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Hurricane Chronicles

Wie Blätter im Wind || im Sturm der Zeit
von

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Meere lügen nicht

Ich rannte durch die scheinbar endlosen Korridore von Orochimarus untererdigem Versteck. Eine gewaltige Explosion hatte eben diese Steinmauern erschüttert. Sofort wusste ich, wer gerade aufeinandergetroffen war. Trotzdem versuchte ich, nicht an Yamatos Worte zu denken. Ich versuchte, nicht darüber nachzudenken, dass er Recht haben und es tatsächlich Sais geheime Mission sein könnte, Sasuke auszuschalten.

Jetzt sah ich Licht am Ende des Tunnels. Es war kein Gang, der eigentlich hätte ins Freie führen sollen, doch jetzt lag eine riesige Fläche von diesem Steinboden im Tageslicht, den ich bisher nur bei Kerzenschein gesehen hatte. Mir wehte bereits die frische Luft der Steppenlandschaft entgegen. Alles erstrahlte im blendend weißen Licht der Sonne, von dem ich gar nicht wusste, wie sehr ich es bereits vermisst hatte.

Ich erblickte Sai, der ohne Waffe in den Händen dastand und nach oben schaute. Ich folgte seinem Blick mit einer eindeutigen Vorahnung und erkannte etwas, das ich noch viel mehr vermisst hatte als Luft oder Licht.

Sasuke thronte auf einem Felsen vor der grellen Nachmittagssonne. Das Licht blendete so sehr, dass ich die Augen zusammenkneifen musste, um ihn zu erkennen. Und auch dann erkannte ich ihn kaum wieder.

Das Geräusch einer Klinge, die an Metall schleifte, ließ mich entsetzt zur Seite sehen. Sai zog sein Schwert.

„Nein!“, schrie ich und stürmte auf ihn zu. Er hielt inne, verharrte mit seiner Schwertspitze noch hinter seiner Schutzhülle verborgen.

„Er wird uns alle umbringen“, sagte er ernst. „Er lässt nicht mit sich reden, Naruto-kun. Gib es auf.“

„Nein!“, schrie ich und Sai starrte mich nur an. Ebenso spürte ich Sasukes Blick auf mir. Ich schaute wieder zu ihm auf. Er rührte sich nicht. Nichts schien ihn berühren zu können. Nichts, von dem, was sich hier unten abspielte, schien von Interesse für ihn zu sein. Als hätte es nichts mit ihm zu tun. „Sasuke…“, entfuhr es mir, jedoch so leise, dass er es wohl nicht hören konnte. Dennoch setzte er sich jetzt in Bewegung. Er kam den steilen Abhang hinunter. Für einen Moment schien er zu schweben, doch dann bewegte er sich so schnell – plötzlich stand er vor mir und legte einen Arm um mich.

Meine Augen weiteten sich. Ich konnte es nicht fassen. Ich wollte etwas sagen, doch ich wusste nicht, was. Ich wollte ihm vertrauen, doch ich wusste nicht, wie. Ich wollte hoffen – und ich wusste nur zu gut, worauf.

Plötzlich zuckte Sasukes Körper nach vorn und er starrte mich an, als hätte ich ihm in den Magen geschlagen. Automatisch suchten meine Augen seine Erscheinung ab, suchten die Ursache für seinen entsetzen Blick. Sie fanden eine Schwertklinge, die auf bizarre Weise aus seiner Brust ragte. Dann sah ich Sai, der hinter ihm stand, den Griff seines Schwertes in beiden Händen, seine Augen ernst, mit einer Spur von Mitgefühl. „Es tut mir leid, Naruto-kun. Es musste sein.“ Mit diesen Worten zog Sai seine Waffe zurück und ließ Sasukes Blut in mein Gesicht spritzen.

„Nein!“, schrie ich und sah, wie Sasukes geweiteten Augen langsam zufielen. Sein Körper sank schwer hinab zu meinen Füßen. Ich hielt ihn fest, doch ich konnte ihn nicht davon abhalten, mich mit hinunterzuziehen. Meine Beine wollten mich selbst schon nicht mehr tragen. Ich atmete flach, als hätte ich selbst diese tiefe Fleischwunde, die ich in Sasukes Brust sehen konnte. „Nein“, murmelte ich und wollte das Blut stoppen, das unaufhörlich seine Kleider durchtränkte, doch ich wagte es nicht, ihn zu berühren, aus der absurden Angst heraus, ihm wehtun zu können. „Nein“, wiederholte ich immer wieder. „Nein.“

Da schlug Sasuke die Augen wieder auf. Er öffnete seine Lider jedoch so langsam, dass ich befürchtete, dass er es mit letzter Kraft tat. „Sakura!“, schrie ich jetzt, ohne meine Augen von Sasuke zu nehmen. „Tu etwas! Hilf ihm!“ Ich hörte ihre hastigen Schritte auf dem steinigen Boden. Sie eilte zu uns, doch ich fürchtete, dass sie zu spät kommen würde, denn in diesem Moment spuckte Sasuke Blut. Es fiel hinab auf seinen bereits scharlachroten Oberkörper. „Nein“, sagte ich abermals. „Bleib bei mir, Sasuke.“ Ich schloss die Augen, wollte all das Blut nicht mehr sehen. „Sakura!“, schrie ich, doch sie war bereits neben mir, stellte ich fest, als ich die Augen wieder öffnete. Ich sah, wie sie ihre zitternden Hände über Sasukes Wunde hielt.

„Sie ist zu tief“, murmelte sie vor sich hin. Wahrscheinlich sprach sie nur mit sich selbst. Es wäre mir lieber gewesen, wenn sie es nur in ihrem Kopf getan hätte. „Sein Herz wurde getroffen. Er verliert zu viel Blut.“

„Nein“, war alles, was ich sagen konnte. Dann blickte ich in Sasukes Augen, die sich gerade wieder öffneten.

„Nicht“, flüsterte er. Ich verstand nicht, was er meinte. Wollte er nicht gerettet werden? Wollte er hier etwa sterben? Jetzt? Und auf diese Weise? Noch bevor ich erfahren hatte, was mit uns passiert war? Und ob wir uns noch retten konnten? Er bewegte seine Lippen ein weiteres Mal. „Nicht weinen, Bibiri-kun.“ Erst jetzt, da er es sagte, bemerkte ich die Tränen, die meine Wangen hinabflossen. Etwas Ähnliches wie ein Lachen verließ meine Kehle. Ich schüttelte den Kopf, konnte nichts dazu sagen. Es war so absurd, dass er mich noch immer so nannte. Und das in dieser Situation, in der ich nur aus Angst um ihn weinte. Ich fürchtete so sehr, dass dieses Wort wieder das letzte sein würde, das er zu mir sagte, bevor er verschwand. Wie vor zweieinhalb Jahren auch.

Seine Finger bewegten sich, als wollten sie etwas tun. Sie hoben sich mir entgegen und ich ergriff sie sofort, drückte sie zuversichtlich. „Du wirst das schaffen, Sasuke. Ganz sicher. Ich bin nicht den ganzen Weg hierhergekommen, nur um dich sterben zu sehen, hörst du, Teme! Dafür bin ich nicht hergekommen, dattebayo!“

„Wofür dann?“, fragte er leise und schluckte. „Wofür, Usuraton–?“ Ein gurgelndes Geräusch aus seinem Mund unterbrach ihn. Ich glaubte, dass es Blut war, das ihn davon abhielt weiterzusprechen.

„Um dich nach Hause zu holen, Sasuke“, sagte ich leise. „Um dich zu mir zurückzuholen.“ Meine Stimme brach. Mein Körper fühlte sich taub an. Die wenigen Teile, die ich noch spüren konnte, schmerzten. Selbst die warmen Tränen auf meinen Wangen schienen im Wind zu brennen.

Er ließ seine Augenlider zufallen. „Ich bleibe hier“, sagte er schwach, aber mit einer Gewissheit, die mir einen Schlag in den Magen versetzte.

Ich starrte ihn an. „Nein“, sagte ich atemlos. Er öffnete seine Augen kein weiteres Mal. „NEIN!“

„Naruto-kun“, sagte eine Stimme, doch ich wollte sie nicht hören. „Naruto-kun“, wiederholte sie bestimmter und rüttelte an mir, wollte mich von Sasuke fortziehen. Sakura hatte ihre Hände bereits zurückgenommen. Sie hatte aufgegeben. Ich klammerte mich an Sasukes reglosem Körper fest. „Naruto-kun.“ Jetzt erkannte ich Sais Stimme und schlug die Augen auf. Ich konnte kaum noch etwas durch meine Tränen hindurch sehen. „Naruto-kun“, sagte er fast erleichtert, als hatte er befürchtet, ich würde einfach mit ihm sterben.

Du Verräter!“, schrie ich ihn an und packte ihn am Kragen. „Warum? Warum hast du das getan?!“ Er schaute mich nur erschrocken an, als verstand er nicht, was er getan hatte. Ebenso wenig wie er angeblich jegliche Form von Gefühlen verstehen konnte. Aber das war mir egal. Er hatte gewusst, wofür wir hier waren. Ich hatte ihm gesagt, wie viel mir an Sasuke lag. Und dennoch hatte er einfach… Er hatte einfach… Ich sah wieder das Messer in Sasukes Brust. Das Blut. Seine geschlossenen Augen. Ich holte aus –

„Naruto!“, schrie Sakuras Stimme von irgendwoher. Ich dachte, sie müsste noch direkt neben mir stehen, doch es klang, als kam ihr Ruf aus weiterer Ferne. Ich schaute mich irritiert um und bemerkte erst jetzt, dass es ziemlich dunkel um mich war. Eben hatte ich doch noch in gleißendem Sonnenlicht gestanden.

Sakura und Yamato standen ein paar Meter entfernt zwischen den Bäumen und sahen mit besorgten Gesichtern zu mir zurück. Sakura wandte nach einem langen Moment ihr Gesicht ab, als konnte sie meinem Blick nicht länger standhalten. Dann schaute ich mir die Umgebung genauer an. Wir waren nicht mehr in der Ruine von Orochimarus Unterschlupf. Wir waren mitten in einem Wald.

Ich konnte nur starren und wieder die Bilder sehen, die ich bis eben gesehen hatte. Ich war verwirrt. Es konnte nicht sein. Auch die Tränen auf meinen Wangen waren noch nicht getrocknet. Ich musste kurz bewusstlos geworden sein. Doch wie hätte es dann bereits so dunkel und die Landschaft hier eine so andere sein können?

Nein, ich hatte nicht geschlafen. Ich hatte doch eben noch Sasuke in meinen Armen gehalten. Ich hatte ihn gespürt. Ich hatte sein warmes Blut an mir trocknen gespürt. Ich suchte es auf meinen Kleidern, doch da war nichts. Nichts Rotes. Und nichts Warmes. Ich zitterte.

„Naruto-kun?“, schaltete Sai sich wieder ein. Ich hatte ihn fast wieder vergessen. Dabei hielt ich noch immer seinen Kragen fest.

Und ich ließ ihn auch jetzt nicht los. Ich schaute ihm verzweifelt in die Augen. „Wir haben Sasuke noch nicht gefunden, richtig?“ Es war die einzige Erklärung. Es musste ein Traum gewesen sein. „Richtig?“ Für mich hing alles von dieser Antwort ab. „Wir haben ihn noch nicht gefunden!“, beharrte ich und wusste, dass ich es nicht akzeptieren würde, wenn er etwas anderes behauptete.

„Nein“, antwortete er zu meiner Erleichterung. „Wir haben ihn noch nicht gefunden.“ Er sagte das, als täte es ihm leid, dabei war es die beste Antwort, die er mir gerade geben konnte. Und die einzige, die ich ihm glauben würde.

„Kann ich etwas für dich tun, Naruto-kun?“, fragte er schließlich. Ich bemerkte, dass die Tränen noch immer nicht aufgehört hatten. Und ich hatte seinen Kragen noch immer nicht losgelassen. Das schien ihn zu beunruhigen.

Ich schüttelte den Kopf, ließ endlich von ihm ab und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Unerwartet legte er mir eine Hand auf die Schulter. Sofort dachte ich an Sasukes Arm, der vor Kurzem noch dort gelegen hatte. Dann sah ich wieder die Klinge in seiner Brust. Ich stieß Sais Hand fort.

Er schaute mich überrascht und beinahe gekränkt an. Aber er konnte mir gerade nicht leidtun. Er hatte Sasuke sein Schwert durch die Brust…

„Leg dich wieder hin, Naruto-kun.“ Es war die Stimme Yamatos, die meine Gedanken unterbrach.

„Was ist passiert, Naruto?“, fragte Sakura jetzt zögerlich. Ich hatte das Gefühl, dass sie glaubte, dass Sai mir etwas angetan hatte.

„Ich hatte einen Albtraum“, antwortete ich ihr leise. Ich war mir nicht sicher, ob sie mich gehört hatte, doch sie fragte nicht nach. Dennoch sagte ich: „Ein Albtraum, der zu real war, um nur ein Traum zu sein.“ Ich fühlte in meiner Gürteltasche nach Sasukes Stirnschutz. Er war noch immer da.

Ich spürte die Erschöpfung von meinem Körper Besitz ergreifen. Ich befolgte Yamatos Anordnung und legte mich zurück ins Gras, in dem ich scheinbar zuvor gelegen hatte. Kurz darauf schlief ich ein und wusste am nächsten Morgen nicht mehr, dass ich in dieser Nacht überhaupt etwas geträumt hatte.
 

~
 

Ne, Naruto?“, sprach Sakura mich irgendwann an, während wir auf die Entscheidung Yamatos warteten, was wir mit Sai anstellen sollten. Er saß von Holz gefesselt vor uns gegen einen Felsen gelehnt. Ich konnte es noch immer nicht fassen, dass er sich auf Orochimarus Seite gestellt hatte. Allmählich hatte ich das Gefühl, nicht mehr zu wissen, wem ich noch trauen konnte und wem nicht.

„Wovon hast du vorletzte Nacht geträumt?“, wollte Sakura auf einmal wissen. Ich schaute sie überrascht an. Warum sollte sie mich so etwas fragen? Aus heiterem Himmel? Außerdem vergaß man seine Träume doch wieder, oder nicht? „Hatte es etwas mit Sasuke-kun zu tun?“ Ich starrte sie nur an. Mein Kopf war vollkommen leer, bis auf die Frage: Was will Sakura von mir hören? Woher wollte sie überhaupt wissen, dass ich irgendetwas geträumt hatte? „Hatte es auch etwas mit Sai zu tun?“, fragte sie dann; ihre Stimme klang immer aufgeregter. „Hast du im Traum gewusst, dass wir ihm nicht trauen können?!“ Ich runzelte die Stirn, blickte zu Sai. Er schaute mich aufmerksam an, als wollte er ebenso eine Antwort auf diese Frage. Aber woher hätte ich das wissen sollen? Ich verstand nicht, worauf sie hinauswollte. „Hättest du es verhindern können, verdammt noch mal?!“, schrie sie mich an.

„Sakura“, sagte Yamato streng. „Still. Wir sind dem Feind zu nahe, um so laut sein zu dürfen.“

Gomennasai“, sagte sie kleinlaut und begann zu weinen. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich verstand nicht, was passiert war. Alles erschien mir so unwirklich, als wäre es nur ein Traum. Doch Yamatos intensiver Blick zeigte mir, dass ich mich in der Realität befand. Er schaute mich an, als wollte er mich mit bloßen Augen zum Reden bringen. Doch ich wusste nicht, was er hören wollte.

„Naruto-kun“, sagte er schließlich und ich blickte ihn hoffnungsvoll und furchtsam zugleich an. Ich wünschte mir, dass er mich aufklären würde, was hier gerade geschah. „Wir werden jetzt in Orochimarus Versteck eindringen. Wenn du noch irgendetwas weißt, das wir auch wissen sollten, dann sag es jetzt.“ Ich starrte Yamato nur mit offenem Mund an. Ratlos schüttelte ich den Kopf. Ich wusste nicht, wovon die beiden sprachen. Was alle drei, selbst Sai, zu wissen schienen.

„Dann gehen wir jetzt“, sagte er abschließend.

„Warum setzt du dich so für Sasuke ein?“, ergriff Sai plötzlich das Wort. „Warum liegt dir so viel daran, ihn zurückzuholen?“ Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Er hatte am wenigsten von allen das Recht, über Sasuke zu sprechen. Er kannte ihn nicht einmal. Er wusste überhaupt nichts über ihn. Wenn er auch nur ein weiteres Wort über ihn sagen würde, dann würde ich mich nicht zurückhalten, auch wenn er hilflos gefesselt vor mir saß. Ich machte einen Schritt auf ihn zu, wollte ihm das ins Gesicht sagen, doch bevor ich das tun konnte, sprach er weiter. „Ich habe ihn getroffen.“

Ich hielt inne. Mein kompletter Körper spannte sich an, als würde jeder Muskel auf diesen Satz reagieren. Er war ihm begegnet. Er hatte ihn gesehen, vor nur wenigen Minuten wahrscheinlich. Ein anderes, jedoch ähnliches Gefühl mischte sich meinem Zorn bei. Ich glaubte, dass es so etwas wie Eifersucht war. „Ich verstehe nicht, warum du ihn zurückhaben willst.“ Ich atmete tief ein, versuchte, mich zu beruhigen. Ich musste in Erfahrung bringen, was er wusste. Zuvor durfte ich ihm nichts tun. Doch ich verspürte den intensiven Drang, Sai zu verletzen. Ich wollte ihm ins Gesicht schlagen. Ich wollte ihn würgen. Ich wollte, dass er zu sprechen aufhörte. Doch er sagte: „Ihm bist du vollkommen egal.“

Mein Blick ging ins Leere.

„Ignoriert ihn“, befahl Yamato. „Lasst ihn reden. Und lasst uns gehen.“ Er wandte sich von Sai ab, doch ich blieb stehen. Ich konnte und wollte mich nicht von der Stelle rühren.

„Naruto“, sagte Sakura leise. Ich wusste nicht, ob sie erstaunt klang oder beruhigend klingen wollte, weil sie mich davon abhalten wollte, auf Sai loszugehen.

Ich spürte alle Blicke auf mir, als ich entschlossen sagte: „Ich werde Sasuke zurückholen.“ Sai schaute mich nur ausdruckslos an. „Ich werde dafür kämpfen. Ich werde alles tun, was dazu nötig ist. Und wenn Orochimaru mich in Stücke reißt – ich werde Sasuke zurückholen.“

Nach diesen Worten lief ich, entschlossener denn je, auf den von Yamato geschaffenen Eingang zu. Als ich jedoch das singende Geräusch einer Klinge im Wind hörte, sprang ich instinktiv zurück – kurz bevor mich eine Handvoll Kunai durchbohrt hätte.

„Wirst du nicht“, sagte eine männliche Stimme, die mir bekannt vorkam, und plötzlich stand Kabuto schützend vor Sai.

Sein Anblick ließ mich rot sehen. Dieser Mann war die rechte Hand von Orochimaru. Er hatte ihm geholfen, schon damals im Chuunin-Turnier, Sasuke mit dem Mal Orochimarus zu versehen. Ihm diesen Virus einzupflanzen, der wahrscheinlich der Hauptgrund war, weshalb Sasuke sich überhaupt dazu hatte bringen lassen, zu Orochimaru zu gehen. Ich wusste, wenn ich die Gelegenheit bekommen würde, würde ich ihn umbringen.

Kagebunshin no Jutsu!“ Ich zögerte nicht, ging auf ihn los. Er wich jedem meiner Angriffe aus, mit wie vielen Kagebunshin ich ihn auch gleichzeitig zu attackieren versuchte. Er war einfach zu schnell. Yamato und Sakura versuchten es ebenfalls, doch auch sie bekamen ihn nicht zu fassen, weder mit ihren Händen, noch mit seinen Holzblöcken, die er aus dem Boden heraufbeschwor. Kabuto gelang es dabei sogar noch, Sai aus der Schusslinie zu bringen. Er brachte einen sicheren Abstand zwischen die beiden und uns, und befreite Sai aus seinem Holzgefängnis.

„Was Sai gesagt hat, ist die Wahrheit“, begann Kabuto unvermittelt und machte einen Schritt auf uns zu. „Den Sasuke, den du kennst, gibt es nicht mehr.“

Wut erfüllte mich. Keiner hatte das Recht, über Sasuke zu urteilen. Niemand der hier Anwesenden kannte Sasuke auch nur annähernd so gut wie Sakura und ich. Ich wusste, dass die Chance bestand, dass sie Recht hatten, doch ich würde es mit meinen eigenen Augen sehen wollen. Und selbst dann würde ich ihn mit nach Konoha zurücknehmen und dort alles daran setzen, ihn wieder zur Vernunft zu bringen. Das Siegel Orochimarus musste irgendwie zerstört werden können. Es gab immer einen Weg. Man musste ihn nur finden. Und in diesem Fall würde ich ihn definitiv finden.

Ich wollte Kabuto das Maul stopfen, doch ich wusste, dass er einfach viel zu schnell für mich war. Meine angespannten Arme zitterten vor Wut. Es machte mich wahnsinnig, diese Machtlosigkeit. Ich musste doch etwas tun können. Wenn ich nur schnell genug wäre, dann würde ich es aus Kabuto herausprügeln, wo Sasuke sich aufhielt.

Plötzlich, als könnten meine Gedanken ihm bereits die Schmerzen bereiten, die ich ihm zufügen wollte, ging Kabuto in die Knie. Sai stand hinter ihm und hatte ihn sicher in seinem Griff. „Jetzt, Yamato-taichou.“

Nach einer überraschten Sekunde Reaktionszeit formte unser Teamleiter mit seinen Händen die notwendigen Zeichen und ließ einen Käfig aus Holz um Kabutos Körper entstehen.

„Sai“, entfuhr es mir. Ich wusste nicht mehr, was ich von ihm halten sollte. Auf welcher Seite stand er nun?

„Ich will euch helfen“, sagte er nur zur Erklärung. „Euch und Sasuke.“ Und seltsamerweise vertraute ich ihm. Ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, warum. Wir mussten weiter. Wir mussten Sasuke finden.
 

~
 

„Sasuke-kun“, hörte ich die Stimme Orochimarus. „Wir haben Besuch.“ Ich öffnete die Augen, auch wenn ich bereits wusste, was ich am Eingang der Halle vorfinden würde. „Das ist Sai, ein junger Shinobi aus Konoha.“ Jetzt öffneten sich meine Augen ein Stück weiter. Aus Konoha? Das hatte ich nicht vorhergesehen. Sofort fluteten mich Erinnerungen an meine Heimat. An die letzten Stunden, die ich dort verbracht hatte. An die Person, die mich dort hatte fallen lassen, nur um mir zu folgen, damit ich sie ebenfalls fallen lassen konnte.

Ich konnte die Bilder jetzt nicht aufhalten, sie strömten aus meinem Unterbewusstsein, freigelassen von dieser einen Information; alles, was ich tun konnte, war, es mir nicht anmerken zu lassen, dass es so war. Ich beäugte Sai kritisch, fragte mich, wozu er hier war. Lange blieb mein Blick an seinem Stirnschutz hängen, der mich so sehr an den Kampf mit Naruto erinnerte. Jetzt kam es mir alles, was damals passiert war, nur wie ein Traum vor. Meine Erinnerungen waren verzerrt, so gewaltsam hatte ich sie zu verdrängen versucht. So oft hatte ich sie im Traum verformt.

Im nächsten Moment ergriff Sai das Wort: „Wie ich höre, bist du der Grund, weshalb Naruto-kun und Sakura-san losgezogen sind.“

Mein Herz blieb einen Moment stehen. Seit Jahren hatte ich diese Namen nur noch in meinen Träumen und Gedanken gehört; niemand hatte sie seither je laut ausgesprochen. Niemand. Nicht einmal ich selbst. Jedes Mal, wenn ich in meiner Verzweiflung in die Versuchung gekommen war, hatte ich meine Kiefer aufeinandergepresst oder mir auf die Zunge gebissen. Und dieser Junge hier sagte seinen Namen so selbstverständlich, als würde er es jeden Tag tun.

Sagte er die Wahrheit? War Naruto wirklich auf der Suche nach mir? Zeitweise hatte ich fast die Zuversicht verloren, dass ich ihn jemals wiedersehen würde. Hoffnung wollte jetzt in mir aufkeimen, doch ich erstickte sie sofort. Wenn er mich suchte, dann sicher nur, um Rache zu üben. Um den Verräter, der ich war, zu bestrafen.

„Du hast gesagt, du trainierst heute Nachmittag mit mir, Orochimaru“, wich ich dem gesamten Thema aus und stand auf. Ich wollte hier weg. Ich wollte kein weiteres Wort aus dem Mund des jungen Shinobi hören. Er hatte schon genug Schaden angerichtet mit seiner Anwesenheit und diesem einen Satz. Ich suchte den Blick meines Trainers und versuchte, meine Augen dabei nicht zu Sai schweifen zu lassen.

„Ich habe viel über dich von Naruto-kun gehört“, redete dieser jedoch einfach weiter, als hätte ich mit ihm gesprochen. Meine Augen fokussierten sich ungewollt auf ihn. Auf seine freien Arme und Beine, seinen entblößten Bauch. Ich spießte ihn auf mit meinem Blick, so wie er mein Herz aufspießte mit seinen Worten. „Aber ich begreife noch immer nicht, was ihm an dir liegt. Wie er noch Hoffnung haben kann, dass du irgendwann nach Konoha zurückkehren wirst.“ Mein Atem stockte. Mein Herz schlug in doppeltem Tempo weiter. „Ich verstehe es nicht. Was verbindet euch denn überhaupt noch?“

Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Es war, als hielt er tatsächlich meine Brust fest. Als hätte er mein Herz in eisernem Griff, weil er wusste, wofür es schlug. Ich glaubte zu begreifen, dass er ein Genjutsu auf mich angewandt hatte, versuchte, es aufzulösen, doch es funktionierte nicht. Es war die Realität. Es waren nur seine Worte, die mich in einen Bann gezogen hatten.

„Und nicht nur Naruto-kun“, fuhr Sai fort. „Bei Sakura-san ist es nicht anders.“

Mein gesamter Körper spannte sich an. Die Erwähnung Sakuras ließ die schrecklichen Bilder wieder aufkommen, wie Naruto nur Augen für sie hatte, wie er einen Arm um sie gelegt hatte, wie sie zusammen mein Zimmer verlassen hatten. Der Zorn, der in mir aufwallte, holte mich wieder in das Jetzt und Hier zurück. Und ich wusste, was ich tun wollte. Ich wollte Sai bestrafen für das, was er mir gerade antat.

Ich benutzte mein Sharingan, um ihn Todesangst spüren zu lassen. Er sollte leiden. Er sollte bereuen. Und er sollte wissen, dass ich ihn umbringen würde für das, dass er scheinbar meinen ehemaligen Platz zwischen Naruto und Sakura eingenommen hatte.

„Hör auf, Sasuke“, befahl Orochimaru und ich wandte nach einem Moment den Blick ab. Fürs Erste würde es ihm eine Lehre sein; das konnte ich an seinem kreidebleichen, von Schweiß überzogenen Gesicht sehen. Und ich würde schon noch eine Gelegenheit haben, ihn umzubringen.

„Gehen wir“, sagte ich nur, bevor ich zielstrebig auf den Seitenausgang zuging und den Raum verließ. Orochimaru folgte mir zu einem unserer Trainingsräume. Ich versuchte, meine Gedanken zurückzudrängen, an nichts zu denken außer an mein Ziel, wollte meine Wut für mein Training nutzen, doch schon nach kurzer Zeit brach Orochimaru ab.

„Du bist gerade nicht konzentriert genug“, sagte er streng. Er schien enttäuscht und verärgert, doch wie immer ließ er sich nicht viel davon anmerken. Erst wenn er einen gewissen Punkt erreicht hatte, rastete er aus und dann konnte es gefährlich für mich werden. „Ruh dich ein wenig aus“, sagte er jetzt jedoch ruhig. Es war, als zeigte er Verständnis für meine momentane Situation. Ich wusste jedoch, dass es nicht so war. Er war beunruhigt. Beunruhigt, was die Erwähnung von Narutos Namen bei mir anrichten konnte. „Wir können auch später noch trainieren.“

Ich nickte nur und verließ den Raum. Meine Hände waren zu Fäusten geballt, als ich durch die Korridore zu meinem Zimmer ging. Ich warf die Tür so fest hinter mir zu, dass sie ins Schloss fiel und wieder heraussprang. Ich schlug meine Faust gegen das Holz und zwang es so an seinen Platz.

Ausruhen sollte ich mich. Ich schnaubte. An Ruhe war nicht zu denken. Weder für meinen Körper noch für meinen Geist. Rastlos ging ich in meinem Zimmer auf und ab. Ich hatte es geahnt, dass es irgendwann so kommen würde. Ich hatte versucht, mich mental darauf vorzubereiten, dass ich auch außerhalb von meinem Kopf wieder mit ihm konfrontiert werden würde, selbst wenn es nur sein Name, die simple Erwähnung dessen, war. Ich hatte nur gehofft, dass ich mich bis dahin besser im Griff haben würde. Diese Schwäche auch noch Orochimaru zu zeigen, war das Fatalste an der Sache. Früher oder später würde es ihn vielleicht doch noch dazu bringen, Naruto zu beseitigen, bevor er Akatsuki in die Hände fiel. Und davor fürchtete ich mich am meisten.

Das wiederum war der Ansporn für mein Training. Meine Motivation, stärker zu werden, um Akatsuki die Stirn bieten zu können. Mein absolutes Ziel war es, alle Mitglieder der Organisation, allen voran Itachi, zu töten und sie davon abzuhalten, sich an der Macht der Jinchuuriki zu bereichern ¬– Jinchuuriki, wie Naruto einer war.

Orochimaru hatte mir erzählt, was Akatsuki mit denjenigen vorhatte, die einen Bijuu in sich versiegelt trugen. Gaara hatte es bereits getroffen. Er hatte unter ungewöhnlichen Umständen sogar überlebt, doch da würde er der Einzige der Jinchuuriki bleiben, der so viel Glück hatte.

Niedergeschlagenheit übermannte mich. Ich fühlte mich so machtlos. Ich hatte immer gedacht, Orochimaru wäre derjenige, der unübertroffene Stärke besaß. Doch da hatte ich mich getäuscht. Schon bald hatte ich herausgefunden, dass er noch keine Chance gegen Akatsuki hatte. Er selbst versuchte – wie ich – die Macht zu erlangen, etwas gegen sie ausrichten zu können. Manchmal war ich mir nicht ganz sicher, ob ich nicht sogar bereits stärker war als er. Und ob ihn das nur deshalb nicht störte, weil er ohnehin bald meinen Körper mit all seinen Kräften besitzen würde.

Diese Gewissheit verdrängte ich immer wieder erfolgreich aus meinem Kopf. Es jagte mir etwas Angst ein, nicht zu wissen, wie es sein würde, wenn Orochimaru meinen Körper übernahm. Und ich hatte Albträume davon, dass Orochimaru nicht nur die Mitglieder Akatsukis zur Strecke bringen würde, sondern auch – ohne zu zögern – Narutos Leben mit meinen Händen auslöschen würde.

Hin und wieder dachte ich darüber nach, ob ich denn noch eine Chance hatte, aus diesem Teufelskreis wieder herauszukommen. Ob ich möglicherweise sogar nach Konoha zurückkehren dürfte, wenn ich Orochimaru, der mir sicherlich bereits vertraute, umbrachte und dem Hokage gegenüber behauptete, nur ein Spion gewesen zu sein. Ein perfekt getarnter Maulwurf. Ob man mich am Leben ließe, wenn ich alle Geheimnisse Orochimarus, all sein Wissen über Akatsuki, an den Hokage weitergab. Ob man mit der Kraft Konohas und seiner Verbündeten eine Chance gegen diese mächtige Organisation hatte. Und ob all meine Probleme damit gelöst wären. Das größte davon war: Würde Narutos Bild von mir sich wieder reinwaschen lassen? Könnte er die letzten drei Jahre vergessen und mir verzeihen? Würde er mich zurück in seine Nähe lassen, wenn auch nicht direkt an seine Seite?

Als ich von Konoha aufgebrochen war, hatte ich gedacht, dass es nichts Schlimmeres gäbe, als Naruto in den Armen einer anderen zu sehen. Doch die Jahre hier bei Orochimaru, in der Dunkelheit und Einsamkeit seiner Verliese, hatten mich gelehrt, dass es Schlimmeres gab. Und ich hätte alles dafür gegeben, die Zeit zurückdrehen zu können und mich noch einmal zu entscheiden, ob ich Konoha verlassen wollte.

Ich spürte die Tränen mit einem beißenden Gefühl meinen Hals hinauf bis hinter meine Augen steigen, wo sie schließlich nach vorne schossen und schmerzhaft meinen Augapfel umflossen, als wäre es Säure, die ihn langsam zerfraß. So lange hatte ich mich davon abgehalten zu weinen. So lange hatte ich es geschafft, dem Drang nicht nachzugeben, auch wenn er mich immer wieder zu überwältigen versucht hatte. Seit dem Tag, nach dem ich ihn im Tal des Endes hatte bewusstlos liegen lassen, nach dieser Nacht, in der ich den ganzen Weg zu Orochimaru geweint hatte, hatte ich den seelischen Schmerz gewaltsam unter meine Kontrolle gebracht und es nicht wieder getan. Bis jetzt. Sai hatte all das wieder aufgewühlt, was ich schon beinahe erfolgreich in Emotionslosigkeit ertränkt hatte. Jetzt war es zu spät, der Damm war gebrochen. Ich konnte die Wassermassen nicht aufhalten. Es gab nur einen, der das jetzt könnte.

Wider meinen Absichten legte ich mich auf mein Bett, rollte mich zusammen und kauerte dort wie früher, als ich noch ein kleiner Junge gewesen war. Ich wusste, dass ich mich wie ein Kind verhielt, doch so fühlte ich mich gerade auch: klein, einsam und hilflos.

Die Tränenspuren auf meinen Wangen waren getrocknet, waren mehrere Male erneut überflutet worden und abermals getrocknet, als ich eine Aura vor meiner Tür spürte. Sofort erstarrte ich und lauschte mit offenen Augen. Die Tür öffnete sich nahezu geräuschlos. Ein absurder Gedanke ging mir durch den Kopf: Naruto ist hier. Aber ich wusste, dass das keine Eingebung war. Es war nur Wunschdenken.

Ninpou: Choujuu Giga“, hörte ich eine Stimme flüstern, die ich als Sais wiedererkannte. Das leise Hissen von Schlangen erfüllte den Raum. Sie kamen näher. Er hatte also den Spieß umgedreht. Jetzt versuchte er, mich zuerst zu töten. Ich fragte mich, warum. Ich fragte mich, ob er deshalb hier war. War die Erwähnung von Naruto Teil seines Plans gewesen? Hatte er mich damit schwächen wollen? Woher hatte er von dieser Schwäche erfahren? Hatten Naruto und Sakura ihn geschickt? Um mich zu töten? Um das dritte Rad am Wagen zu zerstören, das in die falsche Richtung gerollt war?

„Was ist deine Aufgabe?“, fragte ich ohne Einleitung. Es dauerte einen Moment, bis er antwortete. Zu schockiert war er wohl darüber, dass ich ihn bemerkt hatte.

„Der Auftrag, den mir Danzou gab, ist, dich zu töten“, sagte er sachlich. Das Hissen der Schlangen kam nicht mehr näher. Sie waren bereits bei mir. Sie warteten nur darauf, zubeißen zu dürfen. Doch zuvor wollte er mir scheinbar noch etwas sagen. „Aber ich bin hier, um dich nach Konoha zurückzubringen.“

Meine Augen weiteten sich. Ich starrte durch die Wand vor mir hindurch. Mit dieser Aussage hatte ich nicht gerechnet. Ich wollte sie nicht glauben. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es so war. Niemand wollte mich wirklich zurück in Konoha haben. Alle sahen nur einen Verräter in mir. Ich war ein Nukenin. Eine Gefahr für das Dorf. Selbst Naruto hatte wahrscheinlich nur meinen Kopf gewollt, als er mich bis zum Tal des Endes verfolgt hatte. Auch wenn er anderes behauptet hatte.

„Ich will diese Bande zwischen euch beschützen“, erklärte Sai und brachte mich damit komplett aus der Fassung.

„Bande?“, echote ich wie in Trance. Ich wollte, dass er mir erläuterte, was genau er meinte. Was man ihm gesagt hatte, was uns verband. Ob Naruto tatsächlich mit ihm darüber gesprochen hatte. Ohne zu spotten. Vielleicht tat es ihm leid, was er getan hatte. Vielleicht war auch das der Grund gewesen, warum er mir bis ins Tal des Endes gefolgt war. Vielleicht wollte er sich bei mir entschuldigen. Vielleicht hatte er eingesehen, dass es falsch gewesen war. Vielleicht hatte er seine Gefühle für mich nur verleugnet, weil Sakura ihnen auf die Schliche gekommen war.

Doch dann sagte Sai: „Diese Freundschaft zwischen euch dreien.“

Wut erfüllte mich. Das hatte man ihm also gesagt? Dass wir Freunde wären? Naruto, Sakura und ich?

„Und dafür hast du meine Ruhe gestört?“, sagte ich bitter. Ich hörte Sai nach Luft schnappen. Er konnte die Kälte meiner Frage wohl spüren. Und er konnte es ahnen, dass ich vorhatte anzugreifen. Im nächsten Moment fielen mich die Schlangen an, wanden sich um meinen Körper, um mich bewegungsunfähig zu machen. Meine Geduld war am Ende. Mein Zorn explodierte und legte die umliegenden Korridore in Schutt und Asche.
 

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Ich rannte durch die scheinbar endlosen Korridore von Orochimarus untererdigem Versteck. Eine gewaltige Explosion hatte eben diese Steinmauern erschüttert. Sofort wusste ich, wer gerade aufeinandergetroffen war. Trotzdem versuchte ich, nicht an Yamatos Worte zu denken. Ich versuchte, nicht darüber nachzudenken, dass er Recht haben und es tatsächlich Sais geheime Mission sein könnte, Sasuke auszuschalten.

Jetzt sah ich Licht am Ende des Tunnels. Ich war meinem Ziel bereits so nahe. Ich konnte es spüren. Dann erblickte ich Sai, der ohne Waffe in den Händen dastand und nach oben schaute. Ich erreichte ihn, folgte seinem Blick gegen das gleißende Sonnenlicht mit einer eindeutigen Vorahnung.

„Sasuke“, entfuhr es mir. Ich blieb stehen. Ich hatte es gewusst, dass er es sein musste, der dort oben stand. Dennoch überwältigte mich diese Tatsache. Ich wusste nicht recht, ob ich es glauben durfte. Ob nicht all das hier ein Trick war. Ein Traum wahrscheinlich. So unwirklich wie sich alles für mich anfühlte.

Zweieinhalb Jahre waren vergangen, seit ich ihn zuletzt gesehen hatte. Man konnte die Veränderung des Alters Sasuke deutlich ansehen. Er war sicherlich ein oder zwei Köpfe gewachsen und sein Körper, dessen Brust zur Hälfte frei lag, erschien mir jetzt muskulöser, männlicher. Die Haarsträhnen fielen ihm länger ins Gesicht. Und doch war es jetzt weniger verdeckt als damals. Früher hatte er immer seinen Stirnschutz getragen, der die komplette Stirn verdeckt hatte. Jetzt sah man mehr von der blassen Haut, die ich berühren wollte. Ich wollte sie unter meinen Fingern spüren. Ich wollte mich versichern, dass er nicht nur eine Fata Morgana war.

Aber ich konnte mich nicht bewegen. Ich wollte zu ihm, aber mein Körper bewegte sich nicht von der Stelle. Es schien, als hätte Sasuke die Zeit angehalten. Als wären wir alle gefangen in diesem Moment der Wiedervereinigung, von der keiner wusste, ob sie erfolgreich sein würde. Der Einzige, der das entscheiden konnte, war Sasuke. Doch er schien sich diesem Umstand nicht bewusst. Er war die Ruhe selbst. Es schien fast, als langweilte ihn diese Stille. Aber keiner wagte, sie zu zerstören. Keiner rührte sich. Alle warteten, was passieren würde. Alle warteten auf Sasuke. Auf irgendeine Reaktion. Sie kam nicht.

Meine Beine begannen zu zittern. Ich konnte es nicht fassen, dass ich ihn endlich gefunden hatte. Dass er dort oben stand, unversehrt. Kein einziger dieser schwarzen Flecken im Gesicht oder an einem anderen Teil seines Körpers, wie es schien. Seine Augen waren dunkel, keine Spur mehr von dieser unnatürlich orangenfarbenen Iris. Ich hoffte auch, dass ich diese grässlichen dunklen Flügel nie wiedersehen musste, die ich zuletzt aus seinem Rücken hatte sprießen sehen. Nur das Mal in seinem Nacken war geblieben von dieser Zeit. Aber das würde ich in Kauf nehmen. Ich würde es küssend annehmen, wenn Sasuke mich nur ließ. Ich würde es küssen wie in der Nacht vor zweieinhalb Jahren.

Ich wusste, dass ich mir gerade Hoffnungen machte, dass ich noch eine Chance hatte, exakt den Sasuke zurückzubekommen, der damals Konoha verlassen hatte. Mein Verstand sagte mir, dass das nicht ging, zu viel hatte sich verändert, zu viel war passiert, zu unwahrscheinlich war es, dass er zurückkommen wollte. Doch ich wollte nicht auf meinen Verstand hören. Ich wollte die Hoffnung nicht aufgeben.

Auch wenn man Sasuke keine allzu große äußerliche Veränderung anmerken konnte, während er scheinbar seelenruhig auf uns hinabblickte, spürte ich, dass sich doch einiges gewandelt hatte. Etwas war definitiv anders. Er wirkte anders auf mich. Seine Körperhaltung war auf jeden Fall eine andere; er hatte sein Kinn weiter angehoben als früher, auch wenn es dort oben stehend erst recht keinen Grund dazu gab; er hätte so oder so auf uns herabschauen müssen. Seine Pose erweckte auch deshalb einen anderen Eindruck, da er nicht mehr seine Hände in den Hosentaschen hatte. Eine Hand hatte er in die Hüfte gestemmt; sie schien noch an diese alte Angewohnheit erinnern zu wollen.

Er wirkte so irgendwie selbstbewusster. Wie jemand, der schon die halbe Welt gesehen hatte. Er wirkte freier. Wie der Wind, der mit seinen Haaren spielte. Er wirkte offener. Wie das Gewand, das kaum seine Brust verdeckte. Selbst sein Chakra fühlte sich etwas anders an. Und doch war es immer noch eindeutig Sasuke. Für mich war er unverwechselbar. Er hätte sich noch so verändert haben können, ich hätte ihn überall wiedererkannt. Allerdings war ich mir nicht sicher, ob das auf Gegenseitigkeit beruhte. Seine Augen schauten mit einer Leere zu mir hinab, als erkannte er mich gar nicht.

Das Geräusch einer Klinge, die an Metall schleifte, ließ mich entsetzt zur Seite sehen. Sai zog sein Schwert.

„Nein!“, schrie ich und stürmte auf ihn zu. Er hielt inne, verharrte mit seiner Schwertspitze noch hinter seiner Schutzhülle verborgen.

„Er wird uns alle umbringen“, sagte er ernst. „Er lässt nicht mit sich reden, Naruto-kun. Gib es auf.“

Ich hatte ein Déjà-vu. Ich hatte das Gefühl, ich hatte ihn eben diese Worte schon einmal sagen hören. Doch wann? Wo? Wie konnte das sein?

„Nein!“, schrie ich trotzdem bestimmt. Sai starrte mich nur an. Ebenso spürte ich Sasukes Blick auf mir. Ich schaute wieder zu ihm auf. Er rührte sich noch immer nicht. Niemand rührte sich. Und doch glaubte ich zu wissen, dass gleich etwas passieren würde. Dieses Wissen war irgendwo in diesem gerade so verwirrten Kopf von mir, doch es wollte mir nicht einfallen. Ich wusste nur, dass gleich etwas passierte. Doch ich wusste nicht, was.

Plötzlich setzte Sasuke sich in Bewegung. Er kam den steilen Abhang hinunter. Zu mir. Ich hörte sein Gewand im Wind flattern. Keine Sekunde schien vergangen, da stand er auf einmal vor mir und legte einen Arm um mich.

Mein Herz blieb stehen.

Der Wind, den er bei dieser unfassbar schnellen Bewegung mitbrachte, wehte sachte um mein Gesicht. Er roch nach ihm. Es war Sasukes unverwechselbarer Duft – er hatte sich nicht verändert.

Mein Herzschlag setzte wieder ein, als ich Sasuke einatmen hörte. „Naruto“, sagte seine Stimme so unglaublich nahe an meinem Ohr, wie ich nicht gedacht hätte, dass ich sie je wieder hören würde. Auch sie hatte sich verändert. Sie war tiefer geworden. Vielleicht war es jedoch auch nur sein Tonfall. Vielleicht wollte er, das nur ich seine Worte verstand. „War es nicht dein Traum, Hokage zu werden?“

Ich konnte nur weiterhin mit weit geöffneten Augen geradeaus schauen. Ich sah die Felsklippe vor mir jedoch nicht. Ich sah nur die Tatsache, dass Sasuke bei mir war. Dass er direkt vor mir stand. Dass er sanft meine Schulter berührte. Dass er mit mir sprach. Dass er meinen Namen gesagt hatte.

„Warum bist du dann hier?“, fragte er weiter und es war wie ein Schlag in die Magengrube. „Solltest du nicht besser dafür trainieren?“

Meine Augenbrauen zogen sich etwas zusammen. Es tat weh, seine spöttischen Worte zu hören. Doch was hatte ich erwartet? Ich atmete zitternd ein. Ich hoffte, dass er das nicht hören konnte. „Jemand, der nicht einmal einen einzigen Freund retten kann, sollte nicht Hokage werden“, erklärte ich verbissen. Ich war selbst überrascht, wie sicher meine Worte klangen.

Sasuke schwieg. Er verharrte in seiner Position. Ich konnte ihn ruhig atmen hören. Ich wollte mir einbilden, dass er sich wohl fühlte in meiner Nähe. Dass er diesen Moment absichtlich so lange hinauszögern würde, wie er nur konnte. Dass er ihn genießen würde, solange man ihn ließ. Ebenso wie ich es tat.

Ich hörte erneut das Geräusch von schleifendem Metall. Dieses Mal kam es jedoch von direkt vor mir. Sasuke zog sein Schwert.

Das Blut in meinen Adern gefror. Ich konnte es nicht fassen. Ich wollte etwas sagen, doch ich wusste nicht, was. Ich wollte ihm vertrauen, doch ich wusste nicht, wie. Ich wollte hoffen – und ich wusste nur zu gut, worauf.

Sasukes Arm hob sich, streckte sich immer weiter. Ich konnte es nicht sehen, doch ich spürte es an dem leichten Druck, den sein anderer Arm auf meine Schulter ausübte. Und ich hörte es, wie die Klinge die Schwertscheide verließ und in der Stille summte. Noch ein, zwei Sekunden verstrichen, bis der Gesang des Metalls verstummt war.

Das war der Moment, in dem ich mich an meinen Traum erinnerte.

Meine Augen weiteten sich. Ich sah in rascher Abfolge die Bilder wieder vor mir, wie Sasukes Körper nach vorne zuckte, wie Sais Schwertspitze aus seiner Brust herausragte, wie all das Blut überquoll und Sasuke dennoch versuchte, mir etwas zu sagen.

„Nein!“, schrie ich automatisch und griff um Sasukes Oberkörper, stieß mich vom Boden ab und sprang die steile Klippe hinauf. Ich hörte Sasuke an meinem Ohr keuchen, spürte, wie sich seine Hand in meine Schulter grub, um sich fest- und die Balance halten zu können. Oben angekommen, schaute ich zuerst panisch zu Sai hinab, der jedoch noch immer an Ort und Stelle stand, den Griff seines Schwertes in der Hand, aber er hatte es noch immer nicht vollständig herausgezogen. Er war vollkommen perplex. Ich ebenso, denn ich hatte erwartet, dass dasselbe passieren würde wie in meinem Traum. Dass Sai angreifen würde. Dass er Sasuke umbringen würde. Und auch wenn es gerade Sasuke gewesen war, der sein Schwert gegen mich erhoben hatte, war die Angst, ihn durch Sais Hand zu verlieren, größer. Sie hatte mich zum Handeln gezwungen. Ich wollte Sasuke in Sicherheit wissen. Ich wollte die Chance, mit ihm zu reden. Ich wollte die Chance, ihn umzustimmen. Ich wollte die Chance, ihn zu verstehen.

Dann blickte ich in Sasukes Augen und sah sein Erstaunen. Es war wohl berechtigt. Ich musste davon ausgehen, dass er vorgehabt hatte, mich anzugreifen, und dennoch hatte ich ihn einfach gepackt und ihn aus der Reichweite der anderen gerettet – der einzigen, die mich davor bewahren könnten, seinem Schwert zum Opfer zu fallen. Und Sasukes Hand war tatsächlich kampfbereit am Schaft seiner Waffe. Was vielleicht aber nur daran lag, dass er befürchtete, dass ich ihn angreifen würde. Dass dieser Sprung bereits Teil meiner Attacke war. Aber weiter ging er nicht. Er verharrte in dieser Position und starrte mich nur wortlos an. Er konnte es ebenso wenig begreifen wie ich, wie viel Vertrauen ich noch immer in ihn legen konnte. Niemand würde das wohl verstehen.

Ich starrte zurück. Erst jetzt wurde ich mir deutlich bewusst, dass ich ihn noch immer festhielt. Und er hatte auch noch immer seine Hand an meiner Schulter. Jetzt ließen seine Finger langsam, unendlich langsam, locker, ohne mich jedoch vollkommen freizugeben.

„Naruto!“, schrie Sai von unten herauf und ich hörte die Panik, die aus seiner Stimme sprach. Ich war mir sicher, dass er glaubte, dass Sasuke mich angreifen würde, oder mich gar bereits kampfunfähig gemacht hatte; schließlich starrte ich Sasuke nur noch an, als stünde ich bereits unter seinem Bann – ohne dass sein Sharingan zu sehen war. Ich war froh, dass er es gerade nicht zeigte. Das machte mir mehr Hoffnung, dass der alte Sasuke noch immer in ihm steckte.

„Naruto-kun!“, schrie Sai ein weiteres Mal und ich hörte den Widerhall seiner Schritte von den Steinwänden, als er zu uns heraufgerannt kam. Meine Augen weiteten sich erschrocken. Ich wusste, dass ich Sasuke vor Sai beschützen musste. Dass ich mit Worten diese Situation nicht mehr rechtzeitig retten konnte. Ich wandte mich um, zog zwei Kunai aus meiner Tasche und stellte mich mit ausgebreiteten Armen und bewaffneten Händen Sai in den Weg.

Ich hörte Sasuke nicht weit von meinem Ohr erneut überrascht einatmen. Er war fassungslos. Sai dagegen schien damit gerechnet zu haben. Seine Gesichtszüge verhärteten sich. Er würde sich an mir durchkämpfen, das wusste ich. Und er würde es vielleicht sogar schaffen, denn zu sehr lenkte mich Sasukes Nähe ab. Sein Arm war noch immer um mich gelegt, schwebte jetzt jedoch ein Stück über meiner Schulter und berührte mich stattdessen am Hals. Er hatte ihn wahrscheinlich wegnehmen wollen, als ich mich urplötzlich umgedreht hatte, war dann jedoch in der Bewegung erstarrt.

Ich versuchte, diese Tatsache und seine Nähe auszublenden, konzentrierte mich auf Sai, der rasant näherkam. Hinter ihm, wie ich aus dem Augenwinkel sah, rannte nun auch Sakura los. Ich atmete tief ein, verkrampfte meine Finger um die Kunai in meinen Händen, und wartete auf den richtigen Moment, um sie einzusetzen.

Doch er kam nicht. Denn plötzlich drückte Sasukes Arm sich gegen meine Kehle.

Entsetzt schnappte ich nach Luft. Er würde doch nicht… Ich hörte wieder Metall gegeneinander schleifen. Dann griff auch noch sein zweiter Arm um meinen Bauch wie eine Schlange, zog mich nach hinten, und ich hoffte im ersten Moment sogar noch, dass er mich an sich pressen würde, dass er mich umarmen wollte, dass er mich bei sich haben wollte in seiner letzten Minute, doch er war nicht mehr da – ich fiel.

Erschreckt wollte ich meine Arme nach hinten ausstrecken, um mich abzufangen, doch damit wirbelte ich nur den schwarzen Nebel um mich herum auf, der mich einzuschließen und das Tageslicht auszusperren drohte. Es wurde für einen Augenblick vollkommen dunkel um mich, dann spürte ich etwas gegen mein Schlüsselbein pressen und auf einmal hatte ich wieder festen Boden unter meinen Füßen. Mit einem sanften Windstoß war der seltsame Nebel um mich herum verschwunden und ich sah Sasukes Hände, die mich sicher festhielten.

Mein Atem ging schnell, mein Herz raste, meine Finger krallten sich in die Haltegriffe der Kunai in meinen Händen. Ich starrte mit weit aufgerissenen Augen vor mich in den Wald hinein. Sonnenlicht fiel durch die Blätter und tanzte auf dem Gras unter uns.

„Naruto.“ Ich konnte es kaum glauben, dass es tatsächlich noch Sasukes Stimme war, die direkt an meinem Ohr sprach. Ich wusste nicht mehr, wo ich war, wusste nicht, wo die anderen waren, wusste nicht, was eben passiert war; woher sollte ich sicher wissen, dass Sasuke noch bei mir war? Wie konnte ich so sicher sein, dass dies Sasukes schlanke Hände waren? Ich hatte gedacht, jemand anderes hätte mich aus diesem Albtraum gerettet und würde mir gleich sagen, dass wir Sasuke noch nicht gefunden hatten.

Abgesehen von meiner Brust, die sich rasch hob und senkte, rührte ich mich nicht. Ich wusste auch nicht, was ich tun sollte. Sasukes Hand war noch immer an meinem Bauch, die andere, die er an mein Schlüsselbein gepresst hatte, um mich vor dem Fall zu bewahren, lockerte allmählich ihren Halt und zog sich zurück. Erst jetzt begriff ich, dass er längst meine Kehle wieder freigegeben hatte. Ich schluckte, konnte jedoch danach noch immer nicht sprechen. Sasuke schien es nicht anders zu gehen. Er schwieg, wartete. Ich glaube, wir wussten beide nicht, worauf.

Es verging eine Ewigkeit, bevor er erneut meinen Namen sagte. „Naruto.“ Ich drehte mich nicht um. Ich wusste nicht, wie ich ihm ins Gesicht sehen sollte. Als er allerdings seine Hand nun auch noch von meinem Bauch nahm und mir somit das unausgesprochene Recht entzog, bei ihm stehen bleiben zu dürfen, ließ ich die Kunai in meinen Händen ins Gras fallen und wandte mich um.

Auf unsicheren Beinen stand ich nun vor ihm, meine Hände hingen ungelenk und hilflos neben meinem Körper. Ich fühlte mich so schutzlos ausgeliefert wie noch nie. Als würde ich ihm meine Seele offenlegen, als ich nichts als seinen Namen sagte. „Sasuke.“ Er schaute mich an, als wäre es wirklich so. Als sähe er plötzlich so tief in mich hinein, dass er nicht mehr sicher sein konnte, selbst wieder herauszufinden.
 

~
 

„Naruto“, sagte ich zum zweiten Mal. So lange hatte ich es mir verboten, diesen Namen auch nur zu denken, geschweige denn, ihn laut auszusprechen. Warum tat ich es jetzt? Warum hatte ich ihn hierhergebracht, anstatt ihn anzugreifen, als ich die perfekte Gelegenheit dazu gehabt hatte? Warum hatte ich mein Schwert weggesteckt und zog es auch jetzt nicht mehr in Erwägung, es wieder hervorzuholen? Er stand noch immer reglos mit dem Rücken zu mir. Er würde nicht ausweichen, das wusste ich jetzt. Er hatte es nicht getan, als ich die Felsklippe hinuntergekommen war, und er hatte sich nicht von der Stelle gerührt, als ich mein Schwert gezogen hatte. Entweder wollte er, dass ich ihn umbrachte, oder er war wirklich so gutgläubig zu denken, dass ich es auch dieses Mal nicht tun würde, nur weil ich ihn schon damals im Tal des Endes verschont hatte.

Ich hatte meine Hand noch immer an seinem Bauch liegen. Je mehr Sekunden verstrichen, desto weniger Gründe konnte ich finden, sie noch länger dort zu halten. Langsam zog ich sie weg, als hoffte ich, dass er es nicht bemerken würde. Doch natürlich tat er das. Er reagierte nach einer kurzen Verzögerung und ließ, zu meiner Verwunderung, die Kunai aus seinen Fingern gleiten. Dann wandte er sich zu mir um und nahm mir fast den Atem.

Ich hatte ihn von der Klippe aus bereits betrachtet, doch es war kein Vergleich dazu, ihn jetzt aus der Nähe zu sehen. Er sah erwachsener aus. Er schien ebenso schnell an Höhe gewonnen zu haben wie ich. Wir hatten noch immer dieselbe Größe. Wir waren auf einer Augenhöhe. Seine Statur war kräftiger, seine Schultern schienen breiter geworden zu sein. Seine Haare waren etwas länger als früher; einige Strähnen hingen wild über seinen Stirnschutz. Sein Gesicht war nicht mehr so rundlich wie früher; alles Kindliche war aus seinen Zügen verschwunden. Er wirkte ernster. Die Vorstellung, dass er noch immer so viel lachte wie damals, war unmöglich. Ich hatte ihn noch nicht einmal lächeln sehen.

Etwas in mir krampfte sich zusammen. Ich wollte ihn lächeln sehen.

Ich wollte, dass wieder alles wie früher war. Ich wollte, dass er sich darüber aufregte, dass die Missionen zu einfach waren. Ich wollte, dass er sich am Hinterkopf kratzte und sich dafür entschuldigte, dass er seinen Teil der Mission nicht erfüllt hatte. Dass er zu laut gewesen war und die Feinde auf uns aufmerksam gemacht hatte. Ich wollte, dass er mich mit einem Schmollmund ansah, weil Kakashi mich gelobt hatte, ihn aber nicht. Ich wollte, dass er die Arme verschränkte und „Bakasuke“ zu mir sagte. Ich wollte, dass er mich zu einem Trainingskampf herausforderte. Ich wollte sein Lächeln sehen, wenn ich die Herausforderung annahm.

Ich schüttelte den Kopf und trat einen Schritt zurück. Ich durfte mich nicht von den schönen Erinnerungen einlullen lassen. Ich durfte mich nicht von Naruto in seinen Bann ziehen lassen. Auch jetzt sah er mich mit diesen großen Augen an, denen man nichts abschlagen konnte. Er würde mir sicherlich nur wieder etwas vorspielen. Sein einziges Ziel konnte nur sein, mich nach Konoha zu bringen, um dort die Belohnung für meinen Kopf einzukassieren. Der Hokage würde wahrscheinlich alles geben, um die Infos über Orochimaru von mir aus erster Hand zu bekommen. Das war sicher auch der Grund, weshalb er mich am Leben ließ. Weshalb er mich eben beschützt hatte. Vielleicht war er von Team 7 sogar der Einzige, der davon wusste. Der Einzige, der diese Spezialmission bekommen hatte.

So gerne würde ich ihn einfach fragen, ob es so war. Doch er würde mir niemals eine ehrliche Antwort geben. Und vielleicht würde er mir auch überhaupt keine Antworten geben. Sein Mund blieb stumm. Sein Blick flehte dafür umso lauter. Ich war mir sicher, dass er glaubte, dass er mich allein damit überzeugen könnte, mit ihm zu gehen.

„Wofür bist du hergekommen?“, fragte ich ihn jetzt direkt. Ich hielt die Stille nicht mehr aus und er schien nicht den Anfang machen zu wollen. Vielleicht würde er es mir sogar sagen. Vielleicht spielte es auch keine Rolle für ihn, ob er es mir sagte oder nicht, weil er ohnehin vorhatte, mich bewusstlos zurückzutragen. Wahrscheinlich konnte er sich gar nicht zurückhalten, weil es ihn in den Fingern juckte, wieder gegen mich zu kämpfen. Sein Blick wirkte im Moment jedoch eher, als könnte er keiner Fliege etwas antun. Und er hatte die Kunai fallen lassen. Nein. Er wollte nicht kämpfen. Noch nicht.

Ich wusste nicht, womit ich gerechnet hatte. Oft hatte ich darüber nachgedacht, was passieren würde, wenn wir wieder aufeinandertrafen. Ich hatte mich vor dieser Begegnung gefürchtet. All die Jahre lang. Nicht etwa, weil ich Angst hatte, er könnte so stark sein, dass er mich besiegen würde – ich war mir sogar ziemlich sicher, dass er mich schon im Tal des Endes hätte erledigen können, wenn er nur gewollt oder genug Kontrolle über sich gehabt hätte; ich hätte allenfalls Furcht verspürt vor dem, was mich erwartete, wenn er mich in Konoha auslieferte. Nein, es war hauptsächlich die Angst davor, wie er mich ansehen würde. Ob er es tatsächlich schaffen würde, mich ein weiteres Mal mit diesen glasklaren Augen zu täuschen. „Was willst du hier?“

„Ich will dich nach Konoha zurückholen, Sasuke“, antwortete er sofort, als hätte er nur auf diese Frage gewartet. Aber er schaute mich dabei an, als könnte er mich nicht verstehen. Als könnte er es einfach nicht begreifen, was mich von meiner Heimat fortgetrieben hatte. Dabei müsste er das am besten wissen.

„Und wozu?“, fuhr ich ihn an. „Es gibt keinen Grund mehr für mich, in dieses Dorf zurückzugehen.“

„Warum?!“, brauste er auf. „Warum sind wir alle kein Grund für dich?“ Er schaute mich wütend an, seine Hände zu Fäusten geballt. „Wenn du schon nicht für mich zurückkehren willst, dann tu es mindestens für Sakura! Für Kakashi-sensei! Für dein Dorf!“ Meine Augen verengten sich zu Schlitzen. Aber ich wusste dennoch nicht, was ich darauf sagen sollte. Die Erwähnung Kakashis schmerzte mich. Doch die Erwähnung Sakuras noch mehr. „Was hat Orochimaru nur mit dir gemacht?“, wollte er jetzt wissen. In seiner Stimme schwang eine Besorgnis mit, die er nicht verbergen konnte. Oder: die er mich deutlich hören lassen wollte. Es klang fast übertrieben. „Wie konntest du dich nur so verändern? Ich erkenne dich fast nicht wieder…“ Der letzte Satz war kaum mehr als ein Flüstern.

Ich schnaubte. „Du bist wirklich das Letzte. Treib deine Spielchen mit wem du willst, aber nicht mit mir. Kein zweites Mal.“ Er schaute mich verwirrt an, als wüsste er nicht, wovon ich sprach. Wie konnte er es nur zu leugnen versuchen? Glaubte er, nicht einmal drei Jahre würden alles aus meinem Gedächtnis löschen? Ich wandte mich um. „Geh nach Hause.“ Ich wartete einen Moment, bevor ich losging und hinzufügte: „Geh nach Hause und verwirkliche deinen Traum. Werde Hokage, so wie du es schon immer wolltest.“

Ich hörte ihn empört Luft holen. Dann schrie er: „Ich habe es dir eben schon gesagt! Wie soll ich Hokage werden, wenn ich nicht einmal einen einzigen Freund retten kann?!“ Ich hielt inne. Ja, dasselbe hatte er vorhin auch schon gesagt, doch es traf mich nichtsdestotrotz aufs Neue. Das war ich also für ihn? Nur ein Freund? Aus diesem Grund wollte er mich wiederhaben? Diese Worte klangen wie auswendig gelernt.

Ich fing an zu lachen. Ich wusste nicht, was mehr wehtat. Die Schmerzen in meinem Kopf bei diesem fürchterlich ungewohnten und unechten Geräusch aus meinem Mund – oder die tiefen Stiche in meiner Brust.

Ich wandte mich halb zu ihm um. „Was ist los, Naruto? Wieso lachst du nicht?“ Mein ganzer Körper erbebte bei dem Versuch zu lachen und ein fürchterlicher Schmerz durchfuhr mich, der mir die vielen Bilder zeigte, die ich über die Jahre so verzweifelt zu unterdrücken versucht hatte. Er riss an meinen Gesichtszügen und verformte sie zu einer gequälten Grimasse. Die Geräusche, die aus meiner Kehle kamen, waren alles andere als das, wozu ich sie zwingen wollte. Ich hielt eine Hand an meinen Bauch, dabei schmerzte das Lachen nicht nur dort, sondern überall.

Ich war mir noch vor Kurzem so sicher gewesen, dass ich stark genug geworden war, um tatsächlich darüber lachen zu können. Ich hatte so hart dafür trainiert, um alles, besonders Naruto, hinter mir zu lassen, alle Bande zwischen uns zu trennen, und trotzdem fühlte ich mich so erbärmlich, so schwach, jetzt da ich ihm gegenüberstand. Ich versuchte, ihm diese Schwäche nicht zu zeigen. Diese Blöße würde ich mir nicht geben. Ich hatte abgeschlossen mit der Vergangenheit. Endgültig.

„Ist es nicht genauso wie damals?“, fragte ich, noch immer belustigt klingend. Naruto blickte mich verständnislos an. Ich suchte sein Gesicht ab, nach irgendeinem Hinweis, der mir seine Gedanken verriet. Seine Augen waren so tief und rein, wie ich sie in Erinnerung hatte. Wie ich sie in jedem meiner Träume sah. Ich wandte mich um, wusste nicht mehr, ob ich meine Gesichtszüge unter Kontrolle hatte. Ich zwang alle Tränen zurück, die wieder und wieder drohten auszubrechen, und lachte stattdessen nochmals bitter auf, versuchte, mich dazu zu bringen, mich dafür, was er mir damals angetan hatte, rächen zu wollen. Doch noch immer wollte ich ihm nicht wehtun. Weil ich genau wusste, dass ich mir damit nur selbst wehtun würde. Auch mein erzwungenes Gelächter verletzte mich selbst um so vieles mehr, als es ihn das je könnte.

„Ich finde das absolut nicht witzig!“, schrie er mich plötzlich an. „Hör endlich auf damit!“, rief er außer sich und rannte mit erhobenen Fäusten auf mich zu. Ich sah verschwommen, wie er schnell näherkam und mit seiner Rechten ausholte. Ich hätte diesem Schlag mit Leichtigkeit ausweichen können, wenn ich nur noch einen Funken Kraft in mir gehabt hätte, einen vernünftigen Gedanken zusammengebracht hätte. Aber alles, wozu ich in diesem Moment im Stande war, war meine Augen zu schließen und auf den Zusammenstoß zu warten. Dieser kam auch bald darauf. „Nichts hieran ist witzig!“ Seine Faust traf mich hart auf meiner linken Gesichtshälfte und brachte mich so tatsächlich für einen Moment in die Realität zurück. Ich taumelte ein paar Schritte zur Seite und legte meine Finger an meine pochende Wange. Ich hielt meine Augen geschlossen. Ich wollte Narutos Blick nicht sehen. Ich musste für ihn aussehen, als wäre ich vollkommen wahnsinnig. Ich konnte in keinster Weise mehr den Eindruck erwecken, ein Shinobi zu sein, ein stolzer Kämpfer. Ich war nur noch ein Wahnsinniger.

Kurz darauf hörte ich meinen Namen aus seinem Mund, dieses Mal ganz in meiner Nähe. Ich öffnete langsam die Augen. Naruto starrte mich mit wilder Entschlossenheit an, sein Körper war nach wie vor in Kampfbereitschaft. Ich fragte mich, was der Grund dafür war. Wofür er so verbissen kämpfte. Wahrscheinlich glaubte er, dass er nur mit meiner Auslieferung sich genügend Ehre verschaffen könnte, um Hokage zu werden. Aber warum beendete er es dann nicht einfach? Warum brachte er mich nicht zur Bewusstlosigkeit? Es war bisher nur ein einziger Fausthieb gewesen. Er wusste, dass ich mehr aushielt als das. Aber er holte nicht noch einmal aus. Er blieb an Ort und Stelle stehen, auch wenn ihn das einige Anstrengung zu kosten schien.

Er schaute mich unbeugsam an. „Ich werde dich nach Konoha zurückbringen, selbst wenn ich dir jeden Knochen einzeln brechen muss!“ Es waren dieselben Worte wie vor zweieinhalb Jahren. Es hatte sich nichts geändert. Als wäre die Zeit stehen geblieben, seit ich Konoha – Naruto – verlassen hatte. Er sagte mir immer wieder dasselbe. Er war wie eine kaputte Schallplatte.

„Nur einen Grund…“, murmelte ich, während ich mich wieder aufrecht vor ihn stellte, nach wie vor in dem Bann seines intensiven Blicks. „Nenn mir nur einen Grund, weshalb ich nach Konoha zurückkehren sollte.“ Meine Stimme wurde lauter. „Nur einen verdammten Grund!“ Ich schrie: „Nur einen!“

„Weil ich dich –“ Er zögerte, versuchte seine Worte mit Bedacht zu wählen. Er suchte nach denjenigen, die mich umstimmen würden; ich konnte es deutlich sehen. Verzweifelt suchte er nach dem einfachsten Weg, um mich nach Konoha zu bringen. „Weil ich dich brauche, dattebayo!“

Etwas presste meinen Brustkorb zusammen. Er wusste genau, dass er mich damit treffen konnte. Er wusste genau, was mein Schwachpunkt war, was ich mir noch immer wünschte. Und er nutzte dieses Wissen schamlos aus.

Jetzt war ich es, der die Kontrolle verlor. Mein Zorn übermannte mich. Seine Worte waren so absurd. Nach dem, was er getan hatte, zu behaupten, dass er mich brauchte! Es war der reinste Hohn! Nicht einmal jetzt, nach so langer Zeit, konnte er ehrlich zu mir sein. Es machte mich wahnsinnig. Ich hatte dieses Katz-und-Maus-Spiel satt. Wenn er damals schon von Anfang die Wahrheit gesagt hätte, hätte mir das so viel Leid erspart.

„Du verdammter Heuchler!“ Ich zog mein Schwert und stürzte auf ihn zu. Alarmiert sprang er zurück und ließ mehrere Kagebunshin erscheinen. Nicht einmal seine Kampftechnik hatte sich geändert. Nichts. Ich zerschlug sie alle, auch diejenigen, die sich in den Bäumen versteckt hielten, damit er sie zu einem späteren Zeitpunkt einsetzen konnte. Hatte er geglaubt, dass ich es ihm so leicht machen würde? Dazu musste ich noch nicht einmal mein Sharingan einsetzen. Ich konnte sein Chakra auch so spüren.

Dann griff ich Naruto direkt an. „Weil du mich brauchst!“, spottete ich, zeigte ihm, dass ich ihm kein Wort glaubte. „Dass ich nicht lache!“ Er schaffte es gerade noch, mir auszuweichen. Ich setzte jedoch sofort nach, bekam seinen Unterarm zu fassen und packte mit aller Kraft zu. „Wozu? Um mich auszuliefern?“ Wie von selbst setzte sich meine Wut frei, erzeugte mächtige Blitze, die ich durch seinen Körper strömen ließ. Sein von Schmerz erfüllter Schrei, der jetzt durch die Stille des Waldes hallte, zerriss mich innerlich. Egal was ich tat, letztendlich war immer ich derjenige, der am meisten Leid davontrug. Es war frustrierend. Doch ich konnte nicht aufhören. Ich musste ihn stoppen. Diesen Schmerz. Ein für alle Mal.

„Sasuke…!“, rief Naruto verzweifelt und streckte seinen anderen Arm nach mir aus. Seine Finger griffen an den Saum meines Gewandes. Sie krallten sich in den Stoff, zogen daran, jedoch so schwach, dass er nicht mehr tat, als es etwas zu lockern und in Unordnung zu bringen. Er stand vornübergebeugt da, sodass ich sein Gesicht nicht sehen konnte. Er krümmte sich vor Schmerzen. Sie zwangen ihn auch langsam in die Knie. Ich beobachtete das Geschehen, als hätte es nichts mit mir zu tun. Als geschah es nur in einem Traum, den ich nicht ändern konnte. Bitte, Sasuke…!

Jetzt erst wachte ich aus meiner Trance auf. Ich ließ ihn los. Es war genug. Naruto sank langsam tiefer, seine Hand konnte den Stoff nicht mehr festhalten. Noch immer zuckten leuchtende Blitze meinen Arm herab. Doch sie konnten ihn nicht mehr erreichen. Mit einem Stöhnen fiel er rücklings zu Boden. Ich steckte mein Schwert zurück. Es war vorbei. Es war fast ein Wunder, dass er noch lebte. Sein Herz hätte eigentlich zum Stillstand kommen müssen.

Ich starrte lange auf ihn hinab. Sein Gesicht war noch immer schmerzverzerrt. Sein Arm zuckte auch noch leicht. Die Elektrizität hatte seinen Körper noch nicht ganz verlassen. Aber das würde sie. Früher oder später würde sie das. Alles verlässt einen irgendwann.

Bevor das wieder geschehen konnte, bevor er mich erneut verlassen konnte, wollte ich lieber selbst gehen. Auch wenn ein Teil von mir das nicht wollte. Auch wenn etwas in mir sagte, dass ich lieber auf ihn hinabstarren wollte, selbst wenn es schmerzte. Dass ich lieber wissen wollte, wo er war, was er tat und wie es ihm ging. Anstatt es nicht zu wissen und es mich ständig zu fragen. So wie ich es die letzten Jahre getan hatte.

Nach einem letzten Blick, um mich zu vergewissern, dass er keinen allzu großen Schaden genommen hatte, riss ich meine Augen los und wandte mich schließlich zum Gehen. In diesem Moment griff Narutos Hand nach meiner.

Ich erstarrte in der Bewegung. Warum ließ er mich nicht gehen? Warum hielt er so entschlossen an mir fest? Warum quälte er mich so? Ich schloss die Augen. Warum? Und wieder durchzogen ihn so viele Blitze, dass er den Kopf in den Nacken warf und aufschrie. Meine Hand ließ er aber nicht los. Im Gegenteil. Er verstärkte den Griff sogar noch. „Dieses Mal…“, presste er aus zusammengebissenen Zähnen hervor. „…lasse ich dich nicht… vor mir… davonrennen.“ Ich starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Wieso ging er so weit für mich? Ich schwächte jetzt meinen Chakra-Fluss, brachte ihn zurück auf ein normales Maß, stoppte das blitzende Element, das in uns beiden tobte.

Auch jetzt ließ er meine Hand noch nicht los. Er drückte sie sanft, so wie damals, bei unserem ersten Date. Zu der Zeit hatte ich gedacht, dass ich es wohl niemals herausfinden würde, wie sich meine eigene Hand in seiner anfühlen würde. Jetzt wusste ich es. Aber es war nicht schön zu wissen, dass sein Arm dabei brennen musste wie Feuer.

Lange verharrten wir in dieser Position. Ich schaute noch immer vor meine Füße, von ihm weg. Ich konnte es nicht glauben, dass er meine Hand, die ihn so gequält hatte, noch immer so liebevoll halten konnte. Warum tat er das? Ich spürte, wie ich mir wieder Hoffnungen machte, und versuchte, sie zu verdrängen. Ich hatte meine Lektion von damals nicht gelernt. Trotzdem würde ich alles in meiner Macht Stehende tun, diesem Drang nicht noch einmal nachzugeben. Dabei wäre es so einfach. Ich könnte mich einfach zu ihm umdrehen, ihn in meine Arme schließen und so tun, als wäre nichts gewesen. Als wäre das einfach nur ein schrecklich langer Albtraum gewesen. Es wäre so einfach, mich selbst zu belügen. Ich wusste genau, dass ich das konnte.

Ich zögerte. So lange, bis mich die Realität wieder einholte. Naruto war schon immer so gewesen. Er zeigte immer vollen Körpereinsatz. Er hatte kein Problem mit Körperkontakt. Er war zu allen so. Es bedeutete nichts. Und er war mit Sakura zusammen. Ja, Sakura war mit Sicherheit bereits auf dem Weg hierher. Sie würde uns bald gefunden haben. Allzu weit hatte ich uns nicht von Orochimarus Versteck weggebracht.

Diese Gewissheit ließ mich wieder klarer denken. Im nächsten Augenblick fand ich sogar die Kraft dazu, mich von Naruto loszureißen, indem ich seine Hand von mir wegschlug. Doch ich wusste, dass ihn das nicht dazu bewegen konnte, endlich aufzugeben. Dazu kannte ich ihn zu gut. Er würde seinen Willen durchzusetzen versuchen, egal was das nun für mich bedeutete. Darüber schien er sich keine Gedanken zu machen. Das hatte er noch nie getan.

„Bitte, Sasuke“, flehte er und wollte erneut nach meiner Hand greifen, aber ich ließ ihn gar nicht erst, sondern machte einen Schritt von ihm fort, entfernte mich aus seiner Reichweite und wandte mich vollständig zu ihm um, nur um zu sehen, wie er, weil er meinen Arm nicht mehr zu fassen bekam, auf den Knien stehend, sein Gleichgewicht verlor und nach vorn umkippte. Er fing sich mit seinem linken Arm ab, doch dieser knickte einfach ein. Scheinbar hatte er mich zuvor mit seinem rechten und zuletzt mit diesem Arm festgehalten. Ich hatte sie also beide verletzt. Den anderen jedoch sicherlich stärker. Dort hatte ich ihn mit mehr Kraft und länger gefoltert. „Bitte bleib bei mir“, keuchte er verzweifelt, während er versuchte, sich aufzurichten. Meine Attacke hatte all seine Nerven gelähmt. Als er sich auf beiden Armen gleichzeitig abstützen wollte, brach der rechte unter seinem Gewicht weg und er landete wieder mit der Stirn im Gras. Er sah dabei so erbärmlich aus. So unfähig. Es tat weh, ihn so zu sehen. Wie konnte er sich mir gegenüber so zeigen? Warum störte es ihn nicht? Warum blieb er nicht lieber liegen und wartete, bis ich verschwunden war? Er wusste es doch bereits, dass ich ihn auch jetzt nicht umbringen würde. Ich hätte es längst getan, wenn ich es gewollt hätte. Er spürte es doch, dass ich es nicht konnte. Er hatte also nichts zu befürchten, wenn er nur stillhielt. Warum musste er mich mit dieser Tatsache so lange quälen?

„Warum gibst du nicht dieses eine Mal auf und gehst zu deiner Sakura zurück?“, sagte ich unvermittelt. Ich war über mich selbst erstaunt. Über meine offenen Worte. Naruto schien das nicht minder zu überraschen. Ich sah seinen Körper erstarren.

„Zu meiner Sakura?“ echote er meine Worte ungläubig gegen den Boden unter sich und stemmte sich nach oben. Es schien ihm unglaubliche Schmerzen zu bereiten, doch er stoppte nicht, bevor er auf den Knien saß und mich ansehen konnte. Mit großen verständnislosen Augen sah er zu mir auf. „Was hat Sakura mit dieser Sache zu tun?“

„Was sie damit zu tun hat“, wiederholte ich seine Worte murmelnd und schnaubte spöttisch. „Du musst sie sicher schon schrecklich vermissen“, antwortete ich ihm sarkastisch. „War sie nicht schon immer deine große Liebe?“, sprach ich weiter und hätte mich am liebsten dafür geohrfeigt. Ich hätte ihm kaum offensichtlicher zeigen können, wie fürchterlich eifersüchtig ich auf sie war. Und wie kindisch ich mich in diesem Moment verhielt. Aber ich konnte mich nicht mehr bremsen. „Du musst doch froh darüber sein, mich endlich loszuhaben. Ohne mich hattest du doch freie Bahn, oder nicht?“

„Idiot!“, fauchte er mich an und stieß sich jetzt kräftig vom Boden ab, um in einem Zug aufstehen zu können. Er sah mich wütend an, seine Hände schienen sich zu Fäusten ballen zu wollen, doch sie waren zu schwach dazu. Er konnte nur seine Finger leicht nach innen krümmen. „Sakura interessiert mich nicht!“

Wieder lachte ich schadenfroh auf. Es erleichterte mich etwas. Vielleicht war es sogar die Wahrheit. Vielleicht hatte er das Interesse an ihr verloren. Vielleicht hatte er sich nur den Spaß, mich mit ihr zu verletzen, nicht entgehen lassen wollen. Er konnte sicherlich genug Frauen haben. Vielleicht hatte er jede Woche eine andere. Nein, darüber wollte ich nicht nachdenken. Ich zerriss mutwillig meine Gedankenkette und setzte an anderer Stelle wieder an.

„Hat sie etwa bemerkt, was für ein totaler Dobe du bist, und hat dich verlassen?“ Meine Mundwinkel zuckten. Der Gedanke war wie ein Lichtblick in einem düsteren Tunnel aus Hass und Eifersucht. Sein Blick veränderte sich, seine Haltung wurde aggressiv. Ich hatte wohl zu viel gesagt. Vielleicht war alles doch ganz anders als ich dachte.

„Du bist…!“ Wie ein wildes Tier schoss er mit einem Satz nach vorn, überwand die Lücke zu mir, packte mich an den Schultern und riss mich mit sich zu Boden. Sofort nach unserem Sturz versuchte ich, mich aufzurichten, ihn mit aller Kraft von mir herunterzuschieben, doch er presste mich mit weitaus mehr als nur seinem Körpergewicht nach unten. Jeder einzelne seiner Muskeln schien angespannt und dieser plötzliche enge Körperkontakt ließ meine Haut am ganzen Körper prickeln. Ich wusste, wenn ich nicht schnell etwas unternahm, würde ich mich nicht mehr zusammenreißen können. Das Verlangen nach ihm wurde so stark, dass es jeden letzten Rest Selbstbeherrschung brauchte, meinen Gefühlen nicht einfach nachzugeben. Ich wollte ihn. Mehr als ich sonst irgendetwas auf dieser Welt je gewollt hatte. Selbst der Gedanke an Rache und Vergeltung schien in weite Ferne gerückt zu sein.

„Du bist so ein Vollidiot!“, schrie er mich an. Ich zog mein Knie nach oben, wollte es zwischen seine Beine schnellen lassen, um ihn vorerst außer Gefecht zu setzen, doch er reagierte blitzschnell, als hätte er diesen Angriff von mir erwartet, und ließ eine meiner Schultern los, um mein Bein zu stoppen. Seine Hand lag nun warm auf meinem Oberschenkel. „Glaubst du, nach allem, was war, hätte ich noch Interesse an Sakura?!“ Nach allem, was war?, wiederholte ich in Gedanken. Wovon sprach er? Was war passiert, als ich nicht in Konoha gewesen war? „Glaubst du, es war nur ein Experiment?!“, fragte er entrüstet. Ich war vollkommen verwirrt. Ich hatte keine Ahnung mehr, worum es gerade ging. Aber ich konnte auch nicht klar denken; Narutos Hände verströmten eine unglaubliche Hitze, sowohl an meiner Schulter als auch an meinem Schenkel.

Wütend ballte ich meine linke, meine stärkere Hand, zur Faust; er war selbst schuld, dass er gerade diese Schulter freigegeben hatte. Ich schlug zu, so stark wie es mir in dieser Position möglich war. Zwar verfehlte ich mein Ziel um Haaresbreite, doch es brachte Naruto so aus dem Gleichgewicht, dass ich es schaffte, den Spieß umzudrehen und nun ihn an den Waldboden zu nageln.

Zitternd kniete ich jetzt über ihm, meine Oberschenkel rechts und links außerhalb von den seinen, die ich zusammenpresste, um sie bewegungsunfähig zu machen. Meine Hände waren an seinem Oberkörper, drückten ihn gegen die Erde unter uns. Diese Stellung konnte ich aber nicht lange halten, da Naruto sich zu wehren wusste. Unser Kampf ging weiter. Ich fragte mich, ob die Schmerzen in seinen Armen bereits aufgehört hatten. Er ließ sich nichts mehr davon anmerken. Vielleicht war er bereits über die Schmerzgrenze hinausgegangen und spürte es gar nicht mehr. Vielleicht spürte er gar nichts mehr.

Wir zerrten am Körper des jeweils anderen, rollten dabei über den Boden und steckten beide eine ähnliche Zahl an Fausthieben ein. Ich spürte die warme Flüssigkeit, die mir seit geraumer Zeit an meinem Mundwinkel hinabfloss. Naruto hatte inzwischen mein ohnehin weites und bereits gelockertes Oberteil noch um einiges weiter aufgerissen, sodass es mir über die Schultern gerutscht und in meiner Armbeuge hängen geblieben war. Aber auch der Reißverschluss an seiner Jacke war nach mehrmaligem Reißen an seinem Kragen bis fast zur Hälfte geöffnet. Ich konnte nicht anders, als auf das schwarze T-Shirt zu starren, das er darunter trug und seine Muskeln kaum erahnen ließ.

Naruto nutzte diesen schwachen Moment von mir, warf mich zur Seite und lag nun zum wiederholten Male über mir. Gerade als ich dasselbe mit ihm tun wollte, hielt er meine Handgelenke fest. Ich stemmte ihn mit aller Kraft, die ich noch hatte, nach oben. Ich wollte mich um jeden Preis aus diesem Klammergriff befreien. Tatsächlich schaffte ich es, ihn einige Zentimeter hochzuheben, doch er hielt dagegen. Es war eine reine Kraftprobe. Und es stellte sich bald heraus, dass wir gleichstark waren, aber ich im Nachteil war. Unsere Gesichter waren sich jetzt so nahe, dass Narutos Nase immer wieder leicht meine Wange streifte. Sein stoßweises Atmen unter dieser massiven Anstrengung spürte ich nahe an meinem Ohr und es jagte mir in regelmäßigen Abständen eine Gänsehaut über den gesamten Körper. Seine Lippen kamen meinen immer näher.

Ich ahnte, was er vorhatte. Wollte er mich so etwa überzeugen? Glaubte er wirklich, dass ich das zulassen würde? Ich versuchte, ihn zurückzudrängen, aber allmählich verließ mich die Kraft dazu. Und Naruto hatte die Schwerkraft auf seiner Seite. Ohne dass ich etwas dagegen hätte unternehmen können, legte er seine Lippen auf meine. Dass wir noch immer mitten in einem Kampf waren, schien ihn dabei nicht zu stören. Ich wehrte mich weiter, aber im Grunde nur halbherzig. Zu sehr hatte ich mich nach dieser Berührung gesehnt. Und im entscheidenden Moment wurde ich schwach. Ich ließ es zu, dass er mich küsste. Dass er seine Lippen verzweifelt gegen meine presste, als glaubte er, mich so bekehren zu können. Anders hätte er es auch nicht verhindern können, dass ich mein Gesicht abgewandt hätte – wenn ich es denn hätte abwenden wollen. Aber ich behielt meine Position bei, genoss den Schmerz, der bei dieser Berührung mein Herz ausfüllte.

Meine Arme ließen allmählich locker, kaum merklich zunächst. Er schien es dennoch zu spüren, löste, ohne den Kontakt vollständig zu brechen, seine Lippen leicht von meinen mit einem Keuchen, nur um mich dann erneut zu küssen, so leidenschaftlich, dass er mich mitriss in eine Illusion, der ich so gerne glauben würde. Und schließlich belog ich mich selbst, gab mich ihr hin und erwiderte den Kuss.

Mir war nur zu schmerzlich bewusst, wie vergänglich dieser Moment war. Gerade deshalb wollte ich ihn genießen, doch mein Misstrauen war groß; die Furcht, ausgelacht, gedemütigt und verletzt zu werden, saß so tief, dass es wehtat.

Plötzlich nahm er eine Hand von meinem Handgelenk, gab es vollständig frei. Im nächsten Moment spürte ich seine Finger an meiner Wange. Er presste seine warme Handfläche leicht gegen mich, als hatte er Angst, etwas kaputtzumachen. Der Griff um mein anderes Handgelenk hatte indessen jedoch kaum locker gelassen. Es war, als fürchtete er immer noch, dass ich mich von ihm losreißen würde, wenn er mir den Vorteil gab. Es war seltsam, dass er eine Seite von mir unerbittlich festhielt, während er der anderen freistellte zu tun, was sie tun wollte. Es war, als war er ebenso zweigeteilt wie ich. Als wollte ein Teil von ihm mir wehtun und der andere mich küssen. Er schien noch immer nicht begriffen zu haben, was mehr schmerzte.

Mein freier Arm schoss nach oben, griff unter Narutos hindurch, legte sich an seinen Rücken, meine Hand an seinem Hinterkopf. So presste ich sowohl seinen Körper als auch seine Lippen stärker gegen mich, damit er nicht einmal die Chance hatte zu lachen oder auch nur irgendetwas anderes zu tun, als mich zu küssen. Verzweifelt legte ich alles in diesen Kontakt, als hoffte ich, meine Gefühle könnten so endlich zu ihm durchdringen. Als könnte ich sie ihm mit Gewalt aufzwingen oder sie ihm durch den Mund einflößen.

Narutos Lippen waren angespannt – für einen fürchterlichen Augenblick lang dachte ich, dass es daran lag, dass er tatsächlich grinste. Doch dem war nicht so. Seine Augen waren angestrengt zugekniffen, wie ich feststellte, als ich meine wieder öffnete. Seine Anspannung kam wohl daher, dass ich unsere Kieferknochen so betäubend stark aufeinanderpresste. Es musste ihm ebenso wehtun wie mir.

Langsam schwächte ich diesen Druck ab, gab ihm wieder die Chance, seinen Körper ein wenig zu entspannen und sich gegen meinen Griff wehren zu können. Doch das tat er nicht. Er verstärkte den Kontakt unserer Lippen wieder, als hätte er Angst, dass ich den Kuss brechen würde. Ich war überrascht von dieser Handlung. Warum ging er so weit? Ich konnte es einfach nicht nachvollziehen. Ich konnte jedoch auch nicht ausführlicher darüber nachdenken, denn seine Lippen forderten all meine Aufmerksamkeit. Allerdings nicht mehr lange. Denn dann hörte ich einen gequälten Laut aus seiner Kehle.

Entsetzt schlug ich die Augen auf und sah sein Gesicht noch schmerzverzerrter als zuvor, dabei taten meine Hände nichts mehr, das ihm wehtun könnte. Ich begriff es nicht, wartete, was passieren würde. Ob er es mir erklären würde. Und tatsächlich löste er daraufhin unseren Kuss, aber vorerst nur, um mich mit einem flehenden Blick anzusehen.

„Bitte, Sasuke“, sagte er dann mit gepresster Stimme. „Erklär es mir.“ Er ließ seine Finger zitternd über meine Wange streichen. „Erklär es mir, was passiert ist.“ Ich starrte ihn an, wusste nicht, was ich tun sollte. „Und komm zu mir zurück.“ Es war nur noch ein Flüstern. Ich war mir sicher, dass er kurz davor war zu weinen. Und ich wusste, das wäre ich auch, wenn ich nur sicher wüsste, was seine Worte bedeuteten. Wenn sie das waren, was ich befürchtete, dann wären es bittere Tränen der Uneinsichtigkeit, die ich vergießen würde. Und wenn sie das waren, was ich hoffte, wären es Freudentränen.

„Wozu?“, wollte ich zum etlichen Male wissen. Ich fragte mich, wie oft ich ihm diese Frage nun schon gestellt hatte. Und dieses Mal wollte ich endlich eine ehrliche Antwort darauf. Es tat weh, es so deutlich zu spüren, dass ich ihm nicht mehr vertrauen konnte. Ich glaubte es ihm nicht, dass er mich für sich zurückhaben wollte. Ich glaubte ihm überhaupt nichts mehr. Wie konnte ich ihn noch lieben, wenn ich ihm nicht einmal vertrauen konnte? Ich spürte die Verzweiflung, die mich in diesem Moment übermannte. Gefühle durchströmten mich und wechselten so schnell, dass ich es selbst nicht mehr nachvollziehen konnte. Ich verstand meine eigene Welt nicht mehr. Nichts schien mehr zusammenzupassen in meinem Leben. Kein Gefühl zu keiner Handlung. Alles erschien mir so bizarr. Wie damals, als Naruto gelacht und Sakura aus meinem Kleiderschrank gerufen hatte.

„Damit du und Sakura eure ach so komischen Scherze mit mir treiben könnt?!“, fragte ich provokant und wusste nicht, was ich mit meiner Hand auf seinem Rücken tun sollte. Ich konnte sie doch nicht einfach dort liegen lassen, als würde ich ihn umarmen wollen. Ich zog sie zurück. Ich legte sie auf dem Boden ab. Er blickte jetzt sichtlich verwirrt zu mir zurück. „Weißt du eigentlich, was du mir damit angetan hast?“, fragte ich fast tonlos. Vielleicht wusste er das wirklich nicht. Vielleicht konnte er es sich gar nicht vorstellen, wie es war, wenn einem das Herz gebrochen wurde.

„Was ich dir angetan habe?“, wiederholte er fassungslos. „Du warst doch derjenige, der ohne ein Wort verschwunden ist!“, regte er sich auf und presste mein linkes Handgelenk stärker in den Boden, wahrscheinlich vollkommen unabsichtlich. Es war mir auch egal; ich wehrte mich nicht mehr und ich spürte den Schmerz kaum noch. „Du bist doch einfach gegangen und hast mich bewusstlos auf deinem Bett liegen lassen!“

Mein Kopf zuckte. Ich starrte ihn an. Wovon sprach er? „Ich verstehe es immer noch nicht.“ Es war, als sprach er meine Gedanken laut aus. Er ließ jetzt auch mein anderes Handgelenk los und ich dachte im ersten Moment, er würde aufstehen und gehen, doch er senkte seinen Kopf fast bis zu meinem Bauch hinab und legte seine Hände als Fäuste an meine Brust. „Warum hast du das getan?“ Er schlug leicht gegen meinen Brustkorb. „Warum hast du mich allein gelassen?“ Er schlug nochmals zu. „Warum hast du dich nicht schon bei unserem letzten Kampf von mir überzeugen lassen zurückzukommen?“ Er schlug stärker zu. „Warum konnte ich dich nicht schon damals zurückhaben?“ Und noch stärker. „Warum musste so viel Zeit vergehen?“ Etwas tropfte auf meinen entblößten Bauch. „Warum hast du mich so lange leiden lassen?“ Jetzt schlug er so hart zu, dass es fast wehtat. „Warum?!“ Er schaute zu mir auf, ließ mich wieder in seine nassen Augen tauchen. Genauso wie damals vor zweieinhalb Jahren.

Ich konnte seinen Worten überhaupt nicht folgen. Ich war noch immer bei seiner indirekten Frage: Wieso ich ihn auf meinem Bett hatte liegen lassen? Was meinte er damit?

„Du bist aufgestanden und gegangen“, sagte ich unvermittelt. Er schaute mich perplex an. Wahrscheinlich hatte er auch schon gar nicht mehr damit gerechnet, dass ich ihm noch irgendwann antworten würde. „Ich habe dich nicht auf meinem Bett liegen lassen“, erklärte ich ihm, wovon ich sprach. Auf welche seiner Fragen ich antwortete. Seine Augen suchten mein Gesicht ab, als versuchte er, ein Anzeichen dafür zu finden, dass das eine Lüge war. „Du bist aufgestanden und gegangen“, wiederholte ich. Und ergänzte: „Mit Sakura.“

„Sakura?“, echote er fassungslos. „Was zur Hölle hat Sakura schon wieder damit zu tun?!“

Jetzt waren es meine Augen, die sein Gesicht absuchten. Aber ich wusste, dass seine Entrüstung nicht gespielt war. Ich wusste es so sicher, wie man etwas nur wissen konnte. Diese Meere logen nicht.

„Sakura war im Schrank versteckt“, sagte ich nur, als erklärte das alles. „Du hast sie herausgerufen, nachdem du dich wieder angezogen hast.“

„Im Schrank?“, schnaubte er. „Ist das dein Ernst? Wovon sprichst du, Teme?!“, fuhr er mich an. „Du hast überhaupt keinen Kleiderschrank, in den Sakura reinpassen würde!“ Ich starrte ins Nichts. Er hatte Recht. In meinem Schlafzimmer stand nur eine kleine Kommode. Aber in meiner Erinnerung an diesen Tag stand dort ein Schrank. Ein großer Schrank, aus dem Sakura auftauchte. „Außerdem habe ich mich erst wieder angezogen, nachdem Kakashi-sensei mich aufgeweckt hat“, erklärte er verärgert, als nahm er mir das besonders übel. „Da warst du längst weg!“

„Aufgeweckt?“, wiederholte ich, versuchte zu begreifen, was passiert war.

„Ja, nachdem du mich bewusstlos geschlagen hast!“, ereiferte er sich. Dann wandte er den Blick ab. Murmelnd fügte er noch hinzu: „Vielleicht war das aber auch einer der Schall-Ninja, ich weiß es nicht.“ Er schaute mir wieder ins Gesicht, seine Züge leicht wütend. „Das müsstest du besser wissen!“ Ich ging die Erinnerung, die ich in meinem Kopf wie einen Film abspielen konnte, noch einmal durch. Irgendetwas stimmte nicht. „Sag es mir!“, forderte Naruto. „Warst du es? Oder wer war es?“

Und dann begriff ich: „Tayuya.“

„Wer?“, warf Naruto ein, doch ich hörte ihm nicht zu. „Wer ist Tayuya?“ Meine Gedanken überschlugen sich. Es war jetzt so offensichtlich. Ich dachte daran zurück, wie Tayuya mich aufgeweckt hatte, nachdem wir Konoha bereits verlassen hatten. Ich erinnerte mich an den Speichel, der bereits mein Kinn hinabgelaufen war. Ich hatte mich nicht erinnern können, eingeschlafen zu sein. Weil ich nicht eingeschlafen war.

„Es war nicht echt“, sprach ich meinen Gedanken laut aus. „Es war eine Illusion.“ Ich starrte an Naruto vorbei und murmelte: „Es war ein Genjutsu.“ Dann blickte ich ihm wieder ins Gesicht, richtete mich ruckartig auf. Er wich automatisch zurück. Auf seinen Knien saß er jetzt vor mir und schaute mich erwartungsvoll an. „Es war Tayuya. Sie war Spezialistin für Genjutsu.“ Ich keuchte. „Sie haben versucht, mich dazu zu überreden, mit ihnen zu Orochimaru zu kommen.“ Naruto schien meinen Erläuterungen zu folgen zu versuchen. Er ließ mein Gesicht nicht aus den Augen, las darin so viel mit, wie er nur konnte, um zu begreifen, was ich ihm schilderte. „Und deshalb haben sie mir eine Illusion gezeigt, in der du und Sakura zusammen sind und mich auslachen, weil ich… Gefühle für dich habe.“

Narutos angestrengt gerunzelte Stirn entspannte sich nun mit einem Schlag. Er schaute mich mit großen Augen überrascht an. „Heißt das…?“ Sie sprühten nur so vor Hoffnung. „Heißt das, es ist immer noch so?“ Ich sah beschämt zur Seite. Ich hatte nicht geplant, ihm auf diese Weise meine Liebe zu gestehen. Und meine Gedanken waren noch zu voll von diesen Dingen, die ich gerade erst zu begreifen begonnen hatte. „Heißt es das?“, drängte Naruto weiter. Seine Augen begannen zu leuchten. „Heißt es da–?!“ Ich blendete Naruto für einen Moment aus, indem ich ihn eine Armlänge weit von mir hielt und hinab in meinen Schoß blickte. Dann ging ich das Geschehen noch einmal in meinem Kopf durch.

Jetzt ergab alles einen Sinn. Niemals würde Naruto solche Dinge sagen. Niemals hätte er mich so behandelt. Niemanden hätte er so behandelt. Das bedeutete: Es war nie passiert. Und doch war etwas in meinem Zimmer passiert, denn sonst hätte er nicht davon gesprochen, dass ich ihn auf meinem Bett hatte liegen lassen. „Es war also nicht alles eine Illusion“, sagte ich und hoffte, dass er es mir bestätigen würde. Wenn all das, was in meinem Zimmer, auf meinem Bett, passiert war, nie geschehen wäre, würde es fast ebenso wehtun, wie der Illusion zu glauben. Denn dann wäre er vielleicht wirklich nur als Freund hier.

Naruto sah mich aufmerksam an. Seine Brust lehnte leicht gegen meinen ausgestreckten Arm. Es war wie ein leichter Widerstand gegen diesen Abstand. Aber er wusste, dass die Sache erst geklärt sein musste. Zuerst in meinem Kopf und dann zwischen uns. Wir mussten verstehen, was passiert war. Wir mussten unseren Fehler begreifen. Wir mussten sichergehen, nicht erneut einen Fehler zu begehen. „An was kannst du dich zuletzt erinnern, bevor du bewusstlos geworden bist?“, fragte ich ihn jetzt angsterfüllt. Es durfte nicht alles eine Illusion gewesen sein.

Er schaute an mir vorbei, schien in die Vergangenheit zu reisen und noch einmal nachzusehen, bevor er mir etwas Falsches sagte. „Bis du gesagt hast, du würdest Konoha nicht verlassen, wenn ich es auch nicht tue“, entgegnete er schließlich und schaute mir dabei wieder in die Augen. Erleichterung durchströmte mich, sodass die Spannung von meinem Arm abfiel und Naruto wenige Zentimeter näher kommen ließ. Das war nach unseren Küssen gewesen. Das war nach all den Berührungen gewesen. „Und du hast mich Bibiri-kun genannt“, fügte er noch mit einem fast knurrenden Unterton hinzu. Er zeigte mir einen leichten Schmollmund. Es war wieder wie früher. Es hatte sich nichts verändert.

Meine Sicht verschwamm. Ich begriff erst, was passierte, als ich die Tränen über meine Wangen fließen spürte. Ich nahm automatisch meine Hand zu meinem Gesicht und wischte sie weg, wollte sie aufhalten. Doch es hörte nicht auf, es folgten immer mehr. Ich sah flüchtig zu Naruto auf, der mich fassungslos ansah. Er hatte wohl ebenso wenig erwartet wie ich, dass ich zu weinen beginnen würde.

Er wartete jetzt nicht mehr, ließ sich von meiner Hand an seiner Brust nicht mehr aufhalten, sondern warf sich nach vorn und schloss mich in die Arme. Ich griff unter ihnen hindurch und drückte ihn verzweifelt an mich. „Es tut mir so leid.“ Ich vergrub mein nasses Gesicht in seiner Schulter. „Ich war so dumm. Wie habe ich glauben können, dass du mich wegen meiner Gefühle auslachen würdest? Wie habe ich glauben können, dass du dich mit Sakura gegen mich verschwören würdest?“ Ich konnte es jetzt selbst nicht fassen, dass ich das bis eben noch gedacht hatte. „Es tut mir so leid.“

„Es war also alles ein Missverständnis“, murmelte Naruto erleichtert und ließ eine Hand in meine Haare fahren. „Du wolltest mich nicht verlassen“, sagte er leise und atmete zitternd ein. „Das ist alles, was ich wissen wollte.“ Und dann drückte er sein Gesicht in meine Halsbeuge – wie damals – und presste mich an sich, als gäbe es für ihn keinen anderen Halt auf dieser Welt als mich.

Ich war so glücklich, dass ich mein Leben endlich wieder verstand. Ich war so glücklich, dass Naruto mich nicht dafür hasste, was ich uns angetan hatte. Ich war so glücklich, dass sich nichts an seinen Gefühlen geändert zu haben schien. „Ich bin so glücklich“, wisperte er in meinen Nacken, der sich zunehmend nass anfühlte. „Ich bin so unglaublich glücklich.“

Jetzt brachen die Tränen nur noch unaufhaltsamer aus meinen Augen, stürzten sich auf Narutos Schulter. Der Druck in meinem Innern presste sie hervor. Ich hatte keine Möglichkeit, sie zurückzuhalten, doch es spielte jetzt auch keine Rolle mehr. Er war da und ich wusste, er würde sie auffangen. Er würde mich festhalten. Es würde alles gut werden. Ich konnte nur flüchtig an das denken, was mir noch bevorstand. Aber ich wusste, dass ich es, mit Naruto an meiner Seite, durchstehen würde. Er würde mich beschützen.

„Ist das nicht rührend?“, sagte plötzlich eine Stimme, die ich sofort als die Orochimarus erkannte. Augenblicklich wich ich von Naruto zurück, so wie er von mir. Sofort waren wir auf den Beinen, unsere Hände bereits an unseren Waffen. Wir wandten uns der Stimme zu, die daraufhin spöttisch lachte. Orochimaru stand nur wenige Meter von uns entfernt zwischen den Bäumen. Er schaute uns nicht an, sondern ging gemächlich ein paar Schritte, als machte er nur einen Spaziergang durch den Wald. „Ich habe ja gewusst, dass du deine Freunde aus Konoha noch nicht losgelassen hast, Sasuke-kun. Aber das hier? Das hätte selbst ich nicht erwartet.“

Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter. Die Tränen auf meinen Wangen, die sich eben noch so warm angefühlt hatten, erkalteten augenblicklich. Jetzt war es aus. Er würde uns erledigen. Er wusste, dass ich ihm meinen Körper nun nicht mehr zur Verfügung stellen würde. Also brauchte er mich nicht mehr. Und Naruto würde er töten, bevor er in Akatsukis Gewalt gebracht werden konnte. Wir hatten keine Chance.

„Ihr Uchihas seid immer wieder für eine Überraschung gut“, sagte Orochimaru amüsiert und lachte. Ich wusste, dass das kein gutes Zeichen war. Automatisch stellte ich mich schützend vor Naruto. Ich konnte nur noch daran denken, dass ich ihn retten musste. Ich musste ihm die Chance geben, um fliehen zu können. Doch ich wusste augenblicklich, dass er das niemals tun würde. Deshalb hatten wir keine Wahl. Wir mussten kämpfen. Ich wischte vorsichtig die Tränen von meinem einen Auge und dann vom anderen. Ich brauchte uneingeschränkte Sicht, wenn ich kämpfen wollte. Und ich durfte Orochimaru keinen Moment aus den Augen lassen. Jetzt blieb er stehen und schaute uns mit seinem verzerrten Lächeln direkt an.

Abunai!“, schrie ich und stieß Naruto aus der Schusslinie, als Orochimarus Schlangen auf uns zuschossen. Ich zog mein Schwert und schnitt ihnen die Köpfe ab, bevor ich die beiden Kunai vom Boden aufhob und sie nach Orochimaru warf. Ich wusste, dass ich ihn niemals damit treffen würde, es sollte nur eine Ablenkung sein, die mir genug Zeit verschaffte, um meine Feuerdrachentechnik einsetzen zu können. „Katon: Gouryuuka no Jutsu!“ Im nächsten Moment stand der Wald in Flammen. Rauchschwaden stiegen in den Himmel auf und versperrten uns die Sicht. „Wir müssen hier weg“, sagte ich und griff nach Narutos Hand. Gemeinsam mit mir würde er vielleicht fliehen, doch das würde Orochimaru nicht zulassen.

„Ihr geht nirgendwohin“, sagte seine Stimme mit einer Gewissheit, die mir gar nicht gefiel. Ich konnte ihn nicht sehen, er war hinter Bäumen und dichtem Rauch verborgen, doch ich konnte sicher sein, aus welcher Richtung ich seine Stimme gehört hatte. Deshalb rannte ich los, zog Naruto mit mir in die andere. Er wehrte sich. Er schien nicht vorzuhaben fortzulaufen. Er lief nie vor etwas davon.

„Wir müssen ihn bekämpfen“, sagte er jetzt und blieb stehen. Genau das hatte ich befürchtet.

„Wir haben keine Chance gegen ihn“, versuchte ich ihm klarzumachen. „Wir müssen hier weg.“

„Nein“, sagte Naruto bestimmt. „Er wird dich überall finden, egal wohin wir laufen.“ Er schaute mich an, seine Augen gingen für einen flüchtigen Moment zu meinem Nacken. „Wenn du nicht sogar zuerst zu ihm zurückgehst.“ Es tat weh, dass er das glaubte. Dass er scheinbar nicht sicher war, wie sehr er mir noch vertrauen konnte. Doch ich konnte es ihm nicht verdenken. Ich hatte ihm allen Grund dazu gegeben.

„Bitte, Naruto“, flehte ich. „Vertrau mir. Wir haben keine Chance. Nicht zu zweit.“

„Ich kämpfe allein gegen ihn“, beschloss er dann und ich keuchte. Das war absurd. Das war Selbstmord.

„Könnt ihr euch nicht entscheiden, wer zuerst sterben soll?“, fragte Orochimaru ganz in der Nähe – hinter uns. Ich wirbelte herum, hielt meine Waffe schützend vor mich.

Kagebunshin no Jutsu!“, rief Naruto neben mir und die rasch aufeinander folgenden Geräusche verrieten mir, dass er eine ganze Menge von Doppelgängern geschaffen haben musste. Einige davon stellten sich jetzt schützend vor mich. Ich überlegte, mein Sharingan einzusetzen, um sehen zu können, wer der Echte war, doch damit würde ich nur Chakra verschwenden. Aber die Idee, meine Augen als Waffe einzusetzen, erschien mir gar nicht so abwegig.

„Sasuke-kun“, sagte Orochimaru, als wäre er enttäuscht, und blieb ein paar Meter von mir entfernt stehen. „Glaubst du wirklich, du könntest mir mit deinem Sharingan etwas anhaben?“

Meine Gesichtszüge verhärteten sich. Er hatte mich durchschaut, noch bevor ich es eingesetzt hatte. Ich hielt es dennoch aufrecht. Vielleicht würde er doch noch den Fehler machen und mir in die Augen sehen. Aber das tat er nicht. Und dazu hatte er auch keine Zeit, denn jetzt griffen Narutos Kagebunshin an. Ich verfolgte das Geschehen, sah, dass der echte Naruto sich zum Glück zunächst im Hintergrund aufhielt, doch wer wusste, wie lange. Ich schaltete mein Sharingan aus und versuchte, Naruto bei seinen Angriffen zu unterstützen. Es war nicht einfach, seine Kagebunshin nicht mit meinen Attacken zu treffen, sie waren überall – und Orochimaru schien nirgendwo zu sein.

Ich versuchte, alle Mittel, die mir zur Verfügung standen, einzusetzen, doch nichts schien Wirkung zu zeigen, nichts konnte Orochimaru treffen. Viele Chancen gab er uns jedoch auch nicht, denn er machte nun auch ernst, griff ebenfalls mit allem an, was er hatte. Einer nach dem anderen von Narutos Kagebunshin verpuffte ins Nichts. Seine Attacken mit seinem Rasengan verfehlten stets ihr Ziel. Ich bereitete gerade mein drittes Chidori vor und wusste, dass es mein letztes sein würde. Danach würden meine Kräfte nicht mehr ausreichen.

Oi!“, rief ich und bedeutete Naruto somit, dass er mich decken sollte. Er ließ ein paar Kagebunshin entstehen, die meine Gestalt hatten. Alle rannten von verschiedenen Seiten auf Orochimaru zu, wie ich selbst auch – nur war ich der Einzige, der gerade ein Chidori in seiner Handfläche formte.

Orochimaru schlug wütend die Kagebunshin zur Seite. Nachdem er sie zuvor noch mit Freude einen nach dem anderen zerfetzt hatte, schienen sie ihm jetzt allmählich lästig zu werden. Und genau das machte ihn unvorsichtig. Ich lief in einem leichten Bogen auf ihn zu, wartete auf eine Öffnung im Kampfgeschehen, auf einen unbeobachteten Moment, fand diesen schließlich, als Orochimaru seinen Hals in die Länge auf ein paar weitere Kagebunshin schießen ließ, und hechtete auf seinen Körper zu.

Aus dem Nichts schien eine weiße Schlange zu kommen, die mich zur Seite warf. Im nächsten Moment begriff ich, dass es keine Schlange war, sondern Orochimarus Hals. Er hatte mich also gesehen. Mein Chidori konnte ich zum Glück noch zurückziehen, doch mein Angriff war nun nichtig und ich stand – unbewaffnet – direkt in Orochimarus Reichweite, in die er mich geschlagen hatte.

„Sasuke!“, schrie Naruto irgendwo hinter mir, bevor sich Orochimarus Hals um meinen Körper wickelte und mir jegliche Bewegungsfreiheit nahm. Ich wusste, jetzt war es aus. Ich hatte mich einen Schritt zu weit nach vorn gewagt.

Plötzlich ließ der eiserne Griff seiner Halsmuskeln wieder nach und ich konnte mich befreien, sah, wie Naruto ein Rasengan direkt in Orochimarus Gesichtshälfte hineinbrannte.

Ich keuchte vor positiver Überraschung, doch im nächsten Moment stockte mir der Atem. Denn ich sah die Klinge in Narutos Brust.

Langsam löste sich der blaue Ball in seiner Hand in Luft auf, zusammen mit der Hälfte von Orochimarus Schädel, aus dem die Klinge hervorstand. Dann nahm er seinen Arm zurück und schaute zuerst zu seiner Brust hinunter, dann zu mir herüber. Er starrte mich fassungslos an. Als könnte er nicht begreifen, dass das Schwert aus Orochimarus Mund so scharf sein konnte, dass es in der Lage war, seinen Körper zu durchbohren.

Plötzlich sank Orochimarus Kopf tiefer, zog somit die Waffe aus Narutos Brust und ließ ihn einfach zu Boden fallen. Ich stürzte nach vorn, doch kam nicht mehr rechtzeitig, um ihn aufzufangen. „Nein!“, schrie ich und sah, wie sich Narutos geweitete Augen angestrengt schlossen, als er schmerzhaft auf dem Boden aufkam. Mein Atem beschleunigte sich. „Nein“, murmelte ich und wollte das Blut stoppen, das unaufhörlich seine Kleider durchtränkte. „Nein“, wiederholte ich immer wieder. „Nein.“

Da schlug Naruto die Augen wieder auf. Er öffnete seine Lider jedoch so langsam, dass ich befürchtete, dass er es mit letzter Kraft tat.

Ich sah ein Zucken aus dem Augenwinkel und blickte zu Orochimaru zurück. Sein Kopf lag mit leblosen Augen da, dennoch bewegte er sich. Ich verfolgte die lange Bahn seines Halses zurück zu seinem Körper, in dem sich etwas regte.

Sofort wusste ich, was das bedeutete: Er war nicht tot; er würde sich nur wieder selbst gebären, sich regenerieren. Ich konnte sehen, wie er von innen seine Haut im Nacken auseinanderzog und langsam seinen Kopf durch diesen Riss schob. Ein nie gekannter Zorn ergriff von mir Besitz, ließ mich aufstehen, zu ihm hinüberstürzen und ihn mit meinem bisher stärksten Chidori zerfetzen. Seine Haut sank in sich zusammen, als hätte ich die Luft herausgelassen. Sie verfärbte sich in ein noch dunkleres Grau und starb, zusammen mit seinem Besitzer.

Auf unsicheren Beinen wankte ich zu Naruto zurück. Ich konnte kaum noch das Gleichgewicht halten. Er lag da, seine Hand an seinem Bauch. Sie schien sich nicht bis zu seiner Wunde hinauf zu wagen. Er schaute zu mir herüber und lächelte. „Du hast es geschafft, Sasuke“, sagte er leise.

„Sei still“, sagte ich fast tonlos und kniete mich vor ihm ins Gras. „Nicht sprechen.“ Ich griff vorsichtig unter seinen Rücken und unter seine Beine, hob ihn vom Boden hoch und drückte ihn sicher an mich. Ich musste ihn zu den anderen bringen. Irgendjemand würde ihm vielleicht helfen können.

„Du hast uns alle gerettet“, flüsterte Naruto. „Ich bin so stolz auf dich.“

„Sei still, Dobe!“, fuhr ich ihn an und da gaben meine Beine nach. Ich stolperte und fiel mit ihm zu Boden. Meine Kräfte waren am Ende. „Es tut mir so leid“, entschuldigte ich mich sofort und wusste nicht, wie ich es ihm zeigen sollte, dass es mir wirklich leidtat. Er hatte die Augen geschlossen. Meine Hände wollten ihn berühren, wollten ihn wissen lassen, dass ich da war, doch ich zögerte, sah das Blut an meinen Fingern. Sein Blut. Sein halber Oberkörper war bereits scharlachrot.

„Naruto!“, hörte ich plötzlich jemanden rufen. Ich schaute auf und erkannte Sakura, die auf uns zugelaufen kam. Bei ihr war der Jounin, der momentan Team Kakashi anzuführen schien. Erleichterung flutete mich. Sie würden ihm helfen. Sie würden ihn retten können. Dann hörte ich Sakura kreischen. Sie hatte Naruto in meinen Armen entdeckt.

Auf einmal landete etwas hinter mir, das vom Himmel gefallen zu sein schien, und griff um mich, zog mich von Naruto fort. Der Arm, der meiner Kehle die Luft abzudrücken drohte, war kreidebleich. Ich wusste gleich, wer es war. Ich wehrte mich nicht gegen Sais Griff, ich hatte keine Kraft dazu. Ich konnte nur flehend zu Sakura schauen und rufen: „Tu etwas! Hilf ihm! Sakura!“ Ich verstand nicht, warum sie stehen geblieben war. Noch einige Schritte von Naruto entfernt. Sie hielt noch immer ihre Hand vor den Mund. „Bitte!“, schrie ich und wünschte, sie würde sich endlich von der Stelle rühren. „Lass ihn nicht sterben!“

„Sakura!“, rief Yamato und holte sie wieder in die Realität zurück. Jetzt kam sie auf uns zugeeilt und warf sich neben Naruto auf die Knie. Gebannt starrte ich auf Sakuras Hände. Sie leuchteten grünlich. Doch nichts geschah. Nichts schien sich zu verändern.

„Naruto“, sagte sie leise. „Hörst du mich?“ Er schlug die Augen nicht auf, rührte sich nicht. Jetzt wehrte ich mich gegen Sais Griff. Ich wollte zu ihm. Ich wollte ihm helfen. Ich wollte ihn wachhalten. Ich wollte ihn zwingen, bei mir zu bleiben.

„Lass ihn los, Sai-kun“, sagte Yamato unerwartet. Ich sah zu ihm auf. Er und Sai schienen einen Blick auszutauschen. Es dauerte einen Moment, bis Sai der Anweisung nachkam. Als er es schließlich tat, ließ ich mich nach vorn auf meine Knie und Hände fallen und rutschte die letzten Zentimeter durchs Gras zu Naruto. Vorsichtig ließ ich meine Finger unter seinen Hinterkopf fahren und drehte mir sein Gesicht zu. „Bleib bei mir“, flüsterte ich. Tatsächlich schlug er in diesem Moment die Augen auf.

„Nicht weinen, Bibiri-kun“, sagte er langsam. Ich verstand nicht, warum er das sagte, denn noch weinte ich gar nicht. Vielleicht hatte er bereits Halluzinationen.

Ich strich ihm sanft über die Wange. „Du wirst das schaffen, Naruto. Ganz sicher.“

Plötzlich lachte er schwach auf. Ich schaute ihn verwundert an. „Es ist genau wie in meinem Traum“, erklärte er. „Nur an–“ Das Blut nahm ihm die Luft zu atmen. Er schluckte es hinunter. „Nur anders herum.“

Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach, doch ich wusste, er sollte besser still sein. „Sch…“, machte ich deshalb ruhig und legte meine zitternden Finger flüchtig an seine Lippen. Ich färbte sie blutrot. „Versprich mir nur, dass du das überlebst.“

Sein warmer Atem hauchte gegen meine Fingerkuppen, als er sagte: „Ich verspreche es.“ Mit diesem Satz fielen seine Augen ein letztes Mal zu.



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