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Abbygails Abenteuer

Road to Lavandia
von

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Der Beginn einer Legende (Sturzflug)

Nachdem Jack unsere Aussagen aufgenommen und für Hollys Seelenheil sogar schriftlich notiert hat, werden die fünf Bikermitglieder fest genommen und für weitere Verhöre aufs Revier gebracht. Dank der gestohlenen Beute, die weiterhin in dem Keller verstaut war, besitzt die Polizei genug Beweise, sie hinter Gitter zu bringen und mit dem Verschwinden der Anführer Alina und Michael ist Teak City endlich von der Tyrannei der Biker befreit. Ich kann allerdings das Gefühl nicht loswerden, Al und Mik bald wieder über den Weg laufen zu werden und die Liste meiner Feinde in Team Rockets Kreisen steigt von zwei auf fünf.

Team RES-Q, das wie erwartet Gingers SMS ernst und eine sehr geschockte Wiesel in Gewahrsam genommen hat, ist nach unserer Rückkehr sehr erleichtert, nicht von seiner Anführerin hintergangen worden zu sein und die Geschichte unserer Gefangennahme und heldenhaften Befreiung durch die bis dahin als wahnsinnig abgeschriebene Chris füllt viele gemeinsame Abende am Lagerfeuer. Schließlich jedoch müssen die Trainer wieder ihren eigenen Verpflichtungen nachgehen und ohne die Biker oder einen mysteriösen Geist löst Team RES-Q sich auf.

Wie von Wiesel geplant bleibt der Kern erhalten, bestehend aus ihr selbst, Olivia, Robin und Kyle, die allesamt aus Teak City stammen und das Erbe unserer kleinen Gemeinschaft aufrecht erhalten wollen, für den Fall, dass eines Tages wieder die Hilfe lokaler Trainer benötigt wird.

Ginger und viele andere ziehen weiter, nur die Protrainer, die sich den Phantomorden verdienen wollen, bleiben in Teak City und nutzen die Zeit zum Trainieren. Es vergeht eine weitere Woche, bevor Jens zurückkehrt und als er auftaucht, ist er nicht alleine.

 

„Einigler, Gott, dann Flammenrad!“, rufe ich ihm eines windigen, aber sonnigen Montagmorgens zu. Das Gras ist feucht und durchnässt den Saum meiner Jeans, aber Gotts Training kann nicht warten. Ich habe ihn und Hunter über die letzte Woche auf Level 24 gebracht und bin sehr zufrieden mit der Art, wie die beiden sich entwickeln.

„Jetzt Ruckzuckhieb.“

Meine Finger gleiten über die Wölbung meiner Hosentasche, in der mein Handy verstaut ist. Louis hat gestern angerufen. Seine Großmutter ist friedlich verstorben und die Beerdigung wurde gestern abgehalten. Er wird vier bis fünf Tage brauchen, bis er hier ist.

Gott sprintet im Zickzack auf seinen Gegner zu, ein dösig dreinschauendes Damphirplex, das wir etwas weiter südlich der Route 37 grasen gesehen haben. Als es von Gotts Attacke getroffen wird, knicken seine kräftigen Beine ein und es sinkt blökend zur Seite.

„Gute Arbeit“, sage ich und halte Gott eine Hand hin, in die er unbeholfen einschlägt. „Auf zum nächsten.“

Ich will ihm gerade weiter auf die Waldwiese folgen, wo er ein Hoothoot im Gras entdeckt hat, da höre ich Stimmen, die sich langsam nähern. Die Paranoia macht sich augenblicklich wieder bemerkbar und ich verstecke mich hastig hinter einem Baum. Dann kommen die beiden Gestalten um die Ecke und ich weiß nicht, ob ich mich zu Recht verstecke oder nicht.

Die eine Person scheint Jens zu sein, auch wenn ich ihn nur von Beschreibungen kenne. Blondes, mittellanges Haar wird von einem violetten Stirnband aus seinem Gesicht gehalten und ein genauso  gefärbter Schal ist lose um seinen Hals geschlungen. Ein eng anliegender, schwarzer Pullover betont seinen schlanken Körperbau. Neben ihm läuft, zu meinem Entsetzen, der Trainer aus Viola City.

Seine Lederjacke ist offen und er kaut geräuschvoll auf einem Bonbon. Als Jens etwas sagt, lacht er laut. Dann fällt sein Blick auf mich.

„Gott, wir gehen.“ Ich laufe über die Wiese, weg von Jens und dem anderen Jungen und an Gott vorbei, der mitten im Kampf mit dem Hoothoot steckt. Er fletscht genervt die Zähne, attackiert ein letztes Mal mit seinem Flammenrad und folgt mir dann in großen Sprüngen.

Gemeinsam flüchten wir uns ins Pokécenter, in dem ich nach Team RES-Qs Auflösung viel Zeit verbracht habe, um Gott und Hunter in regelmäßigen Intervallen heilen zu lassen und zu essen. Seit gestern habe ich dort auch mit einigen anderen ehemaligen Qs Zimmer gemietet, denn der Oktober hat sich in Teak City bemerkbar gemacht und bei den nächtlichen Regenfällen in einem Schlafsack unter freiem Himmel zu schlafen, ist nicht die beste Idee.

Als wir durch die elektrische Tür stürzen, hebt Joy überrascht den Kopf. Wir waren zuletzt vor einer Stunde hier.

„Abby, schon wieder da? Hallo, Gott.“

Gott knurrt leise, bleibt aber ansonsten ruhig, was ich als Zeichen nehme, dass er Joy nicht ganz unsympathisch findet.

„Jens ist auf dem Rückweg“, verkünde ich und lasse mich an einen der Tische sinken. Gott rufe ich zurück.

„Wurde aber auch Zeit“, sagt Joy nickend. „Zwei Wochen die Arena zu schließen… Naja, man muss auch den Arenaleitern eine Auszeit gönnen.“

„Wer ist eigentlich dieser Freund, mit dem er unterwegs ist?“, frage ich. Wenn jemand die Antwort weiß, dann die gute Schwester Joy.

„Wir sind Kindheitsfreunde“, sagt Chris, die in dem Moment die Treppe hinunter kommt. Ihr Haar ist nass und sie trägt trotz der herbstlichen Kälte nur ihre Shorts und ein rotschwarz gestreiftes Top. „Er ist wie ich in Alabastia aufgewachsen.“

„Alabastia?“, frage ich entzückt. „Reds Heimatstadt?“

Chris´ Gesichtsausdruck verfinstert sich. „Eine Stadt in Kanto“, sagt sie stattdessen. „Ziemlich klein, aber sehr beliebt, dank diesem Red.“

„Du klingst nicht beeindruckt“, sage ich.

„Warum sollte ich?“ Sie setzt sich zu mir an den Tisch und bestellt zweimal Haferbrei mit Honig. Aus irgendeinem Grund hat sie von meiner Geldnot erfahren und füttert mich seit einer Woche durch. Als ich ablehnen wollte, zeigte sie mir einen ID-Auszug ihres Kontostands. Danach ließ ich sie gewähren.

Joy verschwindet in der Küche, lässt aber die Tür offen, um lauschen zu können. „Wegen Red ist aus unserer Stadt eine Touristenmetropole geworden, junge Trainer überfluten Blues Labor, weil sie erwarten, wie Red einfach ein seltenes Pokémon geschenkt zu bekommen. Manche von ihnen kommen nicht einmal aus der Stadt. Sie wollen Red nacheifern und verlieren dabei die wichtigen Dinge aus den Augen.“ Sie stützt ihr Kinn auf seine Hand. „Red ist mit Sicherheit einer der stärksten Trainer, die es je gab, aber es ist seine Schuld, dass der Trainer Hype so außer Kontrolle geraten ist. Jetzt geht es nur noch darum, Champion zu werden.“

„Was ist schlimm daran, Champion werden zu wollen?“, frage ich, ein wenig gereizt. Es ist immerhin Raphaels Traum und auch Louis würde sicher nicht nein sagen. Selbst Ruth, die weit davon entfernt ist, ein Protrainer werden zu dürfen, wünscht sich, an der Championship teilzunehmen.

„Der Champion wird als der stärkste Trainer der Region betitelt, oder nicht?“

Ich nicke.

„Dann ist es ein leerer Titel. Zu Reds Zeiten mag das wirklich das Ziel gewesen sein, aber inzwischen ist es die reinste Medienparade geworden. Dieser Noah ist nicht der stärkste Trainer der Region. Red ist der stärkste Trainer, sofern er nicht tot ist. Gold ist ebenfalls stärker. Vielleicht ist  Blue auch stärker. Und es gibt eine Menge Trainer, die stärker sind, aber nicht im Rampenlicht stehen oder stehen wollen. Der Titel sagt genauso wenig über die Stärke des Trainers aus wie seine Orden. Er ist ein Mittel zum selbstgefälligen Ruhm, nichts weiter.“

Ich starre sie an. Auf der einen Seite, weil ihre Meinung so abstrus, so anders ist, als die der Allgemeinheit, aber vor allem, weil sie irgendwie Recht hat. Es ist unbestreitbar, dass Gold stärker ist als Noah. Folglich ist Noahs Titel streng genommen wertlos.

Ich schüttele den Kopf und bin froh, dass Joy in dem Moment mit unseren Essen zurückkommt.

„Sei nicht so bitter, Chris“, sagt sie fröhlich. „Es gibt Trainer, die ein Ziel vor Augen haben müssen, um sich zu motivieren. Nicht jedem ist das Training und der Fortschritt selbst Motivation genug.“

Versöhnt steckt Chris sich einen Löffel Haferbrei in den Mund. Im nächsten Moment öffnet sich sirrend die Pokécentertür, Schwester Joy verbeugt sich protokollgerecht und Chris hebt grüßend eine Hand.

„Jayden, schon zurück?“

„Hey Chris.“

Ich rutsche meine Rückenlehne hinunter.

„Ich hab dieses Mädchen aus Viola gesehen, von der ich dir erzählt… ah, da sitzt sie ja.“

„Oh, das ist sie?“ Chris schaut mich mit erweckter Neugierde an. „Ich dachte, sie wäre mit diesem Möchtegernmacho unterwegs.“

Möchtegernmacho… Da wird Louis sich freuen.

Jayden zieht einen Stuhl an unseren Tisch, nimmt Chris den Löffel aus der Hand und beginnt, von ihrem Haferbrei zu essen. „Vielleicht hat sie ihn sitzen lassen.“

„Habe ich nicht“, sage ich und stehe wütend auf. „Er ist ein guter Freund und nicht hier, weil seine Großmutter gestorben ist, also halt deine Klappe.“

Jayden hebt den Blick zu mir, den Löffeln halb in seinem Mund. „Mein Fehler.“

Am liebsten wäre ich gegangen, aber der Haferbrei steht noch immer unangetastet an meinem Platz und ich habe heute noch nichts gegessen, also setze ich mich wieder hin und schaufele den Brei in meinen Mund.

„Hast du Ho-Oh schon gefunden?“, fragt Jayden schließlich.

„Gestern habe ich einen vielversprechenden Pfad gefunden. Ich glaube, heute kann ich ihn erwischen.“

„Wie stellst du dir das überhaupt vor?“, frage ich, immer noch etwas zickig.

Chris schaut mich verwirrt an. „Was?“

„Das Fangen“, sage ich. „Wenn es so einfach wäre, legendäre Pokémon zu fangen, warum tun es dann nicht mehr Leute? Was ist mit Noah? Oder den Favoriten? Nicht mal Red hat ein Legendäres.“

Jayden schnaubt. „Die Favoriten sind nicht stark genug, ganz einfach.“

„Sie sind sehr stark“, kontere ich. „Raphael Berni ist mein bester Freund und seine Pokémon sind teilweise über Level 50.“

„Sag ich ja. Zu schwach. Zumindest für Ho-Oh und Lugia.“

„Ich erwarte Ho-Ohs Level im siebziger Bereich“, erklärt Chris. „Deswegen konnte ich ihn nicht früher fangen.“

Ich verschlucke mich fast an meinem Brei. „Siebzig?!“

Chris nickt. „Zunächst musst du den Respekt des Pokémons erlangen, in diesem Fall durch die Buntschwinge, die ich finden musste, sonst lässt man mich nicht in den Glockenturm. Dann muss ich meinen Weg durch den Turm und an seine Spitze finden und dort gegen Ho-Oh bestehen.“

„Du packst das schon“, sagt Jayden und gibt ihr ihre leere Schüssel zurück. Chris bestellt eine Neue. „Aber beeil dich langsam. Wenn du noch viel länger brauchst, reise ich ohne dich nach Kanto zurück.“

Chris verzieht das Gesicht. „Ich werde es heute beenden. Und wenn ich da oben übernachten muss.“

„Sagt mal“, sage ich nach einer Weile. „Sind legendäre Pokémon eigentlich unsterblich?“

„Warum fragst du?“

„Ho-Ohs Legende geht über 160 Jahre zurück, und damit verbunden auch die der drei Raubkatzen. Sie scheinen nicht zu sterben wie normale Pokémon.“

„Ho-Oh ist in der Lage, tote Pokémon wieder zu beleben“, sagt Chris. „Es würde mich wundern, wenn er sterben könnte.“

„Was könnte so ein mächtiges Pokémon schwächen?“

„Attacken, ganz einfach“, sagt Jayden gelangweilt. „Sie sterben nicht von alleine, aber ich wette, sie können getötet werden. Oder verhungern.“

„Es ist nur…", sage ich langsam, "Raikou geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Es war so geschwächt, dass es sich nicht mehr alleine bewegen konnte. Erst die Blitze haben es wieder aufgeladen.“

„Das klingt nach einer zu niedrigen Statik“, sagt Schwester Joy fröhlich, als sie Chris ihren neuen Haferbrei bringt. „In seltenen Fällen bekommen wir Elektropokémon eingeliefert, deren innere Statik zu niedrig ist. Meist haben sie sich nach zu vielen Elektroattacken verausgabt. Dann müssen wir sie unter Strom setzen und wieder aufladen.“

„Warum war Raikou in so einem Zustand?“, überlege ich laut. Chris zuckt die Achseln.

„Keine Chance, das jetzt noch herauszufinden. Es wird sich verausgabt haben. Oder überschätzt, je nachdem.“

Das Thema damit abgeschlossen macht Chris sich über ihr Essen her und überlässt Jayden und mich einem unangenehmen Schweigen.

„Du bist auch so ein Rebell wie Chris, oder?“, frage ich nach einer Weile. „Keine Orden, keine Turniere, Hass auf Red und alle guten Trainer…“

Jayden lacht. „Ich halte nichts von Orden, das ist wahr. Was Red angeht… Ich würde gerne gegen ihn kämpfen. Ich will sehen, ob er der Legende gerecht wird. Aber das wird nicht passieren. Sein Aufenthaltsort wird schließlich nur an Trainer mit Orden weitergegeben.“

„Das hat Gold nie gesagt“, sage ich. „Blue ist nicht mehr Arenaleiter, du könntest ihn sicher herausfordern.“

„Vielleicht werde ich das tun, wenn ich zurückkehre.“ Er schaut zu Chris. „Macht es dir was aus, wenn ich mich in dein Zimmer verziehe? Ich brauche ´ne Dusche.“

„Geh ruhig.“

„Sag mal, Chris…“, beginne ich, „kann ich dich auf den Glockenturm begleiten?“

„Es ist ein ziemlicher Aufstieg“, warnt sie mich. „Was willst du dort?“

„Bei der Entstehung einer neuen Legende dabei sein“, sage ich grinsend. „Ich habe da so ein Gefühl.“

 

„Tut mir leid, aber ich kann nur den Bewahrer der Buntschwinge auf den Glockenpfad lassen“, sagt der Weise und schaut mich skeptisch an. „Und die junge Lady hier hat schon gegen eine traditionelle Regel meine Ordens verstoßen. Ich werde nicht noch eine Ausnahme machen, und wenn Jens vor mir auf die Knie geht.“

Chris zuckt die Schultern. „Tut mir leid, Abby.“

Ich unterdrücke die Enttäuschung und lächle. „Kein Problem. Ich gehe dann zurück zum Pokécenter. Viel Glück.“

Als ich dort ankomme, schaut Schwester Joy überrascht von ihrer Arbeit auf. „Schon zurück?“

Ich schüttele den Kopf und laufe die Treppen hoch zu Chris´ Zimmer. Dann klopfe ich.

Einige Sekunden vergehen, bevor die Tür sich öffnet und Jayden in ein Handtuch bekleidet vor mir steht.

„Hast du ein Flugpokémon?“, frage ich ihn und sein Gesichtsausdruck verändert sich von genervt zu anerkennend.

„Oh ja.“ Er schließt die Tür und kommt eine Minute später fertig angezogen aus dem Zimmer. Gemeinsam gehen wir die Treppen hinunter, ich zwinkere Joy zu und dann verlassen wir das Pokécenter.

„Einen Schritt zurück, bitte“, sagt Jayden und zieht einen Pokéball.

Sein Glurak fällt durch viele Dinge auf. Sein linkes Horn ist stark vernarbt, ein Nietenhalsband liegt lose um seinen Hals und es spuckt in regelmäßigen Abständen Rauchringe in die Luft. Am auffälligsten jedoch ist seine Farbe.

Jayden besitzt ein schwarzes Glurak. Die ledrigen Häute seiner Flügel haben eine tiefrote Färbung und seine Schuppen sind dunkelgrau wie Asche.

„Wow“, flüstere ich. „Die sind sehr selten, oder?“

Jayden klopft Gluraks Hals und es schlägt zweimal mit den gewaltigen Schwingen, bevor es sich auf alle Viere begibt, sodass wir leichter aufsteigen können.

„1:8192. Als er noch ein Glumanda war, ist mir seine Färbung zunächst nicht aufgefallen. Erst bei seiner Entwicklung wurde es offensichtlich. Steigst du auf?“

Ich setze mich auf Gluraks Rücken und Jayden lässt sich hinter mir nieder. „Kurs nach Nord-Nordost“, sagt er an Glurak gewandt, das nickt und sich dann mit schwerfälligen Flügelschlägen in die Höhe hievt, bevor es Geschwindigkeit aufnimmt und über die Stadt davon schießt.

„Wir können nicht zu nah an den Turm, sonst erscheint Ho-Oh nicht“, warnt Jayden mich über den tosenden Wind hinweg. „Halt dich weiter Richtung Osten, Glurak.“

„Warum gibst du ihm so viele Anweisungen?“, frage ich nach einigen Minuten, in denen Jayden immer wieder Gluraks Kurs korrigiert.

„Weil du da sitzt, wo ich sonst mit meinen Beinen lenke.“

„Oh.“

Als der Glockenturm in Sichtkommt, wird Glurak langsamer und bleibt schließlich flügelschlagend in der Luft stehen. „Näher können wir nicht“, sagt Jayden und schirmt seine Augen vor der Sonne ab, die jetzt hoch über uns steht.

„Wie lange wird sie für den Turmaufstieg brauchen?“, frage ich und kneife die Augen zusammen, um den Turm besser erkennen zu können. Die goldene Spitze glitzert im Sonnenlicht und wird von einem umzäunten Bereich umgeben. Er ist leer.

Wir warten fast zwei Stunden, während derer Glurak den Turm in immer größeren Kreisen umrundet und hin und wieder über den Wald fliegt, um ein Taubsi aus der Luft zu fangen.

Schließlich jedoch entdecke ich Chris´ Form, welche die steilen Treppen des Turmdachs in die Höhe steigt und auf der Plattform stehen bleibt. Sie umrundet die goldene Statue und schaut in den Himmel, auf der Suche nach Ho-Oh. Als sie uns sieht, winkt sie.

„Der Moment der Wahrheit…“, murmelt Jayden.

„Warum? Sie hat die Buntschwinge und sie ist auf dem Turm. Wo ist jetzt noch das Problem?“

Jayden lacht. „Es ist ein legendäres Pokémon, Abby, du hast es selbst gesagt: Wenn es so einfach wäre, würde jeder Trainer eins haben. Nicht nur der Level ist eine Hürde. Das Pokémon muss erst erscheinen und das tut es nur, wenn es den Trainer als würdig erachtet. Die Buntschwinge und der Turm sind nur Mindestansprüche.“

„Also besteht die Möglichkeit, dass es überhaupt nicht erscheint?“

„Natürlich. Allerdings kann ich mir keinen Trainer vorstellen, der würdiger ist als Chris.“

Chris legt die Buntschwinge wie ein Opfer auf die Goldstatue, dann macht sie einige Schritte zurück und lehnt sich an das Geländer, den Kopf nach hinten gelegt.

Mit einem Mal nimmt die Sonneneinstrahlung zu. Die Wolken ziehen wie im Zeitraffer über unseren Köpfen hinweg und geben freie Sicht auf die unendliche Weite des Himmels, der blau flimmert. Glurak fliegt unruhig hin und her, den Kopf paranoid von links nach rechts schwenkend. Nur Jaydens beruhigendes Flüstern hält das Pokémon ab, davon zu fliegen.

Chris stößt sich von dem Geländer ab und ruft eins ihrer Pokémon, ihr Nachtara, das auf ihrer Schulter Platz nimmt. Ein Regenbogen zieht in Kreisen über unsere Köpfe hinweg und schließlich kommt der rotgoldene Vogel in Sicht.

„Er ist wunderschön…“, murmele ich.

Ho-Oh sinkt tiefer und tiefer und landet schließlich auf der Spitze der goldenen Statue. Er betrachtet Chris mit schief gelegtem Kopf, dann breitet er seine gewaltigen Schwingen aus und kreischt. Wind peitscht um Chris´ Körper, die ein Stück zurückweicht, doch ihr Pokémon bleibt unbeeindruckt auf ihrer Schulter sitzen.

Was folgt, ist ein Kampf, wie ich ihn noch nie zuvor gesehen habe. Nachtara hält Ho-Oh mit seinem Horrorblick fest, verwirrt ihn mit ihrem Konfusstrahl und heilt sich wieder und wieder mit Mondschein, während Ho-Ohs Attacken von der Spitze der Goldstatue niederprasseln.

Feuer, so heiß, dass es blauweiß glüht, schießt auf Nachtara herab, das jede der Attacken abfängt, bevor sie wieder auf Chris´ Schulter landet und eine Sturzflugattacke aus den Höhen des Himmels, bevor Ho-Oh wieder zum Turm zurückkehrt.

Inmitten all dessen: Chris, die einen Hyperball nach dem anderen auf das Pokémon wirft. Bei den ersten zehn fiebere ich noch mit, aber Ho-Oh befreit sich jedes Mal ohne scheinbare Mühe und greift sofort wieder an.

„Ich dachte, es erkennt Chris als seinen Trainer an“, sage ich.

„Es testet Chris´ Willensstärke und ihre strategischen Fähigkeiten. Es wird sich erst fangen lassen, wenn es zufrieden mit ihrer Leistung ist.“

So sagt er und die Zeit verstreicht. Schließlich ist es der 46. Ball, der Ho-Oh fängt. Alles vergeht wie in Zeitlupe. Ho-Oh breitet die Flügel aus, empfängt den Ball und verschwindet in einem Lichtermeer aus Rot. Viermal kugelt der Hyperball vor und zurück, dann bleibt er liegen. Nachtara macht einen Luftsprung und Chris sinkt auf die Knie.

Jayden pfeift leise und Glurak schießt auf den Turm herab, wo es seitlich an der Goldstatue landet. Jayden und ich springen ab.

„Du hast es geschafft“, sagt Jayden und wuschelt Chris durch ihr Haar. Was ich aus der Ferne nicht erkennen konnte, ist jetzt deutlich zu sehen. Nachtaras Fell ist angesengt, zerzaust und es hinkt. Selbst Chris hat Brandnarben davon getragen, sie ist rot im Gesicht, schwitzt und ihre Hände zittern.

Jayden geht vor ihr in die Hocke und reicht ihr den Hyperball, der zu Boden gefallen ist.

„Hast du die VM dabei?“

Chris lacht. „Natürlich.“ Sie zieht eine CD-förmige Scheibe und einen veralteten Pokédex aus ihrer gelben Umhängetasche, dann scannt sie den Code ein und ruft Ho-Oh, das aus dem roten Lichtstrahl in die Höhe schießt und flügelschlagend über uns schwebt, bevor es sich auf dem Geländer niederlässt. Aus der Nähe ist es riesig. Von Kopf bis Schwanz ist es gute vier Meter lang, mit doppelt so großer Spannweite.

Chris streckt vorsichtig eine Hand nach dem Pokémon aus und nach einigen Sekunden legt Ho-Oh seinen Kopf gegen ihre Handfläche. Dann hält sie den Pokédex in Richtung seines Kopfes und Ho-Oh schlägt die Augen auf.

„Kann er jetzt Fliegen?“, frage ich.

Chris nickt.

„Sag mal…kann ich dich um einen Gefallen bitten?“

 

Der Wind tost um meine Ohren und ich kralle meine Finger fester in Hunters weiches Gefieder, als er durch die Lüfte schießt, Spiralen dreht und Sturzflüge ausprobiert. Mehr als einmal bin ich fast von seinem Rücken gefallen, aber er drosselt seine Geschwindigkeit jedes Mal gerade lang genug, dass ich meine Balance wieder erlangen kann, bevor der Höllenritt weitergeht. Ich werde mich nicht beschweren.

Und als wir zu dritt inmitten Teak Citys landen, richten sich alle Augen auf uns. Es ist der Beginn einer Legende. Und ich war dabei.



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Kommentare zu diesem Kapitel (10)

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Von:  Kerstin-san
2017-04-14T12:50:42+00:00 14.04.2017 14:50
Hallo,
 
Chris ist echt nicht gut auf den ganzen Rummel um die Orden und die Championship zu sprechen. Ich versteh sie irgendwo, weil sie den ganzen Medienhype kritisiert, der mich auch nerven würde, andererseits ist es ja nicht die Schuld von den Trainern wenn irgendwelche anderen stärkeren Trainer kein Interesse an dem Titel haben. Es ist nun mal ihr Traum der Champ zu werden und um das zu erreichen muss man eben den ganzen Medienrummel in Kauf nehmen.
 
Es wundert mich echt, dass Chris es überhaupt in Erwägung gezogen hat Abby mit zu Ho-Oh zu nehmen, hätte gedacht, dass sie das lieber ohne Zuschauer regeln will. Aber coole Idee von Abby wie sie sich das Spektakel doch noch ansehen kann. Ich wäre bei dem Kampf lieber hautnah dabei gewesen, weil aus Abbys Perspektive einfach diese typische Atmosphäre fehlt, aber ich versteh schon, dass sie nciht einfach reinplatzen kann. Freut mich auf jeden Fall, dass Chris ihren Traum erreicht hat und von Ho-Oh als würdig befunden wurde.
 
Liebe Grüße
Kerstin
Von:  _Risa_
2015-08-27T19:33:59+00:00 27.08.2015 21:33
>Louis hat gestern angerufen. Seine Großmutter ist friedlich verstorben und die Beerdigung wurde gestern abgehalten. Er wird vier bis fünf Tage brauchen, bis er hier ist.
Na wenigstens hat sich die Autorin dazu erbarmt die Omi friedlich sterben zu lassen xD

>Gott sprintet im Zickzack auf seinen Gegner zu, ein dösig dreinschauendes Damphirplex, das wir etwas weiter südlich der Route 37 grasen gesehen haben. Als es von Gotts Attacke getroffen wird, knicken seine kräftigen Beine ein und es sinkt blökend zur Seite.
Pokemon: Terrorisiert friedlich grasende Tiere seit den 90ern xD

>Die eine Person scheint Jens zu sein, auch wenn ich ihn nur von Beschreibungen kenne. Blondes, mittellanges Haar wird von einem violetten Stirnband aus seinem Gesicht gehalten und ein genauso gefärbter Schal ist lose um seinen Hals geschlungen. Ein eng anliegender, schwarzer Pullover betont seinen schlanken Körperbau. Neben ihm läuft, zu meinem Entsetzen, der Trainer aus Viola City.
Seine Lederjacke ist offen und er kaut geräuschvoll auf einem Bonbon. Als Jens etwas sagt, lacht er laut. Dann fällt sein Blick auf mich.
Oh bitte, lass Jens nicht böse sein :( komisch, dass sich Abby so rasch verflüchtigt

>„Wir sind Kindheitsfreunde“, sagt Chris, die in dem Moment die Treppe hinunter kommt. Ihr Haar ist nass und sie trägt trotz der herbstlichen Kälte nur ihre Shorts und ein rotschwarz gestreiftes Top. „Er ist wie ich in Alabastia aufgewachsen.“
Das ist natürlich was anderes ^^

>Er ist ein Mittel zum selbstgefälligen Ruhm, nichts weiter.
Meeeii, bist du verbittert, Chris :(

>„Habe ich nicht“, sage ich und stehe wütend auf. „Er ist ein guter Freund und nicht hier, weil seine Großmutter gestorben ist, also halt deine Klappe.“
GUTER FREUND ^^
"Wir sind irgendwie zusammen" - Abby zu Caro xD

>„Sie sind sehr stark“, kontere ich. „Raphael Berni ist mein bester Freund und seine Pokémon sind teilweise über Level 50.“
Fast niedlich :D

>„Das klingt nach einer zu niedrigen Statik“, sagt Schwester Joy fröhlich, als sie Chris ihren neuen Haferbrei bringt. „In seltenen Fällen bekommen wir Elektropokémon eingeliefert, deren innere Statik zu niedrig ist. Meist haben sie sich nach zu vielen Elektroattacken verausgabt. Dann müssen wir sie unter Strom setzen und wieder aufladen.“
Sie sind laufende Batterien? XD

>„Bei der Entstehung einer neuen Legende dabei sein“, sage ich grinsend. „Ich habe da so ein Gefühl.“
Halt die Kamera drauf xD

>Einige Sekunden vergehen, bevor die Tür sich öffnet und Jayden in ein Handtuch bekleidet vor mir steht.
„Hast du ein Flugpokémon?“, frage ich ihn und sein Gesichtsausdruck verändert sich von genervt zu anerkennend.
Ich hab ein schlechtes Gefühl, Abby kann nie gehorchen xD

Ho-oh hast du wunderschön beschrieben, auch wenn mir der Fang an sich etwas zu kurz war. ^^



Antwort von:  yazumi-chan
27.08.2015 21:37
Abby ist in Denial xD Und so gut kennt sie Chris und Jayden dann auch nicht, dass sie ihnen von ihrem Liebesleben erzählt.

Sehr niedlich :´)

Das ist schön, dass Ho-Oh einen guten Eindruck gemacht hat :D Ich hab den Kampf etwas abgekürzt, weil ich nicht alle 50 Würfe durchkauen wollte xD
Von: abgemeldet
2015-04-29T09:04:24+00:00 29.04.2015 11:04
Hach ja ... Training. Ich stell mir gerade vor, wie du ein Stein auf ein grasendes Schaf wirfst, das umkippst und du dadurch stärker wirst xD Ich glaub in unsrer Welt würde man damit nicht berühmt xD

Chris erwähnte, Entei sei für einen anderen Trainer reserviert. Ich würde mich nicht wundern, wenn sie damit Jayden meint. Es freut mich für sie, dass sie den Phönix fangen durfte^^ Und dass Hunter jetzt fliegen kann, dürfte einiges vereinfachen. Immerhin ist er kein Taubsi und sollte Abby tragen können. Ich mag Louis wiedersehen D:
Antwort von:  yazumi-chan
29.04.2015 13:16
Bald. Bald.

Das mit dem Stein und dem Schaf ist sehr wahr xDDD
Von:  Kalliope
2015-03-15T20:07:22+00:00 15.03.2015 21:07
um ein Taubsi aus der Luft zu fangen. --> Mahlzeit xD


Hui sehr schön, damit hat Chris ihr geliebtes Ho-Oh gefangen. Ich gönne es ihr, sie hat so sehr darauf hingearbeitet und ist eine würdige Trainerin. Abby wird auf jeden Fall viel zu berichten haben und dass Hunter jetzt auch Fliegen kann, ist toll :) Hoffentlich ist Chris nicht zum letzten Mal aufgetaucht.

Zu Evoli aus Hexenhunds Kommentar: Ach ja, da war ja was. Abby hat Evoli schon geschenkt bekommen, aber noch nicht erhalten oder?
Antwort von:  Kalliope
15.03.2015 21:07
Ach und dieser Jayden ist der Aquana-Trainer, der Louis so zurechtgewiesen hat oder?
Antwort von:  yazumi-chan
15.03.2015 21:11
Richtig in allen Punkten :D Keine Sorge, die beiden werden weiter auftauchen.
Antwort von:  Kalliope
15.03.2015 21:25
Sehr schön :) Apropos auftauchen, sind deine Charas für einen kleinen Gastauftritt in Finera DotD zu haben?
Antwort von:  yazumi-chan
15.03.2015 21:26
Wenn hattest du denn im Sinn? :D
Antwort von:  Kalliope
15.03.2015 21:41
(Kommentar 250, yay :D)

Darüber hab ich mir noch keine genauen Gedanken gemacht. Vielleicht Raphael in einem TV-Interview mit Mila? Dann müssten du mir aber nochmal ein genaues Bild von Raphael geben.
Antwort von:  yazumi-chan
15.03.2015 21:44
Klar, schick mir nur ne ENS mit allem, was du brauchst :)
Von:  Hexenhund
2014-08-16T20:08:49+00:00 16.08.2014 22:08
ahhhh, wunderbar <3
Ich frage mich welchem legendären Pokemon Jayden hinterherjagt...
Und es freut mich ungemein dass Hunter jetzt Fliegen kann (es ärgerte mich schon dass sie nicht Raphael gebeten hat ihr die VM zu leihen...)
So... und jetzt hoffe ich mal auf ein baldiges Auftreten der kleinen Evolidame (ich habe bis jetzt nur Männchen gesehen ! Und dabei habe ich bestimmt 50gefangen!!!)
Antwort von:  yazumi-chan
18.08.2014 01:01
Es fällt mir gerade sehr schwer, nicht zu spoilern :D Sagen wir mal so: Evoli ist in Prismania City. Wenn die Handlung sich dort hin verlegt, weißt du Bescheid ;)
Antwort von:  Hexenhund
18.08.2014 07:51
awww, ( ich muss mir wirklich irgenwann eine der alten editionen besorgen... dann werde ich auch endlich mit der geographie klarer stehen ^^'
Antwort von:  yazumi-chan
20.08.2014 01:48
Im Notfall kann ich Pokéwiki empfehlen, das benutze ich im Exzess :DD
Antwort von:  Hexenhund
20.08.2014 05:23
ahahaha das kann ich mir vorstellen X'D


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