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[EN]counters

[1219AK2016]
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Der letzte Teil von [EN]counters, der tatsächlich ein wenig anders ist als die vorhergehenden ;)
Mir sind die Charaktere im Verlauf der Geschichte tatsächlich ziemlich ans Herz gewachsen und ich überlege, ob ich noch eine Geschichte mit ihnen schreibe. Was meint ihr?
Übrigens. Wie deutlich war es, welche Städte/Länder ich womit referenziert habe?

Nun, ich hoffe der letzte Teil gefällt euch! Komplett anzeigen

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[DIE STADT – 2082]

Wie ein Labyrinth aus Lichtern und Schatten lag DIE STADT unter ihr. Von hier aus waren keine Menschen erkennbar und selbst die Wagen erkannte man nur dank der sich bewegenden Scheinwerfer, die in der Tiefe der Straßenkluft schimmerten. Die Atmosphärenanzeige im Fenster selbst sagte ihr, dass draußen gute zwölf Grad Celsius herrschten – nicht unbedingt winterliche Temperaturen. DIE STADT lag zu weit im Süden.

Ivory hatte nie gedacht, dass sie einmal hierher kommen würde. DIE STADT war in ihrer Kindheit legendär gewesen. Das Herz der neuen Welt. Mit gesamt 80 Millionen Einwohnern der größte Metroplex der Welt. Ein Ort mit unendlich vielen Möglichkeiten, so hatte man es ihr damals gesagt.

Sicher, als Kind hatte sie, wie so viele andere, davon geträumt einmal hier zu sein – nur waren jene Szenarien doch ganz anders als die jetzige Realität gewesen.

Sie seufzte und rief die Fenstersteuerung im AR-Feld auf, um das Glas wieder milchig weiß werden zu lassen, so dass DIE STADT nur noch ein Schimmer war, der von außen hereindrang. Sie hatte sie nur einmal von hier oben sehen wollen, konnte sie doch noch immer nicht glauben, dass sie wirklich hier war.

Mit einem tiefen Atemzug sog Ivory, die nach Kräutern riechende Luft tief ein, ehe sie zur hölzernen Bank zurück ging und sich auf sie legte. Mit einer Handbewegung rief sie ein weiteres AR-Feld auf, um das Atmosphärenlicht wieder anzuschalten, ehe sie die Augen schloss.

Sie war froh, diesen Ort gefunden zu haben. Es erinnerte sie an Zuhause.

„Dienstag ist Saunatag“, hatte ihr Vater immer gesagt. Immer und immer wieder. Egal wie es in seinem Leben gelaufen war. „Dienstag ist Saunatag.“ Manchmal hatte ihre Mutter dann geschimpft, hatte gemeint, dass es wichtiges zu tun gab, dass es keine Zeit zum Entspannen gab. Ihren Vater hatte das nie gestört. Er hatte dann nur gelacht und gemeint: „Du bist nicht aus Skandia, du kannst das nicht verstehen.“

Und dann hatte ihre Mutter die Augen verdreht und gelächelt.

Ivory hatte es gemocht. Ob zur Schulzeit oder später im Studium. Es war eine Konstante gewesen, etwas, worauf sie sich freuen konnte. Dienstagsabends blieb Zeit zum Entspannen. Dienstagsabends konnte sie allen Ärger vergessen.

Als sie vor zwei Wochen jedoch hier angekommen war, war es alles andere als leicht gewesen, diese Tradition aufrecht zu erhalten. Immerhin war DIE STADT groß. Es war nicht schwer gewesen, eine Sauna zu finden – schwer war es gewesen, die richtige zu finden.

Wie jedes Kind ihrer Generation hatte auch sie die anderen Geschichten gehört. Die Megaplexes waren berüchtigt dafür. Die Gewalt, die Kriminalität, jene Art von Menschen, vor denen Eltern Kinder warnten. Unten in den dunklen Gassen gab es jede Art von menschlichen Abschaum. Manche von ihnen handelten nur mit Drogen und Waffen, die meisten natürlich nicht sauber, doch in den dunklen Schatten der Häuserschluchten konnte alles zur Ware werden.

Gerade ihre Art lief besonders Gefahr, so hatte es ihre Mutter ihr immer wieder eingebläut, eines Tages ohne Kleidung in einem fremden Zimmer aufzuwachen.

Doch solange sie hier stationiert war, hatte sie das Geld um sich zumindest einmal die Woche den Luxus zu leisten. Zu dem Schluss war sie angekommen, nachdem sie sich einige der kleinen Salons angeschaut hatte, die es unten in der Stadt gab. Doch am Ende konnte sie nicht sicher sein, ob auch nur einer dieser Schuppen nicht mit Drogen handelte oder gar mit anderen Dingen.

Deshalb hatte sie sich für das Shahara Spa entschieden, eins der teuersten Spas DER STADT. Es war in einem der Multiplexe gelegen. Das Centix Multiplex war in der Nähe der Hauptstation gelegen und erstreckte sich 68 Stockwerke in den Himmel über der Stadt. Die obersten zehn Stockwerke wurden vom Shahara eingenommen. Hier gab es eine Therme, Massagesalons und eine der größten Saunen der Stadt.

Auch wenn sie es sich nicht würde wöchentlich leisten können, hatte Ivory es sich erlaubt, eine eigene Saunenkabine für eine halbe Stunde zu mieten. Kleine, gerade einmal zweieinhalb Quadratmeter große Kabinen, die sich jedoch komplett auf die eigenen Bedürfnisse regulieren ließen.

Ein Timer im AR Feld sage ihr, dass sie nur noch fünf Minuten hatte.

Sie schloss wieder die Augen, um zumindest ihre letzten Minuten noch zu genießen, ehe sie in den Hauptbereich zurückkehren würde.

Selbst durch die geschlossenen Augenlider konnte sie das grüne Licht sehen, ausgestrahlt von den milchigen Platten an der Decke. Sie beachtete es nicht und konzentrierte sich auf die Geräuschkulisse – Urwaldatmosphäre – während sie die heiße Luft weiter einsog.

Eigentlich mochte sie die Gesellschaft anderer Menschen, doch war DIE STADT für sie, die sie nur aus einer Kleinstadt kam, für sie ein ungewohnt voller Ort mit zu vielen Menschen unterschiedlicher Ethnien.

Bei sich zuhause war sie nur eine von sechs En gewesen, die in der gesamten Stadt gelebt haben. Sie war es gewohnt angestarrt zu werden, doch die Blicke hier waren anders. Vielleicht bildete sie es sich nur ein …

Seit sie von den UF eingezogen worden war, hatte sie mehr En getroffen, als sie es je gedacht hätte. Ihr Leben war anders, als sie es erwartet hätte – doch wie hätte sie als Kind auch mit dem Krieg rechnen können?

Langsam wurde das Licht heller und auch ohne in das AR Feld zu schauen, wusste sie, dass ihre Zeit um war. Mit einem tiefen Seufzen setzte sie sich auf und ging in die kleine Kabine, die an den Raum angeschlossen war, um sich kalt abzuduschen. Anschließend machte sie rasch ihren Zopf neu, ehe sie den Bademantel wieder überwarf.

Sie trat zurück in den Hauptbereich: Ein großer Saal mit einem großen, runden Wasserbecken in der Mitte, um das Liegestühle aufgestellt waren. Das Wasserbecken war leicht erhoben, so dass man erst eine kleine Treppe hinaufsteigen musste, um hinein zu kommen. Die Wände des Beckens waren halb durchsichtig und in blauen Licht erleuchtet.

Für einen Moment zögerte Ivory, doch als sich die ersten Blicke ihr zuwandten, wandte sie sich ab und ging an den Liegestühlen vorbei zur Treppe, die in das Stockwerk drunter führte, wo es weitere Saunen gab. Saunen für vielleicht jeweils dreißig Leute. Saunen, in denen nicht überall gesprochen wurde.

Sie wusste, sie würde sich daran gewöhnen müssen – doch aktuell fühlte sie sich einfach nicht bereit dafür.

Natürlich war ihr klar, dass sie selbst in DER STADT Blicke auf sich zog, mit ihrer viel zu blassen Haut und ihren hell blonden, fast weißen Haaren, wie sie nur bei En vorkamen, doch mochte die diese Blicke nicht. Sie waren nicht einfach nur neugierig. Einige Blicke waren abwertend und andere – die sie noch viel mehr verunsicherten – beinahe hungrig.

Es war nicht so, als hätte sie die Pornos nicht gesehen und von jenen Orten nicht gehört, auch wenn es selten wirkliche En waren, sondern viel eher normale Menschen, die sich Haut und Haare bleichen ließen.

Ivory bemühte sich, die Blicke zu ignorieren, die ihr folgten, als sie in der Etage drunter zwischen den auch hier stehenden Liegen hindurch lief. Sie wusste, dass sie warten musste, ehe sie in die nächste Sauna ging, wenngleich sie gerne in das nebelige Zwielicht des Dampfbades verschwunden wäre.

Sie sah sich um. Sie war das erste Mal hier, weshalb sie nicht sicher war, ob es einen Ort gab, wohin sie vor den Blicken fliehen konnte. Schließlich entdeckte sie eine Tür, die laut Aufschrift zu weiteren Bädern führte.

Von den Blicken abgesehen, musste sie zugeben, dass die gesamte Einrichtung sie etwas verunsicherte. Es war eins der luxuriösesten Spas DER STADT und war entsprechend eingerichtet: Schwarze Natursteine bedeckten den Boden, die Becken waren aus Marmor oder Kristallglas, die hölzernen Bänke aus Holzen von Bäumen, die in den sterbenden Dschungeln der Welt schon lang nicht mehr wuchsen.

Es war anders als die kleine Sauna, in die sie mit ihrem Vater gegangen war. Eine kleine Sauna im Keller eines Schwimmbades. Drei kleine Saunen, in denen sich die „normalen“ Menschen fanden. Anders als hier, wo die wortwörtlichen Reichen und Schönen DER STADT sich zu treffen schienen. Es war offensichtlich, dass die Menschen hier sich selbst hatte optimieren lassen – auch wenn sie nicht En waren. Ebenso war deutlich zu sehen, dass auch andere UF Soldaten hier waren. Auf dem Weg zu den Bädern sah sie gleich zwei Männer und eine Frau mit Cybergliedmaßen, wie sie sie auch an der Kaserne gesehen hatte.

Schließlich floh sie in eins der Eisbäder, da sie hier nur drei andere sah. Immerhin wusste sie noch von Zuhause, dass die meisten Leute hier im Süden die Abkühlung zwischen den Saunen nicht zu schätzen wussten.

Sie zog ihren Bademantel aus und legte ihn in eins der hölzernen Regale am Rand des Beckens, ehe sie sich in das kalte Wasser gleiten ließ.

Während eine andere, junge Frau das Becken gerade verließ, bemerkte einer der Männer Ivory und sah sie an. Es war ein junger Mann, auch wenn man es mit den Mitteln der modernen Medizin nur schwerlich sagen konnte. Zumindest schien sein Gesicht glatt und jung zu sein, was sein Alter auf irgendwo zwischen dreißig und sechzig legen konnte.

Er musterte sie und während sie ihren Blick abwandte, meinte sie dennoch zu sehen, wie ein Lächeln seine Lippen umspielte.

Ihm den Rücken zuwendend tauchte sie unter. Das Becken war gebogen – eigentlich dazu gedacht als ein tieferes Tretbecken zu dienen, so dass das Wasser ihr, wenn sie stand, bis zur Brust reichte.

Als sie wieder auftauchte, konnte sie seinen Blick noch immer im Nacken spüren. Doch sie drehte sich nicht um. Sie wollte nicht mit diesem Mann sprechen, wusste sie doch nicht wie. DIE STADT war soweit von ihrer Heimat entfernt und die Sitten ihr so fremd.

Kleine Wellen breitete sich auf der Wasseroberfläche aus. Kam er zu ihr hinüber? Oh, bitte nicht, dachte sie, schwieg aber, während sie unbewusst selbst einen Schritt zum Rand des Beckens hinüber machte.

Da kamen weitere Schritte in den abgetrennten Bereich, in dem das Becken war. „Hey, Richard“, sagte eine männliche Stimme.

Der Mann hinter ihr drehte sich offenbar um. „Was?“

„Kommst du?“, fragte die Stimme.

Kurzes Schweigen. „Sicher.“ Erneute Bewegung im Wasser und dann hörte sie, wie er das Wasser verließ.

Sie atmete auf, kam jedoch nicht umher die nun folgenden geflüsterten Worte zu hören: „Ist das eine Echte?“

„Sah ganz danach aus“, erwiderte der Mann mit vielsagender Stimme.

Ivory schürzte die Lippen, schwieg aber und tat so, als hätte sie nichts gehört. Sie schloss die Augen und zählte bis zehn. Irgendwann würde sie sich daran gewöhnen, wenn sie überhaupt so lange hier bleiben würde.

Wenn der Krieg vorbei war, wenn die Rebellen zurückgeschlagen waren, würde sie versetzt werden – vielleicht konnte sie auch einfach nach Hause zurückkehren.

An diesem Tag jedoch würde sie sich nicht mehr daran gewöhnen. Als sie die nächste Sauna besuchte folgten ihr die Blicke immer noch und sie hielt den eigenen Blick zu Boden gesenkt. So sehr sie sich auch bemühte, dennoch Entspannung zu finden, so kam sie nicht umher beinahe Angst zu spüren, die ihr die Brust umschlang.

Sie war hier sicher. Niemand würde sie hier attackieren. Niemand würde sie entführen. Das schlimmste, was ihr passieren konnte, war, dass jemand sie blöd anmachte. Ein „Nein“ würde reichen, um die Situation zu beenden.

Zwei Stunden später war sie dennoch noch immer hier, im Shahara, wenngleich sie nicht mehr in einer Sauna oder einem der Becken war. Stattdessen saß sie, in ihren Bademantel gekleidet, an der Bar am Rand des Saunabereiches. Auch wenn diese Bar nun etwas anderes war, als die kleine Theke mit einem Kühlschrank zur Selbstbedienung, den sie von Daheim kannte, war eine Sache, wie Zuhause. Es wurde hier kein Alkohol ausgeschenkt. Sie wusste dies zu schätzen.

So saß sie an der langen Bar und trank langsam an einer hausgemachten Limonade, während sie dankbar war, dass zumindest der Barkeeper, dessen unnatürlich violetten Augen für genetische Optimierung sprachen, ihr nicht mehr Beachtung schenkte als seinen anderen Kunden.

Während man im eigentlichen Saunabereich auf Zierde verzichtet hatte, so bemerkte sie hier einen Lichterbaum am Ende der Bar. Sie wusste, dass die meisten Menschen hier weder Sonnenwende, noch Weihnachten feierten, was es leichter machte. In Mitten der Feierlichkeiten ohne ihre Familie zu sein … Das hätte alles noch schwerer gemacht.

Sie war in Gedanken versunken und so darauf verdacht, ihre Umgebung nicht zu beachten, dass sie zusammenzuckte, als jemand sie ansprach. „Hallo, junge Dame“, meinte der Mann neben ihr. „Bist du allein hier?“

Sie sah sich um und erkannte den Mann aus dem Eisbad auf dem Barhocker neben dem ihren. Sie zögerte. „Ob ich allein bin oder nicht, geht Sie nichts an“, antwortete sie, doch bei weitem nicht so selbstbewusst, wie sie es gern getan hätte. Ihre Stimme klang unsicher, beinahe schon zitterig.

Der Mann, sein Freund oder Kollege zuvor hatte ihn Richard genannt, lächelte, doch etwas an seinem Lächeln, ließ sie frösteln. „Oh bitte, junge Lady, kein Grund zur Feindseligkeit. Ich will dir nichts Böses.“

Es ärgerte Ivory, dass er mit ihr sprach, wie mit einem kleinen Mädchen. „Was auch immer Sie wollen, ich bin nicht interessiert.“

„Ich habe nur eine Frage“, erwiderte er, noch immer lächelnd. „Ich habe dich vorhin und bin nicht umher gekommen, mich zu fragen … Du bist eine echte En, oder?“ Er hob eine Hand griff nach ihrem Haar.

„Lassen Sie mich bitte in Ruhe“, sagte Sie steinern.

„Jetzt komm schon, ich will nur eine Antwort“, meinte er und lachte.

Jemand griff nach seiner Hand und zog sie fort von ihrem Kopf. Ein anderer Mann stand dort und sah „Richard“ an. Der Mann war großgewachsen, hatte dunkle Haut und krauses schwarzes Haar. Passend dazu war auch der Bademantel, den er trug, schwarz. Sein Blick war kühl. „Gibt es hier ein Problem?“

Richard entriss ihm seine Hand und sah ihn für einen Moment an. „Kein Problem, Mister. Kein Problem. Ich wollte die junge Frau nur etwas fragen.“

„Fühlen Sie sich belästigt?“, fragte der Mann nun Ivory und sah sie an.

Für einen Moment zögerte sie, nickte dann aber.

Der Mann sah Richard an, der nur eine Grimasse zog, dann jedoch Aufstand und ging.

„Entschuldigen Sie bitte“, meinte der Mann. „Sie sind neu in der Stadt, nicht?“

„Ja“, antwortete sie leise. „Woher wissen Sie das?“

Der Mann lächelte wohlwollend. „Die Art, wie Sie sich halten. Sie sind den Umgang nicht gewohnt. Sie kommen weiter aus dem Norden, nicht? Und sind hierher gekommen, für einen Job, nehme ich an?“

Ivory senkte den Blick. „Ich bin mit den United Forces hier stationiert“, erwiderte sie und wusste nicht einmal genau warum.

Der Mann nickte nur. „Dann rate ich Ihnen vorsichtig zu sein.“ Er streifte den Ärmel seines Bademantels hoch und zeigte eine Kerbe in seinem linken Arm, knapp unter dem Ellenbogen.

Ivory kannte diese Kerben. Sie waren das einzige, was eine synthetische Prothese verriet. „Sie waren auch im Krieg?“

Mit einem seltsamen Ausdruck auf dem Gesicht, schüttelte er den Kopf. „Nicht einmal das. Ich war nur ein Cop hier. Aber das war ihnen egal.“ Bitterkeit schwang in seiner Stimme mit, doch er wandte sich ab. „Seien Sie vorsichtig“, meinte er erneut. „Und haben Sie einen angenehmen Aufenthalt.“

„Warten Sie!“, sagte Ivory schnell, bevor er gehen konnte.

Er drehte sich um.

Für einen Moment zögerte sie. „Danke für Ihre Hilfe.“ Ein erneutes Zögern. „Darf ich Sie auf etwas einladen?“

Auch der Mann zögerte, doch dann lächelte er. „Wenn Sie wollen … Sicher.“

Zugegebener Maßen war es nicht nur Dankbarkeit, die Ivory dazu bewegte. Es war angenehm sich mit jemanden zu unterhalten, der sich an ihrer Andersartigkeit nicht zu stören schien – und gleichzeitig hielt es andere davon ab, sie anzusprechen.

Sie fand bald heraus, dass der Mann Thomas McCoy hieß und in DER STADT aufgewachsen war. Er war ein Polizist gewesen, bis er in eine der Attacken der Terroristen geraten war und seinen halben Arm verloren hatte. Er war nicht länger Einsatzfähig – in den Augen der Polizei gewesen – und arbeitete nun als Private Security. Seinen Einkünften hatte es nicht geschadet, im Gegenteil, doch Ivory wurde bald klar, dass er das Geld gern gegen seine alte Stellung getauscht hatte.

„Ich komme nicht umher mich zu fragen“, meinte er und musterte sie, „was ein junges Mädchen wie du bei den UF macht. Verzeih mir, wenn ich das sage, aber du siehst nicht aus wie eine Soldatin.“

Ivory senkte den Blick und beobachtete das Glas in ihrer Hand. Es war mit roter Schorle gefüllt in der Eiswürfel schwammen. „Es war nicht meine Entscheidung. Oben im Norden wurden wir eingezogen.“

Aus den Augenwinkeln konnte sie sehen, wie er die Stirn runzelte. „Eingezogen? Zwangsrekrutiert?“ Er schüttelte den Kopf. „Davon wusste ich noch nichts.“

„Sie haben davon auch nicht berichtet“, erwiderte sie. „Es sind nur wir …“ Sie schwieg für einen Moment. „Wir En.“

Nun war es Thomas, der zögerte. „Können sie das einfach so tun?“

„In manchen Fällen …“ Sie trank einen Schluck, um sich eine Pause zu verschaffen. Vielleicht sollte sie nicht weiter reden, doch die Wahrheit war, dass sie sich einsam fühlte und sein Lächeln angenehm fand. „Bei uns hat die Regierung ein En-Programm gefördert. Embryos mit defekten Genen wurden optimiert. Ohne das Programm wäre ich nicht lebensfähig gewesen. Es waren Tests für eine neue En-Technologie“, erklärte sie mit gesenkter Stimme. Es fühlte sich so irreal an, darüber zu sprechen. Ihre Mutter hatte ihr davon erzählt, als sie noch jung gewesen war. Wie sie die Nachricht erhalten hatte, dass sie sie verlieren würde und wie die Regierung sich mit ihr in Verbindung gesetzt hatte. Ihre Eltern hatten lange versucht ein Kind zu bekommen – ohne Erfolg.

Das unterschied sie von den meisten der anderen En. Die meisten En waren Kinder reicher Eltern, die es sich leisten konnten, die Gene ihrer Kinder umschreiben zu lassen. Ihre Eltern jedoch waren Mittelständler gewesen. Ihr Vater war ein einfacher Elektroingeneur gewesen mit einem eigenen kleinen Unternehmen.

Nie hätten ihre Eltern das Geld für den Prozess gehabt, doch die Regierung hatte sie gerettet, hatte sie nicht nur Lebensfähig sondern besser als die normalen Menschen gemacht. Sie war stärker, schneller, leistungsfähiger als normale Menschen – wie alle Ens. Vielleicht hätten ihre Eltern es wissen müssen.

Als der Krieg kam und sich länger hinzog, als man es zuerst angenommen hatte, wurden sie eingezogen. Sie, die Experimente der Staaten. Immerhin schuldeten sie den Staaten ihr Leben.

„Wie lang ist es her?“, fragte Thomas.

„Zwei Jahre“, erwiderte sie. „Wir wurden erst trainiert. Wir sind … Zu Wertvoll, um einfach so auf das Schlachtfeld geworfen zu werden.“ Sie machte eine Pause. „Ich bin erst seit zehn Tagen hier.“

Thomas schwieg für eine Weile, nun selbst den Blick auf sein Getränk gewandt. „Das erste Mal soweit fort von der Familie?“, fragte er mit einem bitteren Ton in der Stimme.

„Ja“, antwortete sie nüchtern. Sie spürte etwas schweres in der Magengegend, als sie daran dachte, dass sie ihre Familie vielleicht nie wiedersehen würde. Irgendwann würde die nächste Attacke kommen und sie würde kämpfen müssen. Vielleicht würde sie dann sterben.

Ein Zittern lief durch ihren Körper, bevor sie sich beherrschen konnte.

Thomas legte eine Hand auf ihren Rücken. „Es gibt nicht viel, was ich sagen könnte, um dir zu helfen. Nur so viel: Man kann sich an vieles gewöhnen. Auch an Krieg.“

Sie nickte, antwortete aber nicht.

„Sag, Ivory“, fuhr er fort. „Wie alt bist du eigentlich?“

„27“, antwortete sie. Sie sah ihn an. „Ich wollte eigentlich Chemikerin werden. Ich hatte mein Studium gerade abgeschlossen, als die Nachricht kam. Jetzt bin ich hier und vielleicht …“

„Und vielleicht bist du in ein paar Monaten wieder zuhause“, beendete er ihren Satz. Nach einem Zögern hob er seine Hand und strich ihr über die Wange.

Sie zuckte zusammen. Nicht ob der unerwarteten Geste, sondern weil sie sich erst in diesem Moment, als sie die kalten Finger spürte, daran erinnerte, dass es nicht seine richtige Hand war. Dennoch schaffte sie es, sich zu beherrschen und nicht zurück zu weichen.

Ivory wusste nicht, wie sie diese Geste interpretieren sollte. Sie erinnerte sich daran, dass sie Thomas nicht einmal seit einer Stunde kannte. Doch eine Tatsache war, dass sie sich in dieser fremden STADT einsam fühlte. Von den anderen Soldaten kannte sie kaum jemand. Auch die anderen En, die wie sie unfreiwillig da waren, erschienen ihr oft fremd.

Außerdem hasste sie, von allen nur als „eine En“ gesehen zu werden.

Vielleicht, weil sie zumindest einen Sinn in diesem Krieg sahen, den sie nicht finden konnte. Vielleicht auch nur, weil sie Heimweh hatte.

Die Sonnenwende war nur wenige Tage entfernt. Um diese Zeit im Jahr würde sie normal nach Hause kommen. Ihr Vater würde sie abholen. Dann würde sie bis zum Neujahr bei ihrer Familie bleiben. Jetzt schien das kommende Jahr so weit entfernt.

Thomas zog seine Hand zurück. „Entschuldige. Ich wollte dir nicht zu nahe treten.“

Sie schüttelte nur den Kopf. „Schon gut.“

Er sah sie für einen Moment nachdenklich an. „Vielleicht ist dies nicht der richtige Ort für solche Gespräche.“

„Vielleicht“, erwiderte sie. „Es tut mir leid, dich damit belastet zu haben.“

„Schon gut“, meinte Thomas und lächelte sie an. Er machte eine Pause. „Was würdest du davon halten, das Gespräch über einem guten Abendessen fortzuführen. Weiter unten im Centix gäbe es ein Restaurant, das ich empfehlen könnte.“

Ivory verstand die Andeutung, die in seinem Vorschlag mitschwang. Wieder musste sie zögern, doch dann lächelte sie matt. „Ja, wieso nicht.“ Nach allem, was sie über DIE STADT wusste, war es vielleicht falsch einem praktisch Fremden zu vertrauen – doch sicher war es besser, als eine weitere Nacht einsam im Dunkeln zu liegen.

Thomas schien ein aufrichtiger Mann zu sein. Jemand, dem sie zumindest für jetzt vertrauen wollte.

[DIE STADT – 2084]

Ivory fröstelte. Nichts vermochte sie aufzuwärmen. Die Sauna hatte 80 Grad Celsius, doch es war nicht genug. Es konnte die Bilder, die Geräusche nicht aus ihren Gedanken vertreiben.

Es war vorbei, erinnerte sie sich. Es war vorbei.

Es war wirklich vorbei. Sie war wieder hier, in DER STADT. Sie war wieder zurück. Sie lebte noch.

Doch so viele andere nicht.

Sie hatte nicht dabei sein wollen. Sie hatte es nicht gewollt. Nichts davon. Sie hatte es nicht tun wollen. Es war falsch gewesen, das hatte sie gewusst. Sie hatte es nicht tun wollen.

Doch sie hatte auch nicht sterben wollen.

Der Krieg dauerte schon viel zu lange an. Egal wie oft eine Seite zuschlug – es waren doch zu viele, um die Gegenseite auszulöschen. Es waren nicht nur Rebellen. Es war keine kleine Gruppe. Es waren Millionen von ihnen.

Es waren Menschen.

Menschen, die einfach nur leben wollten. Nur ein Teil von ihnen hatte kämpfen wollen. Sie hatten nicht kämpfen wollen. Sie hatten nicht gekämpft.

Tief sog Ivory die heiße Luft ein, die in ihrer Nase und im Rachen brannte. Es störte sie nicht. Der Geruch von Früchten schaffte es zumindest für einen Moment die Erinnerung an den Gestank, der wie ein Geist in ihrer Nase haften geblieben war, zu vertreiben.

Irgendwann würde es besser werden, das hatte man ihr gesagt. Sie hatte es schon vorher erlebt. Als sie hatte das erste Mal kämpfen müssen.

Damals war es die Gewalt an sich gewesen, die sie schockiert hatte. Als sie das erste Mal auf einem Einsatz gewesen war, hatte sie Angst gehabt. Sie hatte gewusst, wie sie die Waffe, die man ihr gegeben hatte, bedienen sollte, doch sie hatte Angst gehabt. Angst zu töten. Angst getötet zu werden.

Es war die Angst gewesen, die sie für Wochen hatte aufwachen lassen. Die Angst und die Toten, die sie gesehen hatte.

Doch dieses Mal war es anders gewesen.

Sie verließ die Sauna und konzentrierte sich auf ihre Umgebung. Das Shahara war noch immer genau so edel, wie bei ihrem ersten Besuch. Ein Teil der anderen Besucher, starrte sie noch immer so an, wie damals.

Es war jedoch so, wie sie es bei jenem ersten Besuch gewusst hatte: Sie hatte sich daran gewöhnt.

Sie duschte sich. Sie ging in ein Eisbecken. Die Blicke, die ihr dabei folgten bedeuteten nichts mehr. In den vergangenen zwei Jahren hatte sie die Erfahrung gemacht, dass die Leute zwar starrten, es sich aber nur wenige trauten, sie anzusprechen, und noch weniger versuchten aktiv mehr – und bisher hatte sie sich gegen diese paar verteidigen können.

Die meisten Menschen waren feige. Sie hielten vielleicht große Reden, doch am Ende taten sie nichts, von dem was sie sagten.

Es war ein weiterer Dienstag und das Ende des Jahres stand vor der Tür. Die Sonnenwende war vergangen, während sie draußen in der „Schlacht“ gewesen war. Eine weitere Sonnenwende, die sie nicht bei ihrer Familie verbracht hatte.

Was für einen Unterschied machte es?

Den meisten Menschen in DER STADT war es egal. Hier war es egal, wie die Zeit verging – DIE STADT war in konstanter Veränderung, weshalb Jahreszeiten auch keinen Unterschied mehr darstellten.

Hier gab es ohnehin wenig Unterschiede. Selbst das Wetter … Seit sie hier war, hatte sie keinen echten Schnee mehr gesehen. DIE STADT lag zu nahe am Äquator. Es wurde etwas kühler im Winter, endlos heiß im Sommer. Es regnete mal mehr und mal weniger. Doch echte Kälte gab es hier nicht.

Sie stand an einer der großen Fenster am Rand der Etage und sah hinaus. Das Glas war nach außen verspiegelt, so dass man von hier zwar hinaus, aber nicht von außen nach innen sehen konnte. Natürlich – immerhin wollten die Reichen und Schönen keine Drohnenaufnahmen von sich im Netz finden.

Von hier oben hatte sie eine gute Aussicht auf DIE STADT. Das Centix war eins der größten Gebäude – selbst in der massiven Skyline DER STADT.

Doch vor dem Szenario, das sich ihr draußen bot, sah sie etwas anderes. Ihr eigenes Spiegelbild. Blasse Haut, helles Haar und der weiße Bademantel. Beinahe schien ihr, als wäre da noch etwas rot, etwas Blut, doch sie wusste, dass es nur Einbildung war. Ihr Unterbewusstsein, ihr Gewissen, dass ihrem Verstand einredete, etwas zu sehen, was nicht da war.

Sie blinzelte. Da war kein Blut auf ihrer Haut. Wie auch.

Ivory wandte sich vom Fenster ab und bemerkte, dass sie von drei Leuten beobachtet worden war. Sie schenkte ihnen einen kühlen Blick, ehe sie sich auf den Weg zur nächsten Sauna machte.

Selbst nach zwei Jahren kam sie nicht umher das Shahara mit der kleinen Sauna in ihrer Heimat zu vergleichen. Die Aufgüsse hier fanden vollkommen automatisiert statt, selbst wenn eine AI in der Form von hübschen jungen Männern oder Frauen einem etwas im AR Feld, sofern man die AR Sicht aktiviert hatte, dazu erzählte.

Während des Aufgusses saß Ivory auf der obersten Bank. Nun war sie es, die die anderen Besucher beobachtete. Sie waren die Elite DER STADT – nun, vielleicht nicht die aller obersten, die wohl eher eine eigene Sauna besaßen, wo sie sich den Raum nicht mit anderen teilen mussten, doch zumindest sahen diese Leute sich hier als ein Teil der Spitze. Die hatten es geschafft, andere nicht. Niemand dachte gern darüber nach, dass er vielleicht nur dank glücklicher Umstände an seine Position gekommen war.

Die meisten kamen mit Freunden, Kollegen, manche mit Liebhabern. Ivory kam allein. Sie hatte keine Freunde hier, sie wollte keine Freunde. Zu unregelmäßig war ihr Leben geworden und die anderen Soldaten … Sie hatte gesehen, was der Krieg mit ihnen machte, und sie hatte Angst denselben Pfad hinab zu wandern.

Doch sie war einsam. Was ein anderer Grund war, wieso sie hierher kam.

Wieder versuchte sie sich zu entspannen, doch sobald ihre Gedanken schweiften, waren da wieder die Erinnerungen. Schreie. Blut. Der Geruch von Tod.

Sie hatte es nicht gewollt.

Erneut spürte sie ein Frösteln und stand unbedacht auf. Als man sie ansah, murmelte sie nur eine Entschuldigung und kletterte zwischen zwei Herren vor sich hindurch, um die Sauna zu verlassen.

Unter der Dusche atmete sie durch. Sie musste es vergessen.

Irgendwann würde sie es vergessen.

Als sie aus der Dusche herauskam, verließen die anderen Menschen, die Sauna in der sie eben noch selbst gesessen war – offenbar war der Aufguss zu Ende. Während sie sich ihren Bademantel über warf, beobachtete sie die anderen, wohl wissend, dass einige ihren Blick erwiderten.

Hätte sie mit den anderen die Sauna verlassen, hätte sie es vielleicht nicht bemerkt, doch nun, wo sie die anderen Gäste beobachtete, sah sie ein nicht unvertrautes Bild. Ein errötetes Gesicht, das viel zu schnell blass wurde, schweißüberlaufene Haut. Sie reagierte noch, bevor sie realisierte, was geschah, als die junge Frau zu schwanken begann.

Bevor die junge Frau umfallen konnte, war Ivory an ihrer Seite und stützte sie.

„Vorsicht“, sagte sie leise.

Die junge Frau blinzelte sie an. „Danke.“ Sie schwankte noch immer, offenbar die Folgen eines Kreislaufabsturzes.

„Sie sollten sich setzen“, meinte Ivory sanft und bugsierte sie zu einem freien Liegestuhl hinüber.

Als sie sicher war, dass die junge Frau lag, ging sie zurück, um das Handtuch, was sie auf halben Weg verloren hatte, aufzusammeln und es zu ihr hinüber zu bringen.

„Danke“, murmelte die junge Frau – Ivory schätzte sie als nicht älter als vielleicht 26 oder 27 ein, wenngleich es nichts heißen musste – und zog das Tuch wie eine Decke über sich.

„Sie haben sich überhitzt“, sagte Ivory, während sie sich neben die Liege hockte. „Soll ich jemanden holen?“ Immerhin hatte das Shahara medizinisches Personal vor Ort.

Die Frau schüttelte den Kopf. „Es geht gleich schon wieder.“ Sie legte sich eine Hand auf die Stirn. „Uh“, stöhnte sie dann. „Wieso musste das jetzt passieren?“

„Sind Sie öfter hier?“, fragte Ivory vorsichtig.

„Ja.“ Die Frau nickte. „Und sowas … Ist mir noch nie passiert.“

„Vielleicht haben Sie sich einen Infekt eingefangen“, schlug Ivory vor. „Vielleicht haben Sie auch einfach zu wenig geschlafen oder sind aus einem anderen Grund angeschlagen.“ Sie schenkte ihr ein vorsichtiges Lächeln.

Die Frau hatte langes braunes Haar und leicht gebräunte Haut, etwas, das bei den Bewohnern DER STADT nicht selten war. Sie war zierlicher als Ivory, was jedoch ebenso wenig verwunderlich war, wenn man bedachte, dass Ivory die letzten vier Jahre unter den UF trainiert hatte. Sie war hübsch, das ließ sich unvoreingenommen sagen, und zeigte generell keine Anzeichen von Optimierung, was beinahe schon selten war.

Sie schloss für einen Moment die Augen, wohl in einem Versuch das Schwindelgefühl zu überwinden.

Unsicher sah Ivory sich um. Sie wollte die Frau nicht allein lassen, wollte jedoch auch nicht aufdringlich erscheinen, auch wenn sie etwas Gesellschaft gebrauchen konnte. „Sind Sie alleine hier?“, fragte sie.

„Nein“, erwiderte die Frau matt. „Das heißt, ja. Ich war eigentlich mit zwei Kolleginnen hergekommen, aber … Na ja, sagen wir es so: Jetzt bin ich allein.“ Sie seufzte. „Vielleicht sollte ich auch gehen.“

„Erst einmal sollten Sie sich ausruhen“, widersprach Ivory sanft. „Soll ich Ihnen etwas zu trinken holen?“

Die Frau schüttelte den Kopf. „Nicht nötig. Es geht schon gleich wieder.“

So sah es allerdings nicht wirklich aus. „Ich bestehe drauf“, meinte Ivory mit einem Seufze und richtete sich auf.

Es half ihr, sich auf etwas zu konzentrieren. So konnte sie die Bilder der letzten Tage vergessen. Also ging sie in die Etage drunter, wo am Rand des Bereiches die Bar war. Bezahlen tat sie automatisch über das AR System.

Keine drei Minuten später kehrte sie mit einem gekühlten Tee zu der Frau zurück, die sich mittlerweile aufgesetzt hatte.

„Vielen Dank“, sagte sie mit einem Lächeln. „Es ist schon wieder gut.“ Dennoch nahm sie den Tee entgegen und trank einen Schluck. „Vielleicht bin ich wirklich übermüdet.“ Sie sah zu Ivory, die sich nun auf einen der benachbarten Liegestühle setzte. Für einen Moment beobachtete die Frau sie. „Wie heißen Sie?“

Ivory musterte sie für eine Weile. Das Gesicht der Frau war zumindest weniger gerötet als zuvor. „Ivory“, sagte sie schließlich.

Die Frau lächelte sie an. „Mein Name ist Emily.“ Sie streckte Ivory ihre Hand entgegen. „Danke noch mal.“

Nun schüttelte Ivory den Kopf. „Kein Problem. Ich habe es durch Zufall bemerkt und … Wir brauchen hier keinen Unfall, oder?“ Sie bemühte sich selbst um ein Lächeln.

Emily nickte nur und musterte Ivory, während sie einen weiteren Schluck Tee trank. „Du bist früh rausgegangen aus der Sauna. War dir auch nicht wohl?“

Auf diese Frage antwortete Ivory nicht sofort. Sie fragte nicht, wieso Emily es bemerkt hatte. Sie hatte Aufmerksamkeit auf sie gezogen und sie war die einzige En in der Sauna gewesen. Es überraschte sie nicht, dass Emily sie bemerkt hatte und sie erkannte. Sie wusste nur nicht, ob sie antworten wollte.

„Was ist?“, fragte Emily, als sie ihr Zögern bemerkte.

„Mir ging es nur nicht gut“, meinte Ivory und blickte zu Boden.

In den letzten zwei Jahren war sie so oft schon in so einer Situation gewesen. Sie hatte mit anderen Menschen geredet. Fremden, die ihr zumindest für eine Nacht Gesellschaft geleistet hatten. Sie wusste, dass sie auch diese Nacht würde Gesellschaft gebrauchen konnte – doch war sie sich unsicher.

Am Anfang war es seltsam gewesen, mit Fremden hier zu reden, während sie nackt, abgesehen von einem Bademantel oder Handtuch hier saßen. Doch mit der Zeit hatte sie sich daran gewöhnt. Was für einen Unterschied machte es auch, was für Kleidung man trug? Wenn sie so die Nähe eines Fremden suchte endeten sie meistens am Ende ohnehin nackt zusammen in einem Hotelzimmer.

„Dir ist etwas schlimmes passiert, nicht?“, fragte Emily und sah sie an.

Verwirrt blickte Ivory sie an.

„Ich bin Psychologin“, erklärte die junge Frau rasch.

Unfreiwillig lachte Ivory kurz auf, verkniff es sich jedoch rasch. Sie atmete tief durch. „Was für ein Zufall“, murmelte sie halb an sich selbst gewandt.

Die junge Frau beobachtete sie aufmerksam. „Es ist nur ein Angebot“, sagte sie. „Aber ich glaube, du bist jemand, der Hilfe braucht.“

„Wieso glaubst du das?“, fragte Ivory, vielleicht ein wenig zu kühl.

Emily zuckte mit den Schultern. „Es ist etwas in deinen Augen. Ich sehe dort noch immer Schrecken. Wenn du in meinem Feld arbeitest, dann sieht man so etwas. Vielleicht brauchst du einfach jemanden, der dir zuhört.“

Ivory wich ihrem Blick aus. „Ich kann darüber nicht reden“, murmelte sie. „Man könnte sagen, ich habe selbst so etwas wie Schweigepflicht.“

„Du bist Soldatin?“, fragte die junge Frau. Man musste ihr lassen, dass sie ganz offenbar äußerst aufmerksam war. Hatte sie es sich einfach so hergeleitet oder hatte sie zuvor die Wunde auf Ivorys Schulter gesehen?

„Ja“, bestätigte Ivory und seufzte. „Sag, Emily, was würdest du davon halten, dieses Gespräch woanders fortzuführen?“

Die Psychologin zögerte für einen Moment, zuckte dann aber mit den Schultern. „Was schwebt dir vor?“

„Ich kenne ein Restaurant hier im Centix“, erwiderte Ivory.

Ein weiteres Schulterzucken, gefolgt von einem Lächeln. „Wieso nicht?“
 

Ivory hatte in den vergangenen zwei Jahren nie versucht herauszufinden, was es genau war, das es so leicht machte jene kurzweilige Form der Nähe zu finden.

War das Leben in DER STADT einfach so? Wie konnte sie das sagen, hatte sie es doch in ihrer Heimat nie versucht. Lag es an der eitlen Einsamkeit all jener, die sich das Shahara leisten konnten? Auch dies konnte sie nicht sagen, da sie es zumeist noch immer mied, sich zu lange in den schlechteren Teilen DER STADT aufzuhalten und bisher nie versucht hatte hier jemanden zu verführen. Waren die Menschen, mit denen sie so eine Nacht verbrachte, nur neugierig, da sie eine En war? Darüber wollte sie nicht weiter nachdenken.

So blieb ihr nur die Erkenntnis, dass es ihr leicht viel, kurzweilige Bekanntschaften dazu zu bringen, eine Nacht in einem Hotelzimmer mit ihr zu verbringen. Sicher, es gab ein paar Ausnahmen, ein paar, die es abgelehnt hatten, doch wie sich herausstellte, gehörte Emily nicht zu diesen.

Ivory mochte sie. Sie hatte etwas Unschuldiges an sich, wenngleich Ivory vermuten musste, dass sie älter war, als sie aussah. Sie fragte jedoch nicht. Wahrscheinlich würde sie sie ohnehin nicht wiedersehen. Wie all die anderen würde sie vielleicht irgendwann im Shahara an ihr vorbei laufen – ihr jedoch keine Beachtung schenken. Sie tat es ihnen gleich.

„Woran denkst du?“, fragte Emily, während Ivory über ihre Haut strich.

Ivory antwortete nicht sofort – die Wahrheit war, dass sie noch immer über die Ereignisse der letzten Tage nachdachte. „Die Rebellen“, sagte sie schließlich.

„Die meisten wollen einfach nur, dass es vorbei ist“, seufzte Emily. „Wir sind jetzt schon seit fünf Jahren an der Frontlinie.“

„Ich weiß“, murmelte Ivory. „Wieso mussten wir kämpfen?“

Emily drehte sich auf die Seite, um sie anzusehen. „Wenn du mich fragst ist es, weil niemand dem anderen Zuhört. Die Regierung, die Rebellen, sie wollen dem jeweils anderen nicht zuhören.“

Ivory schwieg. Bis vor zwei Tagen hatte nie jemand von den Rebellen versucht zu reden. Doch bis vor zwei Tagen hatte sie nie wirklich darüber nachgedacht, dass auf der anderen Seite nicht nur Kämpfer standen.

„Du solltest dir wirklich jemanden suchen, mit dem du reden kannst, Ivory“, meinte Emily und strich über ihre Wange. „Sonst machst du dich kaputt.“

„Ich sagte doch“, flüsterte Ivory, „dass ich darüber nicht reden kann.“

„Haben die UF keine eigenen Psychiater?“, fragte Emily.

Ivory konzentrierte sich auf das Fenster, wenngleich es abgeblendet war. „Niemand, dem ich vertrauen könnte.“

Seufzend legte Emily eine Hand auf ihre Wange. Für einen Moment wirkte es so, als wollte sie etwas sagen, doch am Ende schwieg sie. Ivory konnte Mitleid in ihren Augen sehen – und genau das war etwas, das sie nicht wollte.

„Ich möchte nicht weiter darüber reden“, sagte sie schließlich. Sie ließ ihre Hand über die nackte Seite der anderen gleiten. „Bitte.“ Ihre Hand wanderte zu Emilys Brust und begann sie langsam zu massieren.

Emily sah sie an. Sie seufzte, doch dann schloss sie die Augen und drehte sich auf den Rücken. Mit einer Hand strich sie Ivorys Arm entlang, ehe sie ihre Hand nahm und ihren Körper entlang führte.

[DIE STADT – 2086]

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

[DIE STADT – 2088]

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

[DIE STADT – 2090]

Es regnete, als Ivory am Fuß des Centix stand. Ein letzter Schimmer des Tageslichts drang durch die Wolken und fiel auf DIE STADT, doch sie wusste, dass es schon sehr bald dunkel werden würde – nun, zumindest soweit wie es in DER STADT überhaupt dunkel wurde.

Sie seufzte.

In den letzten acht Jahren hatte sie sich so oft gewünscht, DIE STADT verlassen zu können, doch nun, da es soweit war, war das Gefühl seltsam. Sie wusste nicht, was in ihrer Zukunft lag, und sie war unsicher.

Eigentlich war sie sich nicht sicher, warum sie noch einmal hierher gekommen war, doch es waren noch knapp drei Stunden, bis ihr Zug ging. Sie würde DIE STADT mit dem Zug verlassen, aber nach guten hundert Kilometern, wenn sie über die Landesgrenze war, würde sie den Flieger Richtung Nordosten nehmen.

Sie würde nicht nach Scandia zurückkehren, aber zumindest in den Norden kommen.

Auch wenn sie sich nach dem Kleinstadtleben zurücksehnte, würde es erst einmal nicht in Frage kommen. Es war leichter in einer Großstadt unterzutauchen und ebenso war es leichter dort an Arbeit zu kommen. Sie würde Arbeit brauchen, nicht nur, um sich selbst zu ernähren.

Mit einem tiefen Atemzug sah sie sich noch einmal um.

Es war seltsam, doch zumindest kam es ihr so vor, als hätte sie hier mehr Zeit verbracht, als in einer ihrer Wohnungen – sie war mehrfach umgezogen in den letzten paar Jahren.

Sie war hier nicht „glücklicher“ gewesen, als irgendwo sonst in DER STADT, aber zumindest weniger einsam. Vielleicht war es nicht das richtige oder das beste für sie gewesen, sich mit kurzweiligen Bekanntschaften über die Einsamkeit hinweg zu trösten, doch es war ihr die meiste Zeit als das einfachste erschienen.

Selbst jetzt konnte sie nicht wissen, wie es ihr in ihrer neuen Heimat ergehen würde. Sie konnte nicht einmal sicher sein, dass sie dort ankam. Vielleicht wurde sie auch vorher von den UF aufgegriffen, doch sie hoffte, dass sie ihre Reise gut genug geplant hatte und die falschen Identitäten, die sie benutzen würde, gut genug waren. Was blieb ihr auch anderes übrig? Sie konnte einfach nicht mehr hier bleiben!

Auch in der neuen Stadt würde sie kein vollkommen geregeltes Leben führen können. Jedenfalls erst einmal nicht. In ein, zwei Jahren … Vielleicht … Auch wenn sie sich nicht sicher war, ob sie wirklich je ein geregeltes Leben würde führen können. Es war einfach zu lange her – sie hatte zu viel Zeit als Kriminelle gelebt.

Doch bald würde sie nicht mehr allein sein.

Unbewusst fuhr sie sich mit der Hand über den Bauch.

Mit einem Blick zum Centix hinauf, drehte sie sich um und ging zur nächsten Straße. Mit ihrem Comm rief sie ein Taxi.

Sie wäre gern noch einmal ins Shahara gegangen – auch weil sie den Luxus trotz allem genoss. Doch in den letzten Wochen hatte ihr Kreislauf immer wieder versagt, weshalb sie hatte verzichten müssen.

So gab es hier nicht mehr viel zu machen.

Sie sah auf das Comm, darauf wartend, dass das Taxi kam. Ein erneutes Seufzen.

Ihre Sachen waren bereits vorweg geschickt worden, in ihre neue Wohnung. Sie hatte Leute bezahlt, diese bereits für sie einzurichten, so dass sie sich um nichts würde kümmern müssen, wenn sie in zehn, vielleicht zwölf Stunden dort ankam.

Sie hatte im Moment nichts weiter dabei, als ihre Kleidung und die Sachen, die sie in ihrer Handtasche hatte. Noch immer hatte sie eine Pistole dabei – ohne fühlte sie sich nicht mehr sicher. Zu oft hatten Leute sie versucht auszurauben, umzubringen (und sei es nur um ihr eigenes Leben oder das ihrer Auftragsgeber zu verteidigen) und ihr Treffen mit David vor vier Jahren jagte ihr auch heute manchmal noch einen Schauer über den Rücken.

Ein dunkler Elektrowagen mit einem leuchtenden Taxi-Schild auf dem Dach, während auch ihr Comm die Ankunft ihres Wagens mit einem Klingeln verkündete.

Die Hintertür öffnete sich nach oben und mit einem kurzen Zögern stieg sie ein. Ganz traute sie auch Taxifahrern nicht. Noch weniger jedoch hatte sie Lust auf die U-Bahn, in der auch Kopfgeldjäger und anderer Abschaum unterwegs war. Niemand, der es sich leisten konnte, verwendete die öffentlichen Verkehrsmittel außerhalb der besseren Viertel und zum Bahnhof musste sie durch vier andere Viertel DER STADT durchfahren.

„Wo soll es hingehen“, fragte der Fahrer und sah sie durch den Rückspiegel an.

Er hatte dunklere Haut und einen kurzen, schwarzen Stoppelbart, so wie auch kurzes, krauses Haar. Er schien etwas kräftiger gebaut zu sein und leicht übergewichtig.

Wie in DER STADT üblich, waren sein Platz und der Beifahrersitz von den anderen Plätzen des Fahrzeugs durch eine dicke Plasglasscheibe getrennt.

„Fernbahnhof“, sagte sie nur.

„In Ordnung“, erwiderte er und startete den Elektromotor.

Es war für eine ganze Weile üblich in DER STADT gewesen, dass Taxis nur noch auf Autopilot fuhren, da es – zumindest in der Theorie – für die Unternehmen billiger war, als auch noch einen Fahrer zu bezahlen. Das war, bevor einige Leute darauf gekommen waren, wie sich die Autopiloten hacken ließen. Oft waren Taxis dann einfach verschwunden, waren wahrscheinlich in einer Garage in ihre Einzelteile zerlegt und als solche verkauft worden. Manchmal waren auch Fahrzeuge samt Insassen verschwunden, sei es, weil Snatcher aus einem oder anderen Grund Interesse an den Insassen hatten, oder, weil jemand dafür bezahlt hatte, dass diese Insasse verschwand.

So oder so hatten viele Leute das Vertrauen in die Autopiloten verloren, nun einmal davon abgesehen, dass es für die Unternehmen teurer gewesen war, regelmäßig neue Taxis zu beschaffen und Wiedergutmachungen an etwaige Familien etwaig verschwundener Leute zu zahlen. So war nach etwa fünf Jahren auf Autopilot nach und nach jedes Unternehmen wieder zu menschlichen Fahrern zurückgekehrt. Diese waren, um etwaige Leute davon abzuhalten, die Taxientführung auf eine eher Lowtech Variante zu probieren, meist grundlegend kämpferisch ausgebildet und bis an die Zähne bewaffnet. Außerdem hatten die meisten Taxis eine Methode, die Passagierkabinen mit Betäubungsgas zu fluten.

Gedankenverloren sah Ivory aus dem Fenster, während sich das Taxi durch den zähen Verkehr DER STADT bewegte.

Es war diesen Dezember erstaunlich kalt geworden, wenngleich die Temperaturen noch immer um die zehn Grad verharrten. Dennoch sah sie viele Bewohner, die sich etwaige Bürgersteige, Überführungen oder Glastunnel entlang drängelten, in Mänteln und ungewohnt fester Kleidung.

Auch sie selbst trug einen weißen Ledermantel, dunkle Lederstiefel und eine relativ feste, schwarze Hose.

Doch während es den anderen wohl eher um Schutz vor dem ungewöhnlich kühlen und feuchten Wetter ging, trug sie den Mantel vorrangig aus einem anderen Grund. Umsonst, wie es schien.

Sie fuhren vielleicht viertel Stunde und standen nun seit mindestens fünf Minuten in einem Stau vor einem Tunnel, als der Fahrer – der Bestätigung auf ihrem Comm nach war sein Name Pajil – erneut die Stimme erhob.

„Sie sind schwanger?“, fragte er.

Ivory schreckte aus ihren Gedanken auf. „Was?“

„Entschuldigen Sie, wenn ich zu dreist bin“, erwiderte er. „Es ist nur die Art, wie sie sich halten …“

Kurz zögerte Ivory. Sie hatte sich bemüht den Bauch durch den eher weiten Mantel zu verstecken. Vorrangig jedoch aus Paranoia vor etwaig zwielichtigen Gestalten. „Ja“, erwiderte sie kurz angebunden. „Sie haben Recht.“

Der Mann warf ihr kurz ein Lächeln über den Rückspiegel zu, ehe sich das Taxi für vielleicht zwei Meter voran bewegte, ehe es – wie alle anderen Fahrzeuge auch – erneut zum Stehen kam.

„Entschuldigen Sie bitte wirklich, wenn ich Ihnen zu nahe getreten bin“, meinte er.

Seufzend schüttelte sie den Kopf. Es war seltsam diese Unterhaltung zu führen, während seine Stimme vorrangig über die Sprechanlage des Fahrzeugs kam. „Schon in Ordnung. Ich dachte nur, ich hätte es besser verborgen.“

„Ach, wissen Sie“, meinte er, „ich weiß einfach, wonach ich schauen muss. Ich habe drei Kinder mit meiner Frau, müssen Sie wissen.“

„Ah“, murmelte Ivory, da sie nicht wirklich wusste, was sie sonst erwidern sollte. Sie kannte niemanden, der Kinder hatte – jedenfalls niemanden, von dem sie es wusste. Nun, sie hatte auch jetzt noch kaum dauerhafte Bekanntschaften in DER STADT. Doch selbst bei ihren nächtlichen Bekanntschaften hatte sie normaler Weise – sofern sie es hatte sagen können – versucht Leute zu umgehen, die in einer Beziehung oder gar einer Beziehung mit Kindern waren. Sie hatte allerdings auch nie nachgefragt.

Wieder bewegte sich der Verkehr ein wenig.

„Ist es Ihr erstes Kind?“, fragte der Fahrer.

„Ja“, erwiderte sie und strich noch immer halb in Gedanken über ihren Bauch. Manchmal konnte sie das Kind schon spüren, auch wenn sie erst im fünften Monat war.

Beinahe rechnete sie mit einer Frage zu ihrem Status als En, da sie solche in den vergangenen Wochen, wann immer es jemand gemerkt hatte, schon mehrfach gehört hatte. Doch sie irrte sich.

„Dann sind Sie jetzt auf den Weg zu ihrer Familie?“, spekulierte Mr. Pajil stattdessen.

Ivory zwang sich zu einem Lächeln. „Ja.“ Sie würde die Wahrheit sicher keinem Fremden erzählen. Die Wahrheit war, dass sie das Kind auf keinen Fall in DER STADT zur Welt bringen wollte. Als sie sich dafür entschieden hatte, das Kind auszutragen, hatte sie gewusst, dass sie nicht hier bleiben konnte. Das Kind war zum Teil En und sie wusste bereits von den Ärzten, dass es ein Mädchen sein würde.

„Der Vater kommt nach?“, fragte der Fahrer weiter.

„Nein.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich … Glaube nicht, dass er wirklich Interesse an dem Kind hat.“ Natürlich war auch das gelogen – wenn nur halb. Die Wahrheit war, dass sie nicht mit Sicherheit sagen konnte, wer der Vater war. An die meisten Männer, mit denen sie nur eine Nacht verbracht hatte, verschwendete sie keinen zweiten Gedanken, wohl wissend, dass es andersrum nicht anders sein würde. Allerhöchstens würden sie später damit prahlen eine En gefickt zu haben – was ihnen etwaige Kollegen oder Kumpel vielleicht, vielleicht auch nicht glauben würden.

Sie konnte nicht einmal sicher sagen, wie es passiert war. Sie nahm Hormone zur Verhütung und benutzte meistens zumindest Kondome. Allerdings wusste sie auch, dass keine Methode zu hundert Prozent Sicherheit geben konnte. Vielleicht hatte man irgendwann einfach „Pech“.

„Oh“, meinte der Fahrer. „Das tut mir Leid.“

Endlich bewegte sich der Verkehr wieder etwas mehr. Vielleicht hatten sie die Engstelle, wie auch immer sie entstanden war, durchquert.

„Das muss es nicht“, erwiderte Ivory mit einem Schulterzucken und sah auf ihr Comm. Sie hatte noch mehr als genug Zeit. „Ich habe es nie erwartet.“

Für einen Moment schwieg der Fahrer, während er das Taxi auf eine andere Fahrbahn lenkte. „Nun, es steht mir natürlich nicht zu darüber zu urteilen. Aber Kinder können anstrengend sein, wissen Sie? Nicht allein damit zu sein … Ich meine, es würde dadurch sicher leichter.“

Erneut zuckte Ivory mit den Schultern. „Wer sagt, dass ich alleine bin?“

„Oh“, war erneut die Antwort. „Entschuldigen Sie …“

Es war klar, dass er sich schwer tat mit der Vorstellung, dass ein Kind von jemand anderen als Mutter und Vater großgezogen wurde. Dagegen kam Ivory diese Vorstellung beinahe seltsam vor.

Sicher, wo sie hergekommen war, war es meistens ebenso gewesen. Nun, nicht immer Mutter und Vater. Vater und Vater, Mutter und Mutter, Alleinerziehende und manchmal auch etwas andere Zusammenstellungen. Dennoch hatten sich gerade in den Kleinstädten einige Leute schwer getan, mit manchen Modellen. Vor allem, wenn das Kind auf „natürlichem Wege“ entstanden war. Doch da diese Menschen auch oft über En die Nase gerümpft hatten – gerade weil sie doch „unnatürlich“ waren – hatte Ivory sich nie groß für diese Menschen interessiert.

Ihr Vater hatte ihr immer gesagt, sie solle nicht darauf hören, und das hatte sie dann auch getan.

Hier in DER STADT, aber auch anderen Metropolen, wo die moderne Technik so verbreitet und zugänglich war, wo Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammenkamen und sich eine komplett eigene Gesellschaftskultur gebildet hatte, war es jedoch anders. Gerade in den von moderner Technik geprägten Vierteln waren alte Vorstellungen von Moral und Ethik schon lange vergessen. Wenn genetische Veränderungen zum Alltag gehörten, in einigen Kreisen sogar über Klontechnik geredet wurde, En und mittlerweile auch Mutanten fast täglich zu sehen waren, dachten viele Leute nicht mehr über die alten Konstrukte nach.

Doch natürlich gab es selbst hier Menschen, die lieber alte Traditionen und Ansichten pflegten und vielleicht stand es ihr einfach nicht zu darüber zu urteilen. Sie musste nicht auf sie hören. Einzig jene, die meinten, aufgrund dieser Ansichten Mutanten, En oder sogar Opt zu überfallen und gar zu töten … Leider gab es immer wieder solche Fälle, von denen man hörte. Wenn solche Leute in Folge dessen von einem ihrer Opfer umgebracht wurden, dann hatten sie es – wenn man Ivory fragte – verdient.

Der Fahrer sprach für eine ganze Weile nicht mehr, während sich der Verkehr nun etwas flüssiger bewegte. Sie fuhren durch eine der Häuserschluchten einer der ärmeren Viertel, das sich von den besseren Vierteln vorrangig dadurch unterschied, dass es dreckiger war und die Hochhäuser näher beieinander standen. Natürlich war auch der Baustil etwas anderes, denn während sich die Plexe wie das Centix durchaus unterschieden und mit Glasfassaden und ähnlichem verziert waren, sahen die Häuser hier beinahe identisch aus. Betonklötze mit dreißig oder mehr Stockwerken, zu erkennen an den Reihen um Reihen verdreckter Fenster, die sich oft nicht öffnen ließen.

Wohnungen hier waren billig, aber entsprechend billig waren die Häuser auch gebaut.

Zumindest waren sie stabil genug, dass man sie als sicher bezeichnen konnte. Von dem was Ivory über die Armengegenden in anderen Städten gehört hatte, war es mehr, als man über einige andere sagen konnte.

Sie seufzte und holte erneut ihr Comm raus. Sie hatte eine neue Nachricht von Hozuka.

Ihre Augen flogen über den Text, ehe sie das Comm mit einem Lächeln und einem Seufzen wieder in ihre Manteltasche steckte.

„Wo geht es denn nachher genau hin?“, fragte der Taxifahrer schließlich, während sie vor einer Ampel standen.

„Nach Norden“, erwiderte Ivory, sich wohl dessen bewusst, dass es keine genaue Aussage war. Doch noch immer war sie paranoid bezüglich der UF und wollte vor allem vermeiden, dass sie herausfanden, wo sie war.

Sicher, einfacher wäre es gewesen, wäre sie nach Süden gegangen, wo die UF nach wie vor wenig Einfluss hatten, aber gab es im Süden auch keine Metropolen, die mit denen im Norden vergleichbar waren, und damit für jemanden wie sie auch wenig Arbeit. Erschwerend kam hinzu, dass in vielen der südlichen Länder die medizinische Versorgung mit jener im Norden nicht vergleichbar sein. Sie sorgte sich so schon genug über die Geburt, dass sie sich darüber nicht auch noch Gedanken machen wollte.

„Weit nach Norden? Oder bleiben Sie in der Nähe?“, wollte Mr. Pajil wissen.

„Weit genug, als dass die Winter kälter sind“, erwiderte sie mit einem matten Lächeln, ehe sie wesentlich leiser hinzufügte: „Aber daran bin ich gewöhnt …“ Sie glaubte nicht, dass er es gehört hatte.

„Dann hoffe ich, dass sie warme Kleidung eingepackt haben“, scherzte er halbherzig.

Ivory zuckte mit den Schultern. „Es gibt genug Zuhause.“ Immerhin blieb sie bei der Geschichte, dass sie zu ihrer Familie fuhr. Wie sehr sie sich doch wünschte, dass es die Wahrheit wäre …

„Oh, natürlich …“ Wieder verstummte er.

In der Ferne kam der Bahnhof in Sicht. Nun, noch nicht das Gebäude selbst, sehr wohl aber die mit Glas umschlossenen Magnetgleise, die auf Stelzen aus der Stadt herausführten.

„Nun, es sieht aus, als wären wir gleich da“, meinte der Fahrer.

Ivory erwiderte nichts.

Natürlich dauerte es doch noch eine Weile, bis sie tatsächlich in das Parkhaus neben dem Bahnhof erreichten.

„Ich wünsche Ihnen eine gute Weiterreise“, meinte Mr. Pajil. „Und natürlich dass alles gut geht, für Sie und Ihr Kind.“

„Danke“, erwiderte Ivory und rief das AR Feld auf um zu bezahlen.

„Vielleicht findet sich ja doch noch jemand“, sagte er, als sie die Tür öffnete, woraufhin sie nur mit den Schultern zuckte.

„Vielleicht.“

Sie stieg aus und sah zu, wie das Taxi fortfuhr, ehe sie sich durch die unterste Ebene des Parkhauses auf den Weg zu den Aufzügen machte, die sie auf die Ebene des Bahnhofs bringen würden.

Sie hatte noch immer etwas mehr als eine Stunde, bis ihr Zug fahren würde. Das hieß noch etwa eine dreiviertel Stunde, bis sie durch die Sicherheitskontrolle musste. Genug Zeit um noch etwas zu essen.

Erneut strich sie gedankenverloren über ihren Bauch, während sie auf den Aufzug wartete. In der letzten Zeit hatte sie mehr Hunger – aber die Ärzte hatten ihr gesagt, dass dies ein gutes Zeichen war.

Der Aufzug kam und keine fünf Minuten später, saß sie in einem der zumindest etwas besseren Imbisse des Bahnhof, wo sie ein wenig Reis mit Fleisch aß, während sie einen süßen Sodadrink trank. Ihr war danach gewesen und das Essen war angenehm scharf.

Ihr Comm lag auf den Tisch, während sie eben noch eine Nachricht von Hozuka beantwortet hatte.

Zumindest konnte man sich im Fernbahnhof halbwegs sicher fühlen, da dieser aus Angst vor terroristischen Attentaten immer stark gesichert war. Allein seit sie hier saß hatte sie zwei Sicherheitsleute vorbeilaufen sehen. Die Identitäten eines jeden, der das Gebäude betrat, würden gescannt werden, auch wenn man sich mithilfe gefälschter Dokumente fraglos hineinschleichen konnte. Zumindest hatte noch niemand versucht sie festzunehmen.

Sie aß in Ruhe und hatte die Plastikschüssel beinahe geleert, als sie eine vertraute Stimme hörte. „Doch noch geschafft …“ Mit einem Seufzen ließ sich Hozuka auf den metallenen Hocker neben ihr fallen.

Der Tisch an den Ivory saß war ebenfalls aus irgendeinem billigen Metall, wie in vielen dieser Imbisse üblich. Der Laden war viel zu hell ausgeleuchtet – wahrscheinlich, um über etwaige Unsauberkeiten hinweg zu täuschen.

Das Menü wurde nur im AR angezeigt, wie es bei vielen Imbissen üblich war, und die Warenausgabe war automatisiert.

Es war erstaunlich leer – jedenfalls für die Zeit, da bald einige Nachtbusse fahren würden – doch zumindest hieß es weniger unwillkommene Blicke.

„Tut mir leid für die Verspätung“, meinte Hozuka. Ihr Tattoo hatte sich, wenn man so wollte, in den letzten zwei Jahren nur noch weiter ausgebreitet und war mittlerweile sogar an ihrem Nacken zu sehen, da sie die Haare am Hinterkopf eher kurz trug, sich jedoch noch genug Haare vorne gelassen hatten, als dass sie diese als zwei Strähnen hinter ihre Ohren streichen konnte.

Wieder zuckte Ivory nur mit den Schultern. „Nicht schlimm.“

Hozuka trug erneut schwarz. Eine Lederjacke, die sich an an ihren Körper anschmiegte und ihre Taille sehr gut betonte.„Hoffe ich ja“, erwiderte sie mit einem müden Lächeln und gähnte. „Riecht gut“, kommentierte sie dann und schnupperte. „Ich glaube ich hole mir auch noch etwas. Ich verhungere …“ Für einen Moment zögerte. „So viel Zeit ist noch, oder?“

Ivory sah auf das Comm. „In zwanzig Minuten sollte ich zum Gleis.“

„Also reicht es noch“, schloss Hozuka. „Soll ich dir noch was mitbringen?“

„Gerne“, erwiderte Ivory. „Danke.“ Mit einem matten Lächeln sah sie zu, wie Hozuka wieder aufsprang und zur Ausgabe ging.

Es war die längste Beziehung irgendeiner Art, die sie gehabt hatte, seit sie in DIE STADT gekommen war. Wenngleich sie sich nicht als Paar sahen. Doch zumindest wusste Hozuka, wer sie war, und mittlerweile auch, was sie tat. Sie war an ihrer Seite geblieben und das war etwas, das Ivory mehr als alles andere schätzte.

Sie war nicht mehr allein. Und bald … Sie legte eine Hand auf ihren Bauch, der in den letzten Wochen schon deutlich runder geworden war.

„Hier“, meinte Hozuka, als sie nach vielleicht zwei Minuten mit einem Tablett zurückkam.

„Danke“, sagte Ivory noch einmal und nahm sich eine der Plastikschalen. „Und? War es auf der Arbeit wirklich so schlimm?“

„Schlimm genug“, grummelte Hozuka. „Dieser Martin kann seine Klappe einfach nicht halten.“ Sie bezog sich auf einen Kollegen an ihrer Firma, der eine deutliche Meinung zu Mutanten hatte. Wie so viele andere auch … „Na ja, noch sechs Wochen …“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich würde ihm nur so gern einmal …“ Sie ballte eine Faust, sprach aber nicht weiter.

„Ich weiß, ich weiß“, meinte Ivory und legte ihr kurz eine Hand auf die Schulter. „Denk nicht zu viel drüber nach.“

Hozuka verdrehte die Augen. „Ich kann für nichts garantieren.“

So ging es noch für eine Weile, während sie aßen. Das Essen war sicher nicht „gut“, aber zumindest würzig genug, um andere offensichtliche Probleme hinweg zu täuschen.

Zugegebener Maßen war Ivory froh, dass Hozuka es noch geschafft hatte. Es wäre seltsam gewesen, sie nicht mehr gesehen zu haben …

Doch die Zeit verging nun schnell und sie wusste, dass sie den Zug nicht verpassen durfte.

„Wir sollten“, meinte sie mit Blick auf ihr Comm.

Hozuka seufzte. „Ich weiß.“ Für einen Moment sah sie Ivory mit einem seltsamen an, stand dann aber auf. „Dann lass uns gehen.“

Dank der erhöhten Sicherheit war es Standard, dass Reisende sich vor Antritt der Reise einer Sicherheitskontrolle unterziehen mussten, was je nachdem ein paar Minuten bis eine Viertelstunde dauern konnte.

Die Kontrolle fand am Zugang zum Hub statt – der Halle, von der aus die Treppen zu den eigentlichen Gleisen führten. Hier gab es mehrere nebeneinander gelegene Schleusen aus Plasglas, durch die jeder Reisende musste. Daten wurden überprüft, das Handgepäck ebenfalls durchleuchtet. Nicht, dass es als wirklich schwer galt, etwaige Waffen oder Sprengstoffe hindurch zu schmuggeln – zumal einfache Handfeuerwaffen mit entsprechenden Lizenzen erlaubt waren.

„Dann …“, murmelte Hozuka, als sie sich in die recht kurze Schlange vor der Kontrolle einreihten.

„Du musst nicht mit durch kommen“, meinte Ivory. „Es sind eh nur noch fünfzehn Minuten.“

„Ich weiß“, seufzte Hozuka. „Dann … Ja …“

Die Schlange bewegte sich etwas weiter nach vorne.

„Wir sehen uns in sechs Wochen“, sagte Hozuka schließlich. „Sieh zu, dass du … Dass ihr in einem Stück ankommt.“ Sie warf einen kurzen Blick zu Ivorys Bauch.

„Sieh zu, dass du in sechs Wochen noch lebst“, erwiderte Ivory sanft und küsste sie auf die Stirn.

„Was soll mir schon passieren?“, meinte Hozuka, während sich die Schlange erneut etwas weiter bewegte.

„Es gibt noch immer genug Verrückte hier“, flüsterte Ivory. „Und ich will dich noch einmal sehen.“

„Ich passe schon auf mich auf“, erwiderte die andere und streckte sich kurz, um Ivory auf die Wange zu küssen. „Mach nur keine Dummheiten“, flüsterte sie dann in ihre Ohren.

„Sicher …“

Die letzte Person vor Ivory ging durch die Absperrung, wo ein Sicherheitsbeamter ihn noch einmal eindringlich musterte.

„Wir sehen uns in sechs Wochen“, meinte sie dann.

Hozuka nickte und griff noch einmal nach ihrer Hand, um sie zu drücken. „Ja.“ Sie seufzte. „Bis dahin.“

Dann machte sie einen Schritt zurück, während Ivory ihre Handtasche auf das Förderband nehmen der Schleuse legte und selbst in die Schleuse trat.

Noch einmal drehte sie sich um und hob die Hand, während auch Hozuka winkte, ehe sie sich dem Sicherheitsbeamten zuwandte. Etwas nervös war sie schon, ob die falsche Identität ausreichen würde.

„Sie haben eine Waffe?“, fragte der dunkelhäutige Mann.

„Ja“, erwiderte sie. „Selbstverteidigung. Ich habe alle nötigen Lizenzen.“

Der Mann schwieg für einen Moment, ohne Frage um ihre Daten im AR durchzuschauen. „Ich verstehe.“ Er nickte. „Es scheint alles in Ordnung zu sein.“ Die zweite Schleusentür öffnete sich. „ich wünsche ihnen eine gute Reise.“ Er ließ sie aus der Schleuse austreten.

„Vielen Dank“, erwiderte sie und versuchte ihre Erleichterung zu verbergen.

Hinter der Schleuse nahm sie ihre Handtasche vom Förderband.

Noch einmal drehte sie sich zu, um Hozuka einen letzten Blick zuzuwerfen, ehe sie sich auf den Weg zu ihrem Gleis machte.

Es war nicht lang. Bald würde Hozuka nachkommen. Wenn alles gut ging. Wer konnte das schon wissen?

Doch sie hatte die Stadt für acht Jahre überlebt. Was sollte nun schon noch passieren? Es konnte – so dachte sie sich – nur besser werden.



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Kommentare zu dieser Fanfic (12)

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Von:  Sunae
2017-10-03T22:01:20+00:00 04.10.2017 00:01
Weil ich einer Story mit Altersbegrenzung lesen wollte, habe ich mich hier auch mal angemeldet.
Immerhin findet man hier die unzensierte Version, dachte ich mir ich schau sie mir nicht nur hier an, sondern schreibe gleich was, solange die Gedanken frisch sind.

Fangen wir mal da an, wo alles anfängt, mit dem Titel. Was mir ins Auge sprang war, dass sie in fast jedem neuen Kapitel eine Person kennen lernt. Eine Psychologin, ein schwarzer ex-Polizist, ein Loverboy, eine Asiatin. (En)counter steht demnach dafür, dass der Trigger für jede neue Episode darin besteht, dass eine neue Person seinen Abdruck hinterlässt.

Dazu passt es sehr gut, dass sie längere Beziehungen meidet. So sticht jeder neue Person heraus und bestimmt das Bild der Geschichte ohne Einmischung. Schön ist es, dass sie und Hozuka am Ende doch noch Kontakt hielten. Es hätte genau so gut der Cop sein können, oder die Psychologin. Theoretisch könnte David immer noch nach ihr lauern, wäre er noch am Leben.
Es hätte also jeder von denen werden können und bis auf David wäre jeder von ihnen ein schöner letzter Partner für sie. Wobei du auch klar gemacht hast, dass es mehr Freundschaft Plus ist.

Nochmal zum Thema (En)counter. Du hattest doch vor deinen Shaddowruncharakter als Spinoff in eine andere Story zu bringen, richtig? Ich erinnere mich noch an den Namen, aber ich möchte ihn nicht falsch schreiben. :P
Du sprachst glaube ich davon, dass es immer um die Vorbereitungen zwischen den Aufträgen gehen soll und nicht um die Action. Hattest du vielleicht genau so einen Aufbau geplant? Die Protagonistin war ja auch Soldatin und dann später Söldnerin, aber man sah nie etwas von ihrem Einsatz, also könnte man dein geplantes Projekt damit vergleichen?
Wenn, dann finde ich es funktioniert gut, so wie es ist.

Ach ja, in diesem Kapitel habe ich einen kleinen Schreibfehler gesehen. Du schriebst "Bis auf die Szene bewaffnet", statt Zähne.

Ein komischer Abschluss, aber als nächstes rede ich mal über die Sexszenen. Ging mir halt gerade so aus.
Ich muss sagen, Hozuka wäre genau mein Typ. Ich habe ein Fabel für Asiaten und sie stellt definitiv eine dar und ich finde Piercings und Tattoos scheiß sexy, besonders im Intimbereich. Na ja, unter anderem im Intimbereich.
Die beiden Sexszenen waren schon eher mein Geschmack als in Eisbären und Sexspielzeug. Ich denke aber, das ist Geschmackssage. Darauf gehe ich aber jetzt nicht ein, vielleicht antworte ich noch bei den Eisbären und rede da darüber.
Ich lese so einen Stuff häufiger und denke mal, im Vergleich zu Leuten die reine Sexstorys machen, kommst du schon ganz gut weg. Der Ablauf ist flüssig, nicht zu schnell, nicht zu langsam und die Beschreibung der Körperteile und Bewegungen ist auch schön geworden.

Beim Abhacken der Liste ist mir doch noch was gekommen. Um so besser, dass es nicht so endet.
Du hast oben gefragt, welche Städte und Länder du als Vorlage benutzt hast. In Geographie bin ich zu schlecht und jemand anderes hat das schon rausgekriegt, aber ich könnte versuchen die Nationalität der Charaktere zu erraten, falls du dich bei ihnen ebenfalls inspirieren ließest.
David könnte in der echten Welt in den ärmeren europäischen Ländern gelebt haben. Du hast geschrieben, sein Job sei relativ normal für Cyberpunk, trotzdem assoziiere ich ihn gerne mit einem Loverboy. Und diesen dürfte es leicht fallen Mädchen aus ärmeren Ländern eine Perspektive zu versprechen. Polen, Russland, oder die Slowakei könnten passen, vielleicht auch Thailand.
Hozuka hingegen finde ich noch deutlich aussagekräftiger. Ihr Aussehen ist klar an eine Asiatin angelehnt. Was ich prägnant fand war, dass ihre Eltern sie wegen ihrer Mutantenexistenz verraten hatten und das sie sozial geächtet wurde.
Ich kann sie mir als Koreanerin vorstellen, vielleicht als "Mischling" aus einer Koreanerin und einem amerikanischen Soldaten.
Die Lage wäre in dieser Situation auf jeden Fall sehr ähnlich.

Nun denn, ich hoffe der Kommi hat dir gefallen und das du bald wieder fitt wirst.
Von:  Taroru
2016-12-25T12:59:08+00:00 25.12.2016 13:59
na ich hoffe doch sehr, das du hier noch weiter schreiben wirst o.o
du kannst das jetzt nicht hier auslaufen lassen.... das würde mir so gar nicht gefallen o.o
(zu mal mir eine richtige beziehung zu hozuka gut gefallen würde XD also zwischen den beiden ;-) )

Von:  Taroru
2016-12-25T12:32:39+00:00 25.12.2016 13:32
ui.... nu sitze ich hier mit hochrotem kopf o.o
aber es ist wirklich gut geschrieben. ich mag hozuka auch, ihre fähigkeit ist durch aus interessant *lach*

das mit ihrem vater ist tragisch, und das auf diesem wege zu erfahren ist nicht schön, aber zu solchen zeiten wohl normal....
ich finde ivorys gedanken, handlungen wieder verdammt nachvollziehbar, und autentisch, gefällt mir nach wievor wahsinnig gut :-)
Von:  Taroru
2016-12-25T11:13:21+00:00 25.12.2016 12:13
hat ein wenig gedauert... aber nu hab ich die zeit zum lesen gefunden :-D

und ich mag ivory noch immer, die art wie sie über den krieg denkt, über die kämpfe denkt, wirken sehr realistisch, ich kann mir gut vorstellen das es anderen soldaten ähnlich geht, ähnliche gedanken haben.
auch emily ist mir auf anhieb sympatisch, und hat sie echt gut analysiert :-D *lach*


Antwort von:  Alaiya
25.12.2016 12:15
Wie immer: Danke :3
Ivory ist mir über das Schreiben auch sehr ans Herz gewachsen
Antwort von:  Taroru
25.12.2016 12:18
na das hört man doch gerne
man schreibt ja auch lieber zu charakteren, die man mag, oder? ;-)
Von:  Ghaldak
2016-12-23T23:40:17+00:00 24.12.2016 00:40
Ein paar Gedanken zur Abschlussfrage: "Scandia" war der Name Skandinaviens aus jenen vergangenen Zeiten, in denen man es für eine Insel hielt. Wenn man sich unter DER STADT eine Fusion der Ruhrgebietsstädte vorstellt, dann führen einhundert Kilometer über die Grenze in Richtung der Niederlande, vielleicht nach Amsterdam, ehe sie der Flieger nach Dänemark und damit "immerhin in den Norden" bringt.
Antwort von:  Alaiya
24.12.2016 10:35
Danke für den Kommentar :D Bei Scandia liegst du absolut richtig (wobei der Fun Fakt ist, dass ich das historische noch nicht wusste, als ich das erste Kapitel geschrieben habe - bin beim Schreiben der Geschichte eher durch zufall drüber gestolpert, dass das mal der Name war).
DIE STADT liegt allerdings ein ganzes Stück weiter südlich - recht nahe am Äquator ;)
Von:  Yamasha
2016-12-23T13:11:41+00:00 23.12.2016 14:11
Sie ist schwanger o.O das ist mal eine interessante Sache :) Ich mags. Und ja, Bitte schreib eine neue Geschichte mit denen. Am besten hier wo du aufgehört hast.
Ach ja, und ich finds cool, dass sie und Hozuka sich noch kennen und dass sie sogar nachkommt :)
Antwort von:  Alaiya
23.12.2016 15:09
Die Geschichte, die ich mit denen im Kopf habe, würde wahrscheinlich einsetzen, wenn das Kind dann so 3 Jahre alt ist. :)
Antwort von:  Yamasha
23.12.2016 18:26
Ist auch OK. Wäre auf jeden Fall gespannt
Von:  Yamasha
2016-12-22T15:16:08+00:00 22.12.2016 16:16
Oh Gott, die arme Ivory! Vater verloren, keinen Kontakt mit der Mutter haben und dann keine richtige Beziehung. Hört sich richtig einsam an... :(
Antwort von:  Alaiya
22.12.2016 16:34
Ist es auch. Es ist halt blöd, wenn man so weit von allem, was man mal kannte, weg ist
Von:  Yamasha
2016-12-22T15:03:26+00:00 22.12.2016 16:03
Wow. Das hätte ich nicht gedacht. Aber ich mag das Kapitel. Ich finde es cool, wie nüchtern sie an diesen ONS rangeht. Mal was anderes. Und die Idee mit dem Snatcher gefällt mir auch gut :)
Antwort von:  Alaiya
22.12.2016 16:07
Vielen Dank für deinen Kommentar wieder!
Persönlich mag ich es ja mittlerweile durchaus Charaktere zu schreiben, die locker mit Sex umgehen. :)
Und Snatcher gehören für mich ja irgendwo zum Cyberpunk Setting dazu.
Von:  Yamasha
2016-12-20T06:46:35+00:00 20.12.2016 07:46
Ok, ist vllt nicht ganz passend für Weihnachten, aber trotzdem echt süß. Ich mag Ivory sehr gerne und auch Thomas scheint ein guter Mensch zu sein. Ich freue mich auf mehr Kapitel :)
Antwort von:  Alaiya
20.12.2016 10:29
Danke :) Thomas kommt leider (ich fand es ehrlich gesagt auch etwas schade - aber ja, Konzept) nicht mehr groß vor :( Er war von den Charas in der Geschichte auch einer meiner Favoriten.
Von:  Taroru
2016-12-19T17:02:29+00:00 19.12.2016 18:02
ui :-O
endlich mal wieder gewaltiges Lesefutter!
Mal wieder was völlig eigenes, gefällt mir ausgesprochen gut, mach mich neugierig auf mehr und bin in der hinsicht auch schon wieder wahnsinnig ungeduldig :-p
Ich mag Ivory, und ihre Art, so ähnlich fühlt man sich als Landei auch, wenn man Plötzlich in der Großstadt leben soll, von der Seite her, kann ich sie wirklich wahnsinnig gut verstehen.
Thomas mag ich auch, er scheint eine ruhige, aber lockere Art an sich zu haben, ich hoffe das bleibt auch so *lach*
Und was mir nach wie vor an deinen Texten gefällt, ist einfach die Art und Weiße wie du Dinge beschreibst, es klingt immer irgendwie beiläufig, man erfährt Details, Hintergrundwissen, quasie im vorbei laufen (so wie man einen Flur langläuft, gar nicht bewusst auf die Stufen achtet, und dann fest stellt, das dort ein Stück rausgebrochen ist, oder jemand seinen Kaugummi dort hin geklebt hat, man nimmt es nicht bewusst wahr, dennoch sieht man es, ich hoffe du verstehst was ich meine)

Ich freu mich auf jeden Fall, auf mehr Lesefutter :-)
Und Danke dir, das du aktiv am tippseln bist :-p
Antwort von:  Alaiya
19.12.2016 23:36
Danke für den Kommentar :D
Die Geschichte wird auch gesamt über ihre Entwicklung in den Jahren in der Stadt gehen. Ich kann dir gleich sagen, dass sie natürlich nicht so bleibt :)
Und danke.

Ich könnte an der Stelle allerdings auch noch anmerken, dass ich dich auf die Shadowrun Geschichten verweisen kann. Diese sind, wenn man so will, auch als Cyberpunk Original sehen - nur das die Welt vorgegeben ist. Aber alles eigene Charaktere und so ;)


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