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Kurt das war's

von

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Aussprechen

XXVI – Aussprechen
 

Hanne war, selbst eine Stunde danach, noch immer fertig von dem Streit mit Kurt. Es war unheimlich zer­mürbend für ihn, Kurts Unverständnis zu akzeptieren. Alleine schon die Vorstellung, dass sich Kurt einer Illusion hingab und irgendwie immer noch an der Hoffnung festhielt, dass er irgendwann wieder gesund werden würde, machte ihn fertig. Ihm war viel zu deutlich, dass es keinerlei Chancen mehr gab. Er wollte einfach nur erreichen, dass Kurt sich mit der Wahrheit und der Situation seiner Krankheit auseinander­setzte und es schließlich auch hinnahm. Letztendlich war genau das auch der einzige Weg, sich nicht selbst kaputt zu machen.
 

Hanne drehte seinen schmerzenden Kopf zur Seite. Es tat ihm schrecklich weh, wenn er Kurt wieder und wieder anschreien musste. Er wollte es nicht tun, aber nur so, so glaubte Hanne, würde Kurt es irgendwann verstehen. Er würde damit zurechtkommen, dass die Immunschwäche nun eben unumkehrbar da war.
 

Wieder musste Hanne an ihr Gespräch zurückdenken. Wie friedlich und freundlich es angefangen hatte. Bis Johannes bemerkt hatte, dass Kurt glaubte, ihm tatsächlich beim Gesundwerden helfen zu können. Dass er noch immer glaubte, dass es kleine Schritte in Richtung Besserung geben würde.

Hannes Hals fühlte sich zugeschnürt an. Nein, auch wenn Kurt sich noch so liebevoll um ihn kümmerte, reichte es nicht aus, um ihn abzufangen und zu stützen.
 

Hanne zuckte zusammen als die Zimmertüre viel zu fest aufgestoßen und genauso stark ins Schloss geknallt wurde. Lukas kam direkt auf ihn zu, die Ader an seiner Schläfe war geschwollen vor Wut. Hanne wich instinktiv zurück.

Lukas kam knapp vor dem Bett zum Stehen kam und schien große Mühe zu haben, ihn nicht anzubrüllen. Stattdessen schnaubte er verächtlich. „Was hast du jetzt wieder angerichtet, du kleines Arschloch? Kurt ist völlig aufgelöst heimgekommen und weigert sich, mit mir zu reden. Was hast du verbockt?“

Hanne hatte sich im Bett aufgesetzt und sah zu Lukas auf. „Es tut mir leid, aber er will mich nicht verstehen. Er... er verlangt unmögliche Dinge von mir.“

„Ich will nur wissen, was vorgefallen ist. Raus damit oder es wird ungemütlich.“

Hanne schwieg, da er nicht wusste, was er Lukas sagen sollte.

„Es ist mir egal, wie lange ich hier bleiben muss, bis ich eine Antwort habe. Ich hab Zeit.“, ließ ihn Lukas wissen und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Ich habe ihn wieder angeschrieen.“, antwortete Hanne dann leise. „Ich bin heute Nachmittag ziemlich böse gestürzt. Ich wollte mir ein Glas Wasser eingießen, bin dazu aufgestanden. Die Wasserflasche stand auf dem Tisch an der Wand da drüben. Die Schwester hat sie nur schnell herein gestellt und ist dann wieder gegangen. Na ja und dabei hab ich dann das Bewusstsein verloren. Das Glas ist zerbrochen und ich bin in die Splitter gefallen. Kurt hat mich gefunden als er kam und hat einen Pfleger geholt, der mir dann den Arm verbunden hat.

Kurt ist auf meiner Matratze gesessen, als ich wieder zu mir gekommen bin. Er hat sich ganz normal nach mir erkundigt, hat mir noch einmal erzählt, dass ich gestürzt sei und dass er sich freuen würde, dass es mir wieder besser geht. Na ja, und dann bin ich ausgerastet.“ An der passenden Stelle hob er den Arm mit der Binde leicht an, damit Lukas ihn sehen konnte. Er war vor allem mit der linken Körperhälfte in die Scherben gestürzt. Er hatte Schnitte am linken Unterarm, der linken Hand und noch eine kleinere Abschürfung an der linken Wange. Außerdem waren seine Schulter und der Oberarm stark geprellt.

Lukas interessierten Hannes Verletzungen und die Verbände nicht und er rückte noch etwas näher an Hanne heran. „Und was hast du zu ihm gesagt?“

„Ich war so verwirrt, Lukas. Ich hab ihn einen Heuchler oder Lügner genannt. Und dann hab ich noch gesagt, dass ich ihn nie wieder sehen will und dass er verschwinden soll.“ Hanne schluckte die Tränen hinunter. Ihm war klar, dass er Kurt sehr verletzt hatte. „Weißt du, ich will einfach nicht, dass er sich etwas vormacht. Er glaubt noch immer, dass ich wieder gesund...“

Weiter kam er nicht, denn Lukas hatte ihn an den Schultern gepackt und drückte ihn so stark zurück ins Kissen, dass Hanne schmerzhaft aufkeuchte.

„Jetzt hör mir mal gut zu, mein Lieber.“, zischte Lukas leise. „Du kennst unsere Abmachung. Lass ihn zufrieden und hör endlich auf, ihn durch deine Launen zu verletzen. Er kann nichts dafür. Es ist doch wohl klar, dass er nach wie vor hofft, dass es dir irgendwann wieder besser geht. Ihm liegt etwas daran, dass du wieder auf die Beine kommst und dass es dir nicht mehr ganz so schlecht geht. Er redet oft davon, dass er sich einfach wünscht, dass du aufstehen kannst und lachst. Er freut sich insgesamt jedes Mal darüber, wenn du lachst.

Er hat es einfach nicht verdient, dass du ihn herumschubst, kapiert? Entweder du hast dich bis Montag bei ihm entschuldigt, oder ich beende eure Freundschaft für dich. Und zwar unwiederbringlich.“ Damit ließ er Hanne los und trat wieder einen Schritt zurück.

Hanne sah ihn erschrocken an. „Das darfst du mir nicht antun, Lukas. Bitte nicht. Natürlich weiß ich, dass ich mich aufgeführt hab wie das letzte Scheusal und das tut mir auch irrsinnig leid.

Aber kannst du denn gar nicht verstehen, dass ich nicht will, dass er sich Hoffnungen macht? Ich kann es einfach nicht ertragen, dass er sich auf etwas versteift, das sowieso nicht wahr werden kann. Ich werde nicht wieder gesund, Lukas. Das weiß ich ganz genau, sogar Dr. Müller sagt es. Und auch für Kurt wünsche ich mir, dass er sich meinen Zustand bewusst macht. Ich verlange ja gar nicht von ihm, dass er mich auf­gibt. Ich wünsche mir nur, dass er sich keine Hoffnungen mehr macht, dass ich mich hier erholen kann oder dass irgendeine der Behandlungen, die ich hier bekomme, zu einer Besserung führt.

Aber dass er dann hier sitzt und mich anlächelt und tatsächlich denkt, dass ich mich besser fühle, halte ich einfach nicht aus. Ich mag es wirklich, wenn er meine Hand drückt und wir uns unterhalten. Und es tut mir auch gut, wenn er mir kalte Umschläge vom Flur holt, wenn ich Fieber habe. Aber es lässt mich verzweifeln, wenn er denkt, dass ich wieder auf die Beine komme. Ich will Kurt nicht verletzen, aber ich schreie ihn trotz­dem an, weil ich es als einzigen Weg sehe, dass er sich irgendwann mit meiner Situation auseinander­setzt. Ich sehe ja selbst, wie weh ich ihm damit tue. Und ich hab auch vollstes Verständnis dafür, dass du mir deshalb am liebsten den Kopf abreißen würdest.

Aber vielleicht siehst du ja auch den Zwiespalt, in dem ich gerade stecke? Ich hab so langsam wirklich keine Ahnung mehr, was ich noch mit Kurt machen soll.“ Johannes hielt sich die Hände vors Gesicht und versuch­te, sich wieder zu beruhigen. Diesmal fühlte er keinen Arm um sich und er vermisste es auch nicht besonders.
 

Plötzlich fühlte er, wie sich Lukas direkt vor seine Beine aufs Bett hat fallen lassen. „Und was war das dann damals bei mir? Warum bist du abgehauen? Und warum hast du mir mehr oder weniger deine Handynummer dagelassen und dann behauptet, mich nicht zu kennen? Hast du eigentlich eine Ahnung, wie dumm ich mir vorgekommen bin?“

Positiv überrascht über diese Fragen und den Themenwechsel an sich nahm Hanne seine Hände weg. Er sah auf die schneeweiße Bettdecke, als er anfing zu sprechen. „Du bist damals ziemlich schnell danach in meinem Arm eingeschlafen und hast dich dabei richtiggehend an mich gepresst. Ich hab dir sehr sehr lange beim Schlafen zugeschaut. Und dabei wurde mir klar, dass ich etwas für dich empfinde. Du warst mir nicht absolut gleichgültig, wie es normalerweise bei einem Onenightstand der Fall ist.

Ich weiß noch genau, wie langsam die Panik in mir hoch gekrochen ist. Vielleicht hat dir Kurt einmal von meinem Ex-Freund in Hamburg erzählt. Ich war unheimlich glücklich mit ihm und hab dementsprechend auch unter der Trennung gelitten. Ich hab eine Menge geschluckt und mir irgendwann einmal geschworen, nie wieder eine Beziehung einzugehen. Mit meinem Ex hatte ich auch nach einer langen Diskussion mein erstes Mal. Durch ihn und meine HIV-Infektion hat für mich Sex unheimlich viel mit Vertrauen zu tun. Nach unserer Trennung hatte ich mir auch noch geschworen nie wieder mit jemandem zu schlafen, weil ich einfach nie mehr dieses Vertrauen in jemanden würde aufbringen können.

Funktioniert hat dieser Vorsatz dann aber doch nicht. Ich kann dir nicht sagen, was mich geritten hatte, aber ich habe begonnen, Onenightstands zu haben beziehungsweise mich darauf einzulassen.

Als ich ganz neu hier war, hab ich in einer WG gelebt und bin mit meinem Mitbewohner oft abends wegge­gangen. Er fand es nie gut, dass ich in meiner ersten Zeit hier noch so oft an meinen Ex gedacht hatte und wollte mich so wohl auf andere Gedanken bringen. Mir selber ging es dabei aber nie darum, mit jemandem in der Kiste zu landen. Ganz oft hatte ich einfach nur einen lustigen Abend mit meinem Mitbewohner und ein paar neuen Bekanntschaften. Das mit den Onenightstands hat sich manchmal eben so ergeben.“

Lukas verzog das Gesicht. „Aber das widerspricht sich doch, Johannes – Onenightstands und Sex mit Vertrauen sind doch völlig gegenteilige Sachen!“

„Ja, so wirkt es tatsächlich. Aber bei mir ergab es einen grotesken Sinn. Gerade nach Sven wollte ich nie wieder eine Bindung haben. Da kamen mir Onenightstands gerade recht. Ich schlief sowieso bloß mit jemandem, wenn ich uns schützen konnte, ansonsten nicht. Du hältst mich wahrscheinlich für ziemlich pervers, oder? Aber gerade durch diese kleinen Seitensprünge fühlte ich mich besser. Es gab mir einfach eine gewisse Bestätigung.“

„Und warum bist du abgehauen?“

Hanne seufzte. „Wie schon gesagt, hatte ich panische Angst vor einer Beziehung, weil ich einfach nicht wieder so enttäuscht und hintergangen werden wollte, wie es bei Sven am Ende der Fall gewesen war. Ich wollte auf gar keinen Fall, dass du in meinen Armen aufwachst und mein Gesicht siehst. Und weißt du auch warum? Weil ich sonst selbst vielleicht eine Beziehung hätte anfangen wollen. Ich fand dich nett, damals, wirklich. Ich mochte deine Art.

Vielleicht hab ich mir auch deswegen deine Handynummer geklaut und dir diese dumme SMS geschrieben. Aber als du dann angerufen hattest, hat mich einfach wieder die nackte Panik gepackt. Es war wirklich keine Absicht, verstehst du?“

Lukas nickte wieder, schwieg jedoch und kaute auf seinen Lippen herum.

„Es tut mir wirklich wahnsinnig leid, Lukas.“ Hanne sah auf, ließ dann allerdings den Kopf wieder hängen. „Erst jetzt wird mir eigentlich so richtig bewusst, wie falsch ich mich verhalten habe. Ich hätte einfach nichts von allem tun dürfen.“

„Jetzt ist es schon passiert. Und vorwerfen kann ich dir letztendlich auch nichts, weil ich ja freiwillig auf dich eingegangen bin. Lassen wir die Sache einfach so stehen, Hanne. Es ist in Ordnung.“

Eine Weile sah Hanne Lukas ernstes Gesicht von der Seite an. „Danke.“, murmelte er dann. „Wenn ich mich jetzt dann bei Kurt entschuldige, muss ich dich noch um ein Versprechen bitten. Bitte pass auf ihn auf, Lukas. Ich sehe es jetzt schon kommen, dass er in ein ziemlich tiefes Loch stürzen wird, wenn ich noch kränker werde. Ich möchte, dass du einfach für ihn da bist, verstehst du? Ich will nicht, dass er wegen mir trauert oder sich zu große Sorgen macht.“

„Ja, das werde ich machen. Versprochen. Ich kann sogar irgendwie verstehen, was in dir wegen Kurt vorgeht, Hanne. Aber bitte übertreib es nicht, ja?“ Nach einer weiteren kurzen Pause verabschiedete er sich von Hanne, drückte seine Hand.

Hanne lächelte und bedankte sich bei Lukas. Er erwiderte den Druck seiner angenehm kühlen Hand und hätte sie gerne noch etwas länger gehalten. Es fühlte sich vertraut an. Zum ersten Mal hatte er wirklich das Gefühl, eine gemeinsame Basis mit Lukas gefunden zu haben und mit ihm auszukommen.
 

Tatsächlich entschuldigte sich Hanne noch am selben Abend bei Kurt. Vor allem die Bezeichnung als Heuchler und Lügner und auch der Vorwurf, dass Kurt scheinheilig sei, tat ihm unsagbar leid. Er erklärte ihm noch einmal, dass er einfach nicht wollte, dass er sich an eine falsche und nicht realisierbare Hoffnung klammerte. Er wiederholte auch Dr. Müllers Worte, die Ergebnisse der letzten Untersuchungen.

„Es ist ja auch nicht einfach für mich, Kurt, verstehst du?“, sagte Hanne zum Schluss. „Aber inzwischen hab ich es einfach eingesehen. Ich will und kann nicht mehr kämpfen.“
 

Auch Kurt akzeptierte seinerseits Hannes Entscheidung. Es war inzwischen auch für ihn offensichtlich, dass Johannes nicht mehr aus eigener Kraft gesund werden würde. Hanne hatte so unheimlich viele Probleme, die sich mit der Zeit durch die immer deutlicheren Immundefekte nur noch verstärken würden. Schon jetzt war er wesentlich anfälliger für Krankheiten, mit deren Keimen ein normales gesundes Immunsystem kaum Arbeit hatte. Es war auch nicht mehr zu leugnen, wie schwach Hanne inzwi­schen war.
 

Als Kurt schließlich auflegte, hatte er eine Stunde lang mit Johannes gesprochen. Auch wenn es ihm nach wie vor schwerfiel, hatte er nun doch seine Situation akzeptiert.



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