caitlyn ruhig. Noch ließ sich Vi ihre Fragerei gefallen, doch sie befürchtete beinahe, dass es damit bald vorbei war.
 

Ihre Partnerin nickte. „Ja. Genau die. Diese Art, was zu Sprengen, passt zu ihnen. Haben wir früher öfter gemacht. Irgendwo nen Sprengsatz an ne Tür geklebt, Chaos gestiftet, dabei woanders war geklaut. Die Kleberreste an der Tür passen zu gut. Ich weiß, dass sie‘s sind.“

„Dann haben wir genug in der Hand, um gegen sie...“, begann Caitlyn, bevor sie allerdings vehement von Vi unterbrochen wurde, die sich rasant von ihrem Stuhl erhob und mit der Faust auf den Tisch schlug: „Du wirst gar nichts.“ Ihre Stimme war eisig und wütend. „Das ist mein Bier. Und ich kümmer mich da allein drum.“
 

„Vi, wir...“, begann Caitlyn mit möglichst beruhigender Stimme, doch erneut fiel ihr ihre Partnerin ins Wort: „Die ham mich von der Straße gekratzt, als ich nur‘n namenloses Gör ohne Erinnerungen war. Ich such sie und dann red‘ ich mit ihnen. Aber ich werd‘ sie nich ans Messer liefern.“

„Vi, ich verstehe, dass dich eine alte Loyalität mit ihnen verbindet“, antwortete Caitlyn mit beschwichtigend erhobenen Händen. „Aber sie haben versucht, dich umzubringen.“

„Das war nur ne Warnung. Hätten sie mich umbringen wollen, hätten sie das anders angefangen. Ich bin mir nichtmal sicher, ob sie wussten, dass ich daheim war“, gab Vi zurück und richtete sich zu ihrer vollen Größe auf, bevor sie ihre Tasche schulterte – alles, was von ihrem Besitz noch übrig geblieben war, nachdem alles andere von den Flammen verschlungen worden war. „Ich such sie und stell‘ sie zur Rede.“
 

„Vi, selbst wenn sie dich nicht umbringen wollen“, antwortete Caitlyn und erhob sich ebenfalls von ihrem Stuhl. „Das, was heute passiert ist, war ein Attentat auf dein Leben. Diese Leute sind gefährlich.“

Vi schnaubte: „Und wenn‘s `n Mordversuch war, dann hab‘ ich den verdient. Ich hab‘ sie verraten und bin einfach abgehauen. Das ist meine Sache, Cupcake. Und ich muss damit fertig werden.“

„Vi, du bist nicht mehr alleine.“ Caitlyns Stimme war sanft, als sie um den Tisch herumging, um eine Hand auf Vi‘s Unterarm zu legen. Sie wollte ihrer Partnerin helfen – jetzt mehr als je zuvor, wo doch ihre Vergangenheit begann, sie einzuholen.
 

Doch Vi riss sich los. „Mach dir mal keinen Kopf drum. Ich werd‘ dich da nich noch mit reinziehen.“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und verließ ihr gemeinsames Büro, noch immer den Geruch von Feuer und Schießpulver in den Haaren, mit Schrammen übersät, doch mit blitzenden Augen voller Kampfgeist.

Und Caitlyn war sich nicht sicher, warum genau Vi diese Sache alleine regeln wollte – ob nun wirklich aus vergangener, totgeglaubter Loyalität und dem Gefühl, ihren alten Freunden noch etwas schuldig zu sein – oder um sie, ihre Partnerin, zu schützen und vor dem gefährlichen Chaos, das ihr Leben war, fernzuhalten.
 

Einen Moment lang verspürte sie den Drang, hinter Vi herzurennen, sie aufzuhalten, sie zu packen, auf sie einzureden, sie vielleicht sogar zu umarmen und an sich zu ziehen, ihr zu sagen, dass sie sie niemals allein lassen würde.

Dann jedoch setzte sie sich wieder auf ihren Schreibtischstuhl, seufzte tief und griff mit zittrigen Fingern nach ihrer Teetasse. Ihr unsicherer Griff und ihre fahrige Hand ließen den Löffel, der am Rand der Tasse angelehnt war, leise gegen das Porzellan klirren.

Kapitel 12: Distanz und Resonanz

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Kapitel 12: Distanz und Resonanz (Zensiert)

Kapitel 12: Distanz und Resonanz
 

Gestresst strich sich Caitlyn eine lose Haarsträhne hinters Ohr und blickte die hübsche junge Frau aufmerksam an, die vor ihr stand. Blond, gute Figur, aufdringlicher Gesichtsausdruck und ein Klemmbrett in den schlanken Händen. Caitlyn seufzte unhörbar.

„Wann genau hat der Anschlag stattgefunden?“, fragte die Blondine mit hoher Stimme, aber nachdrücklichem Tonfall. Caitlyn wusste, dass Widerworte oder Ausflüchte nichts bringen würden, also würde sie einfach ehrlich antworten.

„Vor zwei Stunden. Im Westflügel der Wache“, sagte sie ruhig und nahm einen Schluck Tee. Sie hatte ihrem ´Gast` ebenfalls welchen angeboten, aber sie hatte abgelehnt. Allgemein war Caitlyn von Besuchen seitens Mitarbeiter des Stadtrats nicht begeistert, doch dieser hier… war noch einmal eine Spur schlimmer. Denn heute musste sie Auskünfte über etwas geben, das ihr schwer im Magen lag: Ein Angriff auf ihre eigene Wache. Und nicht nur das… Es hatte Tote gegeben.
 

Die Angestellte des Stadtrates notierte Caitlyns Auskunft. „Wie sieht es mit den Verlusten aus?“, fügte sie hinzu und taxierte den Sheriff mit einem beinahe schon abwertenden Gesichtsausdruck.

Caitlyn wusste warum. War sie jetzt schon so nachlässig geworden, dass sie nicht einmal ihr Hauptquartier sichern konnte? Konnte man ihr noch vertrauen? Sollte man die Sicherheit der Stadt vielleicht in die Hände einer fähigeren Person geben? In letzter Zeit hatte es viele ungelöste Fälle gegeben, an denen sie und Vi stark zu knabbern gehabt hatten. Dann noch das Attentat auf Vi‘s Wohnung und jetzt das hier. Caitlyn wusste nicht recht, ob sie es als eine Pechsträhne abtun sollte oder langsam an sich zu zweifeln beginnen sollte.
 

Schnell verbannte sie diese Gedanken, straffte ihre Haltung und hielt dem Blick ihres Besuchs stand. „Zwei Tote und vier Verletzte, darunter auch zwei Büroangestellte. Die Bombe ging im Verwaltungstrakt hoch.“

„Haben Sie schon Spuren?“, fragte die Beamtin streng, nachdem sie die Eckdaten notiert hatte. „Und wie steht es mit dem Sachschaden?“

Die Tatsache, dass Caitlyn mit diesen Männern jahrelang zusammengearbeitet hatte, sie – zumindest auf die Arbeit bezogen – gut kannte und sie ein großer Verlust für die Wache und die Stadt sein würden, überging diese Büroschickse einfach. Innerlich brodelte Caitlyn, doch sie stand brav Rede und Antwort: „Wie sich der Sachschaden verhält, kann ich noch nicht genau sagen, dazu muss die Spurensicherung den Rest des Gebäudes erst freigeben. Ebenso steht es mit den Spuren. Sobald sich etwas tut, werde ich Sie direkt unterrichten.“
 

„Es handelt sich hierbei um einen direkten Angriff auf die Stadt Piltover und ihr Rechtssystem. Wenn wir der Meinung sind, dass Sie nicht mehr Herr der Lage sind, werden wir eigene Ermittlungen anstellen“, erwiderte die Beamtin kühl und setzte einen Schlussstrich hinter ihre Aufzeichnungen. „Entschuldigen Sie mich jetzt bitte, ich habe Bericht zu erstatten.“ Sie erhob sich von ihrem Stuhl und verließ das Büro ohne weitere Worte. Caitlyn wartete, bis die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war und lehnte sich dann in ihrem Stuhl zurück, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen.
 

Ihr persönlich war klar, wer für diesen Anschlag verantwortlich war. Und der Ausdruck in Vi‘s Gesicht, als sie den Tatort direkt nach der Explosion betreten hatte, hatte ihre Vermutung noch bestätigt.

Ihre Partnerin war sofort durch die noch rauchenden Ruinen des Westflügels gesprintet, hatte das Gebäude mit einem beherzten Sprung aus dem ersten Stock verlassen und hatte sich an die Verfolgung gemacht. Bisher war sie noch nicht zurückgekommen.

Keine Zeichen von Graffiti an den Wänden, präzise Zerstörung. Dieser Anschlag deutete nicht auf Jinx hin, sondern auf Vi‘s alte Freunde. Und ihre Partnerin schien das zu wissen.

Langsam lief die ganze Angelegenheit aus dem Ruder. Seit dem Anschlag auf Vi‘s Wohnung vor etwas über einer Woche war ihre Partnerin unaufmerksam geworden. Sie war häufiger zu spät zur Arbeit erschienen und wirkte unausgeschlafen und übermüdet. Dunkle Ringe verunzierten ihre Augen und sie zeigte lange nicht mehr so viel Spaß an der Arbeit wie früher. Caitlyn machte sich Sorgen um sie. Und sie machte sich Sorgen um ihre Wache.
 

Vi hatte ihr verboten, eigene Nachforschungen anzusetzen, doch dieses Versprechen würde sie jetzt wohl brechen müssen – sie hatte keine Wahl. Ihre Wachstation war angegriffen worden. Es hatte Tote gegeben. Und der Stadtrat klebte ihr im Nacken. Dies hier war nicht mehr nur Vi‘s Angelegenheit – es war nun auch ihre.

Caitlyn wollte sich gerade von ihrem Stuhl erheben, als die Tür zu ihrem Büro ohne Warnung geöffnet wurde und Vi eintrat. Sie sah abgekämpft aus, in Haaren und Kleidung klebten noch immer Reste von Ruß und Bauschutt.
 

Ohne sich hinzusetzen, fixierte Vi ihre Partnerin mit einem schwer zu deutenden Blick und knurrte: „Ich bin raus.“

„Raus?“, fragte Caitlyn verwundert und auch ein wenig müde. Vi‘s ständige Stimmungsschwankungen, ihre unberechenbare Art und ihre problematischen Angewohnheiten stressten sie schon an guten Tagen, doch gerade heute konnte sie das alles nicht gebrauchen. „Was meinst du damit?“, hakte sie etwas ungehalten nach.

„Raus aus der Wache. Zumindest für `ne Weile“, antwortete Vi und schloss zumindest die Tür hinter sich. Noch immer machte sie keine Anstalten, sich zu setzen.

„Du willst alles einfach hinschmeißen?“, fragte Caitlyn und kniff ihre Augen ein wenig zusammen. „Vi, wir müssen jetzt zusammenarbeiten. Ich habe den Stadtrat im Nacken. Wir müssen diese Angelegenheit aufklären und die Schuldigen hinter Gittern bringen. Keine Zeit für Alleingänge.“

Vi jedoch schüttelte den Kopf: „Die sind nur hinter mir her. Ihr seid denen egal. Die wollen mich aus der Reserve locken und aus der Wache vertreiben. Wenn ich hier bleibe, seid ihr alle in noch größerer Gefahr.“
 

Sie blickte sich kurz im Büro um. Es wirkte beinahe, als wolle sie Caitlyn nicht in die Augen sehen. Schließlich fuhr sie fort: „Ich nehm Urlaub. Bis ich die Sache geklärt hab. Dann begeb nur ich mich in Gefahr und niemand sonst. Das ist meine Sache. Nicht deine.“

Caitlyn erhob sich von ihrem Stuhl, umrundete den Schreibtisch und trat zu Vi, packte ihren Oberarm – die Unterarme steckten noch immer in den Kampfhandschuhen, um sie dazu zu zwingen, sie anzusehen. „Wie oft soll ich es noch sagen, Vi. Wir sind Partner. Und wir lösen diesen Fall zusammen.“
 

Vi erwiderte ihren Blick nun. Matt, müde und ein wenig traurig. „Lieb von dir, Cupcake. Aber ich will dich da nich mit reinzieh‘n. Will nich, dass du verletzt wirst. Und mach dir keinen Kopf – ich pass‘ schon auf mich auf.“ Vi schwieg für einen kurzen Moment, dann hob sie sehr, sehr vorsichtig ihre rechte Hand und legte so vorsichtig wie möglich die metallenen Finger des Handschuhs, der weit größer war als Caitlyns Kopf, an die Wange ihrer Partnerin. Überrascht von der Sanftheit, mit der Vi ihre sonst nur für Zerstörung benutzten Werkzeuge benutzen konnte, zuckte Caitlyn ein klein wenig zusammen, spürte dann jedoch der Berührung nach als käme sie von Vi‘s warmen, rauen Händen selbst. „Ich könnt mir nie verzeihn, wenn du wegen mir verletzt wirst, Cupcake. Nich‘ wegen dieser scheiß dummen Sache aus meiner Vergangenheit. Nimm mich aus‘m Dienst und vertrau mir. Ich komm zurück. Versprochen.“
 

Caitlyn spürte beinahe, wie Vi‘s weiche, sanfte Stimme tief in ihr widerhallte und einen Schauer ihren Rücken hinunter jagte. Sie konnte ihr nicht mehr widersprechen.

„In Ordnung“, antwortete sie schließlich mit leicht belegter Stimme. „Bitte pass gut auf dich auf, Vi.“

Vi nickte, löste ihre Hand von Caitlyn, nahm ihre Tasche, die noch auf ihrer Seite des Schreibtisches stand und verließ ohne auch nur ein weiteres Wort oder einen weiteren Blick das Büro.

Caitlyn blickte ihr lange nach, dann ließ sie sich wieder an ihrem Schreibtisch nieder, zog Vi‘s Dienstplan heraus und notierte ein ‚Auf unbestimmte Zeit beurlaubt‘.
 

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Hektisch sprintete Caitlyn die Treppe der Wache hinab, schlug den Weg zu ihrer Rechten ein und stieß die Türen des Leichenschauhauses der Wache auf. Einer der Mitarbeiter, der einen weißen Kittel und eine Schutzbrille und Handschuhe trug, fuhr herum, als er seine Chefin so außer Atem und in Eile erblickte und trat ihr aus dem Weg, damit sie an ihm vorbeirennen konnte. Am Ende des Ganges angekommen, erkannte Caitlyn durch die Glastür, dass zwei ihrer Kollegen gerade mit einem der Pathologen über eine Leiche gebeugt waren, von der sie gerade erst erfahren hatte. Sich gerade noch zurückhaltend, nicht die Tür einzurennen, öffnete Caitlyn diese und trat ein, schritt ohne weitere Worte zu ihren Kollegen und warf einen Blick auf die tote Frau… und sank dann mit einem erleichterten Seufzen auf einen in der Nähe stehenden Stuhl.
 

Als sie im Funk gehört hatte, dass man eine Frauenleiche in einem der Lagerhäuser in den Randbezirken von Piltover gefunden hatte, hatte Caitlyn schon das Schlimmste befürchtet. Bilder von Vi, ermordet, von einer Explosion erwischt, abgestochen oder erschossen, waren vor ihrem inneren Auge erschienen und hatten ihr keine Ruhe gelassen und erst jetzt, da sie sich persönlich davon überzeugt hatte, dass diese Frau auf gar keinen Fall Vi sein konnte, spürte sie, wie sie sich langsam beruhigte.

Es war fast drei Wochen her, dass sie ihre Partnerin das letzte Mal gesehen hatte und jeden Tag machte sie sich beinahe unerträgliche Sorgen um Vi. Bei jedem Funkspruch erwartete sie, dass man sie tot oder verletzt gefunden hatte, bei jedem Notruf fürchtete sie, dass ihr etwas geschehen sein konnte. Das war doch nicht normal.
 

‚Ich will nicht dass dir etwas passiert.‘ Pah. So wie es momentan war, wäre Caitlyn lieber mit Vi zusammen im Kreuzfeuer zwischen Explosionen und einer Bande von radikalen Verbrechern gefangen als diese Tortur des Wartens zu ertragen.

Seit sie Urlaub genommen hatte, hatte Vi sich nicht mehr gemeldet und Caitlyn hasste sie beinahe dafür, wenn sie auch verstand, warum sie es tat. Sie wollte es so erscheinen lassen, dass sie jegliche Kontakte mit der Wache gekappt hatte. Und Caitlyn fühlte ich furchtbar damit.
 

Marshall, einer ihrer Kollegen bei der Wache, trat einen Schritt von der Leiche weg und musterte sie aufmerksam und ein klein wenig besorgt: „Alles in Ordnung, Sheriff? Sie sehen blass aus.“

Caitlyn straffte ihre Haltung. Auch wenn wohl jeder der Mitarbeiter der Piltover‘schen Wache wusste, warum sie momentan so im Stress war, wollte sie dennoch so wenig Schwäche wie möglich zeigen. „Alles in Ordnung, Marshall. Weitermachen.“

Sie erhob sich von ihrem Stuhl und verließ nach einem letzten Blick auf die drei Kollegen, die sie beinahe ein wenig entgeistert ansahen, das Leichenschauhaus.
 

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Hinter den entfernten Bergen ging langsam die Sonne unter und Caitlyn seufzte leicht, als sie mit flatterndem Magen auf der Fensterbank des Warteraumes in der Liga der Legenden saß. Ihre Waffe lehnte unbenutzt neben ihr und sie baumelte nervös mit einem Fuß, während sie ungeduldig darauf wartete, dass Vi aus der Umkleidekabine kam.
 

Wie alle Champions von Piltover war sie heute ins Kriegsinstitut gerufen worden – ein wichtiges Match gegen Noxus hatte angestanden, bezüglich einiger beschlagnahmter Waffenlieferungen, die durch den Piltover‘schen Untergrund gelaufen waren. Sie selbst war nicht auf die Beschwörerplattform gerufen worden, statt ihr war diesmal Ezreal beschworen worden, der gerade von seiner Ausgrabung in Shurima zurückgekehrt war. Also hatte sie gerade ihre Sachen packen und in den Zuschauerraum gehen wollen, als Vi‘s Name gefallen war. Ihre Parterin war nicht mit ihr zusammen im Warteraum gewesen, doch wenn sie jetzt aufgerufen worden war, bedeutete das unweigerlich, dass sie anwesend war.
 

Vi in ihrer gewohnten Rüstung und mit ihren Handschuhen bewaffnet auf dem großen Übertragungsbildschirm der Liga zu sehen, zu beobachten, wie sie kämpfte, obwohl sie definitiv müde aussah, hatte ihr ein Gefühl der Erleichterung beschert, das sie selbst kaum glauben konnte. Die Anspannung der letzten Wochen war von ihr gefallen. Zumindest für den Moment. Und sie hatte in dem Moment entschieden, es nicht mehr so weit kommen zu lassen.

Vi wollte diese Sache alleine klären. Aber sie konnte und wollte nicht in der Ungewissheit leben, ob sie ihre Partnerin dabei verlieren würde.
 

Nach dem Ende des Matches war sie in den Warteraum zurückgekehrt und Ezreal, der sich gerade hatte auf den Weg machen wollen, hatte ihr gesagt, dass Vi noch unter der Dusche war.

Also wartete sie nun. Auf ihre Partnerin. Wieder einmal.

Schließlich hörte sie hinter sich das Geräusch einer sich öffnenden Tür, erhob sich von der Fensterbank und blickte hinüber. Vor ihr stand Vi, in einem abgewetzten Trainingsanzug, mit nassen Haaren und ihrem alten Seesack über der Schulter, das Gesicht abgehetzt und übermüdet, eine große Schramme über der Nase und mit angeschlagenem Körper – definitiv keine Spuren des Richtfeldes.
 

„Vi...“, sagte Caitlyn schlicht und suchte den Blick ihrer Partnerin. Diese zögerte kurz und erwiderte ihn dann: „Warum biste noch hier, Cupcake?“

Sogar diesen dämlichen Spitznamen zu hören, bereitete Caitlyn eine dermaßene Erleichterung, dass sie es kaum in Worte fassen konnte. Mit wenigen, schnellen Schritten hatte sie die Distanz zwischen ihnen beiden überbrückt und schlang die Arme um Vi‘s Hals, zog sie an sich und atmete den vertrauten Geruch ein. „Ich habe mir Sorgen um dich gemacht“, murmelte sie gegen Vi‘s Hals, in dem sie ihr Gesicht vergraben hatte. Sie spürte die Nässe der feuchten Haarsträhenen auf ihrem Gesicht und atmete tief durch, als sie fühlte, wie Vi sich nach kurzem Zögern in ihrer Umarmung entspannte und ebenfalls die Arme um sie legte. „Sorry, Cupcake. Das Ganze dauert länger als ich dachte.“
 

Einen langen Moment schwieg Caitlyn, die Augen geschlossen, an ihre Partnerin gelehnt, bis sie schließlich antwortete: „Kannst du mir nicht wenigstens ab und an ein Lebenszeichen schicken?“ Nach einer kurzen Pause gab sie kleinlaut zu: „Ich weiß, dass du auf dich aufpassen kannst, aber ich würde mich dann besser fühlen.“

Vi löste die Umarmung und schob Caitlyn ein Stück von sich weg, das Gesicht wieder abwehrend und verschlossen: „Ich kann nich einfach bei der Wache auftauchen, wenn ich mir schon so viel Mühe geb, von der Bildfläche zu verschwinden.“

„Und eine Nachricht? Kannst du mir nicht wenigstens irgendwo einen Zettel oder etwas ähnliches hinterlassen?“, fragte Caitlyn mit Nachdruck, beinahe enttäuscht darüber, dass die friedliche Umarmung beendet und die Diskussion eröffnet war.
 

Vi jedoch schüttelte den Kopf: „Eher nich. Zu gefährlich.“

„Nichtmal zu mir nach Hause?“, fragte Caitlyn unnachgiebig. Sie würde Vi nicht eher gehen lassen, als bis sie ihr entgegengekommen war. Nochmal würde sie diese vier Wochen nicht durchstehen. „Niemand weiß, wo ich wohne, Vi. Niemand kennt meine Adresse. Die Nachbarschaft ist völlig anonym. Wirf mir einfach einen Zettel in den Briefkasten, damit ich weiß, dass es dir gut geht.“

Vi biss sich auf die Unterlippe: „Wird schwer, Cupcake.“

Dass Vi nicht einmal etwas so Einfaches tun wollte, um ihr die Seele zu erleichtern, machte Caitlyn ein wenig wütend, doch sie war noch nicht gewillt aufzugeben. „Wo wohnst du überhaupt zurzeit? Du siehst nicht aus, als würdest du besonders viel Schlaf bekommen“, wechselte sie für den Moment das Thema und hob die Hand, um über Vi‘s malträtiertes Gesicht zu fahren.
 

Vi zuckte mit den Achseln: „Eigentlich bleib ich nie lang am selben Ort. Wie früher halt. Klapper alte Bekannte ab, forder‘ Gefallen ein. Leider bisher ohne Ergebnisse.“

Caitlyn nickte ruhig und überlegte einen Moment. „Wie wäre es denn...“ Sie brach kurz ab, sammelte sich und fuhr mit klopfendem Herzen fort. „Wie wäre es denn, wenn du für die Zeit bei mir einziehst. Dann sehe ich dich ab und an, kann sichergehen, dass du wenigstens ab und an mal schläfst und etwas isst… Niemand weiß, wo ich wohne und wenn du ein wenig vorsichtig bist, bleibt das auch so. Und du kannst wenigstens nachts sicher sein, dass dir niemand in den Rücken schießt, während du schläfst. Was meinst du?“

Vi kniff die Augen zusammen und musterte ihre Partnerin. „Ich will nich riskieren, dass dein Wohnort auffliegt.“
 

Caitlyn nickte: „Ich weiß. Pass auf, welche Wege du nimmst, park dein Motorrad an immer anderen Orten und nimm ein paar Umwege. Dann sollte das Ganze problemlos funktionieren. Und ich würde mich besser fühlen.“

Der Gedanke, ihre Wohnung für die nächste Zeit mit ihrer Partnerin zu teilen, versetzte sie in innere Unruhe und Aufregung und für einen kurzen Moment blitzte vor ihrem inneren Auge das auf, was sie vor einiger Zeit in Vi‘s Wohnung… getrieben hatten. Bislang war es ihr recht gut gelungen, das Ganze zu verdrängen, doch gerade in diesem Moment kehrten die Erinnerungen sehr intensiv zurück. Natürlich schalt sie sich sofort dafür aus und versuchte, sich wieder zu konzentrieren. Bei der aktuellen Situation waren dergleichen Gedanken doch wirklich mehr als nur unangebracht, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass sie eigentlich nicht vorgehabt hatte, das Ganze zu wiederholen.

Vi schwieg eine ganze Weile, den Blick von Caitlyn abgewandt und fuhr sich schließlich mit der Hand über ihre rasierte Kopfseite. „Also gut“, antwortete sie seufzend. „Wenn du dann Ruhe gibst.“

Caitlyn war sich nicht ganz sicher, aber sie meinte, einen leichten Rotschimmer auf Vi‘s Wangen zu sehen, während ihr eigener Magen vor Freude flatterte.
 

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„Soll ich dir ein Gästebett besorgen?“, fragte Caitlyn und drehte sich zu ihrer Partnerin um, die gerade ihren Seesack und den Werkzeugkoffer, den sie bei ihrem Motorrad aufbewahrt hatte, auf die freie Fläche neben dem Sofa warf. „Ne, passt schon. Das Sofa reicht mir“, antwortete Vi, ließ sich auf das Sofa fallen und streifte ihre Schuhe mit einem Seufzen der Erleichterung ab. Caitlyn blickte von der Küche aus zu Vi hinüber und stellte fest, dass es sich inzwischen nicht mehr ungewohnt anfühlte, ihre Partnerin hier in der Wohnung zu haben. Und die Tatsache, dass sie wohl für eine kleine Weile hierbleiben würde, gefiel ihr irgendwie, auch wenn sie sich sicher war, dass sie sich spätestens in zwei Tagen, wenn das Chaos in ihren gewohnt ordentlichen vier Wänden ausgebrochen war, dafür hassen würde. Es fing ja jetzt schon an. Vi‘s Jacke lag über einem Stuhl des Esstisches, die Schuhe unordentlich neben und unter dem Couchtisch und das Gepäck wahllos in die Ecke geworfen.
 

Caitlyn versuchte, sich nicht davon stören zu lassen und stattdessen eine gute Gastgeberin zu sein, so wie ihre Mutter es ihr beigebracht hatte: „Möchtest du etwas trinken? Oder etwas zu essen? Du hattest sicherlich seit dem Ligamatch nichts mehr.“

„Warum nich“, antwortete Vi und drehte den Kopf zu Caitlyn hinüber. „Was schlägste vor?“

„Ich könnte etwas kochen“, bot Caitlyn an und verfluchte sich im nächsten Moment dafür. Sie konnte nicht kochen. Überhaupt nicht. Eigentlich hatte sie nicht einmal wirklich Zutaten zuhause, um etwas zu kochen, das über Tee hinausging.

Vi zog eine Augenbraue hoch: „Seit wann kannst du kochen?“ Dann grinste sie: „Aber klar, mach ma. Ich bin gespannt.“

Mist. Caitlyn nickte und wühlte ein wenig in ihren Küchenschränken herum, um irgendetwas zu finden, was sie ihrem Gast vorsetzen konnte und was unter den Begriff ‚kochen‘ fiel. Schließlich öffnete sie ein paar Dosen, rührte eine Tomatensoße zusammen und brachte ein paar Nudeln auf den Herd. Während sie sich am Herd abmühte, wanderte ihr Blick immer wieder zu Vi, die ihren Werkzeugkasten auf dem Wohnzimmertisch ausgebreitet hatte und nun damit beschäftigt war, ihre Handschuhe zu warten. Der Geruch von Motoröl wurde nur knapp von dem der Tomatensoße überdeckt, doch Caitlyn beschwerte sich nicht. Dies war für die nächste Zeit auch Vi‘s Zuhause und sie wollte, dass sie sich wohlfühlte.
 

Als ihre Partnerin jedoch in die Tasche griff und sich eine Zigarette anzündete, musste sie etwas traurig lächeln. Schade. Vi hatte so gute Fortschritte gemacht…

Als sie schließlich fertig war und die Soße nach bestem Wissen und Gewissen abgeschmeckt hatte – viel mehr als Salz und Pfeffer und irgendeine Kräutermischung, die sie gefunden hatte, waren sowieso nicht drin – packte sie zwei Portionen auf Teller und begab sich hinüber zu ihrem Esstisch, den sie bereits gedeckt hatte. „Du kannst kommen“, rief sie Vi herbei, die sich die Hände abklopfte, ihre Werkzeuge beiseite legte und sich auf einem der gedeckten Plätze niederließ.

„Guten Appetit“, wünschte Caitlyn und stellte die zwei Teller mit Nudeln und Tomatensoße auf den Tisch. Vi blickte zuerst auf den Teller, dann auf Caitlyn und dann wieder auf den Teller. „Dir auch“, erwiderte sie nach einer kurzen Pause und wartete tatsächlich mit dem Essen, bis Caitlyn sich auch hingesetzt hatte.
 

„Es ist nichts Besonderes. Ich… bin keine erfahrene Köchin. Aber vielleicht schmeckt es dir ja trotzdem“, meinte Caitlyn etwas verlegen und begann mit dem Essen. Vi schwieg einen kurzen Moment, blickte ihrer Partnerin dann in die Augen und meinte mit einem leicht schiefen Grinsen: „Große Konkurrenz haste nich, Cupcake. `S hat noch nie jemand für mich gekocht.“ Mit diesen Worten begann sie, ihre Portion in sich hineinzuschaufeln. Sie hatte ziemlich offensichtlich in den letzten Wochen nicht besonders viel Zeit dazu gehabt, in Ruhe zu essen.

„Dann sollte ich das vielleicht öfter machen“, antwortete Caitlyn mit einem leichten Lächeln. „Das hätte nur Vorteile. Du würdest ab und an eine vernünftige Mahlzeit in den Magen bekommen und ich lerne etwas für‘s Leben.“

„Deal“, antwortete Vi mit vollem Mund und hob grinsend den Daumen.
 

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Ein lautes Türenschlagen riss Caitlyn aus dem Schlaf und ließ sie senkrecht im Bett auffahren. Ein Blick auf den Wecker zeigte ihr, dass es mitten in der Nacht war. Ihr Herz hämmerte panisch, sie griff nach der Handfeuerwaffe, die immer in ihrem Nachttisch lag und spähte aus dem Schlafzimmer ins Wohnzimmer hinein.

Als sie Vi erkannte, die gerade von einem ihrer nächtlichen Rundgänge durch die Außenviertel von Piltover zurückkam, atmete sie zittrig tief durch und ließ die Waffe sinken, um sie dann wieder in der Schublade zu verstauen. Dann trat sie aus der Schlafzimmertür zu ihrer Partnerin ins Wohnzimmer. „Vi, da bist du ja endlich“, rief sie, ein wenig ungehalten über die Verspätung und das unsanfte Wecken.
 

Vi, noch in voller Montur – diesmal sogar in Rüstung – ließ mit klobigen Bewegungen ihrer Kampfhandschuhe ihre Tasche auf die gewohnte Stelle neben der Couch fallen und blickte Caitlyn mürrisch an. Ihre Augenringe waren in den letzten vier Tagen, die sie nun schon zusammen wohnten, nicht wirklich weniger geworden. Zwischen ihren Zähnen hatte sie eine Zigarette geklemmt, die schon zur Hälfte abgebrannt war und ihre Haare waren zerzaust. Caitlyns sonst so sauberer Wohnung wurde von dem Geruch nach Alkohol, Tabak und Motoröl durchströmt.

„Hab‘ doch gesagt, ich muss nachts raus“, presste Vi heraus, die Lippen zusammengepresst, um die Zigarette nicht zu verlieren.
 

„Kannst du dann wenigstens ein klein wenig leiser dabei sein?“, fragte Caitlyn mit leicht zusammengekniffenen Augen. „Ich muss früh aufstehen.“

„Schonmal versucht, mit Panzerhandschuhen `ne Tür leise zuzumachen?“, knurrte Vi ungehalten und hielt zum Verdeutlichen ihrer Aussage ihre Hände hoch.

„Ich weiß genau, dass du damit mehr Fingerspitzengefühl hast als du zugibst“, antwortete Caitlyn ruhig und rief sich den Moment in ihrem Büro in Erinnerungen, als Vi ihre Wange berührt hatte. Allein die Erinnerung ließ einen leichten Schauer über ihren Rücken rinnen.

„Hab ich das?“, fragte Vi, spuckte die Zigarette in den Aschenbecher, den Caitlyn ihr inzwischen besorgt hatte und kam zu ihr hinüber. Obwohl Vi müde war, kamen ihre Bewegungen Caitlyn wie die eines Raubtieres vor.
 

„Ja, hast du“, antwortete Caitlyn mit einem kleinen Zögern in der Stimme, das sie sich selbst nicht recht erklären konnte. „Also würde ich dich bitten, nächstens ein wenig Rücksicht auf meinen Schlaf zu nehmen. Und wenn du ungehalten bist, weil du keine Spuren findest, dann lass sie bitte an etwas anderem als meiner Haustür aus.“

Vi stand nun direkt vor ihr, nah genug, dass sie ihren Atem spüren und riechen konnte. Alkohol und Tabak. „Hast du getrunken?“, fragte sie kritisch.

„Und wenn schon. Hast du ein Problem damit?“, fragte Vi und Caitlyn hörte den leicht drohenden Unterton in ihrer Stimme.

„Ich hasse es, wenn du trinkst“, antwortete Caitlyn jedoch kühl, entschlossen, sich nicht einschüchtern zu lassen.

Vi schnaubte: „Du hast mir nichts vorzuschreiben, Cupcake. Ich bin hier, weil du gejammert hast, dass du dir Sorgen um mich machst. Kann auch wieder geh‘n.“

„Mir war wohl einfach nur nicht klar, dass du deine ‚Ermittlungszeit‘ damit verbringst, dich zu betrinken. Dann hätte ich dich vielleicht nicht unter den Leichen aus dem Randviertel gesucht, sondern unter den Schnapsleichen in der Ausnüchterungszelle“, fauchte Caitlyn. Es war unverantwortlich von Vi. Da hielt sie ihr wochenlang vor, dass dies alles viel zu gefährlich war, betrank sich aber, statt auf sich aufzupassen.
 

Scheinbar hatte sie mit ihrer Aussage jedoch übertrieben. Mit einer einzigen, schnellen Geste hatte Vi ihren Handschuh mit ausgestreckten Fingern gegen die Wand nur wenige Zentimeter neben Caitlyn gerammt und sie hörte ein leises Bröckeln von Putz. Zum Glück hatte Vi nicht mit voller Kraft zugeschlagen, sonst wäre von der Wand nicht mehr viel übrig.

Obwohl sie überrascht war, zuckte Caitlyn nur minimal zusammen und hielt Vi‘s Blick stand. „Willst du jetzt meine Wohnung demolieren?“, fragte sie kühl und lehnte sich gegen die Wand hinter ihr. Sie war eingekesselt, das war ihr bewusst. Und Vi war eine gefährliche Person, das wusste sie aus den Akten und aus dem, was sie bereits gemeinsam erlebt hatten. Und obwohl sie beide schon so viel gemeinsam durchgemacht hatten, war sie sich nicht sicher, wie sie Vi in diesem Moment einschätzen sollte. Sie war angetrunken und gereizt, übernächtigt und genervt. Würde sie ihr gegenüber gewalttätig werden?
 

Über all ihre Bedenken, die in diesem Moment hochkamen, bemerkte Caitlyn allerdings noch etwas anderes… Und zwar, dass Vi ihr gerade sehr, sehr nahe war. Ihre Oberkörper trennten nur noch wenige Zentimeter und Caitlyn konnte beinahe die Hitze spüren, die von ihrer Partnerin ausging. Unwillkürlich fühlte sie, wie ihr Herz schneller zu schlagen begann… ob nun vor Furcht oder Aufregung oder beidem konnte sie jedoch nicht wirklich sagen.

Vi schien die Veränderung auf Caitlyns Gesicht nicht zu entgehen, denn ein leichtes Grinsen trat auf ihre Lippen. „Aber nich doch. Hab doch Fingerspitzengefühl, wie du sagst“, antwortete sie und schob auch die andere behandschuhte Hand nach vorne, legte einen Finger unter Caitlyns Kinn und hob ihr Gesicht an, sodass sie sich nun direkt ansahen. Caitlyn spürte das kalte Metall nur allzu deutlich an ihrer Haut, doch die Besorgnis, von der sie eben noch erfüllt war, verschwand nun auf einmal. Es war erstaunlich, wie Vi‘s Stimmung umschwingen konnte. Und es war ebenso erstaunlich, wie zärtlich sie mit diesen groben Zerstörungswerkzeugen sein konnte.

„Ja… Hast du“, antwortete Caitlyn ein klein wenig atemlos und blickte ihrer Partnerin in die Augen. Als sie sah, dass sich Vi‘s Gesicht ihrem näherte, schlossen sich ihre Augenlider flatternd.
 

Vi‘s Lippen waren rau, aufgerissen und trocken und schmeckten nach Tabak und Alkohol. Dennoch störte sich Caitlyn nicht daran. Im Gegenteil.

Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und schlang die Arme um Vi‘s Hals, zog ihre Partnerin enger an sich und spürte, wie diese einen Arm um ihre Taille legte. Seit der Nacht in Vi‘s Apartment hatten sie sich nicht mehr geküsst und plötzlich spürte Caitlyn, wie sehr sie es eigentlich gewollt hatte. Wie sehr sie es vermisst hatte. Wie ausgehungert sie war.
 

Als sie den Kuss keuchend lösten, öffnete sie ihre Augen wieder und sah in Vi‘s Gesicht, dass es ihr nicht anders ging...


Nachwort zu diesem Kapitel:
Dies ist das erste von vermutlich um die 20 bis 25 Kapitel für die Fanfiction.
Ich hoffe, es hat gefallen. :)
Über einen Kommentar und einen Favoriten würde ich mich sehr freuen.

Greetings
Lei Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr Lieben.
Hier ist das erste offizielle Kapitel. Der Anfang ist ein wenig langsam, ich hoffe, das ist nicht schlimm :) Da die Fanfiction auf etwa 30 Kapitel angesetzt ist, möchte ich mir ein wenig Zeit mit dem Aufbau der Charaktere und (später auch) des Plots lassen.
Die Sicht wird von Vi in späteren Kapiteln immer mal wieder auf Caitlyn wechseln, sodass wir Einblicke in die Gefühlswelt von beiden bekommen.
Hoffe, es hat gefallen. Über Kommentar und Favo (auch gerne konstruktive Kritik) würde ich mich freuen.

Greetings,
Lei Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, hier ist Kapitel 2. Ich mag die Tatsache, dass Vi und Caitlyns Prinzipien sich absolut widersprechen und werde das Thema in kommenden Kapiteln noch öfter aufgreifen, bis die beiden sich etwas annähern. Es gibt so viel Reibungspotential. *Begeisterung*

Hoffe, es gefällt euch. Hinterlasst mir gerne einen Kommentar oder einen Favo. :)

Greetings,
Lei Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, hier nach viel zu langer Zeit mal das nächste Kapitel.

Jetzt, da sich die beiden mal etwas kennen gelernt haben, trete ich ab dem nächsten Kapitel mal die erste von drei Handlungen ins Rollen :D Hoffe, ihr seid gespannt.

Lasst mir gerne einen Kommentar oder Favo da!

Greetings,
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Nachwort zu diesem Kapitel:
Nach etwas längerer Zeit endlich mal wieder ein neues Kapitel. Ich hatte zuviel zu tun, um früher dazu zu kommen ,tut mir Leid >.< Ich versuche, mir für das nächste nicht zu viel Zeit zu lassen.

Endlich ist Jinx mal aufgetaucht und bringt ein paar Probleme in die Sache. :D

Hoffe, es hat euch gefallen.
Greetings,
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Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo, ihr Lieben, hier das neue Kapitel, diesmal ein wenig länger, um die lange Wartezeit zu entschuldigen.

Endlich mal ein bisschen privatere Gespräche und ein bisschen Annäherung zwischen Cait und Vi. Ich freu mich :D
Nächstes Mal gibts wieder ein wenig Story! Bin gespannt, wie es wird. Geplant ist ja schon alles.
Hoffe, es hat euch gefallen.
Greetings,
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Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo, ihr Lieben.

Lang her seit dem letzten Kapitel - tut mir Leid *verbeug
Ich hoffe, die Länge des Kapitels entschädigt das ein wenig. Ich hoffe, dass ich das nächste Kapitel etwas schneller gebacken bekomme!

Lasst mir gerne Kommentare und Feedback da! Würde mich freuen!

Vielleicht noch ein bis zwei Kapitel, dann gehts zum ersten Mal ans Eingemachte, wenn ihr versteht, was ich meine *zwinker XD Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Huhu ihr Lieben,

diesmal ging's etwas schneller, als Entschädigung dafür, dass das letzte so lange gedauert hat. Auch das nächste Kapitel ist schon geschrieben, das werde ich dann wohl die Tage hochladen. ^^

Hoffe, es gefällt euch soweit. Nächstes Kapitel gehts zur Sache :D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr Lieben.

Hier das nächste Kapitel, in dem die zwei Dorks versuchen, mit der ganzen Spannung zwischen ihnen umzugehen.
Außerdem: Vi wird endlich Champion der Liga! Wuhu! :D

Hoffe, das Kapitel hat euch gefallen. Lasst mir gerne einen Kommentar da.

Greetings,
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Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo, ihr Lieben.

Hier das nächste Kapitel, in dem es mal kämpferisch ein wenig zur Sache geht. Ich tue mich immer noch ein wenig schwer darin, Action zu beschreiben, aber ich habe hoffentlich alles einigermaßen passend darstellen können.

Und endlich sind einmal so gut wie alle Champions von Piltover aufgetreten. Leider konnte ich ihnen nicht allen die gebührende Zeit widmen, aber ich hoffe, ich habe sie dennoch einigermaßen getroffen.

Ich würde mich über Kommentare sehr freuen :D

Im nächsten Kapitel (das schon fertig ist), gibt es mal wieder etwas Handlung (und schon wieder Action). Aber bald wird es auch wieder romantischer, versprochen. ^^

Greetings,
Lei Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo, ihr Lieben.

Hier wieder ein neues Kapitel. Das nächste folgt die Tage, ich hab' es schon fertig :D
Ich versuche jetzt, immer ein oder zwei Kapitel in der Rückhand zu haben, damit ihr nicht so lange warten müsst, selbst wenn ich mal viel zu tun habe.

In diesem Kapitel ist eine der Handlungslinien mal in ihre Startlöcher getreten und ich werde mich die nächsten zwei Kapitel damit beschäftigen :) Ich hoffe, ihr habt Spaß daran.

Im nächsten Kapitel gibt es mal wieder etwas 'Romantik', wenn man es denn so nennen will :D

Lasst mir gerne Kommentare da, ich freue mich über jeden einzelnen. Sie motivieren mich extrem!

Greetings,
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Kommentare zu dieser Fanfic (30)
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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Yoruri
2021-01-08T14:18:29+00:00 08.01.2021 15:18
I STILL NEED U TO COME BACK GURL PLSSSSS :(((
Von:  Yoruri
2018-07-18T09:12:37+00:00 18.07.2018 11:12
LEILAAAAAAN!
BBY COME BACK! :(((( ♥
Von:  Darkdragon83
2017-10-24T17:57:27+00:00 24.10.2017 19:57
Wohoo wie immer ein sehr gutes Kapitel!
Freu mich auf "den nächsten Morgen" ;)
Von:  xXxMephistoxXx
2017-09-23T12:49:49+00:00 23.09.2017 14:49
Herrlich xD die beiden Herzchen sind in ihrer Zweisamkeit echt nicht zu toppen. Die Stimmungswandel von vi einfach geil rübergebracht. Weiter so Daumen hoch der schreibstil ist super.
LG Mephi
Antwort von:  Leilan
23.09.2017 21:27
Danke dir für deinen Kommentar. Freut mich, dass die beiden Dorks dir Freude bereiten! :D
Von:  Darkdragon83
2017-09-12T10:24:20+00:00 12.09.2017 12:24
Uuh ich freu mich auch Mal wieder auf mehr Romantik. Ich meine langsam müsste doch Beiden klar werden dass die was voneinander wollen... ;)
Antwort von:  Leilan
12.09.2017 15:38
Die beiden sind ziemlich stur XD Bis die das zugeben, wird das noch ein WEilchen dauern. Aber das wird sie nicht davon abhalten, einander in mehr als nur einer Hinsicht an den Hals zu fallen. XD
Von:  xXxMephistoxXx
2017-08-30T22:11:04+00:00 31.08.2017 00:11
Sehr gut ;) Ich freue mich über jedes Kapitel aber noch mehr freue ich mich über Romantik *__* gerade bei zwei solch unterschiedlichen Charakteren ,will das die beiden endlich mal nen großen Schritt aufeinander zu machen !! xD
Lg
Antwort von:  Leilan
31.08.2017 08:50
Ich auch. Sehr sogar XD Aber ich hab insgesamt ungefähr 30 Kapitel geplant, da würde mir der Stoff in der Beziehungsentwicklung ausgehen, wenn ich die beiden zu schnell zusammenkommen lassen würde XD Da kommt noch einiges an Handlung und ganz so einfach will ich es ihnen ja auch nicht machen XD
Von:  xXxMephistoxXx
2017-08-29T05:50:31+00:00 29.08.2017 07:50
Mega freu :) endlich was neues !! xD schreib bitte schnell weiter. Lg
Antwort von:  Leilan
29.08.2017 15:52
Geht bald weiter! :) Nächstes Kapitel ist schon fertig und wird heute oder morgen hochgeladen
Von:  Darkdragon83
2017-08-19T22:12:49+00:00 20.08.2017 00:12
Wow, also wenn das wirklich dein erstes yuri war dann Respekt! Du hast das wirklich gut gemacht, es liest sich super, ist durchaus realistisch und nicht zu obzön, sondern in einem Maß wo es Spaß macht das zu lesen.
Weiter so!
Antwort von:  Leilan
20.08.2017 00:14
Danke, freut mich wirklich, das zu hören. Ich bin seit vielen Jahren im Yaoi Bereich angesiedelt, aber Yuri habe ich bislang nur gelesen oder gezeichnet. Da bin ich erleichtert, dass ich es geschafft habe, es richtig rüberzubringen.
*freu*
Von:  Darkdragon83
2017-08-17T22:07:04+00:00 18.08.2017 00:07
Mmh also ich mag ja dieses umher tänzeln der beiden aehe gerne....Aber mal sehen wie es weiter geht. Nächstes Kapitel ich komme...
Antwort von:  Leilan
18.08.2017 00:20
Bin gespannt, wie es dir gefällt :) Es wird ordentlich zur Sache gehen.
Von:  Ranhwa
2017-08-10T19:58:17+00:00 10.08.2017 21:58
XD ich musste zwischendurch schmunzeln weil ich mir regelrecht vorstellen konnte, dass die zwei sich so wie Idioten verhalten. Aber sehr gelungen die Story und alles drum herum :), bin gespannt auf die nächsten Kapitel und das weitere geschehen.
Antwort von:  Leilan
10.08.2017 22:08
Dankeschön :) Und ja, sie verhalten sich wie Idioten. Aber es passt auch so gut XD


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