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Yuki-Otoko

Tödlicher Schneesturm
von

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Zeit verrinnt

Es waren nun schon fast sechs Monate seit ihrem Skiausflug vergangen. Teramichi konnte sich zum Leidwesen der Polizei nur noch vage daran erinnern, was in jener Nacht geschah. Lediglich ein paar unbedeutende Einzelheiten hatte er sich merken können – das stellte er fest, als er am darauffolgenden Morgen seinem Tutor von den Geschehnissen hatte berichten sollen. So etwas nannte man wohl schützende Amnesie.

Seufzend setzte er sich auf einen der hinteren Plätze des Klassenzimmers. Er kippelte leicht und lehnte sich, die Arme zunächst streckend, dann hinter dem Kopf verschränkend, zurück. Seit damals hatte sich die ganze Atmosphäre des Seminarfach-Kurses verändert. Sie war beinahe von einem Pol zum anderen umgeschlagen. In den ersten Tagen nach der Rückkehr vom Skiausflug scharrten sich die Leute um ihn – teils aus Neugier, teils aus Mitleid. Beinahe aufdringlich. Aber dieser Zustand der Aufmerksamkeit ließ schon bald nach. Es dauerte nur ein paar Tage und die Traube um ihn herum war ein für alle mal verschwunden. Stattdessen schienen die anderen Teramichi von nun an zu meiden. Sie erwiderten seine Begrüßung beim Betreten des Raumes mit skeptischen Blicken und in den Pausen brachen Gespräche zeitweilig ab, wenn jemand an ihm vorbeilief. Es war nicht gut, aber auch nicht zwingend schlecht. So wurde er wenigstens nicht mit Dingen konfrontiert, an die er sich nicht mehr erinnern konnte.

Das einzige, das ihn immer wieder von Neuem packte, war die Einsamkeit. Denn dass sein bester Freund längst nicht mehr an seiner Seite weilte, traf ihn jeden Morgen mit einem harten Schlag. Als ob ihm jemand mit geballter Faust eine verpasste. Er wachte morgens schweißgebadet auf, lange Zeit bevor sein Wecker klingelte. Nachdem Träume ihn geplagt hatten, an die er sich im Nachhinein nicht mal annähernd mehr erinnern konnte – nur Verzweiflung und Unverständnis verfolgten ihn bis in die Realität. Er wusste nicht mehr, ob er träumte oder lebte – alles in seinem Alltag kam ihm vor wie ein einziger Albtraum. Infolgedessen kapselte er sich immer mehr von der Gesellschaft ab.

Zwar hatte ihn nicht gerade das beste Schicksal ereilt, jedoch gehörte Teramichi nicht zu der Sorte Mensch, die einfach aufgab. Er würde weiterkämpfen, so wie das letzte halbe Jahr, bist auch er das Leben erhielt, dass er verdiente. Wenn er denn einen bestimmten Weg verdient hatte.

Gerade, als er beschloss, sich dem Kritzeln auf der Rückseite seines Blockes hinzugeben, öffnete sich die Schiebetür und der Lehrer trat mit unerwartet aufrechter Haltung ein – dicht gefolgt von einem Jugendlichen, der trotz seines besonderen Aussehen unauffälliger nicht hätte sein können. Den meisten fiel er anscheinend erst ins Auge, als der Lehrer sich räuspernd hinter das Pult gestellt hatte und die Aufmerksamkeit so nach vorne zog. Seine hellen Augen verbargen sich hinter den weißen Haarsträhnen, die ihm ungleichmäßig ins Gesicht fielen. Man konnte seinen Gesichtsausdruck nicht recht deuten; jedenfalls schien er von der neuen Situation nicht gerade beeindruckt.

„Guten Tag“, begann er, noch bevor der Lehrer das Wort ergreifen konnte, „Mein Name ist Yuuki, geschrieben mit dem Zeichen für Mut. Freut mich euch kennen zu lernen.“ Seine Stimme klang sicher – und kalt. Sein letzter Satz vermittelte nicht das Gefühl, als ob er wirklich willkommen geheißen werden wollte. Vor Teramichi schüttelte sich ein Mitschüler am ganzen Körper, bevor sich sichtbar eine Gänsehaut ausbreitete. Umso schockierter blickte dieser drein, als der Junge in seine Richtung ging. Doch Yuuki ignorierte ihn und platzierte mit einer schwungvollen Bewegung seine Tasche auf dem Tisch in der hinteren Reihe – rechts von Teramichi. Er nahm Platz und tat, als wäre alles wie immer. Die verdutzten Blicke der Schüler richteten sich erst vereinzelt wieder nach vorn, lange nachdem der Lehrer schon mit dem Unterricht begonnen hatte.

Teramichi musterte den Neuen unauffällig von der Seite. Wenn man nach dem Aussehen ginge, mussten sich die Mädchen sich um ihn reißen – nur die Persönlichkeit ließ zu wünschen übrig. Umso geheimnisvoller und interessanter wirkte er auf ihn.

Scheinbar musste er doch länger seinen Nachbarn angestarrt haben als gewollt, denn dieser erwiderte plötzlich seinen Blick. „Und du bist wer?“ Der Klang seiner Stimme und das gelangweilte Kopf-auf-die-Hand-Stützen ließen darauf vermuten, dass er aus reiner Höflichkeit fragte. Was jedoch überhaupt nicht zu seinem Charakter passen wollte, weshalb Teramichi als Grund für seine Nachfrage eher auf pure Neugierde tippte. „Teramichi“, antwortete er darum schnell und wandte sein Gesicht wieder dem Tisch zu. Er starrte angestrengt auf die blitzblanke Oberfläche, als gäbe es nichts anderes als dieses glatte Material mit den vielen Kratzern und Furchen auf der Welt. Yuuki störte sich daran nicht und musterte ihn weiterhin.

„Achso. Freut mich.“ Eigentlich hätte Teramichi gern diese belanglose Unterhaltung aufgegeben, doch aus unerfindlichen Gründen schien sein Gesprächspartner dies nicht zu unterstützen. „Du bist ja nicht besonders beliebt hier im Kurs, oder?“

Überrascht blickte Teramichi hoch. „Woher…?“, begann er, doch auch ohne zu Ende zu sprechen, erhielt er bereits eine Antwort. „Ist ja nicht schwer zu erraten. Als ich rein kam haben alle getuschelt, sich Blicke zugeworfen und mich skeptisch beäugt – nur du saßt still da. Und ausgerechnet der Platz neben dir war auch noch frei.“

Teramichi konnte über diese Kombinationsausgabe nur staunen. Ihm wäre so etwas nicht direkt aufgefallen, wie vermutlich kaum jemandem.

Was ihn jedoch noch mehr beschäftigte, war, wie Yuuki diese Feststellung formuliert hatte. Es klang so, als hätte er sich bemüht, nach außen hin gelassen zu wirken, doch als ob er sich innerlich sehr mit dem Verhalten der Mitschüler beschäftigt hatte. Irgendwie ließ ihn das für einen Moment in einem völlig anderen Licht erscheinen. Als wäre er ein ganz normaler Junge, wie jeder andere hier in diesem Raum, und nicht der neue, geheimnisvolle, der nichts über sich preisgab.

„Sieht so aus als hättest du keine Lust mit mir zu reden“, stellte Yuuki trocken fest. Wieder klang er so gelassen, so desinteressiert, doch in den Worten selbst schwang Enttäuschung mit. „Nein, tut mir Leid“, reagierte Teramichi hastig darauf, „Ich hab nur nachgedacht. Sieht so aus, als tätest du das auch viel.“ Dabei musste er leicht grinsen – und Yuuki erwiderte es.

„Stimmt“, gab er zu, „Aber die meisten Leute merken das nicht. Die sehen nur einen gelangweilten Jungen, der sich für nichts interessiert.“ Volltreffer.

„Manchmal ist das nicht schlecht. Sie lassen dich in Ruhe. Du kannst tun und lassen was du willst, immerhin stört das eh niemanden mehr.“ Während er redete, wusste Teramichi nicht recht, wohin er schauen sollte. Tisch? Yuuki? Tafel? Er konnte sich nicht entscheiden und schloss die Augen. Was dazu führte, dass er den Leichnam Nishikazes wieder vor sich sah. Er schreckte auf, blickte mit glasigem Blick geradeaus und versuchte kurzerhand sich die Gegenwart ins Bewusstsein zu rufen. All das dauerte nur einige wenige Sekunden, die ihm selbst jedoch vorkamen wie eine Ewigkeit.

„Ich hab das von deinem Freund schon gehört. Tut mir Leid.“ Überrascht schaute er Yuuki ins Gesicht. Woher wusste er, dass er gerade daran gedacht hatte? „Passt schon. Ist ja schon ein halbes Jahr her“, meinte er, auch wenn es nicht der Wahrheit entsprach. Es bedrückte ihn noch immer. Natürlich. Das würde es vermutlich auch den Rest seines Lebens tun. Und Yuuki war die erste Person, die das anscheinend realisierte.

„Wenn du jemanden brauchst, kannst du jederzeit zu mir kommen.“

„Danke, ich werd’s mir merken.“

Er musste sich wohl eine neue Meinung von Yuuki bilden. Was er zuvor über dessen Charakter gesagt hatte, nahm er hiermit offiziell zurück. Er war ein netter Kerl, auch wenn er das durch sein Verhalten nicht annähernd zeigte. Vielleicht war das auch besser so. Wenn sich andere Menschen von einem fernhielten, konnte ihre Meinung einen nicht runterziehen – und man blieb, wie man war.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Wieder mal... sehr viel Zeit gelassen >__>
Bald muss ich die Geschichte schon beendet haben, damit die Teilnahme am Wettbewerb gültig ist o.o Ich werde mich bemühen! Ich glaube fest daran, dass ich das schaffe ^^
Wie immer hoffe ich, dass das Kapitel, mein Schreibstil, die Geschichte und möglichst alles euch gefallen hat. Und wenn ihr darauf jetzt mit einem "Ja!" antwortet, würde ich mich besonders freuen, wenn wir uns beim nächsten Kapitel wiedersehen ^__^ Bis dann! x3 Komplett anzeigen

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