Zum Inhalt der Seite

Hurricane Chronicles

Wie Blätter im Wind || im Sturm der Zeit
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Zweifel

Als ich aufwachte, war das Erste, das ich spürte, ein Widerstand an meinem Handgelenk. Irritiert schlug ich die Augen auf und sah Sasukes Kopf nicht weit von meinem liegen. Als ich zu meiner Hand hinabblickte, sah ich, dass es seine war, die sie festhielt.

Ich atmete tief ein, schaute mich im Raum um, erkannte das Krankenhaus Konohas, in dem ich nicht zum ersten Mal lag. Als ein Schmerz meine Brust durchfuhr, kamen plötzlich die Erinnerungen zurück. Die Ruinen, Sasuke, der einen Arm um mich legte, unsere Flucht vor Sai – vor allen –, die Aufklärung des Missverständnisses, Orochimarus Auftauchen, der Kampf im Wald und Sasukes Verzweiflung, als ich am Boden lag und meinen Körper nicht mehr wirklich spüren konnte. Doch jetzt war es vorbei. Mein Körper war wieder da. Und Sasuke bei mir.

Ich atmete erleichtert ein, spürte an einem gewissen Punkt den Schmerz in meiner Brust und erinnerte mich wieder daran, wie entsetzt Orochimaru mich angestarrt hatte, als er seine linke Gesichtshälfte nicht mehr hatte spüren können. Ich fürchtete, ich würde diesen Anblick nicht mehr vergessen. Seine hervorstehenden Augen, diese bizarre Unförmigkeit seines Schädels – ein Zustand, den er sogar überlebt hatte, wie es schien. Ich hatte Sasukes Bewegungen nicht wirklich folgen können, als ich am Boden gelegen hatte und nur noch die Wunde in meiner Brust hatte spüren können. Ich hatte es nur gehört, dass er einen Wutschrei ausgestoßen hatte, während er auf Orochimaru zugestürmt war. Von seinem Gegner hatte ich nicht mehr gehört als ein gedämpftes Jaulen, als käme es aus einem geschlossenen Mund. Ich hatte mir nicht die Mühe gemacht nachzusehen. Ich hatte erst zur Seite geschaut, als Sasuke wieder zu mir zurückgekommen war. Und an diesem Punkt hatte ich gewusst, dass Orochimaru nicht mehr existierte. Ich hatte nichts mehr von seinem Chakra spüren können. Ich war übergelaufen vor Stolz. So gerne wäre ich Sasuke in die Arme gefallen. So gerne hätte ich ihn geküsst, doch alles, was er im Sinn gehabt zu haben schien, war, mich von diesem Ort fortzubringen. Und ich hatte keine Kraft gehabt, um mich zu widersetzen.

Das Nächste, was ich gespürt hatte, war die Wärme von Sakuras Händen. Ich hatte es spüren können, dass sie etwas in meiner Brust veränderte; es hatte sich so seltsam angefühlt. Dann hatte ich Sasukes Hände an meinem Kopf gespürt und die Augen aufgeschlagen. Ich war zuversichtlich gewesen, dass die beiden mich retten würden. Schließlich war Team 7 in diesem Moment wieder vereint gewesen. Und wir hatten bisher noch jede Mission erfolgreich abgeschlossen.

Etwas regte sich neben mir. Verspätet begriff ich, dass ich Sasukes Hand in meiner sanft gedrückt und ihn somit aufgeweckt hatte. Er hob den Kopf und blickte mich mit tiefen Schatten unter den Augen verschlafen an. Im nächsten Augenblick weiteten sie sich und schauten mich hellwach an. „Naruto!“, sagte er heiser und wollte einen Satz nach vorne machen, doch stoppte sich wieder. Die Bettkante war dazwischen und hielt ihn davon ab. Er saß auf einem Stuhl neben meinem Bett. Ob er das schon lange tat?

„Sasuke“, sagte ich schwach und bemerkte, dass ich nicht weniger heiser war. Ich fragte mich, wie lange ich bewusstlos gewesen war. Und ob Sasuke all die Zeit hier an meinem Bett gesessen hatte.

„Naruto“, sagte er nur ein weiteres Mal und drückte meine Hand mit seinen beiden Händen. Ihm fehlten scheinbar ebenso die Worte wie mir. Deshalb zog ich an einem seiner Handgelenke – ich sah es zu spät, dass sie übersät waren mit blauen Flecken –, zog ihn näher, weil ich selbst noch zu schwach war, um mich aufzurichten. Er stand vom Stuhl auf, als hätte er seit Tagen darauf gewartet, das tun zu dürfen, und warf sich mir auf die Brust.

Ich unterdrückte einen Schmerzenslaut, doch er hörte ihn trotzdem und reagierte sofort, schreckte zurück und entschuldigte sich, wieder und wieder. Ich schüttelte den Kopf, hob meine Hand und griff nach seinem Oberarm, zog ihn zu mir zurück. Dann, als ich ihn erreichen konnte, legte ich sie an seinen Rücken und presste ihn zu mir hinunter – aber sanft, sodass es mir nicht wehtat. Ich strich ein paar Male über seinen Rücken, bevor ich zu seinem Hinterkopf wanderte und dort durch seine Haare fuhr. Es war fast wieder wie an dem Abend, bevor er Konoha verlassen hatte. Nur hatten wir die Positionen getauscht, mein Körper fühlte sich erschöpft und seltsam fremd an, die Stimmung war eine ganz andere, es war taghell im Raum – und es waren zweieinhalb Jahre vergangen.

„Sasuke“, flüsterte ich und jetzt hob sich sein Kopf unter meiner Hand, er schaute mich erwartungsvoll an. „Ich habe gedacht, wir würden nie wieder zusammen in Konoha sein.“

Er schüttelte den Kopf. „Ich auch nicht“, sagte er leise, als hätte er Angst, es würde uns jemand belauschen, der das noch wahrmachen könnte. Er griff nach meiner Hand, die kraftlos auf der Matratze lag, und verschränkte unsere Finger miteinander.

„Ich bin so glücklich“, sagte ich mit geschlossenen Augen und kostete dieses warme Gefühl in mir aus.

„Ich habe dich so vermisst“, flüsterte Sasuke plötzlich und verstärkte dieses Glücksgefühl in mir noch. „Immer wieder habe ich mit dem Gedanken gespielt, hierher zurückzukommen, doch ich dachte, niemand würde mich zurückhaben wollen.“

Ich schnaubte, bereute es sofort, denn es spannte ein paar Muskeln zu viel an. „Ich bin dir doch gleich hinterher, nachdem du verschwunden bist“, argumentierte ich leise, weshalb es seine Wirkung verfehlte. „Ich wollte dich sofort wieder zurückholen. Und ich habe es nicht nur mit Worten sondern auch mit Gewalt versucht. Aber du wolltest einfach nicht hören.“

„Nein“, gab er zu und senkte den Blick. „Es tut mir so leid. Ich habe es nicht geglaubt, dass du mich wirklich zurückholen willst. Nicht nach dem, was du zu mir gesagt hast.“ Er schüttelte den Kopf. „Was ich dachte, was du zu mir gesagt hast. Aber es war nur ein Genjutsu. Es war zum Glück nur ein Genjutsu.“

Oi“, sagte ich sanft und strich ihm wieder durchs Haar. „Alles, was zählt, ist, dass du zurückgekommen bist.“

„Aber–“, begann er, doch ich ließ ihn nicht ausreden.

„Und du hast Orochimaru besiegt“, ließ ich ihn wissen.

„Aber nur mit deiner Hilfe“, warf er ein.

„Das ist doch völlig egal, dattebayo!“, wies ich ihn milde zurecht.

„Das Schlimmste daran ist, dass das sowieso nichts zählt“, sagte er niedergeschlagen. „Für die Dorfbewohner bin und bleibe ich ein Verräter. Ihr Vertrauen habe ich definitiv verloren.“ Er mied meinen Blick. Es sah aus, als schämte er sich dafür.

„Dann holen wir es uns eben zurück, dattebayo!“, beschloss ich simpel, doch Sasuke schaute mich an, als hätte ich eine Offenbarung ausgesprochen. „Holen wir uns die Anerkennung, die wir verdient haben.“

„Du bist so…“, sagte er, noch auf der Suche nach Worten, und endete schließlich: „…schrecklich optimistisch, Dobe.“ Ich lächelte ihn schwach an. „Für dich gibt es einfach keine Hindernisse auf dieser Welt.“ Er drückte sanft meine Hand. „Wenn du von Akatsuki hinters Licht geführt worden wärst, hättest du dich trotzdem nicht fortlocken lassen. Du wärst geblieben und hättest alles getan, um mich umzustimmen.“ Er lachte auf. „Du hättest mich angeschrien, wie unfair es von mir wäre, so mit deinen Gefühlen zu spielen. Du wärst mir und Sakura sicherlich nachgegangen und hättest eine Schlägerei mit mir angefangen. Aber niemals hättest du Konoha verlassen.“

„Ja, wahrscheinlich schon“, gab ich mit einem Grinsen zu. „Aber ich kann Konoha auch nicht verlassen; ich will schließlich Hokage werden.“

Jetzt schnaubte er ein Lachen, während er den Kopf schüttelte. „Usuratonkachi.“ Er schaute mir mit lächelnden und gleichzeitig vor Nässe glänzenden Augen ins Gesicht. Ich nahm die Hand von seinem Rücken und legte sie an seine Wange. Bei der Berührung löste sich sein Lächeln plötzlich auf. Er schaute mich erstaunt an, ließ seine Augen mein Gesicht absuchen, als suchte er den Grund für mein Handeln. Oder die Erlaubnis, etwas Ähnliches zu tun.

Er stemmte sich ein Stück höher, entzog sich meiner Hand, rutschte mit seinem Körper weiter zum Kopfende des Bettes hinauf und lehnte sich zu mir hinunter. Er zögerte, als wartete er wirklich noch auf eine Erlaubnis. Ich gab sie ihm wortlos, indem ich meine Hand, die noch in der Luft schwebte, an seinen Hals legte.

Er ließ seinen Kopf zu mir hinabsinken, ich wollte ihm entgegenkommen, doch ich fand nicht die Kraft dazu; mein Rücken schien am Bett festgenagelt zu sein. Deshalb drückte ich ihn zu mir herunter, half ihm, seine Lippen gegen meine zu pressen. Er keuchte, kurz bevor sich unsere Lippen trafen. Ich keuchte, nachdem sie sich ein Stück voneinander gelöst hatten, und zwang ihn daraufhin sofort wieder tiefer. Ich ließ seine Hand los, die meine noch immer verschränkt hielt, um sie dazu benutzen zu können, auch seinen Körper zu mir hinunterzudrücken. Ich wollte ihn an mir spüren, auch wenn es wehtat.

Nachdem ich seine Hand losgelassen hatte, stützte er sich nun auf beiden Ellenbogen ab, rückte damit weiter zu mir hinauf und legte die Finger seiner einen Hand an meinen Hals, fuhr mit ihnen hinter mein Ohr in meine Haare, und mit der anderen unter mir hindurch hinter mein Schulterblatt, drückte mich zu ihm hinauf, ihm entgegen. Es störte mich nicht, dass es schmerzte. Und er wusste nicht, dass es so war, denn er dachte, ich keuchte weiterhin nur wegen seinen Küssen.

„Naruto“, flüsterte er und wirkte beinahe verzweifelt, wie er mich dabei küsste und berührte. Er schien meinen Körper abfahren zu wollen, doch nicht den Raum dazu zu haben. Ich konnte die Position meines Körpers fast gar nicht verändern unter ihm, doch immerhin konnte ich meine Arme frei bewegen. Und ich benutzte sie, zerrte die Bettdecke zur Seite und ersetzte sie durch Sasuke, zog ihn noch weiter in die Mitte des Krankenbetts, bis auch seine Beine über meinen lagen. Ein Knie musste sich zwangsläufig zwischen meinen Beinen abstützen. Leider lag dort noch ein Stück Bettdecke, die uns voneinander trennte. Ich wollte sie wegziehen, doch meine Hände wollten ihre Positionen an seinem Körper nicht mehr aufgeben, konnten ihre Erkundungstour nicht unterbrechen, konnten sich dem Drang nicht widersetzen. Sasuke selbst war es, der schließlich die Decke mit einem Fuß auf umständliche Weise zur Seite trat. Ich küsste ihn nur noch intensiver dafür.

„Sasuke“, keuchte ich und suchte einen Weg unter sein Shirt. Ich wollte seine Haut an mir spüren.

„Naruto“, hörte ich eine zaghafte Stimme sagen. Ich war einen Moment verwirrt. Dann folgte das Klopfen an der Tür und brachte mich schlagartig zurück in das Krankenzimmer. Ein Zimmer, von dem die Tür nicht abgeschlossen sein würde. Ein Zimmer, das jederzeit jemand betreten konnte.

Sasuke schaute mich ebenso schockiert an, wie ich ihn wahrscheinlich gerade ansah. Dann sprang er vom Bett, zog dabei mit einer Hand die Bettdecke wieder über mich und setzte sich zurück auf den Stuhl neben dem Bett. Als sich die Tür des Krankenzimmers öffnete, verriet nichts, was wir bis eben getan hatten, außer mein schnelles Atmen, das meine Brust rasch hob und senkte. Sasuke hatte es irgendwie geschafft, dass man ihm nichts ansah, wenn man nicht genau wusste, dass man auf seine stark pulsierende Halsschlagader achten musste.

„Naruto?“, sagte Sakura noch einmal unsicher, bevor sie eintrat. Sie wunderte sich wohl, warum man sie nicht hereingebeten hatte, wenn wir doch – scheinbar nichts tuend – hier saßen und sie hätten hören müssen. Doch das Keuchen war zu laut gewesen in unseren Ohren. Und die restliche Zeit zu kurz.

„Sakura-chan!“, sagte ich etwas übertrieben fröhlich, was nicht ganz einfach war, so sehr wie ich außer Atem war. „Was machst du denn hier?“ Ich hatte das Gefühl, Sasuke wollte sich gerade gerne gegen die Stirn schlagen.

„Ich wollte sehen, wie es dir geht“, sagte sie und kam zögerlich näher, trat auf die andere Seite des Bettes, auf der ebenfalls ein Stuhl stand, wie ich jetzt bemerkte. Sie rückte ihn näher heran und setzte sich, schaute kurz zu Sasuke herüber und dann wieder zu mir. Sofort fragte ich mich, ob die beiden schon miteinander gesprochen hatten. Was Sasuke ihr erzählt hatte. „Seit wann bist du wach? Hast du noch starke Schmerzen?“ Sie musste glauben, dass ich deshalb so schwer atmete. „Du bist so rot im Gesicht, hast du Fieber?“

Ich warf einen Blick zu Sasuke, als wüsste ich die Antworten nicht selbst, als könnte er ihr besser Auskunft geben. „Erst seit ein paar Minuten“, sagte ich schließlich, meine Augen wieder auf Sakura gerichtet. „…bin ich wach“, vervollständigte ich, damit keine Missverständnisse aufkamen. Auch wenn ich sowohl die Schmerzen als auch diese fiebrige Hitze ebenso erst spürte, seit ich vor ein paar Minuten aufgewacht war. „Und die Schmerzen halten sich in Grenzen.“ Ich wünschte mir so sehr, Sakura würde einfach wieder gehen. Ich wünschte mir, sie wäre nie hereingekommen.

„Jetzt, wo du wach bist, wird es in deinem Fall wahrscheinlich sogar schneller heilen“, erklärte sie lächelnd. „Aber ich werde trotzdem noch einmal eine Salbe auftragen, wenn wir den Verband wech–“

„Wann kann ich aus dem Krankenhaus?“, fragte ich unvermittelt. Ich konnte nicht anders, als daran zu denken, was Sasuke und ich tun könnten – ungestört –, wenn wir bei mir oder bei ihm zu Hause waren. In einem Zimmer, dessen Türen man verriegeln konnte.

Sakura hob überrascht ihre Augenbrauen. „Ich bin mir nicht sicher“, meinte sie dann und schaute sich im Raum um, als könnte die Antwort hier irgendwo herumliegen. „Aber solange die Wunde nicht verheilt ist, bleibst du liegen und schonst dich!“, befahl sie mir.

Ich setzte mich unter Qualen auf. Jede Bewegung meines Oberkörpers schmerzte, als würde Orochimaru sein Schwert noch einmal hineinbohren. Ich hörte Sakura scharf einatmen. „Naruto!“, warnte mich jedoch Sasukes Stimme und mit einem Mal war er vom Stuhl aufgestanden und hatte seine Hände an meine Schultern gelegt. „Bleib liegen“, sagte er leise, seine Augen blickten direkt in meine. Sein Blick war so intensiv, dass ich nicht einmal darüber nachdachte, mich zu widersetzen. Langsam ließ ich mich zurück in die Kissen sinken. Sasuke nahm seine Hände zurück und setzte sich fast ebenso langsam wieder, als erwartete er, ich würde es jeden Moment wieder tun. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Sakura zwischen Sasuke und mir hin und her schaute. Ich wandte mich wieder ihr zu und meinte: „Wo ist diese Salbe?“

„Sie liegt hier“, sagte Sakura und zeigte neben sich auf den Nachttisch. „Wenn du willst, kann ich dir den Verband jetzt wechseln.“

„Ja, das wäre toll“, sagte ich und hoffte, dass diese Salbe Wunder wirkte. Ich wollte hier raus, aus diesem Krankenhaus, diesem öffentlichen Gefängnis ohne Privatsphäre.

Sakura stand vom Stuhl auf und ging zu dem Schrank hinter ihr. Sie öffnete mit einem kleinen Schlüssel eine Tür und nahm einen Arzneikoffer heraus. Ich schaute währenddessen zu Sasuke herüber. Ich wollte seine Hand nehmen und etwas sagen, das ein Lächeln auf seine Lippen zaubern würde. Er war so still und ernst, seine Augen auf den Boden gerichtet. Wenn Sakura in dem Moment nicht ans Bett zurückgetreten wäre, hätte ich meine Hand nach ihm ausgestreckt.

Sakura stellte den Koffer auf dem Nachttisch ab, öffnete ihn und nahm eine Schere heraus. Dann schlug sie die Bettdecke zurück und sagte: „Nimm die Arme über den Kopf. Und dann schön stillhalten.“ Sie schnitt den Verband an meiner Taille entlang auf und klappte ihn dann zur Seite, enthüllte eine noch nicht verheilte Fleischwunde. Es war kein schöner Anblick. Ich schaute zu Sasuke herüber und sah, wie er die Augen abwandte, als schämte er sich dafür. Als fühlte er sich schuldig.

„Sasuke-kun?“, sprach Sakura ihn plötzlich an, was ich gerade hatte tun wollen. „Kannst du Naruto aufsetzen und ihn aufrecht halten?“

„Ja“, antwortete er etwas verzögert. „Natürlich.“ Er stand auf und beugte sich zu mir hinab. Ich war so fasziniert davon, wie sanft er mit einer Hand um meine Schulter griff und mit der anderen den unteren Teil meines Rückens stützte, dass ich vollkommen vergaß, ihm entgegenzukommen. Er mied den Bereich meiner Wunde dabei, so weiträumig er konnte, und hielt mich dennoch so sicher fest, dass ich den Schmerz fast nicht bemerkte. Ich konnte nur seine warmen Finger spüren. Als Sakura allerdings den Verband von meinem Rücken löste, spürte ich ein Stechen, das ich nicht ignorieren konnte. Ich krallte meine Hände, die sich an Sasuke festhielten, in seine Schultern und presste meinen Mund in Sasukes Halsbeuge, um nicht zu schreien.

„Der Verband klebt so stark an der Wunde, weil du die ganze Zeit darauf gelegen bist“, erklärte Sakura. „Aber es ist schon vorbei.“ Auch wenn sie das sagte, das Brennen hatte noch nicht aufgehört. Aber Sasuke hielt mich fest und ich durfte mich an ihm festhalten.

„Ich trage jetzt die Salbe auf“, meinte sie schließlich und ich hörte die Tube über den Nachttisch kratzen und sie den kleinen Deckel auf diesem ablegen, nachdem sie ihn abgeschraubt hatte. „Das könnte auch noch einmal ein bisschen brennen“, warnte sie und ich schaute zu ihren Händen, die sich meinem Rücken näherten, um einschätzen zu können, wann der Schmerz eintraf. Er blieb jedoch beinahe aus. Ich spürte nur die angenehme Kühle und ein leichtes Stechen. Dennoch ließ ich Sasuke nicht los. Ich drückte meine Lippen leicht gegen seinen Hals. Ich spürte die Gänsehaut, die ich damit auslöste deutlich. Ein kleines Lächeln stahl sich auf meinen Mund.

Als Sakuras Finger die Salbe auf meinem Bauch verteilte, sog ich scharf die Luft ein und fluchte: „Kuso…“ Sasuke drückte ganz leicht meine Schulter, was mich ungemein von dem Schmerz ablenkte. Ich atmete seinen Geruch ein und konzentrierte mich ganz darauf, wie nahe er mir war. Und plötzlich war es vorbei und ich fürchtete, Sasuke wieder loslassen zu müssen. Doch Sakura griff nach einer Verbandrolle und bat Sasuke nur, ein Stück zurückzugehen, damit sie besser zwischen uns durchkam, wenn sie den Verband um mich herumwickelte, womit sie jetzt begann. Und ich genoss es einfach, von Sasuke noch eine Weile im Arm gehalten zu werden. Meine Finger begannen unwillkürlich, über seinen Nacken zu streichen, wo Sakura es nicht sehen würde. Ich wusste, dass Sasuke das nicht wollte. Es war mehr als offensichtlich. Aber es war vorerst in Ordnung. Vor allem vor Sakura. Ich wusste nicht, was sie noch für Sasuke empfand und wollte ihr auch nicht wehtun.

Ich spürte die frische Gänsehaut unter meinen Fingerkuppen, doch das brachte mich nicht dazu aufzuhören. Lange konnte ich seinen Nacken ohnehin nicht kraulen, da meinte Sakura bereits stolz: „So, fertig.“ Ich wollte nicht, dass Sasuke mich losließ, er sah es auch deutlich an meinem Blick, als er seinen Kopf zurücknahm, doch er tat es trotzdem, lehnte mich sanft zurück. Bevor er damit sonderlich weit gekommen war, meinte ich jedoch: „Ich will sitzen bleiben. Ich will nicht liegen.“

Sasuke schaute zuerst zu Sakura herüber, als wusste er nicht, ob er das erlauben durfte. „Das ist kein Problem“, sagte sie und schüttelte die Kissen hinter mir ein wenig auf, bevor Sasuke mich mit meiner Mithilfe nach hinten schob und dann meinen Rücken langsam darauf sinken ließ. „Für die Wunde an deinem Rücken ist das definitiv besser“, meinte sie. Nach einem Moment fügte sie hinzu: „Ich hoffe trotzdem, du schläfst normalerweise auf dem Rücken. Auf dem Bauch solltest du in nächster Zeit auf keinen Fall schlafen.“

„Okay“, sagte ich, um ihr zu zeigen, dass ich das beachten würde. „Wie lange…“, fragte ich dann. „Wie lange habe ich eigentlich geschlafen?“

„Nur zwei Tage“, antwortete sie. „Andere wären bei dieser Verletzung länger nicht bei Bewusstsein gewesen.“ Sie spielte mit ihren Fingern und mied unsere Blicke. „Und die meisten hätten es gar nicht überlebt.“

„Die wenigsten haben auch jemanden dabei wie dich, Sakura-chan“, lächelte ich sie an. „Du hast mir das Leben gerettet, dattebayo.“

„Mh-mh“, verneinte sie und schüttelte den Kopf. „Der Kyuubi hat dir das Leben gerettet.“

Ich schnaubte. Dann schaute ich zu Sasuke herüber. Er schaute traurig auf die Hände in seinem Schoß hinab. „Kann ich“, begann ich abrupt, bereits ein entschuldigendes Lächeln im Gesicht, „jetzt etwas zu essen haben?“ Ich hatte tatsächlich Hunger. Nur hoffte ich auch, dass Sakura deshalb gehen und mich mit Sasuke allein lassen würde. Es gab noch so viel zu bereden. So viel auszutauschen. Worte. Gedanken. Blicke. Berührungen.

„Also wirklich! Du bist schon wieder ganz der Alte“, sagte sie kopfschüttelnd. „Aber ich werde eine Schwester holen gehen, bevor du hier verhungerst.“

Ich grinste. Mein Plan war aufgegangen. „Danke, Sakura-chan“, sagte ich noch, bevor sie aufstand und zur Tür ging. Ehe sie allerdings durch sie verschwand, schaute sie zu Sasuke zurück und meinte: „Kann ich dich einen Augenblick sprechen, Sasuke-kun?“

Mein Mund öffnete sich vor Empörung. Wie gerne wäre ich eingeschritten, hätte eingeworfen: „Nein, das geht jetzt nicht, Sakura-chan“, doch das tat ich natürlich nicht. Sasuke zögerte, als dachte er dasselbe, doch dann nickte er und stand auf, folgte ihr zur Tür. „Bis später, Naruto“, verabschiedete Sakura sich. Dass Sasuke mich nur flüchtig ansah, aber nichts sagte, bedeutete für mich, dass er gleich wieder zurückkommen würde. Oder zumindest davon ausging, dass er das konnte.

Als die Tür geschlossen war, atmete ich hörbar enttäuscht aus. Jetzt saß ich hier und musste warten – und mir den Kopf zerbrechen, was Sakura von Sasuke wollte. Ich fürchtete, dass es eine Sache war, die sie schon lange von ihm wollte. Das gefiel mir nicht, doch immerhin konnte ich sichergehen, dass Sasuke das nicht wollte. Nicht nach dem, was eben zum wiederholten Mal zwischen uns passiert war.

Ich schloss die Augen und legte meinen Kopf in den Nacken. Ich fühlte mich eigenartig. Einerseits überglücklich und andererseits bereits so enttäuscht, dass ich gerade nicht so viel von Sasuke haben konnte, wie ich wollte.

Plötzlich klopfte es an der Tür und sie öffnete sich, noch bevor ich etwas über meine Vorfreude über Sasukes so schnelle Rückkehr hinweg sagen konnte. Ich hatte nicht zu hoffen gewagt, dass Sasuke Sakura so schnell loswerden würde.

Yo.“ Meine Stimmung sank spürbar und sichtbar, als ich Kakashi eintreten sah. „Ich habe gehört, dass du wieder wach bist.“ Natürlich hätte ich mich auch über den Besuch meines Lehrers gefreut, doch nicht, wenn ich mir Hoffnung machte, dass es jemand noch Wichtigeres sein könnte. „Soll ich wieder gehen?“ Kakashi hatte zwar die Tür geschlossen, doch dann war er stehen geblieben, noch nicht weit vom Eingang entfernt, und hob jetzt fragend seine Augenbrauen.

„Nein, nein, Kakashi-sensei!“, entgegnete ich sofort und gestikulierte wild mit den Händen. Es schien ihm zu genügen; er kam auf mich zu, stellte sich ans Fenster, lehnte gegen den Sims und schaute mich vorerst nur an. „Wen hast du erwartet?“, fragte er schließlich. Er schien neugierig geworden zu sein. „Nein, warte“, sagte er, bevor ich auch nur hatte rot anlaufen können. „Du dachtest, Sakura würde zurückkommen, stimmt’s?“

Ich dachte daran, wie er mich vor zweieinhalb Jahren gefunden hatte. Fast komplett ausgezogen, in Sasukes Bett, bewusstlos. Er hatte mir nie gesagt, was er vermutet hatte, was passiert sein könnte.

Ich zögerte. Sollte ich ihm die Wahrheit sagen? Ich hatte noch keine Zeit gehabt, mit Sasuke darüber zu reden, wie wir die Sache handhaben wollten. Eigentlich wollte ich es in alle Welt hinausschreien, dass Sasuke für mich zurückgekehrt war, doch ich hatte keine Zweifel, dass er darüber nicht sehr begeistert sein würde. Vor allem jetzt noch nicht. Deshalb entschied ich mich anders, kratzte mich am Kopf und log: „Erwischt.“

Kakashis Augen schienen kurz zu lächeln. Dann beendete er den Smalltalk und sein Blick wurde wieder ernst. „Naruto-kun“, begann er. „Du weißt, dass du nur knapp mit dem Leben davongekommen bist.“ Ich schlug meine Augen nieder und nickte. „Und du weißt hoffentlich, dass Orochimaru kein Gegner für Akatsuki gewesen wäre.“ Ich schaute wieder zu ihm auf. „Und du weißt, dass Akatsuki es auf dich abgesehen hat.“ Ich nickte wieder. „Und du weißt sicher auch, dass Sasuke Rache nehmen will an seinem großen Bruder.“ Ich nickte gar nicht erst, sondern wartete, bis er weitersprach. „Ich will, dass ihr nicht in die Nähe Akatsukis gelangt.“ Er sah mich streng an. „Alle beide.“ Sein Blick duldete keinen Widerspruch. „Unter keinen Umständen.“

„Aber du kannst uns hier auch nicht ewig verstecken“, argumentierte ich. „Sie werden Konoha angreifen.“

„Sie werden Konoha angreifen“, wiederholte er meine Worte, als wäre das ein unumstößlicher Fakt. „Aber hier haben wir noch eine geringe Chance, euch beschützen zu können.“

„Weiß Sasuke davon?“, fragte ich nach einer langen Stille.

„Ich habe schon mit ihm gesprochen“, antwortete er lediglich, als wollte er mir nicht mehr verraten.

„Und was hat er gesagt?“, wollte ich wissen.

„Ich fürchte“, begann Kakashi, „dass er noch nicht in der Lage war, etwas dazu zu sagen, während du noch im Sterben gelegen hast.“

Ich starrte ihn nur an. Ich versuchte, mir vorzustellen, wie es für Sasuke gewesen sein musste. Ich wollte mir jedoch gar nicht vorstellen, wie ich mich gefühlt hätte, wenn er an meiner Stelle gewesen wäre. Und wie Sakura es gesagt hatte: Ohne den Kyuubi hätte ich es wahrscheinlich nicht überlebt – Sasuke hätte diese Wunde vielleicht nicht überlebt.

Kakashi schaute mich unverändert an. „Was hat er…?“, begann ich und fragte mich, wie Sasuke sich verhalten hatte. Wie er sich vor den anderen gezeigt hatte. Vielleicht hatte er es sogar längst erzählt, was zwischen uns war. Ich wusste es nicht. Man hatte uns einfach noch zu wenig Zeit gegeben. Zeit allein. „Was hat Sasuke gemacht?“ Als Kakashi nicht reagierte, fügte ich hinzu: „Als ich geschlafen habe.“

„Er hat die vollen zwei Tage an deinem Bett verbracht und sich nur selten von Sakura dazu überreden lassen, etwas zu essen oder zu trinken.“ Kakashis Augen fixierten sich auf mein Gesicht, als wollte er meine Reaktion studieren. „Er hat kaum mit uns gesprochen, nur dagesessen und ins Nichts gestarrt.“ Allein die Vorstellung weckte den Drang in mir, Sasuke nachzugehen und ihn in den Arm zu nehmen. Jetzt erst konnte ich seine Verzweiflung wirklich begreifen, die ich eben in seinen Berührungen gespürt hatte. „So viel ich verstanden habe, hat man ihn irgendwie dazu gebracht, dass er freiwillig mitgegangen ist“, erklärte er mir, was er bereits wusste. „Er hat von einem Genjutsu gesprochen. Weißt du etwas darüber?“

Ich öffnete den Mund, wusste jedoch nicht, was ich antworten sollte. „Wir haben noch nicht wirklich darüber gesprochen“, sagte ich schließlich. „Er wollte es mir erklären, aber dann hat uns Orochimaru angegriffen.“

„Aber du vertraust ihm?“, fragte er plötzlich.

Perplex blickte ich Kakashi an. „Wie…? Natürlich vertraue ich ihm. Was gibt es für einen Grund, das nicht zu tun?“

Er schwieg einen Moment. Dann schaute er zum Fenster hinaus, als wollte er mir sagen, dass ich etwas weiter in die Ferne blicken sollte. Den größeren Zusammenhang begreifen sollte. „Es besteht die Möglichkeit, dass Sasuke für Akatsuki arbeitet.“

Ich lachte freudlos auf. „Was?!“ Ich schnaubte. „Das ist doch…! Das ist doch einfach nur absurd!“ Ich wollte, dass Kakashi mich ansah und die Entrüstung in meinem Gesicht sah. „Sasuke will Itachi umbringen!“

„Das ist genau der Punkt“, sagte er nur und ich runzelte die Stirn vor Unverständnis. Empört keuchte ich auf. Mehrere Male. Mir fehlten einfach die Worte. Kakashi dagegen wusste genau, was er mir sagen wollte: „Sasuke hat gemerkt, dass er keine Chance gegen seinen Bruder hat. Und deshalb sieht er vielleicht nur noch einen Weg, ihn zu besiegen.“ Ich schüttelte den Kopf. Ich verstand es nicht. Er erklärte es mir: „Sich mit ihm verbünden, um ihm dann unerwartet in den Rücken zu fallen.“

„Das würde Sasuke niemals tun“, sagte ich sofort. „Das könnte er nicht.“

„Ich glaube, du weißt nur noch nicht, wozu verzweifelte Menschen fähig sind“, sagte Kakashi ernst. „Ich habe ihn gestern noch an diesem Bett gesehen und wusste genau, wozu er fähig war.“ Er zögerte, bevor er hinzufügte: „Zu allem.“ Kakashis Blick war düster. Er machte mir Angst – Angst um Sasuke. „Man verschließt die Augen vor der Wahrheit, wenn man sie nicht sehen will“, sagte Kakashi leise. „Ich fürchte, dasselbe tust du gerade, Naruto-kun.“

„Nein!“, brach es sofort aus mir heraus. Das durfte er nicht von mir denken. Er musste mir vertrauen, dass ich Sasuke einschätzen konnte. „Nein, ich weiß ganz sicher, dass Sasuke…“, begann ich, doch wusste nicht, wie ich den Satz beenden sollte.

„Bauchgefühle sind hier nicht gefragt, Naruto-kun“, sagte Kakashi kopfschüttelnd. Genau das hatte er von mir erwartet: Gefühle – keine Fakten.

„Aber was hat er denn getan?“, wollte ich wissen. „Er hat mich doch gerettet! Er hat mit mir gekämpft!“ Ich schüttelte vehement den Kopf. „Das bedeutet doch erst recht, dass Sasuke auf unserer Seite ist!“ Kakashis Worte ergaben keinen Sinn für mich. Warum sollte man Sasuke misstrauen? Wenn Orochimaru noch am Leben wäre, dann könnte man denken, Sasuke könnte nur als Spion zurückgeschickt werden, doch er hatte ihn umgebracht. Er hatte Orochimaru beseitigt; ich war dabei gewesen; ich hatte es gespürt.

„Nein, das tut es nicht“, widersprach Kakashi mir ruhig, als bedauerte er das aufrichtig. Oder als bemitleidete er mich wegen meiner Unwissenheit. „Orochimaru zu besiegen, war vielleicht ohnehin ein Ziel von Sasuke. Wenn du ihm dabei behilflich sein konntest, wieso hätte er diese Chance nicht ausnutzen sollen?“ Ich keuchte. Das konnte Kakashi nicht ernsthaft annehmen, dass das Sasukes Absichten waren. „Außerdem bist du der einzige Weg, um sich bei Akatsuki einzukaufen.“ Ich schaute Kakashi ratlos an. Ich begriff nicht. „Und dazu braucht er dich lebend.“

Plötzlich traf mich die Erkenntnis wie ein Schlag. Er meinte, Sasuke würde mich ausliefern. Er würde mich Itachi übergeben, um ihm zu zeigen, dass er auf seiner Seite stand; dass er ihm seine Ziele zu erreichen half. Und wenn sich eine Gelegenheit bot, würde er seinen Bruder danach hinterrücks abstechen und damit seine Familie rächen.

„Das würde er nicht tun!“, beharrte ich. „Sasuke würde es nicht wollen, Itachi mit solchen Mitteln zu besiegen. Er will ihn mit seiner eigenen Stärke bekämpfen, das weiß ich ganz sicher.“

„Aber was, wenn er keine Hoffnung mehr sieht, das je zu schaffen?“, warf Kakashi ein. „Was, wenn Orochimarus Machtlosigkeit gegen Akatsuki ihm gezeigt hat, dass es nicht in seiner Macht liegt, den Abstand zu Itachi jemals aufzuholen, um ihn mit eigenen Kräften zu schlagen?“ Kakashi schaute mich fordernd an.

„Nein“, sagte ich entschlossen. „Das ist nicht wahr!“

„Ich behaupte nicht, dass es die Wahrheit ist, Naruto-kun“, lenkte Kakashi sofort ein. „Ich sage nur, dass es so sein könnte.“ Ich schüttelte abermals den Kopf. „Und wenn auch nur die kleinste Möglichkeit besteht, dass es tatsächlich so ist, sollten wir das nicht unterschätzen.“

„Es ist nicht so“, blieb ich stur.

„Wenn du es irgendwie beweisen kannst, dann –“

„Ich weiß es einfach“, sagte ich nur.

Er seufzte. „Das ist leider nicht genug.“

Wir schwiegen eine Weile. Ich versuchte, diese Anschuldigungen gegenüber Sasuke zu verdrängen, doch ich konnte nicht. Wenn selbst Kakashi so etwas dachte, was würden dann andere denken? Hatte ich Sasuke zu viel Hoffnung gemacht? Ich hatte wirklich gedacht, dass jeder hier ihn mit offenen Armen empfangen würde. Doch da war ich vielleicht der Einzige.

„Naruto“, zog Kakashi plötzlich meine Aufmerksamkeit wieder auf sich. Ich schaute ihn an, wappnete mich für das, was er gleich sagen würde. Ich wusste, dass es nichts Gutes sein konnte. Ich erwartete heute keine guten Nachrichten mehr. Vor allem nicht von Kakashi. „Du darfst Sasuke kein Wort davon erzählen, hörst du?“ Ich antwortete ihm nicht, dachte nur bei mir: Niemals würde ich Sasuke wissen lassen, wie sehr man ihm misstraute. Dass es vor allem sein eigener Mentor war, der das tat. „Versprich es mir, Naruto-kun.“ Ich kniff die Augen zusammen. Es tat weh. Es Sasuke nicht zu erzählen, bedeutete, Geheimnisse vor ihm zu haben, mich verstellen zu müssen, ihn möglicherweise sogar belügen zu müssen. Ihm die Wahrheit zu erzählen allerdings, bedeutete, ihm noch ein Stück mehr von seiner Seele zu zerbrechen.

„Naruto“, sagte Kakashi nun etwas dringlicher. Ich begriff zuerst nicht, warum, doch dann hörte ich das zaghafte Klopfen an der Tür. Mein Kopf wandte sich automatisch dem Geräusch zu, doch ich konnte immer noch spüren, wie schwer Kakashis Blick auf mir lastete. Er wollte noch eine Antwort. Er wollte mindestens ein wortloses Nicken. Doch ich konnte ihm nichts davon geben, denn im nächsten Moment erschien Sasuke in der Tür. Er blieb sofort stehen, als wäre er gegen die Wand geprallt, die durch die Stimmung im Raum entstanden war. Er schaute verwirrt von Kakashi zu mir. „Soll ich später wiederkommen?“, fragte er unsicher, den Türgriff noch in der Hand.

„Nein, nein“, sagte Kakashi sofort lässig und ging selbst auf den Ausgang zu. „Ich wollte sowieso gerade gehen.“ Als er die Tür erreichte, sagte er noch: „Aber du weißt, dass du heute noch einen Termin beim Hokage hast.“

„Ja, ich weiß“, antwortete er leise, als würde das etwas daran ändern, dass ich ihre Unterhaltung mitverfolgen konnte. Es gefiel mir nicht, dass ich noch nichts davon gewusst hatte. Was wusste ich noch alles nicht?

Jaa, na“, sagte Kakashi dann nur noch, hob seine Hand zum Abschied und verschwand, zog die Tür hinter Sasuke ins Schloss. Dieser stand noch einen Moment unentschlossen da, bevor er auf mich zukam.

„Warum musst du zu Tsunade-baachan?“, fragte ich als Erstes unsicher.

Er atmete tief ein und schaute dann vor sich auf den Boden. „Ich habe noch immer keinen Bericht abgegeben.“

„Warum nicht?“, fragte ich nach und ich spürte die nagenden Zweifel an den Ecken meines Bewusstseins. Warum hatte er noch nichts erzählt? Lag es daran, dass er Geheimnisse hatte? Hatte Kakashi denn wirklich…? Ich stoppte meine Gedanken. Ich wollte Sasuke nicht verdächtigen. Ich vertraute ihm. Egal was Kakashi vermutete. Ich vertraute ihm.

„Ich wusste einfach nicht, wie ich es erklären sollte“, versuchte er, es zu begründen. „Vor allem das, was vor zweieinhalb Jahren passiert ist und zu all dem hier geführt hat.“ Also hatte er noch niemandem etwas von uns erzählt. Wahrscheinlich war Sasukes Verschwiegenheit sogar der einzige Grund, warum Kakashis Misstrauen geweckt worden war. Und der Grund für seine Verschwiegenheit lag sicher nicht darin, dass er etwas zu verheimlichen hatte, sondern dass er nicht wusste, was er preisgeben wollte.

„Was soll ich dem Godaime sagen?“, fragte er auf einmal passend zu meinen Gedanken. Ich zögerte, ihm zu antworten. Ich wusste es auch nicht.

„Die Wahrheit“, beschloss ich dann. Ich wollte nichts auf Lügen aufbauen. Noch wusste ich nicht, wie ich das machen sollte, doch ich würde es versuchen.

„Ich kann… Ich will…“, begann er und keuchte fristriert. „Ich weiß einfach nicht, wie ich es erklären soll. Ich habe gehofft, dass du mir dabei hilfst.“ Er schaute mich flehend an.

„Komm her“, sagte ich sanft und winkte ihn zu mir. Ich konnte den Abstand zwischen uns nicht ertragen. Ich fühlte mich allein, wenn er so weit von mir weg war, dass ich ihn nicht berühren konnte. Und ich hatte das starke Gefühl, dass es ihm genauso ging. Er schien erleichtert, dass ich ihn zu mir rief. Er zögerte nicht herüberzukommen und setzte sich wieder auf den Stuhl rechts von meinem Bett. Ich streckte meine Hand nach ihm aus und er nahm sie in seine. Seine Finger waren kalt. Besorgt schaute ich ihm ins Gesicht. Als ich aufgewacht war, waren mir die Schatten unter seinen Augen aufgefallen, jetzt bemerkte ich auch die leicht eingefallenen Wangen und die Falten zwischen seinen Augenbrauen. Er war ruhelos. Er hatte Zweifel. Er hatte Angst.

Ich drückte seine Hand einmal fest. Ich wollte ihm Sicherheit geben. Ich wollte, dass er wusste, dass ich für ihn da war und dass wir das schaffen würden. Irgendwie würden wir das schaffen, alle zu überzeugen. „Mit der Wahrheit“, begann ich erneut, „kannst du nichts falsch machen.“ Er nickte, wenn auch unsicher. „Du kannst vielleicht einfach nur ein paar Details weglassen. Vor allem von dem, was in deinem Zimmer passiert ist.“ Ich lächelte ihn schwach an, während ich mir leicht auf die Unterlippe biss, und ich war froh, dass seine Gesichtszüge sich jetzt etwas entspannten. Ich wollte noch zusätzlich ratlos mit den Schultern zucken, doch das hielt mein Rücken für eine nicht besonders gute Idee. Ein Schmerz fuhr, von der Wunde ausgehend, in alle Richtungen – vor allem nach innen, irgendwo in die Mitte meines Körpers. Ich konnte es nicht vor Sasuke verstecken; mein Oberkörper kam mit einem Ruck zum Halt. Ich öffnete die Augen wieder und sah noch, wie Sasuke den Blick von mir abwandte, als würde ihm allein der Anblick Schmerzen bereiten. „Ich hätte wohl doch noch ein bisschen länger schlafen sollen“, scherzte ich. „Dann wäre es bestimmt schon ein bisschen besser verheilt.“

„Es tut mir so leid“, sagte er plötzlich und ich erschrak beinahe. Ich ahnte Fürchterliches. Wofür entschuldigte er sich? Für das, was er mir vorgespielt hatte? Für das, was er gleich tun würde? „Wegen mir hast du diese Verletzung und trotzdem kann ich dir am wenigsten dabei helfen, sie zu heilen.“

Ich atmete innerlich erleichtert auf. Meine in meinem Kopf noch nicht einmal formulierten Befürchtungen hatten sich nicht bestätigt. „Du bist überhaupt nicht schuld daran, dass ich das hier habe“, sagte ich mit einer vagen Geste zu meiner Brust. „Ich bin selbst schuld, dass ich nicht schneller war.“ Er schüttelte den Kopf. Er wollte meine Ausreden nicht hören. Er wollte etwas entgegnen, doch ich zog an seiner Hand, noch bevor er etwas sagen konnte. Er schaute mich noch immer mit einem etwas schmerzverzerrtem Ausdruck an, aber wehrte sich nicht, ließ sich von mir vom Stuhl hinaufziehen. „Du kannst mir sogar unglaublich gut dabei helfen, wieder gesund zu werden“, ließ ich ihn wissen. „Keiner kann mich so gut ablenken wie du.“ Ich zog ihn zu mir hinunter. Er stand zwar direkt neben meinem Bett, doch er war noch immer zu weit entfernt. Ich wollte ihn näher bei mir haben. Ich wollte keine Distanz mehr zwischen uns. Nie wieder.

„Ich glaube, das beruht auf Gegenseitigkeit“, sagte er mit einem schwachen Lächeln und einem ebenso sanften Händedruck. „Ich habe vorhin fast vergessen, wo wir hier sind.“ Ich dachte an unsere Küsse zurück und die Ungeduld, mit der wir die Bettdecke hatten beseitigen wollen.

„Du hast aber trotzdem noch ziemlich schnell reagiert“, sagte ich anerkennend und zog ihn ein Stück weiter, zu mir aufs Bett.

„Und du bist ein so schlechter Schauspieler, Usuratonkachi“, ließ er mich noch wissen, bevor er sich jetzt an den Bettrand setzte. Ich dachte an meine unbeholfene Art Sakura gegenüber zurück.

Gomen, gomen“, sagte ich und kratzte mich mit meiner freien Hand am Hinterkopf. Er warf einen flüchtigen Blick in mein Gesicht und schaute dann wieder in seinen Schoß, wo ich unsere Hände miteinander verschränkte. Jetzt lächelte er und meine Stimmung hob sich. Ich spürte Hoffnung in diesem Wirbelsturm aus negativen Gefühlen.

Ein Klopfen ließ Sasuke sofort meine Hand loslassen und vom Bett aufstehen. Ich seufzte. „Herein?“, reagierte ich dieses Mal in angemessener Zeit. Die Tür öffnete sich und es kam eine Krankenschwester mit einem Tablett in ihren Händen zum Vorschein.

„Ich habe gehört, hier verhungert jemand“, sagte sie mit einem breiten Grinsen. Ich warf ein Lächeln zurück und lenkte es dann zu Sasuke herüber. Er erwiderte es nicht, sondern sagte: „Ich werde dann jetzt zum Hokage gehen.“ Mein Lächeln verschwand. Ich konnte es sehen, dass das eine Aufgabe war, die er nicht erfüllen wollte. Er fürchtete sich vor diesem Gespräch. Und er kannte Tsunade nicht einmal; er wusste also gar nicht, was ihn erwartete. Zu gerne hätte ich mich angeboten mitzugehen. Doch Sasuke hatte mir bereits den Rücken zugekehrt und würde es wohl auch nicht zulassen, dass ich das Krankenbett verließ. Er ging zur Tür, die die Krankenschwester noch nicht einmal geschlossen hatte.

„Kommst du… später wieder vorbei?“, fragte ich noch hastig.

Er blieb stehen. Bevor er jedoch antworten konnte, sagte die Krankenschwester: „Aber nicht vergessen, die Besuchszeit endet schon in einer Stunde.“

Sasuke nickte mit dem Blick zum Boden und ich schaute ihn hoffnungsvoll an. Ich wusste jedoch nicht, ob er mir oder der Krankenschwester zugenickt hatte. „Sasuke?“, hielt ich ihn noch einmal auf, ehe er gänzlich zur Tür draußen war.

Er blieb stehen, die Türklinke in der Hand; er war bereits zur Hälfte vom Türrahmen verdeckt. „Bis später“, war alles, was er sagte, bevor er die Tür schloss. Ich hatte das Gefühl, dass ein Stück meiner Energie mit ihm ging. Doch er machte mir Hoffnung, dass er sie später wieder zurückbringen würde.

„Ist er eigentlich wirklich nicht verletzt?“, fragte die Krankenschwester plötzlich und stellte das Tablett geräuschvoll auf dem Nachttisch links von mir ab, sodass ich bei dem lauten Geräusch zusammenzuckte. Ich schaute irritiert zu ihr auf. „Er sieht aus, als hätte er Schmerzen, aber er hat sich von Anfang an geweigert, sich untersuchen zu lassen. Die liebe Sakura-san hat mir gesagt, dass sie zwar keine Verletzungen bei ihm gefunden hat, aber ich bin mir noch immer nicht sicher, ob er nicht vielleicht an inneren Verletzungen leidet.“

Ich schüttelte den Kopf. Keine, die die Ärzte hier heilen könnten. „Ich glaube nicht“, sagte ich statt meines Gedankens laut. Sie sollte sich keine unnötigen Sorgen machen. Und sie sollte vor allem aufhören, mir noch mehr Sorgen zu machen. Ich war davon ausgegangen, dass man ihn sofort untersucht hatte, als wir das Krankenhaus erreicht hatten. „Er hat nur viel durchgemacht.“

„Ach so“, sagte sie und holte einen kleinen Holztisch unter meinem Bett hervor, den sie über meinem Schoß platzierte, um dort das Tablett abstellen zu können. Sie hob den Deckel an und gab den Blick frei auf einen vollen dampfenden Teller.

„Das sieht lecker aus!“, sagte ich zu ihr und griff nach den Stäbchen. Sie lächelte mir zu und ging zur Tür.

„Lass es dir schmecken!“, sagte sie noch, bevor sie den Raum verließ. Als ich allein war, schaute ich auf den Teller hinab und ließ das Besteck wieder sinken. Mein Magen war ein einziger Knoten. Ich konnte nichts essen.
 

~
 

Sasuke war an diesem Abend nicht mehr zurückgekommen. Ich wusste nicht, ob Tsunade ihn so lange aufgehalten hatte, dass man ihn nicht mehr ins Krankenhaus gelassen hatte, oder ob Sakura ihm verboten hatte, noch eine weitere fast schlaflose Nacht im Krankenzimmer zu verbringen. Ich hoffte, dass ihn weder Sakuras Meinung noch die Regeln des Krankenhauses interessierten und er sich einfach zu mir hereinschleichen würde. Doch er kam nicht.

Ich fragte mich, was Sasuke gerade durchmachte. Ob er noch immer bei Tsunade war und verhört wurde. Ob vielleicht sogar Mitglieder von ANBU das Verhör leiteten. Vielleicht hypnotisierten sie ihn, um ihre Antworten zu bekommen, wie ich das schon häufiger gehört hatte. Ich wollte zu ihm. Aber ich wusste, dass es nichts nützte. Das würde nur alles noch komplizierter machen. Und ich fühlte mich noch immer so schwach.

Irgendwann war ich schließlich eingeschlafen. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war es schon hell. Ich hatte keine Ahnung, wie spät es war. Es gab keine Uhr in meinem Zimmer. Und Sasuke war immer noch nicht da. Irgendwie hatte ich gehofft, dass er mindestens wieder an meinem Bett sitzen würde, wenn ich aufwachte.

Ungeduldig wartete ich, dass irgendetwas passierte. Doch nichts geschah. Ich hörte nur das Zwitschern der Vögel. Nichts im Raum bewegte sich. Das hielt ich ein paar Minuten aus, dann versuchte ich aufzustehen. Ich konnte nicht mehr untätig herumsitzen.

Ich warf meine Beine über den Bettrand, stellte sie auf den glatten Boden. Sie fühlten sich schwach an, als hätte ich das Gehen verlernt. Die ersten Schritte waren sehr unsicher. Das Schlimmste allerdings war der Schmerz in meiner Brust, den ich bei jedem Schritt spürte.

Ich hatte erwartet, dass er nachgelassen haben würde, doch diese eine Nacht hatte nichts geändert. Ich biss die Zähne zusammen auf dem Weg zur Tür und lehnte mich dort erst einmal daneben an die Wand, um Kraft zu sammeln. Ich überlegte, wo ich überhaupt hingehen sollte. Würde Sasuke bei sich zu Hause sein? Er konnte unmöglich noch bei Tsunade sein. Oder? Ich wurde die Vorstellung nicht wieder los, wie Sasuke inmitten eines abgedunkelten Raumes saß, seine Hände verbunden, vornübergebeugt vor Erschöpfung. Ich stieß mich leicht von der Wand ab und öffnete die Tür. Als ich auf den Gang trat, bemerkten mich die vorbeihastenden Krankenschwestern nicht. Ich ging den Korridor entlang, vorbei an etlichen Türen, die allesamt geschlossen waren.

„Naruto?“, hörte ich plötzlich eine vertraute Stimme. Ich wandte mich um und sah Sakura hinter mir auf dem Gang stehen. „Wo willst du hin? Du solltest noch nicht aufstehen.“

„Sakura-chan“, sagte ich unter Anstrengung und ging die paar Schritte zu ihr zurück. Sie kam mir ab der Hälfte der Strecke entgegen, wartete noch immer auf eine Antwort. Ich gab sie ihr nicht, sondern fragte: „Wo ist Sasuke?“

Ihr Mund öffnete sich, doch sie sah nicht aus, als wollte sie etwas sagen. Sie wirkte eher entsetzt. Als bemerkte sie das selbst etwas verspätet, presste sie jetzt ihre Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf. Es war mehr als deutlich, dass sie die Antwort wusste, sie mir aber nicht sagen wollte.

„Du weißt es!“, warf ich ihr vor und musste mich zurückhalten, nicht handgreiflich zu werden. Dass sie es mir nicht sagen wollte, verhieß erst recht nichts Gutes.

„Ich weiß es nicht“, behauptete sie. Ihre Augen mieden meinen Blick.

„Mach mir doch nichts vor!“, fuhr ich sie an. „Ich weiß, dass er zu Tsunade-baachan gegangen ist. Du bist doch schon fast ihre rechte Hand; du weißt ganz sicher, wo Sasuke ist!“

„Ich weiß, dass er noch verhört wird, aber ich weiß nicht, wo“, rückte sie schließlich mit der Sprache heraus.

„Er wird wirklich noch…“, sagte ich fassungslos. Die Entscheidung war schneller gefasst, als ich denken konnte. Ich wandte mich um und rannte los.

„Naruto!“, rief Sakura. „Mach es nicht! Du kannst nichts tun!“ Es war mir egal, was sie sagte. Ich würde mit eigenen Augen sehen, was ich tun konnte. Ich würde es mit eigenen Händen versuchen, ihn dort herauszuholen. „Kakashi-sensei!“, hörte ich Sakuras Stimme durch den Gang schallen und auf einmal stellte sich mir unser Trainer in den Weg und hielt mich an den Armen fest.

„Ich will zu Sasuke!“, schrie ich ihn an und schlug gegen seine Brust, spürte jeden Schlag in meiner eigenen, als würde ich gegen mich selbst schlagen. Ich wehrte mich gegen seinen Griff, wusste nicht, woher ich die Kraft dazu nahm.

„Ganz ruhig, Naruto-kun“, sagte Kakashi mit seiner beruhigenden Stimme. „Sasuke geht es gut.“

„Das glaube ich dir nicht!“, sagte ich sofort und schüttelte den Kopf. Ich krallte meine Finger in die Weste, die er trug.

„Das Verhör wird jeden Moment fertig sein“, sagte er dann, aber es konnte auch nur eine Lüge sein, um mich ruhigzustellen. „Man hat ihm schon gestern Nacht angeboten, eine Pause einzulegen und es auf heute zu vertagen, aber er wollte nicht. Er wollte es hinter sich bringen.“

Das stimmte mich tatsächlich etwas milder. Das war etwas, das ich Sasuke auf jeden Fall zutraute. Vielleicht sagte Kakashi doch die Wahrheit. Langsam ließ ich seine Weste wieder los und er gab meine Arme frei. „Leg dich zurück ins Bett, Naruto-kun“, bat er mich. „Sasuke-kun wird wahrscheinlich jeden Moment zurückkommen.“ Ich wollte ihm glauben. Ich wollte ihm vertrauen. Doch ich wusste wirklich nicht mehr, wem ich noch trauen konnte.

Eine Schwäche überkam mich, die Erschöpfung holte mich ein, ebenso der Schmerz, und plötzlich hüllte mich Schwärze ein. Als ich die Augen aufschlug, spürte ich eine Matratze unter mir, doch die Dunkelheit war noch immer da. Der Mondschein allerdings versprach ein wenig Hoffnung.

Das Fenster stand einen Spalt offen und ließ die frische Nachtluft herein. Mir war jedoch so warm, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass es schon lange offen stand.

„Naruto“, hörte ich ein leises Flüstern von links, von dem Bett neben mir, auf dem eine Gestalt saß. Es dauerte einen Augenblick, bis meine Augen sich an die Dunkelheit im hinteren Teil des Raumes gewöhnt hatten, doch dann erkannte ich Sasuke, der vom Bett aufstand und zu mir herüberkam.

„Sasuke“, sagte ich erleichtert und streckte meine Hände nach ihm aus. Er setzte sich wieder an den Bettrand und ließ sich von mir in eine Umarmung ziehen. „Alles in Ordnung?“, fragte ich und gab ihn wieder teilweise frei, um ihm ins Gesicht sehen zu können. Es war jedoch zu dunkel, um viel zu erkennen.

„Ja“, sagte er heiser. Dieses Mal glaubte ich, dass es davon kam, dass er in den letzten Stunden zu viel gesprochen hatte. „Habe ich dich aufgeweckt?“

„Bist du eben erst gekommen?“, fragte ich zurück und er nickte. „Haben sie dich so lange verhört?“

Jetzt schüttelte er den Kopf. „Nein, ich war noch eine Weile allein.“ Jetzt verstand ich, warum er so heiser klang. Er hatte geweint.

„Warum bist du nicht gleich hergekommen?“, wollte ich wissen. Ich wollte für ihn da sein. Ich wollte ihn trösten können. Es tat weh zu wissen, dass er wieder alles allein hatte ertragen müssen.

„Ich wollte nachdenken“, sagte er nur und ich zog ihn wieder an mich. Ich wollte ihn nie wieder loslassen. „Außerdem wollte ich sichergehen, dass mich niemand dabei erwischt, wenn ich mich hier zum Fenster reinschleiche.“

Ich glaubte, dass er auf ein Lachen von mir hoffte, doch mir war gerade nicht danach zumute. „Was hat Tsunade-baachan gesagt?“, wollte ich wissen. Das war jetzt das Wichtigste.

„Sie berät sich noch“, war seine kurze Antwort. Er hatte mit dieser Frage definitiv bereits gerechnet.

„Aber sie glauben dir“, sagte ich zuversichtlich, doch die Unsicherheit aus meiner Stimme war nicht zu verbannen. Warum hatte er geweint?

„Sie müssen mir glauben“, sagte er nur. Es war keine Antwort. „Sie haben mich hypnotisiert.“ Mein Atem stockte. „Also werden sie davon ausgehen können, dass es die Wahrheit war, was ich gesagt habe.“

„Und was haben sie dich gefragt?“, sagte ich leise. Ich konnte es nicht fassen.

„Ich weiß es nicht“, sagte er. „Ich kann mich nicht erinnern.“ Wir konnten also überhaupt nicht sagen, was das Ergebnis des Verhörs wirklich war. Man ließ uns vollständig in der Dunkelheit. Er drehte sein Gesicht meinem Hals zu. Ich spürte seine Wimpern an meiner Haut. Er schien mehrere Male zu blinzeln. „Aber sie wollen mich morgen noch einmal befragen.“

„Was?“, keuchte ich. „Das können sie nicht machen.“ Er nickte ein Doch in meiner Halsbeuge. Ich konnte spüren, wie er zitterte. Es tat mir innerlich weh, ihn so zu sehen.

Ich hielt ihn an mich gepresst und rutschte mit ihm ein Stück zurück, sodass er halb neben mir, halb auf mir, Platz auf dem Krankenbett fand. Ich warf die Decke über uns und konzentrierte mich darauf, seinen durchgefrorenen Körper zu wärmen. Jetzt spürte ich die Tränen an meinem Hals.

„Sasuke“, flüsterte ich und wusste nicht, was ich tun sollte, außer ihn an mich zu drücken und ihn spüren zu lassen, dass ich für ihn da war. Ich fand gerade keinerlei Worte der Hoffnung.

„Ich“, begann er plötzlich und schluckte heftig. „Ich habe sogar darüber nachgedacht wegzulaufen“, gestand er mir zu meinem Entsetzen. „Ich hatte solche Angst.“

Ich presste ihn noch stärker an mich. Jetzt jagte er mir Angst ein. Was hätte ich getan, wenn er nicht wieder zu mir zurückgekommen wäre? Wenn er Konoha verlassen hätte? „Es tut mir so leid, dass ich nicht bei dir war“, wisperte ich. Die Reue zog meinen gesamten Leib von innen zusammen.

„Du hättest nichts tun können“, sagte er. „Du hättest nur mitgelitten.“

„Das habe ich auch von hier“, ließ ich ihn wissen. „Ich hatte solche Angst um dich.“ Er schluchzte. „Ich lass dich nicht wieder los.“ Ich presste ihn stärker an mich. „Ich beschütze dich.“

Lange hielt ich ihn im Arm und irgendwann hörte er auf zu weinen. Es war nicht lange, bevor er aus Erschöpfung eingeschlafen war.
 

~
 

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war Sasuke verschwunden. Dieses angenehme Gewicht seines Körpers, diese Wärme, diese Sicherheit, in der ich ihn hier wusste. Alles war weg. Panik ergriff mich fast augenblicklich. Er würde doch nicht wirklich fortgelaufen sein, oder? Er hatte gesagt, er hatte darüber nachgedacht. Aber nirgends war er sicherer als hier bei mir. Warum war er gegangen? War es einfach nur deswegen, dass er hier nicht gefunden werden wollte, wo er sich vielleicht gar nicht aufhalten durfte? Oder war er etwa freiwillig zum Verhör gegangen, um es hinter sich zu bringen? Dieses Mal wäre ich mitgegangen. Definitiv. Ich wollte ihm beistehen.

Ich stand auf, ohne Rücksicht auf Verluste. Der Schmerz spielte gerade keine Rolle. Ich verlor keine Zeit, zog mir keine Schuhe an. Nur in den Hosen des Krankenhauses und von meinem Verband verdeckt, lief ich durch die Korridore, durch die Straßen des Dorfes, bis zum Haus des Hokage. Ich ignorierte die Rufe des ein oder anderen Dorfbewohners. Ich rannte an den Wachen vorbei, klopfte auch nicht an, sondern stürmte einfach in Tsunades Büro.

„Wo ist Sasuke?“, forderte ich eine Antwort von der Frau, die hinter dem großen Schreibtisch saß.

Sie war nicht erfreut über mein Hereinplatzen, doch meine Frage stimmte sie noch viel wütender. „Hoffentlich ist er bereits im Verhörzimmer, wir wollen gleich anfangen. Aber –“

„Warum tut ihr ihm das an?!“, schrie ich ungehalten.

„Tsunade-sama!“, hörte ich die Stimmen der beiden Wachen hinter mir. Der Hokage machte nur eine Handbewegung und sie verstummten; die Tür schloss sich hinter mir.

„Er hat nur einen Fehler gemacht!“, rief ich aufgebracht. „Er hat sich von Trugbildern auf den falschen Weg bringen lassen, na und?! Das hätte jedem passieren können!“ Tsunades Blick war hart. Aber sie schwieg, hörte mich an. „Jeder macht Fehler!“, beharrte ich. „Und niemals würde er ihn ein zweites Mal machen! Er hat daraus gelernt! Er bereut es wirklich!“

„Still“, sagte sie harsch. „Du kannst in diesem Fall am allerwenigsten nachvollziehen, was zu tun ist“, warf sie mir vor. „Was das Richtige für das Dorf ist. Für das Land“, erklärte sie. „Du vertraust ihm noch immer. Du bist blind, siehst in ihm nur sein früheres Ich, das er nicht mehr ist.“ Ich öffnete den Mund, doch sie ließ mich gar nicht erst zu Wort kommen. „Es mag sein, dass er nur einen Fehler gemacht hat, doch dieser Fehler hat Leben gekostet, Naruto-kun. Und mit seinem Wissen, mit seiner Macht, kann er noch wesentlich mehr Schaden anrichten, als du dir auch nur vorstellen kannst.“

Ich schluckte. Ich begann zu begreifen, dass sie Recht hatte mit dem, was sie sagte. Doch das änderte nichts an dem, was ich zu ihr sagte. „Es spielt keine Rolle.“

„Oh doch, das spielt eine Rolle, Naruto“, sagte sie entschlossen und stand auf.

„Aber –“, begann ich. „Könnt ihr ihn denn nicht wenigstens normal befragen? Er wird euch alles erzählen, was ihr wissen wollt!“ Sie ließ sich davon nicht aufhalten, ging weiterhin auf die Tür zu. „Ihr nehmt ihm jede Hoffnung, dass man ihn je wieder als Bürger Konohas akzeptieren wird! Ihr trampelt in seinem Unterbewusstsein herum! Ihr macht ihn innerlich kaputt!“, schrie ich und jetzt verstummten ihre Schritte. Ich öffnete wieder die Augen und sah, dass sie innegehalten hatte.

„Es gibt keine andere Methode, um sicherzugehen, Naruto-kun. Es tut mir leid.“ Sie setzte ihren Weg fort, verließ das Büro und ließ mich verzweifelt zurück. Verzweifelt, aber nicht allein, denn die beiden Wachen standen nicht weit von mir. Sie gaben mir noch einen Moment, dann brachten sie mich wortlos ins Krankenhaus zurück. Einer von ihnen bewachte mein Krankenzimmer, damit ich das Verhör nicht stören konnte.

Stunden später hörte ich die Wache zum ersten Mal etwas hinter der Tür sagen. „Du darfst eintreten“, verstand ich. Dann klopfte es und die Tür öffnete sich. Es war Sakura.

„Warum wird dein Zimmer bewacht, Naruto?“, fragte sie besorgt. „Was ist passiert?“ Sie blieb an meinem Bett stehen und wartete auf eine Antwort.

Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte es ihr nicht sagen. Ich wollte, dass sie wieder ging. Ich wollte allein sein, wenn ich nicht bei Sasuke sein konnte.

„Hat man dich angegriffen?“, fragte sie ängstlich klingend. Ich schaute zu ihr auf. Sie glaubte tatsächlich, dass es zu meinem Schutz war und nicht dazu, mich hier gefangen zu halten. Sie wusste schließlich von Akatsukis Plänen. Wahrscheinlich wusste sie nur nicht, dass Sasuke noch immer verhört wurde.

„Nein“, antwortete ich ihr endlich. „Ich habe nur wieder versucht, das Krankenhaus zu verlassen.“

Sie seufzte und schüttelte den Kopf. Allerdings wusste sie nicht, was sie dazu sagen sollte. Sie wusste natürlich, was der Grund dafür sein musste. Sie bewegte sich auf den Stuhl neben meinem Bett zu. Sasukes Stuhl. Vorsichtig fragte sie an: „Kann ich irgendetwas–?“

„Bitte geh“, sagte ich sofort, noch bevor sie Platz genommen hatte. Auch wenn ich ihren Blick mied, konnte ich ihn deutlich spüren. Ebenso wie das Entsetzen, die Fassungslosigkeit – und ich konnte den Riss hören, der in dem Vertrauen zu mir entstand. „Lass mich bitte allein.“

Es dauerte eine ganze Weile, bis Sakura sich wieder regte. Sie entfernte sich, ging zur Tür, wo sie noch eine Zeit lang stehen blieb. Sie wollte noch etwas sagen, doch sie wusste nicht, wie. Es tat mir leid, sie so wegzuschicken, aber ich konnte gerade keine Gesellschaft ertragen.

Ich horchte auf, als die Wache das nächste Mal sprach. „Bitte“, war alles, was sie sagte. Als die Tür aufging, erwartete ich Kakashi, denn ich hörte, wie sich Schritte von meiner Tür entfernten, die wohl die der Wache sein mussten. Und wer sollte seinen Job übernehmen, wenn nicht mein Mentor?

Ich war mehr als überrascht, als Sasuke zur Tür hereinkam. Ich konnte nicht einmal seinen Namen sagen, auch wenn er mir auf der Zunge lag.

„Das Verhör wurde eingestellt“, verkündete er mir emotionslos, nachdem er die Tür geschlossen hatte.

„Eingestellt?“, wiederholte ich. „Was soll das heißen? Vertagen sie es nur wieder?“ Ich folgte Sasukes Bewegungen mit meinen Augen, bis er neben mir auf dem Stuhl saß, auf den Sakura sich eben hatte setzen wollen. Dann betrachtete ich sein Gesicht genauer. Es sah noch ein wenig ausgezehrter aus als gestern.

„Wahrscheinlich“, sagte er niedergeschlagen. Ich öffnete den Mund. Vielleicht war es meine Schuld. Vielleicht hatte ich Tsunade doch umgestimmt bekommen. Ich hatte allerdings nicht darüber nachgedacht, was genau das für Sasuke bedeutete: nämlich, dass er keine Möglichkeit hatte, klare Verhältnisse zu schaffen, seine Unschuld zu beweisen, und ständig in der Angst leben musste, wieder verhört zu werden.

Er schwieg noch einen Moment, dann sagte er: „Ich fürchte, sie glauben mir noch immer nicht.“ Meine Stirn runzelte sich. Wieso sollten sie das? Sein Unterbewusstsein konnte er schließlich nicht beeinflussen. Natürlich sagte er unter Hypnose die Wahrheit. „Sie vermuten, dass ich eine Blockade im Kopf haben könnte, die mich davon abhält, ihnen die Dinge zu verraten, die sie wissen wollen.“ Er schaute von seinen verschränkten Händen in seinem Schoß zu mir auf. „Eine Blockade, die Orochimaru ohne mein Wissen geschaffen haben soll.“

„Das ist doch absurd!“, rief ich fassungslos.

„Es ist nicht unmöglich, Naruto“, sagte er leise. „Ich weiß nicht, was er alles mit mir gemacht hat.“

Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte überhaupt nicht darüber nachdenken, was Orochimaru mit Sasuke angestellt hatte. Schließlich hatte er ihn genug verwirrt, um ihn glauben zu lassen, dass ich ihn nicht bei mir haben wollte.

„Sobald ich wieder aufstehen kann“, kündigte ich an und Sasuke schaute zu mir auf, „werden wir Akatsuki jagen und beweisen, auf welcher Seite wir stehen.“ Wir würden es beweisen, dass Kakashis Vermutung nicht stimmte. Wir würden sie einfach alle auslöschen, bis auf den letzten von ihnen, und dann sollten sie noch einmal versuchen, Sasuke zu unterstellen, dass er für sie arbeitete.

„Akatsuki jagen?“, wiederholte dieser überrascht. „Ich glaube, du weißt nicht, was du da sagst. Wir haben keine Chance gegen sie, nicht einmal mit einer Armee.“

„Deshalb greifen wir auch nicht mit einer Armee an“, sagte ich entschieden. „Sondern nur wir beide.“

Er schaute mich lange an. Dann ließ er den Blick sinken. „Ich darf Konoha nicht verlassen.“

„Was?“, entfuhr es mir fassungslos.

„Ich darf Konoha nicht mehr verlassen“, wiederholte er. Leiser fügte er hinzu: „Es klang, als wäre das endgültig.“

„Mich interessieren die Regeln nicht, die man nur für dich aufgestellt hat, weil man dir nicht vertraut.“ Entschlossen blickte ich ihn an. „Wir werden gehen und es allen beweisen, dass du nach Konoha gehörst.“ Ich streckte meine Hand nach ihm aus. Er zögerte nicht, danach zu greifen. „An meine Seite.“



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück