Zum Inhalt der Seite

Abbygails Abenteuer

Road to Lavandia
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Craig (Zwei Titanen)

Aus der Bewusstlosigkeit zu erwachen ist nie schön – und ich spreche aus Erfahrung. Mein Kinn ist auf meine Brust gesackt und ich kann meine Augen kaum fokussieren, mein Schädel dröhnt und alles fühlt sich lose und abgeschnitten an. Als Arbok mich erdrückt hat, hatte ich danach immerhin keine höllischen Kopfschmerzen.

Ich lecke über meine trockenen Lippen und schließe meine Augen, um mich einen Moment länger zu erholen. Meine Ohren sind ohnehin in besserem Zustand. Ich höre Stimmen, abgedämpft durch eine Wand oder Tür. Das Scharren von Füßen über Boden. Das Stöhnen meiner Team Mitglieder. Immer noch mit geschlossenen Armen teste ich meine Hand- und Fußgelenke, doch beide sind gefesselt. An die Wand gelehnt lasse ich vorsichtig meinen Kopf nach hinten sacken, was eine Reihe neuer Schmerzen und Farbflecken vor meinen geschlossenen Augen auslöst und ich ziehe scharf die Luft ein. Es dauert eine Weile, bevor ich mich genug unter Kontrolle habe, mein rechtes Auge einen Spalt zu öffnen.

Doppelte Bilder kreisen in meinem Sichtfeld und ich warte, bis sie sich überlagern und ich schließlich den dunklen Raum besser ausmachen kann.

Es scheint ein Lagerraum zu sein, voller Kisten und Fässer, die in den Ecken und an den Wänden stehen und einem kalten Steinboden, über den meine Fingerspitzen gleiten. Das einzige Fenster ist an der gegenüberliegende Seite und so weit oben, dass ich es nur mithilfe der Kisten erreichen könnte, aber zum Durchklettern ist es ohnehin zu klein. Nicht mal Ginger würde da durchpassen.

Wieder halbwegs im Besitz meiner Sehfähigkeiten drehe ich vorsichtig meinen Kopf nach rechts. Das Pochen wird stärker und ich zucke zusammen, aber da muss ich jetzt durch. Toby sitzt neben mir, weiterhin bewusstlos und mit einem dunklen Fleck an seinem Kopf, wo sein Haar blutverklebt ist. Ginger ist halb auf den Boden gerutscht. Der einzige, der wach scheint, ist Erasmus, seine Augen sind halb geöffnet und als ich in seine Richtung schaue, nickt er mir schwach zu.

Gefangen sein ist inzwischen meine Spezialität. Ich taste mit meinen zusammengeklebten Händen nach meinem Trainergürtel, entdecke aber schnell, dass sowohl meiner als auch der der anderen weggenommen wurde. Wut macht sich in mir breit. Wenn diese Biker Gott oder Hunter etwas angetan haben, werde ich ihnen das nicht verzeihen.

Ein Scharren über mir erweckt meine Aufmerksamkeit und ich hebe den Kopf. Mein Herz macht einen Satz.

„Sku“, flüstere ich, während mit Tränen in die Augen steigen. Sku sitzt vor dem kleinen Fenster und schaut zu uns herab, ihre roten Augen krank vor Sorge. „Du hast mich gefunden“, murmele ich, fassungslos. Sie muss geahnt haben, dass wir auch mit ihrer Hilfe keine Chance haben und ist uns deshalb nicht zu Hilfe gekommen und stattdessen nach unserer Gefangennahme gefolgt. Ich weiß nicht, was sie jetzt ausrichten kann, aber ihr Anblick gibt mir neuen Mut.

„Hey“, flüstere ich in Richtung Erasmus. Er hebt den Kopf. Seine Augen wandern ziellos hin und her. „Versuch, Ginger aufzuwecken.“ Er schaut mich ratlos an. Ich nicke energisch in Richtung Ginger, was ihm meine Nachricht anscheinend besser zu verstehen gibt, dann wende ich mich an meinen Sitznachbar.

„Toby. Toby, wach auf.“

„Hmmm…?“

„Toby“, zische ich und lasse mich zur Seite kippen, bis ich Toby mit meiner Schulter ramme. Er stöhnt und dreht den Kopf. Zufrieden, ihn zumindest geweckt zu haben, schaukele ich mich zurück in Ausgangposition. Erasmus folgt unterdessen ein wenig unbeholfen meinem Beispiel und bemüht sich, Ginger mit seinen zusammengeklebten Füßen zu treffen, vorerst erfolglos. Ich überlasse ihn seiner Aufgabe und rutsche weiter nach links, Richtung Tür. Die Stimmen von draußen sind hörbar, aber ich kann kein Wort verstehen. Wenn ich es schaffe, sie zu belauschen, könnte mir das nützliche Hinweise geben, zumindest, falls ich hier wieder raus komme.

Sku weiß, wo ich bin, denke ich. Sie wird Hilfe holen. Ein Blick zum Fenster bestätigt meine Vermutung. Sie ist verschwunden. Jetzt heißt es warten und so viel herausfinden, wie nur möglich. Holly und Rockey werden sich über jede neue Information freuen.

„Abby?“

Ich drehe meinen Kopf. Toby schaut mich benommen an. „Was… was machst du da?“

„Ich will das Gespräch belauschen“, sage ich leise. „Sku ist unterwegs, um Hilfe zu holen. Bis sie zurückkommt, will ich wissen, was hier vor sich geht.“

„Warum bemühst du dich?“ Er schließt mit schmerzverzerrtem Gesicht die Augen. „Du hast uns doch… verraten.“

„Sie hat uns nicht verraten.“

Ich schaue überrascht zu Erasmus, der halb auf dem Boden liegt, um Ginger zu erreichen.

„Woher willst du das wissen?“, fragt Toby.

„Sie hätte jede von Miks Behauptungen von Anfang an abstreiten können, aber das hat sie nicht“, sagt er mit matter Stimme. „Erst gegen die Letzte hat sie sich gewehrt. Wenn sie alles abgestritten hätte, hätten wir ihr eher geglaubt als einem Biker, oder nicht? Das heißt, dass sie sich keiner direkten Schuld bewusst war.“ Sein Fuß erreicht Ginger und stupst gegen ihren Oberschenkel, bis sie stöhnt und eins ihrer Augen öffnet. „Außerdem würde sie nicht ihr Leben für ein fremdes Pokémon riskieren, wenn sie ihre Freunde verrät.“

Toby schweigt. Dann schaut er zu mir. „Ist das wahr?“

„Als ich Mik das erste Mal getroffen habe, war er wie ein anderer Mensch“, sage ich leise. „Ich habe erst Zweifel an seiner Geschichte bekommen, als ich ihn auf der Route belauscht habe. Aber ich habe ihm nie von unserem Hinterhalt erzählt, das schwöre ich!“

„Was ist mit Wiesel?“, fragt Ginger, die sich an der Wand hoch geschoben hat, um aufrecht sitzen zu können. „Wenn sie von Anfang an die Anführerin der Biker war…“

„Ich vertraue Wiesel“, sagt Erasmus schlicht.

„Aber Ginger hat Recht“, sage ich. „Die Verstärkung ist nicht gekommen, sie hat uns nie ihren richtigen Namen gesagt und sie ist nicht mit auf die Mission gekommen. Es ist verdächtig.“

Erasmus schüttelt den Kopf. „Habt ihr nichts gelernt? Mik ist ein Schauspieler. Er verschleiert seine Lügen in der Wahrheit, damit sie eher geglaubt werden. Er hat seine Treffen mit Abby mit nur einer einzigen Lüge versetzt und weil sie den Rest nicht abgestritten hat, habt ihr ihm geglaubt. So hat er uns gegeneinander ausgespielt. Dasselbe gilt für Wiesel. Wenn sie wirklich ein Biker wäre, warum würde er uns davon berichten? Er wollte, dass wir sie verdächtigen, um Team RES-Q von Innen auszuschalten.“

„Wie sicher bist du?“, fragt Ginger mit zittriger Stimme.

„Ich kann es nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen. Es ist möglich, dass Mik angeben wollte und Wiesel wirklich seine Schwester Alina ist. Aber es kann genauso gut sein, dass er uns austricksen wollte. Solange die anderen nicht von dem Verrat erfahren, sollten sie in der Lage sein, uns bald ausfindig zu machen und zu befreien. Wenn Abbys Skuntank sie nicht schon herführt.“

Ginger ist während seiner Worte weiß geworden und ich erinnere mich düster an das Handy in ihrer Hand.

„Du hast sie schon gewarnt, oder?“, frage ich sie.

Ginger zuckt zusammen, dann nickt sie. „Ich habe Vivienne eine SMS geschrieben.“

Erasmus lehnt den Kopf an die Wand und schließt die Augen. „Das verkompliziert die Sache.“

„Was tun wir jetzt?“, fragt Toby.

„Warten“, sage ich. „Warten und lauschen.“

Ich rutsche weiter Richtung Tür und lege mein Ohr an das Holz. Es dauert eine Weile, bis ich die Geräusche identifizieren und ordnen kann. Füße, die über den Boden scharren, Gelächter, leise Gespräche.

Ich schließe meine Augen, konzentriere mich nur auf mein Gehör. Erasmus und die anderen unterhalten sich leise, verstummen allerdings nach einigen Minuten.

„-mit ihnen machen?“

„Festhalten, für´s Erste. Craig fragen.“

„Wann kommt er?“

„Wollte irgendwann heute Nachmittag eintreffen und nach den Fortschritten fragen.“

„Hoffentlich macht er uns dieses Mal nicht so runter. Gruselig der Typ. Mik ist nichts dagegen.“

Ihre Stimmen entfernen sich. Ich lecke mir über die Lippen, die Augen immer noch geschlossen. Schon wieder dieser Craig. Mik hat ihn schon bei dem Überfall erwähnt. Craig unterstützt die Biker. Ein Bewohner Teak Citys, vielleicht? Oder ist er das Bindeglied zwischen ihnen und Team Rocket? Gefährlich. Gruselig. Ein hochrangiges Mitglied also. Wahrscheinlich 1. Rang. Mindestens 2.

Ich stelle mir jemanden wie Teal vor, der heute Nachmittag hier auftaucht und es läuft mir kalt den Rücken runter. Teals Stärke gepaart mit Mels Charakter, das muss ich mir wohl unter diesem Craig vorstellen. Kein beruhigender Gedanke. Selbst, wenn Sku Hilfe holt, müsste es schon eine sehr kompetente Hilfe sein. Und wen kann sie schon holen? Die Polizei steht außer Frage und hat ohnehin nicht die Leute oder Zeit, sich darum zu kümmern.

Raphael. Raphael würde jeden von ihnen fertig machen. Aber natürlich hat Sku keine Möglichkeit an Raphael zu kommen, selbst wenn sie sich an ein Telefon hängt und durch Zufall die richtige Nummer erwischt.

Ich muss lächeln. Allein der Gedanke an Sku beruhigt mich.

„Hey, Al!“

Ich horche auf. Also ist Alina hier. Dass muss bedeuten, dass sie nicht Wiesel ist. Es sei denn, sie ist geflohen, bevor die anderen RES-Qs sie gefangen nehmen konnten.

„Wir haben die vier Kids hier. Ihre Pokémon sind da drüben in der Kiste bei der restlichen Beute.“

Eine leise, gemurmelte Antwort. Ich kann Alinas Stimme nicht verstehen.

Schweißtropfen laufen über meine Wange. Ist es Wiesel? Warum redet sie nicht lauter, verdammt?

„Was sollen wir mit ihnen machen?“

„…“

„Zwei Mädels, zwei Jungs. Sehen eher arm aus.“

„…“

„Die von Mik ist auch dabei.“

Die von Mik… die haben sie ja wohl nicht mehr alle. Wütend presse ich mein Ohr fester gegen die Tür – bevor sie sich geradewegs in mein Gesicht öffnet.

Ich werde umgeworfen, schlage mit meinem Hinterkopf schmerzlich auf dem Steinboden auf und kann nur mit Mühe einen Schrei unterdrücken. Genau auf die Stelle, an der man mich bewusstlos geschlagen hat. Also ich den Kopf hebe, steht eine Person im Türrahmen.

Fackellicht beleuchtet sie spärlich von hinten und so glaube ich für einen Moment, Wiesel vor mir stehen zu haben. Doch dann legt Alina den Kopf schief und zieht an einer rot glimmenden Zigarette, die ihre scharfen Gesichtszüge zeigt und das Ringpiercing in ihrer Nase aufleuchten lässt.

Kurzes, hellrotes Haar bedeckt ihren Kopf, nur zwei Strähnen vor ihren Ohren hat sie bis zu ihrem Kinn auswachsen lassen. Sie deutet auf mich und der Biker hinter ihr nickt.

„Das ist sie.“

Alina packt meinen T-Shirt-Kragen und zieht mich mühelos hoch, die Muskeln ihrer Arme wölben sich im flackernden Feuerschien. Ohne viel Anstrengung zieht sie mich aus dem kleinen Lagerraum und schubst mich auf einen Stuhl, der in der Mitte des Raumes steht und von einem der Biker festgehalten wird. Kaum plumpse ich auf den Sitz, legt er ein Seil um meinen Hals und zieht es nach hinten, bis mir das Atmen schwerfällt, dann hält er es ruhig. Meine Augen sind an die Decke gerichtet.

„Abbygail, nicht wahr?“ Ihre Stimme ist kalt. Abwesend. „Du bist reichlich unbeliebt, das muss ich dir lassen. Wir haben Warnung erhalten, dass jemand mit deiner Beschreibung möglicherweise auftauchen würde und hier bist du. Meinen Bruder hast du schon kennen gelernt, nicht wahr? Er hat dich sofort erkannt. Er hat deine Identität überprüft und danach alles in die Wege geleitet, um dich mit Profit aufzugreifen. Unsere Unterstützer haben ein Preisgeld auf dich ausgesetzt. Lebendig oder tot, aber wir erhalten die doppelte Belohnung, wenn du lebst. Jemand dort scheint dich nicht zu mögen.“

„Mel“, hauche ich.

„Es interessiert mich nicht, wer dich tot sehen will oder warum“, fährt Alina fort. „Ich will nur die Bezahlung. Craig wird dich heute Abend mitnehmen.“

„Woher wusstet ihr… dass wir… euren Plan kennen?“, bringe ich hervor. Meine Kehle wird durch das Seil zusammen gedrückt und ich bekomme kaum genug Luft zum Reden.

„Oh, bitte.“ Alina lacht humorlos. „Denkst du, wir merken es nicht, wenn jemand sich in unser Informationsnetzwerk schleicht? Wir haben lediglich dafür gesorgt, dass ihr von dem Hinterhalt erfahrt, mehr nicht. Eure kleine Crew war naiv, zu glauben, sich mit uns anlegen zu können. Nicht so naiv wie du, natürlich. Mik hat eure Gespräche jeden Abend zum Besten gegeben. Wir haben uns alle köstlich amüsiert.“

Mir steigt die Röte ins Gesicht, als ich das heisere, abfällige Lachen der Biker aus allen Richtungen höre.

„Bring sie zurück zu den anderen. Craig wird sie abholen.“

Das Seil an meinem Hals wird in die Höhe gezogen, ich stehe unbeholfen auf und strauchele, bevor der Biker mich grob an der Schulter packt und zu dem Lagerraum schiebt, das Seil weiterhin fest um meine Kehle gezogen. Als er die Tür öffnet, steht Toby bereit, ihn zu rammen, nur dass ich zwischen den Beiden stehe. Der Biker löst das Seil und schubst mich gegen Toby und gemeinsam fallen wir zu Boden.

Die Tür schlägt mit einem Knall zu.

„Diese verdammten Mistkerle!“, schimpft Toby, während ich mich von ihm herunterrolle.

„Habt ihr zugehört?“, frage ich missmutig. Toby nickt.

„Damit sind sowohl du als auch Wiesel entlastet“, sagt er. „Aber wir haben keine Möglichkeit, den anderen Qs Beschied zu geben. Die haben unsere Handys.“

„Sku wird schon einen Weg finden, uns hier rauszuholen“, sage ich. Hoffentlich.

„Sie hat nicht mehr lange Zeit“, sagt Ginger leise. „Wir waren lange bewusstlos.“

Erasmus nickt. „Die Schatten fallen schräg.“

„Warum hat Wiesel dich eigentlich als rechte Hand ausgewählt?“, frage ich nach einer Weile.

Erasmus lächelt flüchtig. „Meine kombinatorischen Fähigkeiten haben sie beeindruckt.“

Ich lasse die vergangenen Tage Revue passieren. Es war fast immer Erasmus der die entscheidenden Schlüsse gezogen hat.

 

Nachdem klar ist, dass wir keine Fluchtmöglichkeit besitzen, heißt es warten. Bei dem Gedanken, dass Sku vielleicht nicht rechtzeitig herkommt oder dass die Hilfe, wer immer sie ist, nicht stark genug sein wird, dreht sich mir der Magen um. Ich kann mir denken, warum Mel mich lebendig haben will. Und ich bin nicht scharf auf irgendetwas, das ihrem kranken Kopf als Racheakt entsprungen ist.

Craig kommt, als es dunkel wird.

Das erste, was wir von seiner Ankunft mitkriegen, ist eine knarzende, sich öffnende Tür oder Dachluke im Hauptraum, nervöses Gewisper und schließlich perfekte Stille, als schwere Schritte durch das ganze Hauptquartier hallen.

Dann beginnen die Verhandlungen und seine Stimme durchdringt jede Tür und jede Wand. Zunächst geht es um Pokémon und Items, die gestohlen wurden und ich denke mit einem flauen Gefühl daran, dass Gott und Hunter ebenfalls unter diese Beutestücke fallen. Egal, was passiert, ich werde die Beiden zurückbekommen. Die Bezahlung wird ausgehandelt und schließlich wechselt das Gesprächsthema.

„Das Mädchen?“, fragt Craig.

„Sie ist mit drei anderen im Lager.“

„Lebend?“

„Natürlich.“

Stuhlbeine, die über den Boden ratschen. Schritte. Die schwere Holztür öffnet sich und der Name Craig erhält ein Gesicht.

Er ist ein Titan, mindestens zwei Meter, breitschultrig, muskelbepackt, mit Sonnenbrille trotz des schummrigen Lichts, hellen Bartstoppeln und einem kurzen blonden Zopf. Als sein Blick auf mich fällt, nickt er zufrieden. „Das ist sie. Steh auf.“

Für einen Moment will ich sitzen bleiben. Einfach nicht mitkommen. Soll er mich doch raustragen. Doch dann fällt mein Blick auf das Pokémon, das neben Craig in den Türeingang tritt. Es als herkömmliches Panferno zu bezeichnen, trifft es nicht ganz. Seine Augen glühen mit etwas, das ich  als spärlich unterdrückte Mordlust identifiziere, seine Arme und Beine sind ungewöhnlich muskulös und definiert und als es seine Fäuste gegeneinander schlägt, sieht es so aus, als suche es nur nach einer Ausrede, jemanden zu Brei zu schlagen.

Ohne ein Wort kämpfe ich mich hoch und folge Craig nach draußen.

„Was passiert mit den anderen?“, frage ich Alina, die mit den Schultern zuckt und sich an Craig wendet.

„Was sollen wir mit dem Pack unternehmen? Wo die herkommen, gibt es mehr.“

Panferno keift und schlägt mit seiner Faust auf den Fußboden. Als seine Pranke sich wieder löst, bröckeln kleine Steinsplitter von seinen Knöcheln. Ich schlucke.

„Sind sie gefährlich für das Geschäft?“

„Nein, nur nervig.“

„Dann lass sie. Wir wollen nicht die Aufmerksamkeit der Bullen erregen. Sorg nur dafür, dass die drei verschwinden. Sie könnten den Ort wiedererkennen.“

„Wie du willst, Craig.“

„Wartet“, sage ich, panisch. „Ihr könnt sie nicht umbringen!“

Panfernos Faust trifft mich in meinen Magen und ich klappe stöhnend zusammen. Ich würge, hätte mich übergeben, wenn ich irgendetwas im Magen gehabt hätte. Craig greift in meine Haare und zieht mich hoch. Mein Schrei muss bis auf die Straße zu hören sein.

In diesem Moment geschehen drei Dinge.

Die Dachluke wird aufgetreten, ein 150kg schweres Walraisa fällt in den Kellerraum und Sku schießt die Treppe hinunter und springt Craig mit ausgefahrenen Krallen ins Gesicht.

Craig packt sie im Nacken und reißt sie von seinem Gesicht und schleudert sie weg, aber ich sehe mit großer Genugtun, dass tiefe, rote Striemen seine Haut bedecken und Sku sich schon wieder aufgerappelt hat. Sie sprintet an Panferno vorbei, das schreiend nach ihr schlägt, und rettet sich auf meine Schulter.

„Ich bin so froh, dass du hier bist“, sage ich und reibe meine Wange gegen ihren Kopf. Dann gehe ich am Rand des Raumes in Deckung. Walraisa robbt vorwärts und schaut nach oben. Ich folge seinem Blick, während Sku sich an meinen Fesseln zu schaffen macht.

Lange, entblößte Beine tauchen auf der Treppe auf, gefolgt von kurzen Shorts und schließlich dem Rest von Chris, die mit zwei Pokébällen pro Hand auf den mittleren Stufen stehen bleibt und aussieht wie der Racheengel höchstpersönlich.

Rote Lichtstrahlen schießen aus all ihren Pokébällen und im nächsten Moment ist der Kellerraum gefüllt mit Pokémon.

Ein Pikachu, das einen kleinen, goldgelben Orb um den Hals trägt, sitzt auf ihrer Schulter, eine Pfote an ihren Kopf gelehnt, die andere wie ein Commander vor sich gestreckt. Nachtaras gelbe Ringe leuchten in den Schatten, als es elegant auf eine der Kisten springt und sein Fell zu doppelter Größe aufplustert. Gewaldro und Knakrack nehmen zu beiden Seiten von Walraisa Stellung, die Münder zu angsteinflößendem Fauchen aufgerissen, die jeweiligen klingenbesetzen Arme wie Schwerter vor ihren Körpern gekreuzt.

Einen Moment lang herrscht gebannte Stille, dann entartet der Keller in Chaos. Die Biker rufen jedes ihrer verfügbaren Pokémon und greifen Chris´ Pokémon gleichzeitig an.

Schlammbäder und Funkenflüge gehen auf Gewaldro nieder, das jede der Attacken mit fast belustigtem Ausdruck abfängt, bevor es einen Scanner heraufbeschwört und sich dahinter vor den Angriffen schützt.

Pikachu beschwört einen Lichtschild, der Chris´ gesamtes Team einhüllt und den speziellen Schaden halbiert, dann attackieren Walraisa und Knakrack gleichzeitig, das eine mit einem Blizzard, der alle umstehenden Pokémon erfasst, das andere mit einem Erdbeben, das die steinernen Fliesen aufbrechen, Kisten und Fässer zerbrechen und die Biker und mich zu Boden taumeln lässt. Ich bin froh, dass Sku auf meinen Schultern sitzt, sonst hätte die Attacke sie genauso besiegt wie die anderen Pokémon.

Es ist ein Bild wie aus dem Lehrbuch. Alle Sleima, Fukano, Vulpix, ja sogar das Panferno von Craig sind mit einem Schlag KO und die Smogon, die dank ihrer Schwebe immun gegen das Erdbeben sind, werden von dem Blizzard steif gefroren und fallen mit einem Klong zu Boden.

Chris ist nicht nur krass drauf. Sie ist ein Titan.

Craig zischt und ruft sein nächstes Pokémon, ein Meditalis. „Michael, Alina, zu mir.“

Die beiden rennen zu ihm, ihre eigenen Pokémon sicher in ihren Pokébällen. „Scanner, Meditalis“, sagt Craig, gerade rechtzeitig, bevor Nachtara seine Augen aufreißt und den gesamten Raum mit einem Horrorblick festhält.

„Wollt ihr schon gehen?“ Chris macht einen Schritt nach unten. „Ihr habt keine Chance.“

„Ich muss dich nicht besiegen, um an dir vorbeizukommen“, brummt Craig. Dann zieht er seinen dritten Pokéball. Ein Schnurgarst materialisiert sich vor ihm. „Blitz!“

„Nein!“, schreie ich und springe ihm hinterher. Ein gleißend heller Blitz erfüllt den Raum und während ich Chris´ hektischen Befehlen lausche, renne ich blindlinks den Geräuschen nach. Ich meine, einen Arm zu packen, doch die jeweilige Person reist sich los und schubst mich weg. Wenige Sekunden später sind meine Augen wieder sehfähig und ich sitze inmitten von Chris´ Überpokémon, die auf mich herabsehen. Sku sitzt auf meinem Bauch und reibt sich wie besessen an mich.

„Tut mir leid“, sagt Chris und schaut wütend hinter sich. „Die drei erwische ich nicht ohne Flugpokémon.“

„Wofür entschuldigst du dich?“, frage ich. „Du hast uns allen das Leben gerettet!“

„Hallo?“, ruft Tobys Stimme aus dem Lagerraum. „Was ist passiert?“

Chris ruft all ihre Pokémon außer ihrem Nachtara zurück, das die fünf Biker weiterhin mit seinem Horrorblick in Schach hält. „Die Polizei ist unterwegs.“

„Danke, Chris. Wirklich. Ich schulde dir was.“

Chris nickt ernst. „Ich komme darauf zurück.“

Ich laufe zu dem Lagerraum und öffne die Tür, dann befreie ich die drei von ihren Fesseln. Während wir anschließend im Hauptraum auf die Polizei warten, erzählt Chris uns, wie Sku sie gefunden hat.

„Ich kam gerade von dem Glockenturm zurück, da sprang sie mich vor dem Pokécenter an“, sagt sie. „Ich kannte sie nicht, aber sie ließ nicht locker, bis ich ihr folgte. Sie hat mich zu dem Haus eines sehr zwielichtigen Mannes geführt und ist nicht von der Luke gewichen, also habe ich den Mann gefragt, was dort unten ist. Er war kein besonders guter Lügner, und jemand hat geschrien, also habe ich nachgeschaut.“

„Du bist die beste“, flüstere ich Sku zu und umarme sie so lange, bis sie sich losmacht und zu einer der Kisten läuft. Wir suchen unsere Trainergürtel und Taschen zusammen und werden gerade fertig, als Schritte die Treppen herunter kommen.

Ich drehe mich um und entdecke Jack, der mir zuwinkt.

„Hab gehört, ihr Kids habt da was auf die Beine gestellt“, sagt er und klingt ein bisschen stolz. Auch er erinnert sich an unser Gespräch vor der Dunkelhöhle.

„Wir sind Team RES-Q“, sage ich grinsend. „Mit Verstärkung.“

„Hauptsächlich Verstärkung“, lacht Toby.

Danach beginnt die Vernehmung. Aber die bin ich ja inzwischen gewohnt.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (8)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Kerstin-san
2017-04-12T16:12:39+00:00 12.04.2017 18:12
Hallo,
 
ich bin so dankbar, dass Sku Abby jetzt nicht hängen lässt und ihr so schnell verzeiht. Wenn die beiden sich längerfristig zerstreiten würde, würde mir ganz anders werden. Drama zwischen den beiden brauche ich echt nicht.
 
Ich mag Erasmus, er ist ja eher der schweigsame Typ, aber ein verdammt guter Beobachter. Das er sich nach allem noch die Mühe macht Abby zu verteidigen ist ihm hoch anzurechnen und das Wiesel das alles gleich auf den ersten Blick in ihm erkannt hat, zeigt, dass sie ne verdammt gute Polizistin geworden wäre.
 
Mit Wiesel hast du mich gleich doppelt gelinkt. Dabei hätte es so gut gepasst... Und natürlich haben die Biker sie mit den leicht zugänglichen Infos geködert. Aber immerhin ist mir das überhaupt aufgefallen. Das verbuche ich dann schon mal als Erfolg. xD
 
Wah, ich wäre auch nicht scharf drauf Mel ausgeliefert zu werden. Die muss ganz schön verzweifelt sein, wenn sie schon andere Leute engagiert, damit die Abby einfangen. Eigentlich wollte sie das ja alles selbst erledigen. Oh nein, arme Abby! Und schon hats das nächste Pokémon auf sie abgesehen. Die sind ja echt nicht zimperlich. Kein Wunder, dass die so mit TR sympathisieren.
 
Chris schickt der Himmel. Was ein Glück, dass Sku sie auftreiben konnte und nicht locker gelassen hat bis sie mitkam. Sie ist echt ne Wucht, wie sie da so spielend im Keller aufräumt.
 
Liebe Grüße
Kerstin
Von:  _Risa_
2015-08-27T19:13:08+00:00 27.08.2015 21:13
>Aus der Bewusstlosigkeit zu erwachen ist nie schön – und ich spreche aus Erfahrung. Mein Kinn ist auf meine Brust gesackt und ich kann meine Augen kaum fokussieren, mein Schädel dröhnt und alles fühlt sich lose und abgeschnitten an. Als Arbok mich erdrückt hat, hatte ich danach immerhin keine höllischen Kopfschmerzen.<
"Ich spreche aus Erfahrung" xD
Abby, dein Lebensstil hat sich in den letzten Monaten wesentlich verschlechtert und ich würde etwas an meiner Strategie überdenken. *reicht ihr eine Karte der anonymen Lebensmüden xD*

>Gefangen sein ist inzwischen meine Spezialität.
='D

>„Ich vertraue Wiesel“, sagt Erasmus schlicht.
A. Sie spielt ein ähnliches Spiel wie Zach.
B. Er irrt sich.
C. Mik ist das wahre Arsch.
D. Ich trink grad Kaffee
Die Antwort ist … D! XD

>Raphael. Raphael würde jeden von ihnen fertig machen. Aber natürlich hat Sku keine Möglichkeit an Raphael zu kommen, selbst wenn sie sich an ein Telefon hängt und durch Zufall die richtige Nummer erwischt
Raphy, hilf deiner Jungfrau in Nöten! :(

>Wütend presse ich mein Ohr fester gegen die Tür – bevor sie sich geradewegs in mein Gesicht öffnet.
Mich wundert es, dass noch all ihre Knochen heil sind xD

Uh sorry, hab die Szene so gespannt verfolgt, hab ganz vergessen sie zu kommentieren. Äh… spricht für dich :D

>Chris ist nicht nur krass drauf. Sie ist ein Titan
Thaha :D

>Danach beginnt die Vernehmung. Aber die bin ich ja inzwischen gewohnt.
Was sie alles gewohnt ist xD

Antwort von:  yazumi-chan
27.08.2015 21:24
Abby ist ja leider nicht mal ein anonymer Lebensmüder, das weiß inzwischen jeder xD Aber vielleicht sollte sie sich da trotzdem mal vorstellen. Es wird nicht besser xD
Von: abgemeldet
2015-04-29T08:37:33+00:00 29.04.2015 10:37
Mäh, du hast mich geleimt xD Wenn ich nicht so viel am Stück lesen würde und n bissl Zeit gehabt hätte, es sacken zu lassen, wäre ich aber vielleicht auch noch selbst draufgekommen ... :D Hoff ich ._.

Chris ist schon heftig drauf. Unschwer zu erkennen, dass sie ursprünglich vermutlich aus Hoenn kommt^^ Hoenn bietet leider bis auf Flemmli + Entwicklungen keine sonderlich herausragenden Feuer-Pokémon, daher kann man schon verstehen, dass sie es in Jotho versucht. Aber schön, wie du sie als Racheengel beschrieben hast. Ihr Pikachu scheint nen ganz eigenen Humor zu haben^^
Antwort von:  yazumi-chan
29.04.2015 13:15
Funfact: Chris kommt aus Kanto, Alabastia :) Sie hat sich Pikachu im Vertania Wald als Starter gefangen. Gewaldro hat sie erst später in Hoenn bekommen^^

Hahaha :D Auf den Hering ist aber bisher jeder reingefallen, du befindest dich in guter Gesellschaft ;)
Antwort von: abgemeldet
29.04.2015 13:17
Ja, hab ich dann auch gemerkt im Ho-Oh-Kapitel xD Aber wenn man 3 von 5 Hoenn-Pokémon mit sich rumschleppt und 2, die man in Hoenn bekommen kann, liegt das irgendwie nahe xD
Antwort von:  yazumi-chan
29.04.2015 13:19
Das stimmt :) Aber der Pokémonaustausch in den Regionen gibt dir die Möglichkeit, zumindest Standardpokémon aus anderen Regionen überall fangen zu können, solange der Lebensraum stimmt. Geckarbor hat sie aus Hoenn, aber Seemops gibt es inzwischen auch auf den Seeschauminseln, und ein Kaumalat kriegst du in der Safari-Zone, wenn du lange suchst^^
Antwort von: abgemeldet
29.04.2015 13:20
Joa, wie bei mir. Die Regionen vermischen sich mit der Zeit halt doch^^ Darum fliegen in Orania ja auch Wingull rum :)
Von:  Kalliope
2015-03-15T19:51:27+00:00 15.03.2015 20:51
Und doch nicht, du hast mich gleich zweimal ausgetrickst :P
Antwort von:  yazumi-chan
15.03.2015 20:55
Hehehehehe :D
Von:  Hexenhund
2014-08-15T09:19:06+00:00 15.08.2014 11:19
ahhhh, also doch nicht wiesel... ich fragte mich schon wieso sie in dem Fall das ganze RES-Q aufgebaut hat.. Das Chris so plötzlich kommt freut mich ungemein (ich hoffe du lässt sie Ho-Oh fangrn) , und Sku liebe ich einfach über alles (nintendo wieder rausholt und sich ein Skunkanpuh fängt)
arme Abby die die ganze Zeit in Gefahr gerät, und Mik ost ja wirklich ein furvhbarer Manipulator!
Antwort von:  yazumi-chan
15.08.2014 13:02
Bösöööser Mik :D
Oh ja, bitte fang dir eins! Welche Pokémonspiele hast du denn?
Antwort von:  Hexenhund
15.08.2014 13:58
schon geschehen ^^ aber leider ein männchen...
Nur die neuesten: schwar, weiss2 und x... ich habe seht spät Pokemon entdeckt ^^' leider...
Antwort von:  yazumi-chan
15.08.2014 14:51
Ich hab eher die älteren und deren Remakes, aber ich will mir unbedingt bald die neuesten holen :D


Zurück