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Playlist of our Life

von

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II. Lean on - Major Lazer & DJ Snake

II. What will we do when we get old? Will we walk down the same road?

 

Verdammt Felias, das ist nicht dein Ernst, dachte sich Matthew als er den roten Klebezettel vom Kühlschrank in den Mülleimer beförderte. Auf diesen statt in einer krakeligen Schrift geschrieben: Haben die Höchstpunktzahl für unsere Arbeit erhalten. Bin deswegen mit meiner Gruppe feiern gegangen :) Das Smiley regte ihn nur noch mehr auf. Kurzerhand fischte der 19-jährige sein Handy aus der Hosentasche und durchsuchte seine Kontakte nach der gewünschten Nummer. 

 

„Hey, na bereit für heute Abend?“, meldete sich eine bekannte Frauenstimme. Matthew seufzte. „Das hört sich aber gar nicht gut an.“, erkannte die Stimme am Hörer sofort. 

 

„Ja, Felias ist nicht zu Hause-“ „Und du willst wieder Babysitter für seine Schwester spielen. Meine Güte, sie ist 16!“ 

 

Matthew atmete tief durch und hörte sich die Beschwerde an, die wie ein Wasserfall von den Lippen seiner besten Freundin floss. Er kannte sie in- und auswendig, hatte er sie sich doch schon oft genug angehört. Er verstand ja ihren Standpunkt und vieles konnte er auch nachvollziehen, aber das änderte nun einmal nichts an der Tatsache, dass er Charlotte nicht gerne die ganze Zeit über alleine ließ. Allein in dieser Woche hatte er vier Nachtschichten in der Bar gehabt und es war Freitag. Das von ihm und Felias geteilte Schlafzimmer fand er die Hälfte der Nächte leer vor und Gott weiß, wann er an den anderen Abenden nach Hause kam. 

Es nagte an seinen Schuldgefühlen und so blieb er mühelos standhaft, als er sagte: 

 

„Ja, ich weiß Jenna. Tut mir echt Leid, wir holen das ein anderes Mal nach, okay?“ 

 

Nach dem Gespräch öffnete Matthew den Kühlschrank und war aufrichtig erleichtert zu sehen, dass sein Freund wenigstens daran gedacht hatte, ihn zu füllen. 

Er nahm sich Eier, Zwiebeln, Kartoffeln und Brot und begann Tortillas de Patatas zuzubereiten, eines von Charlies simpleren Leibgerichte.

 

Seit dem Tag, als er das Geschwisterpärchen im Heim kennenlernte, sind bereits zwei Jahre vergangen. Zwei Jahre, in denen sie ihm unsagbar wichtig geworden sind. Paar Monate später nach ihrem ersten Treffen wurden er und Felias offiziell ein Paar. Charlotte wurde dadurch keineswegs vernachlässigt, ganz im Gegenteil. Die meiste Zeit über unternahmen sie Dinge zu dritt; im Heim hockten sie ständig aufeinander. Vor einem halben Jahr sind er und Felias endlich volljährig geworden und hatten sich dafür eingesetzt, dass Charlie mit ihnen das Kinderheim verlassen konnte, obwohl sie erst 16 Jahre alt war. 

 

Der Weg bis hier hin war beschwerlich. Zwischenzeitlich hatte er auch die Hoffnung aufgegeben, sie mitnehmen zu können, aber Felias war sehr hartnäckig. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, seine kleine Schwester zurückzulassen, wollte aber keine weiteren zwei Jahre dort im Dorf bleiben. Sein Drang wegzuziehen, in einer fremden Stadt ein Neuanfang zu wagen, ein neues Leben zu führen, war stetig gewachsen. Das ist jedenfalls, was er gesagt hatte. Matthew hatte ihm auch geglaubt, aber jetzt, wo er nun feststellte, dass die Bars dieser Stadt ihn öfters zu Gesicht bekamen, als er oder seine Prinzessin, fiel ihm dies zunehmend schwerer. Bereits damals als sein Freund vorgeschlagen hatte nach dem Abitur zum Studieren in die nächste Großstadt zu ziehen, hatte er sich gedacht, dass diese Entscheidung bestimmt nicht ohne Alissas Einfluss entstanden war. Da war es für ihn aber nur eine Nebensache gewesen, heute hatte dies einen bitteren Beigeschmack. 

 

Alissa war Schülersprecherin ihrer alten Schule gewesen und ganz nebenbei auch Felias’ beste Freundin. Sie hatte dieses perfekte Leben, wo sie der Stolz ihrer Eltern, Liebling der Lehrer, Vorbild aller Mädchen und Angebetete aller Jungen war. Natürlich konnte Jemand wie sie nicht für immer in einer Kleinstadt wohnen, weshalb sie Felias mit wunderbaren Geschichten und unrealistischen Darstellungen in Filmen mit der Sucht nach Abgasen und Lärm bis in die tiefste Nacht ansteckte. 

 

Für Charlotte hieß es noch einmal umziehen, was sie nicht großartig störte. Sie war froh aus dem Kinderheim wegzukommen und keiner von ihren Freunden auf der neuen Schule war ihr so wichtig geworden, dass sie wegen ihm blieb. 

 

Trotzdem waren diese Veränderungen nichts, was man leicht verdauen konnte. Es war ein Unterschied, ob man von einem Dorf ins nächste zog oder in die Großstadt, wo der Weg zur Schule plötzlich aus zwei Mal umsteigen bestand und die wichtigsten Bezugspersonen kaum zu Hause waren. 

 

Anfangs lief alles gut. Der Alltag war durchgeplant; Matthew konnte sich darauf verlassen, wer den Einkauf erledigte, wer das Abendessen zubereitete, wer wann nach Hause kam.. Charlotte verbrachte des öfteren die Nachmittage alleine, aber an sechs Abenden der Woche war Jemand für sie da, der mit ihr etwas Zeit verbrachte. 

 

Felias’ Stundenplan hing noch immer am Kühlschrank, aber seit er angefangen hatte, Module zu schwänzen und wegzugehen ohne Bescheid zu geben, konnte man sich darauf genauso wenig verlassen, wie auf sein Versprechen wenigstens diesen einen Freitag Abend zu Hause zu bleiben. 

 

Felias hatte die Woche über mit seiner Studiengruppe etwas für sein Wirtschaftsmodul vorbereitet, weshalb er noch weniger zu Hause war als so schon. Jetzt, wo sich die harte Arbeit ausgezahlt hat und sie anscheinend sogar die Bestnote auf ihre Präsentation bekommen haben, konnte er verstehen, warum er feiern gehen wollte. Aber versprochen war versprochen und Matthew konnte seinen Ärger nur mit sehr viel Mühe herunterschlucken. 

 

Schließlich war heute sein einziger Tag in dieser Woche, wo er nicht bis zum Schluss in der Bar kellnern musste. Leider schlossen die Clubs hier nicht wie in seinem Dorf um zwei Uhr morgens sondern erst um sechs Uhr in der Früh. Bis der Laden aufgeräumt, das Geschirr gespült und die Kasse gezählt war, verging noch mindestens eine Stunde. 

 

Denn im Gegensatz zu seinem Freund ging Matthew nicht zur Universität. Er wusste schlicht und einfach nicht, was er später machen wollte und statt irgendetwas anzufangen, wollte er sich während seiner Studiensuche nützlich machen und Geld verdienen. 

 

Mit zwei Mal Bafög und Waisenrente kamen sie in hier in der Großstadt ohne zu hungern knapp über die Runden, aber in dem er arbeiten ging, konnten sich die Drei ab und zu mal auch einen kleinen Luxus gönnen. Wie ein Kinobesuch zum Beispiel. Oder Charlies Tanzverein. 

 

Er hoffte inständig, dass Felias nicht allzu spät nach Hause kam. Der Grund, warum er sich im Arbeitsplan für diesen Abend bzw. für nächsten Morgen hatte austragen lassen, war der Tanzwettbewerb der Prinzessin. Durch eine Aufführung, zu denen ihre alte Schule sie mitgeschleppt hatte, begann sie sich fürs Tanzen zu begeistern, was sie hier ernsthaft lernen wollte. Morgen war ihr erster Wettbewerb, der sie seit Wochen mit gleichermaßen Euphorie und Nervosität füllte. Natürlich durften da ihre wichtigsten Menschen nicht fehlen. 

 

„Mattie.“ 

 

Der Angesprochene richtete seinen Blick von der Pfanne auf die hübsche Gestalt im Türrahmen, die ihn verwirrt anschaute. 

 

„Warst du nicht mit Jenna verabredet?“ 

 

„Ja, aber die Pläne haben sich etwas geändert. Ich mach dir gerade etwas zu essen.“ 

 

Charlotte freute sich sichtlich als er ihr den fertigen Teller in die Hand drückte und es sich mit ihr auf seinem Bett gemütlich machte. 

Wie wohl in jeder Metropole war die Miete ziemlich hoch, so wohnten sie zu dritt in einer Zweizimmerwohnung. Der größere Raum, den sich Matthew und Felias teilten, diente auch als Wohnzimmer.

 

Charlotte schaute sich gerade auf seinem Laptop an, was ihre Abonnenten auf Youtube so neues veröffentlicht haben, als es an der Tür klingelte. 

 

„Erwartest du Jemanden?“, fragte sie ihn, worauf er den Kopf schüttelte. 

 

Er stand auf, um die Tür zu öffnen. Draußen stand eine junge Frau in seinem Alter, die bei seinem überraschten Anblick schelmisch grinste. 

 

„Überraschung!“ 

 

„Jenna, was machst du denn hier?“ 

 

Sie warf ihre orange-blonden Haare zurück und kam ungebeten herein. 

 

„Naja, ich dachte, wenn du nicht zum Film kommst, muss der Film halt zu dir kommen.“

 

Nachdem Matthew die Tür wieder geschlossen hatte, folgte er ihr in sein Zimmer, wo Charlie bereits Platz für ihren unerwarteten Besucher auf dem Bett machte. 

 

„Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass der neue James Bond Film schon im Internet zu finden ist.“ 

 

„Dann schauen wir uns halt etwas anderes an. Ich werde nur nicht so gerne in letzter Minute versetzt.“ 

 

„Wieso versetzt?“, piepte Charlotte dazwischen, doch der Neuankömmling winkte ab. 

 

„Nicht so wichtig. Was wolltest du gerade schauen?“ 

 

 

 

Keine zwei Stunden später zog sich die Jüngste der drei in ihr Zimmer zurück, da sie für ihren ersten großen Tanzwettbewerb ausgeschlafen sein wollte. 

 

Matthew stoppte den laufenden Film, den er und seine Freundin sich nur angeschaut hatten, weil Charlie ihn sich ausgesucht hatte. 

Er trug das Geschirr in die Küche, um mit dem Abwasch zu beginnen. 

 

„Du weißt schon, wenn du nicht gerade in einer Beziehung mit einem Kerl wärest, würde ich mir ernsthafte Sorgen um Charlie machen.“, gab Jenna kund, als sie sich zu ihm in die Küche gesellte. 

Sich einen trockenen Lappen schnappend stellte sie sich neben ihm. 

 

„Wieso?“, fragte Matthew verwirrt als er ihr einen nassen Teller gab. 

 

„Das ist doch offensichtlich“, meinte die junge Dame als sie anfing das Geschirr trocken zu rubbeln, „hast du sie dir mal angesehen? Mein Typ ist sie nicht, aber ich kenne so einige Kerle, die nur zu gern mit ihr ins Bett hopsen würden. Blonde Haare, blaue Augen- ich kann schon verstehen, warum ihr sie Prinzessin nennt.“ 

 

Irritiert drehte Matthew sein Kopf in ihre Richtung und richtete dann seine Aufmerksamkeit wieder auf das dreckige Geschirr. Ihm fiel schwer zu glauben, was er da hörte. 

 

„Sie ist meine kleine Schwester-“

 

„Ja, aber nicht deine leibliche.“, unterbrach Jenna ihn als sie die Teller in den richtigen Schrank einräumte. „Du musstest ihre Windeln nicht wechseln, deswegen ist sie nicht vollständig von deiner Liste der nicht date-baren Menschen verschwunden.“

 

Matthew verstand zwar ihre Argumentation, konnte aber trotzdem nur angewidert den Kopf schütteln. Auf diese Art und Weise Charlie zu lieben.. wäre undenkbar und einfach nur falsch von ihm. 

 

„Du musst gerade reden“, entgegnete er, „wohnst du nicht mit drei Kerlen zusammen?“

 

„Abgesehen davon, dass der eine schwul ist, bin ich 21. Ich habe mittlerweile genug Erfahrung und Selbstvertrauen, einem Kerl in die Eier zu treten, wenn er mir zu nahe kommt. Charlie dagegen würde es wahrscheinlich noch nicht mal merken, wenn sich deine Gefühle für sie ändern würden und du plötzlich Gute-Nacht-Küsschen auf anderen Stellen ihres Körpers hinterlassen willst.“

 

„Gibt es einen bestimmten Grund, warum wir gerade darüber reden?“, fragte Matthew lauter und in einem genervteren Tonfall als beabsichtigt. Er hatte ernsthaft genug gehört. Ihr das letzte Besteck reichend, verschwand er aus der Küche und setzte sich aufs Bett, auf dem sein Handy rausgefallen war. Ein Klick verriet ihm, dass es bereits kurz nach halb elf war. Felias hatte sich kein einziges Mal gemeldet.

 

Das Sinken seiner Matratze verriet ihm, dass auch sein Besucher sich gesetzt hatte. 

 

„Hey, ich wollte dich nicht aufregen. Ich wollte damit nur sagen, dass ich dich dafür bewundere, bei ihr noch nichts krummes versucht zu haben. Wenn ich du wäre, hätte ich schon längst dafür gesorgt, dass sie und Felias Betten tauschen.“ 

 

Jenna sagte dies in einem so sanften und beruhigenden Tonfall, dass man hätte denken können, es wäre eine aufrichtige Entschuldigung für ihr voriges Verhalten. 

Aber natürlich war dem nicht so.

 

Auf eine ganz andere Art und Weise als Charlotte war sie selbst eine wahre Augenweide. Mit ihrer schlanken Figur, den orange-blonden Haaren und den grünen Augen hatte sie nie Probleme damit gehabt, einen Kerl ins Bett zu kriegen, den sie wollte.

Durch ihre Vorlieben für Sport, Action-Filme und ihrem losen Mundwerk hatte sie mehr männliche Freunde als weibliche. Sie war „einer von den Jungs“, aber auch genau dies machte es für sie schwer, als „Beziehungsmaterial“ wahrgenommen zu werden. 

Seit dem ein paar Kerle zu viel mit ihr Schluss gemacht hatten mit der Begründung, dass sie ein „größerer Macho als sie selbst“ waren, war sie nur noch auf one-night-stands aus. 

Man selbst war weniger unter Druck, wenn man nur ein „guter Fick“ war statt die Liebe Jemandes Lebens. 

 

Im Gegensatz zu dem, was einige glaubten, wurden Matthew und sie nicht erst nach atemberaubenden Sex auf irgendeiner Party Freunde.

Sie lernten sich unter so langweilig normalen Umständen kennen, dass Jenna schon lieber die Sex-Geschichte erzählte, wenn Matthew keine Einwände dagegen hätte. 

Beide arbeiteten in der gleichen Bar Fat Cat und mussten sich so früher oder später kennenlernen. Auf dem gemeinsamen Heimweg lernte er, dass sie an der Uni International Business studierte. Sie wurde in einer anderen Großstadt geboren, wollte aber von ihrem vertrauten Umfeld wegkommen, weshalb sie in eine andere gezogen ist. Ihr war es wichtig unabhängig zu sein, weshalb sie lieber jeden Abend im Fat Cat schuftete statt sich Geld von ihren Eltern geben zu lassen. 

 

Matthew hatte so einige Bekannte durch Felias kennengelernt, aber sie war der einzige Mensch, die wirklich in erster Linie seine Freundin war und nicht die seines Freundes. 

Denn wenn man wirklich darüber nachdachte, würden alle seine bisherigen Bekanntschaften Felias’ Seite ergreifen, sollten sie ihre Beziehung beenden. 

 

So dankbar Matthew für seine Freundin auch ist, zurück im Hier und Jetzt versucht er mit mittelmäßigem Erfolg sie nicht zu erwürgen. Ihrer letzten Aussage würdigte er mit keiner Antwort, aber sie hatte sowieso keine erwartet. Sie kam ziemlich gut mit seiner schweigsamen Art zu Recht. 

 

„Spaß beiseite. Ich hab eigentlich nur nach einer guten Überleitung gesucht, um über Felias reden zu können.“

 

Hätten sie nicht vorher schon über mögliche sexuelle Lust auf Charlotte geredet, hätte er felsenfest  darauf beharrt, dass er dieses Gespräch noch weniger hören wollte. 

 

„Wie oft denn noch-“, fing er seinen erfolglosen Versuch an, die kommende Konversation im Keim zu ersticken, aber Jenna unterbrach ihn harsch: „So oft bis du mir endlich zuhörst!“

 

„Ich höre dir ja zu.“ 

 

„Aber du tust nichts dagegen.

 

„Ich habe mit Felias ja schon darüber geredet-“

 

„Und sieh, was das gebracht hat! Du sagst unsere Verabredung ab, weil er statt sich um seine heiße Schwester zu kümmern, lieber mit heißen Kerlen tanzen geht.“ 

 

Den unnötigen Kommentar über Charlotte ignorierte Matthew gekonnt. Automatisch nahm er Felias in Schutz, obwohl er im Stillen eigentlich auf ihre bzw. seiner eigenen Seite stand. Schließlich hatte er sich vor nicht allzu langer Zeit über das selbe aufgeregt. 

 

„Er hatte die Bestnote in einer wichtigen Präsentation und wollte das mit seiner Gruppe feiern-“

 

„Und wieso geht das nicht mit ein paar Bier bei sich zu Hause?“ 

 

Matthew seufzte, schloss die Augen und lehnte sich zurück. Er wusste, dass sie Recht hatte, aber das hieß noch lange nicht, dass er das hören wollte. 

Erneut bewegte sich die Matratze. Eine warme Hand legte sich beruhigend auf seinen Oberschenkel und als er das nächste Mal seine Augen wieder öffnete, sah er in Jennas tiefgrüne Augen. 

 

„Hey. Du weißt, ich mische mich nicht gerne in andere Beziehungen rein.“, fing sie dieses Mal ehrlich besorgt an, doch nun unterbrach Matthew sie. 

 

„Dafür machst du das in letzter Zeit ziemlich oft.“ 

 

Kurz unterbrach sich ihr Blickkontakt, weil Jenna leise kichern musste. Auch seine Mundwinkel hoben sich, doch das ernste Gespräch setzte sich ohne Umschweife fort: 

 

„Das liegt daran, dass ich langsam nicht mehr wegsehen kann. Du weißt, ich mag Felias nicht sonderlich gerne. Unabhängig davon, wie witzig er auch ist oder wie sehr du ihn liebst, die Fakten ändern sich nicht. Er treibt sich die ganzen Wochenenden und die meiste Zeit während der Woche irgendwo rum, während du arbeiten gehst und die übrige Zeit mit seiner Schwester Hausaufgaben machst. Du hast zwar mit ihm darüber geredet, aber trotzdem hatte er dich heute wieder sitzen gelassen für eine spontane Verabredung, obwohl du selbst etwas vorhattest.“ 

 

Sie ließ ihm eine Pause, um über ihre Worte nachzudenken, nicht ahnend dass er im Grunde eigentlich das selbe dachte. 

Wie sollte sie das auch wissen, wenn er seinen Freund immer und immer wieder in Schutz nahm? 

 

„Er war nicht immer so unzuverlässig…“, murmelte er leise. 

 

„Das glaube ich dir. Aber das Leben verändert Menschen. Vielleicht habt ihr vor zwei Jahren ehrlich geglaubt, dass ihr für immer und ewig zusammen bleiben werdet und vielleicht hattet ihr beide auch Recht- wenn ihr und euer Leben sich nicht so verändert hättet. Du kannst nicht dein Leben nach ihm und seiner Schwester richten. Du wirst nie wieder 20 sein.“

 

Das dachte sich Matthew in letzter Zeit oft. Nicht den Teil mit Felias, aber dies machte die ganze Sache nur noch schlimmer. Er wird nie wieder 20 Jahre alt sein. 

 

Als sie hier her gezogen waren, hatte es ihm nichts ausgemacht, dass er arbeiten gehen würde anstatt zu studieren. Was machte es schon aus ein oder zwei Jahre zu warten? 

Aber sie waren mittlerweile fast vier Monate hier und er war mit seiner Studienwahl genauso weit wie vorher. Auf seiner Arbeit sah er einige Menschen mitte 40, die genau die gleiche Arbeit verrichteten wie er. Er hatte nichts gegen die Arbeit in der Bar, natürlich war es stressig, manchmal eklig und es gab sicher elegantere Jobs, aber die Frühschichten waren gut bezahlt und das Trinkgeld stieg mit dem Alkoholkonsum der Gäste. Aber trotzdem wollte er nicht für immer dort arbeiten, nicht bis er 30 Jahre alt war und schon gar nicht, wenn er 40 war. 

 

Aber genau diese Zukunft sah er für sich kommen. Diese Zukunft, in der er sich immer wieder sagte, dass ein paar Jahre Aufschub kein Unterschied machten bis es dann Jahrzehnte wurden. 

 

Dies war seine aktuelle Horrorvorstellung für die nächsten Jahre, aber trotzdem hatte er sich mit Felias und Charlie darin gesehen. Jetzt, nach dem Jenna ihre Sorgen über sein Liebesleben mit ihm geteilt hatte, stellte er fest, dass er sich noch nicht mal das schlimmste vorgestellt hatte. 

 

Arbeiten bis zum Erbrechen, um anschließend zu einer leeren Wohnung zurückzukehren, weil Felias auf seinen vielen Bartouren Jemand lustigeres kennengelernt hatte mit dem er fortan sein Leben verbringen würde. Er würde ihn in dieser Schuhkarton-Wohnung zurücklassen und dabei Charlie mitnehmen. Währenddessen wird Jenna irgendwo in der nächsten Großstadt erfolgreich sein und er wird zu einer schönen Erinnerung, an die sie denkt, wenn sie über ihre Zeit an der Uni erzählt. 

 

„Ich hab’s verstanden. Können wir nun das Thema wechseln?“ 

 

Jenna sah so aus als hätte sie noch etwas hinzuzufügen, aber irgendetwas musste sie gesehen haben, dass sie dazu brachte stumm zu nicken. 

Sie ließ Musik auf seinem Laptop im Hintergrund laufen bevor sie sich wieder neben ihm zurücklehnte. 

 

Abgesehen davon verbrachten sie die nächste Stunde in völliger Ruhe. Als würde sie wissen, was in seinem Kopf abging, schien sie ihn mit seinen Dämonen nicht allein lassen zu wollen. 

Aufgrund ihrer regelmäßigen Atmung wunderte sich Matthew irgendwann, ob sie nicht eingeschlafen war, aber wenig später richtete sie sich auf. 

 

„Ich sollte mich mal langsam auf den Heimweg machen.“, sprach sie leise. 

 

Er stand auf, um sie zur Tür zu begleiten. 

 

„War klasse mit dir Zeit zu verbringen, auch wenn ich es mir etwas anders vorgestellt hatte.“ 

 

Das erinnerte ihn doch glatt wieder daran, warum sie an erster Stelle überhaupt hier waren. 

 

„Ist schon gut, wir können den Bond-Film später nachholen.“, beschwichtigte Jenna ihn. „Ich bin dir da nicht böse. Tu mir nur ein Gefallen, ja?“ 

 

Matthew nickte. Das war wohl das Mindeste, was er jetzt noch für sie machen konnte. 

 

„Denk über das nach, was ich dir vorhin gesagt habe. Schluss zu machen ist niemals einfach, vor allem dann nicht, wenn man sich schon vorgestellt hat, mit dem Anderen alt zu werden. Aber wie gesagt. Ihr verändert euch. Keiner kann etwas daran ändern und es ist Niemands Schuld. Aber deswegen solltet ihr ernsthaft überlegen die Sache zu beenden bevor ihr irgendwann das Gefühl bekommt, etwas zu versäumen. Ich will echt nicht die böse Hexe sein, die versucht, deine Beziehung zu zerstören, aber tu mir den Gefallen. Denk darüber nach.“ 

 

Matthew nickte stumm und ließ sich von Jenna noch einen Kuss auf die Wange drücken bevor sie sich auf den Weg machte und im Fahrstuhl verschwand. 

 

Schluss machen. Mit Felias. Egal wie schlimm es in letzter Zeit geworden war, auf diesen Gedanken war er nie gekommen. Jetzt hatte er das Gefühl, dass es nie so schlimm werden könnte. 

 

Sein Blick fiel auf das eingerahmte Foto von ihm, Felias und Charlotte, welches an der weißen Wand hing. Zuerst stand es auf dem Tisch, aber nach dem sie es beim Essen, beim Film anschauen, beim Lernen, bei Dinge abstellen, bei allem, was sie auf dem Tisch machten, immer wieder  umschmissen, hing es nun an der Wand. 

 

Er starrte auf ihre lachenden Gesichter und fühlte sich wie ein gänzlich anderer Mensch. Als wäre er ein Besucher, der sich dieses Foto anschauen würde und nicht wie Jemand, der selbst darauf abgebildet war. 

 

Er dachte an Jennas Worte. Hätten er und Felias ihre Beziehung nach dem Abitur beendet, würde er ein vollkommen anderes Leben führen. Zwar wüsste er selbst dann noch immer nicht sein Berufswunsch, aber er wäre definitiv in einer anderen Stadt. Vielleicht wäre er niemals weggezogen. Aber er hätte Felias in guten Erinnerung behalten. Wann immer er an ihn dachte, würde er lächelnd das Gesicht seines ersten Freundes sehen, mit dem er nur Schluss gemacht hatte, damit keiner von den Beiden von der Beziehung zurückgehalten worden wäre. Damit sie neue Dinge hätten ausprobieren können, neue Beziehungen aufbauen, eine neue Liebe finden. 

 

Wenn er jetzt mit ihm Schluss machen würde, würde er wahrscheinlich für immer an den Frust denken, den er bis jetzt hatte. An all die negativen Gefühle und Gedanken, die bis zu diesem Punkt geführt haben. 

 

Er wollte das nicht. Denn trotz all dem war Felias die wichtigste Person in seinem Leben. Wenn er später an ihn dachte, wollte er sich an all die langen Abenden im Kinderheim erinnern, wo sie mit Charlie unter eine Decke sich bis zum Morgengrauen Geschichten erzählt haben, dass ihm der Bauch vom Kichern wehtat. 

 

Er konnte die Zeit nicht zurückdrehen. Entweder würde er später mit Frust auf diese Beziehung zurückblicken oder mit ihm zusammen sein. Er hatte keine Erfahrung mit solchen Dingen, aber anscheinend gab es nur diese zwei Optionen. 

 

Schnell schlüpfte er in seinen Piyama bevor er sich ins Bett legte. Sein altes Nokia Handy verriet ihm, dass es fast ein Uhr morgens war und noch immer war kein Felias in Sicht. 

 

Er seufzte. Es half alles nichts. Wenigstens einer von ihnen sollte morgen bei Charlies Tanzwettbewerb wach sein, um sie anzufeuern, wie sie es verdiente. 

 

Bevor er das Licht ausschaltete, fiel sein Blick noch mal auf das Bild von ihm und dem Geschwisterpärchen. 

 

Wie lange wird es dort noch hängen bevor der Anblick zu schmerzhaft wird? 

Wie lange noch bis sich ihre Wege trennen?


Nachwort zu diesem Kapitel:
So und das war auch der Hauptteil meines Beitrags zum Wettbewerb!
Ich habe es nicht so offensichtlich gemacht, aber es sollte sich ja um mein ausgesuchtes Wort "Verabredung" drehen und hier sieht man eine spontane, abgesagte, und dann erneut eine spontane Verabredung, über die man dann auch lesen konnte im Text :D
Außerdem dreht sich dieses Kapitel um das Problem, dass Felias ständig auf irgendwelche Verabredungen geht und dann die mit seiner Schwester bzw. Matthew absagt.

Anyway. 10 Karotaler für die, die erraten können, in welcher Stadt sich das echte Fat Cat befindet :D Komplett anzeigen

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