Zum Inhalt der Seite

Mallory

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Erinnerungen an glückliche Zeiten

Finnian kam schließlich mit einer Tasche zurück, in welcher er die wichtigsten Sachen verstaut hatte, die er finden konnte. Zur Ausrüstung gehörten drei Taschenlampen, ein Seil, ein Feuerzeug und zwei Fleischmesser aus der Küche. Dazu hatte er noch eine Brechstange auftreiben können, die sie wahrscheinlich noch brauchen könnten. „Wir müssen sicher mit allem rechnen, wenn es wirklich stimmt, dass Josephine und Anna übersinnlich begabt sind. Das Wichtigste wird erst einmal sein, Dean in Sicherheit zu bringen, bevor ihm noch etwas passiert. Ich weiß ja nicht, welche Geschütze Josephine auffahren wird, aber wenn sie tatsächlich vor 17 Jahren ein Blutbad in der Stadt angerichtet hat, könnte das nichts Gutes bedeuten. Und wenn du dabei gewesen bist, könnte die Kleine vielleicht auf den Trichter kommen, dich auch noch umzubringen. Deshalb habe ich folgende Idee: Ilias ist der Sportlichste von uns. Wenn wir auf Josephine treffen, wird er ein Ablenkungsmanöver starten, damit wir beide zu Anna gelangen und Dean abholen können. Gleichzeitig kannst du von Anna deine Antworten bekommen und dann verschwinden wir wieder. Mit etwas Glück kommen wir mit einem blauen Auge davon. Aber wir müssen uns darauf einstellen, dass jemand von uns es nicht schaffen könnte. Ilias, sollte ich derjenige sein, dann kümmere du dich bitte an meiner Stelle um Keenan.“

„Sag so etwas doch nicht! Wir werden es schon schaffen!“

„Bleib doch realistisch! Wir haben es mit einer Übermacht zu tun und was wir haben, sind Messer, eine einzige Pistole mit begrenzter Munition und eine Brechstange. Josephine beherrscht genauso wie Anna telekinetische Kräfte. Die werden sich wahrscheinlich totlachen und locker unsere eigenen Waffen gegen uns verwenden. Ich werde mein Möglichstes tun, um Mallory und Dean sicher wieder zurückzubringen, aber wir sollten uns trotzdem auf den schlimmsten Fall einstellen, dass wir dabei draufgehen könnten.“ Da hatte er leider nicht ganz Unrecht und obwohl sie es nicht gerne hörten, sprach er doch Tatsachen aus. Es brachte eben nichts, sich alles schön zu reden und naiv davon auszugehen, dass alles ein gutes Ende nehmen würde. Fakt war, dass sie selbst mit Waffen kaum bzw. gar keine Chance gegen die beiden Schwestern hatten. Im schlimmsten Fall würden ihre eigenen Waffen einfach gegen sie verwendet werden und dann konnte sie nur noch ein Wunder retten. Sie spielten ein äußerst riskantes Spiel und mussten auf ihre Stärken vertrauen. Ilias war das Sport-As unter ihnen, schneller als jeder andere in Dark Creek und vor allem hatte er die größte Ausdauer. Das gab ihm eine reelle Chance, sich eine Zeit lang gegen Josephine zu behaupten. Finnian kannte jeden Winkel von Dark Creek im Schlaf. Wenn sie es schaffen sollten, den Vergnügungspark lebend zu verlassen, dann würde er sicher ein gutes Versteck finden, wo sie alle erst mal in Sicherheit bleiben konnten. Und er würde sicher eine gute Fluchtroute kennen. Mallory war die Einzige, die gänzlich im Nachteil war. Sie kannte ihre alte Heimatstadt nicht mehr und war bei weitem nicht so durchtrainiert wie Ilias. Deshalb blieb Finnian auch bei ihr, um sie im Notfall zu beschützen, sollte Anna ihnen gefährlich werden. Insgeheim hatte sie aber dennoch Angst, dass sie alle sterben könnten. Aber es blieb ihnen keine andere Alternative, wenn sie Dark Creek endlich verlassen wollten. Instinktiv wanderte ihre Hand zu der Pistole in ihrer Handtasche und sogleich fühlte sie sich ein kleines bisschen sicherer. Sie wandte sich schließlich ihren Freunden zu. „Sollen wir losgehen?“ Um Zeit zu sparen, entschieden sie sich, den Wagen zu nehmen und mit diesem bis zum Vergnügungspark zu fahren. Sie fuhren einfach die Landstraße entlang, was an sich kein Problem darstellte, nur besaß der Park keine Straße dorthin und auch keinen Parkplatz. Sie mussten also den Rest des Weges über unebenen Boden fahren und die Fahrt war ziemlich holprig. Am Eingang des Parks hielten sie schließlich an und stiegen aus. Irgendetwas Düsteres lag über diesen Ort und Mallory bekam eine Gänsehaut. Es war so, als würde eine unheimliche Aura wie ein dichter und dennoch unsichtbarer Nebel hinter diesem Zaun liegen und das spürten auch Ilias und Finnian. Seltsam, dachte sie, als sie diese Angst bemerkte. Vorher hatte sie so etwas nicht verspürt, als sie mit Ilias das erste Mal hier war. Ob es daran lag, dass Josephine sie bereits erwarten könnte, oder weil Mallory die Zwillinge nun mit ganz anderen Augen betrachtete und wusste, wie gefährlich sie in Wirklichkeit waren? Was würde dort drin auf sie warten? Sie mussten wirklich mit allem rechnen. Nach einigem Zögern gingen sie zur Drehtür und kletterten kurzerhand drüber, da diese mit einer Kette versperrt war. Selbst für Mallory war das kein großes Problem und kaum, dass sie einen Fuß in den Park gesetzt hatten, spürten sie sofort, dass sich in diesem Moment irgendetwas regte. Als hätten sie mit ihrem Eindringen ein schlafendes Monster geweckt und jeder von ihnen bekam es mit der Angst zu tun. Ein verlassener Vergnügungspark, der zudem völlig heruntergekommen war, hatte an sich schon etwas Unheimliches an sich, aber nun wirkte er wie ein Teil eines Horrorspiels. Und sie wollten lieber nicht wissen, welche Schrecken vielleicht auf sie warten könnten. Mit einem Male herrschte Totenstille im Park und nicht einmal der Wind wehte mehr und selbst von den Krähen in der Umgebung war nichts mehr zu hören. Und eine seltsame Spannung lag in der Luft, als hätte sie sich elektrisch aufgeladen. Ilias war beunruhigt und sah sich um. „Ich habe echt ein mieses Gefühl bei der Sache.“

„Scheiße, ist das gruselig hier…“ Langsam gingen sie voran und erreichten die ersten Imbissbuden. Diese waren schon seit einer Ewigkeit verlassen und überall lag eine zentimeterdicke Staubschicht. Das Essen war bereits völlig verrottet und sie fanden auch hin und wieder einen toten Vogel. Mallory war es von Anfang an ein Rätsel gewesen, wieso sich die Zwillinge einen solchen Ort als Zuhause wählten, aber inzwischen konnte sie es schon verstehen. Dieser verlassene Park war ziemlich gruselig und außerdem gut abgeriegelt. Freiwillig ging hier kein Mensch hin, mit der Ausnahme von ihnen und Lewis und auch Dean, der ja oft Anna besuchen ging. Aber wieso gab es hier überhaupt einen Vergnügungspark? Dark Creek war eine ländliche Kleinstadt, da war so etwas doch pure Geldverschwendung. Es war ein Wunder, dass dieser Ort überhaupt das Geld oder einen Sponsoren für diese Schnapsidee gehabt hatte.

Auch die anderen Buden hatten schon mal bessere Zeiten gesehen, ebenso wie das Karussell, welches sie als erstes erreichten. Dieses war nicht gerade das, was man als modern bezeichnen konnte, sondern wirkte etwas altmodisch mit seinen hölzernen Pferdchen. Aber gleichzeitig hatte es etwas sehr Nostalgisches an sich. Zumindest war es mal so gewesen, als es noch in Betrieb gewesen war und nicht so ausgesehen hatte wie jetzt. Die Pferdchen waren teilweise zerstört, die Farbe blätterte ab und einem schwarzen Pferd hatte man sogar den Kopf abgeschlagen. Anderen fehlte teilweise ein Bein und die Stangen waren verrostet. Das Holz war zerkratzt und einem weißen Pferdchen hatte man die Augen beschmiert. Insgeheim tat es Mallory in der Seele weh, dieses Karussell in solch einem erbärmlichen Zustand vorzufinden, denn als Kind hatte sie es geliebt, auf einem dieser Holzpferde zu sitzen. Edna hatte so etwas immer langweilig gefunden und wollte stattdessen immer auf die Achterbahn. Bis heute liebte Mallory diese nostalgischen Karussells. Aber dieses war nicht das einzige Fahrgeschäft, das schon fast bemitleidenswert aussah. Nicht weit entfernt gab es eines dieser berühmten Teetassenkarussells, aber auch dort war alles demoliert, durch schwere Witterungen zerstört und verrostet. Ein metallisches Klicken ertönte und Musik wurde gespielt. Mallory bekam fast einen Herzstillstand vor Schreck, als sich plötzlich das Pferdekarussell in Bewegung setzte. Ilias erschrak genauso und stellte sich sofort schützend vor sie, da er zunächst glaubte, es würde gleich ein Angriff folgen, aber dergleichen kam nicht. Stattdessen drehte sich das Karussell einfach. Finnian ging hin und sah sich das Ganze näher an. „Da ist niemand“, rief er, als er die Schaltanlage erreichte. „Offenbar hat sich das Ding von alleine in Gang gesetzt, oder es lässt sich per Fernschalter starten!“

„Anscheinend wollen die Zwillinge uns Willkommen heißen“, murmelte Mallory und ging nun selbst näher. Ilias versuchte noch, sie festzuhalten, aber sie war schon außer Reichweite. Sie beobachtete, wie das Karussell sich langsam drehte und wie die bunten Lichter leuchteten. Und die Musik, die gespielt wurde, kam ihr auch so seltsam vertraut vor. Es war die Melodie „Twinkle, twinkle, little star“ und nun erinnerte sie sich auch wieder, warum ihr das alles so vertraut vorkam: Laura hatte eine Spieluhr besessen. Eine kleine Box, die sich öffnen ließ und dann ein Miniatur-Pferdekarussell erscheinen ließ, das sich zu dieser Melodie drehte. Laura hatte diese Spieluhr geliebt und sie überall hin mitgenommen und immer zu der Melodie gesungen. Mallory wich einige Schritte zurück und musste ein wenig ihre Fantasie anstrengen, aber dieses Karussell sah tatsächlich haargenau so aus wie die Spieluhr von Laura, nur war es völlig heruntergekommen und beschädigt. Sie beobachtete, wie es sich drehte und glaubte für einen Moment, ihre jüngere Schwester Laura auf einem der Pferde sitzen zu sehen und wie sie ihr fröhlich zuwinkte. In diesem Moment überkam sie eine entsetzliche Angst. Sie wollte nur noch weg von dem Karussell und es so schnell wie möglich hinter sich lassen. Also ergriff sie Ilias’ Arm und eilte weiter. „Mallory, was ist los mit dir?“ Doch sie konnte keine Antwort geben, denn sie verstand selbst nicht genau, warum sie so eine furchtbare Angst hatte. Das Karussell war jedenfalls nicht der Grund, ebenso wenig die Melodie. War es Laura selbst, vor der sie Angst hatte oder die Erinnerung an ihre Schwester?

Sie ließen das Karussell hinter sich und erreichten schließlich ein Haus, das irgendwie deplatziert wirkte und nach einem gemütlichen Einfamilienhaus wie aus dem Forrest Gump Film aussah. Wahrscheinlich ein Restaurant oder so. Mallory und Ilias wollten schon weitergehen, doch Finnian ging einfach darauf zu und schaute zum Fenster hinein. „Finny, was ist los?“ rief sein bester Freund zu ihm rüber, ging aber nicht näher hin, da er instinktiv eine Gefahr vermutete. Aber er erhielt keine Antwort, stattdessen ging Finnian einfach zur Tür hin und sah sich das Schild über der Klingel an. „Ich glaube das nicht“, sagte er nach einer Weile und wandte sich an die anderen. „Hier steht Lewis’ Name drauf!“ Nun kamen auch die anderen näher und sahen sich das Ganze genauer an. Und tatsächlich stand auf dem Schild „Greenleaves & Donovan“ Aber was hatte das zu bedeuten? Wieso stand da Lewis’ Name und der seines Lebensgefährten auf dem Schild? Irgendwie war dieser Vergnügungspark seltsam. „Ich glaube, wir sollten besser weitergehen.“ Doch Finnian hörte gar nicht, was Mallory sagte, sondern öffnete die Tür und trat ein. „Was zum Teufel hat er bloß vor?“ fragte Ilias und gemeinsam folgten sie ihrem Freund. Wie sich herausstellte, spiegelte das Innere des Hauses genau das wieder, was Mallory in Lewis’ Zimmer gesehen hatte: Blumen, bunte Dekorationen und hübsche Teelichter. Alles war so liebevoll eingerichtet und so voller Leben, ganz im Gegensatz zum Rest des Vergnügungsparks. An den Wänden hingen Fotos von Lewis und einem etwas ernst drein schauenden Mann mit kurz geschnittenem schwarzen Haar, Kinnbart und mehreren Piercings im Gesicht. Sein Hals als auch seine Arme waren tätowiert und irgendwie passte er so gar nicht in dieses Haus und besonders nicht an Lewis’ Seite. Ilias nahm eines der Bilder, welches auf der Kommode stand und betrachtete es genauer. Auf diesem lachte Lewis glücklich in die Kamera und umarmte den Tätowierten, wobei er ihm scherzhaft in die Wange kniff. Und auch dieser sah sehr glücklich aus, während er Lewis im Arm hielt. „Das müssen Fotos aus Lewis’ Vergangenheit sein.“

„Dann ist das wohl sein Lebensgefährte Zane.“

„Sie sehen wirklich sehr glücklich aus…“ Mallorys Brust schnürte sich zusammen, als sie an die traurigen Worte in Lewis’ Abschiedsbrief dachte. Lewis hatte erzählt gehabt, dass Zane nicht gerade der Vorzeigeschwiegersohn war und an der High School drei Mädchen geschwängert hatte. Er und Lewis waren zwei grundverschiedene Menschen gewesen. Lewis ein sensibler und einfühlsamer Mensch mit Liebe zur Schriftstellerei und Zane ein tätowierter und gepiercter DJ, der sicherlich der starke Mann in der Beziehung war. Aber andererseits mussten sie auch wirklich gut zusammengepasst haben, wenn man sich Lewis’ Charakter anschaute. Er versuchte immer, für alles und jeden stark zu sein und er hatte unglaublich viele Kämpfe bestreiten müssen. Seien es seine schwulenfeindlichen und lieblosen Eltern, das Studium, die Intoleranz seiner Mitmenschen oder die Medikamentensucht. Lewis war trotz seines sensiblen Charakters ein Kämpfer, der aber auch schnell an seine Grenzen stoßen konnte. Und dann brauchte er selbst jemanden und Zane schien ein Mensch zu sein, der ein ganz anderes Selbstbewusstsein und eine viel größere mentale Stärke besaß als Lewis, der selbst unter Komplexen litt und sich oft selbst nicht lieben konnte. Und so wie Zane auf diesem Foto aussah, schien er auch an Lewis’ Seite glücklich zu sein. Aber was war nur passiert, dass dieses Paar auseinandergerissen wurde? Nein, viel wichtiger war doch die Frage, wieso es hier Fotos von Lewis und Zane gab.

Mallory sah sich in den anderen Räumen um und entdeckte im Wohnzimmer auf einem Tisch mehrere Seiten verstreut liegen und daneben war eine Schreibmaschine. Es war genau die gleiche wie auf der Dachterrasse. Offenbar hatte Lewis hier seine Romane geschrieben. Sie nahm ein paar der Seiten und überflog sie kurz. Es waren tatsächlich Liebesgeschichten und als Pseudonym hatte sich Lewis den Namen „Jessica Wyatt“ zugelegt. Offenbar war er der Meinung gewesen, dass man lieber Liebesromane von Frauen lesen würde. Dieser Roman trug den Titel „Suche (k)einen Mann fürs Leben“ und fasste gut 300 Seiten. Den Titel und diesen Namen kannte sie doch. Es war das Lieblingsbuch ihrer Pflegemutter gewesen, die ein absolut großer Fan von Jessica Wyatt war und dieses Buch war ein absoluter Bestseller, genauso wie all ihre anderen Bücher. Jessica Wyatt war als große Newcomer-Autorin gefeiert worden und ihre Bücher verkauften sich wie heiße Semmeln. Unfassbar, dass Lewis hinter diesem Namen steckte. „Ich glaub es nicht“, sagte sie und schüttelte den Kopf. „Ausgerechnet Lewis steckt hinter der größten Lieblingsautorin meiner Mutter.“ Vorsichtig legte sie die Seiten wieder zurück, als handle es sich um ein sehr wertvolles Erinnerungsstück und sah sich den Rest des Wohnzimmers an. Es war sehr hell und gemütlich eingerichtet und an den Wänden hingen Bilder von weißen Sandstränden und Leuchttürmen. Schließlich sahen sie sich noch die anderen Zimmer an. Irgendwie wirkte dieses Haus so, als wäre noch vor kurzem jemand hier gewesen und hätte dort gelebt. An der Kühlschranktür hingen sogar noch einige Zettel, darunter auch Einkaufslisten. Der Küchentisch war für eine Person gedeckt und eine rote Rose lag auf dem Teller, zusätzlich zu einer kleinen Nachricht. „Guten Morgen, Schlafmütze. Ich bin auf dem Weg zum Verlag und komme spätestens gegen Mittag wieder. Hab schon mal den Sekt für nachher kaltgestellt. Tausend Küsse – Lewis.“

Langsam wurde Mallory die ganze Sache unheimlich. War das etwa die Nachricht, die Lewis seinem Lebensgefährten hinterlassen hatte, bevor sich dieser Unfall auf dem Weg zum Verlag ereignet hatte? Was hatte das alles bloß zu bedeuten? Konnte es etwa tatsächlich sein, dass Lewis’ verlorene Erinnerungen alle in diesem Haus waren und er vor seinem Tode hier gewesen war? Auch Ilias schien dieser Gedanke zu kommen und er wandte sich fragend an die anderen. „Wollen wir uns noch hier umsehen, oder lieber weitergehen?“

„Ich würde schon gerne herausfinden, was nach dem Zugunglück passiert ist.“ Sie gingen ins obere Stockwerk und fanden sowohl ein gemeinsames Schlafzimmer, als auch eigene Privaträume. Das Zimmer von Zane war schalldicht, da er gerne Schlagzeug zu spielen schien und außerdem lagen überall Posters von Rockbands herum, zudem ein komplettes DJ-Equipment. Lewis’ Zimmer hingegen war das komplette Gegenteil von Zanes’ Zimmer. Es war ein klein wenig kitschig und mit weißen Möbeln eingerichtet. Neben Blumen gab es sehr viele Stofftiere. Offenbar auch eine kleine Leidenschaft von Lewis. Jeder von ihnen hatte ein eigenes Hobbyzimmer gehabt, damit sie sich mit ihren völlig verschiedenen Interessen nicht in den Weg kamen und es somit vielleicht Konflikte gegeben hätte. Schließlich aber gab es noch einen Raum, der das Interesse der drei erweckte, da dieser als einziger abgeschlossen war. „Wieso ist die Tür abgeschlossen?“

„Wahrscheinlich weil dahinter etwas liegt, was er nicht erfahren durfte…“ Dann konnte dahinter also die Antwort liegen, wie man aus Dark Creek entkam? Diese Chance wollte Mallory nicht ungenutzt lassen und so schnappte sie sich die Brechstange und versuchte ein paar Male, die Tür aufzubekommen, allerdings fehlte ihr die nötige Kraft dazu. Also überließ sie Ilias die Arbeit, der die Tür mit ein paar gezielten Griffen öffnen konnte. Der Raum dahinter sah irgendwie ganz anders aus als die anderen und eine seltsame Atmosphäre herrschte da drin. Es sah aus wie der Operationsraum eines Krankenhauses und sie hörten das rhythmische Piepen eines EKGs. Der OP-Tisch in der Mitte des Raumes war leer, aber an den Wänden hingen mehrere Röntgenbilder und Auswertungen von CTs. Auch Fotos von verschiedenen Personen hingen an den Wänden, die mit Namen versehen waren. Ilias, der als Einziger von ihnen ein Medizinstudium hatte, konnte etwas mit diesen Bildern anfangen. Eine Weile betrachtete er die Aufnahmen und dachte nach. „Und?“ fragte Finnian etwas ungeduldig. „Was bedeuten diese Aufnahmen?“

„Die Beine sind anscheinend mehrfach gebrochen und so wie es aussieht, liegen auch innere Blutungen vor. Aber… ich verstehe nicht so ganz, was diese Bilder mit Lewis zu tun haben.“

„Er hat doch in seinem Abschiedsbrief geschrieben, dass er in ein Zugunglück verwickelt war“, erklärte Mallory. „Es ist höchstwahrscheinlich, dass er sich dabei schwer verletzt hat.“

„Das wäre eine Erklärung, aber warum hatte er diese Verletzungen, als er von der Dachterrasse gestürzt ist?“ Da war auch sie überfragt und sie wunderte sich, wieso Fotos von verschiedenen Personen an der Wand hingen. Eines davon zeigte ein kleines blasses Mädchen mit aschblondem Haar. Darunter stand der Name „Desiree Portland“. Daneben befand sich das Foto eines jungen Mannes namens „Toby Myers“ und die anderen zeigten Männer und Frauen Mitte 30. Insgesamt sieben Fotos hingen dort und keiner hatte den Nachnamen Greenleaves oder Donovan. Ob es vielleicht Personen waren, die bei diesem Zugunglück ums Leben gekommen waren? Aber was war mit Lewis selbst passiert? Irgendwie beschlich Mallory das Gefühl, als würde da etwas fehlen. Irgendetwas Entscheidendes, was Lewis nach dem Zugunglück erlebt hat und wie er nach Dark Creek kam. Sie überlegte noch eine Weile, da unterbrach Finnian die Stille. „Ist es euch nicht auch ein wenig verdächtig vorgekommen, dass die Tür abgeschlossen war?“

„Wieso?“

„Lewis muss doch auch hier reingekommen sein. Wieso sollte er dann die Tür abschließen?“ Jetzt wo Finnian es sagte, fiel es Mallory auch auf. Alle Zimmer in diesem Haus waren offen aber dieses war das einzige, welches abgeschlossen war. Und es machte doch keinen Sinn, wenn Lewis es abschließen würde. „Vermutlich waren das die Zwillinge, kurz nachdem Lewis hier gewesen war. Ich glaube, sie haben hier irgendetwas aus dem Raum entfernt, was wir nicht sehen sollten. Wahrscheinlich wussten sie, dass ich trotz allem irgendwann hierher kommen würde und die Tür mich auch nicht abhalten wird. Deshalb gingen sie auf Nummer sicher und nahmen noch einige Dinge mit, die vielleicht die Wahrheit verraten könnten.“

„Und was für Dinge?“

„Lewis war doch bei einem Zugunglück dabei. Vielleicht existieren ja Zeitungsartikel darüber und die könnten Aufschluss geben, warum er nach Dark Creek kam und wieso er sich nicht mehr an Zane erinnern konnte. Josephine und Anna wollen mit aller Macht verhindern, dass sonst noch jemand die Wahrheit erfährt. Ich glaube, wir sollten besser gehen. Hier werden wir ganz sicher nichts finden.“ Sie verließen das Zimmer und schlossen die Tür. Insgeheim war Mallory froh, wieder draußen zu sein, denn in diesem Raum herrschte eine sehr bedrückende Atmosphäre. Erleichtert atmete sie durch und ging zur Treppe, die ins Erdgeschoss führte, da sah sie ein gelb leuchtendes Augenpaar, das sie anstarrte. Es gehörte einer schwarzen Katze, die eine rote Schleife mit einem goldenen Glöckchen um den Hals trug und an ihrer linken Vorderpfote drei goldene Ringe hatte. Auch Finnian sah das Tier und wandte sich fragend an seinen besten Freund. „Ist das nicht der Kater von Josephine?“

„Ich glaub schon. Amducias trägt als Erkennungszeichen immer diese Schleife und die drei Ringe.“

„Shit, dann wissen die also bereits, dass wir hier sind?“

„Die haben es schon gewusst, bevor wir überhaupt den Plan gefasst hatten“, erklärte Mallory und ihr Blick nahm etwas Ernstes an. Wenn sie richtig lag, dann hatten Anna und Josephine spätestens seit Lewis’ Besuch gewusst, dass es früher oder später so kommen würde. Deshalb hatten sie vorgesorgt und alles aus diesem Raum entfernt, was Aufschluss geben könnte, wieso Lewis nach Dark Creek gekommen war. Aber wahrscheinlich würde es noch nicht alles sein. Die beiden würden sich sicherlich noch etwas einfallen lassen, um die unerwünschten Besucher wieder zu verjagen. „Wir müssen mit allem rechnen. Also passt bloß auf!“

„Dasselbe gilt aber auch für dich!“ Da sie mit allem rechnen mussten, ging Ilias vor und hielt die Brechstange bereit. Er war fest entschlossen, seine Freunde um jeden Preis zu beschützen und nicht zuzulassen, dass einer von ihnen sterben musste. Sie gingen wieder zurück ins Erdgeschoss und sahen, wie Amducias durch die offen stehende Haustür nach draußen huschte. „Irgendwie habe ich ein echt ungutes Gefühl.“

Ein eisiger Schauer fuhr Mallory über den Rücken und mit einem Male bekam sie Angst. Sie spürte, dass jemand außer ihnen noch im Haus war und dass sie besser schnellstmöglich verschwinden sollten, bevor es noch gefährlich werden könnte. Das Erscheinen von Amducias war sicherlich kein Zufall gewesen und nun wusste Josephine mit Sicherheit, wo sie waren. Sofort ergriff sie die Beretta in ihrer Handtasche, als sie plötzlich das Geräusch schwerer Schritte aus dem Wohnzimmer hören konnte. Ilias hielt die Brechstange bereit und stellte sich schützend vor seine Freunde. „Scheiße, die Zwillinge sind also doch hier.“

„Nein, das klingt nach schweren Stiefeln, ich glaube nicht, dass das von einem Kind kommt.“ Langsam kamen sie näher und Mallory hob die Pistole, bereit sofort zu schießen, wenn der Unbekannte bewaffnet war. Langsam ging sie rückwärts, die Tür zum Wohnzimmer im Auge behaltend. Sie entsicherte nun die Waffe und atmete tief durch. Das Schießen hatte sie schon mehr als genug geübt gehabt, Richard hatte ihr das oft genug gezeigt und sie immer gewarnt, dass sie immer ruhig bleiben sollte, wenn sie eine Schusswaffe in der Hand hielt. Wer unvorsichtig war, konnte sehr schnell einen Unschuldigen verletzen.

Wieder spürte sie einen brennenden Stich in ihrer Schläfe und in ihrem Kopf begann es zu dröhnen. Verdammt, ausgerechnet jetzt bekam sie wieder Kopfschmerzen. Warum nur musste so etwas in den ungünstigsten Momenten kommen? Die Schritte kamen näher und Mallory versuchte, sich weiterhin zu konzentrieren und zielte genau auf die Tür. Sie hatte freie Bahn und wenn irgendjemand plötzlich durch die Tür kommen und sie angreifen sollte, dann würde sie schneller sein.
 

Doch dann spürte sie plötzlich einen leichten Windzug in ihrem Nacken und eine eiskalte Hand legte sich auf ihre Schulter. Etwas kam ganz dicht an ihr Ohr und flüsterte „Mallory…“



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück