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Idomanulum

von

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Obwohl die Jäger nahezu jede Wohnung und jeden Unterschlupf in der Stadt und auch außerhalb durchsuchten, jede Gasse umkrempelten und jeden nächtlichen Schatten verfolgten, war Lyria wieder verschwunden.

Ein kurzes Aufblitzen in der Nacht – und wieder war alles dunkel um ihre Flucht.
 

Veith lächelte leicht, aber nur kurz.

Er war bei einem Kunden, hatte ihn gerade in eine Trance versetzt und betrachtete den Dämon nun, wie er wehrlos schlafend vor ihm lag. Er war nicht hässlich – aber noch weniger schön. Das Gesicht war schmal und gewöhnlich, auf eine Art und Weise traurig, die Angst machte und dazu veranlasste, Abstand zu halten.

Der Schwarzhaarige fragte sich, woher dieser Ausdruck in seinen Zügen kam. Aber er war nicht hier, um das herauszufinden, sondern um diesem Dämon das zu geben, wofür er bezahlt hatte.

Und das waren ein paar traumhafte Stunden.

Er konzentrierte sich, bis die nötige Ruhe in seinem Geist war und legte die linke Hand auf die Stirn des Dämons. Seine eigene Stirn legte er sacht auf den Handrücken. Den körperlichen Kontakt zwischen ihnen beiden so hergestellt, schloss er die Augen. Dass ein Incubus so ein über die Maßen gutes Gehör hatte, hatte nicht den Grund, im alltäglichen Leben besser zurecht zu kommen, sondern vielmehr auch das leiseste Flüstern eines fremden Geistes hören zu können, wenn man sich auf ihn einließ.

Jeder Geist flüsterte vor sich hin und wenn er sich auf dieses Flüstern konzentrierte, dann schaffte er eine Brücke zwischen seinem eigenen Bewusstsein und dem des Träumers. Dann musste er nichts weiter tun, als einzutauchen in eine fremde Welt voller Erinnerungen, Erfahrungen und Gedanken. Und das tat Veith.
 

Ihm schoss ein Schwall negativer Gefühle entgegen, die versuchten, ihn einzuschließen und festzuhalten.

Alles schien starr und bewegungslos zu sein, alles außer der Angst, die wie ein tonloser Wirbelwind in diesem Geist hin und hertobte.

Veith verharrte einen Moment und eine starke Empfindung machte sich in ihm breit.

Dieser Dämon folgte nicht seinen Begierden – er brauchte die Nähe und Wärme. Er brauchte sie, weil er ein Depressiver war.

Einer von den Schatten und Gestalten, die niemals Spaß oder Freude empfinden konnten, weil die Trauer von ihnen Besitz ergriffen hatte. Niemand wusste, woher diese Krankheit kam oder wie man sie verhindern konnte und sie traf willkürlich Dämonen jedes Ranges und jeder Herkunft, die danach nicht mehr Teil irgendeiner Öffentlichkeit waren, weil sie nicht mehr dazu imstande waren, Teil von einem Leben zu sein.

Es war erstaunlich, dass dieser hier Veith überhaupt angesprochen hatte. Er konnte sich nicht vorstellen, was für eine Überwindung das gekostet haben musste, in Anbetracht von diesem Chaos in seinem Inneren.

Der Schwarzhaarige betrachtete das Innere des Dämons und versuchte, so viel wie möglich von all dem Elend und den Schmerzen im Gedächtnis zu behalten.

Dann formte er aus einem Teil der Schwärze einen jungen Dämon mit gold schimmernder Haut und bronzefarbenen Haar. Aus der Dunkelheit bildeten sich feine Linien heraus, die langsam die Umrisse eines Körpers bildeten und eine unsichtbare Lichtquelle ließ die Haut aufleuchten und immer mehr Einzelheiten hervorkommen. Die Augen der Gestalt funkelten dunkel und lebhaft und Veith war froh, weil er wusste, dass diese Augen seinen Kunden einen Moment lang etwas schenken würden, was er vielleicht niemals wieder zu Gesicht bekommen würde.

Er malte mit seinen Gedanken ein weites Feld mit Dornblumen – aber er nahm den Pflanzen die Dornen, sodass nichts als die exotisch leuchtenden Blütenblätter zurückblieben. Und wie zuvor bildeten die leuchtenden Linien es aus der Dunkelheit, als würde er auf einem kohlschwarzen Papier mit leuchtend bunten Stiften die Umrisse einer imaginären Landschaft zeichnen.
 

Das ist er. Das ist der Kniff.
 

Veith spürte, dass es Zeit für ihn war, zu gehen. Der Traum verlor seine Kontur, weil er nicht länger der Herr und Meister über seine Erscheinung war. Der Depressive würde den weiteren Verlauf bestimmen und seine eigene Umgebung zeichnen.

Nach zwei langen Sekunden des letzten Betrachtens verstummten seine Gedanken und er tauchte auf.
 

Wieder umfingen ihn die Geräusche wie Lebensgeister aus der Realität.

Es waren entspannend wenige, der nun schlafende Dämon besaß eine eigene Wohnung in den oberen Stockwerken eines Hochhauses.

Veith nahm sich sein Geld und seine Sachen, verharrte jedoch noch einen Augenblick am milchigen Fenster der Wohnung, bevor er sie verließ.

Er sah hinaus, runter in die weit entfernten Straßen.

So viel Leben. So viele Dämonen.

Er fragte sich, wo all diese Wesen herkamen und wohin sie unterwegs waren

Dann machte er sich wieder auf den Weg, ließ den fremden Dämon zurück und kümmerte sich nicht länger um ihn. Dieses Mal sah er davon ab, sich seinen eigenen Bonus aus den Taschen des Depressiven zu nehmen. Vielleicht konnte dieser Traum für ein paar Stunden seine Krankheit überwinden.

Er war gerade dabei, die Treppen des Hochhauses herunter zu laufen, als ihn ein Schwindelgefühl ergriff.

Alles begann sich zu drehen und ein dumpfes Dröhnen schallte in seinen Ohren.

Ein roter schwerer Schleier, legt sich über meine Augen, zieht mich fort. Fort...weit fort...
 

Wer bist du?
 

Veith hörte sich stöhnen und hielt sich reflexartig am Geländer des Treppenhauses fest. Er atmete schnell und laut. Sein Körper zitterte und schwankte immer noch, aber das Rauschen in den Ohren und der rote Schleier war verschwunden.

Der Schwarzhaarige beruhigte sich und atmete langsam und kontrolliert ein und aus.

Ein und aus.

Ein und aus.
 

Das Schwindelgefühl verschwand wieder.

Hatte ihn dieser letzte Traum vielleicht doch überanstrengt, wie Saron es gesagt hatte? Unwahrscheinlich, so spektakulär war es nicht gewesen. Vielleicht hatte es damit zu tun, dass der Dämon krank gewesen war?

Veith war nie zuvor in so einen Geist eingedrungen, vielleicht war es anstrengender für ihn selbst, als er gedacht hätte.

Wenn, dann musste er aufpassen, damit er sich nicht zu nahe an die Grenze von Illusion und Wirklichkeit begab. Aber im Moment schien es wieder gut zu gehen. Die Realität hatte ihn fest in der Hand.

Mit festen Schritten ging der Incubus weiter die Treppen hinunter, und -
 

Verschwinde!
 

Und die Realität hatte ihn doch nicht.
 

Erneut hielt Veith inne.
 

Verschwinde!
 

Wieder die Stimme. Der Gedankenruf. Kein Hilfeschrei, sondern eine klare Botschaft.

Das waren nicht die Auswirkungen irgendeiner Überanstrengung. Das war die Stimme aus der Nacht im Club.

Er überlegte kurz.

Ich tue niemandem was.
 

Lügner! Verschwinde!
 

Sie hatte geantwortet!

Der Dämon sah sich um, konnte aber niemanden sehen. Und trotzdem...fühlte er ein Paar Augen, das auf ihm ruhte, und der Blick dieser Augen war stechend und wahrheitssuchend. Konnte es sein, dass dieses fremde...was auch immer es war ihn beobachten konnte?

Ein unbestimmtes Gefühl erwachte in ihm, eine Empfindung, die ihm auf seltsame Art und Weise schon vertraut war.
 

Wo bist du? Kenne ich dich?
 

Verschwinde! Verschwinde! Verschwinde!
 

Ein schmerzhaftes Kreischen erklang in seinen Ohren, Metall, das über Stein scharrt und Funken schlägt und sein Kopf fühlte sich plötzlich so an, als würden zwei Riesenhände versuchen, ihn mit bloßer Kraft zu zerdrücken.

Er schrie auf und fühlte, wie das Augenpaar verschwand.

Die Händen vorher schützend auf die Ohren gelegt ließ er sie nun wieder sinken und sah sich keuchend um.

Das Gefühl, gesehen zu werden, war verschwunden – nicht jedoch dieses Vertraute in der Luft. Langsam setzte er sich in Bewegung und schritt die Treppenstufen weiter hinab, die Augen offen haltend nach jeder kleinsten Bewegung und die Ohren darauf eingestellt, jedes noch so kleine Flüstern um ihn herum aufzufangen.

Er war nicht sicher, ob es wirklich klug war, sich dieser fremden Macht entgegen zu stellen und nach ihr zu suchen – aber seit wann sollte ein Dämon vernünftige Entscheidungen treffen?

Außerdem war er sich der Tatsache sicher, dass er wissen musste, was für eine Stimme dort zu ihm sprach, wenn er nicht noch einmal von ihr heimgesucht und in eine wochenlange Ohnmacht geschickt werden sollte.

Er gelangte ins Erdgeschoss, und hatte doch das Gefühl, noch nicht am Ziel zu sein.

Vor ihm war die Eingangstür dieses Wohnturms, die erbärmlich quietschte, wenn man sie öffnete und die von außen, wie von innen stark ramponiert war. Das dünne Holz hatte überall Kratzer und Flecken. Neben der Tür war ein Fenster mit einer Glasscheibe, die die Bezeichnung eigentlich nicht verdiente, denn glasklar war etwas anderes. Die Scheibe war milchig und verkratzt und der untere Teil war eingeschlagen. Von außen fiel das Tageslicht in den Flur und Veith konnte die Stimmen der vorbeilaufenden Dämonen hören.
 

Aber deine Antwort liegt nicht dort draußen.

Du musst tiefer hinab.
 

Die weiteren Treppen führten in den Keller des Wohnturms, wo Vorräte eingelagert wurden, Ratten ebendiese fraßen und Abscheuliches Zuflucht suchte. Es gab viel Abscheuliches in dieser Welt und an das Meiste gewöhnte man sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit, aber an Dinge, die sich in der Dunkelheit versteckten, konnte sich das Auge auch nicht gewöhnen.

Und jeder Dämon wusste, dass die gefährlichsten Dinge immer in dunklen Ecken lauerten, auf jemanden, der seine Vorsicht über seiner Neugierde vergaß.

Der Incubus zögerte einen Moment, sich fragend ob es das Risiko wert war.
 

Ich kann diese Stimme nicht weiter ignorieren.
 

Also bewegte er sich vorsichtig hinunter, hielt seine Augen und Ohren in jede Richtung auf.

Dunkelheit umgab ihn schnell. Hier gab es keine Fenster, Staub wirbelte unter seinen Füßen auf und kitzelte in seiner Nase. Das verbleibende Licht aus dem Erdgeschoss wurde schnell von der um sich greifenden Dunkelheit verschluckt, ebenso wie die Geräusche der Straße, bis das einzig übrige Geräusch das seiner vorsichtigen Schritte auf den Kellertreppen war, die von den Wänden schwach widerhallten.

Als er vor seinen Augen nichts weiter als Schwärze sehen konnte, schloss er sie und verließ sich bei seiner Orientierung nur noch auf sein Gehör. Tastend und lauschend bewegte er sich vorwärts, bis die Treppe endete und er eine Tür vor sich ertastete.

Veith hielt inne und merkte, wie sein Herz schneller schlug. Vielleicht war hinter dieser Tür einfach nur noch mehr Dunkelheit und noch mehr Staub – vielleicht ließ sie sich auch gar nicht erst öffnen, aber seine Intuition sagte ihm, dass seine Antwort und das Gesicht zu der Stimme dahinter liegen musste.

Finger für Finger seiner Hand legten sich um eine kühle Eisenklinke und drückten sie langsam hinunter. Schwerfällig bewegte sich der Mechanismus und blockierte für einen Moment, der Veith glauben ließ, dass doch jemand die Tür verschlossen hatte. Dann bewegte sie sich mit einem Ruck weiter und die Tür öffnete sich.

Die Scharniere quietschten genauso mitleidserregend, wie die der Eingangstür.

Er hielt kurz inne, öffnete die Tür ganz und sah – nach wie vor lähmende Dunkelheit.
 

Aber sein klopfendes Herz verriet mehr, er hörte förmlich den Pulsschlag dieses...dieses etwas welches sich hier irgendwo befinden musste.

Für einen Moment schloss der Incubus wieder die Augen, um sich selbst wieder unter Kontrolle zu bringen und sich von dem Pulsschlag des anderen Dings zu trennen, aber es gelang ihm nicht. Er konnte es atmen hören. Er griff in die Tasche seiner Hose und nahm ein Feuerzeug heraus, entzündete es. Ein kleiner Lichtschimmer erfüllte den Raum

In der Ecke sah er zwei Augen.

Und er wusste, dass diese Augen ihn zuvor gesehen hatten, im Treppenhaus. Er wusste, dass der Geist hinter diesen Augen mit ihm gesprochen hatte, auf der Treppe und in der Nacht als Saron ihn gefunden hatte.

Die Augen waren grün. Und himmlisch schön.
 

*



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