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Yuki-Otoko

Tödlicher Schneesturm
von

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Schweißgebadet wachte Teramichi auf. Ein Blick auf seinen Wecker verriet ihm, dass er um etwa halb vier morgens hellwach in seinem Bett saß. Seufzend schob er die Beine unter der Bettdecke hervor, bis seine nackten Füße die kalten Fliesen berührten. Erschöpft zwang er sich zum Stehen, torkelte leicht zu seinem Schreibtischstuhl und zog sich eine Stoffjacke über. Sobald er aus den Albträumen erwachte, fror er, als hätte er die ganze Nacht draußen im Freien verbracht. Mittlerweile war es ihm zur Gewohnheit geworden, so früh aufzustehen, sich warme Sachen überzuziehen und in der Küche einen heißen Tee zu trinken. Einschlafen konnte er danach sowieso nicht mehr.

Er malte mit dem Löffel einen Kreis in die gefüllte Tasse. Noch einen. Noch einen. Dabei starrte er das Getränk an und beobachtete es dabei, wie es Wellen schlug. Etwas besseres, was er tun könnte, fiel ihm nicht ein, ohne dass er seine Eltern geweckt hätte. Also saß er einfach still da – rührend, schweigend, nachdenkend.

Sein Blick fiel zufällig auf die kleine, leuchtende Uhr auf dem Display seines Handys neben ihm, als dieses plötzlich vibrierte und unter der Uhrzeit ein winziger Briefumschlag aufblinkte. Verwirrt darüber, welcher Idiot ihm zu dieser nachtschlafenden Zeit eine Nachricht schickte, schaute er auf den Absender. Unbekannte Nummer. Merkwürdig, zumal ihm eh kaum noch jemand schrieb. Neugierig öffnete er die Mail und las sich den kurzen Text durch.

Hey, wie geht’s? Noch wach?

Kann nicht schlafen…

Yuuki

Kaum hatte Teramichi zu Ende gelesen, warf sich ihm schon eine Frage auf. Woher zum Teufel hatte dieser Kerl seine Adresse?! Gleichzeitig wurde ihm bewusst, dass er sich ein halbes Jahr zuvor noch gut mit jedem aus der gesamten Schule verstanden hatte. Für einen Neuankömmling, wem gegenüber anfangs jeder noch sehr großzügig war, wäre es sicherlich kein Problem, irgendeine Person nach seinen Kontaktdaten zu fragen. Nur die wenigsten hätten ihm darüber keine Auskunft geben können.

Einen Moment lang saß er schweigend vor dem leuchtenden Bildschirm, ehe sich der Stand-by-Modus einschaltete und er mit einem Mal wieder in beinahe völligem Dunkeln saß. Lediglich die kleine Salzkristalllampe auf dem Fenstersims, deren einprägsamen Geschmack jedes Kind mindestens einmal probiert hatte, erhellte den Raum in einem einhüllenden, orangen Farbton. Dann aktivierte er sein Handy erneut, tippte hastig seine Antwort, bevor er es sich anders überlegen konnte, und legte es wieder beiseite. Gerade ein Mal hatte er den Löffel wieder im Kreis gedreht, als auch schon die Antwort kam.

Cool, ich hatte nicht wirklich gedacht, dass du wach bist.

Kann ich bei dir vorbeikommen? Mir ist langweilig.

Seufzend legte Teramichi sein Handy auf den Tisch und nahm einen Schluck aus der Tasse. Er stellte sie wieder vor sich auf den Tisch, dann begann er die gleiche Prozedur ein weiteres Mal. Es war einfach zu unwirklich. Wurde er da tatsächlich jetzt gerade, um kurz vor vier Uhr morgens, gefragt, ob er Lust auf ein Treffen hatte? Kopfschüttelnd tippte er die vier Buchstaben seiner knappen Antwort ein, drückte ohne Nachzudenken auf Absenden. Irgendwie musste er über seine eigene Reaktion lachen. Das war auch zu absurd. Vielleicht war es ein Traum?

Klar.

Das Handy gab ein drittes Lebenszeichen an diesem Tag von sich, als die vorerst letzte Nachricht in Teramichis Posteingang eintraf.

Ich bin gleich bei dir.
 

Die leere Tasse aus Porzellan, deren Oberfläche mit feinen, dunklen Blumenranken und atemberaubenden, weißen und hellblauen Blüten besät war, stand immer noch vor Teramichi auf der Tischfläche, als es an der Tür klopfte. Dieser stand sofort auf, ließ die Tasse unbeachtet an derselben Stelle zurück und öffnete die Tür einen Spalt weit. Als er dahinter wie erwartet Yuuki erblickte, zog er sie weiter auf, bis das Licht der gegenüberliegenden Straßenlaterne einen rechteckigen Fleck durch die nun weit geöffnete Tür warf.

„Hallo“, begrüßte Yuuki sein Gegenüber fröhlich. Seine weiß-graue Jacke hatte er dicht um seinen Körper geschlungen. Sie hatte kurvenartige Linien aufgedruckt, bestehend aus vielen einzelnen Punkten, und entsprach vollkommen der Ungewöhnlichkeit Yuukis. Dies störte ihn aber nicht im Geringsten. Er trug, was er wollte – seine einzigen Kriterien beim Kauf waren gemütlich, im Sommer kühl und im Winter warm. Folglich basierte die Auswahl mehr auf dem Zufallsprinzip als alles andere.

Mittlerweile wurde es wieder kälter, der Sommer mit seiner Hitze war vorüber. Trotzdem bestand Yuuki auch nach etwas länger andauernder Diskussion darauf, nach draußen zu gehen. Er wolle nicht mehr Leute um sich herum haben als nötig, womit er offenbar auf Teramichis schlafende Eltern anspielte. Teramichi war es nur recht, denn er befürchtete, seine Mutter aus ihrem leichten Schlaf zu wecken, falls sie sich unterhielten.

„Und was ist mit deinen Eltern? Willst du die auch nicht um dich herum haben? Ich meine, die sind doch auch immer da. Oder nicht?“, merkte Teramichi an. Er konnte sich nicht vorstellen, dass eine Familie umzog und die Eltern das Kind möglichst schnell dem eigenen Schicksal überlassen wollten. Später schon, aber gleich zu Anfang in einer fremden Stadt?

„Na ja, nicht wirklich“, gab Yuuki zurück, „ich bin allein hierher gezogen. Mein Onkel kommt vielleicht irgendwann nach, aber das ist noch nicht sicher. Zurzeit wohnen er und seine Frau in Übersee. Mal schauen, was die Zukunft so für mich bereithält.“

Während er redete, klang Yuuki total gelassen und ruhig, als ob es ihm rein gar nichts ausmachte, allein zu leben. Beinahe schien es sogar, als lächelte er. „Macht dir das nichts aus?“, hakte Teramichi nach. Doch bekam er zunächst keine Antwort.

Unvermittelt blieb Yuuki stehen. Vor ihnen lag ein kleiner Spielplatz, an dem sich um diese Uhrzeit keine Menschenseele aufhielt. Lediglich eine getigerte Katze hatte sich auf das untere Ende der Rutsche verirrt. Sie maunzte, als sie die beiden Jungen erblickte und verschwand schleunigst im Gebüsch. Bald verstummte das leise Rascheln der Blätter und es herrschte Totenstille um sie herum. Die dämmrige Beleuchtung der Straßenlampe erreichte den hinteren Teil des Spielplatzes nicht, sodass die Schaukeln fast komplett im Dunkeln lagen.

Der weißhaarige Junge ließ sich von der düsteren Atmosphäre nicht beirren und betrat knirschend den Sandweg. Er ließ sich auf die rechte Schaukel fallen und bedeutete Teramichi mit einer geschmeidigen Handbewegung, sich auf die andere zu setzen. Dieser kam der Aufforderung nach und lauschte der Stille, die sich nun mit dem Quietschen der Metallketten mischte. Das Bild, das sich ihm bot, hatte eine merkwürdige Einzigartigkeit. Der verlassene Spielplatz, die langen Schatten der Spielgeräte, die kalte Luft um ihn herum. Die einzige Bewegung kam von den unzähligen kleinen Mücken auf der anderen Straßenseite, welche um das Licht der Laterne tanzten wie Schneeflocken in einer eisigen Brise.

„Weißt du“, unterbrach Teramichi nach langer Überlegung die Stille, „du kannst jederzeit zu mir kommen, wenn du willst. Ich meine, wenn man ganz alleine lebt… Fühlt man sich doch einsam, oder?“ Er wusste nicht, wieso er das in diesem Moment sagte. Er sagte es einfach, es fühlte sich irgendwie richtig an. Eine Antwort erwartete er gar nicht, und doch bekam er eine, wenn auch eine völlig zusammenhangslose.

„Was denkst du über mich?“ Teramichi war verwirrt über die Frage, lachte lautlos darüber und sah Yuuki sprachlos an. Er konnte nicht sagen, sie wären die besten Freunde. In der kurzen Zeit, die sie sich kannten, war das schier undenkbar. Er konnte auch nicht genau sagen, ob sie überhaupt Freunde waren, denn die einzigen Worte, die sie je gewechselt hatten, waren diejenigen zwischen den Unterrichtsstunden. Knapp, unbedeutend, höflich. Was erwartete Yuuki von ihm?

Plötzlich stand Yuuki auf und blickte starr geradeaus, die Hände in den Hosentaschen seiner blassen Jeans. Er blickte zum Nachthimmel empor, der durch die vielen Wolken zum größten Teil verdeckt war, und drehte sich dann langsam zu Teramichi um. Schweigend stellte er sich vor diesen und blickte aus den Augenwinkeln auf ihn herab. „Ich weiß das von dir und Nishikaze.“

Teramichi lächelte unsicher, vielleicht auch ein klein wenig gequält. „Du meinst, dass wir zusammen waren, als er gestor-“

„Nein. Du weißt, wovon ich rede“, unterbrach Yuuki ihn ungerührt.

Sein Gegenüber fühlte sich in die Ecke getrieben. Redete Yuuki tatsächlich darüber…? Unschlüssig versuchte Teramichi seinem Blick auszuweichen, doch es gelang ihm nicht. Die eisblauen Augen zogen ihn geradezu in seinen Bann.

„Ich bin nicht dumm“, erzählte Yuuki weiter, „du schaust mich nicht aus den Augen eines Klassenkameraden an. Du weißt es. Oder willst du es dir selbst nicht eingestehen? Vor allem, weil dein Liebhaber ja tot ist.“

„Sei leise! Was weißt du schon…“ Teramichi kniff die Augen zusammen, seine Finger bebten. Krampfhaft hielt er sich an der Eisenkette der Schaukel fest, sein Blick richtete sich augenblicklich gen Boden. Wie sollte er Yuuki denn jetzt noch begegnen? Wo er doch über sein Verhältnis zu Nishikaze Bescheid wusste.

Yuuki machte einen Schritt auf ihn zu. Dann ging er in die Hocke und schaute ihm von unten in die Augen. Aufrichtigkeit spiegelte sich in den blassen Augen wider, wie sie auch in seinen danach folgenden Worten mitschwang. „Mir macht das nichts aus, Masao.“

Es war das erste Mal, dass Teramichi von ihm beim Vornamen genannt wurde. Er wusste nicht, wie er dieses Verhalten deuten sollte – und trotzdem machte es ihn seltsamerweise etwas glücklich. Er hatte seinen Vornamen schon so lange nicht mehr von jemandem anders als seinen Eltern gehört. Doch warum? Warum jetzt? Warum so plötzlich?

„Im Gegenteil“, fügte Yuuki nach einiger Zeit leise hinzu. Er streckte sich etwas nach oben und legte seine Lippen auf die des Schwarzhaarigen. Obwohl all das an Teramichi vorbeilief wie in Zeitlupe, war er zu überrumpelt, um zu reagieren. Vielleicht wollte er das auch gar nicht. Langsam ließ er die Zeit an sich vorbeifließen. Langsam wie süßer Honig.

Nachdem Yuuki sich wieder von ihm gelöst hatte, verweilte er einen Moment vor seinem Gesicht. Besser als je zuvor konnte Teramichi in die atemberaubenden Augen sehen – den dunklen Ring um die Pupille, das fast schon Weiße drum herum und die vielen Lichtreflexe, die trotz der Dunkelheit darauf lagen. Keine Kälte spiegelte sich wie sonst darin wider, sondern nur dieselbe Ehrlichkeit wie zuvor und unendlich tiefe Wärme.

„Ich möchte mit dir zusammen sein.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Nächstes Kapitel! ^^
Ich muss mich ja beeilen, denn bald endet der Wettbewerb ein für alle mal ;) Allerdings... fahr ich morgen Abend schon in den Urlaub und da werde ich kein Internet haben, um das letzte Kapitel hochzuladen o.o
Aber wir nähern uns ja schon dem Ende.. Ein Kapitel noch, dann haben wir es hinter uns! O__O
Also.. Wir sehen uns beim nächsten Mal, freut euch aufs Finale ^__~ Komplett anzeigen

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