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Abschied eines Waldgeistes.

Mido auf Reisen!
von

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Mutoh und seine Söhne

Den Jutebeutel über der Schulter und die Beine in die Hand genommen, wanderte ich schnellen Schrittes. So wollte ich nicht vom Gewitter überrascht werden, welches zwar nicht sonderlich plötzlich, aber mit überzeugender Kraft aufgezogen war. Seitdem meine Begleiterin verschwunden war, war mir recht blümerant zu Mute, doch musste ich weiterziehen. Der Gedanke, von nun an mit anderen Wesen zu leben, mir vielleicht neue Freunde zu suchen, ließ mich schuldig fühlen, denn niemand konnte meine alte Gemeinschaft ersetzen. Sollte ich mich schuldig fühlen, wenn sie mich hinausgeworfen hatten? Hatten sie es nicht eigentlich so verdient? Warum sollte ich mir kein schönes Leben machen?

Mit dem Verlassen der Wälder war ich ganz schön in die Bredouille geraten.

Was sollte ich tun?

Zuerst war es ratsam, eine Arbeit zu suchen.

Doch in diesem Aufzug (und dem Umstand, keine Geschichte zu haben) würde sich wohl niemand, der klaren Verstandes war, mit mir arrangieren wollen. Ich zog die Nase kraus, als ein kugelrunder Tropfen – platsch! – darauf landete, und mich daran erinnerte, mich zu beeilen.

„Ja, ja!“, fluchte ich still und legte einen Zahn zu, sah schon den Eingang in das Dörfchen. Ich musste zumindest diese Nacht irgendwo unterkommen und wenn diese Impa nicht dort war, wo Merle es mir vorgeschlagen hatte, war ich aufgeschmissen. Die Gegend sah nicht sonderlich bequem aus, und das Wetter nicht gut genug, um draußen zu schlafen. Zumindest eine Höhle würde mir keinen Schutz bieten, denn darin würde ich wohl ertrinken. Sollte ich mich in dieser Ortschaft niederlassen?

Ich zog die Mütze tiefer ins Gesicht und nahm die Stufen in schleppendem Tempo. Durch Wind und Wetter zu gehen war doch anstrengender, als erwartet und ich fragte mich: Wenn ich das hier schon anstrengend fand, wie sollte es dann mit dem Rest meines Lebens stehen? Man hatte mir erzählt, wenn man älter wurde, musste man hart arbeiten, um sein Brot zu verdienen. Ob ich es jemals zu etwas bringen würde? Ich ging einen Schritt zuviel, die Treppe war vorbei, und stolperte, stützte mich auf dem Boden ab, dem ich nun unangenehm nahe war. Ich hob den Blick und sah durch den Regen hindurch eine kleine Stadt.
 

Vor dem Tor, das sich mir offenbarte, stand ein Wachmann. Er schien die Sicherheit der Stadt zu gewährleisten. Zudem war er eine Person, die aussah, wie ich. Nur in anderer Kleidung. Ich richtete mich auf und klopfte meine Kleidung ab, ehe ich ihn kurz musterte. Wachen waren mir nicht geheuer – Ich beschloss, weiter zu gehen, doch anscheinend hatte er meinen etwas zu auffälligen Blick bemerkt.

„Kleiner, was machst du denn bei so einem Wetter noch draußen? Hast du kein Zuhause?“

Er lachte und wollte wohl einen Scherz machen. Für mich war das gar nicht so witzig. Ich sah zu ihm hinüber. „Nein, habe ich nicht.“

Das Lachen blieb ihm im Hals stecken und er lehnte die Lanze an das Tor, blickte mich von oben bis unten an. Anscheinend wollte er mir nicht so recht glauben, oder aber, er sah Gestalten wie mich hier nicht so oft. Vielleicht brauchte er aber auch einfach nur Ablenkung von der Arbeit.

„Na, wenn das so ist… Ich muss hier Wache stehen, aber du findest dich sicher in der Stadt zurecht. Dir wird bestimmt ausgeholfen. Niemand würde einen kleinen Jungen im Stich lassen.“

Er rieb sich das Kinn und verengte die Augen nachdenklich, als er wieder die Lanze an sich nahm. Ich beschloss, weiterzugehen, denn er konnte mir offensichtlich nicht helfen. Seinen Blick im Rücken spürte ich noch einige Meter, bis ich eine weitere Person wahrnahm. Sie saß an einen Baum angelehnt, leicht in sich zusammengekauert und war erschreckend blass. Ich hatte Scheu, ihn anzusprechen, daher unterließ ich es. „Noch so ein widerlicher grüner Kerl.“, hörte ich ihn leise murmeln, als ich an ihm vorbeiging. Nur über die Schulter sah ich zu dem kahlen Baum nach, an dem er gelehnt saß und den Kopf schüttelte. Ein seltsamer Ort. Hoffentlich waren hier nicht alle so.

Ich entschied, einen Moment lang inne zu halten und mich umzusehen. Als ich den Blick etwas mehr hob, entdeckte ich, getrübt von Regen, eine Mühle, vor ihr stand ein Brunnen. Bei so einem Wetter würde sicher keiner mehr zu einer Mühle gehen… Zu meiner Linken sah ich eine Treppe, die in Richtung eines Berges führte. Sein Gipfel war von weißem Rauch umgeben. Außerdem erblickte ich eine Aussichtsplattform. Doch sonst waren hier nur Häuser. Ich hatte wohl keine andere Wahl, als mich weiter umzusehen. Da Brunnen meist die Mittelpunkte von Städten darstellten, machte ich mich auf den Weg dorthin. Doch auf halber Strecke hörte ich aus einem Wohnhaus lautes Gerede, Schmatzen und Gelächter. Vielleicht konnte ich mich dort erkundigen, denn es schienen nette Leute zu sein.

Schwach lehnte ich mich auf die Türklinke.
 

Alle Blicke wandten sich zu mir und das Gelächter verstummte.

Es war ein seltsames Schweigen, ehe ich meine Stimme wieder fand.

„Entschuldigt die Störung… Ich bin nicht von hier… Ich brauche Hilfe.“

Allein zuzugeben, Hilfe zu brauchen, war schon entmutigend genug. In dem Haus fand ich eine Frau mit einem burgunderfarbenen Hemd vor, einen etwas älteren Herren und – anscheinend – ihre drei Söhne. Das Knistern von wärmendem Kaminfeuer lag in der Luft und ich konnte das verbrannte Holz riechen, so, wie auch das Essen auf dem Herd. Die Frau sah mich besorgt an.

„Komm doch erstmal rein, du kleiner Floh.“

Ich nickte und schloss die Tür hinter mir.

„Bitte, setz dich doch, nimm Platz. Du holst dir da draußen noch den Tod.“

Worte konnten nicht ausdrücken, wie glücklich ich war, nicht wieder verscheucht zu werden. Ich ging zu dem Stuhl, der in der Raummitte am Tisch stand, und ließ mich auf diesen fallen, zog die Mütze vom Kopf.

„Ich danke Ihnen, Ma’am.“, sagte ich mit etwas heiserer Stimme.

„Worum geht es, Zwergnase?“

Die barsche Stimme des Älteren brachte mich dazu, ihn etwas schockiert anzusehen. Er grinste mich breit an und sah mich aus wohlwollenden, dunklen Augen heraus an. Sein Bart zuckte an der Oberlippe, als er mit mir sprach. Auf dem Kopf war er allerdings kahl. Allgemein sah er wie ein netter, alter Mensch aus, allerdings auch sehr streng. Seine Stimme verriet, dass er wohl öfter laut wurde.

„Ich… brauche Hilfe.“, gestand ich. „Ich komme aus dem Wald und brauche eine Unterkunft für diese Nacht… Ich habe auch etwas Geld dabei. Ich würde auch arbeiten!“

Er rümpfte die Nase, schnäuzte dann in ein Taschentuch. Der Geruch von Braten lag in der Luft. Seine Frau richtete sich einen Moment das Haar.

„Na, da können wir dir nicht helfen! Hier ist alles voll! Meine Söhne brauchen viel Essen und Platz. Zumindest willst du arbeiten, nicht wie mein schrecklicher Sohn, der sich nachts draußen herumtreibt. Grauenhaft, sage ich dir…“, begann er, und erzählte dann, wie abscheulich sich sein Sohn verhalte, wobei seine Stimme immer lauter wurde, aber seine Worte immer nichts sagender.

„Mutoh!“, schalt ihn die Frau. „Nun erschreck den Kleinen nicht so. Schau mal, wie blass er schon ist. Der braucht was zwischen die Rippen. Der fällt ja schon vom Fleisch. Na, eine Portion haben wir schon noch über, aber mit einer Unterkunft können wir nicht dienen, entschuldige.“

„Weib! Er soll wissen, was man im Leben erreichen muss, um nicht zu werden, wie Grog!“

Ich musste matt lächeln.

Die Frau schöpfte einen Löffel Suppe, so, wie die Söhne sie schon aßen, und füllte eine Schüssel, die sie mir reichte. Ich wusste nicht recht, was in der Suppe war. Das Essen von außerhalb war mir schon immer seltsam vorgekommen, aber jetzt, wo ich es sah, fand ich es noch undefinierbarer.

„Möchtest du noch Braten in die Suppe?“

Braten? In die Suppe? Ich kam nicht drumherum, sie leicht verwirrt anzusehen, und den Kopf zu schütteln. Ich nahm zögerlich den Löffel und tunkte ihn in die braune Brühe, in der allerlei Gemüse schwamm, bevor ich ihn an die Lippen setzte und das Gebräu schlürfte. Schmeckte gar nicht einmal so schlecht. Sofort nahm ich einige weitere Löffel.

Der Mann lachte.

„Haha, ein gesunder Appetit, der Bursche, das muss man ihm lassen! Er wird sicher mal ein stattlicher Mann. Ja, haha.“

Ich setzte die Schüssel an die Lippen und trank den Rest.

„Danke, es war köstlich!“, sagte ich flugs und wischte mir mit meinem Arm über den Mund. Die Frau nickte und lächelte mich an. Breite Grübchen zierten ihre molligen Wangen, als sie mir den Teller vom Tisch nahm und ihn abspülte, wobei sie immer wieder Ärger mit dem dunklen, krausen Haar hatte, das ihr ins Gesicht fiel.

„Nun, jetzt, wo ich drüber nachdenke, weiß ich vielleicht einen Ort, an den du dich wenden könntest, um die Nacht zu verbringen. Die sind immer glücklich, wenn sie einen haben, der ihnen bei der Arbeit hilft. Und dann noch so ein netter, ansehnlicher Bursche.“

Ich fühlte mich geschmeichelt. Ein kleiner Hoffnungsschimmer kam in mir auf, vielleicht war es aber auch nur die angenehme Wärme, die das Essen in meinem Bauch verbreitete. Aufmerksam blickte ich zu der Frau hinüber.

„Ja, die Leutchen, hinter dem Todesberg! Ich sehe sie selten hier im Dorf, sie nehmen lieber Umwege. Ich glaube, sie haben Ziegen, Schafe und ein Gaul. Da freuen sie sich immer, wenn man ihnen hilft. Mutoh, was meinst du?“ – „Die? Ja, die sind in Ordnung. Gute, bürgerliche Leute. Sehr fromm. Immer am arbeiten. Der Herr ist sehr stark, die Frau eine gute Köchin und die Tochter… nun, sagen wir, sie ist… ganz nett.“ Er schnalzte mit der Zunge und ließ sich einen weiteren Löffel Suppe einschenken. „Keine Schönheit, das Mädchen, auch nicht sonderlich klug, aber sie hat ein Herz – So wie der Rest der Familie. Wäre die nicht was für dich?“ Er grinste. Ich verzog das Gesicht. Mädchen? Nein, danke.

Aber der Ratschlag genügte mir.
 

„Mutoh, bring ihn doch kurz rüber. Das ist doch kein Weg.“

Man sah ihm seine Begeisterung über den Vorschlag, seiner Frau im Gesichte an, bevor er versuchte, die Arbeit auf seine Söhne abzuwälzen, die davon gleichermaßen wenig überzeugt waren. Als die Hausherrin sich anbieten wollte, erhob ich mich.

„Ich finde mich schon zurecht, danke sehr. Das Essen war sehr lecker. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.“

Gemächlich trottete ich zur Tür.

„Und du bist sicher, dass das geht?“, fragte die Frauenstimme. „Ja, machen Sie sich keine Sorgen. Immerhin habe ich es vom Wald bis hier hin auch geschafft.“ Und so verschwand ich wieder in der kühlen Nässe.



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