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Playlist of our Life

von

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I. We found love - Rihanna

I. We found love in a hopeless place

 

„Er ist so anstrengend!“ 

„Ja, aber du weißt doch… er ist Waise, er hat halt keinen mehr, der ihm Manieren beibringen kann..“ 

„Das rechtfertigt sein Verhalten nicht! Wir können nicht immer nachsichtig mit ihm sein! Der Tod seiner Eltern liegt bereits zwei Monate zurück! Das ist genug Zeit, um zu trauern und sich wieder wie ein funktionierender Mensch zu verhalten! Wir können ihm nicht immer eine Extrawurst geben, wo soll das noch hinführen?!“ 

 

Felias ging weiter. Er hätte niemals vor der Tür stehen bleiben dürfen. Aber es war so verlockend gewesen…. zu wissen, was seine Lehrer über ihn dachten. Menschen, die ihm auf seinem weiteren Lebensweg helfen sollten, sogenannte „Vertrauenslehrer“, zu denen er kommen konnte falls er zu Hause niemanden hatte mit denen er reden konnte.

Er hatte mal gesehen, wie die eine laute Blondine aus seinem Mathekurs, die ständig mit zwei Tonnen Make-up durch die Schule schritt, völlig aufgelöst und mit roten Augen in dieses Zimmer der Vertrauenslehrer gegangen war. Laut dem Geflüster und dem Getratsche der Mitschüler war sie schwanger und konnte es ihren Eltern unmöglich sagen. 

 

Luxusprobleme, dachte sich Felias verächtlich, wenigstens hast du noch welche, denen du es sagen kannst.

 

Er ging weiter zu seinem Schließfach und schmiss alle seine Lehrbücher sorglos rein. Wozu sollte er sie mitschleppen? Er wusste doch ganz genau, dass er sowieso keine Hausaufgaben machen würde geschweige denn ein Buch aufschlagen um zu lernen. 

 

Er wuschelte sich durch seine blau gefärbten Haare und machte sich auf dem Heimweg. 

 

Im Bus sah er viele seiner Mitschüler, doch keiner setzte sich neben ihn. Stattdessen bevorzugten sie zu stehen. Für Felias war es in Ordnung, er hatte es ohnehin nicht anders erwartet. Seit der ersten Woche als die Schule für ihn wieder angefangen hatte, hatte keiner mehr den Versuch gemacht, sich ihm zu nähern und er wollte es ihnen nicht übel nehmen, da er es verstand. Wären die Rollen vertauscht gewesen, hätte er den schlecht gelaunten Neuling, der nie lächelte und andere nur dumm anmachte, auch nicht angesprochen. Er wünschte nur, die Anderen hätten sich mehr Mühe gegeben, ihn kennenzulernen. 

 

Die Einzige, die gerade freundlich zu ihm war und ihn anscheinend auch nicht aktiv mied, war die Schülersprecherin und Cheerleaderin Alissa. 

 

Felias seufzte. Wäre der ganze Mist mit seinen Eltern nicht passiert, hätte er wahrscheinlich versucht sie rumzukriegen, obwohl sie einen Freund hatte. 

Denn auch wenn seine Mitschüler es sich selbst in ihren kühnsten Träumen nicht ausmalen könnten, er war nicht immer so kalt und abweisend gewesen, wie er es gerade war. 

 

An seiner alten Schule war er sowohl bei seinen Mitschülern als auch bei den Lehrern superbeliebt gewesen. Er hatte nicht immer die besten Noten, aber er war charmant und hatte immer ein Lächeln auf den Lippen. 

 

Dann kamen die Sommerferien dieses Jahr, in denen sich all dies änderte. Es war einer dieser großen Familienausflüge gewesen, auf denen seine Eltern und seine Verwandten durch einen Unfall ums Leben kamen. 

Allein die Tatsache, dass er und seine zwei Jahre jüngere Schwester bereits zum Strand vorgegangen waren, retteten die Beiden vor dem gleichen Schicksal. 

Aber dieses Wissen verbesserte ihren Zustand nicht. Der junge Verstand der Geschwister kamen damit nicht klar, es spielte mit ihnen das „Was wäre wenn“ Spiel immer wieder bis die Beiden nicht mehr wussten, ob es wirklich so gut gewesen war, an diesem Tag extra früh aufgestanden zu sein, damit sie sich gemeinsam den Sonnenaufgang am Strand anschauen konnten. 

 

Der Urlaub kam dadurch zu einem rapiden Ende, gefolgt von der Frage, was nun aus ihnen werden würde. 

 

Unglücklicherweise gab es in ihrer kleinen Heimatstadt kein Kinderheim, weshalb sie kurzerhand in die nächste Stadt dafür ziehen mussten. 

Die Entfernung war eigentlich nicht sehr groß, aber für einen 16-jährigen Jungen und einem 14-jährigen Mädchen ohne Geld waren die zwei Stunden mit dem Auto, vier mit dem Zug, eine zu große Distanz. 

 

Der Teenager sah zu, wie sich seine Mitschüler zum Abschied winkten und stieg wenig später an der nächsten Station selbst aus. 

Von der Haltestelle bis zum Kinderheim war es nur ein zehn minütlicher Weg, der locker auf die Hälfte gekürzt werden konnte, wenn man verschlafen hatte. 

Das Heim war in einem hellen gelb angestrichen. Es sah freundlich und einladend aus, doch das änderte nichts an Felias’ Gemütszustand, wenn er daran dachte, dass er fortan hier leben musste. 

 

„Hallo Felias“, begrüßte Katrin, eine Bezugsperson hier, ihn gleich am Eingang. Er grummelte etwas unverständliches zurück, doch das schreckte sie nicht ab. Sie hatte lange genug im Heim gearbeitet, um zu wissen, dass nicht alle diese große Veränderung mit Leichtigkeit verarbeiten konnten. „Du solltest deine Schwester aufsuchen. Sie hatte vorhin schrecklich geweint, weil die Jungen sie schon wieder geärgert haben.“  

 

Dieser Satz ließ Felias’ Schritte schneller werden. Er schaute kurz in ihr gemeinsames Zimmer, nur um zu sehen, dass sie sich nicht darin aufhielt. Daraufhin schmiss er sein Rucksack sorglos rein und durchsuchte als nächstes die Aufenthaltsräume ab. 

 

Er wusste, dass Charlotte hier Probleme hatte. Sie war sehr jungenhaft und konnte mit den männlichen Promis, die aktuell die Herzen aller Teenies zum Schmelzen brachten, nichts anfangen und zog es vor, draußen Fußball zu spielen statt sich die Haare zu flechten. 

 

An ihrer alten Schule hatte sie ähnlich wie er viele Freunde gehabt. Sie hing aufgrund ihrer Interessen öfter mit den Jungen ab, aber trotzdem hatte sie einige Freundinnen. 

 

Für sie war der Umzug ins Heim noch schwerer. Zuerst versuchte sie optimistisch zu sein, doch die ihr bis dahin unbekannte Abneigung der Jungen war schwer zu ertragen. 

Plötzlich durfte sie nicht mehr mit Fußball spielen, weil sie ein Mädchen war und Mädchen bekanntlich eklig sind. Diese spielten zwar anfangs mit ihr, aber als sich herausstellte, dass sie weder an Make-up noch an den neuesten Tratsch interessiert war, ging die wachsende Wurzel der Freundschaft schneller ein als man schauen konnte.

 

Das Geschwisterpärchen hatte nur sich selbst und auch vor dem Umzug war Charlotte die Prinzessin in seinem Leben gewesen. 

 

„Charlie!“, rief Felias’ nach ihr als er sie draußen im Hof erblickte. Sie hockte allein in seinem Pullover vor dem großen Eichenbaum. Sein Blick glitt von ihren roten Augen und den noch immer leicht feuchten Wangen zu dem Kerl neben ihr. Er raste vor Wut. 

 

„Hey!“, brüllte er, „Lass sie in Ruhe!“ 

 

Schnell packte er ihn am Kragen, doch Charlottes Stimme ließ ihn innehalten. 

 

„Halt Feli, er hat mir nichts getan!“ 

 

Seine Hand um den Kragen des Anderen lockerte sich. 

 

„Er hat gesehen, dass ich weine und mich getröstet!“ 

 

Leicht peinlich berührt ließ Felias den armen Kerl los und entschuldigte sich augenblicklich. 

 

„Hey Alter, tut mir Leid. Als ich ankam, hat mir Katrin gesagt, dass die Schweine Charlie zum Weinen gebracht haben und als ich euch Beiden da gesehen habe, ist da wohl was bei mir durchgebrannt.“ 

 

Glücklicherweise sah sein Gegenüber kein Fünkchen wütend aus. Erst jetzt fiel Felias auf, dass er sich vorhin nicht gewehrt und auch sonst kein Ton von sich gegeben hatte. 

 

„Kein Problem.“, antwortete dieser nur monoton.

 

„Und ehm, danke, dass du Charlie getröstet hast. Das hat noch keiner hier bisher gemacht.“, nuschelte Felias weiter in das unangenehme Schweigen des Anderen. Dieser nickte nur. 

 

„Öhm.. ja. Ich bin Felias nebenbei.“

 

„Matthew.“ 

 

Da sie sich anscheinend nichts zu sagen hatten, murmelte er ein „bis später und danke noch mal“, nahm Charlotte an der Hand und ging mit ihr in ihr Zimmer. 

 

Wenig später begegneten sie sich wieder beim Abendessen. Matthew fiel Felias auf, weil der Schwarzkopf ganz allein an einem Tisch im Essensraum saß. Auf Charlottes Vorschlag, sich zu ihm zu setzen, seufzte er, gehorchte jedoch ohne Widerwillen. Wahrscheinlich hätte er es auch ohne ihr Zutun getan. 

 

Die Stimmung war zu allererst genauso unangenehm wie sie es vorher im Hof auch schon gewesen war, doch spätestens nach der zweiten Kartoffel hatte sie sich in das komplette Gegenteil verwandelt.

Nach dem Nachtisch fragte Felias ihn sogar, ob er später nicht in ihr Zimmer kommen wollte, was Charlotte in helle Aufregung versetzte. 

 

An diesem Abend hatten die Beiden so viel gelacht wie schon lange nicht mehr und als Charlies Kopf bereits schlafend in dem Schoß ihres großen Bruders ruhte, redeten die beiden Jungen weiter bis in den frühen Morgen. 

 

Felias lernte, dass Matthew ein halbes Jahr älter als er war. Zwar hatte er auch seine Eltern verloren, aber nicht bei einem Unfall im Urlaub, sondern während er sich im Fußballcamp befand. Die Menschen, die er danach traf, dachten, er wäre aufgrund der Ermordung seiner Mutter und seines Vaters still und in sich gekehrt geworden, doch sie verstanden nicht, dass er auch schon vorher schweigsam war und nicht sehr viel mit den Gleichaltrigen anfangen konnte, wenn sie sich nicht gerade auf dem Sportplatz befanden. 

Der Raubmord lag bereits sechs Jahre zurück; Matthew vermisste sie kaum noch. Im Gegensatz zu den beiden Geschwistern hatte er eine engere Bindung zu seinem Hausmädchen als zu seinen Eltern. 

 

Je mehr sie redeten, desto mehr erkannte Felias, dass sie und ihre Probleme genauso verschieden wie gleich waren: 

 

Menschen verstanden nicht, dass der Unfall keinerlei Schuld an Matthews Distanziertheit trug während Felias das Problem hatte, dass die meisten nicht erkannten, dass er nicht immer so drauf war, wie er sich zur Zeit benahm. 

 

Falls die Geschwister von nun an das Heim etwas lieber mochten als vorher, lieber heim kamen als vorher und mit leichterem Schritt liefen, so würde keiner von den Beiden abstreiten, dass das ganz allein an Matthew lag. 

 

Manchmal erinnerte sich Felias daran, wie er auf seiner alten Schule von einigen, wenigen Neider als männliche Schlampe bezeichnet wurde, weil er monatlich seine Freundin wechselte. Dann argumentierte er oft, dass er eigentlich nur auf der Suche nach der Liebe seines Lebens war, denn - so haben seine Eltern es ihm beigebracht - die Liebe sei das wichtigste im Leben. 

Wie konnte er sich sicher sein, dass es nicht eine von ihnen war, wenn er keine eine Chance gab? Die meisten seiner Freundinnen waren Spiegel seiner eigenen Persönlichkeit: aufgeweckt, abenteuerlustig, risikofreudig, sportlich, charmant. 

 

Niemals im Leben hätte er gedacht, dass er die sogenannte Liebe seines Lebens in einem introvertierten Jungen im Heim finden würde. 

II. Lean on - Major Lazer & DJ Snake

II. What will we do when we get old? Will we walk down the same road?

 

Verdammt Felias, das ist nicht dein Ernst, dachte sich Matthew als er den roten Klebezettel vom Kühlschrank in den Mülleimer beförderte. Auf diesen statt in einer krakeligen Schrift geschrieben: Haben die Höchstpunktzahl für unsere Arbeit erhalten. Bin deswegen mit meiner Gruppe feiern gegangen :) Das Smiley regte ihn nur noch mehr auf. Kurzerhand fischte der 19-jährige sein Handy aus der Hosentasche und durchsuchte seine Kontakte nach der gewünschten Nummer. 

 

„Hey, na bereit für heute Abend?“, meldete sich eine bekannte Frauenstimme. Matthew seufzte. „Das hört sich aber gar nicht gut an.“, erkannte die Stimme am Hörer sofort. 

 

„Ja, Felias ist nicht zu Hause-“ „Und du willst wieder Babysitter für seine Schwester spielen. Meine Güte, sie ist 16!“ 

 

Matthew atmete tief durch und hörte sich die Beschwerde an, die wie ein Wasserfall von den Lippen seiner besten Freundin floss. Er kannte sie in- und auswendig, hatte er sie sich doch schon oft genug angehört. Er verstand ja ihren Standpunkt und vieles konnte er auch nachvollziehen, aber das änderte nun einmal nichts an der Tatsache, dass er Charlotte nicht gerne die ganze Zeit über alleine ließ. Allein in dieser Woche hatte er vier Nachtschichten in der Bar gehabt und es war Freitag. Das von ihm und Felias geteilte Schlafzimmer fand er die Hälfte der Nächte leer vor und Gott weiß, wann er an den anderen Abenden nach Hause kam. 

Es nagte an seinen Schuldgefühlen und so blieb er mühelos standhaft, als er sagte: 

 

„Ja, ich weiß Jenna. Tut mir echt Leid, wir holen das ein anderes Mal nach, okay?“ 

 

Nach dem Gespräch öffnete Matthew den Kühlschrank und war aufrichtig erleichtert zu sehen, dass sein Freund wenigstens daran gedacht hatte, ihn zu füllen. 

Er nahm sich Eier, Zwiebeln, Kartoffeln und Brot und begann Tortillas de Patatas zuzubereiten, eines von Charlies simpleren Leibgerichte.

 

Seit dem Tag, als er das Geschwisterpärchen im Heim kennenlernte, sind bereits zwei Jahre vergangen. Zwei Jahre, in denen sie ihm unsagbar wichtig geworden sind. Paar Monate später nach ihrem ersten Treffen wurden er und Felias offiziell ein Paar. Charlotte wurde dadurch keineswegs vernachlässigt, ganz im Gegenteil. Die meiste Zeit über unternahmen sie Dinge zu dritt; im Heim hockten sie ständig aufeinander. Vor einem halben Jahr sind er und Felias endlich volljährig geworden und hatten sich dafür eingesetzt, dass Charlie mit ihnen das Kinderheim verlassen konnte, obwohl sie erst 16 Jahre alt war. 

 

Der Weg bis hier hin war beschwerlich. Zwischenzeitlich hatte er auch die Hoffnung aufgegeben, sie mitnehmen zu können, aber Felias war sehr hartnäckig. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, seine kleine Schwester zurückzulassen, wollte aber keine weiteren zwei Jahre dort im Dorf bleiben. Sein Drang wegzuziehen, in einer fremden Stadt ein Neuanfang zu wagen, ein neues Leben zu führen, war stetig gewachsen. Das ist jedenfalls, was er gesagt hatte. Matthew hatte ihm auch geglaubt, aber jetzt, wo er nun feststellte, dass die Bars dieser Stadt ihn öfters zu Gesicht bekamen, als er oder seine Prinzessin, fiel ihm dies zunehmend schwerer. Bereits damals als sein Freund vorgeschlagen hatte nach dem Abitur zum Studieren in die nächste Großstadt zu ziehen, hatte er sich gedacht, dass diese Entscheidung bestimmt nicht ohne Alissas Einfluss entstanden war. Da war es für ihn aber nur eine Nebensache gewesen, heute hatte dies einen bitteren Beigeschmack. 

 

Alissa war Schülersprecherin ihrer alten Schule gewesen und ganz nebenbei auch Felias’ beste Freundin. Sie hatte dieses perfekte Leben, wo sie der Stolz ihrer Eltern, Liebling der Lehrer, Vorbild aller Mädchen und Angebetete aller Jungen war. Natürlich konnte Jemand wie sie nicht für immer in einer Kleinstadt wohnen, weshalb sie Felias mit wunderbaren Geschichten und unrealistischen Darstellungen in Filmen mit der Sucht nach Abgasen und Lärm bis in die tiefste Nacht ansteckte. 

 

Für Charlotte hieß es noch einmal umziehen, was sie nicht großartig störte. Sie war froh aus dem Kinderheim wegzukommen und keiner von ihren Freunden auf der neuen Schule war ihr so wichtig geworden, dass sie wegen ihm blieb. 

 

Trotzdem waren diese Veränderungen nichts, was man leicht verdauen konnte. Es war ein Unterschied, ob man von einem Dorf ins nächste zog oder in die Großstadt, wo der Weg zur Schule plötzlich aus zwei Mal umsteigen bestand und die wichtigsten Bezugspersonen kaum zu Hause waren. 

 

Anfangs lief alles gut. Der Alltag war durchgeplant; Matthew konnte sich darauf verlassen, wer den Einkauf erledigte, wer das Abendessen zubereitete, wer wann nach Hause kam.. Charlotte verbrachte des öfteren die Nachmittage alleine, aber an sechs Abenden der Woche war Jemand für sie da, der mit ihr etwas Zeit verbrachte. 

 

Felias’ Stundenplan hing noch immer am Kühlschrank, aber seit er angefangen hatte, Module zu schwänzen und wegzugehen ohne Bescheid zu geben, konnte man sich darauf genauso wenig verlassen, wie auf sein Versprechen wenigstens diesen einen Freitag Abend zu Hause zu bleiben. 

 

Felias hatte die Woche über mit seiner Studiengruppe etwas für sein Wirtschaftsmodul vorbereitet, weshalb er noch weniger zu Hause war als so schon. Jetzt, wo sich die harte Arbeit ausgezahlt hat und sie anscheinend sogar die Bestnote auf ihre Präsentation bekommen haben, konnte er verstehen, warum er feiern gehen wollte. Aber versprochen war versprochen und Matthew konnte seinen Ärger nur mit sehr viel Mühe herunterschlucken. 

 

Schließlich war heute sein einziger Tag in dieser Woche, wo er nicht bis zum Schluss in der Bar kellnern musste. Leider schlossen die Clubs hier nicht wie in seinem Dorf um zwei Uhr morgens sondern erst um sechs Uhr in der Früh. Bis der Laden aufgeräumt, das Geschirr gespült und die Kasse gezählt war, verging noch mindestens eine Stunde. 

 

Denn im Gegensatz zu seinem Freund ging Matthew nicht zur Universität. Er wusste schlicht und einfach nicht, was er später machen wollte und statt irgendetwas anzufangen, wollte er sich während seiner Studiensuche nützlich machen und Geld verdienen. 

 

Mit zwei Mal Bafög und Waisenrente kamen sie in hier in der Großstadt ohne zu hungern knapp über die Runden, aber in dem er arbeiten ging, konnten sich die Drei ab und zu mal auch einen kleinen Luxus gönnen. Wie ein Kinobesuch zum Beispiel. Oder Charlies Tanzverein. 

 

Er hoffte inständig, dass Felias nicht allzu spät nach Hause kam. Der Grund, warum er sich im Arbeitsplan für diesen Abend bzw. für nächsten Morgen hatte austragen lassen, war der Tanzwettbewerb der Prinzessin. Durch eine Aufführung, zu denen ihre alte Schule sie mitgeschleppt hatte, begann sie sich fürs Tanzen zu begeistern, was sie hier ernsthaft lernen wollte. Morgen war ihr erster Wettbewerb, der sie seit Wochen mit gleichermaßen Euphorie und Nervosität füllte. Natürlich durften da ihre wichtigsten Menschen nicht fehlen. 

 

„Mattie.“ 

 

Der Angesprochene richtete seinen Blick von der Pfanne auf die hübsche Gestalt im Türrahmen, die ihn verwirrt anschaute. 

 

„Warst du nicht mit Jenna verabredet?“ 

 

„Ja, aber die Pläne haben sich etwas geändert. Ich mach dir gerade etwas zu essen.“ 

 

Charlotte freute sich sichtlich als er ihr den fertigen Teller in die Hand drückte und es sich mit ihr auf seinem Bett gemütlich machte. 

Wie wohl in jeder Metropole war die Miete ziemlich hoch, so wohnten sie zu dritt in einer Zweizimmerwohnung. Der größere Raum, den sich Matthew und Felias teilten, diente auch als Wohnzimmer.

 

Charlotte schaute sich gerade auf seinem Laptop an, was ihre Abonnenten auf Youtube so neues veröffentlicht haben, als es an der Tür klingelte. 

 

„Erwartest du Jemanden?“, fragte sie ihn, worauf er den Kopf schüttelte. 

 

Er stand auf, um die Tür zu öffnen. Draußen stand eine junge Frau in seinem Alter, die bei seinem überraschten Anblick schelmisch grinste. 

 

„Überraschung!“ 

 

„Jenna, was machst du denn hier?“ 

 

Sie warf ihre orange-blonden Haare zurück und kam ungebeten herein. 

 

„Naja, ich dachte, wenn du nicht zum Film kommst, muss der Film halt zu dir kommen.“

 

Nachdem Matthew die Tür wieder geschlossen hatte, folgte er ihr in sein Zimmer, wo Charlie bereits Platz für ihren unerwarteten Besucher auf dem Bett machte. 

 

„Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass der neue James Bond Film schon im Internet zu finden ist.“ 

 

„Dann schauen wir uns halt etwas anderes an. Ich werde nur nicht so gerne in letzter Minute versetzt.“ 

 

„Wieso versetzt?“, piepte Charlotte dazwischen, doch der Neuankömmling winkte ab. 

 

„Nicht so wichtig. Was wolltest du gerade schauen?“ 

 

 

 

Keine zwei Stunden später zog sich die Jüngste der drei in ihr Zimmer zurück, da sie für ihren ersten großen Tanzwettbewerb ausgeschlafen sein wollte. 

 

Matthew stoppte den laufenden Film, den er und seine Freundin sich nur angeschaut hatten, weil Charlie ihn sich ausgesucht hatte. 

Er trug das Geschirr in die Küche, um mit dem Abwasch zu beginnen. 

 

„Du weißt schon, wenn du nicht gerade in einer Beziehung mit einem Kerl wärest, würde ich mir ernsthafte Sorgen um Charlie machen.“, gab Jenna kund, als sie sich zu ihm in die Küche gesellte. 

Sich einen trockenen Lappen schnappend stellte sie sich neben ihm. 

 

„Wieso?“, fragte Matthew verwirrt als er ihr einen nassen Teller gab. 

 

„Das ist doch offensichtlich“, meinte die junge Dame als sie anfing das Geschirr trocken zu rubbeln, „hast du sie dir mal angesehen? Mein Typ ist sie nicht, aber ich kenne so einige Kerle, die nur zu gern mit ihr ins Bett hopsen würden. Blonde Haare, blaue Augen- ich kann schon verstehen, warum ihr sie Prinzessin nennt.“ 

 

Irritiert drehte Matthew sein Kopf in ihre Richtung und richtete dann seine Aufmerksamkeit wieder auf das dreckige Geschirr. Ihm fiel schwer zu glauben, was er da hörte. 

 

„Sie ist meine kleine Schwester-“

 

„Ja, aber nicht deine leibliche.“, unterbrach Jenna ihn als sie die Teller in den richtigen Schrank einräumte. „Du musstest ihre Windeln nicht wechseln, deswegen ist sie nicht vollständig von deiner Liste der nicht date-baren Menschen verschwunden.“

 

Matthew verstand zwar ihre Argumentation, konnte aber trotzdem nur angewidert den Kopf schütteln. Auf diese Art und Weise Charlie zu lieben.. wäre undenkbar und einfach nur falsch von ihm. 

 

„Du musst gerade reden“, entgegnete er, „wohnst du nicht mit drei Kerlen zusammen?“

 

„Abgesehen davon, dass der eine schwul ist, bin ich 21. Ich habe mittlerweile genug Erfahrung und Selbstvertrauen, einem Kerl in die Eier zu treten, wenn er mir zu nahe kommt. Charlie dagegen würde es wahrscheinlich noch nicht mal merken, wenn sich deine Gefühle für sie ändern würden und du plötzlich Gute-Nacht-Küsschen auf anderen Stellen ihres Körpers hinterlassen willst.“

 

„Gibt es einen bestimmten Grund, warum wir gerade darüber reden?“, fragte Matthew lauter und in einem genervteren Tonfall als beabsichtigt. Er hatte ernsthaft genug gehört. Ihr das letzte Besteck reichend, verschwand er aus der Küche und setzte sich aufs Bett, auf dem sein Handy rausgefallen war. Ein Klick verriet ihm, dass es bereits kurz nach halb elf war. Felias hatte sich kein einziges Mal gemeldet.

 

Das Sinken seiner Matratze verriet ihm, dass auch sein Besucher sich gesetzt hatte. 

 

„Hey, ich wollte dich nicht aufregen. Ich wollte damit nur sagen, dass ich dich dafür bewundere, bei ihr noch nichts krummes versucht zu haben. Wenn ich du wäre, hätte ich schon längst dafür gesorgt, dass sie und Felias Betten tauschen.“ 

 

Jenna sagte dies in einem so sanften und beruhigenden Tonfall, dass man hätte denken können, es wäre eine aufrichtige Entschuldigung für ihr voriges Verhalten. 

Aber natürlich war dem nicht so.

 

Auf eine ganz andere Art und Weise als Charlotte war sie selbst eine wahre Augenweide. Mit ihrer schlanken Figur, den orange-blonden Haaren und den grünen Augen hatte sie nie Probleme damit gehabt, einen Kerl ins Bett zu kriegen, den sie wollte.

Durch ihre Vorlieben für Sport, Action-Filme und ihrem losen Mundwerk hatte sie mehr männliche Freunde als weibliche. Sie war „einer von den Jungs“, aber auch genau dies machte es für sie schwer, als „Beziehungsmaterial“ wahrgenommen zu werden. 

Seit dem ein paar Kerle zu viel mit ihr Schluss gemacht hatten mit der Begründung, dass sie ein „größerer Macho als sie selbst“ waren, war sie nur noch auf one-night-stands aus. 

Man selbst war weniger unter Druck, wenn man nur ein „guter Fick“ war statt die Liebe Jemandes Lebens. 

 

Im Gegensatz zu dem, was einige glaubten, wurden Matthew und sie nicht erst nach atemberaubenden Sex auf irgendeiner Party Freunde.

Sie lernten sich unter so langweilig normalen Umständen kennen, dass Jenna schon lieber die Sex-Geschichte erzählte, wenn Matthew keine Einwände dagegen hätte. 

Beide arbeiteten in der gleichen Bar Fat Cat und mussten sich so früher oder später kennenlernen. Auf dem gemeinsamen Heimweg lernte er, dass sie an der Uni International Business studierte. Sie wurde in einer anderen Großstadt geboren, wollte aber von ihrem vertrauten Umfeld wegkommen, weshalb sie in eine andere gezogen ist. Ihr war es wichtig unabhängig zu sein, weshalb sie lieber jeden Abend im Fat Cat schuftete statt sich Geld von ihren Eltern geben zu lassen. 

 

Matthew hatte so einige Bekannte durch Felias kennengelernt, aber sie war der einzige Mensch, die wirklich in erster Linie seine Freundin war und nicht die seines Freundes. 

Denn wenn man wirklich darüber nachdachte, würden alle seine bisherigen Bekanntschaften Felias’ Seite ergreifen, sollten sie ihre Beziehung beenden. 

 

So dankbar Matthew für seine Freundin auch ist, zurück im Hier und Jetzt versucht er mit mittelmäßigem Erfolg sie nicht zu erwürgen. Ihrer letzten Aussage würdigte er mit keiner Antwort, aber sie hatte sowieso keine erwartet. Sie kam ziemlich gut mit seiner schweigsamen Art zu Recht. 

 

„Spaß beiseite. Ich hab eigentlich nur nach einer guten Überleitung gesucht, um über Felias reden zu können.“

 

Hätten sie nicht vorher schon über mögliche sexuelle Lust auf Charlotte geredet, hätte er felsenfest  darauf beharrt, dass er dieses Gespräch noch weniger hören wollte. 

 

„Wie oft denn noch-“, fing er seinen erfolglosen Versuch an, die kommende Konversation im Keim zu ersticken, aber Jenna unterbrach ihn harsch: „So oft bis du mir endlich zuhörst!“

 

„Ich höre dir ja zu.“ 

 

„Aber du tust nichts dagegen.

 

„Ich habe mit Felias ja schon darüber geredet-“

 

„Und sieh, was das gebracht hat! Du sagst unsere Verabredung ab, weil er statt sich um seine heiße Schwester zu kümmern, lieber mit heißen Kerlen tanzen geht.“ 

 

Den unnötigen Kommentar über Charlotte ignorierte Matthew gekonnt. Automatisch nahm er Felias in Schutz, obwohl er im Stillen eigentlich auf ihre bzw. seiner eigenen Seite stand. Schließlich hatte er sich vor nicht allzu langer Zeit über das selbe aufgeregt. 

 

„Er hatte die Bestnote in einer wichtigen Präsentation und wollte das mit seiner Gruppe feiern-“

 

„Und wieso geht das nicht mit ein paar Bier bei sich zu Hause?“ 

 

Matthew seufzte, schloss die Augen und lehnte sich zurück. Er wusste, dass sie Recht hatte, aber das hieß noch lange nicht, dass er das hören wollte. 

Erneut bewegte sich die Matratze. Eine warme Hand legte sich beruhigend auf seinen Oberschenkel und als er das nächste Mal seine Augen wieder öffnete, sah er in Jennas tiefgrüne Augen. 

 

„Hey. Du weißt, ich mische mich nicht gerne in andere Beziehungen rein.“, fing sie dieses Mal ehrlich besorgt an, doch nun unterbrach Matthew sie. 

 

„Dafür machst du das in letzter Zeit ziemlich oft.“ 

 

Kurz unterbrach sich ihr Blickkontakt, weil Jenna leise kichern musste. Auch seine Mundwinkel hoben sich, doch das ernste Gespräch setzte sich ohne Umschweife fort: 

 

„Das liegt daran, dass ich langsam nicht mehr wegsehen kann. Du weißt, ich mag Felias nicht sonderlich gerne. Unabhängig davon, wie witzig er auch ist oder wie sehr du ihn liebst, die Fakten ändern sich nicht. Er treibt sich die ganzen Wochenenden und die meiste Zeit während der Woche irgendwo rum, während du arbeiten gehst und die übrige Zeit mit seiner Schwester Hausaufgaben machst. Du hast zwar mit ihm darüber geredet, aber trotzdem hatte er dich heute wieder sitzen gelassen für eine spontane Verabredung, obwohl du selbst etwas vorhattest.“ 

 

Sie ließ ihm eine Pause, um über ihre Worte nachzudenken, nicht ahnend dass er im Grunde eigentlich das selbe dachte. 

Wie sollte sie das auch wissen, wenn er seinen Freund immer und immer wieder in Schutz nahm? 

 

„Er war nicht immer so unzuverlässig…“, murmelte er leise. 

 

„Das glaube ich dir. Aber das Leben verändert Menschen. Vielleicht habt ihr vor zwei Jahren ehrlich geglaubt, dass ihr für immer und ewig zusammen bleiben werdet und vielleicht hattet ihr beide auch Recht- wenn ihr und euer Leben sich nicht so verändert hättet. Du kannst nicht dein Leben nach ihm und seiner Schwester richten. Du wirst nie wieder 20 sein.“

 

Das dachte sich Matthew in letzter Zeit oft. Nicht den Teil mit Felias, aber dies machte die ganze Sache nur noch schlimmer. Er wird nie wieder 20 Jahre alt sein. 

 

Als sie hier her gezogen waren, hatte es ihm nichts ausgemacht, dass er arbeiten gehen würde anstatt zu studieren. Was machte es schon aus ein oder zwei Jahre zu warten? 

Aber sie waren mittlerweile fast vier Monate hier und er war mit seiner Studienwahl genauso weit wie vorher. Auf seiner Arbeit sah er einige Menschen mitte 40, die genau die gleiche Arbeit verrichteten wie er. Er hatte nichts gegen die Arbeit in der Bar, natürlich war es stressig, manchmal eklig und es gab sicher elegantere Jobs, aber die Frühschichten waren gut bezahlt und das Trinkgeld stieg mit dem Alkoholkonsum der Gäste. Aber trotzdem wollte er nicht für immer dort arbeiten, nicht bis er 30 Jahre alt war und schon gar nicht, wenn er 40 war. 

 

Aber genau diese Zukunft sah er für sich kommen. Diese Zukunft, in der er sich immer wieder sagte, dass ein paar Jahre Aufschub kein Unterschied machten bis es dann Jahrzehnte wurden. 

 

Dies war seine aktuelle Horrorvorstellung für die nächsten Jahre, aber trotzdem hatte er sich mit Felias und Charlie darin gesehen. Jetzt, nach dem Jenna ihre Sorgen über sein Liebesleben mit ihm geteilt hatte, stellte er fest, dass er sich noch nicht mal das schlimmste vorgestellt hatte. 

 

Arbeiten bis zum Erbrechen, um anschließend zu einer leeren Wohnung zurückzukehren, weil Felias auf seinen vielen Bartouren Jemand lustigeres kennengelernt hatte mit dem er fortan sein Leben verbringen würde. Er würde ihn in dieser Schuhkarton-Wohnung zurücklassen und dabei Charlie mitnehmen. Währenddessen wird Jenna irgendwo in der nächsten Großstadt erfolgreich sein und er wird zu einer schönen Erinnerung, an die sie denkt, wenn sie über ihre Zeit an der Uni erzählt. 

 

„Ich hab’s verstanden. Können wir nun das Thema wechseln?“ 

 

Jenna sah so aus als hätte sie noch etwas hinzuzufügen, aber irgendetwas musste sie gesehen haben, dass sie dazu brachte stumm zu nicken. 

Sie ließ Musik auf seinem Laptop im Hintergrund laufen bevor sie sich wieder neben ihm zurücklehnte. 

 

Abgesehen davon verbrachten sie die nächste Stunde in völliger Ruhe. Als würde sie wissen, was in seinem Kopf abging, schien sie ihn mit seinen Dämonen nicht allein lassen zu wollen. 

Aufgrund ihrer regelmäßigen Atmung wunderte sich Matthew irgendwann, ob sie nicht eingeschlafen war, aber wenig später richtete sie sich auf. 

 

„Ich sollte mich mal langsam auf den Heimweg machen.“, sprach sie leise. 

 

Er stand auf, um sie zur Tür zu begleiten. 

 

„War klasse mit dir Zeit zu verbringen, auch wenn ich es mir etwas anders vorgestellt hatte.“ 

 

Das erinnerte ihn doch glatt wieder daran, warum sie an erster Stelle überhaupt hier waren. 

 

„Ist schon gut, wir können den Bond-Film später nachholen.“, beschwichtigte Jenna ihn. „Ich bin dir da nicht böse. Tu mir nur ein Gefallen, ja?“ 

 

Matthew nickte. Das war wohl das Mindeste, was er jetzt noch für sie machen konnte. 

 

„Denk über das nach, was ich dir vorhin gesagt habe. Schluss zu machen ist niemals einfach, vor allem dann nicht, wenn man sich schon vorgestellt hat, mit dem Anderen alt zu werden. Aber wie gesagt. Ihr verändert euch. Keiner kann etwas daran ändern und es ist Niemands Schuld. Aber deswegen solltet ihr ernsthaft überlegen die Sache zu beenden bevor ihr irgendwann das Gefühl bekommt, etwas zu versäumen. Ich will echt nicht die böse Hexe sein, die versucht, deine Beziehung zu zerstören, aber tu mir den Gefallen. Denk darüber nach.“ 

 

Matthew nickte stumm und ließ sich von Jenna noch einen Kuss auf die Wange drücken bevor sie sich auf den Weg machte und im Fahrstuhl verschwand. 

 

Schluss machen. Mit Felias. Egal wie schlimm es in letzter Zeit geworden war, auf diesen Gedanken war er nie gekommen. Jetzt hatte er das Gefühl, dass es nie so schlimm werden könnte. 

 

Sein Blick fiel auf das eingerahmte Foto von ihm, Felias und Charlotte, welches an der weißen Wand hing. Zuerst stand es auf dem Tisch, aber nach dem sie es beim Essen, beim Film anschauen, beim Lernen, bei Dinge abstellen, bei allem, was sie auf dem Tisch machten, immer wieder  umschmissen, hing es nun an der Wand. 

 

Er starrte auf ihre lachenden Gesichter und fühlte sich wie ein gänzlich anderer Mensch. Als wäre er ein Besucher, der sich dieses Foto anschauen würde und nicht wie Jemand, der selbst darauf abgebildet war. 

 

Er dachte an Jennas Worte. Hätten er und Felias ihre Beziehung nach dem Abitur beendet, würde er ein vollkommen anderes Leben führen. Zwar wüsste er selbst dann noch immer nicht sein Berufswunsch, aber er wäre definitiv in einer anderen Stadt. Vielleicht wäre er niemals weggezogen. Aber er hätte Felias in guten Erinnerung behalten. Wann immer er an ihn dachte, würde er lächelnd das Gesicht seines ersten Freundes sehen, mit dem er nur Schluss gemacht hatte, damit keiner von den Beiden von der Beziehung zurückgehalten worden wäre. Damit sie neue Dinge hätten ausprobieren können, neue Beziehungen aufbauen, eine neue Liebe finden. 

 

Wenn er jetzt mit ihm Schluss machen würde, würde er wahrscheinlich für immer an den Frust denken, den er bis jetzt hatte. An all die negativen Gefühle und Gedanken, die bis zu diesem Punkt geführt haben. 

 

Er wollte das nicht. Denn trotz all dem war Felias die wichtigste Person in seinem Leben. Wenn er später an ihn dachte, wollte er sich an all die langen Abenden im Kinderheim erinnern, wo sie mit Charlie unter eine Decke sich bis zum Morgengrauen Geschichten erzählt haben, dass ihm der Bauch vom Kichern wehtat. 

 

Er konnte die Zeit nicht zurückdrehen. Entweder würde er später mit Frust auf diese Beziehung zurückblicken oder mit ihm zusammen sein. Er hatte keine Erfahrung mit solchen Dingen, aber anscheinend gab es nur diese zwei Optionen. 

 

Schnell schlüpfte er in seinen Piyama bevor er sich ins Bett legte. Sein altes Nokia Handy verriet ihm, dass es fast ein Uhr morgens war und noch immer war kein Felias in Sicht. 

 

Er seufzte. Es half alles nichts. Wenigstens einer von ihnen sollte morgen bei Charlies Tanzwettbewerb wach sein, um sie anzufeuern, wie sie es verdiente. 

 

Bevor er das Licht ausschaltete, fiel sein Blick noch mal auf das Bild von ihm und dem Geschwisterpärchen. 

 

Wie lange wird es dort noch hängen bevor der Anblick zu schmerzhaft wird? 

Wie lange noch bis sich ihre Wege trennen?

III. Don't speak - No Doubt

III. I feel like I am losing my best friend 

 

Felias dröhnte der Kopf. Es war bei weitem nicht der schlimmste Kater, den er jemals hatte, aber weder gewöhnte man sich dran noch freute man sich über den Besuch des kleinen Männlein, der in seinem Hinterkopf saß und mit einem Hammer im gleichmäßigen Rhythmus gegen seine Schädelwand schlug. 

 

Unter seiner Decke wurde es nach der 50. Drehung zu warm, so entschloss er sich in einem Moment des wahren Mutes aufzustehen.

 

Er blinzelte ein paar Mal gegen das grelle Sonnenlicht. Ein Blick auf sein Handy verriet ihm, dass es fast zwölf Uhr war. 

 

Sein Magen knurrte. Mit langsamen, teilweise noch immer taumelnden Schritten ging er zum Kühlschrank. 

Ein kleines Lächeln stahl sich auf seine Lippen als er Waffeln mit seinem Namen darin entdeckte. Matthew innerlich dankend nahm er sich den Teller aus dem Kühlschrank. Dabei bemerkte er das Kleingeschriebene auf dem Klebezettel: 

 

Bin mit Charlie bei ihrem Tanzwettbewerb. Um eins ist die Siegerehrung falls du bis dahin wach sein solltest. M

 

Scheiße. Fuck, alter, nein, dachte sich Felias. Den Wettbewerb seiner kleinen Schwester hatte er total vergessen. Dabei hatte er extra den Wecker gestellt, aber so wie er sich kannte, hatte er den Alarm wahrscheinlich unbewusst ausgeschaltet. Wieso hatte Matthew ihn verdammt noch mal nicht geweckt?! 

 

Vergessen waren die Waffeln; in einer unmenschlichen Geschwindigkeit raste er ins Badezimmer und musste sich zwei Sekunden am Waschbeckenrand abstützen, als sich seine Welt plötzlich drehte. Nach dem er seine Zähne geputzt hatte, lief er nun weniger schnell zurück in sein Wohnzimmer, wo er sich leicht panisch fragte, wann er zum letzten Mal Wäsche gewaschen hatte. Ein Blick in seinen Kleiderschrank erleichterte ihn unermesslich: Matthew, sein Engel, hatte anscheinend Klamotten gewaschen und ordentlich zusammengelegt. 

 

Er nahm sich Shirt und Hose, die oben auf dem Stapel lagen, um sich innerhalb von fünf Sekunden umzuziehen. 

Handy in der einen Hosentasche, Portemonnaie in der Anderen, suchte er kurz nach seinem Hausschlüssel bevor er sich auf dem Weg machte. 

 

Er joggte zur nächsten Metrostation, wo er keine vier Minuten später in die erbrechend volle U-Bahn stieg, die randvoll mit irgendwelchen Teenies gefüllt war, die auf dem Weg ins nächste Einkaufszentrum zu sein schienen. 

 

12 Uhr 30 kam er nun auch am Ort des Geschehens an, aber keiner stand mehr auf der Bühne. Überall standen stolze Eltern, die mit ihren ach so talentierten Kinder prahlten, die wiederum Steh-Geh spielten oder sich über die neuesten Trends austauschten. In der Masse konnte er weder seinen Freund noch seine Prinzessin finden. Ohne jegliche Lust auf weitere Sucherei rief er Matthew kurzerhand an. 

 

Geh ran, geh ran, geh ran, betete Felias im Stillen als das Tuten sich hinzog. Sein Beten sollte nicht erfolglos verlaufen als sich der andere Gesprächsteilnehmer endlich zu Wort meldete. 

 

„Hallo?“ 

 

Endlich nimmst du ab! Ich bin da, wo seid ihr?“ 

 

„Moment.“ Er redete mit Jemand. „Siehst du die Laterne mit den Luftballons?“ 

 

Felias schaute sich um. Rechts von der Bühne erblickte er den genannten Gegenstand. 

 

„Japp.“ 

 

„Lass uns dort treffen.“ 

 

Mit einem „Bis gleich“ legten sie auf. Felias kämpfte sich durch die Menschenmasse zur besagten Laterne durch. Er musste dort nicht lange warten bis er auch seine Mitbewohner sah. 

 

Charlie umarmte ihn lachend. Anscheinend war sie ihm gar nicht böse, dass er ihren ersten großen Auftritt verpasst hatte. Innerlich seufzte er erleichtert auf. Auf Stress mit ihr hatte er gerade definitiv keine Lust. 

 

„Na, Prinzessin, wie war es?“ 

 

Unglaublich!“

 

Innerhalb von drei Minuten schaffte die 16-Jährige das drei-stündige Spektakel zusammenzufassen, wobei natürlich ihr Auftritt zweieinhalb Minuten der Erzählung einnahm. 

Felias lachte, sichtlich von ihrer Welle der Euphorie angesteckt. 

 

„Das ist großartig!“

 

„Ja, aber ich muss wieder zu den Anderen. Gleich fängt ja die Siegerehrung an und da dürfen wir alle noch mal zusammen auf die Bühne. Das ist so cool.“

 

Nach dem Charlie wieder zwischen den Menschen verschwand, trat Felias einen Schritt auf seinen Freund zu, um ihm einen kleinen Kuss auf die Wange zu drücken. 

 

„Hey.“, sagte er, „also wie war es wirklich? Jetzt mal aus der Sicht eines neutralen Zuschauers und nicht von Jemand, in dessen Hirn zu viele Glückshormone als gesund ausgeschüttet wurde.“ 

 

„Sei doch froh, dass sie so glücklich ist.“, entgegnete ihm Matthew ohne ein Lächeln, „heute morgen war sie noch ziemlich geknickt, dass ihr großer Bruder lieber schlafen wollte, als hierher mitzukommen.“ 

 

Peinlich berührt tippte sich Felias am Kinn. 

 

„Hehe. Hoppla. Ich bin erst vier Uhr morgens nach Hause gekommen. Warum hast du mich nicht geweckt?“ 

 

Mit hochgezogenen Augenbrauen antwortete der Gefragte: „Haben wir versucht. Aber du hast nur unverständliches Zeug gemurmelt und weiter geschlafen. Sogar dein Handy hat es nicht geschafft, dich munter zu bekommen. Außerdem mussten wir langsam los. Die Teilnehmer mussten ja etwas eher da sein.“ 

 

„Sag mal, was bist du so zickig?“ 

 

Auf diese Frage sollte er nie eine Antwort bekommen, da im nächsten Moment der Moderator wieder auf der Bühne stand, um das Programm fortzuführen. 

Die einzelnen Teams wurden auf die Bühne gebeten. Felias hatte nur Augen für Charlie, die wiederum ihn strahlend von der Bühne aus ansah. 

 

Leider schaffte ihr Verein es nicht auf das Siegertreppchen, doch im Gegensatz zu Einigen aus den verlorenen Teams tat dies Charlies Freude keinen Bruch. 

Mit der gleichen Energie, mit der sie auf die Bühne gestiegen war, ging sie auch wieder runter.

 

Auf die Frage ihres großen Bruders antwortete sie, dass allein die Erfahrung heute ein großartiges Ereignis war, das sie dazu trieb, von nun an sich noch mehr Mühe mit dem Tanzen zu geben, damit sie bald wieder auf der Bühne stehen konnte. 

 

Sie redete noch ein wenig mit ihren Teamkameraden bis sie sich wenig später von ihnen verabschiedete. Das Rumgemaule von Matthew war für Felias längst vergessen, der sich in einer Konversation mit einer Cousine von einem Teammitglied Charlies befand, als diese ihn daraus riss: 

 

„Lass uns nach Hause gehen. Ich würde sterben für eine Dusche.“ 

 

„Klar.“ Er verabschiedete sich von der jungen Dame, die sich nun einen neuen Gesprächspartner suchte. „Hey Mattie, Charlie will nach Hause.“ 

 

Der Gerufene warf einen Blick auf sein Handy und entschied dann: „Okay. Bis später dann, ich geh jetzt zur Arbeit.“ 

 

„Schon wieder?“, entfuhr es Felias enttäuscht. 

 

Matthew nickte dazu nur. Er schlug mit ihnen den selben Weg ein, da er sie zur nächsten Metrostation begleiten wollte. 

 

„Na gut.“, sagte Felias nach kurzem Überlegen, „dann frage ich mal Alissa, ob sie nicht vorbei kommen will.“ 

 

Plötzlich drehte sich Matthew ruckartig nach ihm rum. Erschrocken blieb auch Felias stehen und wollte schon fragen, was denn los sei, als es ihm die Sprache bei dem wütenden Anblick seines Freundes verschlug. 

 

Sein Partner war kein temperamentvoller Mensch. Selbst wenn er bis zum Platzen mit irgendwelchen Emotionen gefüllt war, blieb er ruhig, so dass er von vielen oft als „emotionslos“ eingestuft wurde. Wenn diese Menschen ihn jetzt so sehen könnten… 

 

„Ist das dein Ernst?!“, fuhr er ihn an, worauf er ihm verwirrt antwortete: „Was ist mein Ernst?“ 

 

„Dass du jetzt, nach dem du den ganzen Abend mit Alissa unterwegs warst statt bei Charlie zu sein und dann auch noch ihren ersten Auftritt verschläfst, an nichts anderes denkst, als dich schon wieder mit ihr zu treffen? Wie wäre es, wenn du mal Zeit mit deiner Schwester verbringst?“ 

 

„Mattie..“, versuchte diese den kommenden Streit noch abzuwenden, aber da war das Temperament ihres Bruders schneller: „Sag mal, was ist dein Problem?! Ich verbringe doch Zeit mit ihr! Wir gehen jetzt nach Hause und machen irgendetwas zusammen, was ist falsch daran, wenn Alissa uns Gesellschaft leistet?!“ 

 

„Sie sieht dich in letzter Zeit ja wohl öfter als Charlie dich sieht! Was ist falsch daran, mal Zeit für euch allein zu haben?“ 

 

„Haha“, lachte Felias sarkastisch auf, „da fällt mir noch Jemand ganz anderes ein. Deine Arbeitskollegen sieht dich öfter, als ich dich sehe! Wann haben wir denn das letzte Mal Zeit für uns gehabt?!“

 

„Versuch nicht, den Spieß umzudrehen“, knurrte Matthew sauer. Ein paar Passanten drehten sich nach ihnen um, doch keiner der beiden Streithähne schenkte ihnen Beachtung. „Vielleicht würdest du mich öfter sehen, wenn du nicht ständig irgendwohin verschwinden würdest!“

 

„Worum geht es hier eigentlich: dass ist nicht genügend Zeit für Charlie finde oder dass ich nicht oft genug zu Hause bin, um mit euch „Mama und Papa“ zu spielen? Wir sind fast 20, verdammt! Es tut mir Leid, wenn ich wie Jeder Andere in unserem Alter mal öfters unterwegs bin!“ 

 

„Darum geht es doch nicht!“ Matthew wollte das Gespräch anscheinend fortsetzen, doch als er sich die Haare strich, fiel sein Blick auf die große Uhr, die an an dem Uhrengeschäft nahe der Metro hing. „Ich habe keine Zeit für den Scheiß. Ich muss zur Arbeit.“

 

Er drehte sich zum Gehen um, doch anscheinend schien er sich in letzter Sekunde erinnert zu haben, dass er sich noch nicht verabschiedet hatte, weshalb er sich noch einmal dem Geschwisterpaar zuwendete: 

 

„Charlie, wir sehen uns heute mitternachts wieder, falls du da noch wach sein solltest. Felias, wir sehen uns wohl erst gegen sechs Uhr morgens wieder, falls du da nüchtern genug sein solltest, mich zu erkennen.“ 

 

Auf die Anspielung, dass er heute Nacht wieder feiern gehen würde, feuerte er zurück: 

 

„Das wird wohl nicht der Fall sein, wenn dir bis dahin Brüste und Vagina gewachsen sind, weil du ganz offensichtlich deine Tage hast!“ 

 

Dem, der diese Beleidigung galt, drehte sich nicht um noch zeigte er jegliche Reaktion, so dass Felias sich nicht sicher war, ob sie überhaupt gehört wurde. Er atmete schnell bis er eine warme Hand am Rücken spürte. Verwirrt schaute er neben sich, wo Charlie mit ihren großen blauen Augen zu ihm aufstarrte. 

 

Jetzt fiel es ihm wieder ein: Sie wollten eigentlich nach Hause gehen. Er zwang sich ein Lächeln auf seinen Lippen, um ihr verstehen zu geben, dass alles gut war. Er war nicht sauer auf sie, er würde es an ihr nicht auslassen. 

 

„Lass uns nach Hause gehen.“

 

Charlie nickte. Als sie unten an den Gleisen standen, murmelte sie: „Ich hab nebenbei nichts dagegen, wenn Alissa zu uns kommt.“ 

 

Felias versuchte nicht genervt auszuatmen. Er war nicht genervt von seiner Schwester. Nur von diesem Thema, das Matthew wieder ausgegraben hatte. 

 

„Das freut mich, zu hören.“ 

 

 

 

„Das hat er nicht ernsthaft gesagt?!“, entfuhr es Alissa ungläubig als Felias erzählte, was vorher am Tag passiert war. 

 

Nicht so laut!“, hisste er, worauf sie nur die Augen rollte. „Charlie duscht gerade. Sie wird es schon nicht hören.“ 

 

„Trotzdem.“, meinte der Student, „Ich will nicht, dass sie hört, wie wir schlecht über ihn reden.“ 

 

Alissa kannte Matthew und Charlie genauso lange wie sie Felias kannte, aber trotzdem hatte sie zu denen nie so eine tiefe Bindung wie zu ihm, was wahrscheinlich zu einem daran lag, dass sie ihren besten Freund einfach öfter sah und zu anderem, schien keiner der drei so erpicht auf eine tiefe Freundschaft zwischen ihnen zu sein. Sie fand Charlie ganz süß, aber im Gegensatz zu Matthew würde sie nie so weit gehen und sich selbst als große Schwester bezeichnen, obwohl die Jüngere sich schon des öfteren Rat in Bezug auf Mädchenkram bei ihr holte. 

 

Dagegen war ihre Beziehung zum Ältesten der Truppe genauso kühl wie im ersten Monat. Sie würde nicht so weit gehen und sagen so wie am ersten Tag, aber ihr war es lieber, wenn er nicht bei ihren Verabredungen dabei war. Sie war sich fast sicher, dass dieses Gefühl auf Gegenseitigkeit beruhte. 

 

Sie seufzte auf. „Ganz ehrlich, Felias. Ich weiß ihr seid mittlerweile seit zwei Jahren zusammen, aber hast du nicht das Gefühl, dass du was verpasst? Ich meine, Matthew ist dein erster Freund. Im Club sabbern dir ständig irgendwelche Kerle hinterher, ich würde sagen, dass du mal mit einen von denen nach Hause gehen solltest.“ 

 

Felias hatte das dringende Bedürfnis auf Durchzug zu stellen. Er wusste, dass Alissa den Abbruch seiner Beziehung unterstützte, weniger deswegen, weil sie Matthew nicht mochte, sondern eher deswegen, damit er nichts verpasste. Viele Paare auf ihrem Gymnasium haben Schluss gemacht, weil sie getrennte Wege gingen und nicht durch so etwas zurückgehalten werden wollten. Sogar Paare, von denen man glaubte, sie würden ewig halten, haben sich getrennt, darunter auch Alissa. 

 

Er erinnerte sich an all die vielen Gespräche, die sie diesbezüglich geführt haben und an all die Tränen, die sie vergossen hatte, als ihre Entscheidung feststand. Der Umzug war für sie bittersüß gewesen. Als sie ihre Kisten packte, ließ sie genauso viel Lieblingsstücke zurück wie sie mitnahm, weil an zu vielen Dingen Erinnerungen an die zwei Jahre mit ihrem nun Ex-Freund klebte, an die sie nicht mehr denken wollte. 

 

All dies schien aber so weit entfernt, wenn sie im Hier und Jetzt drei Monate später von einer Bar in die nächste tanzte. Genau wie er selbst wusste sie, dass die gut aussah, weshalb sie immer voller Selbstbewusstsein strotzten, sobald sie sich auf der Tanzfläche befanden. Beide flirteten gerne, doch im Gegensatz zu ihm hatte sie keinen, der zu Hause auf sie wartete. Sie musste sich nicht zusammenreißen, um keinen die Kleider vom Leib zu reißen, weil sie es durfte. Sie durfte mit jedem rummachen und jeden, den sie wollte, mit nach Hause nehmen. Auf seine Frage hin, ob sie es bereute mit ihrem sogenannten „Highschool sweetheart“ Schluss gemacht zu haben, antwortete sie nur lachend „natürlich nicht!“. Ihrer Aussage nach hatte sie kaum Kontakt mehr zu ihm abgesehen von einem „Gefällt mir“ und einem gelegentlichen Kommentar unter Facebook Statuseinträge. 

 

Aber der Gedanke mit Matthew Schluss zu machen, bereitete Felias ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Natürlich hatte er sich bei ihren nächtlichen Abenteuern öfters gedacht, wie es wäre, wenn er es bei dem einen oder anderen Kerl nicht nur bei einem Tanz belassen würde oder wenn Alissa Jemanden mitnahm, war er schon etwas neidisch, dass er es ihr nicht gleichtun konnte. 

 

Aber trotzdem waren dies nur die Gedanken eines geilen Mannes, in dessen Adern die Beats der Musik und der Alkohol gleichermaßen vibrierten. 

Am Anfang war Matthew sogar ab und zu mitgekommen. Auch wenn es vielleicht nicht sein Ding war, hatte er sichtlich Spaß gehabt. In letzter Zeit jedoch ging er immer öfters nachts arbeiten, weil es in diesen Stunden einen Zuschlag gab. 

 

Alissa schien irgendwie zu ahnen, dass er nicht über dieses Thema reden wollte. Nach einem leisen Seufzen fragte sie: „Die Geburtstagsparty bei Henry steht heute Abend noch, oder? Ich meine, trotz dem, was Matthew gesagt hat, oder?“ 

 

Nach dem, was sein Freund diesen Nachmittag von sich gegeben hat, verspürte Felias das Bedürfnis dem entgegenzusetzen. Er wollte nur zu Hause bleiben, um ihm zu beweisen, dass er sehr wohl einen Abend in der Wohnung mit Charlie hocken kann, aber heute fand nicht irgendeine Party statt, sondern Henrys.

 

Seit Wochen war das das Gesprächsthema Nummer eins. Da Henry 21 Jahre alt wurde, wollte er seine weltweite Volljährigkeit gebührend feiern, in dem er sich einen Club gemietet hatte und den derzeit angesagtesten DJ der Stadt. Jeder, der auf seiner Gästeliste stand, freute sich schon seit Wochen darauf. 

Felias und Alissa haben beide lange überlegt, was sie ihm zum Geburtstag schenken und was sie selbst anziehen sollten. Sie waren nicht eng befreundet, aber trotzdem musste das Präsent so etwas aussagen wie: Ich habe lange überlegt, was ich dir schenken soll bis ich dieses sowohl tiefgründige als auch spaßige Etwas gefunden habe, das deine Persönlichkeit widerspiegelt.

 

Henry war eigentlich vier Semester über ihnen, aber durch ihre vielen Clubgänge haben sie sich besser kennengelernt und einige Abenden zusammen in der Club Lounge verbracht. In den Ami-Filmen wäre Henry wohl der „Anführer der coolen Kids“, während Felias und Alissa die „Neuen“ waren, die einen kometenhaften Anstieg auf der Rangliste der populärsten Studenten erfahren haben, die nun eingeladen worden sind, um am Tisch der „Coolen“ zu sitzen. 

 

Wahrscheinlich sollten die Beiden wirklich weniger amerikanische Highschool-Serien schauen. 

 

Nach kurzem Bedenken antwortete Felias: „Ach, weißt du was? Scheiß drauf, was er gesagt hat. Wir sind nur einmal 20, wir können uns das nicht entgehen lassen!“ 

 

Alissa klatschte grinsend in die Hände und umarmte ihn. 

 

 

Als Matthew wie abgemacht Mitternacht in ihre Wohnung zurückkehrte, brannte nur noch Licht in Charlies Zimmer. 

 

Bitte sag mir nicht, dass Felias ernsthaft weggegangen ist. 

 

Nach dem er seine Tasche abgestellt hatte, ging er in den beleuchteten Raum und fand Charlotte alleine an seinem Laptop vor. 

 

„Hey…“, begrüßte er sie. Er trat näher an sie heran. „Was schaust du dir an?“ 

 

„Tanzvideos. Die Choreos von der Sofia sind echt klasse.“

 

Er lächelte müde. „Cool. Wo ist dein Bruder geblieben?“ 

 

„Er ist vor zwei Stunden mit Alissa zu irgendeiner Geburtstagsfeier aufgebrochen.“, antwortete sie, ihre Augen nicht vom Bildschirm abwendend.

 

Frustriert stellte sich Matthew in die Dusche, um sowohl Schweiß als auch Stress mit dem Wasser in die Kanalisation abfließen zu lassen. Ist er also doch wieder feiern gegangen. Wäre der Streit heute Nachmittag nicht gewesen, würde es ihn gar nicht überraschen, aber er dachte, dass sein Sturkopf ihm vom Gegenteil beweisen wollte.

 

Als er aus dem Badezimmer trat, hatte Charlotte sich auf seinem Bett verlagert. 
 

„Was machst du morgen?“, fragte sie ihn, als er sich neben ihr ins Weiche fallen ließ. 
 

„Mein erster freier Tag seit zwei Wochen. Keine Ahnung, ehrlich gesagt.“ Er lächelte müde. 

 

„Jamie und ich wollen morgen ins Kino gehen, um uns den vierten Teil von The Hunger Games anzuschauen.“, informierte sie ihn. „Bock auf einen The Hunger Games Marathon?“ 

 

„Jetzt noch?“, fragte er während er die Zeit auf seinem Nokia Handy las. Drei Viertel eins. 

 

Die Gefragte grinste. „Wir haben doch Beide morgen frei.“ 

 

 

Sie waren bei der Hälfte des dritten Filmes als sie hörten, wie ein Schlüssel im Schloss gedreht wurde. Die Anzeige auf seinem Laptop sagte denen, dass es bereits halb fünf war. Spät für solche, die den Abend zu Hause verbrachten, aber eine angemessene Zeit von einer Party heimzukehren. 

 

Wie nicht anders zu erwarten, stolperte Felias lachend herein, immer noch mehr als angeheitert von der Partystimmung und dem Alkohol. Was Matthew mehr überraschte war, dass er Alissa im Schlepptau mitbrachte. 

 

Wenn Charlie bei einen ihrer Freunden schlief, kam sie manchmal nach einer Feier zu ihnen. Matthew verbrachte die Nacht dann in Charlottes Zimmer. Wenn dies nicht der Fall war, ging Felias zu ihr ins Studentenwohnheim oder sie gingen getrennte Wege, aber heute war es das erste Mal, dass er sie mitbrachte, während seine kleine Schwester da war. 

 

„Na Matthew, altes Haus, immer noch wach?!“, lallte er während er seine Jacke ungeschickt auszog. Alissa lachte hinter ihm in einer sehr hohen und gleichermaßen unangenehmen Tonlage. 

 

Der Angesprochene seufzte genervt. „Ich glaube aus unserem Film wird nichts mehr.“, murmelte er leise zu Charlie, doch trotzdem hörte die junge Studentin es. 

 

„Hahaha, wir stören Daddy und Kindchen beim Film schauen! Felias, sei leise, gleich passiert was ganz, ganz, ganz spannendes.“

 

„Ich habe Alissa noch nie betrunken gesehen.“, sagte „Kindchen“ leise und schaute zu den Neuankömmlingen. Die Situation wurde für sie von Minute zu Minute unangenehmer. 

 

„Das hatte wahrscheinlich einen Grund.“, antwortete er. Felias ließ sich so nah neben seinem Freund aufs Bett fallen, dass er beinahe zur Hälfte auf ihm saß. Bei der Berührung ihrer Oberschenkel fiel Matthew auf, dass dies wahrscheinlich ihr intimster Moment seit Wochen war. Das sagte so einiges über den Status ihrer Beziehung aus. Alissa hatte es sich währenddessen vor ihren Füßen auf dem Teppich gemütlich gemacht. 

 

„Jetzt spiel doch nicht immer den Miesepeter..“, babbelte er immer weiter als er sich mit seinem ganzen Körper gegen Matthew lehnte. „Und gib mir erst mal ein Küsschen!“ Ungeschickt versuchte er mit übertriebenem Kussmund seinem Partner anscheinend wahllos ein Kuss ins Gesicht zu drücken, als dieser von der starken Alkoholfahne angewidert zurückwich. 

 

Felias verfehlte ihn. Alissa lachte sogleich auf.

 

„Aaaah, Felias, wenn du knutschen willst, hättest du irgendeinen von den Kerlen vorhin nehmen sollen! Die hätten das sicher ganz, ganz toll gefunden!“ 

 

„Es tut mir Leid, wenn ich nicht auf Mundgeruch stehe.“, zischte Matthew mittlerweile leicht wütend zurück. Während Felias einen zweiten Versuch startete, lallte seine Freundin unbekümmert weiter: 

 

„Dein Kerl ist so steif, man und das nicht im positiven Sinne! Ich würde sagen, du bläst ihm jetzt einen, damit er mal runterkommt oder bringst ihm das nächste Mal auch einen Kerl mit! Genügend Auswahl hast du ja!“ 

 

Die Worte von ihr schockierten Matthew nicht. Er wusste mittlerweile, dass man Angetrunkene nicht zu ernst nehmen durfte, aber was ihn wirklich schockierte, war, dass Felias ernsthaft vor ihm auf die Knie ging und sich an seiner Hose zu schaffen machte. 

 

Egal, wie angetrunken er war, niemals hätte er so etwas von ihm erwartet, während noch andere Leute im Raum waren, darunter vor allem seine kleine Schwester. 

 

Ruckartig stand er auf und schlug aus Versehen sein Knie gegen die Stirn seines Freundes. Ohne es wirklich zu merken, schritt er in Richtung Tür, während er sich von Alissa noch mehr obszöne Einwürfe anhörte ohne sie wirklich zu verstehen. 

 

Er atmete tief ein und aus, sich immer fragend, ob diese Situation gerade wirklich passiert war. Sie schien viel zu surreal, um wirklich passiert zu sein und oh sein Gott, wollte Felias ihm vor seiner kleinen Schwester wirklich einen blasen?! 

 

Alissa war zwar auch im Raum, aber nach dem heutigen Abend beziehungsweise Morgen war sie für ihn das kleinste Problem. So wie sie sich gerade verhielten, würde es ihn gar nicht wundern, wenn die Beiden zu irgendwelchen Sexparties gingen oder wenn Felias bei seinen Übernachtungen nicht einen Dreier mit ihr hatte. 

 

Während er sich das betrunkene Gesäusel hinter sich weiter anhörte, wurde ihm langsam klar, dass er hier nicht bleiben konnte. Die Wände waren dünn, sie waren laut und sahen nicht aus, als würden sie innerhalb der nächsten dreißig Minuten schlafen gehen. 

Er hatte absolut keine Lust auf eine Wiederholung. Kurz sah er an sich runter. Er hatte bereits geduscht, er hatte seinen Piyama an und konnte sich unmöglich jetzt umziehen- 

 

„Komm schon, Matthew! Felias ist bestimmt schon aus der Übung, aber ich wette, für einen zufrieden stellenden Orgasmus, der dir deinen Stock aus dem Arsch-“

 

Scheiß drauf, dachte er sich und zog sich seinen Mantel über. Glücklicherweise befanden sich Schlüssel und Portemonnaie immer in seiner Jackentasche, so dass er problemlos abhauen konnte. 

Als er sich seine Schuhe anzog, spürte er eine Hand auf seiner Schulter. 

 

„Warte.“, forderte Charlotte ihn auf. Ihr wollte er gerade gar nicht in die Augen schauen. „Ich will mitkommen.“

 

„Warum?“, fragte er verwirrt, worauf sie antwortete: „Keine Lust, hier zu bleiben. Selbst wenn ich mich jetzt in meinem Zimmer einschließe, die Beiden sind da nicht zu überhören. Außerdem weißt du ja, dass Felias vor dir nur Mädels gedatet hat. Die waren alle so wie Alissa. Ich musste schon mal zuhören, wie er es mit denen getrieben hat und ich werde kein Risiko auf eine Wiederholung eingehen.“ 

 

Ein kleines Lächeln stahl sich auf die Lippen des Älteren. Anscheinend wurde sie doch nicht so traumatisiert. 

 

„Na dann, zieh deine Schuhe an.“ 

 

 

Keine zwei Minuten später befanden sie sich auf der Straße. Der Wind heulte um die Häuser und es war noch immer stockdunkel. 

 

„Wie aufregend! Wir alleine im Dunkeln auf der Flucht….“, grinste Charlie. 

 

„.. vor deinem Bruder und seiner besten Freundin. Super.“, vollendete Matthew den Satz für sie. 

 

Ein besonders starker Wind wehte um die Ecke und Charlie zog die Schultern zusammen. Da sie die Wärme erst vor einigen Sekunden verlassen haben, froren sie noch nicht so stark, aber es war nur noch eine Frage der Zeit bis dieser Fall eintreten wird. Immerhin hatten sie nur einen Schlafanzug an, während der November sein Unwesen trieb. 

 

„Was machen wir jetzt? In ein Hotel gehen? Oh mein Gott. Die Leute werden sonst was denken!“ 

 

Charlies Worte erinnerte Matthew an ein Gespräch, das er vor nicht allzu langer Zeit geführt hatte. Er lächelte hoffnungsvoll. 

 

„Ich weiß, wo wir hingehen. Ich kenne da Jemand, die hat gleich Feierabend.“ 

 

IV. Stitches - Shawn Mendes

IV. Your words cut deeper than a knife

 

Der Geruch von herrlich duftenden Waffeln führte Matthew langsam aus seiner Traumwelt hinaus in die unsere. Lächelnd drehte er sich im Bett. Er stellte sich vor, wie Felias in der Küche Waffeln backte während gleichzeitig Kaffee gekocht wurde. Musik würde im Hintergrund spielen, zu dem er fröhlich seine Hüfte schwingen würde. Mit federleichten Schritten würde er Pirouetten um sich drehen, um den noch immer schlummernden Matthew nicht zu wecken. 

 

Ein Frauenlachen zerstörte das vertraute Bild in seinem Kopf. Mit einem Schlag wurde ihm wieder klar, wo er war: 

Er hatte die Nacht bei Jenna in ihrem Schlafsack in ihrem Zimmer verbracht. Draußen bereitete wahrscheinlich sie oder einer ihrer Mitbewohner das Frühstück vor. Als er seinen Kopf in Richtung Bett drehte, stellte er fest, dass dieses leer war. Sogar Charlie war eher aufgestanden als er. Ein Blick auf den Wecker, der auf dem Nachttisch stand, verriet ihm, dass es bereits mittags war. 

 

Die Sonne hing hoch am Horizont und schien auf einen Fleck neben seinem Kopf. Für einen Moment dachte er darüber nach, liegen zu bleiben, entschied sich dann jedoch dagegen. Er stand auf und da er hier sowieso nichts zum Umziehen hatte, ging er im Schlafanzug in die Küche, wo er wie erwartet seine beiden Mädels beim Backen vorfand.

 

„Na, gut geschlafen?“, fragte Jenna ihn lachend. Als Charlie ihn nun auch bemerkte, schob sie ihm mit einem breiten Lächeln einen Teller Waffeln entgegen.

 

„Ungewöhnlich, dass du früher als ich wach geworden bist.“, bemerkte er. 

 

„Ich treffe mich in einer Stunde mit einer Freundin. Weißt du noch, wir wollten die Hungerspiele im Kino schauen.“, erinnerte ihn Charlotte. 

 

„Jetzt, wo du wach bist, kann ich ja in meinem Kleiderschrank nach Klamotten für Charlie schauen. Bei Tag macht es sich nicht so gut, im Schlafanzug rauszugehen.“, witzelte sie, „wenn ihr das nächste Mal einen nächtlichen Ausflug macht, solltet ihr an Wechselsachen denken.“ 

 

„Da hat sie Recht! Haben wir total verpennt, wir wollten nur so schnell wie möglich verschwinden.“, lachte der Teenager. 

 

Matthew überraschte es, wie sorgenfrei und unbeeinflusst sie von dem gestrigen Abend bzw. heutigen Morgen zu sein schien. Aber wahrscheinlich hatte das ganze Geschehen für sie eine andere Bedeutung als für Matthew. 

 

Für sie war es nur ein unangenehmer Abend mit einem betrunkenen Bruder, den sie so nicht zum ersten Mal erlebt hatte.

 

Für ihn war es weiterer fetter Minuspunkt, der nicht nur ihre Beziehung weiter an den Abgrund trieb sondern auch das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Wenn er ehrlich mit sich selbst war, war das Fass bereits vorher am Überlaugen gewesen, nur ist er dieses Mal darauf ausgerutscht und keiner hat ihn aufgefangen. Er war auf dem steinharten Boden gelandet und wird Blauflecke und Schrammen davon tragen, die ihn an seine eigene Dummheit erinnern werden. 

 

„Argh Matthew!“, stöhnte Charlie, „Ich hab meinen Schlüssel total vergessen! Hast du deinen mit?“ 

 

Er nickte. Wortlos reichte er ihr. „Wann bist du denn zu Hause?“

 

„Ich kann dafür sorgen, dass ich gegen sechs Uhr wieder da bin. Wenn du heute Abend aber eher nach Hause kommst, um mir die Tür aufzumachen, kannst du ihn auch nehmen.“ 

 

Wie schön, dass Charlie noch nicht mal mehr davon ausging, dass Felias abends zu Hause war geschweige denn daran dachte, ihn zu fragen. 

 

Wenige Minuten später tauchte Jenna wieder mit ein paar Klamotten im Angebot auf. Das meiste waren Sachen, die bei ihr enger saßen, da Charlie eine zierlichere Statur als sie selbst hatte. 

Die Prinzessin entschied sich für eine dunkelblaue Hose und einen grünen Pullover. 

 

„Vielen Dank! Ich bring dir die Sachen gewaschen wieder. Ich hab jetzt ja deine Nummer.“ 

 

„Kein Problem.“, winkte die Ältere ab, „Schreib mir das nächste mal eine SMS, wenn du wieder fliehen musst.“ 

 

„Mach ich und bis später, Matthew!“ 

 

Keine Minute später nach dem die Tür ins Schloss fiel, setzte sich Jenna zurück zu Matthew an den Frühstückstisch. 

 

„So.“, fing sie an, „heute Morgen hat mir Charlie erzählt, was gestern vorgefallen ist.“

 

Er schluckte. Das Gespräch hatte noch nicht mal angefangen und er wollte schon wieder auf Durchzug schalten. 

 

„Angesichts der Tatsache, dass du heute Morgen spontan bei mir schlafen wolltest, hoffe ich, dass du nun einsiehst, dass eure Beziehung nicht mehr so Friede-Freude-Eierkuchen ist.“ 

 

„Das war sie schon lange nicht mehr..“ 

 

„Ja, aber endlich hast du mal etwas dagegen gemacht!“ 

 

Matthew hob seine Augenbrauen. „Was? Bei Jemand anderes übernachtet? Wenn ich dann zurückkomme, ist doch sowieso alles wie vorher.“ 

 

„Du wirst aber nicht zurückgehen!“, donnerte Jenna los, „okay, vielleicht, um ein paar Klamotten zu holen, aber du wirst nicht wieder zurückziehen.“ 

 

„Wo werde ich dann wohnen?“, fragte er etwas perplex. Er hatte noch keine Pläne bezüglich seiner Zukunft, aber ‚obdachlos sein‘ stand definitiv nicht auf seiner Liste der Möglichkeiten. 

 

„Du kannst erst mal hier bleiben.“, bot sie ihm an, „Aber heute Nacht werde ich in meinem Zimmer schlafen müssen. Mein Mitbewohner kommt heute Abend zurück.“ 

 

Da Matthew in ihrem Schlafsack und Charlie in ihrem Bett geschlafen hat, hatte sie die Nacht in dem Zimmer ihres Mitbewohners verbracht, der über das Wochenende seine Eltern besuchen gegangen war. 

 

„Versteh doch, Mattie.“, ahmte sie Charlottes Nickname für ihn nach, „endlich bist du weg von ihm. Ich sag ja nicht, dass du wirklich richtig ausziehen musst, aber ein bisschen Abstand wäre schon angebracht. Einfach nur, um eure Beziehung in Ruhe zu evaluieren. Es wäre gut für dich, mal darüber nachzudenken, was du willst ohne jegliche Rücksicht auf Andere. Du kannst solange bei mir wohnen, das macht mir nichts aus.“ 

 

„Jenna…“, seufzte Matthew. Er wusste seine Freundin meinte es nur gut mit ihm und hätten sie unmittelbar nach dem Vorfall darüber gesprochen, hätte er ihr wahrscheinlich Recht gegeben. Aber nach einer Mütze Schlaf sah die Welt immer besser aus. Nicht gut, nur besser. „Was soll ich denn Felias erzählen? Und Charlie?“ 

 

„Dass er bzw. ihr geliebter Bruder Scheiße gebaut hat, eure Beziehung nicht mehr läuft und du deswegen eine Weile weggehen musst.“ 

 

„Das hört sich ganz nach Schluss machen an.“

 

„Wenn du so gegen das Schluss machen bist, dann sieh das ganze als Beziehungspause an.“ Ihr Gesicht leuchtete auf. „Das ist es. Schlag ihm einfach eine Beziehungspause vor. Dann hast du jeden Grund, auszuziehen, aber nicht um richtig auszuziehen und du hast genügend Abstand zu ihm, um über eure Beziehung nachzudenken ohne gleich Schluss machen zu müssen.“ 

 

Er sah sie skeptisch an. Rein theoretisch verstand er das Konzept, aber wie sollte dies in der Praxis funktionieren? 

 

Was bedeutete eine Beziehungspause? Man war weder zusammen noch war man getrennt. Durfte man sich während dieser Zeit mit anderen Leuten treffen? Galt es als ‚Fremdgehen‘, wenn man mit anderen Kerlen schlief? Wie legte man die Länge so einer Pause fest? Falls man während dieser Pause Jemand neues kennenlernte, erwartete der Andere von einem denjenigen danach wieder fallen zu lassen? 

 

Für ihn kam eine so genannte ‚Beziehungspause‘ nicht in Frage. Entweder war man zusammen oder getrennt. Alles dazwischen war ihm viel zu schwammig und er hatte absolut keinen Plan, wie man sich da zu verhalten hatte. Was ist, wenn sie danach wieder zusammen waren, sich aber dann erneut zerstreiten wegen einer Sache, die während dieser Pause passiert war? Durfte man sich überhaupt darüber aufregen? Schließlich war man während dieser Zeit nicht richtig zusammen, oder? 

 

Allerdings hatte er gar keine Lust mit Jenna darüber zu diskutieren. Sie würde ihm wahrscheinlich nur Ratschläge geben wie ‚das legt jeder für sich fest‘ oder ‚es kommt ganz auf euch an‘, die weder den schwammigen Zustand der Beziehung noch seine Kopfschmerzen darüber reduzieren würden. Er konnte sich schon regelrecht vorstellen, wie er und Felias sich über die Rahmenbedingungen einer solchen Pause streiten würden. 

 

Um das Gespräch jedoch nicht in die Länge ziehen zu müssen, gab er nach. 

 

„Während ich heute hier bin, kann ich ja mal darüber nach denken…“, murmelte er obwohl er schon ganz genau wusste, wofür er sich entscheiden würde. „Aber du hast nicht zufällig Männerklamotten für mich?“ 

 

Sie grinste. „Und hier kommt mein Mitbewohner ins Spiel. Er weißt über alles Bescheid. Du kannst dir eine Hose und ein Shirt von ihm ausleihen.“ 

 

 

 

Matthew fühlte sich nicht ganz wohl in den Klamotten eines unbekannten Mannes, auch wenn es Jennas Mitbewohner war. 

Als er heute Abend an seiner eigenen Haustür klopfte, fühlte er sich wie in der Haut eines Anderen. 

 

Die Tür öffnete sich, doch statt Charlotte lächelte ihm Felias entgegen, der ihn sogleich umarmte. Überrascht von der Geste, vergaß Matthew die Umarmung zu erwidern. 

 

„Was..?“ 

 

„Du bist wieder da.“, murmelte er. Er zog ihn sogleich in die warme Wohnung. 
 

„Ich hab dich heute Nachmittag paar Mal angerufen bis mir aufgefallen ist, dass dein Handy hier liegt.“, informierte Felias ihn. Währenddessen schlüpfte der Neuankömmling aus seinen Schuhen.  „Du glaubst nicht, wie hässlich es mir heute ging, als ich aufgewacht bin. Das war einer der schlimmsten Kater, den ich jemals hatte- was trägst du da?“ 

 

Der Gefragte hatte sich bereits seiner Winterjacke entledigt und diese in einer Hand haltend schaute er ihn verwirrt an. 

 

„Einen Pulli..?“ 

 

„Den kenne ich gar nicht.“, observierte Felias mit zusammen gekniffenen Augenbrauen. Er ließ seinen Blick wandern, um sich wahrscheinlich zu vergewissern, dass er ihm wirklich unbekannt war als sein Blick auf die Hose fiel. „Und die Hose auch nicht. Die ist von Hollister. Du hast gar keine Hollister Hosen.“ 

 

Matthew zuckte seine Schultern während er seine Jacke auf hing. 

 

„Ich hab mir die Klamotten von Jennas Mitbewohner ausgeliehen, da-“

 

„Ach wirklich?!“ Der Tonfall ließ Matthew konfus in das Gesicht seines Freundes schauen, dem die Skepsis auf der Stirn geschrieben stand. 

 

„Ja?“, bestätigte Matthew noch einmal verständnislos. Was war in ihm gefahren?

 

„Ich glaube ja eher, dass du die Nacht bei einem anderen Kerl verbracht hast als bei Jenna.“ 

 

„Wie bitte?!“ 

 

„Deswegen bist du auch so oft nicht zu Hause. Weil du arbeiten gehen musst.“ 

 

Felias sagte das Wort „arbeiten“ in so einem Tonfall, dass Matthew ganz genau wusste, dass damit alles gemeint war, nur nicht arbeiten.

 

„Ja, weil ich arbeiten gehen muss.“, bestätigte er noch mal in dem genau gleichen Tonfall. 

 

„Wie ist das? Schläfst du mit irgendwelchen Kerlen und bekommst von denen schöne Sachen geschenkt oder hast du eine Affäre, weil ich ja nie zu Hause bin.“ 

 

Was?!“

 

Felias war während der ganzen Konversation Schritt für Schritt näher gekommen und stand nun keine Armeslänge vor Matthew. Was passierte mit ihnen? Warum stritten sie sich in letzter Zeit ständig, wenn sie sich endlich wieder nahe kamen? 

 

„Eher das zweite, oder? Sonst würden deine Sachen nicht nach Jemand Anderem riechen.“ 

 

„Hörst du eigentlich, was du da sagst?!“ 

 

Matthew hatte entschieden genug davon. Er ging an Felias vorbei und ließ sich auf das Sofa fallen. In Momenten wie diesen wünschte er sich wirklich, dass er hier ein eigenes Zimmer hätte, in das er jetzt gehen und die Tür hinter sich ins Schloss fallen lassen könnte. Vor allem aber die Tür zuknallen.

 

„Weißt du, Matthew, im Club gibt es auch jede Menge Kerle, die mich wollen, mehr als du mich in den letzten Monaten wolltest! Aber ich habe ständig nein gesagt, obwohl mich sogar Alissa dazu ermutigt hat, mal ja zu sagen-“

 

„Und wenn Alissa das sagt, muss das ja das Richtige sein, nicht wahr?!“, fiel Matthew ihm ins Wort. Langsam verlor auch er die Geduld. Er kam sich vor wie in einem schlechten Film, wo er ohne Vorwarnung in eine Rolle hineingestolpert ist, die er nie wollte. 

 

„Lenk nicht vom eigentlichen Thema ab! Du interessierst dich nur noch für deine Arbeit und dass ich Zeit mit Charlie verbringen soll, aber wann verbringst du Zeit mit mir?! In dieser Stadt gibt es verdammt viele Männer, die sich glücklich schätzen würden, wenn sie mit mir ausgehen könnten!“

 

„Vielleicht solltest du das dann einfach tun!“

 

Geschockt starrte Felias ihn an. Matthew konnte regelrecht sehen, wie sein Freund mit einem leicht geöffneten Mund versuchte seine Worte zu verarbeiten. Er konnte ihm das kaum übel nehmen, da er selbst nicht wirklich verstand, was er gerade von sich gegeben hatte. Jedoch wollte er nicht darüber nachdenken und blieb genauso reglos wie sein Gegenüber stehen. 

 

Es war noch immer um sieben Uhr abends, also konnten keine Stunden seit diesem Satz vergangen sein, obwohl es sich allmählich so anfühlte. Nach ein paar Sekunden sah er wie Felias schluckte. Ein Mal. Zwei Mal. Und dann: 

 

„Okay.“ 

 

Nur ein Wort. Ein einziges Wort, was alles und nichts bedeuten konnte. Okay, er sollte mit anderen Kerlen ausgehen? Okay, er wird mit anderen Kerlen ausgehen? Okay, er hat verstanden? Okay, es  folgt noch ein Satz? 

 

Der Konversation fehlte jegliches Feuer, Temperament, Emotionen, die vorher da gewesen und so glühend heiß waren, das man sich hätte verbrennen können. Es war als hätte dieser eine Satz einen riesigen Tsunami auf die Beiden losgelassen, der jegliche Flammen in binnen von Sekunden erlosch. 

 

Nichts blieb zurück, nur kalte Asche und Ahnungslosigkeit, wie es weitergehen soll. 

 

„Vielleicht.. sollten wir eine Pause einlegen.“, schlug Matthew unsicher vor. Er hörte, wie er die Worte aussprach, aber die Stimmen in seinem Kopf waren so viel lauter, die einerseits dagegen protestierten und andererseits seine Bedenken von heute Nachmittag wieder abspulten. 

 

Was bedeutete eine „Beziehungspause?“ 

 

In Felias’ Augen las er die gleiche Frage, die in zehntausend andere Fragen resultierte. Normalerweise würde er diese aussprechen, mit ihm diskutieren ohne ein einziges Detail ungeklärt   zu lassen, aber es war als hätte der Tsunami auch jede Lebhaftigkeit von ihm genommen. 

 

Er stimmte genauso unsicher zu wie Matthew den Vorschlug gebracht hatte. 

 

In der nächsten halben Stunde saß er auf der Couch, dabei zu sehend wie er all sein Zeug zusammenpackte, die sich in seine Reisetasche zwingen ließen. 

 

Felias sah ihn dabei an als würde er eine weiße Wand anstarren. Er sah nichts, verstand nichts, aber nichtsdestotrotz konnte er seine Augen nicht von ihm wenden. Als wäre er der Höhepunkt eines unglaublich spannenden Films, die Lösung eines Mordfalls oder ein Zug, der in den Abgrund stürzte. 

 

Umgekehrt konnte Matthew nicht aufhören zu packen. Als würde Stillstand bedeuten, ihn ansehen zu müssen und seinen Anblick konnte er nicht ertragen. Wieso, wusste er in diesem Moment selbst nicht so genau. Wahrscheinlich hätte er es sich dann anders überlegt. Aber gleichzeitig war dies doch genau das, was er wollte: hier bleiben. Als er seine dunkelblaue Hose sorglos in die Tasche quetschte, wurde ihm klar, dass er lieber sein jetziges Leben, welches aus einsamen, schlaflosen Nächten und langen Arbeitsschichten ohne jegliches Ziel bestand, bis ans Ende seiner Tage führen wollte, wenn dies bedeutete, dass Felias ein Teil davon war. 

 

Aber er war das nicht. Er war nie so gewesen. Er verstand, wenn er jetzt hier blieb, würde er den Teil von sich verlieren, der immer für sich selbst stand, der stark war, Ziele hatte und sie mit einer Angst einjagenden Determination verfolgte. 

 

Aus diesem Grund schaute er Felias selbst dann nicht an, als er mit dem Packen fertig war. Mit dem Rücken zu ihm gewandt, sagte er leise Tschüss und verschwand zur Haustür.

V. Memories - David Guetta ft. Kid Cudi

V. I just wanna let it go for the night 

 

Matthew hatte absolut keine Lust Jennas Mitbewohner Paul zu treffen. Weniger, weil er ihn nicht mochte, sondern eher deswegen, weil er derjenige gewesen war, der ihm gestern die Tür aufgemacht hatte. Eigentlich wäre dies kein Grund sich vor einem Zusammentreffen zu grauen, aber eigentlich heulte er normalerweise auch nicht. 

 

Er hatte nicht nur einfach feuchte Augen, nein, als er gestern an ihrer Tür klopfte, liefen ihm bereits zahlreiche Tränen über die Wangen während er schwer ein- und ausatmete. 

 

Auf die Frage, was passiert sei, antwortete er nur mit einem knappen „nichts“, das nicht nur eine fette Lüge war, sondern auch die offensichtliche Nachricht, dass er nicht reden und allein gelassen werden wollte. 

 

Doch keine Stunde später hörte er ein leises Klopfen an Jennas Zimmertür und er sah sich gezwungen, diese zu öffnen, da Paul anscheinend nicht locker ließ. Jegliche Angebote bezüglich eines Gespräches, eines heißen Wohlfühlgetränks oder einer Umarmung wies er schroff ab. 

 

Seine Eltern hatten ihn trotz ihrer kurzen gemeinsam verbrachten Zeit besser erzogen als ein freundliches Angebot mit harschen Worten abzulehnen, aber wenn er etwas mehr hasste, als zu weinen, dann dabei erwischt zu werden. 

 

Aus diesem Grund wollte Matthew Paul auf gar keinen Fall begegnen. Ihr erstes Treffen war in seinen Augen ein reines Desaster gewesen. Nicht nur, weil er den Eindruck einer großen Heulsuse hinterlassen hatte, sondern auch gleichzeitig, weil er superunfreundlich zu ihm war, was dieser keineswegs verdient hatte. 

 

Da seine liebe Freundin allerdings mehrere männliche Mitbewohner hatte, wusste er oft nicht, ob er wirklich Pauls Stimme draußen hörte oder sie nicht doch einem anderen gehörte. 

 

Jenna ist heute Morgen gegen acht aufgestanden, um sich auf den Weg zur Uni zu machen. Matthew wurde durch den verursachten „Lärm“ langsam wach und lag nun seit geschlagenen vier Stunden noch immer auf der Luftmatratze neben ihrem Bett. 

 

Noch nicht einmal zum Zähneputzen konnte er sich aufraffen. Allerdings konnte er sich nicht ewig davor drücken, die gemeinschaftlich benutzen Räume zu betreten. In einem kurzen Moment des Mutes stand er auf und wollte ins Badezimmer gehen, dessen Tür genau in dem Augenblick geöffnet wurde als er davor stand. 

 

Da das Glück schon seit längerem nicht mehr auf seiner Seite stand, begegnete ihm kein Anderer als die Person, dessen Treffen er um jeden Preis hinauszögern wollte: Paul. 

 

„M-morgen“, murmelte er. Paul begrüßte ihn ebenfalls bevor er in sein Zimmer verschwand. 

 

Klasse, dachte er sich, seufzte und fing an sich die Zähne zu putzen. 

 

Wenig später fand er sich danach in der Küche wieder, in der Paul gerade sein Mittagessen zubereitete. 

 

„Ähm, wegen gestern..“, fing er an, doch durch eine lässige Handbewegung wurde er prompt zum Schweigen gebracht. 

 

„Lass gut sein. Du hattest eine schwere Zeit. Und hast sie wahrscheinlich immer noch.“, fügte er hinzu. Mit seiner rechten Hand fuhr er sich durch sein aschblondes Haar bevor er sich wieder zu seinen Nudeln drehte. „Es ist nur, ich habe zwei jüngere Geschwister und die taten auch immer so, als wollten sie nicht reden, wenn sie traurig waren. Dabei haben sie immer nur gehofft, dass einer sich genug kümmert, um weiter nachzuhaken.“

 

Er unterbrach sich kurz, um im Gewürzschrank nach Salz und Pfeffer zu suchen, die er dann seiner Soße dazugab. 

 

„Meine Freundin sagt, dass es zwar einerseits gut sei, dass ich mich nicht einfach durch ein bloßes ‚Mir geht es gut‘ abspeisen lasse, aber andererseits gehe ich den Menschen, die wirklich nicht reden wollten, auf die Nerven. Deswegen ja, mir hat das mit gestern auch Leid zu tun.“ 

 

Nicht so sehr, wie mir dachte sich Matthew, doch er sprach seine Gedanken nicht aus. Er war einfach nur froh, dass er ihm nicht böse war. Doch dann fiel ihm noch etwas anderes sein. 

 

„Ist schon okay, du hast es ja gut gemeint. Und.. danke nebenbei, dass ich mir deine Klamotten ausleihen durfte..“ 

 

Plötzlich spürte er eine Hand auf seiner Schulter, die ihm vor Schreck zusammenfahren ließ. Er sah hoch in zwei grüne Augen, die ihm nichts außer Freundlichkeit und Offenheit entgegenbrachten. Erst jetzt bemerkte er, dass er anscheinend die ganze Zeit auf den Fußboden gestarrt hatte. 

 

„Wirklich kein Ding, man. Dir musst das nicht unangenehm sein. Wenn du aber trotzdem reden willst, meine Tür steht immer offen für dich. Du weißt ja mittlerweile, welche das ist.“ 

 

Damit verschwand Paul mit einem Teller Nudeln in sein Zimmer. 

 

Im Laufe des Tages traf Matthew noch Jennas andere zwei Mitbewohner, die er bis dahin nur durch Hören-Sagen kannte: der Austauschschüler Camilo aus Kolumbien und Felix, der erst vor nicht allzu langer Zeit in das Zimmer von ihrem Exfreund eingezogen ist. 

 

Diese kurze Beziehung, die nicht allzu schön geendet hatte, brachte ihr bei, niemals etwas mit einem Mitbewohner anzufangen. 

 

Gegen Abend kam auch seine beste Freundin wieder nach Hause, die ihn ausnahmsweise ohne einen schnippischen Kommentar begrüßte. Da Montag WG-Abend bei ihnen war, aßen sie alle gemeinsam Abendbrot. Matthew kam nicht umhin als daran zu denken, dass jeder von den vier Mitbewohnern einen mehr oder weniger vollen Terminkalender hatten, aber trotzdem waren sie sich gegenseitig wichtig genug, um wenigstens einen Abend in der Woche miteinander zu verbringen. Er dagegen kochte in seiner Wohnung zwar Essen für alle, aber er, Felias und Charlotte nahmen es zu unterschiedlichen Zeiten ein. 

 

Über den Tisch hinweg bemerkte er Pauls Blick, den er ihm zuwarf. Um ihm zu signalisieren, dass es ihm gut ging und er sich nicht sorgen soll, lächelte er zaghaft. 

 

Zwar brachten ihm alle hier nur Freundlichkeit entgegen und Jenna hatte auch schon gesagt, dass er so lange bleiben konnte, wie er wollte, aber nichtsdestotrotz fühlte er sich hier mehr wie ein Gast statt wie zu Hause. 

 

 

Felias’ Neuigkeiten über den Stand seiner Beziehung versetzte Alissa unpassend in helle Aufregung. Während der Mittagspause zählte sie alles auf, was er von nun an mit seiner neuen Freiheit machen konnte. 

Ihre Reaktion entsprach absolut nicht der Norm und ihren Aussagen nach klang es mehr so, als wäre er gerade aus den Fängen einer ungesunden Ehe entkommen.

 

Oh mein Gott“, fuhr sie wieder fort, „das wird das erste Mal sein, dass wir beide zusammen als Singles weggehen können. Du und ich, Donnerstag Abend im Rosies. Ich sag dir, da lassen wir es krachen.“ 

 

„Alissa.“, seufzte Felias, „ich bin nicht Single. Matthew und ich haben nicht Schluss gemacht. Wir legen nur eine Pause ein.“ 

 

„Wenn man eine Pause von einer Beziehung macht, heißt das keine Beziehung. Wenn du auf Arbeit eine Pause einlegst, arbeitest du doch auch nicht?!“, konterte sie nur. „Also, warum nicht die Pause ausnutzen und währenddessen mit ein paar heißen Kerlen schlafen? Feiern wird von nun an viel lustiger!“ 

 

Einerseits konnte er sich nicht vorstellen, wie das abendliche Weggehen viel lustiger werden konnte, nur weil sich sein Beziehungsstatus etwas geändert hatte, aber andererseits konnte er auch endlich das tun, was er sich seit Wochen vorgestellt hatte: einfach Augen schließen, sich an irgendeinen warmen Körper schmiegen und auf die Avancen eines Mannes eingehen ohne sich selbst an der kurzen Leine halten zu müssen. Aber irgendwie konnte er sich nicht so recht darüber freuen. Er hatte keine Ahnung, ob das für Matthew in Ordnung war, aber auf der anderen Seite war er derjenige gewesen, der so eine Pause vorgeschlagen hatte. Dann sollte er auch mit den Konsequenzen leben. 

 

„Natürlich, Mandy! Felias und ich sind am Donnerstag so etwas von dabei.“, hörte er Alissa sagen. Er lächelte Mandy breit an in der Hoffnung nicht ertappt zu werden, dass er von dem Gespräch gerade eben sehr, sehr wenig mitbekommen hatte. 

 

Mandy erwiderte sein Lächeln und zeigte ihnen einen Daumen nach oben. „Dann sehen wir uns donnerstags, meine Lieben. Und Felias“, flötete sie, „ich habe von dir und deinem Freund gehört. Aus eigener Erfahrung kann ich dir nur sagen, dass Kerle, die eine Beziehungspause wollen, eigentlich kein Bock mehr auf einen haben, aber gleichzeitig nicht den Mumm besitzen, einfach Schluss zu machen.“

 

Er schluckte hart. Er hatte nicht viel Erfahrung mit Beziehungspausen und er hatte auch noch nicht gegoogelt, was dafür üblich war, aber das konnte Matthew doch nicht meinen?

 

„Du bist ein heißer Feger. Jeder, der dich in den Wind schießt, hat einfach keine Augen im Kopf. Ich würde sagen, du heulst heute und eventuell morgen noch ein bisschen und am Donnerstag Abend suchen wir dir ein Kerl, bei dem du den Namen deines Ex’ ganz schnell vergessen wirst.“ 

 

Felias wollte weder Matthews Namen vergessen noch gab er viel auf das Gerede von Mandy, obwohl sie sich beide eigentlich gut verstanden. Nichtsdestotrotz fand er sich selbst Donnerstag Abend auf der Tanzfläche im Rosies an einen unbekannten Kerl geschmiegt wieder. 

 

Sie hatten sich kurz über deren Leben ausgetauscht, bevor Felias zu einem Tanz gebeten wurde, die er mit einem charmanten Lächeln und einem Funkeln in den Augen nachkam. 

Während er sah, wie Alissa ihm von der Bar aus einen Daumen noch oben zeigte, spürte er die Hände des anderen Studenten auf seinen Hüften. 

Bei dem Auftakt von Memories kam das Gesicht des Anderen immer näher bis sich bei I just wanna let it go for the night, that would be the best therapy for me ihre Lippen berührten. Spätestens bei dem dritten Lied wusste Felias, dass er diese Nacht nicht allein in seinem so ungewohnt kalten Bett verbringen würde. Trotzdem konnte er nicht anders als an Mandys Worte zurückzudenken und wiederholte Matthews Namen in seinem Kopf immer und immer wieder als er zum ersten Mal die Hände eines anderen Mannes auf sich spürte.


Nachwort zu diesem Kapitel:
So und das war auch der Hauptteil meines Beitrags zum Wettbewerb!
Ich habe es nicht so offensichtlich gemacht, aber es sollte sich ja um mein ausgesuchtes Wort "Verabredung" drehen und hier sieht man eine spontane, abgesagte, und dann erneut eine spontane Verabredung, über die man dann auch lesen konnte im Text :D
Außerdem dreht sich dieses Kapitel um das Problem, dass Felias ständig auf irgendwelche Verabredungen geht und dann die mit seiner Schwester bzw. Matthew absagt.

Anyway. 10 Karotaler für die, die erraten können, in welcher Stadt sich das echte Fat Cat befindet :D Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (3)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Tales_
2016-02-08T20:28:27+00:00 08.02.2016 21:28
Hi,
zuerst einmal Vielen Dank für deine Einsendung.
Schade das die Story nicht abgeschlossen ist, sie hat mir gut gefallen.

Die Charaktere kamen sehr gut rüber und man konnte sich gut in sie hineinversetzen. Rechtschreibfehler und ein paar kleine Fehler beim Satzbau sind mir aufgefallen, ist aber nicht weiter schlimm :)

Dein Wort Verabredung, hätte ich gerne ein wenig mehr in die Story intrigiert gesehen, aber es reicht. Kommt ja zumindest vor.

Ansonsten fand ich die Idee wirklich interessant und ich werde die Story auch weiter verfolgen.
Lg Shanti

Von: abgemeldet
2015-12-12T21:13:36+00:00 12.12.2015 22:13
Guten Abend :)

Endlich komme ich dazu auch deine FF zu kommentieren, nachdem ich mir heute noch einmal alles durchgelesen habe, um einen ordentlichen, schönen Kommentar zu hinterlassen.
Erst einmal auch herzlichen Glückwunsch zum 3.Platz des Wettbewerb :) und danke dafür, dass du überhaupt teilgenommen hast an dem WB!

Nun zur Geschichte:

Kein Krimi, sondern einfach etwas Alltags"-Gedöns" und dennoch interessant geschrieben. Beziehungsprobleme kennen wohl einige, gerade im Alter von 20 will man häufig lieber frei sein, statt Verantwortung zu zeigen, je nachdem wie man charakterlich erzogen wurde. Das hast du gut rüber gebracht.
Auch, dass solche Probleme nicht von einem Augenblick auf den Nächsten einfach verschwinden, sondern langzeitig sind und nicht einfach aus der Welt geschafft werden können.

Leider ist die Story noch nicht beendet, aber ich werde ihr weiter folgen, weil es mich doch interessiert was zukünftig noch passieren wird :)

Alle Charaktere sind Charakterstark und haben ihre eigenen Züge des Charakters und sind für sich immer etwas anderes als der Rest, so wie es im realen Leben auch ist - keiner ist so wie der Andere. Obwohl ich weibliche Charaktere höufig eher weniger gern habe, weil viele sie zu extrem Mädchen darstellen, war mir Jenna ganz sympathisch und Charlotte schloss ich auch direkt ins Herz!

Mich hätte ein wenig das richtige Zusammenkommen von Felias und Matthew interessiert, aber es macht nichts das du es nur angedeutet und dann in der Zukunft angesetzt hast.

Dein ausgewähltes Wort Verabredung wurde in dem einen Kapitel gut untergebracht, dass es sonst nicht vorkam war kein Vergehen, da es sich in einer ganzen Geschichte nicht so einfach umsetzen lässt immer wieder ein Wort zu betonen/unterzubringen ohne das es nervig wird.

An und für sich bisher eine gut gelungene Geschicht :)

Ab und an fand ich ein paar Fehler in der Rechtschreibung/Satzbau, aber das waren nur sehr wenige und mit einem Betaleser lassen die sich sehr schnell rausfilter. [Würde mich ja anbieten, aber ich habe im Moment so gut wie keinerlei Zeit x.x]


Vielen Dank für deine Einsendung :)
LG abgemeldet


- OS min. 2000 Wörter - ✔
- Shonen-Ai / Boyslove / Pair kommt vor - ✔
- das gewählte Wort (Verabredung) wurde eingebracht - ✔
- eines der Themen (Krimi- oder Alltag) wurde umgesetzt - ✔
- logischer Ablauf der Story - ✔
- es wurde auf Grammatik und Rechtschreibung geachtet - ✔

Von:  susel212
2015-11-03T05:39:31+00:00 03.11.2015 06:39
Das ist von schön geschrieben


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