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Alice im Wunderland - Die bescheuertste Interpretation ever

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Kapitel 13 - Fehler im System-Teil 2

Es war nicht ganz einfach gewesen. Seit Floyds Halluzination – und seiner eigenen – hatte er zu keinem der fremden Albträume mehr Zutritt gehabt. Einerseits befand er das als erleichternd, da er höchstwahrscheinlich ohnehin viel zu viel gesehen hatte, doch andererseits bedeutete es auch, dass das magische Licht, von dem die anderen jedes Mal umgeben gewesen waren, wenn das Phantom ihn in ihre Gedanken gelassen hatte, ausblieb und er verstärkt darauf Acht geben musste, bei der Finsternis in niemanden hineinzulaufen. Trotzdem hatte er es geschafft, sich bis zu der Tür zu tasten, hinter der sich, seiner Erinnerung nach, Marilyns Gemach verbarg. Jedenfalls hoffte er, dass es die richtige Tür war und dass der Rest des Weges nicht noch mehr Komplikationen für ihn bereithalten würde.
 

Mit Sicherheit wird es noch um einiges komplizierter werden. Es gibt keinen Grund, warum er mich jetzt einfach so davonkommen lassen sollte, dachte Alice und sah diesen Gedanken im nächsten Moment bestätigt, als er die Tür öffnete und den magischen Spiegel erblickte, der den sonst dunklen Raum mit einem unheilvollen Leuchten erhellte, so als habe er nur auf ihn gewartet.
 

Wieder war er im Begriff, den gefährlichsten und verbotensten Teil des Schlosses zu betreten, ohne dass die Königin etwas davon wusste, und fühlte sich unweigerlich an das erste Mal erinnert, das er sich an den seltsamen Ort hinter der Glasscheibe gewagt hatte. Obwohl es erst einige Stunden zurücklag, erschien es ihm, als seien bereits Tage oder Wochen seitdem vergangen. Nein, vielmehr war es, als läge ein ganzes Leben zwischen diesem und dem letzten Mal. Nach allem, was er in der Zwischenzeit erfahren hatte, wirkte es geradezu absurd, dass es sich dabei noch immer um denselben Tag handeln sollte.
 

Ein vertrautes, jedoch nicht unbedingt angenehmes Gefühl erfasste ihn, als er durch das Glas auf die andere Seite trat und sich in die spiegelverkehrte Empfangshalle begab. Es war nicht deshalb unangenehm, weil die Räumlichkeiten keinerlei Einrichtung und Farbe besaßen – auch wenn das nicht gerade zu einer wärmeren Atmosphäre beitrug. Es lag eher an dem Wissen über diese Welt und über das Königspaar, das er inzwischen erworben hatte. Alicia. Sie hatte hier gewohnt. Gemeinsam mit dem ganzen Rest der Kehrseite war sie hier als Marilyns Gegenstück zum Leben erwacht; als Kontrast zu ihm und seiner Seite des Schlosses. So war es gewesen, nicht wahr?
 

... Bis ihr Leben ein tragisches Ende gefunden und der Tod sich in allen Winkeln der Spiegelwelt ausgebreitet hatte, leise und bedrohlich und nur darauf aus, weitere ahnungslose Opfer zu sich zu locken.
 

„Ich sollte wirklich aufhören, so etwas zu denken“, sagte er zu sich selbst, während er die Treppe in den Eingangsbereich hinunterschritt, deren Stufen dabei ein noch lauteres Ächzen von sich zu geben schienen als beim letzten Mal, das er hier entlanggegangen war. Er versuchte, sich einzureden, dass es reine Einbildung sei, doch leider machte die Treppe ihm einen Strich durch die Rechnung, noch bevor er den Boden erreicht hatte. Mit einem fiesen Knacken war die Stufe unter ihm in sich zusammengekracht, und ehe er sich versah, hing er über einem klaffenden Abgrund mitten im Nirvana, mit nichts als einem schmalen Holzstreifen über sich, an dem er sich festhalten konnte. Es musste ein Stück von der nächsten Stufe sein, das glücklicherweise nicht abgebrochen war und ihn nun davon abhielt, zu fallen.
 

„Verdammt, so ein riesiger Mist...“, fluchte er tonlos, warf einen Blick nach unten, wo die erschreckende dunkle Tiefe bereits auf ihn zu lauern schien, und stellte dann beunruhigt fest, dass Szenen wie diese, in denen er wenig erfreuliche Bekanntschaften mit tiefen Abgründen machte, ihn seit geraumer Zeit mit einer beachtlichen Aufdringlichkeit verfolgten. „Augenblick mal... Szenen wie diese...?“
 

Was, wenn auch seine jetzige Lage bloß eine böse Illusion war? Ein Teil seines persönlichen Albtraums, der ihn noch immer nicht losgelassen hatte? Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden...
 

Alice schloss die Augen – und ließ los. Für einige Sekunden fühlte es sich tatsächlich ekelhaft schwindelerregend an, allerdings eher auf eine Art, als wäre er aus einem Zustand zwischen Schlaf und Realität herausgeschleudert worden. Und als er die Augen öffnete, stand er wieder auf der Stufe, genau wie zuvor. Sie war nicht zusammengekracht. Alles war beim Alten.
 

„Hah! Nicht mit mir!“, lachte er triumphierend, ehe er die letzten Stufen ebenfalls schnellstmöglich hinter sich brachte und sich schließlich noch einmal skeptisch zu der Treppe des Grauens umdrehte. „Ist ja auch eigentlich echt unlogisch. Nur weil das alte Teil einstürzt, tut sich darunter nicht plötzlich ein gigantischer Höllenschlund auf... hoffe ich zumindest.“
 

Kaum hatte er den Schock von eben halbwegs überwunden, war das nächste Phänomen zur Stelle, das ihm einen Schrecken einjagte, weil es ungefähr das Letzte war, womit er gerade jetzt gerechnet hatte.
 

Der Hutmacher und die Haselmaus. Auf einmal standen sie vor ihm, als er vorgehabt hatte, seinen Weg fortzusetzen, ein überaus dubioses Lächeln in ihren Gesichtern und in einer Weise auf ihn fixiert, die nichts Gutes vermuten ließ.
 

„Na... Eure dunkle Majestät?“, grinste der Hutmacher und zog seinen Köter an dessen Leine etwas näher zu sich. Piepwuff hielt einen knallroten Gummiknochen in der Hand, den er umklammerte, als wolle er damit jemanden erschlagen. „Was treibt Ihr denn hier Schönes? Vertrauensübungen?“
 

Alice war sich nicht sicher, weshalb, doch aus irgendeinem Grund wollte ihm auf die Schnelle keine passende Antwort darauf einfallen. Vielleicht war er auch bloß zu abgelenkt von den quietschenden Lauten, die Piepwuff unaufhörlich aus seinem verdächtigen Spielzeug herausquetschte.
 

„Ihr wisst, dass solche nicht ratsam sind, wenn niemand hinter Euch steht, nicht wahr?“, wisperte dieser geheimnisvoll, schielte dann zu seinem augenscheinlichen Herrchen und überreichte ihm den roten Knochen – offenbar, damit er ihn warf. Genau das tat der Hutmacher auch sogleich, woraufhin sein fehlgeleitetes Haustier mit einer verstörenden Besessenheit dem nervtötenden Quietschding hinterherhetzte. Ein, selbst für wunderländische Verhältnisse, skurriler Anblick, fand Alice.
 

„Ihr solltet auf die Haselmaus hören“, sagte sein Gegenüber, kichernd wie eine alte Hexe. „Sie irrt sich äußerst selten.“
 

„Sehr schön, wirklich. Habt ihr noch mehr solcher tollen Ratschläge für mich parat?“, fragte er zynisch, was den Anderen lediglich noch vergnügter zum Kichern brachte.
 

„Und ob!“, erwiderte er, als Piepwuff auf allen Vieren und mit dem Knochen zwischen den Zähnen zu ihm zurückgetrabt kam. „Wollt Ihr noch einen hören? Ich verspreche, er wird auch ganz bestimmt hilfreich sein!“
 

„Kann's kaum erwarten. Raus damit.“
 

„Also, mein persönlicher Rat an Euch, Majestät“, lachte der Hutmacher und deutete so etwas wie eine Verbeugung an. „Verlasst Euch niemals auf das, was eine verrückte Wahnvorstellung mit Zylinder euch erzählt. Ihr könntet es bereuen... oder auch nicht. Hihihi...!“
 

„Man kann nie wissen, was sich in den Schatten der eigenen Seele versteckt hält“, fügte Piepwuff hinzu, nachdem er sein angekautes Spielzeug vor sich abgelegt hatte. „Passt gut auf, wo Ihr hintretet.“
 

„Ja... danke“, gab Alice nach einigem Zögern misstrauisch zurück, wandte sich dann von den beiden ab und überlegte nur kurz, durch welche Tür er als nächstes zu gehen hatte, um in den Keller zu gelangen, bevor er sich ziemlich sicher war, die Antwort zu kennen, und zielgerichtet auf ebendiese Tür zusteuerte – zumindest hätte er das getan, wäre nicht urplötzlich das Geräusch klirrender Ketten, untermalt von einem vollkommen irren „Mmmmmhhmppfff!!“, dazwischengekommen, das unmittelbar neben ihm ertönte, als er gerade im Begriff gewesen war, an der Treppe vorbeizugehen, und ihn dazu veranlasste, einen raschen Satz nach hinten zu machen. Er hätte schwören können, dass bis eben niemand dort gewesen war; niemand, bis auf die zwei Freaks, die nun offenbar köstlich amüsiert zu ihm herübersahen, während ihr noch immer mit Klebeband geknebelter und seitlich an das Treppengeländer geketteter Mitbewohner ihn aus bedenklich weit aufgerissenen Augen musterte. Der Märzhase. Gefesselt wie ein Sträfling und furchteinflößender als ein kannibalistischer Psychiater in einem Hochsicherheitstrakt.
 

„Ach du Schande“, keuchte er, bemüht, die Ruhe zu bewahren, als er registrierte, dass der Irre, der für seinen Geschmack eindeutig zu dicht bei ihm stand, Fishs Kostüm trug. „... Was hat das zu bedeuten? Woher... hat er diese Sachen?“
 

„Oh, seid Ihr sicher, dass Ihr das wissen wollt, Majestät?“, entgegnete der Hutmacher viel zu fröhlich und hätte Alice mittlerweile sicher längst zur Weißglut gebracht, wäre er nicht eine solch geduldige Person gewesen.
 

„Ja, ich bin mir sogar sehr sicher, dass ich das wissen will. Und hör auf mit diesem ständigen 'Majestät'!“
 

„Nun gut, Majestät“, grinste der Hutmacher belustigt. „Sagen wir es mal so... Unser guter Freund, der Märzhase, fühlte sich ein wenig hungrig. Und als unser allerseits geschätzter Spaßvogel Fish ihm über den Weg lief, kam er schnell zu der Ansicht, dass er sich an seinem schnuckeligen Kostüm den Magen verderben würde. Er verträgt Glöckchen nicht so gut, wisst Ihr?“
 

„Er hat sozusagen... einen Narren an ihm gefressen“, ergänzte Piepwuff und fügte schließlich ebenso trocken hinzu: „Was meint Ihr, weshalb dieser todsichere Streifen in seinem Gesicht klebt?“
 

Alice konnte sich nicht entscheiden, ob er dieser Geschichte glauben und schnell das Weite suchen oder einfach stehenbleiben und darüber lachen sollte. Solange niemand von ihm erwartete, sich mit dem unzurechnungsfähigen Häschen zusammenzutun, um Buffalo Bill zu schnappen, gab es keinen Grund zur Sorge, aber da er in dieser Welt langsam aber sicher so gut wie nichts mehr ausschließen konnte und es ihm auch ganz und gar nicht gefiel, wie der Hase, begleitet vom leisen Klingeln der Glöckchen, immer näher an ihn heranschlich, beschloss er, die drei Gestörten vorerst alleine zu lassen und sein eigentliches Vorhaben fortzuführen.
 

„Alles okay. Mir geht es gut. Ich werde mir das so lange einreden, bis ich es selbst glaube“, murmelte er, während er mit Bedacht die Kellertreppe hinunterschritt, die genauso grau war wie alles andere um ihn herum. Vielleicht würde er sich später Gedanken darüber machen, was es über ihn aussagte, dass er all diese Dinge halluzinierte, und ob es tröstlich sein sollte oder eher nicht, falls besagte Dinge möglicherweise doch nicht seiner Fantasie entsprangen sondern wirklich real waren. Schließlich gab es keine Garantie dafür, dass auf der Kehrseite nicht tatsächlich eine Kopie der Teegesellschaft existierte, deren fleischfressender Märzhase sich aus einer Laune heraus eine bemitleidenswerte Fish-Kopie einverleibt hatte. „Ich bin nicht verrückt. Und wenn doch, ist es halb so schlimm. Verrückte schreiben bessere Musik.“
 

Die ungeheuer triste Kälte des schmalen Ganges brachte ihm einen unwohlen Schauer ein, vor allem, da er sich nur zu lebhaft daran erinnert fühlte, wie er heute Morgen bereits an diesem Ort gewesen war – bevor der Showmaster und die kreischenden Stimmen seiner eigens manipulierten Frauen ihn schleunigst wieder von hier vertrieben hatten. Dieses Mal waren weder der Showmaster noch irgendwelche Frauen hier unten, denn sie hielten sich restlos alle drüben, auf der anderen Seite des Schlosses, auf. Vermutlich war es auf der Kehrseite, trotz der stetigen Farblosigkeit, momentan sogar noch erträglicher als dort. Hier war wenigstens überhaupt etwas zu sehen.
 

„Charlie...?“, rief er verhalten, in der Hoffnung, die Schlange würde ihn hören und ihm irgendein Zeichen geben, in welchem Raum sie sich befand. Doch nichts. Es war totenstill. „Charlie, bist du hier irgendwo? Ich bin es, Alice...!“
 

„... cccchhh... hh... sssss...“
 

„Was?“ War das etwa tatsächlich eine Antwort gewesen? Nur aus welcher Richtung war sie gekommen? „Charlie?“, fragte er noch einmal, als er die schwere Kerkertür öffnete, für die er, zu seiner Erleichterung, anscheinend keinen Schlüssel benötigte – und beinahe vergaß zu atmen, als er einen Blick in die kleine Zelle erhaschte. Die Wesen... Sie waren dort drin. Die schaurigen Figuren, die ihm nur flüchtig in Floyds Albtraum aufgefallen waren. Nein, 'schaurig' war gar kein Ausdruck für die missgestalteten Dinger, die eng aneinandergedrängt vor den steinigen Wänden der Zelle lungerten und ihn aus leblosen Augenhöhlen anstarrten, so als würden sie überlegen, was sie mit ihm anstellen sollten, jetzt, da er sie gefunden hatte. Von Nahem wirkten sie noch abstoßender als beim letzten Mal, das er sie bloß verschwommen in der Spiegelung hatte sehen können. Jetzt standen sie vor ihm. Floyds Ängste schienen unterbewusst auf ihn übergegangen zu sein, eine andere Erklärung hierfür wollte ihm jedenfalls nicht einfallen. „Okay... Lasst euch nicht stören, Leute. Ich bin auch schon wieder weg. Macht's gut... und so!“
 

Mit einem lauten Knall hatte er die Tür wieder geschlossen, bevor eine der Kreaturen auch nur ein einziges Mal hätte blinzeln können – wobei er ohnehin anzweifelte, dass sie das konnten. Zum Blinzeln brauchte man, seines Wissens nach, Augenlider, und er war sich ziemlich sicher, solche nicht in deren maskenhaften Gesichtern gesehen zu haben.
 

„Wenn das so weitergeht, lasse ich mich freiwillig in einer Gummizelle einschließen“, sagte er zu sich selbst, inständig hoffend, dass er lebend wieder hier herauskommen würde. „Aber ich sollte es positiv sehen: Viel schlimmer kann es nicht mehr werden. Ich bin alleine in einem verlassenen, kalten Keller, umgeben von ein paar Freaks und Monstern, die mich im besten Fall vermutlich fressen werden, wenn ich mich nicht in Sicherheit bringe, und zweifle noch dazu an meinem Verstand, weil all dieser Horrorkram, als Krönung des Ganzen, wahrscheinlich... meiner eigenen Fantasie entstammt...! Was für ein Spaß, ich lache darüber, HAHAHA!“
 

„Alicccce...!“
 

„Charlie?! Oh, bitte sag mir, dass das keine Einbildung war...!“ Das Zischen war definitiv nicht aus dem Kerker gekommen, also brauchte er diesen Raum auch nicht genauer zu untersuchen. Wenigstens das. „Wo bist du, Charlie?“
 

„... ccchhhh bin... bssstellkammer...!“, vernahm er die Antwort, leise und sehr undeutlich, aber er vermutete stark, dass es „Ich bin in der Abstellkammer“ heißen sollte. Schnell öffnete er eine der beiden übrigen Türen, die er hier unten ausmachen konnte, und hatte offenbar Glück. Kein weiterer Freak, Geist oder sonst etwas in dieser Richtung schien sich dahinter zu verbergen. Stattdessen entdeckte er sofort Charlie, der zusammengerollt auf dem Boden lag und sich, sobald er ihn erblickte, freudig aufrichtete und zu ihm hinkroch. Alice war froh zu sehen, dass er scheinbar unversehrt war.
 

„Charlie! Ich glaub's nicht, ich habe dich wirklich gefunden!“
 

„Ichhh wusssssste, du würdessst früher oder ssspäter hierherkommen!“, zischte die Schlange, als er sich zu ihr herunterbeugte und sie sich in gewohnter Manier um die Schultern hängte. „Eigentlichhh hatte ichhh ja schhhon beim ersssten Mal, dassss du hier warssst, gehofft, du würdessst mich befreien... Aber meine Ssstimme war wohl zzzu leissse und wurde von den Frauen übertönt...“
 

„Du warst heute Morgen schon hier drin?“, hakte er nach und dachte daran, wie aufgelöst Marilyn gewesen war, als er Charlies Abwesenheit registriert hatte. „Alle haben nach dir gesucht und sich Sorgen gemacht! Was hast du überhaupt in dieser Kammer verloren?“
 

„Dasss issst... eine lange Geschhhichte. Die beiden Ritter... Ichhh bin, aufgrund einer Vorahnung, heimlichhh zzzu ihnen in den Kerker-“
 

„Ich weiß. Fish hat mir davon erzählt. Was ist danach passiert?“
 

„Oh. Nun, ichhh... wollte michhh nur für einen Moment auf der Kehrssseite verssstecken, um nach dem Rechhhten zu sssehen, und dann wieder zzzu euch zzzurückkehren“, erklärte Charlie und klang plötzlich sehr verärgert. „Diessser schhhreckliche Kerl war leider auch hier – und hat michhh kurzzzerhand eingesssperrt. Unzzzählige Male habe ichhh versssucht, die Klinke herunterzzzudrücken, aber ichhh konnte esss nichhht... und kam nichhht mehr hier rausss.“
 

„Das klingt ja wirklich schlimm“, bekundete Alice mitleidig und beherrschte sich gerade rechtzeitig, seinem Gesprächspartner den Kopf zu tätscheln. Manchmal vergaß er, dass Charlie mehr als eine gewöhnliche Schlange war und dass er das Haustier der Königin besser mit Respekt behandelte. „Also, ähm... Der Showmaster war es, der dich hier eingesperrt hat, richtig?“
 

„Er issst nichhht der Shhhowmassster. Und er issst auch nichhht Missster Priccce. Dasss sssind nichtsss weiter alsss Namen, die er sssich ausssgedacht hat, um unsss zzzu täuschhhen“, entgegnete Charlie bitter. „Ichhh fürchhhte, ssseine wahre Identität übersssteigt die Vorssstellungssskraft unssseresss Volkesss bei Weitem... Wir müssssssen ihn aufhalten, bevor esss eine Katassstrophe gibt!“
 

„Bin ganz deiner Meinung. Wir sollten keine Zeit verlieren, die anderen sind in großer Gefahr!“, stimmte er ihm zu und war bereits dabei, gemeinsam mit ihm die kleine Kammer zu verlassen, als ihm schlagartig etwas auffiel. Diese Situation... Hatte er nicht etwas Ähnliches erlebt, kurz nachdem er sich das erste Mal mit der Königin unterhalten hatte? Als sie ihm dieses Schlafmittel untergemischt hatte... „Sag mal, Charlie... Du hast doch vorhin von einer Vorahnung gesprochen. Ich habe das Gefühl, dass ich vielleicht auch so etwas hatte, allerdings in Form eines Traumes. In diesem Traum hast du zu mir gesagt, dass wir in Gefahr seien... und dann hast du mir verraten, dass du in Wirklichkeit, naja, gar keine Schlange bist. Ist das wahr?“
 

Der Ausdruck, mit dem das Tier ihn nun ansah, war schwer zu deuten, und die Tatsache, dass es nicht sofort antwortete, gab ihm gewissermaßen zu denken.
 

„Dasss werde ichhh dir ein anderesss Mal erklären, versssprochen. Aber jetzzzt issst nichhht der richhhtige Augenblick dafür, tut mir furchhhtbar leid“, erwiderte Charlie entschuldigend, und Alice bemühte sich so gut er konnte, ihm das zu glauben. Der Augenblick war sicherlich nicht gerade der Passendste, das musste er zugeben. Und den Gedanken, der ihm eben für einen winzigen Moment durch den Kopf gegangen war – den Gedanken, Charlie könnte etwas mit all dem Unheil zu tun haben – verwarf er genauso schnell wieder, wie er gekommen war. Niemals könnte jemand wie er dem Wunderland etwas Böses wollen. Oder?
 

Spinn nicht rum, Alice!, ermahnte er sich selbst und beschloss, die Sache vorerst auf sich beruhen zu lassen, während er die Treppe ins Erdgeschoss raschen Schrittes wieder hinaufstieg, die Tür öffnete – und mit einem Mal vor einem vollkommen unerwarteten Hindernis stand.
 

Eine Mauer. Eine riesige weiße Mauer.
 

„Was zum...? Was bitteschön ist das für ein schlechter Scherz?“
 

„Wie? Wasss meinsssst du?“, gab Charlie verständnislos zurück. Alice sah ihn vollends irritiert an.
 

„Ist doch klar, was ich meine... Warum ist der Durchgang zur Empfangshalle plötzlich zugemauert?!“ In der Hoffnung, es würde sich dabei wieder um eine seiner eigenwilligen Halluzinationen handeln, schlug er versuchsweise mit der flachen Hand vor die Wand, jedoch ohne jegliche Auswirkungen. Sie war genauso standhaft wie eine echte Mauer. Er konnte weder hindurchfassen noch sie auf diese Weise zum Einsturz bringen. „Sieht es für dich gerade zufällig so aus, als würde ich die Luft vermöbeln?“
 

„Exxxakt danach sssieht esss ausss, ja“, gab Charlie merklich verwirrt zur Antwort. Seufzend trat Alice ein Stück zurück, betrachtete das riesenhafte Problem eingehend und überlegte angestrengt, wodurch ein solches Hindernis sich wohl aus dem Weg räumen lassen könnte. Irgendeine Lösung musste es geben – hoffentlich.
 

„Was ist mit dir, Charlie? Kannst du nicht durch die Tür kriechen und von außen versuchen, mich irgendwie zu unterstützen?“
 

„Ssselbssstverssständlichhh“, zischte sein Partner optimistisch, ehe er sich ohne Weiteres durch eine kleine Lücke zwischen den Steinen schlängelte, die sich sofort wieder schloss, sobald er auf die andere Seite der Mauer gelangt war. „Und wie sssoll ichhh dichhh jetzzzt unterssstützzzen?“
 

Interessant. Für Charlie schien die Wand tatsächlich nicht zu existieren – zumindest schien sie ihn nicht aufhalten zu können.
 

Warum ließ er sich dann von ihr aufhalten?
 

„Ich habe genug von diesen faulen Tricks!“, sagte er entschieden, konstant die Stelle fixierend, an der eben noch ein Loch gewesen war. Jetzt war dort nichts mehr. Kein einziger Spalt. Kein einziger Schwachpunkt in der absolut dichten Barriere. „Dieses dämliche Ding steht hier nur wegen mir! Aus dem einfachen Grund, damit ich nicht zu den anderen zurück kann. Ganz genau so ist es. Aber weißt du was, Alice? Das dämliche Ding gibt es nur in deiner Einbildung! Genau wie auch die widerlichen Biester in der Zelle, die durchgedrehte Teegesellschaft von vorhin und... die falsche Herzkönigin... Es ist verdammt nochmal nicht echt!“
 

Einen Moment lang konnte er seinen Augen beinahe nicht trauen, als in einem der Ziegel, die er so starr betrachtete, unversehens ein kleiner Riss entstanden war. Seine Wahrnehmung mochte vielleicht etwas gelitten haben, aber mit absoluter Sicherheit war dort vorher kein Riss gewesen.
 

„Allesss in Ordnung mit dir?“, hörte er Charlie von der anderen Seite aus fragen. „Du sssiehssst ein wenig... besssorgnissserregend ausss.“
 

„Ja, es ist nur... Ich glaube, ich habe gerade eine Idee.“ Konnte es wirklich sein, dass die Mauer mit seinen eigenen Gedanken in Verbindung stand? „Das ist es! Wenn ich meinen Geist von der Blockade des Showmasters befreie, fängt auch die Blockade, die hier vor mir steht, langsam an zu bröckeln...!“
 

„... Bissst du sssichhher, dassss esss dir gut geht, Aliccce?“
 

„Hundertprozentig sicher. Mir geht es fantastisch!“, antwortete er etwas lauter. „Außerdem gibt es noch etwas, dessen ich mir jetzt sicher bin. Und zwar, dass ich nicht verrückt bin, egal, was dieser Showmaster mir weismachen will! Er ist verantwortlich für all die Albträume, er und niemand sonst! Aber das spielt keine Rolle, denn es gibt keinen Grund dazu, sich von etwas in die Flucht schlagen zu lassen, das nicht einmal da ist. Weder die vielen tickenden Uhren, die das weiße Kaninchen heimgesucht haben...“, ein weiterer Stein begann zu bröckeln, „... noch die endgültige Niederlage und der anschließende Rauswurf des Weißen Ritters...“, und ein weiterer, „... noch die Tragödie um Black Beauty waren real. Nichts von all dem war real!“
 

Nach und nach bildeten sich Sprünge in jedem der Steine. Je mehr er sich selbst davon überzeugte, dass all die scheinbar unüberwindbaren Schwierigkeiten nichts als Fantasien waren, die sich in der nächsten Sekunde in Luft auflösen konnten, desto mehr Risse fraßen sich in die Mauer. Trotzdem stand sie noch – denn derjenige, der sie erschaffen hatte, war noch nicht aus dem Schneider.
 

„Floyd“, sagte er leise. Er war die wahre Ursache für diese Barriere. General Floyd. Der Einzige, der ihn selbst während seines Albtraumes hatte sehen und mit ihm sprechen können. Er war anders als die anderen... aber das musste nicht unbedingt von Nachteil sein. „Sie haben diese Wand errichtet, General Floyd. Vielleicht nicht bewusst, aber Sie sind der Grund dafür, dass sie hier steht. Das bedeutet... wir beide müssen uns jetzt darum kümmern, dass sie wieder verschwindet.“
 

Alice dachte an Gina und ihre Freunde und an das Gespött, dem der General jeden Tag durch die Kinder des Wunderlandes ausgesetzt gewesen war. Kinder. Ja, das waren sie in der Tat. Und es war allgemein bekannt, dass Kinder manchmal grausam sein konnten.
 

Er sah die Szene erneut vor sich, jedes Detail, als sei all das nicht Vergangenheit sondern noch immer präsent. Genau genommen war es das auch, schließlich schien es Floyd auch jetzt noch zu verfolgen. Alicia. Sie verfolgte ihn ebenfalls, selbst nach so langer Zeit. Wahrscheinlich trug sie mehr Schuld an seinem Dilemma als sie es sich jemals hätte eingestehen können. Sie... oder er selbst?
 

Ich bin Alicia.
 

Er war sie – oder war es zumindest einmal gewesen. Hieß das also, dass Floyd ihm gegenüber deshalb von Anfang an so misstrauisch gewesen war?
 

Aber... das ist vorbei! Was ich früher war, hat nichts mit heute zu tun...!
 

Es half nichts. Wenn sie diesen Konflikt nicht aus der Welt schafften, würde er auf ewig bestehen. Er musste mit ihm reden. Jetzt sofort. Er musste zu ihm gehen und es ihm sagen.
 

„Floyd?“
 

„E-Eure Majestät...!“
 

Ich bin sie.
 

„Haben sie dir... Schwierigkeiten gemacht?“
 

„N-Nicht der Rede wert. Sie haben s-sich ja wieder verzogen. Wie... immer.“
 

Los, sag es ihm!
 

„Sie sind... die Geister, die dir keine Ruhe lassen, nicht wahr?“
 

Das war nicht, was ich ihm sagen wollte...!
 

„G-Geister? Ihr m-meint doch nicht...Woher... wisst Ihr davon? Niemand a-außer mir sieht d-d-diese Wesen!“
 

„Das stimmt nicht. Ob du es glaubst oder nicht, ich sehe sie auch. Du und ich... wir sind nicht so unterschiedlich, wie du denkst.“
 

Stille. Sie beide standen stillschweigend im Schlossgarten, allein, umgeben von nichts als der Idylle, den Sträuchern und Blumen, die das Anwesen zierten. Floyd sah sie an, mit einem Ausdruck, der alles sagte und gleichzeitig nichts. Alicia versuchte, seinem Blick standzuhalten, obwohl sie das Bedürfnis verspürte, wegzuschauen.
 

„Seht Ihr... den blauen Himmel? Die grünen Wiesen?“, fragte er, offensichtlich darauf konzentriert, die Worte fehlerfrei herauszubringen. „Für Euch... ist es Zuhause. Heimat. Ein Paradies... stimmt's? Aber für mich... ist es... die Hölle.“
 

Jetzt war sie diejenige, die eine Weile lang betreten schwieg, weil sie mit der Wahl ihrer Worte keinen schwerwiegenden Fehler begehen wollte.
 

„... Nicht nur für dich“, antwortete sie irgendwann leise, als Floyds intensiver Blick für sie nicht länger zu ertragen war. „Weißt du... Auch ich fühle mich manchmal gefangen in der Dunkelheit, aus der ich komme. Meine Welt liegt in den Schatten. Ich bin nichts als ein Spiegelbild. Du hingegen hast wenigstens... den blauen Himmel und die grünen Wiesen...“
 

Erstaunt musterte er sie, jedoch nur kurz. Dann wandte er den Blick von ihr ab.
 

„I-Ihr... Ihr versteht... mich also? Ihr hasst... mich in Wirklichkeit... gar nicht?“
 

„Selbstverständlich tue ich das nicht. Wie könnte ich denn?“, entgegnete sie lächelnd, erleichtert, offenbar nichts Verkehrtes gesagt zu haben. „Ich habe... vieles falsch gemacht, Floyd. Wir beide... wir sind nur zwei verlorene Seelen inmitten einer großen, fremden Welt. Wir können so weitermachen wie bisher und uns Jahr für Jahr im Kreis bewegen, ohne den eigentlichen Sinn unserer Existenz herausgefunden zu haben. Aber wir könnten auch von vorne anfangen, uns besser kennenlernen und versuchen, uns mit der Welt, in der wir leben, anzufreunden. Was sagst du?“ Hoffnungsvoll reichte sie ihm eine Hand, als Geste der Versöhnung. „Es... tut mir leid.“
 

Schüchtern sah er zu ihr auf und erwiderte ihr Lächeln, erst zögerlich, doch sie erkannte, dass er es ernst meinte. Und dann nahm er ihre Hand.
 

„Ich... verzeihe Euch, Majestät“, flüsterte er kaum hörbar. Im selben Moment vernahm sie ein lautes Krachen, als die Mauer um sie herum Stein für Stein in sich zusammenfiel.
 


 

„Wassss issst losss, Aliccce?“
 

Charlies Stimme holte ihn zurück in ihre gegenwärtige Lage auf der Schwelle zwischen dem verdrehten Keller und der Empfangshalle. Die Ziegel waren verschwunden, so als wären sie nie da gewesen. Der Durchgang war frei.
 

„Ich habe es geschafft...!“
 

„Wasss geschhhafft? Habe ichhh wasss verpasssssst?“, gab Charlie fragenden Blickes zurück, als Alice eilig an ihm vorbei durch die Tür und danach auf die große Treppe zulief.
 

„Erzähle ich dir später! Komm mit, wir müssen uns beeilen...!“
 

„Besssssser wäre esss. Wir haben genug Zzzeit verloren!“, hörte er ihn hinter sich antworten, als die Schlange ihm folgte und sie gemeinsam durch Alicias Gemach und anschließend durch den Spiegel traten und die Kehrseite somit vorerst hinter sich ließen.
 

Nicht nur er hatte es geschafft... Er hatte entscheidende Hilfe von jemandem bekommen, auch wenn dieser Jemand nicht mit ihm im selben Raum gewesen war.
 

Alice öffnete die Tür zum Empfangssaal der hellen Seite des Schlosses und blinzelte überrascht, als er sah, dass es dort tatsächlich wieder hell geworden war. Und das war nicht das einzige, was er feststellte, als sein Blick in der Mitte des Saales hängenblieb, wo das Phantom ihn bereits seelenruhig erwartet zu haben schien. Allerdings war es nun nicht mehr alleine.
 

„Der Auserwählte...! Welch eine Freude, dich hier zu sehen! Oh, na sowas... Wo hast du denn die hübsche Schlange gefunden?“, rief der Showmaster ihm gespielt verwundert zu. Alice verzog angewidert das Gesicht bei dieser grenzenlosen Heuchlerei.
 

„Da können Sie drei Mal raten“, rief er, noch immer vor dem Geländer stehend, zurück. „Sagen Sie mal... Das sind doch Ihre beiden Wachhunde, die ich da neben Ihnen sehe. Mussten Sie sich Hilfe holen, weil Sie alleine nicht mehr zurechtgekommen sind?“
 

Das Phantom lachte düster.
 

„Oh nein, ganz und gar nicht“, grinste es und tauschte einen belustigten Blick mit seinen persönlichen Bodyguards – Ziggy Stardust und dem Vierten im Bunde der KISS-Truppe – aus. „Ich finde es bloß viel zu amüsant, euch lächerliche Versammlung an Möchtegern-Helden mit euren eigenen Waffen zu schlagen, um es nicht zu tun. Und was würde sich da besser anbieten, als zwei brave und ach so gute Bürger eures famosen Volkes ein wenig Arbeit für mich erledigen zu lassen? Sie tun alles, was ich sage. Und wisst ihr auch, warum sie das tun? Weil ihre angeblich so reinen Seelen schwach genug sind, sich jemandem zu unterwerfen, sobald er ihnen das Blaue vom Himmel verspricht. Die Seelen der Menschen waren schon immer schwach wie nichts anderes. Und genau deshalb seid ihr einem schrecklichen Untergang geweiht! Gebt es zu... Ihr wusstet, dass es früher oder später so kommen würde. Und ihr wollt es nicht anders!“
 

„Sie sind ja vollkommen krank, so zu reden!“, erwiderte er, fest dazu entschlossen, dem Ganzen endlich ein Ende zu setzen. „Ich weiß zwar nicht, was sie mit ihren hinterhältigen Plänen bezwecken wollen, aber ich werde alles daran setzen, zu verhindern, dass Sie meinem Volk irgendetwas antun!“
 

„... Aliccce!“, zischte Charlie leise, es klang beinahe ein wenig gerührt. Der Showmaster brach in schallendes Gelächter aus, offenbar wenig beeindruckt von seiner Entschlossenheit und der Tatsache, dass Marilyns Untergebene eindeutig in der Überzahl waren – erst recht, seit auch die Frauen wieder zur Besinnung gekommen waren.
 

„Junge! Bist du denn wirklich so verblendet?“, brachte er zwischen dem irren Gekicher hervor. „Es tut nichts zur Sache, wie viel Euphorie du und deine kleinen Freunde aufbringen, um sich gegen mich aufzulehnen. Ohne eure Königin seid ihr nichts! Da ihr ohnehin nicht den Hauch einer Chance gegen mich habt, tätet ihr besser daran, euch einfach zu ergeben. Aber weil ich auch ebenso gut wie ihr weiß, dass ihr das nicht tun werdet, nach allem, was ihr inzwischen mitbekommen habt... bleibt mir eben nur noch, euch zu vernichten!“ Mit einer Geste in Richtung seiner beiden Sklaven trat er ein paar Schritte zurück, wohl um ihnen den Vortritt zu lassen. „Los, meine treuen Diener! Habt ein bisschen Spaß mit diesen Trotteln und liefert mir eine nette Show!“
 

„Nein, das werden wir nicht“, gab der schwarzweiße Dämon zu seiner Linken unerwartet zur Antwort. Nicht nur das Phantom selbst, auch Ziggy starrte ihn fassungslos an.
 

„Was ist denn auf einmal in dich gefahren, dich unserem Meister zu widersetzen?!“, empörte er sich lautstark, was sein Partner jedoch bloß mit einem Lächeln quittierte, etwas Abstand zwischen sich und die anderen beiden brachte und schließlich zwei Mal in die Hände klatschte. Alice konnte nicht leugnen, dass es ihn ein weiteres Mal in der kurzen Zeit, seit er aus dem Spiegel zurückgekehrt war, nicht wenig überraschte, als er plötzlich nicht nur einen schwarzweißen Freak in der Halle zählte sondern gleich vier. Die Grinsekatze sowie die Zwillinge standen von einem Moment auf den anderen bei ihrem dämonischen Artgenossen und komplettierten somit das Quartett.
 

„Schön, dich wiederzusehen, Bruder!“, hörte er The Catman freudig schnurren.
 

„Wir waren lange nicht mehr vollzählig“, fügten The Starchild und The Spaceman gleichzeitig hinzu. The Demon nickte bestätigend, anscheinend ebenfalls erfreut über die Zusammenkunft mit den anderen dreien.
 

„Entschuldigt, dass ich euch so lange alleine gelassen habe... Aber ich musste meine Rolle nun mal so überzeugend spielen wie möglich“, erklärte er ruhig, ehe er sich wieder dem Showmaster zuwandte, dem er offenbar doch nicht ganz so treu ergeben war wie es zunächst den Eindruck erweckt hatte. „Sie, Sir, müssen von jetzt an wohl ohne mich klarkommen! Nun, zumindest so lange, bis wir Sie aufgehalten haben. Es versteht sich von selbst, dass wir Sie nicht mit Ihren finsteren Machenschaften durchkommen lassen werden, nehme ich an.“
 

„Was... was geht hier vor?! Du hast mich die ganze Zeit über hintergangen? Hast du mich etwa ausspioniert?“, knurrte das Phantom sichtlich wütend, während Ziggy nicht recht zu wissen schien, was er mit der Situation anfangen sollte. The Demon grinste wissend.
 

„Haben Sie wirklich geglaubt, ich würde mich so leicht manipulieren lassen? Ich bin einer der vier Schutzpatronen des Wunderlandes, falls Sie es vergessen haben!“, entgegnete er, was die anderen drei als Anlass sahen, noch dichter mit ihm zusammenzurücken. Dann deutete er auf Ziggy und wandte sich mit lauter Stimme an das gesamte Volk. „Hört zu! Mich hat er nicht manipuliert... aber ihn! Er ist kein Diener des Phantoms sondern bloß eines seiner Opfer! Erinnert ihr euch an Major Tom, der vor Langem spurlos verschwand? Er ist Major Tom! Die Wahrheit ist, dass er sich seit einer Ewigkeit versteckt gehalten hat... Und der Grund dafür ist niemand anderes als derjenige, der auch für den Rest unseres Verderbens verantwortlich ist: Der Showmaster, der seit Jahren hintergründig versucht, uns seinem Willen zu unterwerfen und die Herrschaft über unsere Welt zu erlangen!“
 

„Er ist und war auch noch niemals das, was er vorgibt zu sein“, ergänzte The Catman. „Er ist ein Meister der Illusionen, aber seine Macht reichte nicht an die unserer Königin heran. Deshalb hat er sich immer wieder in ihren Geist geschlichen und sie für seine bösen Zwecke benutzt. Er selbst ist das Böse in seiner reinsten Form!“
 

„So ist es. Ihr dürft ihm niemals trauen!“, fuhr The Demon fort. „Er ist auch der eigentliche Grund für das Verschwinden der Frauen! Unsere liebe Herzkönigin hat sie nicht aus freien Stücken entführt und eingesperrt... Sie war vom Bösen besessen, ohne es zu merken, genau wie auch Ziggy es jetzt ist. Und soll ich euch verraten, wozu ihr eingesperrt worden wart, meine Damen? Die Absicht dieses Ungetüms war es, euch nach und nach zu willenlosen Tieren zu machen und euch irgendwann, wenn ihm danach zumute gewesen wäre, auf eure Männer zu hetzen, nur um sich an dem entsetzlichen Chaos zu ergötzen, das sich unter diesen Umständen in unserer Gemeinschaft ausgebreitet hätte. Und dann, in der zerstörten Welt, die von unserem einstigen, schönen Wunderland noch übrig geblieben wäre, hätte er regiert. Mit euch, als seinen loyalen Untertaninnen, an seiner Seite... in einem gesetzlosen Reich des Grauens.“
 

„Bist du nun fertig?“
 

Gleichmütig wie eh und je stand das Phantom den Vieren gegenüber, den scheinbar aus der Versenkung zurückgekehrten Major Tom an seiner Seite, der, wie es aussah, noch damit beschäftigt war, das eben Gesagte zu verarbeiten, ignorierend, und machte keine Anstalten, den Anschuldigungen der Brüder etwas entgegenzusetzen. Um sie herum war längst das reinste Durcheinander ausgebrochen, spätestens seit die Männer und Frauen des Wunderlandes ansatzweise begriffen hatten, wie skrupellos schon von Anfang an mit ihnen gespielt wurde.
 

„... Ja. Ich denke, das bin ich“, antwortete The Demon ebenso gelassen wie sein Gegenüber – es war, als würden sie einen stillen Kampf austragen; einen Kampf darum, wer die beherrschte Fassade länger aufrechterhalten konnte. Es war nur eine Frage der Zeit.
 

„Fabelhaft. Das zarte Geschöpf, das von euch Charlie genannt wird, scheint nicht die einzige falsche Schlange zu sein, die sich hier herumtreibt“, sagte der Showmaster mit einem angedeuteten Lächeln, ehe er nun doch neben sich zu seinem verbliebenen Diener blickte. „Wie sieht es mit dir aus? Willst du mich auch hintergehen und dich dem Verband der Schwächlinge anschließen?“
 

„Nun ja... ich... Ihr versteht sicher, dass-“
 

„Geh schon! Los!“, unterbrach er den Anderen grollend, missmutig dabei zusehend, wie dieser hektisch die Fronten wechselte, und nahm mit jeder weiteren verstreichenden Sekunde immer unmenschlichere Züge an. „Ihr glaubt, ihr könntet meine Pläne vereiteln, indem ihr euch zusammenrauft und die starke Gemeinde spielt? Haha... Größenwahnsinnig seid ihr!“
 

„Kommt alle sofort her und stellt euch zu uns!“, rief die Grinsekatze mit einer Ernsthaftigkeit, die Alice noch nie bei ihr gehört hatte, an das gesamte im Saal verstreute Volk gerichtet. „Ihr müsst euch beeilen! Kommt hierher, schnell!!“
 

„Tu, wasss er ssssagt, Aliccce!“, zischte Charlie und war bereits dabei, es den anderen gleichzutun, die wie wild zu den vier Brüdern stürmten und sich mit angsterfüllten Gesichtern bei ihnen versammelten. Alice wartete nicht länger, seiner Aufforderung zu folgen, und gesellte sich so schnell er konnte zu der restlichen Bevölkerung, unsicher, was er von der seltsamen Aktion halten sollte. Doch bevor er Gelegenheit hatte, über den Sinn dieser Versammlung nachzudenken, bemerkte er den weiß glimmenden Schein, der sich wie ein riesiger Lampenschirm über ihnen formte, sich langsam manifestierte und um sie legte, während die Vier in ihrer Mitte um höchste Konzentration bemüht schienen. Wahrscheinlich handelte es sich bei dem leuchtenden Gebilde um eine Art Schutzschild, den sie mit vereinter Kraft schufen, um den drohenden Zorn des Phantoms von sich und den anderen abzuwenden – fast, als befänden sie sich mitten in der Kampf-Szene eines japanischen Action-Films.
 

„Wenn ihr hier stehen bleibt... kann er euch nichts anhaben!“, erklärte die Katze, offenbar unter großer Anstrengung. „Solange dieser Schild besteht, seid ihr sicher...!“
 

„Und wie lange könnt ihr den Schild erhalten?“, fragte Alice vorsichtig. „Ihr seht so aus, als wäre das nicht gerade ein Kinderspiel...“
 

„Keine Sorge!“, erwiderte The Starchild gekonnt beschwichtigend, wenn auch ebenfalls sichtlich angestrengt. „Lange genug, um uns zu überlegen... wie wir aus dieser verzwickten Sache wieder herauskommen.“
 

„Gut, aber was, wenn uns nicht einfällt, wie wir da wieder rauskommen?“, brachte sich nun auch eine der Frauen in die Konversation ein und sprach damit genau das aus, was Alice eine Sekunde zuvor beinahe im selben Wortlaut durch den Kopf gegangen war. Der Showmaster, dessen äußere Erscheinung inzwischen so gut wie nichts mehr mit seinem vorherigen Aussehen gemeinsam hatte, grinste, während er sich dem beeindruckenden Lichtschirm näherte und seine Arme hob – die gleiche Geste, die Alice bei ihm hatte beobachten können, als er die albtraumhaften Illusionen bei ihnen hervorgerufen hatte.
 

„Ihr habt eine Kleinigkeit nicht bedacht“, sagte er mit einer Stimme, die jeden von ihnen auf der Stelle zusammenfahren ließ, und lachte voll gehässiger Freude, als nicht nur erneut das Licht des Kronleuchters erlosch, sondern auch das Leuchten des Schutzschirms mit einem Mal verblasste. „Vor euren eigenen Ängsten kann auch der größte Schild euch nicht beschützen, ihr Narren!“
 

Damit zerbrach das gesamte Schloss in seine Einzelteile, zerfiel zu Staub, sengend und qualmend, bis nichts mehr zurückblieb als brennende Trümmer, Schutt und Asche.
 

Rauch vernebelte seine Sicht, als er Schreie hörte. Es war heiß. Auf einen Schlag war es so extrem heiß geworden, dass selbst die Temperatur am sonnigsten Tag auf einer tropischen Insel nicht entfernt hätte mithalten können.
 

Alice versuchte, den Rauch zu vertreiben und zwischen den grauen Schwaden etwas zu erkennen. Allerdings war das, was sich ihm offenbarte, als seine Sicht zunehmend klarer wurde, dermaßen schockierend, dass er für den Moment nichts tun konnte, außer starr inmitten des Schlachtfeldes zu stehen und die Ruinen zu betrachten, die unglaublicherweise kurz zuvor noch das Schloss der Herzkönigin gewesen waren.
 

Das Dach war abgerissen. Doch diese Tatsache an sich war nicht einmal das eigentliche Übel an seiner Feststellung – wesentlich beängstigender war der Anblick des Himmels, der trüb und bedrohlich über ihnen hing, so als würde er jeden Augenblick auf sie hinabstürzen, durchzogen von dicken schwarzen Wolken, die jedoch nur Teile des bräunlich-orange glühenden Firmaments verdecken konnten. Es sah aus, als sei nicht weit von ihnen ein Vulkan ausgebrochen. Nein, schlimmer als das – der Ausblick nahm vielmehr apokalyptische Ausmaße an, je länger er sich in der verwüsteten Gegend umschaute.
 

Vereinzelt entdeckte er Personen zwischen den Trümmern. Wache Nummer Zwei und das weiße Kaninchen waren irgendwo dort, wo, seiner Erinnerung zufolge, einmal das Schlosstor gewesen war, doch kamen nicht mehr vom Fleck, da die kahlen Äste einer merkwürdigen Pflanze, die aus den breiten Rissen im Boden wuchs, sich verselbstständigt und um ihre Arme geschlungen hatten. Eine der Frauen, die er auf die Entfernung nicht zuordnen konnte, kam ihnen zur Hilfe, wurde jedoch selbst bei dem Versuch, die beiden zu befreien, von der Pflanze in Beschlag genommen. Die anderen waren überall verteilt in der bedrückenden Landschaft und rannten panisch umher, auf der vergeblichen Suche nach einem Ausweg, den es nirgends weit und breit gab. Irgendwoher wusste er, dass dieser Albtraum ausnahmsweise vollkommen ausweglos war.
 

Nein! Aufgeben kommt nicht in Frage!
 

Es musste einen Weg geben. So schwer dieser möglicherweise auch zu finden war, aber es musste einfach einen geben. Es war immer noch bloß eine Illusion... oder?
 

„Richtig...! Es ist eine Illusion, nicht anders als die von vorher, die ich mir nacheinander angesehen habe. Mit dem einzigen Unterschied, dass... wir uns diese hier teilen.“
 

Er durfte sich von etwas, das nicht einmal real war, nicht aus dem Konzept bringen lassen, schon gar nicht jetzt. Wenn er es auf der Kehrseite geschafft hatte, all den hinterlistigen Fallen und Hindernissen zu trotzen, dann konnte er es auch hier!
 

Alice ging in Richtung des nicht mehr vorhandenen Schlosstores, um Charlie ausfindig zu machen, den er in dem Gedränge bedauerlicherweise schon wieder verloren hatte – zumindest war das sein Vorhaben gewesen. Leider musste er genauso schnell, wie er den Entschluss gefasst hatte, einsehen, dass er nicht weit kam, als unmittelbar vor ihm eine breite Flammenwand auftauchte, die ihm den Weg versperrte und noch dazu eine verfluchte Hitze ausstrahlte. Die plötzlich erschienene Mauer im Keller war für seinen Geschmack rätselhaft genug gewesen. Aber sie hatte wenigstens nicht gebrannt.
 

„Das kann ja wohl nicht wahr sein...!“, murmelte er und erinnerte sich dann daran, dass es das tatsächlich nicht war. Trotzdem konnte er die Hitze spüren, als seien die Flammen wirklich da; als sei all das mehr als eine bloße Illusion, die sich in seinen Gedanken abspielte. Er drehte sich um, bereits in Erwartung der nächsten unfairen Intrige, die ihn daran hindern würde, auch nur irgendetwas auszurichten. Und er behielt Recht.
 

„Na? Wo wollen wir denn hin, Eure Majestät?“
 

Er war es. Der Showmaster – oder eher das, was von ihm übrig geblieben war. Seine Erscheinung glich nun mehr einem Monster als einem simplen Phantom; die Wesen im Kerker waren nichts als ein Witz gegen ihn. Es war furchteinflößender als alles, was er bisher gesehen hatte.
 

„Wo ist denn auf einmal Eure vorbildliche Entschlossenheit hin? Ich dachte, Ihr wolltet alles daran setzen, Euer Volk zu beschützen?“
 

Alice trat reflexartig einen Schritt zurück, als die Gestalt, die beinahe eins mit den Flammen zu sein schien, immer näher kam. Gefährlich nahe.
 

„Das will ich auch immer noch...!“, erwiderte er eindeutig nicht überzeugend genug, während er dem Monster vor sich wie automatisch zu entkommen versuchte, einen langsamen Schritt nach dem anderen rückwärts ging, um nicht mit der feurigen Präsenz seines Gegenübers in Kontakt zu geraten – und im nächsten Moment derart ungünstig über eine Unebenheit in dem viel zu brüchigen Boden stolperte, dass er sich unversehens auf selbigem wiederfand, so ausgeliefert wie man seinem Verfolger in einem bösen Albtraum nur eben sein konnte.
 

Jetzt habe ich ein Problem, dachte er, als er in die siegessicheren schwarzen Augen des einstigen Showmasters blickte, der sich so schnell auf seine Höhe begeben und ihn gepackt hatte, dass es unmöglich gewesen war, ihm noch in irgendeiner Weise auszuweichen.
 

„Es sieht schlecht für uns aus, nicht wahr... Majestät?“
 

Ganz ruhig, sagte er sich. Es muss einen Haken geben.
 

Irgendwo gab es einen Defekt, einen Fehler in den Berechnungen des Feindes, so wie es ihn auch zuvor gegeben hatte, als dessen Hetzrede gegen die Königin trotz des anfänglichen Erfolges letztlich fehlgeschlagen war.
 

„Ist es nicht traurig, wenn man sich seine Niederlage eingestehen muss?“
 

Jemand lief an ihnen vorbei. Alice bemühte sich, einen möglichst unauffälligen Blick auf die Person zu erhaschen. Und er erkannte sie. General Floyd.
 

„Ihr habt mich kürzlich gefragt, wie ich ein solcher Unmensch sein kann...“
 

Er stand vor ihnen, nur wenige Meter entfernt. Floyd. Und er sah zu ihm hinunter. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm.
 

„... aber ich habe niemals behauptet, ein Mensch zu sein... großer Auserwählter.“
 

Wollte er ihm etwas sagen? Er konnte ihn nicht verstehen... Wollte Floyd ihm etwas mitteilen?
 

„Ich werde Euch eliminieren, Majestät, Euch ein für allemal aus dem Weg räumen...“
 

Jetzt sah er zur Seite; wohin genau, konnte Alice nicht sagen. Floyd schaute einfach nur wie gebannt zur Seite. Vielleicht zu einem der offenen Räume, die in dieser Richtung lagen.
 

„... so wie ich es auch mit Alicia getan habe!“
 

Er ging fort. Er ging in den offenen Raum, den er eben fixiert hatte, und ließ ihn allein. Nur gedämpft nahm Alice die Worte wahr, die Worte des Monsters, das ihn zwischen den lodernden Flammen gefangen hielt. Mit jedem Wort, das es aussprach, schien die grauenvolle Hitze weiter zuzunehmen.
 

„Doch vorher wirst du, nein, werdet ihr alle in eurer persönlichen Hölle schmoren... so wie auch ich es eine Ewigkeit lang tun musste!“
 

Warum hatte er die anderen nicht beschützen können? War es nicht seine Aufgabe gewesen, das zu tun?
 

„Niemand von euch weiß, wie es ist, eine Unendlichkeit im Nirvana zu verbringen! Gestraft zu sein mit nichts... als der Leere!“
 

Die Leere...? Redete er von der Klippe, die sich inzwischen wahrscheinlich auch Marilyn hinuntergestürzt hatte?
 

Marilyn... Was hätte er an seiner Stelle wohl getan? Beinahe glaubte er, ihn vor sich zu sehen. Wie er schleichend auf ihn zukam, irgendeinen glänzenden Gegenstand in der Hand haltend, und sich dem Monster unbemerkt von hinten näherte.
 

„Wer von euch feigen Würmern war es, der mich ihr hinterhergeschickt hat?“
 

Noch immer wusste er nicht, wovon es sprach. Hinterhergeschickt? Marilyn wirkte nicht weniger perplex, wenn nicht sogar entsetzt, als er seinen Gegenstand – einen Eiszapfen – fester umschloss und noch einen letzten Schritt näher an die flammende Gestalt herantrat. Floyd stand neben ihm. Eigentlich schienen sie viel zu real, um seiner Einbildung zu entstammen... aber das musste täuschen.
 

Alice schloss die Augen und rechnete damit, niemanden mehr dort zu sehen, wenn er sie wieder öffnete. Allerdings hatte er sich geirrt. Sie waren immer noch da, genauso lebendig wie zuvor.
 

„Egal, wer es war... Ich werde Rache nehmen, schreckliche Rache, und du, mein Junge, wirst als Erstes büßen!“
 

Mit einem Mal wurde ihm klar, dass es keine Wahnvorstellung war. Marilyn, der sich nur knapp außerhalb seiner Reichweite befand – er war echt! Er stand wirklich dort, neben Floyd und hinter der Kreatur, die offenbar im Begriff war, zum endgültigen Gnadenstoß auszuholen, und vollführte bedächtig, ohne einen Hauch von Skrupel in seinen Augen, genau dieselbe Bewegung, fast synchron, mit dem auf den glühenden Rücken vor sich gerichteten Eiszapfen in seiner Hand.
 

„Richte der Königin meine Grüße aus!“, schrie die Bestie, markerschütternd wie das Grollen eines Gewitters, und ließ ihre brennende Klaue schwungvoll hinabsinken. Im selben Atemzug bohrte sich die eisige Spitze seines Nicht-Geburtstags-Geschenks, das Marilyn für ihn aufbewahrt hatte, durch die Flammen, teilte sie in der Mitte und schmolz anschließend mit rapider Geschwindigkeit zu einer rauchenden Pfütze, umgeben von dicken grauen Schwaden, die vorbeizogen wie ein letztes Zeichen des Kampfes, den sie bestritten hatten. Und kurz darauf... war alles kalt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Sky-
2016-08-02T20:54:31+00:00 02.08.2016 22:54
Ich glaube, wir haben jetzt den Punkt erreicht wo aus „Alice im Wunderland“ endgültig „Alice im Horrorkabinett“ geworden ist. Alter Schwede die Kehrseite hat es ja echt in sich. Der Hutmacher quasselt so konfus wie sonst aber der Märzhase… dieser gemeingefährliche Psychohase hat Fish gefressen?! Seit wann sind Hasen denn unter die Fleischfresser gegangen? Wobei ich mich ja echt frage, ob es sich bei dem Märzhasen jetzt nur um ein tollwütiges fleischfressendes Häschen handelt, oder um einen durchgedrehten Kannibalen. Bei den Tieren des Wunderlandes bin ich mir ja nie sicher, ob es wirklich Tiere sind, oder Leute die sich gerne verkleiden XD

Die Buffalo Bill Anspielung war klasse, wobei ich aber eher glaube, dass es schon den Märzhasen und den Hutmacher zusammen braucht, um Hannibal Lecter Konkurrenz zu machen. Dazu braucht es den scheinbar mordlustigen Wahnsinn des Hasen und das konfuse Psychogerede des Hutmachers.

Trotz dieser Horrorszenen hat sich Alice ja erstaunlich tapfer gehalten. Besonders seine Reaktion auf die Gestalten in der Zelle war einfach zum Schießen. Diese Reaktion habe ich immer, wenn ich irgendjemanden in einer äußerst peinlichen Situation erwische. Und bei meinem Pech passiert mir das öfter als mir lieb ist.

Und jetzt fügt sich langsam alles zusammen. Alicia wurde also tatsächlich vom Showmaster umgebracht und nachdem Marilyn durch diesen Verlust angreifbar wurde, war das die perfekte Gelegenheit für das Phantom, um ihn zu manipulieren. Das erklärt die starken Gefühlsschwankungen bei ihm und wieso er sich so widersprüchlich verhält. Also ist er doch nicht schwanger? Naja, hätte ja mal sein können XD

Und endlich kommt der mysteriöse Eiszapfen endlich zum Einsatz. Ich hatte mich nur schwach an ihn erinnert, weil ich mir dachte „Was zum Teufel soll der Scheiß eigentlich?“ aber dass ein so überflüssiger und unscheinbarer Gegenstand plötzlich in so einer Situation zum Einsatz kommt, das ist wirklich clever durchdacht. Irgendwo hatte ich mal einen Film gesehen gehabt, wo jemand einen scheinbar völlig nutzlosen Gegenstand bekommen hat und dieser ihm später das Leben gerettet hat. Leider kann ich mich nicht mehr daran erinnern, welcher das war. >.<“

Antwort von:  Drachenprinz
03.08.2016 01:05
Haha, ja, ich mag es, hin und wieder Horrorelemente in meine Geschichten einzustreuen. xD
Was die Tiere des Wunderlandes angeht (also Mick Jagger oder die Grinsekatze), sind es halt eher Menschen, denen aber Tiermerkmale wachsen. Wie bei einem Catboy oder so. ^^ Verkleidungen sind das also nicht (außer im Prolog, wo Mick Jagger nur ein Hasenkostüm an hatte... allerdings befand er sich da ja auch noch nicht im Wunderland, vielleicht tritt dieses Phänomen in der anderen Welt außer Kraft?)

Du hast Recht, der Märzhase und der Hutmacher miteinander fusioniert würden sowas wie Hannibal Lecter ergeben, wenn man so will. :D Wow, krass. Jetzt weiß ich, wie Hannibal Lecter entstand. Er kam ursprünglich aus dem Wunderland. *lol*

Ich kann mir die Reaktion gut vorstellen in so einer Situation, wie du es beschreibst. XD

Jaaa, so langsam aber sicher klärt sich alles auf. Eine Erleichterung, was? Marilyn ist doch nicht schwanger. :D (Selbst unter der Voraussetzung, dass das funktionieren würde, frage ich mich gerade, wer ihn denn hätte schwängern sollen... Der Showmaster? D: Hilfe!) Aber hätte ja immer mal sein können. XD

Hehe, yo, der Eiszapfen. Ich glaube, als der im zweiten Kapitel das erste Mal vorkam, hatte ich mir noch nichts weiter dabei gedacht, aber dann hatte ich irgendwie auch schon ziemlich schnell beschlossen, den irgendwann nochmal wichtig werden zu lassen. Ich finde es auch cool, wenn irgendwas zunächst keinen Sinn zu machen scheint, aber irgendwann doch noch eine Bedeutung bekommt. xD

Danke wieder für deinen tollen Kommentar! Jetzt hast du es ja fast geschafft mit der FF. ^^


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