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Yuki-Otoko

Tödlicher Schneesturm
von

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Eisige Nacht

Gemeinsam saßen sie an dem langen hölzernen Tisch, jeder einen leergegessenen Teller vor sich stehend. Der Raum war zwar klein, bot jedoch genug Platz für alle vierzehn Schüler und ihre beiden Lehrer. Es war gemütlich warm im Wohnzimmer, während sich draußen langsam aber stetig der Schnee anhäufte. Eine gute Sache, wenn man bedachte, dass sie am nächsten Tag ihren Skikurs beginnen wollten. Am liebsten hätten sich jetzt schon einige den Hang hinuntergestürzt, doch aufgrund von Glatteis auf dem Hinweg waren sie zwei Stunden später angekommen als geplant. Bei ihrer Ankunft hatte es schon zu dämmern begonnen und als man die Schüler vor die Wahl stellte, entweder Abendessen oder Skikurs, entschloss man sich einstimmig für die warme Mahlzeit.

„Also dann!“, rief ihr Lehrer laut aus, nachdem er sich von seinem Stuhl erhoben hatte, „Für heute Abend ist ein Spielabend geplant.“ Der Skikurs stöhnte laut auf, einige starrten verdutzt nach vorn. „Ein Spielabend? Wollen Sie uns verarschen?“, beschwerte sich ein Schüler, „Wir sind doch keine Kinder mehr!“

„Ich habe mir gedacht, dass das kommt.“ Herr Suzuki grinste breit und ging langsam auf den Schüler zu, bis er direkt hinter ihm stand und ihm kräftig durch die Haare wuschelte. Damit war ihm nicht nur die Beschwerde vergangen, sondern auch die Frisur. „Glaubt ihr etwa ernsthaft, wir würden Memory und Fang den Hut spielen? Elf der hier anwesenden Personen sind Männer, also wird gepokert und Skat gespielt!“ Man konnte deutlich hören, wie die Erleichterung durch die Reihen ging – nicht nur bei den Jungen. Und so begann die Menge damit, den Tisch abzuräumen und fertig zu machen, während der Lehrer zwei der eher untätigeren Schüler aufsuchte. „Teramichi, Nishikaze! Ihr beiden seid für heute zum Holzsammeln eingetragen. Entspricht zwar nicht mehr dem heutigen Standart, aber hier in den Bergen werden immer noch Traditionen bewahrt. Also los, ab mit euch! Wir wollen heute Abend noch den Kamin anschmeißen!“

Seufzend erhoben sich die Beiden von ihren Stühlen. „Warum wir?“, maulte einer von ihnen, als sie elendig langsam auf die Tür zu schleiften. Widerwillig zogen sie die dicken Jacken über, bevor sie in die klirrende Kälte aufbrachen. Ein sternenklarer Himmel erstreckte sich über ihnen, allein der Mond erhellte den weißen Weg vor ihnen. Trotz des fallenden Schnees war ihnen nicht allzu kalt; jedenfalls nicht kälter, als einem bei zehn Zentimeter hohem Schnee nun mal ist. Umso quälender war die Tatsache, dass es bis zum Wald noch ein gutes Stückchen zu laufen war.

Nebeneinander stapften die beiden besten Freunde durch den Schnee und erreichten nach kürzester Zeit die ersten Bäume. Auf dem Boden lagen bereits einige Hölzer, doch waren diese nicht groß genug, um den Rückwert wert zu sein. Sie gingen ein wenig tiefer in den Wald voller schneebedeckter Tannen, wanderten jedoch immer auf einem unsichtbaren geraden Pfad, sodass sie auf ihrem Rückweg theoretisch nur hätten rückwärts laufen müssen. Theoretisch. In der Praxis sah das Ganze nur leider etwas anders aus.

Nishikaze war auf die grandiose Idee gekommen, den Wald doch etwas zu erkunden, sobald er ein kleines Bächlein entdeckt hatte, dessen Wasser zu im Mondlicht glitzernden Eis erstarrt war. Nur dem Lauf des Baches ein wenig folgen, hatte er gemeint, und anschließend den Weg wieder zurück gehen. Dummerweise glich die Stelle am zugefrorenen Bach, die sie sich gemerkt hatte, dem restlichen Verlauf wie ein Ei dem anderen und der Schnee hatte mittlerweile ihre Spuren in eine gleichmäßige Schneeebene verwandelt, sodass Teramichi nach einer Weile verbittert feststellte, dass sie sich verlaufen haben mussten.

„Ach, wir finden den Weg schon wieder raus!“, versuchte sein Freund ihn zu beruhigen, was jedoch nicht die volle Wirkung erzielte.

„Was, wenn nicht?“

„Auch kein Problem, ich hab doch mein Handy mit.“

In Gedanken schüttelte Teramichi bereits den Kopf, wo doch allgemein bekannt war, dass einem diese kleinen, elektronischen Geräte in den Bergen nicht unbedingt von Nutzen waren. Erstaunlicherweise war es jedoch nicht wie vermutet die Suche nach dem Netz, welches sie vom Telefonieren abhielt. Stattdessen begann das lauthals piepende Symbol des Akkus aufzublinken, das kurz darauf verstummte und so bald auch kein Ton mehr von sich geben würde. „Das soll wohl ein Witz sein“, meinte Nishikaze fassungslos. Er fing an, das Handy auf und ab zu schütteln, als könnte dies noch irgendeine Wirkung erzielen, doch mit der Bewegung verschwand auch der letzte Funke Hoffnung, das Handy wieder in Gang zu setzen.

„Tja, so viel zu übers Handy Hilfe rufen. Und was jetzt?“

„Keine Ahnung.“

„Das hilft uns nicht weiter.“

Hoffnungslos ließ sich Nishikaze auf einen kalten Stein plumpsen, nachdem er die verhältnismäßig dünne Schneeschicht abgewischt hatte. Er hielt den Kopf gesenkt, als Teramichi sich neben ihn setzte.

Das Wetter erschien nicht gerade so, als ob es sich demnächst bessern würde. Im Gegenteil. Der Wind blies mit der Zeit immer stärker und die Schneekristalle, die auf sie hinunter fielen, wuchsen stetig an. Unverkennbar, dass ein Schneesturm im Anmarsch war. Zudem fingen beide langsam an, am ganzen Körper zu zittern, sodass die Vorstellung, sich im Wald verlaufen zu haben und möglicherweise dort die Nacht verbringen zu müssen, noch unerträglicher erschien. Dort hockten sie nun nebeneinander, unschlüssig darüber, was zu tun war. Irgendwann konnte Teramichi die Stille einfach nicht mehr ertragen und sprang mit einem Satz auf. „Rumsitzen bringt auch nichts! Lass uns wenigstens versuchen wieder zurück zu kommen.“

Ohne auf die Antwort seines Kumpans zu warten, zog er ihn an der Hand hoch und bahnte sich seinen Weg durch die Schneeschicht. Eine sinnlose Aktion, wie es schien. Umso überraschter waren die beiden allerdings, als sie inmitten des Sturms eine kleine Hütte entdeckten. Nicht ihre Skihütte, die sie mit dem Kurs zusammen gemietet hatten, sondern eine kleinere, hinter deren Fenster ewige Dunkelheit herrschte. Vorsichtig ging Teramichi weiter darauf zu, als könnte im nächsten Moment ein schreckliches Monster um die Ecke springen und ihn verschlingen. Selbstverständlich geschah nichts dergleichen. Das einzige Geräusch, das sich neben dem Getöse des Windes den Weg durch die vielen Nadeln der Bäume bahnte, war das zaghafte Klopfen und ein leises „Hallo?“ von Teramichi. Nachdem selbst nach dem zweiten Anklopfen keine Antwort kam, drückte er die Türklinke herunter und stellte erstaunt fest, dass nicht einmal abgeschlossen war. Andererseits gar nicht so verwunderlich, denn wer würde schon in ein Haus mitten im Wald einbrechen wollen, zu dem man kaum den Weg fand?

Zusammen mit einer unverständlich gemurmelten Entschuldigung betrat er das Haus, dicht gefolgt von Nishikaze. Drinnen war es so still und dunkel, wie sie es schon erahnt hatten. Man konnte lediglich schemenhafte Umrisse der sich im Raum befindenden Möbel erahnen, doch in dieser Holzhütte nach einem Lichtschalter zu suchen entsprach der Hoffnung, im Gartenspringbrunnen auf Gold zu stoßen. Glücklicherweise hatten sie nicht vor, großartig auf einen freundlichen Gastgeber zu hoffen, sondern setzten sich zusammen auf den harten Boden in der Mitte des Raumes, soweit sie es beurteilen konnten. Von irgendwoher hatte Nishikaze zwei Wolldecken hervorgeholt, in welche sie sich frierend einhüllten.

Die Zeit schritt voran und schließlich vernahm Teramichi einen leisen Schnarcher aus der Richtung seines Freundes. Er selbst hingegen lag wach und starrte Löcher in die Dunkelheit. Sie machte ihm zu schaffen, die Finsternis, sie engte ihn ein und schien ihn beinahe zu erdrücken. Die Tatsache, dass draußen der Schneesturm laut vor sich hinheulte, schien im Gegensatz dazu beinahe nebensächlich. Der Wind peitschte gegen die Tür, übertönte zeitweilig Nishikazes Geräusche, sodass es sich anfühlte, als wäre Teramichi allein in dieser Hütte zu dieser nächtlichen Zeit.

Mit einem Mal fing die Erde unter ihm an zu zittern und mit einem lauten Knall, als würde das ganze Haus in sich zusammenbrechen, schlug die Tür auf und der eisige Wind kroch bis unter Teramichis Decke. Starr vor Schreck beobachtete er, wie eine Gestalt eintrat. Die Tür schloss sich mit einem Ruck, so plötzlich, wie sie aufgegangen war. Im spärlichen Licht, das seinen Weg auf wundersame Art ins Zimmer fand, konnte er gerade eben einen zierlichen Jungen erkennen mit weißen Haaren und ebenso weißem Gewand. Seine Haut war blass, als ob er zu lange im Schnee gelegen und teilweise dessen Farbe angenommen hätte.

Gerade wollte Teramichi sich aufrichten und sich dafür entschuldigen, dass die beiden Freunde einfach in das Haus eingedrungen waren, als er etwas Helles unter dem Ärmel des Unbekannten aufblitzen sah. Glänzendes Metall. Ein Dolch. Er schluckte, als der Fremde einen Schritt in ihre Richtung tat. Noch einen. Noch einen. Erst, als er direkt neben ihnen stand, blieb er stehen, beugte sich zu Nishikaze herunter. Teramichi hatte er den Rücken zugewandt, als er mit geschickten Handbewegungen die Klinge hervorholte.

Es dauerte nur einen kurzen Moment, dann war es vorbei. Von Nishikaze war kein Laut mehr zu hören, stattdessen mischte sich eine unheimliche Stille zu dem gleichzeitig tobenden Sturm. Mit weit aufgerissenen Augen starrte Teramichi neben sich, eine Gänsehaut machte sich auf seinem gesamten Körper breit. Schlagartig war ihm eisig kalt. Er fror, obwohl von der Kälte von draußen kaum etwas zu spüren war. Eine Träne stieg ihm ins Auge, während er zusah, wie sich der Junge langsam zu ihm umdrehte. Mit eiskaltem Blick schaute er auf ihn herab, das Messer immer noch in der Hand halten. Panik machte sich in Teramichi breit, doch er war unfähig sich zu rühren. Er wusste, dass er jetzt sterben müsste. Wie Nishikaze neben ihm, wenn er nicht floh. Aber er konnte nicht. Es war, als würde eine unsichtbare Hand am Boden festhalten.

Der Junge schaute ihn durchdringend an. Plötzlich durchbrach er die Stille. Er sprach mit einer sanften, aber bestimmten Stimme zu Teramichi, die deutlich machte, wer von ihnen der Überlegende war. „Hat euch niemand vor dieser Gegend gewarnt? Ihr beiden seid in mein Gebiet eingedrungen, was mit dem Tod bestraft wird. Normalerweise, so wie ich es bei deinem Freund getan habe.“ Der Fremde beugte sich auf einmal nah zu Teramichi herunter, bis dieser ihm angsterfüllt in die klaren Augen schauen konnte. „Aber du hast etwas an dir, weshalb ich dich nicht töten werde. Nenn es einen Schutzengel, der dir heute besondere Aufmerksamkeit widmet. Doch wehe dir, wenn du jemandem auch nur ein Sterbenswörtchen von mir erzählst.“ Mit diesen Worten nahm er wieder Abstand, erhob sich mit einer geschmeidigen Bewegung und verschwand so schnell durch die Tür wie er erschienen war.

Augenblicklich herrschte Totenstille. Der Schneesturm war vorübergezogen und ein fahler Lichtstrahl erhellte den Raum. Als er zur Seite schaute, fiel Teramichis Blick auf die blutüberströmte Decke seines Freundes. Ein Gefühl der Übelkeit überkam ihn, bevor ihm die Sinne zu schwinden begannen. Das grauenvolle Bild war das letzte, was er an diesem düsteren Morgen noch sah.


Nachwort zu diesem Kapitel:
So~ Das war also das erste Kapitel dieser Geschichte :3
Ich hab mir viel Mühe beim Schreiben gegeben (und mir seeehr viel Zeit gelassen xD), also hoffe ich ihr hattet auch Spaß beim Lesen, dass es das wert war ;) Komplett anzeigen

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