Zum Inhalt der Seite

Und ich schlief ein mit Musik.

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Fünf... Vier...

Sanft weckten mich die Strahlen der aufgehenden Sonne. Wie um alles in der Welt hatte ich nur einschlafen können?!

Ich öffnete die Augen und starrte in einen der schönsten Sonnenaufgänge, die ich je gesehen hatte.

Orange. Das war meine Lieblingsfarbe.

Neben mir bewegten sich die Körper, setzten sich einer nach dem anderen auf und streckte die steifen Glieder.

Es sagte weder jemand 'Guten Morgen', noch fragte wer, ob alle gut geschlafen hatten. Warum sollten wir etwas beschönigen, das nicht schön war?

Doch heute war die Stimmung auf einem Tiefpunkt angelangt.

Betti lag wie immer auf Joes Schoß, ich hätte keinen Unterschied bemerkt, wenn er nicht geweint hätte.

Sie war tot.
 

Wir waren immer noch nicht losgegangen, um wie geplant Nahrung und die anderen Tribute zu suchen.

Benedikt hatte sich angeboten, Joe zu helfen, ein Grab zu errichten. Seit Stunden lief er durch den Sand, suchte Steine, die er in einem Oval um eine Mulde legte, die Joe mit seinen Händen ausgrub. Daneben lag Betti in der Sonne und Joe schaute sich immer wieder um, damit man ihren Körper nicht einfach abholte, so wie die anderen Toten.

Ich hätte den beiden gerne geholfen, doch Louis sagte mir, dass das Männerarbeit war. Er war der Anführer unser kleinen Gruppe, er bestimmte, er konnte am besten kämpfen.

Immer höher stieg die Sonne und ich konnte die Anspannung der Anderen förmlich spüren. Wir brauchten wirklich dringend Wasser und Essen, sollten endlich aufbrechen, damit wir nicht auch noch starben, anstatt eine Tote zu begraben, die anschließend von den Spielemachern wieder ausgebuddelt wurde. Dieses ganze auf den Flieger aufpassen, war vollkommen sinnlos.

Immer wieder stöhnte jemand, als Benedikt neue Steine herbeischleppte, knallrot im Gesicht, mit verbissenem Blick.
 

"Leute es reicht jetzt!", meldete sich Louis zu Wort. "Wir brauchen Wasser und Essen, falls ihr beide das wieder vergessen habt."

Joe sagte nichts, sondern legte Bettis Körper in die Mulde und deckte sie mit Sand und Steinen zu. Seine Lippen bewegten sich die ganze Zeit, auch wenn ich kein einziges Wort hören konnte.

"Fertig?" Louis klang schon ziemlich gereizt.

"Fertig ist man nie", gab Benedikt eine Antwort. Er taumelte etwas benommen zu uns her und legte sich dann in den Sand.

"Wir müssen jetzt weiter." Louis ging nicht auf Benedikts Antwort ein, sondern schnappte sich seine Tasche und marschierte los. Bis auf Benedikt folgten ihm alle sofort. Wir mussten als Gruppe zusammenhalten.

"Ohne mich." Benedikt blieb weiterhin liegen. Dann rollte er auf die Seite und übergab sich.

Der klassische Sonnenstich.

Joe hielt mit seiner dunklen Hautfarbe einiges mehr an Hitze aus, aber Benedikt... Ich hatte kaum jemanden gesehen, der trotz harter Arbeit, die es nunmal in District 9 gab, so blass war wie er.

"Ogott Benedikt!", quiekte Marzia, das jüngste Mitglied unserer Gruppe los. Schnell lief sie los zu ihm und ließ achtlos ihren Rucksack zurück. Benedikt war der einzige Mensch, dem sie derzeit vertraute, weil beide aus demselben District kamen.
 

Langsam reichte es Louis. Wütend ballte er die Fäuste, schaute immer wieder zu der Axt, die er seitlich am Rucksack befestigt hatte, hin.

"Steh endlich wieder auf und komm her, Pussy!", fing er schließlich zu brüllen an.

"Geh doch einfach!", kam es ebenso laut von Benedikt zurück. "Lass mich einfach in Ruhe mit deinem blöden Getue!"

Ich konnte gar nicht schnell genug schauen, als Louis mit erhobener Axt auf ihn zurannte.

Eine gefühlte Sekunde später stieß Marzia einen ohrenbetäubend hohen Schrei aus, rannte von Louis weg auf Joe und mich zu.

Louis stand auf.

Immer noch mit erhobener Axt schaute er hinunter auf den Sand.

Dorthin, wo Benedikt lag.

Oder auch seine Leiche.
 

Manchmal passierte das. Manchmal hielten wir als Gruppe nicht genug zusammen, um uns nicht gegenseitig zu töten.

Irgendwann wäre das sowieso passiert, spätestens dann, wenn die anderen zwei Tribute tot wären, hätten wir uns bekriegen müssen.

Obwohl, warum mussten wir das eigentlich? Waren wir echt nur die Figuren in einem Spiel und keine selbst denkenden Menschen mehr?

Jetzt dachte ich schon wieder zu viel nach.
 

Der Axthieb war das Stichwort für eine Gruppenauflösung. Ich packte Marzias Hand und fing an, um mein Leben zu rennen. Wortlos hielt das Mädchen mit mir Schritt, auch wenn Tränen über ihre Wangen rannten. Ein wenig verlangsamte ich das Tempo, da uns Louis überraschenderweise nicht folgte. Ich hatte Marzia nicht zurücklassen können.

Immer weiter ging die Reise, auf einen Wald zu, der am Horizont auftauchte. Hier konnte man sich besser vor Louis verstecken.

Neben mir hörte ich Joes angestrengtes Schnaufen, anscheinend hatte er sich uns beiden angeschlossen. Sein Messer hatte er eingesteckt, derzeit musste ich keinen Angriff von ihm zu befürchten.

Kurz nickte er mir zu und ich zurück.

Das war so etwas wie eine stille Übereinkunft.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2016-08-17T06:47:42+00:00 17.08.2016 08:47
Hallo!
 
Puh, gerade dadurch, dass du den Anblick der Leichen bzw. die Todesart nur erwähnst, ohne Details preiszugeben, hat man hier eine Gänsehaut: Du spielst bewusst mit der Leserfantasie. Das greift auch auf Mimiken zurück, weil man zwar die Attribute "gereizt" wahrnimmt, aber es am Ende allein mit den Avataren aus der Charakterbeschreibung kombiniert. Bei Louis fand ich das ganz stark, weil es seine psychische Verfassung und den Kontrollwahn aufgreift. Wer nicht gehorcht, wird ausgemerzt - und er kann von Glück sagen, dass seine Gegner zwei Mädchen und ein Junge sind, die in dem Moment eher auf Flucht, statt auf Angriff gehen. Dieser Impuls war realistisch!
Ich mochte auch vorab die Nervosität und Unruhe, welche das eigene Überleben höher werteten und auf Nahrung pochten, statt auf die Menschlichkeit eines Begräbnisses. Diese Zwecklosigkeit darzustellen, hat dem Kapitel viel Emotion mitgegeben. Dass sich Benedikt nicht wehrte (zumindest nicht lesbar), als der Angriff erfolgte, sondern vorher nur giftig aufbrauste, ließ mich zwiegespalten zurück: Wollte er sich selbst aus dem Spiel nehmen? Hat er Louis unterschätzt? Ist Louis womöglich nicht so unversehrt, wie man glauben könnte?
Spannend!
Und dass die drei verbliebenen Tribute nur auf ein Messer zurückgreifen können, dürfte sie zum Freiwild für die zwei Tribute machen, die irgendwo draußen sind: Kein Essen, fraglich ob Marzia ihren Rucksack mitnahm, kein Unterschlupf ...

Tippfehler:
- "strecken die steifen Glieder" - streckte die steifen Glieder (der Nebensatz bezieht sich auf "jeder Einzelne"?)
- "Benedikts Antwort ein (Komma) sondern"
- "wäre, das sowie" (kein Komma)
- "so etwas, wie" (kein Komma, da Vergleich)

Schnell weiterlesen.
 
Viele Grüße, Morgi
Antwort von:  Anwysitna
17.08.2016 23:16
Freut mich dass deine Fantasie voll dabei war. Diese nüchternen Beschreibungen gehören zu der Erzählerin dazu und sollen diese Allgegenwärtigkeit des Todes verdeutlichen.


Zurück