Zum Inhalt der Seite

Fortum

Das dunkle Herz und das Licht
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Die Prophezeiung

Nur ein Herz, das mutig genug ist und allen Ängsten trotzt und erfüllt ist von strahlendhellem Licht, kann die Tore zum Ungewissen, welche jedem Sterblichen vor Furcht zurückweichen lässt, aufstossen. Und selbst die tiefste Dunkelheit erhellen.
 

Viele Prüfungen muss es bestehen, ehe es den Schlüssel zu einem anderen findet.

Doch wenn dies diese bestanden hat, so wird es das Glück finden, nachdem es sich immer sehnt.

Prinzessin Lumen

Was ist Schicksal?

Manche Menschen sagen, dass etwas ist, von dem man geführt wird. Das es eine Art Bestimmung ist.
 

Manche wiederum, dass es etwas ist, was man nicht beeinflussen oder abwenden kann.
 

Doch manchmal ist das Schicksal auch etwas, was man anfassen kann. Es erscheint in vielen Gestalten. Wie zum Beispiel als ein Mensch.
 

Vor langer langer Zeit, als der Glaube an Magie noch stark und groß war, lebten die Menschen im Einklang mit der Natur und deren Bewohnern. Zu dieser Zeit gab es noch Königreiche und alte Städte. In einem dieser Königreiche, dem größten, spielt diese alte Geschichte. Sie handelt von einem König und seinen drei Töchtern. Jede von ihnen war auf ihre Weise begabt. Prinzessin Fortitudo, die älteste zeichnete sich daraus aus, mit dem Schwert gut geübt zusein und führte so manche Armee in die Schlacht. Prinzessin Cor, die mittlere, war die Güte in Person. Sie behandelte jeden Bürger, egal ob gross und klein voller Demut und Respekt und hatte stets ein offenes Ohr für die Sorgen und Wünsche des Volkes. Über die jüngste der dreien, Prinzessin Lumen sei nur soviel gesagt: Sie vermochte es, ein dunkles und voller hasserfülltes Herz mit Licht zuerhellen. Doch zuvor lasst mich erzähen, wie es dazu kam.
 

Das Königreich des Herrschers Sapientia war ein blühendes Königreich. Es lag in einem Tal, das von mächtigen Bergen umsäumt war und für feindliche Angriffe zuerreichen schier unmöglich war. Eine Brücke aus weissem Stein führte über eine tiefe Schlucht, die links und recht auf beiden Seiten der Schlucht, mit zwei wehrhaften Türmen flankiert wurde. Danach versperrte ein riesiges Tor aus hartem Holz und mit eisenbeschlagenen Türen den Weg. Händler kamen tagtäglich in das Königreich, um dort auf dem Markt ihre Waren feilzubieten. Kleine und größer Häuser schmiegten sich an einander und die Gassen bildeten wahre Labyrinthe. Aus den Wirtshäsuern war freudiges Treiben zu hören. Geigenmusik und Flöten spiel erfüllte die Luft und ließ die Menschen lächeln. Im Herzen des Dorfes war der Marktplatz, auf dem der Brunnen stand und die Bürger mit seinem frischen, köstlichen Wasser versorgte.

Hoch oben, über all dem, thronte das Schloss des Königs. Während die Wiesen und die Bäume, die auf den sanft ansteigegenden Hängen wuchsen, saftiggrün im Licht der Sonne schimmerten, leuchtete das Schloss als bestünde es, wie die Sonne, aus Licht.

Türme von majestätischer Erhabenheit erstreckten sich in den Himmel, als wollten sie nach ihm greifen und kleine Balkone erlaubten wunderbare Aussichten aufs Tal und was außerhalb davon lag. Schmale Brücken und Gänge waren mit meisten der Türme verbunden und Wachen machten auf ihnen ihre Runden. Das Schloss wurde von einer hohen Mauer umsäumt, hinter der sich die königlichen Gärten befanden. Ein lockerer Kiesweg schängelte sich durch das saftige Grün, der gestutzten Gräser und üppige Blumenbeete strahlten in den unterschiedlichsten Farben des Regenbogens. Birnen-Apfel und Zitronenbäume spendeten Schatten und erfüllten die Luft mit ihrem süßlichen Duft. Aber auch etwas anderes erfülte die Luft. Das Rufen einer Frauenstimme, die mehr als ruhig klang, erhallte und rief einen Namen.

„Lumen. Prinzessin Lumen. Wo seid Ihr!“

Eine rundliche, vierzigjährige Frau, gekleidet in einem blauen Samtkleid und einem Kopftuch in einer etwas helleren Fabre eilte durch den Garten und schaute sich immer wieder suchend um. „Prinzessin Lumen, kommt endlich raus!“, schimpfte die Frau. Leise murmelte sie:„ So ein ungezogenes Kind. Nicht mal ihre Schwestern waren so. Hach. Womit habe ich das bloss verdient. Lumen!“

In einem der etwas größeren Büsche beobachteten zwei blaue Augen die Kinderfrau aus den Blättern hindurch. Lumen musste sich ein Kichern verkneifen. Seit sie fünf war, ist es ihr immer wieder gelungen, Lotti, ihr Kindermädchen, davon zulaufen. Auch jetzt wieder. Wo sie schon siebenzehnsommer alt war. Ihr war es egal, dass sie dadurch wiedermal eine ordentliche Predigt ihres Vaters bekam. Sie war einfach diesen langweiligen Unterricht leid. Lieber spielte sie im Garten. Wie nun auch. Nur dass Lotti unfreiwillig mitmachte. Als sie in ihre Richtung blickte, horschte, versuchte sie sofort ruhig zu bleiben. Sich nicht zuverraten. Lotti drehte sich mit dem Rücken zu ihr herum. Anscheinend hatte sie sie nicht gehört. Umso besser!

Lumen grinste und rutschte nachhinten, um ihrer Kinderfrau zu entwichen. Plötzlich packten zwei Hände sie an den Schultern und zerrten sie auf die Füsse. Lumen stiess einen erschrockenen Schrei aus und wollte sich losreissen. Als sie dann das grinsende Gesicht ihrer zweiältesten Schwester sah. „Cor. Lass mich los. Sofort!“, zetterte sie sofort und versuchte sich aus dem Griff ihrer Schwester zu befreien. „Wusste ich doch, dass ich was gehört habe!“, schnaufte Lotti und kam wutschnaubend auf die jüngste Prinzessin zu. „Prinzessin Lumen. Ich bin es langsam leid, Euch nachzulaufen. Lernt endlich, was es heisst eine Prinzessin zu sein!“, giftete sie mit erhobenen Finger. Lumen sagte nichts, sondern warf ihrer Schwester einen finsteren Blick zu. „Blöde Cor!“, dachte sie voller Groll. Doch ihre Schwester lächelte nur und ließ sie los. Diesesmal gelang es Lumen nicht auszubüchsen. Sie wurde von lotti und Cor gut bewacht in das Lehrzimmer gebracht, wo auch schon Fortitudo wartete. „Na endlich. Ich dachte schon, dass unsere kleine Ausreisserin gar nicht mehr einzufangen ist!“, neckte sie. „Lass mich in Ruhe!“, murrte Lumen nur und setzte sich an ihren Platz. Und hörte nur mit halbem Interesse zu, was Lotti sagte. „Also, machen wir nun weiter. Wir waren stehengeblieben bei…!“
 

Nach dem Unterricht saß Lumen am Fenster ihres gemeinsamen Gemachs und schaute auf den Garten. Ihre älteste Schwester Fortitudo war vertieft in einer Stickarbeit, während Cor mit ihrer kleinen Harfe. Doch der liebliche Klang der Harfe kümmerte sie nicht. Die Freiheit lockte. Sehnsüchtig blickte sie zum Dorf hinunter und sah die Menschen, die das Leben führten, das sie wollten. Wie sehr sie sie beneidete. Cor fiel dies auf und sie setzte sich neben sie. „Lumen. Hör endlich von einem Leben zu träumen, dass du nicht führen kannst. Und hör endlich auf, nach deinem Kopf zu handeln!“, sagte sie sanft und legte eine Hand auf die Schulter ihrer kleinen Schwester. Lumen drehte weder den Kopf zu ihr herum, doch entzog sie ihr die Schulter. Sondern sagte nur:„ Aber träumen ist doch das einzige, was mir bleibt. Dieser ganze Unterricht ödet mich an. Diese Feste zu Ehren unseres Vaters, sind zwar wunderschön, doch niemals machen sie mich wirklich glücklich. Nie habe ich dort einen jungen Edemann gesehen, der mir gefällt und mich nicht gelich mit überschwenglichen Komplimenten überschüttet. Warum wurden wir als Prinzessinnen geboren?“, fragte sie müde. „Das ist nunmal Schicksal!“, murmelte Cor und strich durch das blonde Haar Lumen. Durchkämmte es mit ihren Fingern und ordnete es. So wie es damals ihre Mutter getan hatte.

Lumen presste die Lippen zu einem blassen Strich zusammen und unterdrückte das Gefühl der Trauer um ihre verstorbene Mutter. Aber auch die Wut, die diese Worte heraufbeschworen. „Bah. Schicksal. Daran glaube ich nicht. Das einzgie woran ich glaube, ist, dass ich hier unglücklich werde!“

„Lumen jetzt ist es aber genug. Wie kannst du nur so selbstsüchtig sein?“, kam es empört von Cor. „Unser Vater war immer gut zuuns. Hat uns stets das gegeben, was wir uns wünschten und brauchten. War immer für uns da und du dankst es indem du so was von dir gibst?“

Lumen wollte etwas darauf erwidern, doch sie schloss auch wieder den Mund. Cor hatte Recht. Es war nicht Recht, so zu sprechen. Ihr Vater war nicht nur ein guter und gerechter König, sondern ein ebenso guter und gerechter Vater. Er war, seit dem seine geliebte, Königin, verstorben war immer für seine Töchter da gewesen und hatte sich um sie gekümmert. Aber Lumens Wunsch nach Freiheit und nicht an die königlichen Pflichten gebunden zu sein, war groß. Dennoch…

Sie wollte nicht schlecht über ihren Vater denken. Es war nicht fair.

„Du hast Recht, Cor. Es tut mir leid. Es…es ist nur…ach…!“, brach sie mitten im Satz ab und winkte ab. Cor lächelte wieder und klopfte auf ihre Schulter. „Auch ich war mal in diesem Alter!“, sagte sie lächelnd. „Ja, aber du hast dich dann wieder beruhigt und bist wieder die liebe und fügsam Cor!“, bemerkte Fortitudo glucksend. Lumen verzog angesäuert das Gesicht und streckte ihrer älteren Schwester die Zunge raus.
 

Nach einer Woche wurde ein prunkvolles Fest gefeiert. Es war der Geburtstag des Königs Sapientia und viele hohe Männer und edle Frauen strömten aus ihren Königreichen um mit ihm zu feiern. Es wurde gespielt, gelacht und getanzt. Lumen und ihre beiden Schwestern tanzten mit jedem jungen Herren, der sie zum Tanz aufforderte und es schien ihnen Freude zumachen. Doch nach einer Weile fühlte Lumen, wie es sie ermüdete. Noch vor einigen Tagen hatte sie es ausgesprochen und fühlte, wie ihre Worte sie nun immer mehr erdrückten. Sich wie ein Strick um ihren Hals legten und sich zuzogen. Als die Musik verebte und die Paare beigeistert den Musikkanten applaudierten, verneigte sich Lumen vor dem jungen Mann, mit dem sie getanzt hatte und bedankte sich. Dieser bat sie um einen weiteren, doch Lumen lehnte höflich ab. Sie musste raus hier. Trotz das der Ballsaal riesig und genug Platz bot, fühlte sie sich eingeengt und die Luft, die durch die geöffneten Fenster strömte und die Frische der Bäume hineintrug, war für sie stickig und kaum zu ertragen.

Hastiger, als sie es beabsichtig hatte, eilte sie aus dem Saal, die Stufen hinunter in den Garten, der still und ruhig vor ihr lag. In der Nacht wirkten die Bäume und Gräser, selbst die Wege wie aus Saphir, der im Mondlicht schimmerte und die Luft war würzig und frisch. Tief holte Lumen Luft und hielt diese für einen kurzen Augenblick in sich, dann entließ sie sie mit einem zufriedenen Seufzen und fühlte sich leichter. Gemächlich schlenderte sie den Weg entlang und hielt am Sprungbrunnen. Schaute zu, wie das Wasser von der Fontäne perlte und im Licht des Vollmondes wie kleine Diamanten glitzterten. Alles hier im Garten war so ruhig und harmonisch und vor allem gewöhnlich, dass sie einmal mehr sich wünschte, keine Prinzessin zusein.

Sie ließ sich am Rand des Brunnens nieder und schaute nachdenklich in das dunkle Wasser. Sah ihre eigenes Spiegelbild und fragte sich, wie es wohl wäre, nicht blauen Blutes zusein. Nicht die teuren und feingearbeiteten Kleider zutragen, sondern nur ein einfach Bauernkleid, Schürze und einem Käppchen auf dem Kopf. Morgens aufzustehen, um das Vieh zuversorgen und sich dann an die Hausarbeit zumachen. Bei diesem Gedanken musste sie lächeln.

Sicher würde es neu und erstmal fremd sein, aber an alles konnte man sich ja gewöhnen.

Da streifte sie ein kalter Luftzug und sie erschauderte. Woher war dieser aufeinmal gekommen. So kalt war es Nachts nun auch wieder nicht. Aber da war noch etwas anderes. Lumen fühlte plötzlich die Gegenwart von etwas anderem. Es fühlte sich an, als würde jemand neben ihr stehen. Doch als sie sich umdrehte sah sie niemanden. Dabei könnte sie schwören, dass noch jemand hier war. Nervös und fürchtend, dass einer der Herren ihr nachgeschlichen war, um sie heimlich zubeobachten, ließ sie jedoch den Blick umherwandern und erstarrte. Nicht weit von ihr, hinter den Bäumen, sah sie die dunkle Gestalt eines Menschen. Sie war so vollkommen in Dunkelheit gehüllt, dass es Lumen vorkam, sie sei selbst die Finsterniss und schien sie auf eine Art und Weise zubeobachten, die ihr eisige Schauer über den Rücken trieb. „Wer…wer ist da?“, fragte sie und war erschrocken, wie dünn ihre Stimme kang. Die Gestalt rührte sich nicht, sondern sah sie weiterhin stumm an. Und auch wenn sie nichts sagte, schien sie Lumen zu befehlen, zu drohen, nichts zusagen oder gar nach den königlichen Wachen zu rufen. Lumen erhob sich, schwankte. Sie fürchtete, ihre Füsse würden ihr den Dienst verweigern.

Diese Gestalt war ihr unheimlich. Die Aura, die sie ausströmte ließ sie zittern und ein Gefühl der Angst geben, dass sie noch nie empfunden hatte. „Ich..ich sagte, wer ist da?“, wiederholte sie und ihre Stimme war nichts weiter als ein heisseres Quieken. Dann verschwand die Gestalt wieder. Löste sich förmlich in Luft auf. Und Lumen blieb allein zurück. Fort waren die Gedanken über ein normales Leben außerhalb des Schlosses. Sondern hatte Furcht platzgemacht. Noch lange blieb sie so dastehen. Es schien eine Ewigkeit zuvergehen, ehe sie wieder Herrin ihrer Kräfte war und mit langsam, zitternen Schritten in den Saal zurückging.

Die Bedrohung

Die dunkle Gestalt, die sie im Garten besucht hatte, blieb ihr noch lange im Gedächtnis und verfolgte sie in ihren Träumen, als ein Schatten, der leise und raubtierhaft hinter ihr herschlich. Jede Flucht unmöglich machte und sie schließlich einholte. Doch bervor sie sie erreichte, wachte Lumen stets mit einem erstickten Angstschrei auf und dann mit Erleichterung festzustellen, dass sie nur geträumt hatte.

Jedoch blieb die Furcht und sie grübelte jeden Tag darum, wer ihr da erschienen war.

Dabei wurde sie immer schweigsamer und träumte auch nicht mehr. Wie ein dunkler Schatten lag das Erlebte über ihr. Ihre Flausen hörten mit einem Male auf. Kein stilles Verschwinden aus dem Unterricht und auch kein Verstecken mehr. Die Zofe war erstaunt und auch etwas beruhigt. Endlich musste sie ihr nicht mehr nachjagen. Doch auf den Unterricht konzentieren, konnte Lumen sich auch nicht. Immer wieder musste sie an diese Gestalt denken. Sie ging ihr nicht mehr aus dem Kopf.

Das fiel ihrem Vater und ihren Schwestern natürlich auf.

Beim Frühstück es waren knapp zwei Monate vergangen und nichts hatte sich an ihrem Verhalten verändert, sprach ihr Vater sie an. „Lumen, was ist mit dir?“, fragte er und sah seine Jüngste sorgenvoll an. Lumen senkte nur den Kopf. Trotz dass ihr diese Begegnung Ungehagen bereitete und darüber sprechen wollte, konnte sie es nicht. Wer oder was auch immer ihr dagegenübergestanden hatte, er hatte ihr nicht nur ihr Herz zum stehen gebracht, sondern auch ihre Zunge gelähmt. Auch jetzt. Als hätte diese Gestalt einen Fluchs des Schweigens über sie gelegt. „Ich weiss nicht, was Ihr meint Vater!“, flüsterte sie und rührte in ihrem Tee. Ihre Schwestern tauschten einen Blick. „Du bist so still. Nicht mehr der Wirbelwind, der du einmal warst!“, erklärte er. „Ich dachte, du wärst es leid. Freust du dich denn nicht, dass ich nicht mehr so wild und kindisch bin?“

König Sapientia runzelte die Stirn und wirkte nun entrüstet. „Wenn es bedeutet, dein Lächeln nicht mehr zu sehen und dein Lachen nicht mehr zuhören. Wenn es bedeutet, dass du dein sonniges Gemüt verloren hast, dann nein!“, erwiderte er. „Ich möchte meine Tochter wiederhaben. Die, die es der Kinderfrau schwer macht und versucht dem Unterricht zuentwichen!“

Lumen musste etwas lächeln. Sie hatte immer gedacht, dass er sich eine folgesame, dritte Tochter wünschte. Dass er nun seinen Wirbelwind, wie er sie immer nannte, vermisste, erstaunte sie. Doch dann schwand das Lächeln. „Sag kein Wort!“, schien eine Stimme zu flüstern und sie merkte, wie ein kalter Wind sie streifte.

Sie schauderte und wich den fordenden Blicken ihres Vaters aus. „Also was ist passiert!“, sagte er und der Ton in seiner Stimme ließ keine weiteren Ausflüchte gelten. „Vater,…!“, bat Lumen kleinlaut und ihre Schwestern sahen sie mitleidig, aber auch besorgt an.

Sapientia wurde mal zu mal besorgter um seine Jüngste und damit auch ungeduldiger. Gerade wollte er sie weiter ausfragen, als plötzlich eine heftige Windböe durch die Fenster jagte und die Vorhänge tanzen ließen. Lumen und ihre Schwestern und ihr Vater schrien überrascht auf und sprangen von ihren Stühlen. Von einer Minute auf die andere, war es draußen dunkel geworden. Wo vorher noch die Sonne ihre warmen Strahlen in den Raum geworfen hatte, kroch nun Dunkelheit und Kälte hinein, wie eine dunkle Flut. Ein tiefes Grollen ging durch die Luft und ließ die Mauern zittern. Die Wachen eiten sofort nach draußen, um nachzusehen, was geschehen war, während Sapientia und seine Töchter auf den Balkon eilten und sahen, wie dunkle Wolken sich über das Königreich legten und alles Licht löschten. Die Bewohner des Dorfes trömten aus ihren Häsuern, blickten mit angsvoller Miene in den Himmel hinauf. Andere flohen wieder hinein und verriegelten die Türen und Fenster. Als würde sie wissen, was sie erwartete. Ein weiterer Wind kam auf, diesesmal heftiger und zerrte an den Kleidern der königlichen Familie. Er war eisig und scharf wie ein Schwert.

„Vater, was hat das zu bedeuten?“, fragte Fortitudo und blickte hinunter auf ihr Volk. Cor hatte vor Entsetzen die Hände vor den Mund geschlagen. Konnte nicht glauben was passiert war und Lumen meinte diese unheilvolle Gegenwart der dunklen Gestalt zu spüren. Flüchtig blickte sie sich um. Aber sie sah sie nicht. Dennoch fühlte sie sie und fürchtete sich. König Sapientias Gesicht war eine Maske aus Furcht und Ratlosigkeit. Nie war etwas so deratiges Drohendes über ihr Reich gekommen. Wie ein Leichentuch lag darüber und schien alles Leben zuersticken. Eine gespenstische Stille hatte sich darüber ausgebreitet. Nur das Donnern und das Tosen des Windes waren zu hören und hallten wie unheilverkündete Echos hinab in das Tal. Lange Zeit sagte der König nichts. Erst Cors Stimme holte ihn zurück. „Vater…was…was geht hier vor sich?“, fragte sie und grub ihre Nägel in seinen Ärmel. Ängstlich und hilfesuchend. Sapientia sahe seine Töchter an, schenkte ihnen ein tröstendes Lächeln und wandte sich an einen Diener. „Holt mir den Hauptmann. Schnell!“, wies er ihn an und der Diener eilte davon.

Der Hauptmann, ein hochgewachsener und breitschultriger Mann mittleren Alters kam in den Audienzsaal. Seine Rüstung glänzte in dem matten Licht milchigsilbern und seine dunklen Haare waren im Nacken zusammen gebunden. Das Schwert, welches er an der Seite trug, klimperte bei jedem Schritt. Als er vor dem König und dessen Töchtern stand, verneigte er sich tief. „Ihr habt mich rufen lassen, Eure Majestät!“, sagte er. „Ja, Hauptmann Fidus. Etwas Dunkles hat sich über das Königreich gelegt und ich weiss, dass Ihr derjenige sein werdet, der es herausfindet. Nehmt soviel gute Männer mit, wie Ihr braucht und findet heraus, wer dafür verantwortlich ist!“, sagte der König und der Hauptmann verneigte sich erneut. „Sehr wohl, Eure Majestät!“

„Beeilt Euch, Hauptmann. Wer oder was dafür verantwortlich ist, er muss gestoppt werden!“, sagte Sapientia nachdrücklich und der Hauptmann nickte. Eilte dann hinaus. Es dauerte nicht lange und ein Trupp Reiter versammelte sich im Innenhof. „Männer, wir reiten los!“, rief der Hauptmann. Seine Stimme hallte hinauf zu den Gemächern der Prinzessin. Cor sah ihm nach, mit einem Blick, der mehr als nur Worte sprach. „Bitte seid vorsichtig und kommt gesund wieder zurück!“, flüsterte sie. Da blickte der Hauptmann zu ihr hinauf und ihre Blicke trafen sich. Ein zaghaftes Lächeln zeigte sich auf seinen Lippen. Trotz dass er wusste, dass sie ihn nicht hören konnte, bewegte er die Lippen. „Ich werde bald zurück sein!“

Dann gab er seinem Pferd die Sporen und er und seine Reiter ritten aus.

Schlechte Nachrichten

Seit diesem Tag, an dem sich die dunklen Wolken über das Königreich ausgebreitet hatten und der Hauptmann mit seinen Männern davon geritten war, waren nun viele Wochen vergangen. Und die Stadt unter ihnen lag still da, wie ausgestorben. Verstummt war die fröhliche Musik und das Lachen. Verschwunden waren die Menschen, die sich auf dem Markt tummelten, waren in ihren Häusern und zitterten. Lumen saß am Fenster und blickte betrübt hinunter. Dann hinauf in den Himmel, der wolkenverhangen war und kein Sonnenlicht hindurchdrang. Für sie schien es eine Ewigkeit herzusein, seit sie die Sonne gesehen hatte. Und sie vermisste sie. Neben ihr saß auch Cor.

Aber sie hatte andere Gründe.

Ihr war deutlich anzusehen, dass sie sich schreckliche Sorgen um den Hauptmann. Schon lange empfand sie was für ihn. Erst war es nur Schwärmerei, doch je öfter sie ihn gesehen hatte, mutig sich dem Feind entgegentretend, im Namen des Königreichs und ihres Vaters und sich immer wieder Sorgen um ihn gemacht hatte. Angst davor, dass ihm was zugestossen sein könnte, wurde sie sich bewusst, dass es mehr war. Fortitudo hatte es natürlich bemerkt, wie oft ihre Schwester sehnsüchtig Blicke zu ihm geworfen hatte und auch dass es Fidus nicht anders erging. Ein kleinwenig war sie eifersüchtig. Aber sie gönnte es ihrer Schwester. Männer interessierten sie nicht. Zumindest nicht, mit denen sie in den Krieg zog. Sie waren wie Brüder und so verhielt es sich auch mit Fidus. Da war es auch nicht verwunderlich, dass sie sich ebenso sorgte.

Lumen bewunderte die Liebe, zwischen ihrer Schwester und dem Hauptmann. Sie hoffte, dass auch sie Tages solch ein Glück haben und die Liebe finden würde. Behutsam legte Fortitudo ihrer Schwester die Hand auf die Schulter. „Beruhige dich. Ich bin sicher, dass Hauptmann Fidus bald zurückkommen wird und dann wird alles gut!“, sagte sie. Cor sah sie an und ihren grünen Augen war deutlich die Angst zusehen. „Ich hoffe es, Schwester. Ich hoffe es!“, sprach sie leise und blickte wieder in die Ferne. Wie auf ein Zeichen kamen drei Reiter, wie von Furien gehetzt, die Strasse entlang geritten. Obwohl es dunkel war und die Reiter kaum zuerkennen waren, erkannte man sie sofort. Es waren die Reiter, die der König ausgesandt hatte. Und an ihrer Spitze, sich nur noch mit Mühe im Sattel haltend, der Hauptmann.

Cor stiess einen entsetzen Schrei aus, sprang auf und rannte aus dem Gemach.

Die beiden Männer trugen ihn in ein Zimmer, in dem schon Ärzte und Schwestern warteten. Auch der König und die Prinzessin, allen voran aber Cor war dort und als sie ihren Hauptmann, leichenblass und mit einer grässlichen Wunde in der Brust, aus der stetig Blut floss, auf dem Bett lag, konnte sie nicht mehr an sich halten. „Fidus. Nein!“, wimmerte sie und kniete neben dem Bett. Der Hauptmann hatte das Bewusstsein verloren. Zärtlich strich sie ihm das dunkle Haar aus der schweissnassen Stirn. Immer wieder, als würde dies helfen, ihn zu heilen. Irgendwann kam der König und zog seine Tochter bestimmt und zärtlich von dem Verletzten. „Lass ihn, Kind. Die Ärzte werden sich um ihn kümmern!“, sagte er und zog sie auf die Füsse. Cor streckte verzweifelt die Hände nach ihm aus. „Nein, Vater. Bitte lasst mich zu ihm!“, flehte sie. „Wachen, bringt die Prinzessin nachdrausen. Fortitudo, geh mit und beruhige deine Schwester!“, sagte er. Fortitudo nickte, geleitete die Wachen, die die schreiende und weinende Prinzessin nachdraußen brachten. Lumen blieb als einzige im Raum. Doch auch sie bat man nachdraußen.

Wie vom Schlag getroffen stand sie vor der Tür und konnte noch immer die verzweifelten Schreie ihrer Schwester hören. Und irgendwie ahnte sie, dass dies nur der Anfang war. Sofort musste sie wieder an die dunkle Gestalt denken. Nicht zu wissen, was sie tun sollte oder konnte, faltete sie die Hände und betete leise. „Bitte lieber Gott. Lass das alles bald vorrüber sein und ein gutes Ende nehmen!“, flehte sie und ging dann.

In ihrem gemeinsamen Gemach saß Fortitudo und ihre Schwester. Sie hielt ihre mittlere Schwester in den Arm. Strich ihr immer wieder über das Haar und summte dabei eine Melodie, die ihre Mutter immer gesummt hatte, wenn sich eine von ihnen ängstigte. Doch Cor konnte sich nicht beruhigen. Die Angst um ihren geliebten Hauptmann hatte sie zerfressen und die grauenvollsten Bilder, die sich ein Menschenverstand ausmalen konnte, plagten sie und ließen ihr Herz immer wieder aussetzen. „Beruhige dich, Cor. Die Ärzte werden ihr Bestes tut, um ihn zu retten!“, flüsterte die Älteste. Cor schluchzte und schüttete den Kopf. „Nein. Ich habe es gesehen. Diese Wunde…er war mehr tot als lebendig. Er stirbt und ich…!“, wimmerte sie und sah ihre Schwester mit tränennassen Wangen an. „Schhschhh. Nicht doch. Er wird es schaffen. Hab vertrauen!“

Lumnen sah zu ihrer Schwester. Fühlte die Angst und den Schmerz, als wäre es ihr eigener. Hilflos machte sie einen Schritt auf sie zu und streckte die Hand auf, wollte etwas sagen. Doch Fortitudo schüttelte den Kopf. Sagte mit ihrem Blick, dass sie es gut sein lassen sollte.

Lumen biss sich auf die Unterlippe und setzte sich ans Fenster.
 

Als die Ärzte ihr Bestes getan und ihn verarztet hatten, durfte Cor endlich zu ihm. Rund um die Uhr war sie bei ihm und pflegte ihn. Gab ihm die Medizin ein, wenn er wach war und hielt seine Hand, wenn er schlief. Sein Körper zitterte abundan und er stöhnte. Cor rief immer wieder nach den Ärzten, sobald sie sah, dass sie nichts tun konnte und stand mit Händeringend daneben.

Irgendwann erwachte er wieder und blieb für eine längere Zeit wach, als für gewöhnlich. Als er Cor sah, lächelte er. Auch Cor lächelte und strich ihm eine Strähne aus dem Gesicht. „Wie geht es Euch, Hauptmann?“, fragte sie leise. „Dem Umständen entsprechend!“, erwiederte er. Cor lächelte noch eine Weile, doch dann verblasste das Lächeln und sie senkte den Kopf. „Ich…ich dachte, Ihr wärt…!“, sagte sie und ihre Stimme zitterte. Fidus ahnte, was sie sagen wollte, hob die Hand und berührte ihre Wange. Cor blickte auf und sah in seine Augen, die Trost aussprachen. „Aber das bin ich nicht. Und das verdanke ich nur Eurer guten Pflege!“, flüsterte er und Cor errötete. „Nicht doch. Die…die Ärzte haben Euch geheilt!“

„Sie haben meine Wunden geheilt, aber ins Leben habt nur Ihr mich zurückgeholt!“, flüsterte er sanft. Und als er diese Worte ausgesprochen hatte, konnte sie sich nicht mehr zurückhalten. „Fidus!“, flüsterte sie, beugte sich zu ihm hinunter und legte ihren Kopf auf seine Brust, ohne dabei seine Wunde zuberühren. „Ich hatte solche Angst!“, flüsterte sie. „Aber jetzt bin ich wieder gesund!“, scherzte er und zuckte sofort zusammen, als er sich flasch bewegte und die Wunde sich schmerzhaft meldete. „Naja, zumindest beinahe!“

Cor seufzte. „Hört auf, solche Scherze zumachen. Tag ein Tag aus betete ich, dass Ihr mir wiederkehrt!“, flüsterte sie und Tränen ließen ihre Stimme noch mehr zittern. „Und als ich Euch sah. Blutend und blass, da…!“

Sie vermochte es nicht, ihre Worte weiter auszusprechen. Tränen rannen ihr über die Wangen und sie schlug die Hände vors Gesicht. Konnte es nicht ertragen, weiterhin ihn anzusehen ohne dabei das grässliche Bild, als er blutend ins Schloss gebracht wurde, gleichzeitig zusehen. „Cor!“, flüsterte er und sie schaute auf. Er hatte sie nicht mit ihrem Titel angesprochen und auch nicht Gesiezt. Sondern so angesprochen, als würden sie ganz normale Menschen sein. Keine Prinzessin und auch kein Hauptmann. Er nahm ihre Hand und drückte sie. „Schschhh…jetzt ist ja alles wieder gut. Ich bin hier und ich werde immer bei dir bleiben!“, flüsterte er. „Fidus!“, seuzfte sie und schmiegte ihre Wange an seiner Hand. Mehr brauchte sie nicht sagen. Er wusste, es auch so. Fidus lächelte, nahm seine Hand aus der ihren. Legte sie auf ihren Hinterkopf und drückte sanft ihren Kopf zu ihm hinunter, sodass sich ihre Lippen beinahe berührten. Cor ließ es geschehen und schloss die Augen. Als sich ihre Lippen dann berührten, zuckte sie zusammen und sie seuzfte. Ihr Herz schlug mit einem Male schneller und sie umarmte ihren Hauptmann. In diesem Moment war es ihr egal, ob sie sich nicht ihres Standes gemäss benahm. Sie wollte ihm nur nahesein.

Lumen hatte, ohne das sie es wirklich wollte, das Gespräch zwischen ihrer Schwester und dem Hauptmann mit angehört und auch wenn sie sich eigentlich dafür schämem sollte, konnte sie es nicht verhindern, dass sie etwas wie Neid verspürte. Neid auf ihre Schwester, die solch ein Glück hatte, jemanden getroffen zuhaben, der sie genauso heiss und innig liebte, wie sie ihn. Mit einem schwachen Lächeln wandte sie sich um und ging. Sie fand, dass die beiden allein sein sollten und hoffte zugleich, dass auch sie irgendwann jemanden finden würde, der ihr Herz stahl.
 

Es vergingen noch einige Tage, bevor der Hauptmann sich wieder erholt hatte, bevor er dem König gegenübertreten konnte. Mit schwachen Knien und von einem seiner Männer gestützt, trat er dem Herrscher gegenüber und machte eine schwache Geste, die eine Verbeungung sein sollte. Ein schwaches Lächeln zeigte sich auf seinen Lippen. Cor saß neben ihrem Vater und blickte zum Hauptmann. Auch er sah sie nun und Cor konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. „Welch eine Freude Euch wieder unter den Lebenden zusehen, Hauptmann!“, sagte der König und riss die beiden aus ihren Gedanken. Hauptmann Fidus bemühte sich, sich nichts anmerken zulassen. „Ich schäme mich richtig, Euch im solch einen schlechten und einem Hauptmann unwürdigen Zustand gegenüber zutreten!“, bemerkte er und deutete auf den Mann neben ihn.

Der König winkte ab. „Ihr wurdet schwer verletzt. Und habt mit dem Tod gerungen. Da ist es nur fair, wenn Ihr Eucht stützen müsst!“

„Ich danke Euch für Euer Verständniss, Hoheit!“

„Auch wenn ich weiss, wie viel Kraft es Euch kostet sich einigermassen auf den Beinen zu halten, bitte ich Euch dennoch mir zu berichten, was Ihr gesehen habt!“, bat der König und der Hauptmann nickte. „Wir warem gerade mal zwei Wochen unterwegs, da fielen sie uns schon an. Eine Armee aus dunklen Kreaturen. Mehr Tier als Mensch. Sie schlachteten meine Männer ab, als seien sie Vieh. Nur ich und die beiden überlebten dies. Naja…!“, berichtete er und blickte auf seine Wunde, die unter einem Verband verarztet war. „Beinahe…!“

„Könnt Ihr mir sagen, wer diese Armee befehligt. Hinter solch einer, muss es einen geben, der sie anführt!“, sagte der König. „Und ob es einen gibt. Ich habe ihn gesehen. Oder besser gesagt sie. Es war eine Frau, mit schwarzen Haaren. Schön war sie, aber nicht minder grausam. Als alle tot, bis auf uns waren und ich blutend auf dem Boden lag, kam sie zu mir und beugte sich zu mir hinunter. Hört gut zu, Hauptmann, sagte sie. Meine Armee der Schattenkreaturen wird sehr bald vor den Toren des Königreiches deines Königs stehen und alles niederbrennen und niedermetzeln, was sich ihnen in den Weg stellt!“

Des Königs Augen weiteten sich, als er dies hörte. „Nannte die Frau Euch ihren Namen?“, fragte er und der Hauptmann schüttelte den Kopf. „Sagte sie, warum sie uns angreift?“

„Nein, Eure Hoheit!“

Der König sank auf seinem Thron zusammen. „Eine Armee aus Schattenwesen und wir wissen nicht, warum sie uns angreifen!“, murmelte er. „Ist das so wichtig, Vater?“, fragte Fortitudo. „Ob sie einen Grund haben oder nicht. Wir müssen was dagegen tun!“

„Du hast Recht, meine Tochter. Hauptmann, eine Frage noch: Konntet Ihr diesen Schattenwesen etwas entgegensetzen. Konntet Ihr auch welche von Ihnen verletzten oder gar töten?“

„Nein, mein König. Diese Kreaturen sind, wie ich sagte Schatten. Und gegen Schatten kann man nichts tun. Sie sind nicht aus Fleisch und Blut. Sondern aus böser Dunkelheit. Selbst ich, der kein Mann der Magie ist, konnte es spüren. Es umgab sie die Kälte des Bösen. Des absolout Bösen!“, berichtete er. Er schauderte bei dieser Erinnerung und der König seufzte. Es war schlimmer, als er es sich vorgestellt hatte. Gegen Gegnger aus Fleisch und Blut konnte man noch mit Schwert kämpfen. Aber gegen solche Feinde…

Blieb nur ein Mittel. Magie!

„Dann sind sie nur mit Magie zubesiegen!“, schlussfolgerte Fortitudo. Der König nickte. Dann erhob er sich. „Ruft den Rat der Magier zusammen. Wir müssen schnell handeln. Denn wenn diese Armee wirklich schon sehr bald kommen wird, dann…dann steht uns ein Krieg bevor und ich fürchte, dass dieser nicht leicht zugewinnen sein wird!“

Ein grausames Angebot

Der Rat der Magier bestand aus fünf Männern unterschiedlichen Alters. Während der fünfte noch recht jung war, war der erste der Magier alt. Sein weisser Bart war solang, dass er fast den Boden berührte und er war gekleidet in blauen Gewänder. Er und die vier anderen Magier verneigten sich vor dem König. „Ihr habt uns rufen lassen?“, fragte der Alte.

„Ja. Eine Armee aus dunklen bösen Gestalten bedroht uns und kein Schwert und kein Mann konnte etwas dagegen unternehmen!“, sprach der König ohne Umschweife. Es war keine Zeit dafür zuverlieren. Mit jedem Tag der verging, vergrößerte sich das Risiko, dass sie nichts gegen die Bedrohung unternehmen konnten.

„Ihr seid die Einzigen, die nun was dagegen unternehmen können und ich bitte Euch: Tut alles Erdenkliche. Findet heraus, wie man sie stoppen kann. Unser aller Leben liegt nun in Euren Händen!“

Der älteste Magier schluckte, als er sich bewusst wurde, welch große Last auf seinen Schultern lag. Wenn schon die Soldaten des Königs nichts gegen die Bedrohung ausrichten konnten, wie sollten die es dann schaffen?

Doch der Magier nickte bloss und verschwand mit den anderen aus dem Audienzsaal.
 

Tagelang suchten und experimentierten sie. Durchsuchten die Bücher nach hilfreichen Hinweisen. Jedoch fanden sie nichts. Und so mussten sie vor den König treten. „Nun? Habt Ihr etwas gefunden, womit wir uns gegen diese Übermacht wehren können?“, fragte der König und der Magier schüttelte bedauernd den Kopf. „Nein, Eure Hoheit. Leider nicht. In keinem Buch fanden wir etwas!“, erklärte er. „Ich fürchte, dass dieser Feind mit nichts zuschlagen ist, was wir kennen!“

„Sucht weiter. Es muss doch etwas geben, was uns rettet!“, drängte der König.

Da erklang ein Lachen. Kalt und voller Spott. „Nichts wird Euch retten können. König Sapientia!“, sprach sie und der König sprang vom Thron auf. „Wer spricht da?“, rief er. Und ein heftiger Wind fegte durch den Saal. Das Heulen glich dem von gepeinigten Seelen, die die schlimmsten Qualen der Hölle erlitten, die man sich vorstellen konnte. Schatten erschienen plötzlich in dem Wind. In dessen Kern, erschienen plötzlich Schatten, die wie Gespenster umherkreisten und sich dann zu etwas vereinten und verformten, was der Gestalt eines Menschen glich. Als dann der Sturm nachließ, stand ein hochgewachsener Mann vor dem König. Gekleidet in dunkle Gewänder. Mit blasser Haut und mit schwarzen langen Haaren, die sein Gesicht umrahmten, das einem Engel hätte gehören können. Aus diesem leuchteten zwei blaue Augen, die dem Eis eines Gletschers ähnelten. Und um seinen Mund spielte ein grausames, verächtliches Lächeln. Einige der Magier des Königs, besonders der ältere, schnappten nach Luft und wirkten so, als stünde der Leibhaftige vor ihnen. „Wer seid Ihr?“, fragte König Sapientia und das Lächeln wurde breiter. „Mein Name tut nichts zur Sache. Wichtig ist doch jetzt, wie Ihr Euer Königreich rettet!“, sagte der Fremde und neigte etwas den Kopf. König Sapientia schnaufte entrüstet und setzte sich wieder. Was erdreist sich dieser Eindringling, dachte er. Doch laut sagte er:„ Was wollt Ihr hier?“

„Euch helfen natürlich. Nur hat meine Hilfe einen Preis!“, sagte er und grinste wölfisch.

„Wie wollt Ihr das tun?“, fragte der König, um nicht weiter über den Preis, den die Rettung seines Reiches, zudenken. Dieser Mann gefiel ihm nicht. Und auch nicht die Art, wie er das Wort Preis aussprach. Die Magier selbst wichen vor dem Fremden zurück und flüsterten aufgeregt. Nervös und warfen angstvolle Blicke zu dem Dunklen.

„Lasst das meine Sorge sein!“, sagte der Mann und riss den König aus seinen Gedanken.

„Was wäre der Preis?“, fragte er dann und ein ungutes Gefühl machte sich in ihm breit.

„Eure Tochter!“

„Was?!“, keuchte der König entsetzt und sprang nun wieder vom Thron auf, wie von einem Skorpion gestochen. Er hatte geahnt, dass der Preis hoch sein würde, aber nicht so hoch. „Ich will Eure Tochter. Ein fairer Preis, findet Ihr nicht? Die Rettung des größten Königreichs, gegen eine Prinzessin!“

„Niemals! Niemals werde ich Euch eine meiner Töchter geben!“, schrie der König zornig und schlug mit der Faust auf die Lehne des Throns. Der Mann hob die Schultern. „Bitte, wenn Ihr zusehen wollt, wie Euer Volk und Eure Töchter niedergemetzelt werden!“, sagte er und wandte sich um zu gehen. „Wartet!“, sagte der König und der Mann grinste berechnend. Langsam drehte er sich um. „Ja?“

König Sapientia sank auf seinen Thron zurück und wirkte um Jahre gealtert. Das war ein viel zu hoher Preis. Aber wenn er ihn nicht bereit war, zu zahlen, würden sie alle sterben. Hart presste er die Lippen aufeinander und schloss die Augen. Dachte nach. Welche seiner geliebten Töchter müsse er opfern, um sein geliebtes Volk zuretten. Auch wenn es Grausam war, aber er musste auch an sein Volk denken. Er war für jeden von ihnen verantwortlich und was für ein König wäre er, wenn er ihrer aller Tod billigend in Kauf nimmt. „Eure Hoheit, tut das nicht. Das ist sicher nur ein Trick!“, mischte sich der Älteste ein, doch der König brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. Dann öffnete er die Augen. „Welche meine Töchter begehrt Ihr?“, fragte er.

„Die jüngste!“

„Nein, nicht Lumen!“, kam es entsetzt von ihm.

„Dann vergesst es!“, sagte der Mann. Der König kämpfte gegen seine Wut an. Egal wer und was dieser Mann war, er konnte nichts Gutes im Sinne haben was seine Tochter betraf. Aber wenn er nicht auf dieses Angebot einging, dann…

In seinem Gesicht arbeitete es und Minuten schienen zu vergehen, eher er schwer seufzte und er die Schultern hingen ließen. Er hatte keine Wahl, auch wenn er sich auf ewig dafür hassen würde. „Also gut. Ich gebe Euch meine Jüngste, als Gegenleistung für die Rettung!“, sagte er. Der Mann lächelte. „Ich wusste, Ihr würdet Vernunft annehmen!“
 

Auf den höchsten Turm standen der König und der Fremde und blickten auf das Tal zu ihren Füssen und auf die Berge und dahinter…

Der König schnappte nach Luft, als er eine Welle der Dunkelheit auf die Tore seines Reiches zurolen sah und das Holz, dass, trotz dass sie meilenweit entfernt waren, unter den Schlägen ächzte. Die Bewohner hörten den Ansturm und schrien entsetzt auf. Flohen in ihre Häuser. Soldaten stürmten an das Tor und versuchten es zustützen.

Doch immer kräftiger wurden die Schläge und das Holz splitterte.

„So tut doch endlich was! Rettet mein Volk!“, flehte und drängte der König den Mann an. Dieser sah nur gelassen auf die Armee jenseits des Tores, dann hob er beide Arme und sprach Worte in einer Sprache, die der König nicht kannte. Sturmwolken türmten sich auf und Donnergrollen ließ die Mauern des Schlosses zittern. Ein heftiger Wind kam auf, zog an den Kleidern des Königs und er fürchtete, der Wind würde ihm vom Turme reissen. Während der Wind dem anderen nichts anzuhaben schien. Er stand da, wie ein Fels in der Brandung und murmelte weiterhin fremde Worte. Da wurde sich der König bewusst, dass er einen Magier neben sich hatte. Worauf hattte er sich da nur eingelassen?

Er hatte einen Pakt mit einem Dämon geschlossen.

Er wollte etwas sagen, den Handel auflösen. Doch da schrie der Magier auf und ließ tausend Blitze auf die Armee niedergehen. Kaum wurden diese von ihnen getroffen, schon zerfielen sie zu Staub. Eine Schattenkreatur nach der anderen fiel und das Tosen und Schlagen hinter den Toren verstummte.

Mit einem triumphierenden Lächeln drehte sich der Magier herum und sah den König an. „Bringt mir Eure Tochter am nächsten Vollmond. Komt allein. Und…wagt es nicht, mich zutäuschen!“, sagte er und mit den letzten Worten, die ein drohendes Knurren waren, verschwand er.
 

„Ihr habt was…?“, stiess Fortitudo entsetzt aus und schaute ihren Vater an, als hätte er den Verstand verloren. König Sapientia senkte den Kopf. Hatte die Hände um die Armlehnen gekrallt. „Ich habe deine jüngste Schwester einem Magier versprochen. Als Gegenleistung, dass er uns rettet!“

„Vater, was hat Euch geritten. Der Wahnsinn? Der Teufel? Wie könnt Ihr unsere Lumen einem Mann versprechen, der mit dunklen Mächten im Bunde ist?“, konterte Fortitudo fassungslos und der König hob hilflos die Hände. „Ich wusste nicht, was ich tat. Bis es zuspät war!“, gestand er. „Und wie gedenkt Ihr, es ihr beizubringen. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass Lumen sich freuen wird, zu einem Fremden gehen zu müssen!“, sagte sie. „Gar nicht!“

„Aber…!“

„Der Magier will deine Schwester am nächsten Vollmond. Genug Zeit um uns zu überlegen, was wir tun können!“

„Vater, bei allem Respekt. Wie wollt Ihr das bewerkstelligen? Selbst die Magier, die Euch dienten, konnten nichts gegen die Armee ausrichten. Wie sollten sie dann etwas gegen IHN ausrichten?“, erwiderte Fortitudo und der König machte ein niedergeschlagenes Gesicht. „Das ist mir bewusst. Wir…wir müssen uns was einfallen lassen!“, sagte er müde und massierte sich seine Schläfen. Fortitudo sah, dass es ihren Vater grämte, diesen fatalen Handel eingegangen zu sein und bereute, ihn so angeschrien zu haben. Aber als sie von diesem Handel zwischen ihrem Vater und dem Magier hörte, war ihr einfach der Kragen geplatzt. Sie liebte ihre Schwestern und fühlte sich für sie verantwortlich. Besonders für ihre kleine Schwester. Doch nun schien sie sie zuverlieren. Lange Zeit sagten sie nichts. Dachten nach, was sie tun konnten, um die Prinzessin zu schützen. Dann kam der ältesten Königstochter eine Idee. „Vater, hat dieser Magier Lumen schoneinmal gesehen hat. Weiss er wie sie aussieht?“, fragte sie. „Nein, ich glaube nicht!“

Prinzessin Fortitudo lächelte. „Dann weiss ich, was wir tun können!“
 

Der Vollmond stand hoch am Himmel und tauchte das Königreich in einen milchigen Schein. Es schien meilenweilt das Land zuerhellen. Bis auf die Bergkette, die sich jenseits des Königreiches und außerhalb davon erstreckte. Dunkel und drohend ragten sie in den Himmel hinauf, wie scharfe Zähne eines Monsters. Schienen das Licht zuverschlucken und Dunkelheit herrschte in den tiefen Schluchten, in denen der Tod lauerte.

Langsam und mit Fackeln in den Händen ritten der König und die Prinzessin durch die Schluchten. Die Prinzessin, gehüllt in einer dunklen Kutte und das Gesicht verborgen. Schatten, die in diesem Gebirge herrschten, schienen lebendig zu werden und die Gruppe zu beobachten. Als der König hinaufschaute, meinte er ein Flüstern zuhören. „Seht, der König kommt!“, flüsterten sie und ihre Stimmen hallten mehrfach von den Wänden wieder. „Ja, und die Prinzessin. Der Meister wird sich freuen!“

König Sapientia lief es kalt über den Rücken und er versuchte die begeisterten Stimmen zu irgnorieren. Er blickte zu seiner Tochter, die stumm neben ihm herritt. Und hoffte, dass dies wirklich eine gute Idee war. Nach langem Reiten brachten sie die Berge hinter sich und kamen in ein Ödland, über dem ein grauer Himmel lag. Knorige Bäume reckten ihre verkümmerten Äste hinauf und wirkten tot. Nichts gab es hier, was von Leben zeugte. Kein fließender Fluss. Kein Wind und kein Licht. Alles lag dunkel und finster vor ihnen.

Ein Reich der Finsterniss.

Der Boden war trocken und staubig.

Die auftretenen Hufe der Pferde wirbelten Wolken auf und das Schnauben und der Hufschlag schien das einzige Geräusch zusein. Oben am Himmel kreisten schwarze Vögel, ähnelten Raben und blickten mit dunklen, hungrigen Augen auf sie nieder. Krächzten dann und ihr Gekrächze ähnelte einem Freudenruf und dem Ankündigen des Königs und der Prinzessin. In der Ferne zeichneten sich scharfe Konturen eines Schlosses ab. Je näher sie kamen, desto deutlicher konnten sie es sehen. Und erschauderten. Das Schloss war aus schwarzem Stein erbaut. Die Zinnen und Türme ragten meilenweit hoch in den Himmel und schienen ihn mit ihren Spitzen zu durchbohren. Die Brüstungen und Zinnen waren verziert mit Wasserspeiern, die grässlich und furchterrgend hinaubschauten und die Besucher mit gefletschten Zähnen begrüssten.

Der König und seine Tochter hielten vor dem Gemäuer, dass mehr einem Mausoleum glich als einem Schloss. Er blickte zu seiner Tochter, die ihm stumm bedeutete, dass sie bereit war. Ergriff dann den Türklofer und mit gegen die massive Pforte. Ein tiefes, durchdringendes Dröhnen ließ die Mauern erzittern und mit einem lauten Knarren öffnete sich die Pforte. Dunkelheit herrschte darin die geöffnete Pforte glich dem Maul eines Monsters, das sie verschlingen würde.

Kälte schlug ihnen entgegen und alles in ihnen schrie danach, wegzureiten. Fort von diesem unheimlichen Ort. Der König blieb aber stehen und machte den ersten Schritt. Dabei nahm er seine Tochter an die Hand und betrat das Schloss. Kaum waren sie in die Halle eingetreten, schon fiel die Pforte zu und schloss sich mit einem ohrenbetäubenden Krachen. Blaue Fackeln entzündeten sich und erhellten die Halle in einem unheimlichen Licht. Eine große Treppe führte hinauf in eine Galerie, die sich inter Dunkelheit verirrte. Und auf dem obersten Treppenabsatz stand er. Der Magier, mit einem kalten Lächeln auf den Lippen. Vorher hatte er schon eine dunkle Ausstrahlung gehabt. Doch nun, wo er in seinem Schloss stand, wirkte er mächtiger als alles andere, was der König gesehen hatte.

Kalte Angst machte sich in ihm breit und ließ ihn zittern.

Er unterdrückte seine Furcht jedoch und schritt auf die Treppe zu. Blieb dann aber stehen und zeigte auf seine Tochter. „Wie Ihr wünschtet meine Tochter!“, sagte er. Der Magier sah auf die Prinzessin, die dastand und nichts sagte. Den Kopf gesenkt. Dunkle Begierde flammte in seinen Augen auf und ein Lächeln zuckte um seine Mundwinkel. „Ihr habt Euer Wort tatsächlich gehalten. Ich bin tief beeindruckt. Ich…!“, sagte er und stockte mittem im Satz. Sein Lächeln verschwand und in seinen Augen loderte das Feuer der Wut. „Was soll das? Wollt Ihr wirklich sterben!“, schrie er und eine Windboe peitschte durch den Raum. Riss den König und die Prinzessin beinahe von den Füssen. „Was…was meint Ihr?“, fragte der König und versuchte sich nichts anmerken zulassen. „Das!“, schrie der Magier zornig und machte eine wegwischende Handbewegung. Die Kapuze wurde der Prinzessin vom Kopf gerissen und langes rotschimmerndes Haar kam darunter zum Vorschein. Es war Prinzessin Fortitudo, die sich als ihre Schwester ausgegeben hatte. Der König, nun sichtlich entsetzt darüber, dass ihre List nicht gewirtk hatte, wich zurück und fiel dann auf die Knie. „Habt doch Verständniss! Ich kann doch nicht mein Eigenfleischundblut hergeben!“, flehte er. „Dann hättet Ihr nicht den Handel eingehen sollen! Ihr habt meine Hilfe angenommen. Haltet nun Euren Teil des Handels ein!“, schrie er. „Oder sterbt!“

Der Magier erhob seinen Arm und plötzlich waren sie da. Schatten!

Sie krochen auf sie zu, wie Schlangen. Nahmen tierische aber auch menschliche Gestalten an und sahen den König und seine Tochter aus schwarzen, bösen Augen an. Drohend und gierig auf das frische Fleisch, rotteten sie sich zusammen und blickten dann zu dem Magier. Als warteten sie auf Zeichen anzugreifen. „Nein. Niemals werde ich dir meine kleine Schwester überlassen, du Teufel!“, schrie Fortitudo ihm wütend entgegen und das Gesicht des Magiers verfinserte sich. Wurde zu einer Maske der Wut. „Dann sterbt!“

Da flogen die Türen auf und eine panische Stimme schrie:„ Nein!“
 

Der Schrei kam weder aus dem Mund des Königs, noch aus dem der Prinzessin Fortitudo. Sondern ein anderer hatte die Stimme erhoben und sie kam aus der Richtung der Pforte. Beide drehten sich um und in ihrenm Gesichtern spiegelte sich Entsetzten und Unglauben. In der Pforte, die sperrangelweit aufstand, stand mit zitternem Leib und angsterfüllten Augen Prinzessin Lumen. „Lumen, was…was machst du hier. Geh!“, rief ihr Vater, als er nach einer Weile des Schreckens wieder zu seiner Sprach gefunden hatte. Doch Lumen blieb wo sie war. „Nein, nicht wenn es Euren Tod bedeutet, Vater!“, wiedersprach sie und kam auf die beiden zu. Die Kreaturen wichen vor der Prinzessin zurück, blieben jedoch da und sahen sie misstraurisch an.

Lumen hagte zufällig und mit Schrecken mitangehört, welch verhängnissvollen Handel ihr Vater eingegangen war. Und als sie hörte, dass ihr Vater und ihre ältere Schwester vorhatten, den Magier hinters Licht zuführen, ahnte sie, dass das nicht gutgehen konnte. So sattelte sie, nachdem ihr Vater und ihre Schwester das Königreich verlassen hatten, ihr Pferd und war den beiden aus sicherer Entfernung nachgeritten.

Als sie vor dem Schloss stand, spürte sie die Angst in sich aufsteigen und fragte sich, ob es nicht besser wäre zurückzureiten. Aber als sie dann die zornigen Schreie des Magiers hörte und das pfeifen des Windes, der im Inneren tobte und die verzweifelten Schreie ihres Vaters und ihrer Schwester, vergass sie ihre eigene Furcht und stiess die Tore auf, die, das wunderte sie selber, sich ohne Schwierigkeiten öffnen ließen.

Nun stand sie in der Halle, vor ihrem Vater und ihrer Schwester. Schützend und mit flehenden Blicken darum bittend, sie zu verschonen. „Bitte. Lasst meinen Vater und meine Schwester leben. Sie wollten mich nur schützen. Nehmt mich. So wie es besprochen war!“

Der Magier, der auf der Treppe stand und mächtig und unbesiegbar aussah, blickte herblassend auf sie nieder. Seine Wut war noch nich verraucht und der Wunsch den König für seine arglistige Täuschung zubestrafen, war größer als der, die Prinzessin zu besitzen. „Was garantiert mir, dass Ihr mich nicht auch täuscht. Euer Vater hat es versucht und Ihr seid seine Tochter!“, knurrte er drohend. Lumen blickte zu ihm immernoch hoch, auch wenn sein Anblick furchteinflößend und auch anziehend zugleich war. Nie hatte sie solch einen schönen Mann gesehen. Aber auch nicht so einen bedrohlichen. Etwas Dunkles umgab ihn und der Blick, den er ihr zuwarf, war bohrend und voller Verachtung. Lumen schluckte und versuchte die Angst, die sie nun wieder ergriffen hatte, zuunterdrücken. Dennoch vermochte sie es nicht mehr ihn anzusehen. Seine eisigen Augen ließen sie zur Eis erstarren. Alles an ihm ließ sie erstarren, wie ein Reh, das einem Raubtier gegenübertsand. „Ich gebe Euch mein Wort. Sollte ich es jemals brechen, so…macht mit mir, was Ihr wollt. Aber…lasst meine Familie bitte am Leben!“, flehte sie und kniete sich vor der Treppe nieder. Vor dem Magier. Es war seine Macht, die er ausstrahlte und sein Groll, der sie in die Knie zwang. Sie fürchtete sich vor ihm, mehr als vor alles anderem. Dabei kannte sie ihn nicht.

„Lumen, nicht. Du weißt ja nicht, was du da tust!“, sagte ihr Vater. „Schwester. Bitte…!“, flehte ihre Schwester. Doch Lumen hörte nicht. Sondern wartete zitternd die Antwort des Magiers ab. Dieser sah sie an. Und nichts deutete daraufhin, was in seinem Kopf vorging. Dann aber lächelte er und lachte schließlich leise. „Sieh an, sieh an. Gerade die Prinzessin, die mir versprochen war und sich eigentlich mit Händen und Füssen wehren sollte, bittet mich, Ihre Familie zuverschonen!“, murmelte er. Sprach dann zum König und seine Stimme troff vor Hohn:„ Ihr könnt wirklich stolz auf Euer jüngstes Kind sein. Trotz dass sie so jung ist, versteht sie es, was es heisst eine Prinzessin zusein!“

Dann wandte er sich Prinzessin Lumen zu. „Also gut. Ich akzeptiere Eure Bedingung. Allerdings füge ich noch eine hinzu: Solltet Ihr es wagen oder gar mit dem Gedanken spielen mich zu hintergehen, so werdet Ihr Euch schneller in meinem Kerker finden, als Euch lieb ist!“

Lumen schluckte. Überlegte ob es wirklic klug war darauf einzugehen. Doch die Angst um ihren geliebten Vater und ihre Schwester war zugroß und sie wollte sie nicht verlieren. Also nickte sie. Es half nichts. Sie würde sich ihm und seiner Forderung fügen. Ob sie wollte, oder nicht.

„Einverstanden. Ich werde Euch und Eure Forderung akzeptieren, genauso wie Ihr die meine!“, gab sie leise von sich. „Dann soll es so sein!“, sagte der Magier und die Pforten schwangen laut auf. Entließen den König und seine älteste Tochter aus der Dunkelheit, in der der Magier der Herrscher war. Aber die Jüngste musste bleiben. Mit schwerem Herzen und der Gewissheit seinen Wildfang verloren zuhaben, umarmte er seine Tochter und hätte alles dafür gegeben, die Zeit zurückzudrehen und diesen Handel rückgängig zumachen. Aber nun nun war es zuspät und er musste den Preis zahlen. „Lumen, mein Kind. Bitte vergib mir!“, wimmerte er und drückte sein Kind an sich. Lumen sagte nichts, erwiederte bloss die Umarmung. „Mach dir keine Vorwürfe. Du hast nur getan, was getan werden muss!“, flüsterte sie. Es war kein Vorwurf. Sondern Trost, den sie da aussprach. Sie sah deutlich, wie es ihren Vater schmerzte und diesen Schmerz teilte sie. Sie würden sich niemals wieder sehen. Diese Erkenntniss durchbohrte ihr Herz wie tausend hauchfeine Nadeln gleichzeitig und sie spürte, wie die Tränen in ihren Augen brannten.

Fortitudo umarmte ihre Schwester ebenfalls und Lumens Schmerz wurde umso größer. Tapfer unterdrückte sie weiterhin die Tränen. Was jedoch schwer war. Da sie sich gewiss war, dass sie ihre Schwestern und ihren Vater niemals wieder sehen würde. Niemals mehr ihr Lachen. Niemals wieder mit ihnen am Tisch und in ihrem gemeinsamen Gemach Musik sitzen und den sanften Klängen von Cors Harfe lauschen. Das alles was Vergangenheit. Was vor ihr lag, war die Zukunft und die war, wie der Magier, dunkel und bedrohlich.

„Es reicht. Genug verabschiedet. Verlasst mein Schloss. Sie ist nun nicht mehr Eure Tochter, König Sapientia. Sondern Mein!“, verlangte der Magier und wieder hatte er dieses grausame Lächeln auf seinen Lippen. Der König und Prinzessin Fortitudo blickten zu ihm. Hass und Schmerz lag in ihren Blicken. Dann sahen sie ein letztes Mal Lumen an und hauchten ihr Abschiedsküsse auf die Wange. „Leb wohl, mein Kind!“, flüsterte der König.

„Ich werde dich in meine Gebete schließen, Schwester!“, sagte Fortitudo und gemeinsam duuchschritten sie das Tor, welches laut zufiel. Doch bevor es sich schloss, sah Fortitudo ein letztes Mal über ihre Schulter zu ihrer kleinen Schwester. Und deutlich sagten ihre Augen:

„ Lebe wohl!“

Ein neues Zuhause

Lumen stand einfach nur da und blickte zum Tor, deutlich als ein Zeichen, dass sie aus dem Licht gerissen und in der Finsterniss gefangen war. Nun konnte sie die Tränen nicht länger zurückhalten und schlug die Hände vors Gesicht, als die ersten Tränen über ihre Wangen rannen und sackte in die Knie. Lange Zeit blieb sie so auf dem Boden knieend und weinte.

Dann aber holte sie eine kalte und gleichgültige Stimme aus ihrer Trauer. „Kommt, ich werde Euch jetzt zeigen, wo Ihr nun schlafen werdet!“, sagte er und Lumen drehte sich um zu ihm. Sah ihn eine Weile voller Zorn an.

Wie konnte man nur so kaltherzig sein, dachte sie.

Sieht er denn nicht, wech Pein es ihr bereitet von ihrer Familie getrennt zusein?

Doch der Magier sah sie ihn, als sei sie ein lästiges Insekt. „Von mir aus, könnt Ihr noch ewig hier hocken und Euch die Augen ausheulen. Aber meine Kreaturen…!“, sagte er und blickte dabei zu den Wesen, die in der Dunkelheit kauerten und auf sie lauerten. Mehr brauchte er nicht zusagen. Denn die Drohhung wirkte auch so und Lumen sprang auf die Füsse. Als sie ihm nacheilte, die Treppe hinauf, glaubte sie ein enttäuschtes Schnauben zuhören.

Das Schloss sah schon von außen groß und gewaltig aus und man hätte meinen können, dass es auch innerlich imposant war. Wie das eines Königs. Aber die Dunkelheit erstickte diesen Eindruck, sodass es einer Gruft gleicht. Kalt und tot.

Sie durchschritten einen langen Gang, der ausgelegt mit einem ziemlich abgewetzten Läufer war, der einst die Farbe rot gehabt haben musste, nun aber mehr grau wirkte. Die Wände hoch und die Decke gewölbt, wie bei einer Kirche. Diese wurde von dicken, aus schwarzem Stein behauenen Säulen gestützt und bis zum Boden reichende Vorhänge hingen hinunter. Doch egal wohin sie auch hinschaute. Es gab weder Fenster, noch etwas anderes, was Licht geben konnte. Nur wenige Fackeln brannten und spendeten dennoch nicht genug Licht. Dafür gab es Finsterniss. Links, rechts, Oben, unten. Vor und hinter ihnen. Sie nwaren von ihr vollkommen umzingelt und wieder glaubte Lumen in dieser Finsterniss diese Kreaturen zusehen. Sie schrack zurück, als sie ein Knurren zuhören glaubte und sah zum Magier. Dabei sah sie, wie weit er schon gelaufer war und wie weit sie zurücklag. Schnell rannte sie ihm nach und wäre fast mit ihm zusammengestossen.

Dem Magier entging es nicht, dass sie sich fürchtete.

„Solange du nicht trödelst, werden sie dich nicht bekommen!“, sagte er gleichgültig und Lumen unterdrückte eine scharfe Antwort. Versuchte ihre Beherrschung zubehalten und ging weiter. Irgendwann, die ganze Zeit über hatte er geschwiegen und je länger das Schweigen andauerende desto mehr meinte sie, die Schatten atmen zuhören. Sie konnte es nicht mehr ertragen.

„Fragt ihr Euch denn nicht, warum ich Euch wollte?“, fragte der Magier sie dann und sie wusste nicht was schlimmer war. Die gespenstische beinahe Totenstille oder seine Stimme, die scharf wie ein Schwert und kalt wie Eis war. Lumen blickte kurz zu ihm hoch, senkte dann aber wieder den Blick. Sie hatte es sich gefragt, es aber nicht gewagt auszusprechen.

Lumen biss sich auf die Unterlippe. Aber sie konnte diesen gedanken nicht ganz abschütteln. Eigentlich hatte er Recht, sagte sie sich. Er hätte sich auch eine meiner älteren Geschwister nehmen können. Also warum gerade ich?

Doch Lumen wollte nicht weiter so denken. Sie war froh, dass ihrem Vater und ihrer Schwester kein Lied zugefügt wurde. Stattdessen versuchte sie die Gier des Magiers zu verabscheuen. Und seine Kaltherzigkeit. „Nein. Lieber ich, als sie. Ich will auch nicht wissen, was Ihr mit mir vorhabt!“, kam es leise von ihr. „Da ich es mir vorstellen kann!“

Der Magier blieb stehen, drehte sich zu ihr herum. Sah sie an und lange ruhte sein Blick auf ihr. Ob er sie wirklich ernst nahm oder sich im Stillen über ihrer Furcht ergötzte, vermochte sie nicht zusagen.

„Könnt Ihr das?“, fragte er dann. Lumen zog den Kopf zwischen die Schultern. Tausend schreckliche und abscheuliche Dinge, die er mit ihr vorhaben könnte, spukten ihr durch den Kopf und sie schauderte. Sie nickte, weil sie es nicht aussprechen konnte. Der Magier nahm dies als Antwort und er schnaufte abfällig. Dann wandte er sich ab und ging weiter. Murmelte etwas, was sie nicht verstand. Lumen folgte ihm. Laut sagte er. „Keine Angst. Ich werde Euch nicht anrühren. Ich mag zwar ein dunkler Magier sein, aber ich bin kein Scheusal. Ihr seid mein Gast. Aber meine Forderung gildet nach wie vor!“, erklärte er. Lumen konnte nicht sagen, ob sie darüber froh sein sollte oder nicht. Die Forderung, die die Freilassung ihres Vaters und ihrer Schwester ermöglichte, war mehr eine Drohung und sie halte ihr immer wieder in ihrem Kopf wieder.

„Solltet Ihr es wagen oder gar mit dem Gedanken spielen mich zu hintergehen, so werdet Ihr Euch schneller in meinem Kerker finden, als Euch lieb ist!“

Wie könnte sie ihn hintergehen?

Er war ein Magier. Beherrschte dunkle Künste, die sie nur in ihren Alpträumen sehen würde und sie nur eine Prinzessin. Nicht in der Lage sich gegen ihn zuwehren.

Also was hatte er sich dabei gedacht, diese Forderung zustellen?

„Wie ist überhaupt Euer Name?“, fragte sie, um ihre ängstlichen Gedanken zu verdrängen. „Mein Name ist Tenebrae!“

Tenebrae, ein wirklich seltsamer und auch furchteinflössender Name, dachte sie und schauderte wieder. Tenebrae, das bedeutet übersetzt Finsterniss. Also ist auch sein Name finster. Wie alles hier um und an ihm.

Lumen versuchte ihre wachsende Furcht zu unterdrücken. Da prallte sie gegen ihn, als er stehen blieb und wich zurück, als er ihr einen erbosten Blick zuwarf. „Verzeiht!“, murmelte sie und senkte darauf den Kopf. Tenebrae sah sie einen kurzen Moment, dann drehte er sich um. „Wir sind da!“, sagte er dann und Lumen schaute auf. Sie standen vor einer Tür aus dunklem Holz und mit Eisen beschlagen. Sie wirkte massiv. Wie eine Kerkertür. Lumen blickte ihn an und deutlich sagte ihr Blick: Wollt Ihr mich doch noch in ein Verließ einsperren?“

Doch der Magier ignorierte ihren Blick, legte die Hand um den Türknauf, drehte und öffnete damit die Tür. Das Zimmer dahinter war prunkvoll eingerichtet, wie es für eine Prinzessin würdig sein kann. Ein großes Himmelbett mit frischbezogenen Laken, lud förmlich dazu ein, sich darin niederzulegen. Der Boden war mit weichen Teppischen ausgelegt. Ein kleiner Kamin war gegenüber des Bettes in der Wand, in dem ein kleines Feuer prasselte. Zwar war es nicht sonderlich hell, aber jedoch hell genug, um die Finsterniss von und aus ihrem Zimmer fernzuhalten.

Davor ein kleiner Tisch mit zwei Sesseln, mit weichem Polstern. Ein hoher Schrank, der fast die ganze Wand links von ihnen einnahm und auf der gegenüberliegenden Seite der Tür ein Schreibtisch, ebenso aus Dunklen und hartem Holz, wie die anderen Möbel. Und an einem der drei Fenster stehend. Lumen verschlug es die Sprache. Sie hatte schon geglaubt, dass sie hier keine Fenster sehen würde. Das in ihrem Zimmer aber welche, erleichterte sie ungemein. Tenebrae sah dies und wies mit der Hand, ihr neues Gemach einzutreten. Lumen folgte und betrat das Zimmer. Sie blickte hoch an die Decke, die weissbläulich war und mit goldenen Verzierungen geschmückt war. Ein Kronleuchter, ohne Kerzen allerdings hing hinunter. Nach dem sie ihr Gemach bestaunt und bewundert hatte, drehte sie sich zu Tenebrae, der sie nur anschaute. Ihrer verblüfften Miene konnte er ihr deutlich ansehen, dass sie dies verwunderte und ein zynisches Lächeln umspielte seine Lippen. „Dachtet Ihr, ich würde Euch in eine schäbige Kammer bringen?“, höhnte er und Lumen konnte darauf nichts sagen. Um ehrlich zusein, hatte sie das wirklich gedacht. Mochte sie sein Gast sein oder nicht. Jemand, der in der Finsterniss lebt, sogar nach ihr benannt wurde, kann doch nur sowas vorhaben. Aber offensichtlich hatte sie sich geirrt. „Nun…!“, begann sie, sagte aber dann nichts mehr, dass das Lächeln im Gesicht Tenebraes breiter wurde, dann aber erlosch und bitterer Enttäuschung wich. Doch statt darauf etwas zuerwiedern, sagte er er nur:„ Falls Ihr einen Wunsch habt, ruft, und meine Diener werden Euch zudiensten sein!“

Damit schloss er die Tür hinter sich und ließ sie allein.
 

*
 

Lumen hatte erneut zuweinen begonnen. Es war einfach über sie gekommen. Zwar war sie nicht in einem Verließ. Hatte ein Gemach, dass unter anderen Umständen einladend war. Aber was nutzte all die ganzen edlen Möbel, wenn sie dennoch eine Gefangene war. Und niemals wieder ihre Familie sehen konnte. Ihre geliebten Schwestern und ihren Vater.

Sie vermisste sie jetzt schon. Wobei sie nicht mal länger als einen Tag hier war. Wie sollte das denn weitergehen, wenn sie länger hierblieb. Für immer?

Schon allein der Gedanken daran ließ ihr Herz schwer werden und neue Tränen in ihre Augen steigen. Schluchzend wischte sie sich diese von den Wangen. „Was sol nur aus mir werden?“, wimmerte sie leise.

Ein leises Klacken, als die Tür sich öffnete und wieder schloss war zu hören und ließ sie aufschauen. Doch statt den Magier in ihrem Gemach zusehen, stand dort ein kleines Männchen. Es war in grauen Lumpen gekleidet, hatte eine lange spitze Nase, Ohren wie ein Hut und eine Haut, als würdes sie einem alten Mann gehören. Große, grüne Augen sahen die Prinzessin neugierig, aber auch mitfühlend an. „Warum Ihr weinen?“, fragte es. Seine Stimme war krächzend, piepsig eigentlich, aber nicht so schlimm, wie das der unheimlichen Vögel, die dort draußen ihre Kreise zogen. Lumen richtete sich auf und versuchte gefasst zu wirken. „Ach, ich…ich bin einfach nur wütend!“, versuchte sie zu erklären. Doch sie konnte dem kleinen Kerl nichts vormachen. „Wütend? Warum?“, fragte es wieder und trat näher an sie heran. Trotz des es ein wenig unheimlich aussah, hatte Lumen vor ihm keine Angst. Irgendwie wirkte es so, als würde dieses Kerlchen der einzige Freund sein, den sie hier haben würde. „Mein…mein Vater hat mich diesem Magier als Gegenlesitung gegeben und ich weiss nicht, was nun!“, sagte sie zittrig. „Hm, nicht wütend das klingt!“, murmelte das Kerlchen. Dann aber grinste es. „Aber keine Angst Ihr haben müsst. Euch nichts passieren wird. Verspreche ich Euch das!“

Lumen lächelte. „Heisst du?“

„Comitas. Doch Comi du mich nennen kannst!“, grinste das Kerlchen. „Und jetzt Ihr Hunger haben?“

„Ja, ein wenig!“, gab Lumen zu, als wie auf ein Stichwort, ihr Magen knurrte. Comitas eilte zu ihr, ergriff ihre Hand und zog sie mit sich. „Dann mitkommen!“
 

Comitas zog Lumen bei der Hand durch die Gänge. Führte sie sicher durch das Schloss, als wäre das dasseine und beachtete nicht die Schatten, die immernoch auf sie lauerten. Wagte es einer von ihnen, sich ihnen zu nähern, schimpfte Comitas und schnippte mit den Fingern. Blaue Blitze zuckten auf und vertrieben die Schatten. Lumen hob bewundert und auch erstaunt die Brauen. „Du kannst sie zurückhalten?“

Comitas lächelte stolz. „Natürlich. Ich schon lange hier und diese Schatten mir keine Angst machen!“, erklärte er. Immerhin einem, dachte sie und ging mit ihm weiter. Die Küche befand sich im Erdgeschoss und in dieser huschten Wesen, ähnlich wie Comitas. Doch diese nahmen von ihr keine Notiz, sondern eilten hinundher. Rührten in Kochtöpfen, in denen es brodelte, schnippelten Gemüse und schoben rohes Brot in den Ofen. Andere waschten das dreckige Geschirr ab.

Comitas führte sie zu einem Tisch, der zum Speisen diente und bat sie platz zu nehmen. Dann wandte er sich an die anderen und pfiff. Sofort blieben sie stehen und blickten sie an. „Prinzessin Lumen das ist. Sie Hunger haben. Also, kochen wir was müssen!“, sagte er und schon machte er und die anderen sich daran, was für sie zu zubereiten. Nach wenigen Minuten hatte Lumen schon eine dampfende und wohlriechende Suppe vor sich und ein Stück Brot. „Guten Appetitt ich Euch wünsche!“, sagte Comitas und gesellte sich zu den anderen. Kochte mit ihnen. Lumen sah dem geschäftigen Treiben eine Weile zu, dann begann sie die Suppe zuessen und biss ins Brot. Es schmeckte wunderbar und die Wärme in ihrem Bauch tat gut. Vermochte es sogar, das schmerzliche Gefühl des Heimwehs zuverdrängen.

Gesättigt und zufrieden lehnte sie sich zurück und dankte den ämsigen Kerlen und besonders Comitas für das leckere Essen. „Befehl mein Euer Wunsch mir ist!“, sagte er und verbeugte sich.

Danach führte er sie wieder in ihr Gemach und entfhelte sich. Als die Tür hinter ihm zufiel, fühlte sie sich wieder allein. Einige Minuten blieb sie so datstehehen. Aber dann ging sie zur Tür, riss sie auf und reif nach Comitas. Doch er war nicht mehr da und so schloss sie niedergeschlagen die Türe wieder. Comitas war ihr als einziger nicht unheimlich und sie vermisste ihn jetzt schon. Dabei war er nicht solange weg und war noch vor wenigen Minuten bei ihr gewesen. Hatte sich mit ihr unterhalten und sie etwas aufgeheitert. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte das niemals ein Ende gefunden. Lachen und seine freundliche Gesellschaft. Nun aber war sie wieder allein und sie fühlte sich wieder einmal allein.

Mit einem schweren Seufzer setzte sie sich an den Schreibtisch und schaute aus dem Fenster.

Lange blieb sie so sitzen. Sah zu wie der Himmel, der ohnehin schon dunkel war, sich verfinsterte, bis er pechschwarz war.
 

Tenebrae schritt den Gang zurück, den er mit der Prinzessin gegangen war. Nun hatte er, was er wollte. Die Tochter des Königs. Er konnte mit sich zufrieden sein. Sicherlich trauerte der König schon um sie. Dabei lebt sie und hat ein Gemach, dass ihr nur gerecht ist. Ihr würde nichts fehlen. Nicht solange sie sich an seine Bedingung hielt.

Er betrat sein Zimmer und setzte sich in den Sessel. Während das von Lumen einigermassen mit Licht erhellt war, herrschte in diesem, wie in dem gesamten Schloss, absoulute Dunkelheit. Die einzigen Möbelstückte, die im Raum standen waren ein Sessel vor einem riesigen Kamin, daneben einen kleinen Tisch. Darauf standen ein Weinglas aus Kristall und eine Karaffe, gefüllt mit Rotwein und an den Wänden standen Schränke, die bis zur Decke reichten. Vollgestopft mit dicken und dünnen Büchern und Schriftrollen, jeden Alters.

Ein Bett gab es zwar. Schlaf brauchte aber der Magier kaum. Ihm reichte der Sessel um zu ruhen. In diesen ließ er sich nieder und goss sich etwas von dem Wein in das Gas. Nippte darin und schaute in das Feuer, das im Kamin loderte und beobachtete, wie die blauen Flammen hoch züngelten. Lange Zeit blickte er hin und war in Gedanken versunken. Dachte nach, was nun sein würde. Ob sich was ändern würde. Jetzt wo er die Prinzessin in seiner Gewalt hatte. Da holte ihn eine weibliche Stimme aus diesen und klang enttäuscht. „Ich dachte, Ihr wolltet das Reich des Königs Sapientia vernischten. Bis auf die Grundmauern. Aber stattdessen habt Ihr die Wesen vernischtet, die ich heraufbeschworen habe!“

Tenebrae hob nicht den Blick und lächelte eisig. „Ich habe niemals gesagt, dass ich das Reich zerstören wollte. Ich wollte dem König nur einen schwerem Schlag versetzen und das ging am besten, in dem ich das nehme, was er am meisten liebte!“, erklärte er. „Er liebte alle drei seiner Töchter. Warum habt Ihr Euch dann für die eine entschieden?“, fragte die Stimme ihn wieder und der Magier hielt inne, als er aus seinem Glas trinken wollte. Kurz fragte er sich das selbst. Doch dann lächelte er. „Sie ist hübsch. Und noch jung. Die anderen beiden, vorallem die mittlere hat sich schon verliebt und die ältere scheint mir nicht die Frau zusein, die sich was sagen lässt!“, erklärte er kühl.

Die Stimme schnaubte. Enttäuschung und auch etwas wie Frust schwang darin mit. Dann aber fragte sie und versuchte dabei gleichgültig zuklingen. „Und was gedenkt Ihr mit ihr anzustellen?“

Tenebrae, der deutlich hören konnte, dass die Gestalt, der die Stimme gehörte, nicht begeistert über seinen Plan war und sicherlich die Prinzessin nun als eine Art Konkurrenz sehen würde. Was vollkommer Unsinn war. Er hegte keinerlei Begierde gegenüber dem jungen Mädchen.

„Das hat dich nicht zu kümmern, Fallacia!“, sagte er kalt und blickte hoch zu Decke, die in Dunkelheit lag und er dennoch die Silloutte einer Frau sehen konnte. Fallacia schaute zu ihm hinunter und wollte noch etwas sagen. Doch sie hielt es viel klüger, zu schweigen und zog sich zurück. Tenebrae ließ sich etwas tiefer in den Sessel gleiten und nahm wieder sein Glas in die Hand. Hielt es vor sich, sodass die blauen Flammen den Wein, der dunkelrot war, lila schimmern ließ und dachte nun selber darüber nach, was er vorhin gesagt hat. Irgendwie erschien es seltsamerweise falsch. Als hätte er sich eben gerade selber belogen. „Ich habe sie nur hierhergeholt, damit weiss, wie es ist, etwas zuverliren, was man liebt!“, murmelte er vor sich hin und trank dann das Glas aus.
 

In der Ferne war ein Donnergrollen zuhören. Lumen hatte nur aus dem Fenster geschaut, so wie sie es damals bei ihrem Vater getan hatte, wenn sie sich langweilte oder niedergeschlagen war. Hatte gesehen wie sich langsam alles verdunkelte. Und ihre Stimmung, die durch Comitas Freundlichkeit etwas fröhlicher war, schlug in Niedergeschlagenheit um. Schon jetzt drückte dieser dunkle Himmel ihr aufs Gemüt. Am Anfang hatte sie törichterweise gehofft einen Fluss zu entdecken. Aber da war nichts. Nur eine ausgetrocknete Wüste. Was für ein schrecklicher Gegensatz zu dem blühenden Reich ihres Vaters. Tränen brannten wieder in ihren Augen, als sie an die prächtigen Gärten und blühenden Büschen verschiedenster Blumen dachte. An den strahlendblauen Himmel, der sich über das Schloss ihres Vaters spannte und die Sonne ihre warmen Sonnenstrahlen hinab sandte.

Das Schloss!

Wie sehr sie es vermisste. Jetzt wo sie in diesem unheimlichen Gemäuer eingesperrt ist und es keinen einzigen Lichtfunken gab, wusste sie nun die weiten Gänge und die großen Räume, die sie einst einzuengen schienen, zuschätzen. Erst jetzt. Sogar den Unterricht, der sie langweilte. Alles, was sie einst im Schloss ihres Vaters hatte, was sie nicht geliebt hatte, vermisste sie nun. Wie verrückt das doch alles ist, dachte sie und schlug die Hände vor das Gesicht. Kämpfte wieder gegen die Tränen.

Da hörte sie ein leises Klopfen und als sie „Herein!“, sagte, kam Comitas herein. Augenblicklich musste sie lächeln. Sie freute sich ihn zusehen. Seit sie in der Küche etwas zuessen bekommen hatte, hatte sie ihn nicht gesehen. Comitas verneigte sich. „Prinzessin!“, sagte er nur und etwas in seiner Stimem ließ sie etwas Böses ahnen. „Was…was gibt es?“, fragte sie beunruhigt und stand von ihrem Stuhl auf. „Der Herr Euch zusehen wünscht. Er mit Euch speisen will!“, sagte er. Lumen runzelte die Stirn. „Aber ich habe doch schon gegessen!“

Comitas nickte. Wirkte aber betreten. „ Ich wissen. Bitte…trotzdem. Gehen zu ihm Ihr müsst. Essen müssen Ihr nicht!“, bat er sie, lächelte sie schwach an. Doch seine Augen sahen sie flehend an. Lumen merkte, wie sich ihr Hals zusammen zog. Dass sie schon satt war, war nur ein Vorwand. Sie würde den Teufel tun und mit diesem Magier speisen. Womöglich war er ja der Teufel und dass er mit ihr speisen wollte, konnte womöglich eine Fale sein um…

Lumen wagte es nicht, weiter darüber nachzudenken. „Tut mir leid, Comitas. Aber ich kann nicht!“, sagte sie und schaute wieder aus dem Fenster. Der Himmel war noch schwärzer als vorher und sie schauderte als sie sich vorstellte, was da für Schrecken dadraußen hausten. Schnell wandte sie den Blick ab. Vor der Dunkelheit da draußen fürchtete sie sich genauso, wie vor ihm. Comitas sah sie einen Monment noch an, dann nickte er. „Ich es ihm sagen!“, sagte er und war auch schon wieder weg.

Tenebrae wartete schon ungeduldig auf seinen kleinen Diener und als dieser in das Zimmer trat, hob er den Kopf und sah ihn mit eisigen Augen an. „Und?“, fragte er nur und Comitas wirkte mehr als nur eingeschüchtert. Nervös trat er von einem Fuss auf den anderen. „Sie nicht kommen will!“, sagte er und senkte den Blick. Tenebrae sah ihn einen kurzen Moment an, dann schnaubte er und schute in die dunklen Flammen, die im Kamin züngelten. Überrascht war er nicht. Er hatte sich schon gedacht, dass die Prinzessin nicht seinem Wunsch nachkommen würde. „Hat sie denn schon was gegessen?“, fragte er und Comitas nickte.

Dann schwieg er. Schien nachzudenken. Irgendwie ließ ihn das nich los. Es sollte ihm eigentlich egal sein, dass sie nicht mit ihm speisen wollte. Aber irgendwie nagte es an ihm.

„Hat sie gesagt, warum sie nicht kommen will?“

Comitas, erst etwas erstaunt darüber, dass sein Herr diese Frage stellte, öffnete den Mund, um zu antworten, doch da mischte sich eine andere Stimme ein. „Na warum wohl. Sie fürchtet sich vor Euch. Und irgendwie, widert Ihr sie an. Ich frage mich warum?“, höhnte sie und Tenebraes Gesicht wurde finster. „Du nimmst dir zuviel heraus, Fallacia!“, knurrte er und blickte hoch an die Decke, wo eine Frau, wie eine Spinne, an dieser klebte und auf ihn hinunterblickte. Sie hatte eine blasse Haut, fernöstliche Gesichtszüge und schwarzes Haar. Man hätte sie auch als schön bezeichnet, wären da nicht ihre Augen gewesen. Sie waren schwarz und in ihnen lag ein Ausdruck des Bösen. Böse war auch ihr Lächeln, dass sie ihrem Herren zuwarf. „Wenn es doch so ist. Ich habe es gesehen. Sie ekelt sich sich davor, mit Euch an einem Tisch zusitzen. Dengleichen Wein zutrinken und dasselbe Fleisch zuessen!“, stichelte sie weiter und krabbelte an der Decke näher zu ihm. Tenebrae reichte es. Wütend schlug er mit der Faust auf die hölzerne Lehne seines Stuhles und er schaute voller Zorn zu ihr hinauf. Keiner seiner Diener, nichtmal die, die ihm am treusten waren, durften so mit ihm sprechen. Er war hier der Herr. Sie nur die Dienerin.

„Es reicht, Fallacia. Hüte deine scharfe Zunge, oder ich reisse sie dir raus!“, drohte er und seine Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Fallacia duckte sich, wie als würde man auf sie einprügeln wollen und senkte demütig den Kopf. „Vergebt mir, Herr. Ich wusste nicht, was ich sagte!“

Tenebrae sah sie noch eine Weile zu ihr hoch. Dann winkte er ab. „Ausnahmsweise werde ich das. Solltest du dich aber nochmals erdreisten, solches unverschämtesn Zeug von dir zugeben, werde ich nicht mehr so gnädig sein!“, sagte er kühl und verließ den Raum. Comitas fogte ihm. Nicht jedoch ohne der Dienerin an der Decke einen triumphierenden Blick hochzuwerfen und ihr die Zunge rauszustrecken. Fallacia zischte böse und verschwand auch.
 

Lumen verließ ihr Zimmer nie. Wohin sollte sie auch gehen. Draußen warteten die Schatten auf sie und würden es sich nicht nehmen lassen, sich auf sie zu stürzen, sobald sie ihr Zimmer verließ. Also blieb sie in den sicheren vier Wänden, die nicht mit Dunkelheit erfüllt waren und sie immerhin etwas abhalten, noch mehr in ein tiefes dunkles Loch zufallen, dass das Heimweh, die Finsterniss und die Grausamkeit des Magiers in sie gerissen hatten. Aber selbst die Flammen, lebendig und warm waren und auch Comitas Besuche, die sie immer freudig stimmten, vermochten es nicht, dieses auszufüllen und zuheilen. Die meiste Zeit saß sie entweder am Schreibtisch, am Fenster, schaute hinaus, auch wenn sie wusste, das es nicht besser wurde oder saß in einem kleinen Sessel vor dem Kamin und blickte die Flammen. Dachte nach. Fragte sich immer wieder, was er mit ihr vorhaben könnte und verdrängte sie wieder. Dann dachte sie an ihre Familie. Wiesooft und der Schmerz, das Heimweh wurden schlimmer. Zerfrass sie förmlich und mehr als einmal, flossen ihr wieder die Tränen über die Wangen. Comitas brachte ihr das Essen. Frühstück. Mittag-und Abendessen. Oft bat sie ihn, mit ihr zuessen. Teilte ihre Speisen mit ihm. Zuerst und als sie zwei-dreimal darum bat, mit ihm zuessen, hatte er sich noch dagegen gesträubt. „Es mir nicht zustehen, mit Euch zuessen!“, hatte er gesagt und die Hände gehoben. Doch Lumen bestand darauf. „Es steh dir zu. Ich erlaube es dir. Und wenn dein Herr etwas dagegen sagt, sage ich einfach, ich habe es dir befohlen!“, hatte sie darauf geantwortet und ihm ein Stück Brot in die kleine Hand gedrückt. Ob sie es wirklich so entschlossen sagen konnte, wusste sie nicht. Sicherlich würde sie wieder kein Wort über die Lippen bringen, wenn er sie wirklich darauf ansprach und sie in diese eisigen Augen blicken musste. Aber solange es noch nicht soweit war, sollten sie es wagen. So verging die Zeit. Doch Zeit hatte für Lumen ihre Bedeutung verloren. Sie konnte nicht mehr sagen, wielange sie hier war. Am Anfang hatte sie noch das Frühstück gezählt, dass Comitas ihr brachte, doch irgendwann hatte sie aufgehört. Es spielte sowieso keine Rolle, wielange sie schon hier war. Sondern wielange sie noch hierbleiben würde. Tag für Tag eingesperrt in diesem goldenen Käfig, der sie immer mehr einengte.

Lumen schüttelte sich bei diesem Gedanken. Und sehnte sich zurück, in ihr altes Leben.

Eines Tages kam Comitas und er wirkte sehr bedrückt. Lumen ahnte schlimmes und eilte zu ihrem kleinen Freund. „Was ist, Comitas?“, fragte sie und kniete sich vor ihm. Comitas senkte den Kopf, dann sah er sie wieder an und nahm ihre Hand. „Bitte, geht zum Herrn heute Abend. Er mit Euch essen möchte!“, bat er sie und Lumen zog ihre Hand zurück. Nach solanger Zeit hatte sie gehofft, dass er oder auch sein Herr sie niemals wieder darum bitten würde. Das er es jedoch wieder tat oder auch beide, ließ die alte Furcht, die sie so gut es ging unterdrückt hatte, wieder hochsteigen. „Nein, Comitas. Ich kann…!“, wollte sie sagen, doch Comitas Blick wurde noch flehender, dass ihr das Herz fast brach und er ergriff wieder ihre Hand. „Bitte…ich Euch bitte!“, flehte er und Lumen vermochte es nicht, sich gegen seine flehenden Worte zu wiedersetzen. Tief holte sie Luft, nahm ihren Mut zusammen und nickte. „Also gut. Ich werde mit deinem Herren essen!“, sagte sie und Comitas seufzte erleichtert auf. „Danke!“, sagte er nur und führte sie in den Speisesaal.
 

Dieser war groß und jedoch wenig eingerichtet. Wandteppische, die abgenutzt und sehr alt aussahen und auf denen unheimliche Kreaturen dargestellt waren und Schlachten, Gut gegen Böse, hingen an den Wänden. Zitterten als ein Lufthauch sie streifte und in der Dunkelheit wirkten sie lebendig. Lumen wandte sich von diesen unheimlichen Bildnissen ab und sah sich weiter um. Außer der Tafel und den Stühlen war nichts im Raum. Die Vorhänge zerrissen. Wie die anderen Zimmer, hatte auch dieses einen Kamin. Lumen fragte sich, ob das nicht eine Vorliebe Tenebraes war. Jedoch brannte darin kein Feuer. Lumen blickte zu Comitas. Dieser bedeutete ihr nur weiterzugehen und sich an die Tafel zusetzen, dire cihgedeckt war mit Wein, Obst und gekochtem Fleisch und Gemüse. Ein köstlicher Duft erfüllte den düsteren Raum. Doch so lockend er auch war, Lumen vermochte es nicht sich zusetzen. „Prinzessin. Bitte. Tut was der Magier von Euch wünscht!“, bat er sie, fast so als liege ihm wirklich etwas an dem Wunsch seines Herren. Lumen sah ihn nur an, wollte sagen, dass sie nicht wollte. Aber sie gehorchte und setzte sich auf den Platz, den ihr Comitas zuwies. Kaum das sie saß, flammte das Feuer im Kamin auf und Lumen erschrack. Anders als das Feuer, das im Kamin ihres Zimmers brannte, war dieses dunkel und finster. Die Flammen waren blaulila und erfüllten den Raum mit eisiger Kälte.

Es war das Feuer der Dunkelheit.

Lumen schauderte.

Wenn es doch nur Licht geben würde, dachte sie. Richtiges Licht, dass diese Dunkelheit vertreibt!

„Hier wird es niemals Licht geben. Zumindest nicht das, was Ihr Euch wünscht!“, hörte sie plötzlich eine kalte Stimme sagen und Lumen zuckte zusammen. Am Kopfende ihr gegenüber konnte sie die Gestalt des Magiers ausmachen. Er hob sich nur schwach von der Dunkelheit um ihn herum ab und würde sie den Schein der Flammen nicht in seinen Augen sehen, die wie kaltes Sternenlicht glühten, hätte sie ihn nicht gesehen.

Ihr Körper versteifte sich und sie hielt den Atem an. In der Dunkelheit, die sein Zuhause war, war er noch bedrohlicher und furchterregender.

„Warum nicht? Ist es Euch so zuwider?“, fragte sie und senkte den Blick. Sie konnte das kalte Leuchten seiner Augen nicht ertragen. Für einen kurzen Moment schwieg der Magier, ehe er kalt sagte:„ Ich habe meine Gründe. Mehr braucht Ihr nicht zuwissen!“

Lumen schluckte. Seine Stimme war so endgültig und schneidend, dass ihre nächsten Fragen im Halse stecken blieben. Mehr braucht Ihr nicht zuwissen!

„Wollt Ihr nichts essen? Habt Ihr keinen Appetitt?“, sagte er und machte eine Handbewegung zu dem Essen, welches vor ihnen aufgetischt war. Lumen blickte zu den Speisen. Es duftete verlockend und diese Speisen sahen wirklich köstlich aus. Doch Lumen hatte keinen Hunger. Dass er ihr gegenüber saß und sie mit diesen kalten Augen anblickte, ließ ihr alles vergehen. So stocherte sie nur in dem Essen, welches einer der kleinen Kerle auf Tenebraes Befehl ihr dennoch aufgetragen hatte, herum und schaute teilnahmslos vor sich hin. Sie fragte sich augenblicklich, was nun ihr Vater und ihre Schwestern taten. Ob sie auch an der Tafel saßen und miteinander speisten, oder trauerten sie um sie. Immerhin mussten Wcohen, vielleicht sogar Montae vergangen sein, in denen sie nicht von ihr gehört hatten und nun das schlimmste befürchteten.

Lumen durchfuhr es dabei kalt und sie versuchte auf andere Gedanken zu kommen. Doch auf welche. Alles Gedanken, die in ihrem Kopf waren, drehten sich entweder um ihre Familie oder um ihre ungewisse Zukunft, die sie hier erwartete. Noch lange blickte sie auf ihr Essen, das immernoch keinen Hunger in ihr auslöste. Dann aber hob sie den Kopf. Das Schweigen, welches zwischen ihnen war, war unerträglich. „Warum habt Ihr mich gewählt?“, fragte sie. Einfach so. Zuerst hatte sie es sich überlegt, ob sie ihn das fragen wollte. Aber der Gedanke daran, dass sie weiterhin in Unwissenheit bleiben und er vielleicht doch etwas Böses mit ihr vorhatte, ließen sie nicht los. Sie wollte es wissen. Sie wollte es von ihm hören!

Tenebrae sah sie kurz mit einem Ausdruck an, als würde er wahrhaftig darüber nachdenken müssen und sein schweigen verheisste ihr nichts Gutes. Dann nahm er sich einen Apfel und biss hinein. Blickte dabei zu der Prinzessin und das Geräusch, als er ein Stück Apfel hinausbiss schien lauter, als das Knistern der Flammen im Kamin zu sein. Lumen rutschte nervös und unruhig auf ihrem Stuhl hinundher. Egal was er machte, egal wie er sie ansah. Sie hatte immer das Gefühl, als würde sie einem wildem Tier gegenüberstehen, das sie im nächsten Moment angreift. Als er den Bissen hinuntergeschluckt hatte, sah er sie weiterhin forschend an. „Ich dachte, es sei Euch allerlei?“, bemerkte er und nahm nun sein Weinglas, hob es an die Lippe und nahm einen kleinen Schluck. „Nein. Ist es nicht. Ich…bitte sagt mir, was war Grund, mich zuwollen!“, kam es stockend von ihr und sie rang nervös die Hände.

Tenebrae schaute sie noch eine Weile an, dann schien er irgendeinen Punkt über ihr zu fixieren. Dann als er sie wieder ansah, sein Gesicht blieb, wie es war.

„Ist das so wichtig?“, kam es dann von ihm.

Lumens Furcht und Nervösität schwanden für einen kurzen Moment. Wütend über die Dreistigkeit des Magiers, straffe sie ihre Schultern. Wollte ihm zeigen, dass sie sich nicht vor ihm fürchtete. „Und ob das für mich wichtig ist. Schließlich muss ich hier leben. Für den Rest meines Lebens!“, sagte sie. Tenebrae sah sie an. In seinem Gesicht war nichts zusehen, was ihr sagen konnte, was er dachte. Es war eine ausdruckslose Maske und als er sie so ansah und sie ihn, verschwand ihr kleiner Mut und machte wieder der Angst platz. Lange zeit schaute er sie so ausdruckslos an. Dann schien sich etwas in seinem Gesicht zuregen und er fragte, nicht gekränkt, so wie sie es vielleicht törichterweise gehofft hatte, sondern bitterenttäuscht, mit fester Stimme:„ Ihr tut geradeso, als sei das was Schlimmes. Habt Ihr etwa nicht das Leben im Schloss gehasst?“

Durch Lumen ging ein Ruck. Und sie sah ihn mit großen Augen an. Woher wusste er das?

Sie hatte niemals derartiges erwähnt. Weder Comitas, noch ihm. Also woher konnte er das wissen. „Wo-woher…!“, kam es ihr über die Lippen. Tenebrae lächelte. „Habt Ihr etwa soschnell vergessen, wer Euch am Geburtstag Eures Vaters, im Garten besucht hat?“, fragte er und Lumen verstand. „Ihr wart das?“

Tenebrae sagte nichts, sondern hielt sein Glas in der Hand und drehte es. Sah zu wie der Wein im Glas schwabte. „Natürlich!“

Lange schwiegen sie. Dann aber überwand Lumen ihr Erstaunen. „Warum?“

Tenebrae hob die Schultern. Nahm wieder ein Schluck. Ließ sich mit der Antwort Zeit und sah sie dann mit einem durchdringenden Blick an. „Weil ich mir meine Gäste immer gerne vorher anschaue, ehe ich sie zu mir hole!“

Gäste? Soll das heissen, dass sie nicht die erste war, die er auf sein Schloss holte?

Tenebrae schien ihre stumme Frage in ihren Augen gelesen zuhaben, denn er schüttelte den Kopf. „Nein. Ihr seit dir Erste und auch die einzige!“

Die letzten Worte hatte er so ausgesprochen, als seien sie ein Versprechen und für einen kurzen Moment schlug ihr Herz schneller. Aber dann beruhigte sie es wieder.

Nur weil er das so sagt, heisst das nicht, dass er sie auch so behandelt. Er konnte immernoch seine Meinung ändern. Ob sie sich benahm oder nicht.

„Das beanwortet aber nicht, warum. Das vorherige Betrachten eines Gastes kann ja wohl kaum der Grund dafür sein, ihn dann mit dem Leben eines geliebten Menschen zu erpressen!“, murmelte sie und schlug sogleich die Hände vor den Mund. Sie wollte diese Worte nicht aussprechen, sondern nur denken. Aber sie hatte zuspät auf ihre lose Zunge geachtet und nun war es zuspät. „Erpresst? Ich denke nicht, dass ich Euch erpresst habe. Ihr habt selbst diesen Handel angeboten. Das Leben Eures Vaters und Eurer Schwester im Tausch gegen Eure Freiheit!“, erwiederte er gelassen und Lumens Hände verkrampften sich in ihrem Schoss. Da hatte er Recht. Aber das wollte sie nicht zugeben. Er hatte sie doch zu diesem schweren Schritt geradezu gezwungen. Hatte sie als seine Gefangene genommen. Er war der Böse. Nicht sie.

„Aber Ihr…!“, wollte sie sagen, aber ihre Stimme versagte. „Was ich?“, fragte er und seine Stimme wurde zu einem Knurren. Lumen schluckte augenblicklich und sie zog den Kopf zwischen seine Schultern. „Was wolltet Ihr sagen?“

Lumen wagte es weder ihn anzusehen, noch sich zurühren. Mit einem Male sah sie in ihm wieder das wilde Raubtier. Dennoch brachte sie es über sich, die Worte, die ihr ebenoch durch den Kopf gegangen waren, auszusprechen. „Aber Ihr wart es doch, der das Ganze erst verursacht habt. Hättet Ihr nicht meinen Vater solch einen Handel unterbreitet, dann…!“

Tenebrae lachte kalt. „Merkt Ihr denn nicht, wie Ihr Euch um Kopf und Kragen redet!“, bemerkte er und da sah Lumen ihn wieder an. Dass sie wahrlich unsinniges zeug redet, wusste sie insgeheim. Aber es graute ihr davor, dass der Magier im Recht war.

„Ich bin kein Mensch, der aus reiner Nächstenliebe hilft und alles hat seinen Preis. Euer Vater war bereit, diesen Preis zuzahlen. Seid wütend auf ihn. Oder hasst mich weiterhin für etwas, worum Ihr mich gebeten habt. Aber vergesst eines nicht: Ihr habt Euer Leben im Palast gehasst und Ihr wolltet entfliehen!“

Lumen kniff die Augen zu, bei seinen Worten, bis sie schmerzten und presste die Lippen zu einem blassem Strich zusammen. Und wieder wurde ihr klar, dass er Recht hatte. Ja, sie hatte es gehasst. Wollte aus diesen Gemäuern, die zwar genug Platz boten, sie aber dennoch erdrückten, entkommen. Ein Leben führen, wie jeder andere auch. Aber jetzt wo sie in diesem dunklen Gemäuer gefangen war, wollte sie es wieder haben. „Ja, schon aber…ich…!“

„Dann solltet Ihr mir dankbar sein, dass ich Euch daraus geholt habe!“, sagte er, schneident wie ein Schwert. Als seien seine Absicht berechtigt gewesen. Ihre letzten Worte hatte er nicht gehört.

Lumen warf ihm einen schmerzlichen aber auch einen wütenden Blick zu. Das war der Gipfel. Es reichte ihm anscheinend nicht, dass er sein Ziel erreicht hatte und sie sich freiwillig ihm ausgeliefert hatte. Nein, anscheinend musste er wirklich noch denken, dass er alles Recht der Welt hatte. Das er…

Lumens Wut erstickte die Gedanken, die ihr durch den Kopf wirbelten, im Keim. Bis sie an nichts mehr denen konnte, außer an ihre Wut und an ihren Hass, den sie auf ihn verspürte.

Erst bedroht und erpresst er meinen Vater und jetzt tut er so, als sei er der strahlende Held, dachte sie voller Groll. Das ist wirklich das allerletzte.

Beides, Wut und Hass, schaukelten sich gegenseitig immer höher, bis sie ihren Höhnepunkt erreicht hatten und Lumen nicht anders konnte, als diesen freien Lauf zu geben.

Schwungvoll stand sie auf, sodass der Stuhl fast nach hinten umgefallen wäre und schlug die Handflächen auf den Tisch. Das Geschirr klirrte leise. Doch dies ließ Tenebrae nicht aus der Ruhe bringen. Er sah sie nur mit hochgezogenen Brauen an. Nippte an seinem Glas, bis er es ausgetrunken hatte und stellte es schließlich ab. Lumen sah ihn noch eine Weile an. Als er immernoch nichts sagte und ihre Wut noch mehr wuchs, dass es fast schon unmöglich war, sodass sie diese bald nicht mehr unter Kontrolle halten konnte, wandte sie sich ab und ging zur Tür. Ohne ein weiteres Wort.

Auf keinen Fall wollte sie noch länger mit diesem grässlichen Mann in einem Raum sein. Als sie die Hände auf die Türgriffe legte und diese drehen wollte, um die Türen zu öffnen, sagte der Magier endlich:„ Wenn Ihr gehen wollt, wartet einen Moment!“

Doch Lumen dachte nicht daran. Was auch immer er von ihr wollte, ihr war es egal. Er sollte gleich am besten von ihr fern bleiben.

Vor Wut immernoch brodelnt und entschlossen zu gehen und vorallem von dem Wunsch erfüllt, von ihm wegzukommen, riss sie die Türen auf und trat hinaus auf den dunklen Gang. In ihrer Wut hatte sie dabei allerdings die Dunkelheit und vor allem die Schatten, die diesen erfüllten, vergessen.

Immernoch schimpfend und erbost über diesen Magier, der es wagte, sich als Held zubetrachten, schritt sie den Flur entlang und wusste schon bald nicht mehr, in welche Richtung sie musste, um in ihr Zimmer zugelangen. Sie musste schon Minuten gelaufen sein, als sie ihren Fehler endlich bemerkte und stehenblieb. Jetzt wo sie so allein dastand. In der Dunkelheit, beschlich Lumen ein Gefühl des Ungehagens und sie wünschte sich nun, doch auf ihn gehört zu haben. Doch nun war es zuspät. Sie war einfach losgelaufen ohne auf ihren Weg zu achten und müsste nun sehen, wie sie zurückkam. Aber wie?

Sie kannte sich in diesem Schloss nicht aus. Alles sah so gleich aus. Die Einzigen, der ihr helfen konnten, waren Comitas und der Magier. Comitas!

Er war ihre einzige Rettung. Den Magier würde sie nicht bitten. „Comitas!“, rief sie und ihre Stimme verlor sich in der Dunkelheit, wie sie es selber war. „Comitas!“

Nichts! Kein kleiner Kerl namens Comitas kam aus der Dunkelheit auf sie zu, um ihr zuhelfen. Lumen schluckte und schaute um sich. Die Wände, schienen sich meterweit hochzustrecken und ganz oben war es noch dunkler, als es hier unten war und Lumen wollte sich nicht vorstellen, was für schreckliche Kreaturen da noch auf sie lauern würden. Hilflos schaute sie sich um und versuchte sich zuberuhigen. „Ich werde einfach zurückgehen. Dann werde ich sehen, wolang ich muss!“, redete sie sich ein und drehte sich um.

Um den Gang zurückzulaufen. Aber dann blieb sie stehen. Mit einemal schien der Gang meterlang zu sein und machte nicht den Eindruck irgendwohin zu führen. Ihr Mut sank und sie fragte sich, ob sie wirklich durch diesen Gang gehen sollte. Wer weiss was sie erwartete. Aber hierbleiben in diesem einen Gang konnte sie auch nicht. Vorsichtig setzte sie einen Fuss vor den anderen und schaute sich immer wieder um. Versuchte etwas zuentdecken, was diesen Ungeheuern glich. Doch alles war dunkel und so konnte sie nichts sehen. Verängstigt und mit zitternen Knien ging sie weiter. Versucht sich daran zuerinnern, wo sie hergekommen war. Doch jeder Gang sah aus, wie der andere. Sie glichen wie denen eines Labyrinths. Ein Labyrinth der Dunkelheit, ging es ihr durch den Kopf und sie schauderte. „Nur weiter. Nicht die Schatten beachten!“, sagte sie sich immer wieder, wie ein Gebet und ging weiter.

Es dauerte nicht lange, bis die Schatten auf die umherirrende Prinzessin aufmerksam wurden und die ersten auf sie zu krochen. Sie beobachteten sie aus ihren dunklen Augen und flüsterten. „Seht nur. Sie ist allein. Dann können wir sie uns holen. Wie ihr Fleisch wohl schmeckt? Sicher sehr köstlich. Zart und fein!“, whisperten sie gefährlich und kicherten. Lumen wollte sie anschreien, dass sie verschwinden sollen. Doch vor lauter Angst brachte sie keinen Laut von sich. Ihre Schritte wurden schneller, bis sie rannte. Atemlos blieb sie stehen und blickte sich um. Rief nochmals nach Comitas. In der Hoffnung er würde doch noch kommen.

Doch diese Hoffnung zerschlug sich schnell. Nur die Schatten waren da. Überall um sie herum. Belauerten sie immernoch und rotteten sich zusammen. Um sich auf sie zustürzen. Lumen konnte es deutlich sehen. Trotz der Dunkelheit und sie presste sich an die Wand, wich jedoch zurück, als ein Schattenarm nach ihr griff. Die Schatten lachten. Lumen blickte zu ihnen hoch und versuchte noch einmal das klägliche Bisschen Mut zusammen zunehmen. „Bleibt mir vom Leib!“, kam es ängstlich zwischen ihren Zähnen hervorgepresst und sie glaubte ein schadenfrohes, höhnisches Lachen zuhören. Den Schatten amüsierte es, dass sie vor Angst bibberte. Um sie noch mehr zu ängstigen, streckten sie die Klauen nach ihr aus und kicherten, als die Prinzessin entsetzt zurückwich und sich noch mehr fürchtete. Sie genossen dieses Spiel.

Lumen wollte schreien. Doch ihr versagte die Stimme. Zu groß war die Angst und sie sank in die Knie. „Lasst mich doch in Ruhe!“, wimmerte sie. Die Schatten lachten wieder. Einer davon auf sie zu. Er hatte die Gestalt eines Wolfes. Nur war dieser weitaus größer, als ein normales Tier und seine Augen glühten feurigrot. Knurrend und sich mit der spitzen Zunge über die Lefzen leckend, kam er langsam auf sie zu. Blieb dicht vor ihr stehen und Lumen schlug der Atem des Monsters ins Gesicht. Er roch widerlich nach Tod und Verwesung. Raubte ihr den Atem. Übelkeit stieg in ihr hoch. Lumen musste ein Würgen unterdrücken. Versuchte den Kopf abzuwenden, um nicht weiterhin in dieses grässliche Gesicht des Ungeheuers zusehen. Doch die dunklen Augen des Schattenwolfes hielten die ihrigen gefangen und sie konnte sich nicht rühren, je mehr und je länger sie in diese blickte. Ein eisiges Gefühl der Leere, erst klein und kaum spürbar, wuchs in ihr, wurde immer größer, bis es sie ganz erfüllte und sie lähmte. Starr und mit leerem Blick, als wäre sie schon längst tot, hockte sie da und blickte es an. Mit einem zu friedenem Knurren, dass es die Prinzessin nun in seinen Bann gezogen hatte, senkte es den Kopf und öffnete sein Maul. Wollte seine scharfen Zähne in ihr Gesicht schlagen und sie dann verschlingen. „Retro!“, bellte plötzlich eine Stimme und eine Kugel aus blauem Licht tauchte vor Lumen auf. Der Wolf wich zurück. Knurrte. Wütend das man ihm um sein Esen betrogen hatte. Doch er wagte es nicht, sich dem Magier entgegen zustellen, der mit grimmiger und gebieterischer Miene hervortrat und die Lichtkugel etwas näher an die Schatten hielt, die zischend und knurrend zurückwichen. Ich sagte, zurück mich Euch!“, rief der Magier und die Kugel wurde größer. Die letzten Dchatten verkochen sich, bis nur noch er und die Prinzessin allein blieben. Lumen sackte in sich zusammen. Die Dunkelheit, in die sie geblickt hatte, war so tief gewesen wie der Abgrund, der in die Hölle führte und das Nichts, dass sie dort erblickt hatte, hatte ihr fast den Verstand geraubt. Die Ohnmacht war dagegen die reinste Gnade. Comitas eilte auf die ohnmächtige Prinzessin zu und stützte sie. „Armes Mädchen. In die absolute Dunkelheit sie geblickt hat. Verstand das nicht verkraftet hat!“, sagte er besorgt. „Dummes Ding!“, erwiederte Tenebrae und wies den kleinen Kerl barsch an:„ Schaff sie mit den anderen in ihr Zimmer!“

„Sehr wohl, Herr!“, sagte er und rief nach seinen Artgenossen. Flink wie die Wiesel eilten sie herbei und mühten sich ab, die bewusstlose Prinzessin in ihr Gemach zu bringen. Tenebrae sah ihnen nach und schüttelte den Kopf. Was hatte sich dieses unvernünftige Ding nur dabei gedacht, einfach so aus dem Zimmer zugehen und seinen Geschöpfen in die Arme zulaufen. Zuerst hatte er darauf gewartet, dass sie wieder in das Zimmer kommt. Doch als sie immer noch fortwar, stand er auf und trat in den Flur hinaus. Die Schatten hielten sich zurück. Sie würden ihm nichts tun. Ihrem Herren und Meister. Nur bei der Prinzessin war er sich nicht so sicher. Er hatte es ihr gesagt. Solange sie bei ihm, in der Nähe war, würden die Schatten sie nicht anfassen. Und er war sehr deutlich gewesen. Das sie dennoch in die Dunkelheit gelaufen war, anstatt auf ihn zu hören und zuwarten, dass er sie auf ihr Zimmer geleitete, bereitete ihm Kopfzerbrechen. Hatte dieses Mädchen nicht gelernt zu gehorchen, fragte er sich.

Comitas hatte mit seinen Brüdern die ohnmächtige Prinzessin auf ihr Gemach gebracht und ins Bett gelegt. Vorsichtig zog der Decke über sie und schaute sie noch einmal mit sorgenvoller Miene an. Dann wandte er sich um und verließ als letzter das Zimmer.

Geschenke

Als Lumen wieder zu sich kam, war schon der nächste Tag angebrochen. Angenehme Wärme strich über ihr Gesicht, als die Sonne ihre Strahlen in ihr Zimmer schickte und lächelte, als sie in der Ferne das zwitschern der Vögel hörte. Sie öffnete die Augen und sah in das helle Licht der Sonne. Der Himmel war blau und nur wenige Wolken bedeckten ihn. Die Wände ihres Zimmers waren weiss getuncht und blaue, durchsichtige Vorhänge blähten sich bäuchig auf, als der Wind durch die Fenster wehte. Das Lächeln wurde breiter und sie schloss wieder die Augen. Ein Traum, es war nur ein böser Traum. Und sie war wieder in ihrem Bett. Im Schloss ihres geliebten Vaters. Lumen war erleichtert und öffnete wieder die Augen Wollte aufstehen, sich anziehen und zu ihren Schwestern gehen. Sie begrüßen. Doch kaum, dass sie die Augen geöffnet hatte, sah sie wieder die trostlosen Wände des Gemachs welches der Magier ihr gegeben hatte und der Himmel war nicht mehr blau, sondern grau und trostlos. Lumen unterdrückte einen tiefen Seufzer der Enttäuschung und ließ sich zurück ins Bett fallen. Lange blieb sie so liegen, trauerte ihrem schönen Traum nach. Doch dann fragte sie sich, wie sie ins Bett gekommen war. Sie konnte sich weder daran erinnern, dass sie auf ihr Zimmer, geschweige denn ins Bett gegangen war. Nur dass sie mit dem Magier gespeist hatte und dann vor Wut aufgestanden und das Esszimmer verlassen. Dabei war sie den Schatten in die Arme glaufen. Allen voran war dieser Wolf, bestehend aus Dunkelheit, der auf sie zukam. Ein Schauer rann ihr über den Rücken, als sie sich daran erinnerte. Deutlich sah sie es vor sich. Das Monster so nahe dass sie seinen Atem auf ihren Gesicht spüren konnte und diese Augen. Voller Dunkelheit. Sie hatte in diese gesehen und dann…Ohnmacht.

Lumen musste das Bewusstsein verloren haben, als sie die das absolutze Nichts gesehen hatte und war dankbar dafür. Wer weiss, was dann passiert wäre.

Die Tür öffnete sich und Comitas trat herein. Ein kleines Wägelchen vor sich schiebend, auf dem ein Frühstück aufgetischt war. Tee, zwei Brotscheiben, Butter und Marmelade. „Guten Morgen, ich Euch wünsche. Ihr gut geschlafen habt?“, fragte er und tischte das Essen auf. Es klapperte und klirrte leise. Lumen senkte den Blick. „Nunja, nicht wirklich!“, murmelte sie. Ihre Begegung mit den Schatten ließ sie nicht los. Comitas musste das deutlich an ihrem Gesichtsaussruck gesehen haben. Denn seine freundliche Miene war verschwunden und er sah sie wieder mit diesen besorgtem Blick an. „Was Ihr Euch nur dabei geacht habt, rauszugehen, ohne den Schutz von mir oder dem Herren. Ihr jetzt tot sein könntet!“, warf er ihr dann vor und Lumen wäre jetzt am liebsten immernoch im Reich der Träume. Jetzt wo sie in ihrem Bett lag und den Tod nur knapp entronnen war, wurde sie sich über die Tragweite ihrer eigenen Dummheit bewusst. Es war zwat ihr gutes Recht wütend zusein, aber sie hatte nicht nachgedacht und hatte sich selber in Gefahr begeben. Wie sooft. Aber als Tenebrae so unverschämt über ihren Vater sprach und sich als den Guten aufspielte, konnte sie sich nicht mehr beherrschen. Sie war zuwütend gewesen, als dass sie einen klaren Gedanken haben konnte. „Ich weiss!“, sagte sie und strich die Decke auf ihrem Schoss glatt. Eine verlegene Geste, die sie immer machte, wenn sie sich ihrer eigenen Fehler klar wurde. „Hast du mich gerettet?“, fragte sie dann und sah den Kleinen an. Dieser schüttelte den Kopf. „Nein. Ich leider nicht in der Nähe war. Der Herr es war, der Euch gerettet hat. Ihr ihm danken solltet!“, erklärte er und Lumens Augen wurden gross, als sie das hörte.

Der Magier hatte sie vor diesen Ungeheuern gerettet?

Lumen war erstaunt und auch ein wenig verwirrt. Warum hatte er das getan?

Er hatte auf sie nicht den Eindruck gemacht, als wäre er ein Gutmensch. Und das er nichts tat, ohne eine Gegenleistung zuerwarten, hatte er ja selber gesagt. Sie fragte sich darauf natürlich, welchen Lohn er für ihre Rettung fordern würde. Gold und Edelsteine?

Sicherlich nicht. Ein Mann wie er konnte sich Dinge erschaffen, wie ihm gerade der Sinn stand. Also was dann. Lumen überlegte und ihr wurde aufeinmal übel. „Gott, er wird doch nicht etwa…?“, dachte sie und ihre Gedanken überschlugen sich. Aber bevor sie weiterdarüber nachdenken konnte, hörte sie die Worte des Magiers. Als ob diese ihre Furcht als unberechtigt erklären wollten.

„Ich werde Euch nicht anrühren. Ich mag zwar ein dunkler Magier sein, aber ich bin kein Scheusal!“

Irgendwie beruhigten sie sie, aber die Angst vor seiner Forderung blieb immernoch. War wie ein leises Flüsern, was immer wieder durch ihren Kopf geisterte und die schlimmsten Bilder vor ihrem Auge heraufbeschwören ließen. Die beruhigenden Worte wurden dabei immer schwächer und die der Angst immer lauter. Bis Lumen zitterte und die Finger in die Bettdecke krallte. Was wenn er gelogen hatte und doch…

„Ihr ihm trauen könnt. Es ihm reichen, wenn Ihr ihm dankt!“, sagte Comitas, als habe er ihre Gedanken gelesen. Lumen schreckte hoch, sah ihren kleinen Freund kurz verwundert an, dann aber nickte. Hoffte, dass er damit Recht hatte. Comitas lächelte nun, als habe sie ihm ein schönes Geschenk gemacht und zeigte aufs Frühstück. „Und nun frühstücken. Ihr sicherlich Hunger haben müsst. Dann Ihr baden könnt und wenn Ihr wollen, ich Euch das Schloss zeigen!“

Lumen lächelte etwas. Auch wenn sie sich immernoch nicht klarwar, was sie von der Rettung durch den Magier halten sollte. Comitas Worte machten dies immerhin etwas wett. Und ein Tagesplan, wie er ihn vorschlug würde sie sicher von diesem tristen Tag ablenken, der ihr bevorstand. Da knurrte ihr Bauch, als wollte er sie dazu ermutigen. Sie musste verlegen lächeln und stand auf, bürstete sich das Haar, setzte sich dann in den kleinen Tisch und begann zu frühstücken. Comitas leistete ihr dabei Gesellschaft.

Als sie fertig war, geleitete sie Comitas ins Bad, das man durch eine Tapettentür betreten konnte. Es war genauso elegant ausgestattet, wie ihr Zimmer. Weinrote Tapetten mit goldenen Verzierungen schmückten die Wände und der Boden war mit hellen Kacheln ausgelegt.

Die Decke war allerdings schmucklos. Kerzen an Ständern, die an der Wand befestigt waren, warfen warmes Licht in den Raum. In der Mitte stand die Badewanne, in der wahre Schaumkronen umherschwammen und in der Luft lag der süße Geruch von Lavendel. Ein kleiner Hocker stand daneben und darauf waren weiche Handtücher abgelegt. Lumen ging hinter einen Vorhang und zog sich aus, um in die Wanne zusteigen und sich von dem herrlich warmen und duftenden Wasser einhüllen lassen.

Mit einem wohligen Seufzen lehnte sie sich nachhinten und schloss die Augen. Zum ersten Mal, seit sie hier war, fühlte sie sich wohl und war erstmal erstaunt, dass sie so entspannt sein konnte. Aber warum nicht. Hier gab es keine Schatten, die nach ihr lechzten. Das Licht der Kerzen war angenehm und beruhigend und der Duft sorgte für ein Gefühl der Leichtigkeit. Als wäre sie nicht in diesem schrecklichen Schloss, sondern an einem viel schöneren Ort. Doch dieses Gefühl hielt nicht lange an, da es klopfte und Conitas die Tür einwenig öffnete. „Ihr soweit seien?“, fragte er. Lumen wäre es lieber gewesen noch etwas länger im warmen Wasser zu bleiben. Hätte sich weiterhin von dem Gefühl der Leichtigkeit tragen lassen können. Aber den ganzen Tag in der Wanne?

Das ging auch nicht. Da könnte sie auch gleich in ihrem Zimmer bleiben und sich wieder langweiligen, so schön das Gefühl, dass sie hier im Wasser hatte auch war. So stieg sie aus der Wanne, trockete sich ab und wickelte sich in einen weiches Handtuch. Comitas wartete schon auf sie. Auf ihrem Bett lag ausgebreitet ein Kleid, aus cremefarbenem Satin. An den Ärmel, die bis zu den Elenbogen gingen war wiese Spitze angenäht und feine weisse Rosenstickereien waren darauf. Lumen strich bewundernt über den Stoff. Er fühlte sich wunderbar an. „Ist das etwa für mich?“, fragte sie leise, während sie weiterhin über den feinen Stoff strich und dann Comitas ansah. „Für wen sonst?“, erwiederte er und lächelte. „Los anziehen, damit ich Euch herumführen kann!“

Dann war er auch schon draußen. Lumen blickte ihm nach und dann zum Kleid. Es war wunderschön und würde ihr sicherlich wunderbar stehen. Aufgeregt wie ein kleines Kind, nahm sie es hoch und hielt es an sich. Ging vor den Spiegel und betrachtete sich. Es stand ihr hervorragend. Wer auch immer ihr dieses Kleid gebracht hatte, er hatte wirklich ein gutes Auge. Vielleicht war es ja Comitas gewesen. Zutrauen würde sie s ihm. Er war der einzige hier, der nett zu ihr war. Und diese kleine Geste machte sie glücklich. Wie so viele. Schnell schlüpfte sie hinein und schaute sich nochmals im Spiegel an. Es stand ihr. Schon vorher, als sie es einfach nur vor sich hielt, tat es das. Aber jetzt, wo sie es trug…

Lumen kam es vor, als habe sie noch nie so ein schönes Kleid gesehen. Geschweige den getragen und dabei war sie eine Prinzessin. Sie war an schöne Klieder gewöhnt, auch ein wenig gelangweilt. Dieses Kleid allerdings war mit nichts, was sie schonmal getragen hatte, zuvergleichen. Der Stoff war herrlich weich und schmeichelte ihre Haut. Gab ihr Ein Gefühl auf Wolken gehen zu könne. So wie das Wasser, in der Wanne. Igrendwie seltsam. Lumen musste dabei lächeln. Betrachtete sich nocheinmal im Spiegel. Verlor sich fast bei diesem Anblick. Dann aber erinnerte sie sich wieder an Comitas, der ihr ja das Schloss zeigen wollte und sicherlich schon ungeduldig wurde. Nocheinmal bürstete sie sich ihre Haare und strich das Kleid glatt, ehe sie die Tür öffnete.

Comitas, der tatsächlich ein wenig schon ungeduldig war, schaute sie an und seine Ungeduld war mit einem Schlag vergessen. Begeistert klatschte er in die Hände und tänzelte um die Prinzessin herum. „Ui, Ihr schön seit!“, trällerte er. „So wunderwunderwunderschön!“

Lumen kicherte etwas über sein fröhliches Gehüpfe und machte einen Knicks. „Danke schön!“, sagte sie. „Auch für das Kleid. Es ist wunderbar!“

Comitas ghrinste von einem Ohr zum anderen. „Mich das freut!“, grinste er und reichte ihr die Hand. „Aber nun kommt. Ich Euch doch das Schloss zeigen wollte!“

Lumen lächelte auch und gab ihm ihre Hand.
 

Fallacia hatte, verborgen in der Dunkelheit, beobachtet, wie die Prinzessin das Kleid angezogen und sich im Spiegel bewundert hatte. Ein dunkles, allesverbrennendes Gefühl war in ihr entflammt und sie fast verzerrt. Sie konnte einfach nicht anders. Und hatte sich sogleich gefragt, warum ihr Herr sich solche Mühe gab, diesem jungen und dummen Ding Geschenke zumachen. Er hatte doch behauptet, dass er sich aus dieser nichts machte. Also warum?

Fallacia verstand es einfach nicht. In all der ganzen Zeit, in der sie ihn kannte, hatte er keiner Frau, mochte sie auch so schön sein, dergleichen Aufmerksamkeiten gegeben, wie jetzt. Nicht mal ihr. Dabei war sie schon ihr halbes Leben lang in seinen Diensten und hatte immer gehofft, dass er sie irgendwann richtig zuschätzen wissen würde. Allerdings vergebens. Und nun das…

Fallacia presste ihre Kiefer hart aufeinander und musste einen Schrei der Empörung unterdrücken, als sie wie die Prinzessin sich nocheinmal im Spiegel betrachtete und sich offentsichtlich an diesem erfreute. Dann, als sie es nicht ertragen konnte, zog sie sich zurück. Das brennende Gefühl, welches ihr schwarzes Herz erfüllte blieb.
 

Comitas führte sie rum und erzählte ihr in allen Einzelheiten wie alt das Schloss schon war und wie viele Generationen es schon bewohnt hatten. Erzählte ihr, wie er in die Dienste des Magiers kam und sie konnte dabei eine Spur von Bewunderung darin hören. Warum er allerdings so hoch zu Tenebrae schaute, konnte sie nicht verstehen. Trotz dass er sie gerettet hatte, schien er nicht gerade ein Wohltäter zusein. Doch sie behielt diesen Gednaken für sich. Einen Raum nach dem anderen zeigte er ihr. Viele davon dienten zum Wohnen. Waren eingerichtet, wie ihr eigenes. Allerdings waren diese düster und unbewohnbar. Dicker Staub lag über den Möbeln und Spinnweben hingen an der Decke. Andere wiederum waren einst für rauschende Feste gedacht. Doch wo einst getanzt und gelacht wurde, lag nun bedrückende Stille und eine Aura der Melancholie. Lumen blieb vor einem dieser Räume stehen und entfernt, tief in ihrem Geiste hörte sie sanfte Musik von Geigen, Harfen und Flöten. Sah schwach, wie Tanzende zu dieser umherwirbelten. Sie glichen wie Geistern. Verblassten dann mit dem Klang der Musik und Lumens Heimweh kehrte zurück. Comitas bemerkte dies. Auch er wirkte irgendwie niedergeschlagen. Nahm ihre Hand und drückte sie etwas. Als sie auf ihn hinunter schaute, lächelte er etwas und zog sie weiter. Ging mit ihr weiter. Zeigte ihr dann die Bibliothek. Ein großer, langgezogener Raum, vermutlich größer, als all die anderen. Das Dach gewölbt und mit verblassten Malerarbeiten verzierrt. Links, rechts und an der Stirnseite dieses Raumes standen lücklenlos Schränke, die vollgestopft mit Büchern waren. Ihre Lederrücken sahen alt, rissig und abgenutzt aus. Eine schmale Treppe aus Holz, zu beiden Seiten, führte zu einer Galerie. Auch dort standen Schränke, mit Büchern. Kerzen unter Glaskolben, sorgten für Licht. In der Mitte des Raums standen einige Sessel und ein Diwan, die zum niederlassen einluden und schöne Stunden beim Lesen versprachen. In der Luft lag der Geruch von altem Papier. Ein angenehmer Geruch, wie Lumen fand. Besser als abgestanden.

Lumen verspürte sofort beim Anblick dieser vielen Bücher und den bequemaussehnden Möbeln, das Bedürfniss, sich hinzusetzen und in den Büchern zu lesen. Doch Comitas zog sie bereits weiter.

Hinunter zu einem Garten, der einst mal blühendschön gewesen sein musste, aber nun ausgestorben war. Das Gras war vertrocknet und stachelig. Die Rosensträuche verwelkt und die Blüten ließen tot ihre Köpfe hängen. Die Steinbögen aus weissem Alabasta, um die sich verdorrte Kletterosen rankten, schienen so empfindlich und brüchig zusein, dass sie bei der nächsten Berührung zu Staub zufallen schienen. Das Herz des Gartens war ein Springbrunnen, in dessen Becken sich graues, schmutziges Wasser gesammelt hatte. Keine herrlichen Fontänen sprudelten aus diesem heraus, gaben nicht den Zauber her, den sie von dem Brunnen in dem Schloss ihres Vater sosehr geliebt hatte und die mythologischen Steinfiguren, die diesen zierten und einst wohl ein eigenes Leben geführt haben mussten, schauten nun mit toten Augen vor sich.

Und über allem lag dieser unheilvolle, deprimierender Himmel. Grau und schwer. Als würde er alles Leben unter sich ersticken wollen. Der Anblick traf Lumen schmerzlich in ihrer Brust. Sie hatte sich schon gedacht, dass selbst der schönste Ort hier ein klägliche sEnde finden würde. Aber dass selbst hier keine Blumen blühten, das einzige, was sie vermutlich getröstet hätte, machte ihr Herz schwer. Langsam durchschritt sie den Garten. Kies knarzte unter ihren Füssen. Sah sich weiter um. In der leisen Hoffnung, dennoch etwas zusehen, was Leben zeigte. Aber das war sinnlos. Wohin sie auch blickte, alles war trostlos. Abgestorben.

Lumen wandte sich an Comitas, der genauso traurig wirkte wie sie. In ihrem Hals bildete sich ein dicker Kloss, als sie sich vorstellten, dass vermutlich imemr so ausgesehen hatte und brachte nur erstickend die Worte hervor. „Warum ist alles hier…?“

Comitas senkte den Blick, als könne er es selber nicht länger ertragen, den Garten in diesem erbärmlichen Zustand zubetrachten.

„Der Herr ist die Dunkelheit und sein Reich ist das, was er ist. Dunkel und bedrohlich!“, sagte er und der dicke Kloss in ihrem Hals wurde dicker. Wenn das alles hier wirklich dem Charakter des Magier entsprach, was für schreckliche Dinge würde sie hier noch zu Gesicht bekommen. „Sah es schon immer hier so aus?“, fragte sie weiter, auch wenn sie wusste, dass es keinen Sinn hatte auf eine Antwort zuhoffen, die ihre Furcht und Trauer um das verlorene Leben hier, niederlegte. Comitas zögerte. Schien zu überlegen. Oder zu erinnern. Es dauerte lange. Lumen rechnete schon nicht mehr damit, dass ihr er antwortete. Aber dann…

„Nein. Einst war dies hier alles voller Leben und der Herr…er…!“, begann er und Lumens Herz machte einen Sprung. Es war einst hier Leben?

Hatte alles hier wirklich geblüht?

Aber was war passiert, dass es nun aufgehört hatte?

„Was war mit deinem Herren?“, fragte sie und kniete sich vor ihm. Sah ihn erwartent an und konnte deutlich sehen, dass sich ihr Freund aufeinmal nicht wohl in seiner Haut fühlte. Nervös, als habe er etwas Schlimmes getan und man würde ihn nun dabei erischen, trat er von einem Fuss auf den anderen. Rang seine kleinen Händchen. „Comi…sag mir bitte, was mit ihm war?“, bat sie ihn sanft. Auch wenn sie sah, dass es ihn einiges an Kraft kostete, die Antwort über die Lippen zu bringen, wollte sie es wissen. Sie wollte wissen, ob er wirklich einmal so war, dass es hier mal der Garten einst erblüht war. Als sie ihn so nannte schaute er hoch und atmete tief durch. „Er… er war einst mal…!“, sagte er. Doch da hielt er inne und schaute mit einem Ausdruck der Angst in den Augen hinauf zum einen der Fenster. Lumen folgte seinem Blick und glaubte in diesem die dunkle Gestalt des Magiers zusehen. Spürte den Blick seiner eisblauen Augen. Stechend und brennend in ihrem Kopf. Ein feiner Schmerz durchzuckte sie und sie wandte den Kopf ab. Ihr Herz schlug mit einem male soschnell, dass sie fürchtete, es würde ihr aus der Brust springen. Es war wir beim ersten Mal, als sie in seine Augen sah. Dieses lähmende Gefühl der Angst, dass er sie im nächsten Moment vernischten könnte. Dass sie sich hilflos und schwach fühlte. Dabei stand sie ihm noch nicht mal Auge im Auge gegenüber und dennoch gelang es ihm, ihr solch eine Angst zumachen. Tapfer versuchte sie ihr Herz zuberuhigen. Comitas erging es nicht anders. Er schien sich genauso zu fürchten, wie sie. Er nahm sie an die Hand, wobei sie merkte, wie er zitterte und er wie sie.

Gemeinsam gingen sie hinein. Schwiegen jedoch. Von der Ausgelassenheit, die beide noch hatten war nichts mehr geblieben.
 

Tenebrae wandte sich von dem Fenster ab, aus dem er die beiden im Garten gesehen hatte. Er hatte zufällig ihre Stimmen von unten gehört und war an das Fenster getreten. Hatte gesehen wie die Prinzessin sich in dem Garten umgesehen hatte und deutlich ihre Niedergeschlagenheit bis hierauf gespürt. Offentsichtlich war sie an eine Welt gewöhnt, in der es blühte und alles im Licht erstrahlte und war es immernoch. Obwohl sie schon solange hier war und eigentlich wissen sollte, dass es hier nur die Dunkelheit gab. Irgendwie bewunderte er diese naive Art der Prinzessin. Sie machte sie kindlich und unschuldig. Für einen Mann, der seinen dunklen Gelüsten zu Willen ist, wäre sie eine leichte Beute. Er würde ihre Unschuld beschmutzen und sie demütigen. So einer war er aber nicht. Er würde sie nicht anrühren, mochte sie auch so verlockend sein. Er würde wiederstehen.
 

Tenebrea wünschte erneut, dass die Prinzessin bei Abendmahl ihm Gesellschaft leistete und zuerst dachte Lumen daran, diese Bitte abzuschlagen. Doch Comitas erinnerte sie daran, dass er sie gerettet hatte und sie sich bei ihm bedanken sollte. Diesesmal klang er nicht so bittend und freundlich. Sondern ernst und auch eine feine Spur strenger. Als wäre sie dazu verpflichtet. Lumen beschloss, seiner Bitte oder eher seinem Befehl nachzukommen. Nicht weil er es so wollte, sondern weil sie ihn als Freund nicht verlieren wollte. Was auch immer er in dem Magier, seinen Herren, sah, es musste etwas besonderes inngies sein. Etwas was sie nicht verstand. Lumen wollte auch nicht lägner darüber nachdenken, sondern machte sich für das Abendmahl mit dem Magier frisch. Sie warf nocheinmal einen prüfenden Blick in den Spiegel, wobei sie sich natürlich warum sie sich so eine Mühe gab. Sie könnte genauso auch in einem verschlissenen alten Kleid zu ihm gehen. Es wäre ihm sicher gleich gewesen. Aber sie brauchte nur Comitas anzusehen, um zuwissen, dass dem nicht so war. Mit einem ergebenen Seufzer, durchbürstete sie ihre Haare. Was solls. Einmal sich zu recht machen würde sicher nicht schaden.

Sie sah es als eine Art des Dankes.

Auch wenn es ihr schwerfiel. Und so betrat sie den Speisesaal. Dieser lag, wie letztens in Dunkelheit, wobei das Feuer im Kamin die einzige Lichtquelle war und ging zu ihrem Stuhl. Tenebrae wartete schon auf sie. „Guten Abend!“, grüßte er sie. Lumen hielt inne, als sie sich setzen wollte und sah zu ihm hinüber. Das war das erste Mal, dass er das tat. „Gu-guten Abend!“, sagte sie und setzte sich. Das Essen wurde aufgetragen und obwohl Lumen hungrig war, konnte sie nichts von diesem anrühren. Der Zwischenfall im Garten, als er zu ihnen hinunter gesehen hatte und sie deutlich seinen bohrenden Blick spüren konnte, holte sie wieder ein und sie schaute auf ihre Hände, die sie im Schoss zusammen gefaltet hatte und versuchte nicht mehr daran zudenken. „Hat man sich gut um Euch gekümmert?“, fragte er beiläufig. Auch er hatte bisjetzt nichts von den Essen angerührt.

Lumen nickte. „Ja, Comitas hat mir Euer Schloss gezeigt!“, flüsterte sie.

Ein Schauer rann ihr dabei über den Rücken. „Ich weiss. Ich sah Euch mit ihm im Garten!“, kam es von ihm. Für sie eine Spur zu kühl, doch sie behielt dies für sich. Auch die Frage, warum er so verkommen war und die, die sie schon Comitas gestellt hatte. Was war mit deinem Herren, hörte sie sich selber in Erinnerung sagen. Sah ihn wieder nervös von einem Fuss auf den anderen tretend und hörte dann seine ängstliche Antwort. „Er… er war einst mal…!“

Dann dieser Blick, den er vom oberen Fenster sandte. Wieder bildete sich ein dicker Kloss in ihrem Hals, als sie an das Gefühl dachte und versuchte es sich nicht anmerken zulassen. „Gefällt er Euch denn der Garten?“

Seine Frage war wie ein Schwert, das sich in ihr Herz bohrte und ihre Hände verkrampften sich. Nein, er gefällt mir ganz und gar nicht. Er ist tot und düster. Genau wie Euer Herz!

Diese Worte hätte sie zugerne ausgesprochen, doch sie wagte es nicht. Sondern brachte nur ein Zucken ihrer Schultern zustande. „Wie darf ich das verstehen. Ich dachte, Ihr liebt Blumen!“, sagte er und seiner Stimme troff nur so vor Hohn. Lumen merkte, wie ihr Herz sich kurz verkrampfte und die alte Wut stieg in ihr auf.

Was für ein böses Spiel spielte er nur mit ihr?

Erst beschützte er sie und nun machte er sich lustig über sie. „Doch, schon. Aber wenn ich sie, wie Ihr Euren Garten pflegt, kann ich diese Blumen nur bemitleiden!“, kam es aus ihr herausgesprudelt und seltsamerweisse bereute sie ihre aufmüpfigen Worte nicht. Im Gegenteil. Es tat ihr gut, diese ausgesprochen zuhaben. Hatte etwas Befreiendes. Als hätte sie damit eine große Last von sich genommen. Tenebrae sah sie nur an. Wiedermal sah sie nicht, was ihm durch den Kopf ging und es beunruhigte sie nun wieder ein wenig. Ihre Erleichertung war verflogen und so war sie wieder die verängstigte Prinzessin, die sich vor dem Tier, welches ihr, in Gestalt eines Mannes gegenübersaß, fürchtete. „Bemitleiden!“, sagte er schließlich und schon dieses Wort war so kalt, wie der Nordwind. „Es sind doch nur Pflanzen!“

Unter anderen Umständen hätte Lumen was darauf erwidert. Doch so wie er sie ansah, wagte sie es nicht, auch nur zu flüstern. „Selbst Pflanzen haben das Recht, dass man sie pflegt!“

Das hätte sie gerne ihm ins Gesicht gesagt, aber sie konnte es nur denken. Langsam fragte sie sich wirkich, ob das sich langsam zu einem Dauerzustand wurde. Dass sie immer, sobald sie es nur versuchte ihm Contrazugeben, zum schweigen verdammt wurde. Eine schreckliche Vorstellung.

„Habt Ihr Euch denn von letzter Nacht gut erholt?“, fragte er schließlich und Lumen wusste erst nicht, was er meinte. Aber dann erinnerte sie sich an ihre Begegnung mit den Schatten und sie schauderte. Nickte etwas zaghaft. Dabei fiel ihr ein, dass sie sich bedanken sollte. Comitas hatte sie ja darum gebeten und sie fühlte sich auch dazu verpflichtet. Immerhin ein gutes Wort konnte sie ihm entgegenbringen. „Ja, danke. Danke dass Ihr mich beschützt habt!“, kam es leise, verlegen von ihr. Tenebrae sah sie bloss nur an und sein Blick wurde für einen kurzen Moment erstaunt. So als habe er nicht damit gerechnet, dass sie sich jemals bei ihm bedanken würde. Als Lumen kurz zu ihm sah, konnte sie dies deutlich sehen und fragte sich sogleich, was er erlebt haben musste, dass er so wenig Vertrauen in anderen Menschen hatte. Geschweige denn dass er so grausam sein konnte und die einen Menschen mit dem Leben anderer, die ihnen wichtig waren zu erpressen. Doch darüber wollte sie keinen einzigen Gedanken verschwenden. Was kümmerte es sie überbaupt, was er erlebt haben musste. Was er jetzt ist und tat, das war wichtig. „Nicht der Rede wert. Aber ich frage mich, was Ihr Euch dabei gedacht habt. Ich habe Euch doch gesagt, dass Ihr in meiner Nähe bleiben müsst, damit Euch nichts passiert!“, sagte er und Lumen musste ernsthaft einen weiteren Widerspruch unterdrücken. Ihm sagen, dass sie es in seiner Nähe gestern nicht mehr ertragen konnte. Dass er sie sogar angewidert hatte. Nachdem er die Unverschämtheit besessen hatte und ihren Vater als den Schuldigen abgetan hatte. „Ja, aber ich…!“, kam es stockend aus ihr und Tenebrae hob die Hand. Brachte sie damit zum Schweigen. „Sprecht nicht weiter darüber. Was geschehen ist, ist geschehen. Aber merkt Euch das für die Zukunft!“, sagte er ernst und Lumen nickte wieder. Den Rest des Abends verlief oder igrendwelche Worte. Sondern im Schweigen.
 

Der nächste Tag, verlief wie der vorherige. Lumen stand auf, wusch sich und frühstückte. Bewunderte das Kleid, welches auf ihrem Bett lag. Diesesmal mal es ein dunkelgrünes aus Samt. Die Ärmel waren lang, reichten fast bis zum Boden und waren weitgeschnitten. Der obere Teil war goldenbestickt. Verschlunge Muster bildeten die goldenen Linien und zierten auch den Saum des Kleides. Doch anders als gestern konnte sie sich nicht so richtig bewundern.

Der Garten, der tot und trostlos war, ging ihr nicht aus dem Kopf. Ebenso wenig wie der Blick den der Magier ihr zuwarf, als er sie und Comitas daunten sah und die Kälte, die darin lag. Eigentlich sollte sie das nicht so sehr fesseln, aber immer wenn sie an die verwelgten Blumen dachte, dachte sie auch daran. Es ließ sie nicht los. Hatte sich fest in ihrer Erinnerung verkrallt, wie ein Raubtier, das seine Beute nicht loslassen wollte. Ein Raubtier.

Genau wie der Magier.

Lumen wurde kurz kalt.

Es gab sovieles, was sie an ihn erinnerte oder mit dem sie ihn vergleichen konnte. Es schien als würde der Magier das sein, was diesen Ort erst ausmachte. Als würde dieser Ort seine Seele wiederspiegeln. Und Lumen erinnerte sich, was Comitas ihr über den Garten und den Herren gesagt hatte.

„Der Herr ist die Dunkelheit und sein Reich ist das, was er ist. Dunkel und bedrohlich!“
 

Für die, die hier lebten, mochte es auch ein Zuhause sein. Für Lumen war dies aber ein Ort der Dunkeleit und des Todes.

Und es erschreckte sie selber, dass sie dennoch nun im Garten saß, auf einer Steinbank und auf die abgestorbenen Pflanzen blickte. Als sie Comitas bat, sie zu diesem hinunterzubringen hatte er sie angesehen, als habe sie etwas Ungeheuerliches von ihm gefordert. „Warum Ihr dorthingehen wollt?“, hatte er sie gefragt. Lumen hatte darauf keine Antwort gefunden. Sie wusste es ja selber nicht. Es war wie ein Drang, sich diese armen Pflanzen anzuschauen. Wobei sie diesen Ort möglichst meiden sollte, da er in ihren Augen das war, was sie nicht sehen wollte. Tod und ohne Hoffnung. Wie sovieles hier.

Trotz allem aber was der Magier sagte, dass das nur Pflanzen seien und diese sie traurig machten, konnte sie sie nicht aus ihren Gedanken verbannen. Sah in ihnen dennoch Lebewesen. Es war verrückt, dass sie so dachte. Aber vielleicht war es auch wirklich nur Mitleid, dass sie dazu bewegte in den Garten zugehen. Immerhin besser als in ihrem Gemach zubleiben und sich zulangweilen. So saß sie also da. Blickte ununterbrochen zu den Rosensträuschern. Dann aber stand sie auf, ging zum einen von ihnen und berührte eine der welken Rosen. Obwohl sie tot war, fühlte sie sich seltsamerweise weich und samtig an. Wie als würde sie leben. Hoffnung, dass doch nicht alles hier tot war, stieg in ihr hoch. Doch als Lumen sich vorbeugte und an ihr roch, zerfiel sie zu Staub und rieselte auf den Boden. Lumen machte einen Schritt zurück und sah, wie die Staubflocken im dunklen Gras verschwanden. Es hatte nur Sekunden gedauert, und die Rose war zerfallen. Ihr Herz verkrampfte sich, als sie sich vorstellte, dass das mit jeder von diesen Rosen passieren könnte, wenn sie sie berührte.

Ihre knappe Unterhaltung mit dem Magier und die Art, mit der er über die toten Pflanzen in seinem Garten gesprochen hatte, kamen ihr wieder in den Sinn. Sie fragte sich, wie ein Mensch nur so kalt und herzlos sein konnte. Mochten es Pflanzen, Tiere oder gar Menschen sein. Alles war atmet und auf diesem Planeten lebt, verdiente es respektiert zuwerden. Zumindest war das ihre Meinung. Der Magier schien aber wohl diesem gleichgültig gegenüber zutreten.

Da fragte sie sich wieder, was man ihm angetan haben musste, dass er so war und dachte. Doch was kümmerte es sie eigentlich. Sein Leben ging sie nichts an. Sie sollte sich lieber Gedanken um sich machen. Würde sie genauso enden, wie all diese Blumen hier?

Würde sie auch irgendwann mehr tot als lebendig sein und vor sich hinverwelken, bis sie zu Staub zuverfiel?

Schon allein bei dem Gedanken wurde ihr schlecht. Und auch als sie daran dachte, wieder an diesem Abend mit ihm zuspeisen. Vorallem an die Dunkelheit. Eigentlich hätte sie sich schon längst daran gewöhnt sein müssen, aber sie konnte es nicht. Sie wollte nicht wahrhaben, dass sie in dieser leben musste.

Für sie war diese Dunkelheit ein Ungeheuer, dass sie jedesmal verschluckte und wieder ausspie, nur um sie erneut zu verschlingen, auf dass sie sich immer mehr fürchtete. Und der Magier würde einfach zusehen und sich vielleicht auch an ihrem Leid erfreuen. Aber vielleicht konnte sie diesesmal etwas dagegen tun. Vielleicht könnte sie eine Kerze anzünden, auf dass immerhin etwas Licht ihr Schutz geben würde. Comitas würde ihr sicherlich eine geben. Er war schließlich ihr einziger Freund, in diesem Schloss voller Schrecken. Er würde sie sicher nicht im Stich lassen. Den Magier konnte sie nicht fragen. Er verabscheute das Licht. Das hatte er mehr als deutlich gemacht.

Wie kann man nur so sein, fragte sie sich und als wie wenn etwas ihre Frage beantworten wollte, fegte ein schneidendkalter Wind über sie hinweg und zerrte an ihr und an den Rosenbüschen. Diese knarzten klagend auf und ihr Klagen ließ Lumens Herz verkrampfen. Um diese nicht mehr zuhören, weil es so unterträglich war, floh sie ins Innere und schlug mit einem lauten und entschiedenen Knall die Tür hinter sich zu. Dann sank sie in die Knie und begann, nach solanger Zeit, zuweinen. Einmal mehr wünschte sie sich, bei ihrem Vater und ihren Schwestern zusein. In dem Schloss, in dem das Licht herrschte.
 

Tenebrae hatte, wie gestern zuvor, die Prinzessin im Garten beobachtet und hatte deutlich ihre Trauer und Niedergschlagenheit, über die Blumen, die für ihn nichts weiter waren als bedeutungslose Gewächse, bis zu sich herauf gespürt. Offensichtlich bedeuten diese Pflanzen ihr etwas, überlegte er. Wieso sonst sollte sie solch einen traurigen Blick haben.

Da regte sich etwas. Tief in ihm. Schwach und pulsierend. Ein feiner, kaum wahrnehmbarer Schmerz, der in seinem Herzen aufflackerte, wie eine kleine Flamme. Ließ ihn zittern. Tenebrae holte tief Luft, um das Zittern zubesiegen und schloss die Augen. Doch soschnell ließ sich die kleine Flamme in seinem Inneren nicht erlöschen. Kurz schien es ihm, als würde er denselben Kummer spüren. Doch das war nicht möglich. Zulange lebte er schon in der Finsterniss. Hatte alles Leben, welches ihm zuwider war, von sich gestossen. Und so würde er das auch jetzt tun. Niemals mehr würde er sich rühren lassen. Nicht mal durch die Tränen der Prinzessin. Entschlossen öffnete er die Augen und ballte seine Hand, die ebenoch zitterte, zur Faust. Kämpfte den stillen Schmerz nieder, bis nichts mehr davon übrig war und wandte sich dann vom Fenster ab. Mit einem triumphierenden Lächeln. Ja, er wüde niemals soetwas wie Schmerz oder auch Freude zulassen. Den beides brachten einen dazu, Dinge zutun, die man niemals tun würde.
 

Comitas staunte, als sie ihn um eine Kerze bat. „Wofür Ihr die braucht?“, fragte er, gab ihr aber eine. Lumen nahm diese und hielt sie fest an sich gedrückt. Als wäre sie ein unbezahlbarer Schatz, den es zu beschützen galt. „Ich…ich möchte sie heute abend anzünden. Damit ich ein kleines bisschen Licht habe!“, erklärte sie und sah, wie Comitas Augen noch größer wurden, als sie es ohnehin schon waren. „Ihr was machen wollt?“, fragte er, ein paar Oktaven zuhoch für ihren Geschmack und schlug entsetzt die Hände vor den Mund. „Die Kerze anzünden!“

„Nein, Ihr das nicht machen dürft!“, flehte er inständig. „Warum nicht?“

„Weil er das nicht erlauben wird!“, wimmerte Comitas. Sie konnte deutlich die Angst in seinen Augen sehen. Ihr war klar, dass sie gegen die Regeln des Magiers verstiess. Und das das sicher nicht ohne Folgen bleiben würde. Aber sie wollte nicht nochmal in dieser Dunkelheit sitzen und seinen kalten Blick auf sich spüren. Dafür war sie sogar bereit, ihre Freiheit zuriskieren. Trotz dass sie sich fürchete. Dies wollte sie aber nicht zeigen. Weder vor ihrem treuen Freund noch vor dem Magier. „Bitte, Comi. Ich halte es nicht mehr aus. Diese Dunkelheit! Sie erdrückt mich und ich kann sie nicht mehr länger ertragen. Bitte, lass mir diese Kerze. Ich verspreche dir, ich werde dich nicht verraten. Ich werde einfach behaupten, dass ich sie mir einfach genommen habe!“, bat sie ihn inständig und sah ihn flehend an, so wie er sie ansah. Beide fochteten so einen Kampf aus. Allein mit ihren Blicken. Es ging eine ganze Weile so, ehe Comitas sich dann geschlagen gab. Schwer seufzte er und ließ den Kopf hängen. „Also gut. Aber vorsichtig Ihr bitte seid!“, sagte er, mehr flehend als zuvor schon und knetete seine kleinen Händchen. Lumen dankbar darüber, das er sie gewährte, nickte und küsste ihn auf die kahle Stirn. „Ich verspreche es!“, sagte sie noch, dann war sie aus der Küche verschwunden.
 

Lumen trat in den Speisesaal und ging zum Tisch, um die Kerze in den dafürvorhergesehen Kerzenstände zustecken und sie dann anzuzünden. Als die kleine Flamme auf dem Docht tanzte, atmete sie erleichtert auf und setzte sich an ihren Platz. Noch war der Magier nichtda und so konnte sie beruhigt den Schein der kleinen Flamme genießen. Nach solanger Zeit, tat es ihr gut, richtiges Licht zusehen und ihr kam es vor, als wäre diese kleine Flamme die Sonne. Bei diesem Vergleich musste sie lächeln. Sie fühlte sich wieder lebendig. Zwar war sie immernoch in diesem dunklen Raum, aber das verlor jegliche Bedeutung, als sie in die Flamme schaute und sich in dessen Anblick verlor. Sie glaubte sogar in dieser das Reich ihres Vaters zusehen. Das Königreich, mit seinem Dorf am Fuss des Hangs und über dem das Schloss thronte. Erhaben und stolz. Erhellt im Licht. Lumens Heimweh wurde geweckt und sie wünschte sich, sie könne durch das Licht dieser kleinen Flamme und nachhause zurückehren. Das wäre wunderbar, wenn es doch auch nur so einfach wäre.

Dabei wurde ihr Gesicht niedergeschlagen und sie seufzte. Da flackerte die Flamme und drohte zu erlöschen. Lumen schreckte hoch und schaute sich um. Suchte nach einem offenen Fenster, durch das der Wind kommen könnte. Doch sie sah nichts dergleichen.

Erneut begann die Flamme unruhig zutanzen und gleich darauf hörte Lumen die drohende Stimme des Magiers. „Ich habe doch gesagt, dass ich kein Licht hier erlaube!“

Die Flamme zitterte, drohte vollends zu erlöschen. Lumen sprang auf und hielt schützend ihre Hände um diese. Sie konnte den Magier kaum erkennen, dennoch fühlte sie, dass er vor ihr stand und sie finster ansah. Obwohl sie sich fürchtete, versuchte dennoch ihre Stmme ruhig klingen zulassen. Suchte nach den richtigen Worten, um den Magier nicht noch mehr zuverärgern. „Bitte, lasst mir dieses eine Licht. Ich ertrage es nicht mehr, in dieser Dunkelheit zusein!“, flehte sie und bereute sogleich ihre letzten Worte. Deutlich spürte sie, wie der Zorn des Magiesr auf sie noch größer wurde. „Ihr ertragt es nicht mehr?“, fragte er und seine Stimme war nicht mehr als ein Knurren. Lumen versteifte sich und senkte den Kopf. „J-ja!“, stammelte sie, hielt immer noch die Hände um die Kerze, um sie vor dem Magier und seinem Groll zu bewahren. In diesem Moment wusste sie, dass sie sich nicht gerade wie eine Prinzessin benahm. Es war ihr auch gleich. Sie fühlte sich so hilflos und einsam, wie ein kleines Kind in dieser Dunkelheit und diesem Mann ausgeliefert, der sicherlich gleich seinen Zorn auf sie loslassen würde. Da war es nur zu verständlich, dass sie sich so verhielt. „Bitte. Nur diese eine Kerze!“, flehte sie. Ihr timme war nun nicht mehr so fest, wie am Anfang, sondern zitterte. Ebenso ihre Hände und die kleine Flamme began wieder zu tanzen. Lumen fühlte ihre Wärme an ihrer Haut. Etwas Tröstendes in dieser Finsterniss und bei diesem unheimlichen Mann, der da stand und sie ansah. Lange sagte der Magier nichts. Und Lumen fürchtete schon, er wäre fort. Hätte sie allein gelassen. Dann aber hörte sie wieder seine Stimme. „Also gut. Aber nur diese Kerze. Keine mehr!“, sagte er und Lumen atmete erleichtert auf. „Danke. Ich danke Euch!“
 

Nach dem Essen ließ Tenebrae sie von Comitas auf ihr Zimmer bringen. Blieb selber noch etwas im Speisezimmer und schaute vor sich hin. Schaute zum Platz wo die Prinzessin ebenoch gesessen hatte und zu der Kerze, die zu einem drittel hinuntergebrannt war. Er hatte ihre Angst, wieder in diesem dunklen Raum zusein, mit ihm, deutlich in den Augen gesehen, als er die Kerze löschen wollte und auch wie sie darum flehte, mehr als dass sie es mit Worten je tun konnte. Irgendwie versetzte es ihm einen Stich und der Schmerz, den er schon vorher, als er sie aus seinem Fenster beobachtet hatte, hatte ihn wieder ereilt. Diesesmal etwas stärker, als vorher. Sodass er selber schon glaubte, etwas wie Angst zuspüren. Um dies jedoch wieder zum schweigen zu bringen, willigte er ein. Wobei es ihm graute, das Licht vor sich sehen zu müssen. So hatte er also ihre Bitte erfüllt und ihr erlaubt, die Kerze brennen zulassen. Es hatte ihn alle Kraft und Selbstbeherrschung gekostet, dieses Licht zuertragen. Es brannte entsetzlich in seinen Augen, als würde man glühende Dolche in sie bohren. Sein ganzer Körper versteifte sich und er hatte die Hände um die Lehnen gekrallt, bis sich seine Nägel in das Holz gruben. Er konnte kaum was essen, weil das Licht zusehr an seinen Kräften zog. Nun war sie wieder erloschen und das dunkle Feuer im Kamin war die einzige Quelle, die den Raum erhellte. Er fühlte sich einigermassen wohler. Und könnte auch etwas essen. Aber er begnügte sich mit dem Wein. Die Würze und seine Wärme würden seinen ausgezerrten Körper würde Kraft geben. Mit immernoch zitterner Hand goss er sich den Wein ein und nahm sofort einen Schluck von ihm. Er beruhigte ihn und tief atmete der Magier ein und aus. Seitjeher hatte er das Licht gemieden und sich in der Dunkelheit wohlgefühlt. Sie war sein Trost und ließ ihn alles vergessen, was er vergessen wollte und nur das in seinem Kopf, was wollte. Sie gab ihm Ruhe. Doch jetzt wo er der Prinzesinn erlaubt hatte die Kerze anzuzünden, war seine Ruhe dahin. Das Licht hatte zugesetzt. Musste sich schwer eingestehen, dass er sich schwach fühlte. Er konnte nur hoffen, dass die Prinzessin nur dieses eine Mal darum gebeten hatte, die Kerze brennen zulassen. Ein weiteres Mal würde er sicher nicht mehr aushalten.

Nie hätte er gedacht, dass eine einzelne Kerze ihm so zusetzen konnte. Ihm graute davor, dass die Prinzesinn noch einmal darum bitten würde, diese anzu zünden.

Und doch…

Irgendwie schien die Erleichterung über das kleine Licht, die einst die Angst der Prinzessin, vor der Dunkelheit gewesen, war, sein Herz zuberühren. Es selber erleichtert schlagen zulassen. Seltsam, dachte er, während er darüber nachdachte. Er hatte sich von dem Gemüt eines jungen Mädchens anstecken lassen. Das war ihm noch nie passiert.

Ein leises Lachen holte ihn aus seinen Gedanken und er schaute auf. Oben an der Decke, kopfüber hing sie und schaute mit einem amüsierten Lächeln auf ihn hinunter. „Dürfte ich wissen, was so amüsant ist!“, fragte er finster und warf seiner Dienerin einen bedrohlichen Blick zu. Fallacia nahm sich für seinen Geschmack vielzuviel heraus. Sie sollte wissen wo ihre Grenzen waren. „Verzeiht mein Herr. Aber es erstaunt mich, dass Ihr der Bitte dieses unbedeutenden Kindes nachgekommen seid. Wisst Ihr nicht, dass das Licht Euch schadet?“, fragte sie und ihre Stimme war nun besorgt. Stiess sich von der Zimmerdecke ab und landete geschmeidig wie eine Katze auf ihren Füssen. Kam zu ihm, um sich dann neben ihm auf dem Boden zusetzen. Tenebrae sagte nichts darauf. Er wusste es selber. Nur zugut und dass sie ihn daran erinnerte, war überflüssig. Fast schon beleidigend. Und da war noch etwas, was ihn erzürnte. Die Art wie sie über die Prinzessin sprach. So voller Verachtung und als wäre sie die Herrin hier. Tenebrae hatte ihren bisher keine große Beachtung geschenkt. Aber nun tat er es und es sorgte in ihm für mehr Entrüstung und auch Zorn auf seine Dienerin, die sich gegen ihren Stand benahm.

„Und ob ich das weiss. Du brauchst es mir nicht zusagen!“, knurrte er. Fallacia, die deutlich gehört hatte, dass es ihn wütend machte, nickte ergeben und hob die Hand, um sie auf die seine zulegen. Um ihm zu zeigen, dass sie es nur gut meinte und er ihr nicht zu grollen braucht. Ihn zuverstimmen und vermutlich noch sein Vertrauen zuverlieren, war das letzte, was sie wollte.

„Verzeiht mir. Ich mache mir nur solche Sorgen um Euch!“

Als ihre Hand seine berührte, riss er sie sofort weg und schaute sie scharf an. Was erlaubt sie sich. Wie kann sie es wagen, mich zu berühren, ging es ihm durch den Kopf. Laut sagte er allerdings:„ Das ist nicht nötig. Ich weiss selber, was gut für mich ist!“

Fallacia sichtlich von seiner Abweisung getroffen, senkte den Kopf. „Vergebt mir!“, flüsterte sie und war nun wieder die demütige Dienerin, die er wollte. Er nickte. „Dir sei vergeben. Nun aber geh und lass mich allein!“, sagte er und Fallacia stand, ohne ein Wort, auf und wandte sich zum Gehen. Doch bevor sie den Speisesaal verließ, hielt Tenebrae zurück. „Noch etwas, Fallacia. Solltest du noch einmal die Dreistigkeit besitzen, über mich zulachen, werde ich dir wahrhaftig die Zunge rausreissen!“, drohte er ihr und in seinen Worten lag mehr als nur Drohung. Sondern auch ein Versprechen. Fallacia schluckte und ging dann. Als sie draußen war, fühlte sie, wie die Angst vor dem Versprechen ihres Herrn sie ergriff und sie für einen kurzen Moment lähmte. Noch nie hatte der Herr ihr solch eine Angst gemacht. Nicht bevor die Prinzessin das Schloss betreten hatte.

Die Prinzessin. Mit einemmal war ihre Angst nicht mehr ganz so groß. Dafür aber ein anderes Gefühl. Heiss, glühend, wie erhitzter Stahl, der sich tief in ihr Herz bohrte und es verbrannte. Fallacia kannte es. Es war Wut. Wut auf die Prinzessin, in der sie die Ursache für das sah, was nun mit dem Herrn passierte. Dass er nun weich wurde und sie bedrohte. Nur weil sie die Wahrheit sprach.

Dafür würde dieses dumme Ding büßen. Vor Wut schäumend und mit wilder Entschlossenheit, es ihr heimzuzahlen, lief sie durch die dunklen Korridore. Sie musste dabei allerdings geschickt vorgehen, damit Tenebrae nichts merkte. Aber ihr würde sicher was einfallen und der Gedanken, die Prinzessin leiden zulassen, sorgte jetzt schon für Vorfreude in ihr.
 

Lumen lag im Bett, konnte aber nicht schlafen. Das Verhalten des Magiers, als sie die Kerze anzünden dürfte, ließ sie nicht los. Es hatte den Anschein, als würde dieses Licht ihm Schmerzen bereiten. Irgendwie bereute sie es, dass sie ihn darum gebeten hatte, die Kerze anzulassen. Ach, was. Du bist schließlich sein Gast, also darfst du auch um was bitten oder fordern, schallte eine Stimme in ihrem Kopf. Verdrängte das schlechte Gewissen. Aber es blieb immernoch ein leises Flüstern und verfolgte sie bis in den tiefen Schlaf.

Alpträume

Lumen erwachte und fühlte sich seltsamerweise so, als habe sie drei Tage lang geschlafen. Sie fühlte sich gut. Ganz anders als gestern. Sie fragte sich, wie das sein konnte. Doch lange darüber nachdenken konnte sie nicht. Comitas brachte ihr das Frühstück, so wie immer. „Guten Morgen, Comitas. Geht es dir gut?“, fragte sie ihn höflich. Comitas nickte nur. Schaute sie nur flüchtig an. „Ja, danke. Es Euch auch gut gehen?“

Er versuchte feundlich und höflich zusein. Doch konnte Lumen sehen, dass er nervös war. Vermutlich wegen gestern, als sie ihn bat, ihr eine Kerze zu geben. Was für schreckliche Ängste musste er ausgestanden, während sie mit seinen Herrn speiste. „Geht es dir wirklich gut?“, fragte sie und Comitas schaute zur Tür. Als fürchtete er, dass sein Herr im selben Moment hereinstürmt, um ihn zu bestrafen.

Um ihn etwas zu beruhigen, bat sie ihn, mit ihr zu speisen und während sie das Frühstück genoss, beobachtete sie ihn. Wie er an seinem Brot knabberte und ihr hinundwieder scheue und besorgte Blicke zuwarf, ließ keinen Zweifel zu. Er machte sich Sorgen und fürchtete, dass er doch noch bestraft werden würde. Lumen lächelte und legte ihre Hand auf die seine. „Kein Angst. Ich habe ihm kein Wort gesagt, dass du das warst, der mir die Kerze gegeben hat. Er wird sicher nicht dahinter kommen!“, sagte sie ihm und lächelte ihn an. Comitas aber konnte sich dabei nicht so recht beruhigen, wie sie es hoffte. Die Angst saß wohl dafür vielzutief.

„Ich hoffe, Ihr Recht haben!“, murmelte er. Lumen hatte Mitleid mit ihm. Er diente seinem Herrn sicherlich treu und mit bestem Gewissen und dennoch schien er es ihm nicht recht machen zu können. Sie brauchte ihn sich nur anzusehen. Die Lumpen, die er trug und die Nervösität, wenn er seinem Herrn schlechte Nachricht brachte. Lumen konnte sich gut vorstellen, wie er sich vor dem Zorn des Magiers fürchtete, obwohl er so ein gutes Herz hatte und fröhlich war. Im Schloss ihres Vaters würde er vielleicht ein viel besseres Leben haben. „Warum bleibst du denn bei ihm, wenn du solche Angst vor ihm hast?“, fragte sie und Comitas sagte erstmal nichts. Legte das Brot, an welchem er geknabbert hatte beseite und fummelte an seiner erbärmlichen Kleidung. „Ich nicht wissenn, wohin ich gehen soll!“, erklärte er dann und seine Stimme klang brüchig, wie Glas. „Bei meinem Vater würde es dir gut gehen. Er ist ein guter und gerechter König. Er würde dich sicher besser behandeln, als er!“

Kaum hatte sie das gesagt, war Comitas schon von Stuhl aufgesprungen und sah sie entsetzt an. „Nein, ich das niemals tun könnte. Ich dem Herrn treu und ergeben bin. Er immer gut zu mir war!“, erklärte er und Lumen verstand nicht. Er sollte gut zu diesem kleinen netten Kerlchen sein. Das konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen. „Wie kann er nett zu dir sein? Sieh doch, was du da trägst. Nicht mal ein Hund verdient es, solche Lumpen zutragen!“, sagte sie und deutete dabei auf seine Kleider. Comitas krallte seine Hände in diese und schaute zu Boden. „Das diese Kleider ich tragen muss, nicht schlimm. Er sich gut für mich und meine Brüder kümmert. Gibt uns essen und trinken!“, verteidigte er den Magier, als ging es dabei darum, ihn um jeden Preis zu schützen. „Aber…!“, wollte sie sagen, schloss aber den Mund, weil ihr nichts einfiel, was sie sagen konnte. „Nein, er ein guter Mensch ist!“, sagte er und wich ihrem Blick aus. Lumen wusste nicht, ob sie seine Worte als Unsinn oder als vergebliche Versuche, ihre Meinung ihm gegenüber zuändern, abtun sollte. Seine Worte waren so ehrlich gemeint, dass sie nicht daran dachte, sie als Lüge zu entlarven und auch so bittend, als würde er sie anflehen, anders von dem Magier zu denken. „Comitas!“, sagte sie und kniete sich dann vor ihm hin. Wenn er so überzeugt von seinem Herrn war, dann wollte sie diesem nicht wiedersprechen. „Tut mir leid. Wenn du so denkst, dann will ich nicht dagegen sein. Ich finde nur, er…er könnte etwas…!“, sagte Lumen, doch sie konnte ihren Satz nich zuende sprechen, da Comitas ihre Hand ergriff und sie drückte. Nun hatte er wieder ein weiches, sanftes Lächeln auf den Lippen. „Ihr ihm nur eine Chance geben müsst und Ihr dann sehen, dass er ein gutes Herz hat!“, versprach er ihr. Lumen wollte darauf etwas erwiedern. Das sie gar nicht daran dachte. Aber Comitas kam ihr zuvor und zog an ihrer Hand. „Kommt, Ich Euch was Leckeres kochen werde. Ihr sicher Hunger habt!“, sagte er. „Aber ich habe doch gefrühstückt!“

„Dann ich Euch das Mittagessen mache!“

Noch bevor Lumen wiedersprechen konnte, hatte er sie schon zur Küche gebracht und sie gebeten platz zunehmen. Schweigend beobachtete sie, wie er und einige andere, seine Brüder, umhersprangen und das Essen vorbereiteten. Dabei dachte sie daran, was er gesagt hatte.

„Er sich gut um mich und meine Brüder kümmert. Gibt uns essen und trinken!“

Aber dennoch war sie der Meinung, dass er ihnen nicht solche Lumpen zum tragen geben sollte. Aber was mischte sie sich eigentlich da ein. Es ging sie nichts an, wie er seine Diener hielt. Eigentlich. Wenn da nicht ihre Freundschaft zu Comitas wäre. Es ließ sie nicht los und vielleicht konnte sie den Magier bitten, ihnen bessere Kleider zugeben.

„So, hier. Ich Euch guten Appetitt wünsche!“, sagte er und stellte ihr einen Teller, mit weichgekochten Kartoffel, zartem Fleisch, dunkler Bratensoße und einen Becher Wein hin. Der köstliche und würzige Duft stieg ihr in die Nase und regte ihren Hunger an.

Als Lumen fertig gespeist hatte und Comitas sich an den Abwasch machen wollte, bat sie ihn darum, ihm zu helfen. Es war besser als dazusitzen und zu zusehen. Besser als nachzudenken. Über den Magier und seine Art zuherrschen.

Comitas wechselte kurz einen Blick mit seinen Brüdern, denen es wohl gleichgültig war und sich wieder an die Arbeit machten. „Wenn Euch es keine Umstände machen?“, fragte er dann und Lumen schüttelte den Kopf. Im Gegenteil. Sie war dankbar dafür, dass sie sich beschäftigen konnte. Comitas reichte ihr eine Schürze, damit sie sich ihr Kleid nicht schmutzig machte, zeigte ihr dann, was sie machen konnte und wie.

Lumen freute sich. Ihr Vater hätte das sicher nicht erlaubt und sie, wenn es sein musste, sogar mit Gewalt aus der Küche gezerrt. Aber ihr Vater war nicht hier und so konnte sie das tun, was sie schon immer tun wollte. Ein normales Leben führen.

So schnitt sie Gemüse. Musste dabei Acht geben, damit sie sich nicht schnitt. Probierte eine Suppe, schlug vor, was man daran verbessern konnte. Knetete den Teig für das Brot. Dabei musste Comitas kichern, als sich etwas Mehl auf ihrer Nase verirrte. Auch Lumen kicherte. Es war befreiend, nach solange Zeit wieder zu lachen. Es ließ sie alles vergessen, was sie vorher noch bekümmerte. Und so vergass sie auch für eine Weile, den Magier. So arbeitete sie in der Küche weiter. Summte fröhlich vor sich hin. Die Zeit verging dadurch schnell, bis der Tag vorbei war. Und sie sich wieder in ihrem Zimmer fand. Erschöpft von der Arbeit in der Küche, aber glücklich, zog sie das Kleid aus und bereitete sich selber ihr Bad zu. Comitas hatte noch etwas in der Küche zutun, aber noch Zeit gehabt hatte, sie auf ihr Zimmer zu begleiten.

Müde und mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen, ließ sie sich in das warme Wasser sinken und schloss die Augen. Entspannte sich.

Sie musste dabei eingeschlafen sein, da sie hochschreckte, als es an der Tür klopfte. „J-ja, bitte!“, rief sie und musste sich erstmal von dem Schrecken erholen. „Verzeihung, ich Euch nicht stören wollte. Aber ich Euch bitten soll, sich anzuziehen, für das Abenddinner!“, hörte sie Comitas sagen und Lumen seufzte schwer. Das hatte sie natürlich auch vergessen. Sie musste mit dem Magier speisen. „Ja, danke. Ich komme gleich!“, rief sie zurück, wobei sofort ihre Worte bereute. Wieder mit ihm speisen, in der Dunkelheit. Lumen schüttelte sich. Musste sich aber daran erinnern, dass sie die Kerze anzünden durfte. Eine schwache Hoffnung stieg in ihr hoch. Vielleicht würde der Magier wieder so gnädig sein und ihr erlauben, die Kerze anzuzünden. Lumen betete dafür.

Aber irgendwie fürchtete sie sich auch. Der Anblick, den er ihr bot, als er in den Schein der Kerze geschaut hatte, hatte sie verunsichert und verwirrt. Hatte ihr selber Angst gemacht, obowhl sie nicht wusste wieso.

War ihm das Licht so wider, dass es ihn fast beinahe Schmerzen zufügte?

Unsinn, wie sollte sowas möglich sein, dachte sie und schüttelte entschieden den Kopf, um diese absurden Gedanken loszuwerden.
 

Fallacia beobachtete wie diese hässlichen Zwerge durch die Küche eilten und die letzten Vorbereitungen fürs Essen trafen. Sie gönnten ihr keinen Blick. Versuchten sie nicht zubeachten.

Sie rümpfte angewidert die Nase. Was dachte sich ihr Herr nur dabei, diese Missgeburten bei sich im Schloss zuhalten und ihnen noch Essen und trinken zugeben. Wenn es nach ihr ging, würde sie sie in ein finsteres Loch stecken und sie nur rauslassen, wenn sie es wünschte. Manchmal wurde sie einfach nicht klug aus ihm. Genauso wie jetzt, als er die Prinzessin, die nicht hierhergehörte, in sein Schloss holte und sie behandelte, wie ein Gast und nicht wie eine Gefangene, die sie war. Gab ihr edle Kleider und gutes Essen. Fallacia spürte, wie der alte Zorn wieder in ihr hochkam. Nicht auf ihren Herrn, sondern auf SIE.

Was fand er nur an ihr, dass er sie so verwöhnte?

Sie verstand es einfach nicht. Es erschien ihr absurd und wie ein schlechter Scherz. Was dachte er sich nur dabei, fragte sie sich wieder. Sie verstand es einfach nicht. Aber sie hatte auch keine Lust weiterhin über die Eigensinnigekeit und Launen ihres Herrn nachzudenken. Sie hatte was vor.

Mit einem verstollenen Blick ging sie zu dem Tisch mit den beiden Weinkelchen und holte ein kleines Fläschen hervor, dass sie, sich wachsam umschauend, öffnete und ließ einige Tropfen in den Weinkelch, der für die Prinzessin vorgesehen war, hineintröpfeln.

Eins, zwei, drei Tropfen davon ließ sie hinein und verschloss das Fläschen wieder. Schob es in ihre Kleidung. Gerade rechtzeitig weil schon einer der Zwerge kam und das Taplett mit den Kelchen nahm. Als dieser die Küche verließ, lächelte Fallacia kalt. Sie freute sich schon darauf zusehen, wie die Prinzessin leiden wird.
 

Lumen saß dem Magier gegenüber und schaute mit einem sehnsüchtigen Blick zu der Kerze. Sie hatte nicht gewagt, ihn darum zu bitten, sie wieder anzu zünden. Aus Angst dass er sie diesesmal verneinen würde. Und wieder diesen gequälten Blick sehen würde, den der Magier schon am Vortag hatte. Dass das verrückt war, wusste sie selber. Eigentlich sollte es ihr egal sein. Aber aus irgendeinem Grund war es das nicht. Er tat ihr leid. Warum auch immer. Tenebrae brach Brot auseinander und aß davon. Lumen rührte in ihrer Suppe herum. Schaute dabei immer wieder zu der Kerze und der Wunsch sie anzu zünden, wurde immer größer.

Das Mitleid für ihn wurde dabei immer weiter nachhinten gedrängt. Der Magier bemerkte dies und holte tief Luft. Gerne hätte er diese Blicke, die die Prinzessin mit denen sie die Kerze ansah, ignoriert. Aber es ließ ihn nicht los.

Genauso als sie den toten Garten gesehen hatte. Es hatte ihn ebenso getroffen, wie jetzt. Was war nur los mit ihm. Es hatte ihn bisher kalt gelassen. Warum berührte es ihn jetzt.

Tenebrae konnte sich darauf keine Antwort geben und auch nicht weiter dagegen ankämpfen. Mit einem Fingerschnippen entzündete er die Kerze. Er würde diesesmal auch wieder die Helligkeit, die die Kerze spendete, aushalten. In Lumens Augen lag Erstaunen über seine Tat. Sie wollte fragen warum. Aber sie freute sich auch. Anscheinend hatte er ihre stumme Bitte gehört und ihr diese gewährt. Erleichtert und auch verwirrt, nickte sie ihm dankend zu. Tenebrae erwiederte diese Geste und nahm seinen Kelch, um daraus zutrinken. Dabei schaute er über den Rand zu ihr. Ihre Erleichterung und Dankbarkeit über diese kleine Geste war deutlich zusehen und es erstaunte ihn.

Konnte er ihr wirklich mit diesen kleinen unbedeutenden Gesten eine Freude machen?

Tenebrae hielt das für unwahrscheinlich. Wollte nicht so recht daran glauben. Aber als er sie ansah, sah wie wohl sie sich im Licht fühlte, wurden seine Zweifel zerstreut. Sie ist irgendwie anders, als er gedacht hatte.

Eine seltsame Idee kam ihm. Kurz wollte er ihn festhalten. Doch dann wurde er sich bewusst, wie albern das war und verdrängte diese.
 

Fallacia hielt gespannt die Luft an. Sah zu, wie ihr Herr und die Prinzessin speisten. Bisher hatte sie den Wein noch nicht angerührt und Fallacia fürchtete schon, dass ihre Mühe umsonst war. Aber als die Prinzessin doch nach dem Kelch griff, jubelte sie innerlich. Und noch mehr als sie daraus trank.
 

Nachdem sie zuende gespeist hatten und Comitas sie auf ihr Zimmer gebracht hatte, hatte sie sich für den Schlaf umgezogen und war ins Bett geklettert.

Noch lange blieb sie wach. Dachte nach. Diesesmal hatte er ohne ein Wort von ihr, die Kerze angezündet. War das ein Zeichen, dass sie sich in ihn getäuscht hatte und er doch nicht so böse war, wie sie immer glaubte?

Lumen hätte zugerne daran geglaubt. Er war bisher immer gut zu ihr gewesen. Hatte ihr schöne Kleider gegeben und gutes Essen. Er hätte sie ja auch ins Verließ sperren können. Hat er aber nicht und das allein sollte eigentlich ausreichen, ihn in einem anderen Licht zusehen. Aber etwas in ihr weigerte sich, daran zuglauben.

Was wenn das nur ein Trick war. Ein Trick um sie in Sicherheit zu wiegen und sie dann…

Lumen wagte es nicht, weiter darüber nachzudenken. Sie fürchtete sich davor. Und wollte sich auch nicht länger damit beschäftigen. Sondern einfach nur schlafen. Nach wenigen Minuten war sie dann eingeschlafen.

Sie stand in einem blühenden Garten. Doch es war nicht der, der im Schloss ihre Vaters war. Sondern der des Magiers. Lumen erkannte ihn. Aber anders als dieser trostlose Ort, den sie kannte, war er voller Farben, Licht und vorallem Leben. Sie hörte Vögel sinken und den Wind durch die Bäume, die sich begierig der Sonne entgegen streckten, rascheln. Die Sonne schickte ihre warmen Strahlen auf sie nieder und wärmte sie. Lumen zuerst erstaunt, aber dann froh, die Sonne wieder zusehen, schloss sie die Augen und lächelte glücklich. Glücklich darüber dass es hier doch Wärme gab, die die Kälte verscheuchte und Licht, dass die Finsterniss vertrieb. Mit einem wohligen Seufzer ließ sie sich ins weiche Gras nieder. Legte sich darauf und fuhr mit den Händen immer wieder darüber. Spürte wie es ihre Handflächen kitzelte und ihr Herz schien vor Freude Purzelbäume zuschlagen. Für einen kurzen Moment schien es ihr, wieder daheim zusein. Dort, wo es Leben gab und die Luft erfüllt war von den Gesängen der Vögel. Wo es keine bösen Schatten gab, die ihr nach dem Leben trachteten und keine Magier, die ihr Angst machten. Lange hätte sie sich dieser Illusion hingeben. Dann aber fegte ein kalter Wind über sie hinweg und sie konnte spüren, wie die Wärme beissender Kälte wich. Als sie die Augen öffnete, sah sie voller Entsetzen, wie der ebenoch strahlendblaue Himmel sich verdüstert hatte und bedrohliche Wolken sich über sie auftürmten. Grässliche Grimassen schienen darin umherzujagen und Lumen sprang auf. Wollte davon rennen. Ins sichere Innere.

Doch kaum, dass sie sich aufgerichtet hatte, wickelte sich etwas schmerzhaft um ihre Handgelenke. Scharfer Schmerz durchzuckte ihre Arme und als sie an sich hinunter schaute, gefror ihr das Blut in den Adern. Dornenranken!

Sie hatten sich um sie gewickelt, wie tödliche Schlangen und zogen und zerrten an ihr. Versuchten sie zu Boden zu ringen. Doch Lumen wehrte sich gegen diese und schaffte es sogar, dass einige rissen. Doch für die, die zerrissen, kamen neue und umschlagen nun ihren ganzen Arm. Zerrten immer brutaler an ihr, bis sie sich nicht mehr gegen sie wehren konnte und hart zu Boden ging. Ihr Kopf schlug auf und kurz sah sie Sterne vor ihren Augen tanzen. Als sie diese wegblinzelte und einigermassen wieder klar im Kopf war, versuchte sie sich zu befreien. Doch die Ranken schnürten sich, mit jedem Ruck, den sie machte, um sie zu zerreissen, immer tiefer in ihr Fleisch, bis sie aus den Wunden, die sie ihr zufügten blutete. Lumen glaubte, das Bewusstsein zu verlieren. Kämpfte mit allen Kräften, die ihr möglich waren, dagegen an. Wenn sie jetzt ohnmächtig wurde, wäre sie verloren. Der Schwindel jedoch in ihrem Kopf war stärker, als sie. Machte sie schwach und außer Stande sich zu befreien. Sie spürte förmlich, wie ihre Kraft mit jedem Blutstropfen, der ihr aus den Adern gepresst wurde, wich.

Alles drehte sich um sie. Der Himmel, der Garten. Alles. In der Luft lag der süßliche Geruch ihres Blutes. Gequält schluchzte sie aus, unternahm einen letzten Versuch. Ehe sie kraftlos und fast schon ohne Bewusstsein, sich von den Dornenfesseln weiter auf den Boden pressen ließ, bis sie das Gefühl hatte, sie wollen sie zerquetschen.

Das Blut in ihren Ohren rauschte. Solaut, das sie fürchtete, taub zuwerden. Und ihr Herz raste so schnellm, als würde es zerplatzen. Da drang ein anderes Geräusch an ihr Ohr. Es klang wie Erde, die auseinander brach und als sie einen schwachen Blick auf sich richtete, drang ein erstickter entsetzter Laut aus ihrer Kehle. Der Boden gab unter ihr nach. Öffnete sich regelrecht und kroch ihr dann über die Arme und Beine. Wie tausend kleine Käfer. Legten sich dann über sie und wurden dann wieder zu einer festen Masse. Durch Lumen ging ein Schauer.

Die Erde war kalt und lag schwer auf ihr. So wie der Tod. So musste es sich anfühlen zusterben, durchfuhr es sie und über ihre Wangen rannen Tränen. Trotz dass sie fast schon bewusstlos war und an nichts mehr denken konnte, kam ihr ein Gedanke. Und er ließ ihr Herz stillstehen, nur um es dann doppelt so schnell schlagen zulassen. Sie würde lebendig von der Erde verschluckt werden. Und niemand würde ihr helfen. Langsam kroch die Erde immer weiter über ihren Leib, bis sie Hüfte, Bauch und Brust bedeckt hatte. Ihre Schultern und ihr Kopf blieben bisher von der wandernden Masse verschont. So als wollte die Erde ihr noch einen letzten Blick in den Himmel gönnen.

Lumen wünschte sich, im Augenblick ihres nahenden Todes noch einmal die Sonne zusehen und ihre Wärme zuspüren. Glaubte, bevor sie ihren letzten Atemzug zu tun, ein aufblitzen zusehen. Und sich einzubilden, eine warme Sommerbrise auf ihrem Gesicht zuspüren. Mehr brauchte es nicht. Lumen lächelte, als die Erde sie vollends verschlang.
 

Mit einem Schrei erwachte sie. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und sie brauchte einige Minuten, ehe sie sich beruhigen konnte. Ein Traum. Es war nur ein Traum, hallte es wie ein unendliches Echo durch ihren Kopf. Sie konnte nicht sagen, ob sie darüber erleichtert sein soll oder nicht. Der Traum ging ihr durch Mark und Bein und ließ sie nicht los. Das Zittern hielt noch lange an. Als Comitas eintrat und sie immer noch zitterte, eilte er auf sie hinüber und schaute sie voller Sorge an. „Prinzessin, was Ihr haben?“, fragte er bestürzt. „Ihr ja zittern!“

„Es…es ist gut. Ich habe schlecht geschlafen!“, sagte sie. Versuchte sich zu beruhigen. Doch der Schrecken ließ sie nicht los. Hielt sie festgepackt, wie eine Klaue aus Eisern und drückte zu, bis sie glaubte, keine Luft zu bekommen.

„Prinzessin…!“, sagte er nochmal. Lumen aber winkte ab und rang sich ein Lächeln ab. „Es geht wirklich wieder. Ehrlich!“, beschwichtigte sie ihn und stand auf.

Das Frühstück sah wie immer köstlich aus und Lumen hatte auch Hunger. Aber es schmeckte ihr nicht so recht. Nicht so, wie es igentlich sollte. Das Brot und das Spiegelei hatten keinen Geschmack. Der Tee schmeckte nach Nichts, als sei er aus Luft. Lumen stellte die Tasse weg, kaum dass sie nur einen Schluck mehr genommen hatte. Ließ das Essen stehen und sorgte damit bei Comitas für mehr Sorge. Mit ebensolcher Miene räumte er das Essen ab. „Es Euch nicht geschmeckt hat?“, fragte er niedergeschlagen. Lumen versuchte aufmunternt dreinzublicken. „Doch. Aber ich habe keinen so großen Appetitt!“, sagte sie. „Mach dir darum keine Gedanken. Es war lecker!“

Lumen vermochte es sich selber nicht zu erklären, warum sie keinen Hunger hatte. Lag es vielleicht an dem Traum, dass sie keinen Bissen hinunter bringen konnte?

Aber so schrecklich er auch war, konnte er ihr doch unmöglich das Essen mürbe machen.

Oder doch?

Lumen dachte noch lange darüber nach. Auch während sie mit Comitas in die Küche ging, um dort wieder helfen. Denn das war das Beste, was sie tun konnte. Sich ablenken und versuchen nicht weiter darüber nachzudenken.

Doch der Traum ließ sie nicht los. Hinundwieder blickte sie aus dem Fenster. Sah aus diesem den Garten und schauderte. Obwohl es nur ein Traum war, war er so real und schrecklich, dass sie nicht so recht glauben wollte, dass es einer war. Noch immer spürte sie, wie sich die Dornen der Schlingen, die sich um ihren Leib schlangen, in ihre Haut stachen und sie zugleich zerquetschten. Lumen versuchte, die Erinnerung nicht mehr zuzulassen. Doch sie kamen immer wieder. „Aua!“, wimmerte sie, als sie sich mit dem Messer in den Finger schnitt und das Blut aus der kleinen Wunde hervorquoll. Comitas war sofort da und fragte sogleich, was passiert sei. „Ich habe mich geschnitten!“, sagte sie und Comitas zögerte nicht, um ihr ein Stofftüchlein um den Schnitt zulegen. „Ihr besser aufpassen müsst!“, tadelte er sie. Lumen nickte nur. Sah zu, wie er einen Knoten in das Tuch machte. „Vielleicht es nicht gut seien, wenn Ihr uns helft!“, meinte er dann. „Bitte, Comi. Das…das war nur ein Missgeschick. Ich war mit meinen Gedanken woanders!“, erklärte sie. „Wo denn, dass Ihr Euch schneiden?“

„Ich…ich hatte einen schrecklichen Alptraum!“, sagte sie und selbst das kostete sie Mühe, es auszusprechen. „Einen Alptraum?“, fragte er nach und nahm dann sogleich ihre Hände. Hielt sie so, wie es ihr Vater immer getan hatte, wenn sie damals als kleinen Mädchen einen bösen Traum hatte und sah sie voller Mitgefühl an. „Ärmste Ihr. Ihr mir davon erzählen wollen?“

Lumen nickte. In der Hoffnung, dass die Erinnerung darin verblasste und so erzählte sie ihm ihren Alptraum.

Der Tag ging schnell vorbei und so fand sie sich wieder beim Abendessen mit dem Magier. Ohne dass sie etwas sagte, hatte er die Kerze wieder angezündet. Doch so sehr Lumen das auch freute, sie fühlte sich nicht wohl. Zwar hatte sie Comitas erzählt, was sie in der letzten Nacht plagte, aber so richtig davon befreit war sie nicht. Noch immer hatte sie diese schrecklichen Bilder vor sich. Und so war es nur vorhersehbar, dass sie auch bemi Abendessen keinen Bissen zusich nahm. Nur das, was sie gerade noch hinunterbekommen konnte. Dem Magier entging dies nicht. Auch nicht ihr verbundener Finger. „Was ist mit Eurem Finger geschehen, Prinzessin?“, fragte er und sie hielt erschrocken inne, wie ein Reh, dass Gefahr witterte. Flüchtig blickte sie zu ihrem verbundenen Finger und fragte sich kurz, was sie sagen sollte. Ob sie ihn anlügen sollte?

Nein, er würde sicherlich dies durchschauen. Sie war sowieso eine schlechte Lügnerin und ihn anzulügen, erschien ihr keine gute Idee. So blieb ihr nichts anderes übrig, als die Wahrheit zusagen. „Ich…ich habe mich geschnitten, als ich in der Küche war. Ich war mit meinen Gedanken woanders, sodass ich nicht aufpasste und mir in den Finger schnitt!“, erklärte sie, wagte es dabei nicht, ihm ins Gesicht zusehen und schaute auf ihre Hände. „Ihr wart in der Küche. Was wolltet Ihr da?“, fragte er und seine Stimme war ein dunkles Flüstern. Er hatte wohl überhört, dass sie nicht ganz bei sich war. Hatte nicht gehört, was sie so beschäftigt hatte, dass sie sich verletzte. „Ich…ich wollte Comitas und seinen Brüdern etwas helfen. Beim kochen und beim backen!“, erklärte sie und wagte es nun doch zum Magier zusehen. Etwas Undeutbares lag in seinen eisblauen Augen und der harte Zug um seinen Mund, ließen sie vor Furcht beben. Er legte den Kopf schief, wie ein lauernedes Tier, das den richtigen Moment zum Angriff abschätzte.

„Eine Prinzessin sollte nicht in der Küche arbeiten. Das wisst Ihr doch!“, waren dann seine Worte, die hart wie Granit waren und scheident, wie ein Schwert. Lumen biss sich auf die Unterlippe. Ja, das wusste sie. Aber was sollte sie anderes machen um sich abzulenken und nicht mehr daran zudenken, was ihr Angst machte?

„Ja, aber ich…!“, brachte sie hervor und merkte, wie ihre Angst vor ihm wieder hochkam. Ihre Zunge lähmte. Dennoch versuchte sie sich zu wehren. „Bitte, erlaubt mir, weiterhin in der Küche zuhelfen. Es…es hilft mir!“

„Es hilft Euch. Wobei denn?“

„Zu vergessen!“

„Zu veressen. Und was. Dass Ihr eine Prinzessin seid und eigentlich nicht dorthin gehört, wo Ihr gerne wärt. Ein ziemlich dummer Versuch!“

„Es hilft mir zuvergessen, dass ich hier bin. Als eine Gefangene!“, platzte es aus ihr heraus und bevor sie begriff, was sie gesagt hatte, wurde der Blick des Magiers bohrend. „Eine Gefangene? Ich sagte Euch doch, dass Ihr mein Gast seid!“, knurrte er und drehte den Kelch in seiner Hand.

Lumen schluckte. Ja, das hatte er. Mehr als einmal und hatte sie auch so behandelt. Warum also sprach sie so. Vielleicht weil er ihr Angst machte und weil seine Aroganz sie wütend machte?

Das musste es sein. Und auch wenn alles in ihr dagegen schrie, weiter zusprechen, tat sie es dennoch. Denn sonst würde er weitermachen und sie mehr und mehr in diesem goldenen Käfig gefangen halten, bis sie nicht mehr wusste, wie es ist, selber zu etnscheiden. „Und warum gestattet Ihr mir nicht, in der Küche zu helfen!“, sagte sie. Das Gesicht des Magiers verfinsterte sich. Mit jedem Wort, das sie sprach und Lumen verließ doch der Mut. Aber nun hatte sie ausgsprochen, was sie dachte und wollte es nicht zurücknehmen. Kleinleaut setzte sie hinzu, auch wenn sie wusste, dass sie es immer mehr schlimmer machte: „Wenn ich wirklich Euer Gast bin, dann gewährt mir diese Bitte!“

Tenebrae holt tief Luft, als sie dies sagte und wollte aufbrausen.

Was erlaubte sie sich?

Gab er nicht schon genug?

Reichte das nicht?

Seine Hoffnung, dass sie anders sei, als ihr Vater schrumpfte immer mehr.

„Ich gewähre Euch schon dieses abscheuliche Licht. Treibt es nicht zuweit. Oder ich nehme Euch alle Freiheiten!“, drohte er. Hob dabei nicht die Stimme, sondern sprach ruhig und in normalen Ton. Es würde nichts bringen, laut zuwerden. Und das schon allein ließ ihre Angst noch höher treiben. Lumen senkte den Kopf und kämpfte dagegen an, in Tränen auszubrechen. Zum einen hatte er sie zu sich geholt, weil er sah wie unglücklich sie im Schloss ihres Vaters war. Aber nun wollte er nicht, dass sie so lebte, wie sie es sich gewünscht hatte. Sie begriff einfach nicht, was in ihm vorging. Konnte man das überhaupt. Manchmal war er so undurchschaubar, dass sie glaubte, er sei kein Mensch. Dabei schauderte sie. Vermutlich war er das auch nicht. Kein Mensch konnte so böse sein und solche Kreaturen um sich haben, wie er. Obwohl. Böse war er auch nicht. Es war einfach zum verrückt werden. Egal wieoft sie es drehte und wendete: Tenebrae schien sich zwischen Gut und Böse zu befinden. Aber das was er nun gesagt hatte. Dass er ihr drohte, brachte sie in dieser Überlegung zum wanken. „Freiheiten? Was für Freiheiten. Tagtäglich bin ich hier und ertrage stumm diese Trostlosigkeit. Comitas und ihm in der Küche zuhelfen, ist das einzige, was mich davon ablenken. Denn sonst werde ich wahnsinnig!“, brach es aus ihr heraus und ihre Stimme zitterte. Sei still, zischte eine Stimme in ihrem Kopf. Doch es war zuspät. Sie hatte es laut ausgesprochen.

Tenebrae zuckte kurz zusammen und wo vorher schon sein Blick finster war, war er nun tödlich.

Als sie die letzten Worte aussprach, verspürte er einen Stich in seinem Herzen. Es war als hätte man ihm einen Dolch in die Brust gebohrt. Es war nicht das erste Mal, dass er so etwas aus dem Mund eines anderen vernahm und es riss alte Wunden in ihm auf.

„Wahnsinnig?!“, wiederholte er und seine Hände umklammerten die Lehnen seines Stuhls. Krampften sich darum, bis sie zitterten und die Knöchel weiss hervorstachen. „Was wisst Ihr schon, wie es ist wahnsinnig zuwerden?“

Seine Stimme war nicht mehr als ein Krächzen und Lumen drückte sich in den weichen Stoff. Wie als würde sie das vor dem Blick des Magiers schützen. Nun war er wieder die Dunkelheit, vor der sie sich fürchtete und als er sich erhob und auf sie zukam, sah sie in ihm wieder das Tier. Lauernd und gefährlich. Bereit im nächsten Moment zuzuschlagen.

Lumens Herz schlug soschnell, dass sie fürchtete, es würde ihr aus der Brust springen und Angst schnürte ihr die Kehle zu. Mit wachsamen, ängstlichen Augen schaute sie zu ihm. Als er dann vor ihr stehen blieb und auf sie hinabschaute, rückte sie zurück. Aus einer naiven Hoffnung heraus, dachte sie, so seinem Blich und ihm zu entkommen. Der Magier aber, ließ sich davon nicht beirren. Sie hatte seinen Zorn entfacht und nun sollte sie dafür zahlen.

Langsam beugte er sich über sie. Stützte sich mit den Händen auf den Lehnen ihres Stuhls und schaute sie mit durchdringenden Augen an. Seine Gesichtsmusekln waren angespannt. Nur der linke Mundwinkel zuckte etwas.

„Was wisst Ihr schon davon. Was wisst Ihr schon, wie es ist dem Wahnsinn ins Gesicht zusehen!“, knurrte er und beugte sich soweit zu ihr, dass nur wenige Milimeter zwischen ihnen lag.

Am liebsten wäre Lumen jetzt ganz woanders, wo er ihr nun so nahe war. Zu nahe, wie sie fand. Und sie hätte gerne weggeschaut. Wäre diesem bohrenden Blick entkommen. Doch er hielt sie gefangen. Zwang sie dazu, ihn anzusehen. Hielt sie praktisch in seinem Bann.

Lange sahen sie sich so an und die Angst in ihr nahm immer mehr zu. Schlug immer höher, wie die Wellen des Meeres, die gegen die Klippen branden. Sie zitterte am ganzen Leib. Wenn er sie doch nicht länger so ansehen würde. Dann könnte sie aufstehen und wegrennen. Wie als habe er dies in ihren Augen gelesen, ging er einige Schritte zurück. Ruhig, als habe er alle Zeit der Welt und dass er nicht wütend war. Aber Lumen brauchte nur in seine Augen zusehen, um zuwissen, dass sie soeben eine großen Fehler gemacht hatte. Sie schaute ihn noch einmal an, ehe er ruckartig den Kopf abwandte, als könne er es nicht ertragen, sie anzusehen.

„Comitas!“, schrie er dann und in seiner Stimme war mehr Wut zuhören, als man je wirklich gesehen oder gehört hatte. Nach wenigen Minuten stand der Diener in der Tiür. Sichtlich nervös. „Ja, Herr?“

„Bring die Prinzessin auf ihr Zimmer!“, wies er ihn an und verließ ohne ein weiteres Wort den Speissesaal.

Comitas und Lumen sahen ihm nach. Beide wussten nicht, was sie sagen sollten. Jeder dachte etwas anderes. Lumen war immernoch gelähmt vor Angst. So hatte sie ihn seitlangem nicht mehr erlebt. Sie hatte gedacht, dass er nun seine dunkle Seite etwas ablegen würde und ihr keine Angst mehr machen würde. Aber da hatte sie sich wohl gettäuscht.

Comitas wirkte mehr als nur bekümmert. Als er die Stimme seines Herren hörte und auch hörte, wie Zorn darin schwang, war er sofort herbeigeeilt und als er sah, wie wütend er war, befürchtete er das schlimmste. „Nicht doch!“, waren seine einzigen Gedanken. Und auch während er sie zurück auf ihr Gemach begleitete. Er hatte solch große Hoffnungen gesetzt, dass sie es war, die sein Herz, welches voller Dunkelheit, Verbitterung und auch Schmerz war, etwas zuerhellen. Doch wie es den Anschein hatte, hatte er sich zufrüh gefreut. Lumen betrat wortlos ihr Gemach. Noch immer hielt sie die Furcht gepackt und sie wagte es nicht, etwas zusagen. Aus Furcht etwas Falsches käme über ihre Lippen. Aber was hatte sie falsch gemacht. Sie hatte ihm nur gesagt, was sie bekümmerte und was ihr ehrlich erschien. Sie hatte ihn nicht beleidigt, oder war ihm undankbar erschienen.

Also warum war er nur so wütend?
 

Immer noch kochend vor Wut, stiess der Magier die Tür zu seinen Räumen auf und stapfte zu seinem Sessel. Mit einem entrüsteten Schnauben über die Undankbarkeit der Prinzessin ließ er sich in diesen sinken und ärgerte sich, selbst als viel Zeit vergangen war.

Was glaubte dieses Ding nur, wer sie war, ihm solche Frechheiten zuunterstellen.

Hatte er sie nicht beschützt, ihr edle Kleider gegeben und ihr erlaubt, mit ihm zu speisen?

Was musste er noch tun, damit sie ihm den nötigen Respekt zollte?

Sie war genauso wie ihr Vater. Verbohrt und intolerant. Es hätte ihn eigentlich nicht wundern sollen.

Aber was kümmerte ihn das eigentlich. Wieso ärgete es ihn und versetzte ihm gleichzeitig einen Stich, als er so darüber nachdachte?

Sollte er es nicht gewohnt sein, dass man ihm mit Misstrauen und Verachtung begegnete?

Sein ganzes Leben lang hatte man ihn gemieden.

Nein, nicht sein ganzes Leben. Es gab eine Zeit, in der er unter die Menschen gehen konnte, ohne dass sie ihn und er sie schief ansah. Doch diese Zeit lag solange schon zurück, dass er sich an diese kaum erinnern konnte.

Seine Wut verschwand. Langsam, aber sie schwand und ließ ihn erschöpft zurück. Müde und mit hängenden Schultern sank er tiefer in den Sessel und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Mit dem eröschen seiner Wut, war nun ein anderes Gefühl aufgestiegen. Schmerzlich und verzerrend. So wie als würde etwas in ihm zerbrechen. Kann es sein, dass er sich doch in sie getäuscht hatte. Dass seine Hoffnungen, dass sie anders sei, doch nur Illusion war. Tenebrae hätte gerne über diese Entäuschung gelacht. Doch er konnte es nicht. Es schmerzte zusehr.

„Nun seht Ihr, was Eure Großzügigkeit gebracht hat!“, sagte eine Stimme und er öffnete die Augen. Eine leise Stimme knurrte, als er diese Worte hörte und zur Decke schaute. Seine Wut, die ihn vorhin losgelassen hatte, kehrte zurück. Er schaute hinauf zu der Decke und kämpfte um seine Beherrschung.

Wie er sich gedacht hatte, war Fallacia in seinen Gemächern aufgetaucht und blickte mitleidig auf ihn hinunter. Er wollte ihr Mitleid aber nicht. Er wollte sie nicht. Nur seine Ruhe.

„Spar dir deinen Tadel, Fallacia und lass mich in Frieden!“, knurrte er. Und zu seiner eigenen Überraschung tat sie, was er sagte. Doch ihm war es recht. Solange er sie nicht sehen musste.
 

Lumen rannte. Rannte soschnell sie konnte. Die Türen, die einst verschlossen waren und sie einsperrten, sprangen auf. Gaben ihr den Weg frei. Den Weg in die Freiheit und Lumen zögerte keinen Moment. Mit jedem Schritt, den sie machte, kam sie dieser näher. Sie konnte sie schon fast riechen. Nur noch ein paar Schritte, dann würde sie aus diesem Schloss endlich entkommen sein. „Lumen!“, schrie plötzlich eine Stimme und sie blieb stehen. „Lumen, komm zurück!“

Lumen blickte hinter sich. Versuchte in der Dunkelheit etwas zusehen. Doch ihre Augen vermochten es nicht, in dieser etwas zuerkennen. Und doch..

Meinte sie die Gegenwart einens Menschen zu spüren. Sie war fast greifbar, als müsste sie nur die Hand ausstrecken, um sie zufühlen. „Lumen!“, wieder diese Stimme. Diesesmal drängender, als wollte sie daran hindern weiter zugehen. „Lumen!“

Die Stimme griff nach ihr, wollte sie festhalten. Sie dazubringen, zurück zugehen. Doch Lumen riss sich von ihren unsichtbaren Fängen los und rannte weiter. Keine Minute länger wollte sie hierbleiben. Schon sah sie vorne die Pforte, die weitoffenstand und der Himmel, der ihr die Freiheit versprach, nach der sie sich so sehnte. Die Stimme, die ihren Namen rief, klang dabei immer ferne, wie ein verstummendes Echo und verstummte ganz, als sie hinaus trat. Doch anders als sie erwartet hatte, war der Himmel dunkel und drohend. Nicht strahlendblau und nicht das, was sie sich erhofft hatte.

Wie als wäre sie aus einem Traum erwacht, blieb sie stehen und starrte zu den Wolken, die sich auftürmten und sich zuetwas formten, was ihren Herzschlag beschleunigte. Sie glaubte in ihnen die Gestalten von wilden Tieren zusehen, die sie mit hungrigen Augen anssahen. Tiefes Grollen war zu hören. Lumen drehte sich um. Vergessen war der Drang nach Freiheit. Das Einzige, an das sie nur noch denken konnte, war wieder hinein zugehen und sich in Sicherheitzu bringen.

Doch als sie sich umdrehte, war da nichts. Kein Schloss, in das sie Schutz suchen konnte. Nur ein Abgrund, der sich vor ihr auftat. Sich wie eine Narbe durch den Boden zog und dessen Schlund immer tiefer und schwärzer wurde und weit aufklaffte. Wie ein Maul, das sie zuverschlingen versuchte. Lumen schrie entsetzt auf. Wich zurück. Weit genug, sodass sie nicht in diesen zustürzen drohte. Was ging hier nur vor sich?

Panisch blickte sie sich um. Versuchte etwas zufinden, wohin sie fliehen konnte. Doch vor ihr lag eine trostlose Landschaft, in der es nichts gab, was ihr Schutz geben konnte.

Lumen wollte schonum Hilfe rufen, als sie dann hinter sich lautes Gebrüll hörte. Eisige Schauer rannen ihr über den Rücken und sie erstarrte. Schnell wirbelte sie herum und sah mit schreckgeweiteten Augen, wie die Wolken sich weiter zu etwas formten. Zuerst nicht deutlich, als dass man etwas erkennen konnte. Aber dann sie es. Oder besser gesagt: Sie.

Bestien!

Die Wolken waren zu wilden Bestien geworden, die an Wölfe, Bären und Raubkatzen erinnerten. Sie hatte es sich nicht eingebildet. Ihre Zähne waren doppelt so groß, wie Lumen es selber war und ihre Augen glühten nun in einem tiefen rot. Das Glühen wurde stärker, als sie die Prinzessin sahen und Hunger machte sich in ihnen sichtbar. Lumen schrie nochmals auf. Wollte am liebsten wegrennen. Der Abgrund versperrte ihr aber den Weg. Er schien nun noch größer geworden zusein und Lumen brauchte nur einen Schritt nachvorne zumachen, um in diesen zustürzen. Sie war in der Falle. Hinter ihr die Bestien, die immer näher kamen und vor ihr der Abgrund, der unendlich tief war.

Verzweifelt und voller Angst rief sie erneut um Hilfe. Doch keiner kam um sie zuretten. Trotzdem rief sie weiter. „Hilfe. So helft mir doch jemand!“

Die Bestien brüllten auf, als würden sie ihre Rufe verhöhnen. Lumen glaubte sogar tiefe Stimmen aus ihren Mäulern zu hören. „Dir wird niemand helfen. Du gehörst uns!“, riefen sie donnernd und ließen die Erde unter ihren Füssen erzittern.

Lumen konnte sich vor lauter Angst nicht rühren. Es war als würde eine eisige Kralle sie im Genick gepackt halten und dafür sorgen, dass sie an nichts denken oder tun konnte. Nur zuschauen. Sehen wie sie vom Himmel hinabstiegen und auf sie zuliefen. Erst langsam, lauernd. Als fürchtete sie, sie konnte ihnen doch noch entwichen. Dann aber immer schneller. Wie eine gewaltige Welle. Und dann…

Rissen sie gleichzeitig ihre Mäuler auf, um sie zuverschlingen. Lumen sah in die absolute Finsterniss, die in ihren Schlunden war und nach ihr zugreifen schien. Sie machte einen Schritt zurück. In der stillen Hoffnung, doch noch fliehen zu können.

Aber da gab der Boden ein kleines Stück unter ihr nach. Lumen keuchte auf. Sie hatte den Abgrund in ihrer Angst beinahe vergessen und die Angst und die Hilflosigkeit schlugen in ihr immer höher. Machten ihren Körper schwer wie Blei, sodass sie sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte und in die Knie sank und mit Tränen über ihren nahenden Tod, in den Augen, nur nachvorne blicken konnte. Zu den Ungeheuern.

Mit lautem Gebrüll, in dem Freude über das frische Fleisch lag, stürzten sie sich auf sie und Lumen schrie ein letztes Mal auf, ehe die Monster sie verschlangen und sie in eine tiefe, kalte Finsterniss stürzte ,aus der es kein Entkommen gab.
 

Mit einem Schrei erwachte sie und hörte Comitas verzweifelte Rufe. „Euch beruhigen. Ihr nur geträumt!“, rief er und hielt ihre Hände festumschlossen, damit sie sich nicht verletzte. Oder ihn. Es dauerte lange, ehe sie sich beruhigen konnte und richtig begriff, dass das nur ein Traum war. Schon wieder.

Zitternt fasste sie sich an die Stirn und war den Tränen nahe. Was war nur mit ihr, dass sie solche schrecklichen Träume hatte. Wäre das am Anfang, als sie hierher gekommen war, passiert, hätte es sie nicht gewundert. Zu sehr hatte sie sich gefürchtet. Aber jetzt wo sie solange schon hier war, war das doch nicht möglich. Es war beinahe so, als habe man einen Fluch über sie gelegt. Doch darüber wollte sie nicht länger nachdenken. Es war ein Traum, mehr nicht, versuchte sie sich einzureden. Immer wieder. Auch als Comitas ihr das Frühstück brachte und sie eigentlich Hunger haben sollte, aber keinen hatte. So wie beim letzten Mal. Sie brauchte nur die Augen zuschließen, um wieder die hungrigen Mäuler der Bestien und das Verlangen nach ihrem Fleisch in ihren Augen zusehen, um sich zu sehr zufürchten, sodass sie keinen Bissen hinunter bringen konnte.

„Tut mir leid, Comitas. Aber im Moment habe ich keinen Hunger!“, klagte sie. Comitas wirkte sichtlich betrübt, dass sie nichts von dem Frühstück haben wollte. Aber dann nickte er. „Nagut. Ich es Euch hierlassen. Aber mir versprechen, dass Ihr etwas esst, ja?“, sagte er und Lumen nickte. Musste über seine Besorgniss und auch Hartnäckigkeit fast lächeln. Er war in diesem Moment wie ihr Vater. „Ja, das werde ich. Versprochen!“, sagte sie. Mit einem zufriedenen Lächeln, verließ dann Comitas das Zimmer der Prinzessin.

Doch soleicht war es nicht, etwas zu essen. Kaum dass sie aufgestanden und zum Tisch gegangen war, um etwas Brot zu nehmen, überfiel sie ein Schwindel, der sie fast taumeln ließ. Schwankend ging sie aber dennoch zum Tisch und griff nach dem Brot. Bestrich es mit Butter und biss hinein. Ihr Magen freute sich über den Happen und schlang nun das Brot gierig hinunter. Der Hunger war offenbar größer, als ihre Furcht, die sie immernoch festhielt und im Traum verspürt hatte. Kein Wunder. Sie hatte gestern ja kaum was gegessen. Da war es nur verständlich, dass ihr Magen nun stärker war.

Und diesesmal schien es ihr auch zuschmecken.

Nach einigen Stunden kam Comitas wieder, um zu sehen, ob sie auch was gegessen hatte und als er sah, dass der Teller bis auf ein paar Krümmel leer war, lächelte er erleichtert. „Es Euch wohl geschmeckt hat?“, fragte er überflüssigerweise. „Ja!“, sagte sie. „Dann Euch umziehen?“

„Warum?“

„Na, Ihr etwa den ganzen Tag hierbleiben wollen?“, fragte nun wieder Comitas und stemmte beide Hände in die Hüften. Lumen musste dabei lächeln. Nein, dass hatte sie beim besten Willen nicht vor. So zog sie sich schnell ihr Kleid an. Comitas fragte sie, was sie machen wollte. In den Garten gehen, kam für sie nicht in Frage. Dabei musste sie nur an ihren ersten Alptraum denken. Und in die Küche? Lumen hätte gerne ihrem Freund geholfen. Sie brauchte Ablenkung. Aber sie hatte Angst, dass der Magier es bemerken würde. Sicherlich wäre er darüber noch wütender, als er es gestern schon war. Beim Anblick seiner Augen, die so voller Groll auf sie hinabsahen, wurde ihr unwohl zumute. „Was Ihr machen wollen, Prinzessin?“, fragte er wieder, als sie nicht sofort antwortete. „Ich…ähm…!“, sagte sie unschlüssig, was sie sagen oder tun sollte. Sie schwankte. Einerseits wollte sie in ihrem Zimmer bleiben. Aber andereseits wollte sie sich die Zeit vertreiben und dafür kam ihr kein anderer Ort in Frage, als die Küche. „Ach, was solls. Ich möchte in die Küche!“

Comitas strahlte über das ganze Gesicht. Freute sich wohl, dass sie sich entschlossen hatte, etwas zu machen. „Gut!“, sagte er und schaute sie nocheinmal von oben bis unten an. Er zog etwas die Nase kraus.

„Ihr Euch aber dann anders anziehen müsst. Das Kleid beim letzten Mal ziemlich ruiniert war!“, sagte er. Lumen nickte. Das stimmte. Das Kleid welches sie gestern getragen hatte, war durch die Arbeit in der Küche beschmutzt mit Mehl, Teig und Soße. Es war eigentlich ein Jammer. Solch ein schönes Kleid. Aber was solls. Wenn es ihr half, sich abzulenken.

Also zog sie statt einem edlen Kleid, Bluse und einen einfachen Rock an und band sich ihr Haar zusammen. Dann noch eine Schürze, die sie sich um die Hüfte band und ein Tuch für ihre Haare, damit diese nicht ins Essen fielen. Als sie sich im Spiegel ansah, sah sie nun hgar nicht mehr wie eine Prinzessin aus. Sondern wie ein einfaches Küchenmädchen. Es war verrückt und irgendwie unpassend, aber sie musste bei ihrem Anblick leise lachen. Wenn ihr Vater so sehen würde. Was würde er sagen. Wäre er fassungslos oder außer sich vor Entrüstung. Vermutlich würde er ihr vefehlen, dass auszuziehen und sich ihrem Stand gemäß ankleiden. Aber ihr Vater war nicht hier. Sie war nicht in seinem Schloß. Sondern in dem des Magiers.

Lumen überkam ein merkwürdiges Gefühl. Sobald sie an Tenebrae dachte, sah sie zwei Gesichter. Das eine seltsam ruhig und es gehörte einem Mann, der nichts tun wollte. Das andere wiederum war voller Grausamkeit und gehörte jemanden, der ihr drohte. Ihr vermutlich sogar etwas antun würde. Und in dieses Gesicht hatte sie letzte Nacht geblickt. Lumen drängte schnell diese grausige Erinnerung aus ihrem Kopf. Comitas trat neben sie und nahm sie bei der Hand. „Nun kommen, Prinzessin!“, drängte er sie und zog sie mit sich.
 

Unten in der Küche herrschte wiedermal heftiges Treiben und auch wenn einige von Comitas Brüdern es sich kaum ansehen ließen, waren sie erleichtert, dass die Prinzessin kam, um ihnen zu helfen. Sie spülte mit ihnen ab, schnitt Gemüse zurecht und knetete Teig. Zuerst war Lumen sich nicht so sicher, ob es nicht doch eine schlechte Idee war und schaute immer wieder zur Tür, aus Angst der Magier würde in dieser stehen und sie zurechtweisen. Ja, vermutlich aus der Küche zerren und sie in ihr Gemach einsperren. Doch warum sollte er das tun, fragte sie sich aus einem unerfindlichem Grund. Sie tat doch nichts Verbotenes. Sondern beschäftigte sich nur. Und was war schon dabei?

Das sagte sie sich immer wieder, während sie den Teig durchknetete und ihn dann zu einem Laib Brot formte. „Ihr das schon sehr gut machen, Prinzessin!“, sagte Comitas. Lumen lächelte stolz. „Gar nicht schlecht, für den zweiten Tag und vorallem für eine Prinzessin, oder!“, sagte sie und trug den rohen Teig zu Ofen. Comitas kicherte. Folgte ihr und half ihr dann den Ofen zuöffnen und zuschließen. Lumen wischte sich ihre Hände an der Schürze ab und ging zurück zu dem Tisch, wo schon der nächste Teig auf sie wartete. Geschäftig knetete sie ihn durch. Träute etwas Mehl darüber, damit er nicht an ihren Fingern klebte und knetete weiter. Comitas schaute ihr zu. In seinem Gesicht war staunen zusehen.

„Wenn Ihr so weitermachen, dann Ihr eine Küchenprinzessin werdet!“, bemerkte er, wobei Lumen grinsen musste. Küchenprinzessin, ein komischer Titel. Aber irgendwie gefiel er ihr.

Mit einem vornehmen Lächeln, nahm sie die Enden ihres Rockes und machte einen Knicks. „Gestatten, Prinzessin Lumen. Prinzessin der Küche!“

Comitas musste dabei nur mehr kichern. Machte dann eine vornehme Verbeugung. „Und ich Comitas, Fürst des Backofens!“

Das war so komisch, dass beide lachen mussten.

Die anderen warfen sich nur verwirrte Blicke zu. Wussten nicht, was sie von dem Benehmen ihres Bruders und dem der Prinzessin halten sollten. Dachten sich auch nichts dabei und machten sich weiterhin an die Arbeit. Lumen und Comitas lachten und alberten noch eine Weile herum. Lumen fühlte sich dabei wie ein kleines Mädchen und es wat ihr egal, wie albern sie auf die anderen wirkte. Sie war glücklich und das würde ihr niemand nehmen. Doch dann verstummte Comitas Lachen und sein Gesicht war voller Angst. Lumen hörte auch auf zulachen. Aber nicht weil sie sich fürchtete, sondern weil sie nicht verstand, was ihm so einen großen Schrecken eingejagt hatte. Bis sie zu der Tür blickte, in der eine Frau stand. Schwarzharrig und mit fernöstlichen Gesichtszügen. Ihre Haut war bleich, fast schon alabastafarben und ihre Augen dunkel. Schwarze Zeichnungen, die Lumen fremd waren, zierten ihre Stirn, teilweise das Gesicht und den Hals. Sie trug ein schwarzes Gewand, was mehr enthüllte, als es eigentlich verbergen sollte. Mit einem kühlen Blick schaute sie in die Küche. Sah die Zwerge herablassend an. Diese senkten den Kopf. Machten sich daran zu arbeiten. Lumen ahnte, dass diese Frau nicht einfach nur hier lebte. Anscheinend hattes ie hier genauso viel zu sagen, wie der Magier. Sie brauchte sich die kleinen Kerle einfach nur anzusehen, um zuwissen, dass sie sich vor ihr fürchteten. Lumen wandte den Blick ab. Schon allein der Blick, der in den schwarzen Augen der Frau lag, sorgte in ihrem Bauch für ein laues Gefühl. Ließ sie schaudern. Sie kannte dieses Gefühl nur zugut. Sie machte ihr genauso viel Angst wie der Magier. Vielleicht auch mehr. Dabei hatte sie sie nur angesehen. Eilig machte sie sich daran weiterzuarbeiten, um sie nicht anzusehen. Doch auch wenn sie ihr den Rücken zuwandte, spürte sie deutlich die Blicke der Frau. Fallacia lächelte, als sie sah, dass ihr Anblick bei den Zwergen die gewohnte Reaktion auslöste. Sie genoss es förmlich. Dann blieb ihr Blick bei Lumen und Comitas haften. Ein verächtliches Lächeln umspielte kurz ihre Lippen. „Sieh an, ich wusste nicht, dass wir ein neues Küchenmädchen haben!“, bemerkte sie hochmütig und kam auf die beidne zu. Comitas drehte sich zu ihr herum. „Sie kein Küchenmäden ist. Sie die Prinzessin und der Gast des Herren ist!“, erwiederte mit kühlen Ton. Fallacia wusste natürlich, wer dieses Mächen war. Es war überflüssig, dass dieser Gnom es ihr sagte. „Und warum arbeitet die Prinzessin dann hier. Anstatt in ihrem Gemach zusein. Du weißt doch, dass unser Herr es nicht gerne sieht, wenn man sich seinen Befehlen wiedersetzt!“, erwiederte sie und schaute nur flüchtig Lumen an, doch das reichte aus, um ihr das Gefühl zugeben, nicht erwünscht zusein. Lumen holte tief Luft und versuchte ihrem Blick standzuhalten. „Er ihr nichts befohlen hat. Sie kommen und gehen, wohin sie will!“, war Comitas Antwort und war um einiges schärfer, als die vorherige.

„Du nimmst dir zuviel raus, Comitas. Du vergisst wohl wo dein Platz ist!“, knurrte sie mit einem boshaften Grinsen und versetzte Comitas einen Stoss, der ihn zu Boden warf. „So ist es besser. Da gehörst du auch hin. Ganz weit unten!“

„Lassen Sie ihn gefälligst in Ruhe!“, mischte sich Lumen nun ein, weil sie es nicht ertragen konnte, dass man ihren Freund so behandelte. Fallacia hob die Brauen und sah die Prinzessin herausfordernt an. Kam auf sie zu. „Verzeiht Prinzessin. Ich wusste nicht, dass dieser da Euer persönlicher Diener ist!“, gurrte sie und rang sich ein freundliches Lächeln ab, wobei sie diesem Gör alles andere als freundlich vorkommen wollte. „Er ist nicht mein Diener. Sondern ein Freund!“, entgegnete sie und reckte das Kinn vor. Fallacia prustete fast los, als sie dies hörte. Sie sah in diesem hässlichen Zwerg einen Freund?

Lächerlich. Sie war noch viel närrischer, als Fallacia gedacht hatte.

„Oh, ist das so?“, fragte sie und schaute zu Comitas, der sich wieder aufgerappelt hatte. „Ein Zwerg und eine Prinzessin. Befreundet. Ich hätte nicht gedacht, dass Ihr so schnell Euren Stand vergesst!“, sagte sie. Lumen spürte, wie die Worte dieser Frau sie trafen und versuchte es zu überspielen, indem sie sie genauso Kühl ansah, wie Fallacia es tat. „Ich habe meinen Stand nicht vergessen. Ich helfe nur meinen Freunden. Und versuche dabei zu vergessen, dass ich hier gefangen bin!“

Kaum waren die Worte aus ihrem Munde, schon veränderte sich das Gesicht der Frau. Es wandelte sich in das einer wütenden Furie und Lumen fragte sich, ob sie mehr mit dem Magier gemein hatte, als sie sich vorstellen konnte.

Fallacia musse den Drang unterdrücken, sie zu schlagen. Sie nahm sich wirklich zuviel raus. Da wurde sie schon verwöhnt, was ihr überhaupt nicht zustand und sie wagte es noch, so über ihn zureden. Gefährlich nahe kam sie ihr und beugte sich zu ihr. „Gefangen? Wenn das für Euch bedeutet gefangen zu sein, dann ist der Herr viel zugut zu Euch. Wenn es nach mir ginge, würde ich Euch gerne in den Kerker werfen und Euch nur Wasser und Brot geben, statt Wein!“

„Es aber nicht nach dir geht, Fallacia!“, sagte nun Comitas, der sich schützend vor Lumen stellte und Fallacia warnend anschaute. „Der Herr hier herrscht und du nichts zusagen hast!“

Das werden wir ja sehen, dachte Fallacia, sah nocheinmal die Prinzessin an und wandte sich dann ab. Bevor sie aber die Küche verließ, drehte sie sich noch einmal um und warf einen abgrunftief bösen Blick der Prinzessin zu. „Wenn ich Euch einen guten Rat geben darf, Prinzessin: Strapaziert seine Großzügigkeit nicht zusehr und seid dankbar für das, was er Euch gibt!“

Dann war sie verschwunden.

„Ihr Euch vor ihr hüten müsst. Sie gefährlich ist. Und nicht auf das hören, was sie sagt. Der Herr nicht so ist, wie sie behauptet!“, sagte Comitas. Tätschelte der Prinzessin die Hand. Aber seine Worte vermochten es nicht, ihre Angst zuvertreiben. Fallacias Worte hallten noch kange in ihren Ohren und etwas an ihnen war auch wahr. Sie hatte ja gestern selber gesehen, wie wütend der Magier werden konnte und dass nicht viel dazu fehlte. Nur mit wenigen Worten hatte sie dafür gesorgt, dass Magier wieder der war, vor dem sie sich fürchtete. „Und was wenn nicht. Was wenn er wirklich so ist, wie sie sagt!“, flüsterte sie und bemerkte, wie ihre Stimme nur ein Flüstern war. „Nein, er nicht so ist. Ihr mir vertrauen könnt. Und ihm auch!“

Kann ich das, fragte sie sich und schaute hinaus. Die Nacht brach herein. War wirklich schon soviel Zeit vergangen, dass es wieder soweit war. Dass sie wieder mit ihm speisen musste. Gerne wäre sie hiergeblieben. Doch wenn sie nicht ging und sich für das Essen mit ihm fertig machte, würde er vermutlich noch wütender werden und das wollte Lumen nicht.

Also ging sie mit Comitas auf ihr Gemach, nahm ein Bad und zog das Kleid an, welches Comitas ihr gab, an. Es war ein dunkelblaues Kleid, mit gerafftem Rock und kurzen Ärmel, die knapp über ihrem Ellenbogen endeten und feine Spitze aus diesem hinabfloss. Spitze war auch an ihrem Ausschnitt und verdeckte dezent den Ansatz ihrer Brust. Zuletzt bürstete sie sich ihr Haar und schaute dabei in Spiegel. Betrachtete sich im Spiegel. Nun war sie wieder eine Prinzessin und kein, wie Fallacia es ausdrückte, Küchenmädchen. Aber wenn sie bedachte, was sie nun erwartete, wäre sie lieber ein Mädchen, das in der Küche arbeitete. Würde viel lieber stundenlang am Herd stehen, Gemüse zurechtschneiden und die Töpfe und Teller abwaschen.

„Ihr soweit seien?“, fragte Comitas nach einer Weile und Lumen nickte. „Ja, bin ich!“
 

Lumen saß dem Magier gegenüber, vermied es dabei ihn anzusehen. Sie fürchtete sich zusehr, wieder in seine kalten Augen zusehen. Ein kurzes Aufflackern ließ sie aber hochschauen und sah, dass die Kerze brannte. Sie war schon fast abgebrannt. Und dennoch brannte sie. Sie sah zum Magier, der regungslos dasaß und ins Leere schaute. Warum tat er das?

War er nicht böse?

Sie hatte ihn doch gekränkt. Ach was. Sie sollte sich dabrüber keine Gedanken machen, sondern froh sein, dass er ihr immerhin die Kerze entzündet hatte. Dennoch beschäftigte sie diese Frage und hielt es nicht mehr länger aus, da er schwieg und das Schweigen war noch schlimmer, als seine Wut. „Warum…tut Ihr das?“, fragte sie und da sah er sie richtig an. „Was meint Ihr?“, kam es von ihm, als er den Kelch nahm und daraus einen Schluck Wein nahm. „Dass Ihr die Kerze anzündet? Ich dachte, Ihr seid immernoch wütend!“, flüsterte sie und senkte nun wieder den Blick. Lange sagte Tenebrae nichts. Sah sie nur an. Er war wütend aber nur ein wenig. Seit gestern Nacht hatte er kein Auge zugetan. Hatte nicht mal annähernd Ruhe gehabt. Sondern musste immer wieder an das denken, was sie ihm vorgeworfen hatte. Stimmte das etwa wirklich?

Hielt er sie gefangen und die Freiheiten, die er ihr gewärhte, waren nur Beweise seiner Grältaten. Tenebrae wollte es nicht wahrhaben. Zumindest nicht, dass er in irgendeiner rt grausam zu ihr war. Und dennoch…

Hatte er nicht selber gesagt, dass sie in seiner Nähe sein musste, wenn die Schatten ihr nicht tun sollen?

War das nicht auch Zeichen dafür, dass er sie gefangenhielt und sie an sich fesselte.

Es kam ihm völlig absurd vor. Er sollte sich eigentlich keine Gedanken darüber machen. Aber als die Prinzessin ihn fragte, durchfuhr es ihn schmerzlich. Er leckte sich über die Lippen, versuchte ruhig zubleiben, wobei in seinem Inneren ein Chaos an Gefühlen tobte. So unterschiedlich und wiedersprechend, dass er sich fragte, ob er den Verstand verlor. Vergass, wer er war.

„Nein, ich bin nicht wütend!“, sagte er und hörte in seinem Kopf eine Stimme fauchen:„ Lügener!“, aber er ignorierte dies. Sondern sprach weiter. „Aber ich frage mich, warum Ihr so schlecht von mir denkt?“, fragte er in einem ruhigen Ton und Lumen biss sich auf die Unterlippe. Sie wusste sich darauf keine Antwort. Selbst wenn sie es gewusst hätte, hätte sie es nicht sagen können. Aus Angst, ihn wieder zuverstimmen.

„Ich…ich weiss, auch nicht. Es ist die Art, wie Ihr vor mir tretet und Euch verhaltet. Ich weiss, einfach nicht, was in Euch vorgeht!“, kam es ihr dann über die Lippen und fühlte sich seltsamerweise dadurch leichter. Als würden die Worte ihre Furcht nach und nach nehmen. „Einerseits wolltet Ihr mich aus dem Schloss meines Vaters holen, weil Ihr gesehen habt, dass ich unglücklich war. Anderseits aber habt Ihr was dagegen mich in der Küche nützlich zumachen!“

Tenebrae lauschte ihren Worten und musste fast lächeln. Irgendwie amüsierte es ihn, was sie da sagte. Es klang fast so, als würde sein Benehmen sie mehr wundern als ängstigen. Er würde darüber lachen, wenn es nicht so vewirrend wäre und seinen Magen umdrehte. „Bin ich so undurchschaubar?“, fragte er. Diese Frage wunderte sie etwas. Seine Stimem war weder kalt noch herblassend. Sondern eher so, als habe sie ihm etwas erzählt, was er noch nie gehört hatte. Und das war es auch. Noch nie hatte jemand soetwas zu ihm gesagt. „Nunja…mal seid Ihr böse und macht mir Angst, aber dann seid Ihr so gönnerhaft. Wie das mit der Kerze. Dabei habe ich doch deutlich gesehen, dass Euch das Licht nicht behagt!“, sagte sie und spielte mit ihrer Servierte. Tenebrae seufzte innerlich auf, als er ahnte, auf welches Thema sie hinauswollte und rollte die Augen. „Ich sagte es Euch doch schon zum zigtenmal. Ihr seid mein Gast!“

„Ja, das sagtet Ihr und ich bin auch…dankbar. Aber ich werde mich wohl einfach nicht daran gewöhnen können!“, flüsterte sie nun, weil sie wusste, dass ihre Worte ihm vermutlich nicht gefallen würden. „Dabei seid Ihr schon gut ein halbes Jahr schon hier!“, bemerkte er und bemühte sich, seine Stimme wie gewöhnt klingen zulassen. Gelassen und so, als würde über belangloses reden. Was ihm sehr gut gelang. Lumen sprang vom Stuhl auf. Ihr Mund stand weit auf, vor Unglauben. Ein halbes Jahr erst?

Solange schon. Was war mit ihrem Vater und mit ihren Schwestern. Dachten sie noch an sie, oder hatten sie sie schon längst vergessen?

Nein, das ganz sicher nicht. Sie würden sie nie vergessen. Lumen verdrängte diesen Gedanken, konzentierte sich auf was anderes, was auch nicht ganz unwichtig ist. „Was sagtet Ihr da? Ein halbes Jahr?“, keuchte sie. Tenebrae hob eine Braue und sah sie erstaunt an. „Ja, wusstet Ihr das nicht. Habt Ihr soschnell die Zeit vergessen?“, fragte er und Lumen schluckte. Ja, das hatte sie. Zu anfang wusste sie noch, wie lange sie hier war, in dem sie die Abstände zwischen hell und dunkel zählte. Hatte es aber aufgegeben, da es ihr sinnlos erschien. Dass sie aber erst ein halbes Jahr hier war, war erschreckend. Sie dachte, sie wäre schon zwei Jahre hier. Es kam ihr zumindest so lange vor. So als habe man ihr alle Kraft genommen, sackte sie zurück in den Stuhl und schaute auf ihre Hände. Ein halbes Jahr, ging es ihr immer wieder durch den Kopf. Erst ein halbes Jahr war vergangen. Aber warum erschreckte es sie. Sie würde sowieso hierbleiben, bis sie alt und grau sein und dann sterben würde.

Ihre Augen brannten, als sie sich dies sagte und grub das Gesicht in beide Hände. Weinte obwohl sie nicht wusste, warum. „Was habt Ihr Prinzessin. Warum weint Ihr?“, fragte der Magier und kam auf sie zu. Lumen schüttelte den Kopf. Es war nicht wichtig, warum sie weinte. Und sinnlos. Es würde sowieso nichts bringen. „Es…es ist nichts. Ich bin nur überrascht, dass ich solange schon hier bin. Es kommt mir wie…ach…nicht weiter wichtig!“, erklärte sie und wischte sich ihre Tränen weg. Der Magier aber ließ sich soleicht nicht von ihren Worten beirren. Irgendwie konnte er ihr nicht glauben. Mochten es ihr Tränen sein und das Zittern in ihrer Stimme. Er konnte nicht sagen, was es war. Aber er spürte wieder diesen Stich in seinem Herzen, der ihn penigte und ihm kurz die Luft abschnürte. Tief atmete er ein und bekämpfte den Stich. Bis er nur noch ein dumpfes Pochen war. „Wenn es nicht wichtig ist, dann hört auf zu weinen!“

„Aber das tu ich doch!“

„Nein, ich sehe, dass in Euren Augen immernoch Tränen sind. Bringt diese zum versiegen!“

„Wie könnte ich das. Ich bin nicht so wie Ihr. Habt Ihr denn niemals eine Träne vergossen?“, brachte sie dann außer sich hervor und erhob sich so heftig vom Stuhl, dass dieser lautaufschlagend nachhinten fiel. Wütend und fassunglos blickte sie ihn an. Doch statt zu antworten, wandte sich der Magier ab und ging zum Kamin. Sah ins Feuer, als würde sie nicht hier im Raum stehen. Als sei sie Luft. Lange sagte er nichts und Lumen glaubte beinahe, dass er sie vergessen hatte. Aber dann drehte er sich wieder zu ihr herum und sein Blick hatte einen seltsamen Aussdruck. „Meine Tränen habe ich schon vor langer Zeit zum versiegen gebracht. Ich kann nicht weinen. Sowie auch irgendwas empfinden!“, erklärte er. „Ich habe das alles schon vor sehr langer Zeit abgelegt!“

Lumen wollte nicht glauben, was er da von sich gab. Wie konnte ein Mensch das alles, was ihn ausmachte, ihn zum einen lebendenWesen machte, einfach so ablegen. Wäre dann nichts weiter als eine leere Hülle. In seinem Fall wäre er das. Eine Hülle, aber nicht leer. Sondern erfüllt von Dunkelheit. Sie öffnete den Mund um etwas zusagen. Dass es nicht richtig war. Doch der Magier kam ihr zuvor. „Und ich bedaure es keinen einizigen Moment!“

Nun war wieder Kälte in seiner Stimme zu hören und Lumen wich vor ihm zurück. Ein Mensch, der es nicht bereute, seine Gefühle verloren zu haben, dachte sie. Ist nichts weiter als ein Dämon. Tenebrae sah deutlich in ihren Augen, was sie dachte. Und seufzte innerlich. Warum hatte er das nur gesagt?

Er sollte wissen, dass sie das nur noch mehr erschrecken und sie nun noch mehr Angst vor ihm haben würde. Genauso fragte er sich, warum er sich jetzt wünschte, diese Worte nicht ausgesprochen zuhaben. Sollte es ihm eigentlich nicht egal sein?

Warum beschäftigte es ihn. So langsam hatte er die Ahnung, dass diese Prinzessin all jene Empfindungen in ihm weckte, die er für verloren glaubte. Und davor fürchtete er sich.

Lumen senkte den Blick und wünschte sich, nicht in seiner Nähe zusein. Wenn er schon so etwas sagte, zuwas wäre er dann in der Lage. Wieder sah sie in ihm das Tier, welches ihr Angst machte.

„Vor mir braucht Ihr Euch nicht zu fürchten!“, sagte er und kam auf sie zu. Lumen wich zurück. Er konnte ihr Versprechungen geben soviel er wollte. Er würde nie die Angst vor ihm von ihr nehmen können. Dies war auch in ihrem Gesicht zusehen. Tenebrae sah ein, dass es keinen Sinn hatte, sie davon zu überzeugen, dass er ihr nichts tun würde. Mit steifen Bewegungen drehte er sich um, ging zur Tür. Bervor er diese öffnete, um den Raum zuverlassen, sah er über die Schulter zu ihr. „Meinetwegen könnt Ihr weiterhin in der Küche helfen. Wenn es Euch Freude bereitet, soll es mein Schaden nicht sein!“, waren seine letzten Worte und rief dann nach Comitas.

Diese Worte verwirrten sie nun. Warum hatte er aufeinmal erlaubt, dass sie in der Küche aushalf. War er nicht dagegen gewesen. Lumen wusste einfach nicht, was sie davon halten soll. Von ihm halten soll.
 

Fallacia schäumte vor Wut. Sie hatte gesehen, wie der Magier und die Prinzessin sich wieder angenähert hatten, und wie ihr nicht mehr grollte. Dabei sah es so vielverspechend aus. Aber nun war ihre Hoffnung zunischte gemacht. Verdammt. Und sie konnte auch nicht das Gift in ihren Wein tröffeln. Das bedeutete, dass sie ihrem Ziel wieder weit entfernt war. Wieder fluchte Fallacia und schwor sich, dass ihr nicht noch mal so ein Fehler unterlaufen wird.

„In der nächsten Nacht wird sie dem Tode geweiht sein!“
 

Ausnahmsweise war Lumens Schlaf ohne irgendwelche Alpträume und war auch das Aufwachen viel ruhiger und frischer, als die letzte Nacht. Als Comitas hineinkam, sah er zufrieden aus und lächelte. „Wie ich sehen, es Euch besser geht!“, sagte er und schob den kleinen Wagen mit dem Frühstück hinein. „Ja, das tut es. Kein Alptraum heute Nacht!“, verkündete sie erleichtert, dass sie eine ruhige Nacht hatte und schlüpfte in ihren Morgenmantel. Ging zu dem kleinen Tisch und wollte gerade frühstpücken, als sie innehielt und mit großen Augen auf die Rose blickte, die auf einem Teller lag. Sie war blau. Verwundert und auch mit einem freudigen Laut nahm sie die Rose und drehte sie. Fühlte sie. Roch an ihr, um sich sicher zusein, dass sie keine Täuschung war. Ihr Herz machte einen Hüpfer. Sie roch zwar, aber nicht so wie es eine Rose tun sollte. Sie hatte den salzigen frischen Geruch des Meeres und des Windes.

Lumen konnte es nicht glauben. Trotzallem was sie gerade dachte, dass sie nicht fassen konnte, wurde sie sich eins bewusst: Sie war echt!

Lumen schaute zu Comitas, der sich ein Grinsen verkneifen musste und hatte so das Gefühl, dass er etwas mit dieser kleinen Überraschung zutun hatte. „Comitas, weißt du, woher…?“, wollte sie fragen, doch da kicherte Comitas. „Neinnein, ich nichts sagen!“, waren seine Worte und schon er auch draußen.

Lumen fragte sich, was das zubedeuten hatte. So hatte sie ihren kleinen Freund nie erlebt. Es wirkte fast schon, als käme diese Rose wirklich von ihm. Konnte es sein, dass sich der kleine Zwerg in sie verliebt hatte?

Lumen musste über diesen Gedanken fast schon lachen. „Nein sicher nicht. Er wollte mir bestimmt nur eine Freude bereiten!“, dachte sie sich und aber auch diese kleine Geste ließ ihr Herz vor Freude weiterhin schneller schlagen, als es gut war. Der gute Comitas, dachte sie bei sich. Er war wirklich ein guter Freund. Wenn er das nächste Mal zu ihr kam, würde sie sich bedanken. Jetzt war sie zu überwältigt, um ihm sofort zu danken.
 

Mit froher Laune kam Comitas ins Gemach seines Herren, der schon ungeduldig auf ihn wartete. „Und, hat sie sich über die Rose gefreut?“, fragte er und versuchte die Aufregung in seiner Stimme zu unterdrücken. Seit gestern Nacht, als er gesehen hatte, dass seine Worte über seine Gefühle, sie erschreckt hatten und nicht mal sein Versprechen, dass er ihr nicht tun würde, diese Angst linderte, konnte er an nichts anderes denken. Wieder bereute er seine Worte. Und wusste nicht, was er tun konnte, um sich ein reines Gewissen zumachen und ihr sein Versprechen zuverdeutlichen. Es war das erste Mal, dass er sich in so einer Situation fand und es behagte ihn nicht. Es ließ sein Herz verkrampfen und raubte ihm die Luft. Vorallem die Gewissheit, dass es ihn selber schwer traf, dass sie ihm nicht vertraute.

Da erinnerte er sich an die Rosen im Garten, die ihr Mitleid weckten und mit Hilfe seiner Kräfte ließ er eine von ihnen zum neuen Leben erwachen. Doch anders als jede normale Rose, war diese meeresblau und hatte den ebenso gleichen Duft. Sofort hatte er diese Comitas gereicht und ihm befohlen, sie der Prinzessin zu überbringen. Hatte gewartet, bis sein treuer Diener zurückkehrte. Eine nie gekannte Unruhe nahm von ihm Besitz. Ließ ihn kaum denken. Immer wieder kreisten seine Gedanken um sie. Um die Prinzessin und wie sie dabei reagieren würde. Nun stand Comitas neben ihm und strahlte über das ganze Gesicht. „Ja, sie es erst gar nicht glauben konnte. Als aber sie an der Rose roch, da ihr Gesicht hättet Ihr sehen sollen!“, verkündete er und Tenebrae schöpfte Hoffnung. Doch diese schwand dann wieder kaum dass sie richtig in ihm aufgeblümt war. „Weiss sie, dass die Rose von mir ist?“, fragte er. Und Comitas freudige Miene erblasste. „Nein, ich denken, dass Sie glauben, sie von mir seien!“, erklärte er und Tenebrae seufzte schwer. Natürlich. Comitas war ihr einziger Freund hier und dass sie dachte, er hätte ihr diese Rose geschenkt war nur gut nachvollziehbar. Sie würde niemals darauf kommen, dass er es war, der die verwelkte Rose zum neuen Leben brachte. Dafür fürchtete sie sich zu sehr. Er hatte selber dafür selber gesorgt.

Comitas sah, dass seinem Herr diese Nachricht schmerzlich traf und kam etwas näher. Stellte sich neben ihn und schaute ihn mit niedergeschlagenen Augen zu ihm hinauf. „Herr, wenn Ihr erlaubt…!“, sagte er und Tenebrae sah zu ihm hinunter. Gab ihm mit einemWink zuverstehen weiterzusprechen. „Vielleicht ihr Vertrauen gewinnen, wenn Ihr offen zeigt, was Ihr empfindet!“

Da hob der Magier die Brauen. Ihr zeigen, was er empfindet?

Wie sollte er das und wie kam sein Diener darauf, dass er etwas fühlte. War es ihm so deutlich anzusehen. War er so durchschaubar?

Nein. Das konnte nur ein Irrtum sein. Ein absurder Irtum. „Ich glaube kaum, dass das etwas ändern würde. Du hast sie selber gesehen, wie sie mich angeblickt hat!“, sagte er trocken. Comitas erwiederte darauf nichts. Ja, das hatte er. Aber nur weil sein Herr sagte, dass er seine Gefühle vorlanger Zeit aus seinem Herzen verbannt hatte und es nicht bereute. Das hatte sie zutiefst erschüttert. „Ihr ja auch das falsche gesagt habt!“, murmelte er und da sah sein Herr ihn an. Entrüstet und auch etwas erbost, dass sein getreuer Diener sich anschickte, sowas zuerwähnen. „Wie sollte ich, wenn es stimmt!“, fuhr er ihn an und stand auf. Der Sessel in dem er noch saß rutschte etwas nachinten und schabte über den Teppisch. Ging zum Feuer hin und schaute mit grimmiger Miene heinein. In ihm tobten Gefühle, die er kannte und auch wieder nicht. Wut, Zorn. Verwirrung, Schmerz. Sie rangen miteinander und ließen sein Herz fast zerspringen. Er schloss die Augen, biss sich auf die Unterlippe und wusste nicht, welchem Gefühl er nachgeben sollte. Es war verrückt, so etwas noch in sich zuspüren. Er hatte immer gedacht, dass er nicht mehr im Stande sei etwas zu fühlen. Aber wie es aussah, war immer noch etwas in ihm. Ewas aus seinem alten Leben. Tenebrae schauderte und versuchte nicht mehr daran zudenken. Er wollte nicht wahrhaben, dass sein Diener die Wahrheit gesprochen hatte. Comitas stand da und sah zu seinem Herren. Sah welchen Kampf er innerlich ausfocht. Und trotz dass es besser gewesen wäre zu schweigen, musste Comitas sprechen. „Herr, bitte bedenkt Ihr doch…!“, versuchte er es. Doch drehte sich sein Herr herum und sah ihn aus vor wütend funkelnden Augen an. „Genug davon. Ich will nichts mehr hören. Geh jetzt. Ich will allein sein!“, befahl er ihm und Comitas folgte dem Wunsch des Magiers und verließ sein Gemach. Ließ ihn allein, mit dem Kampf, der immernoch in ihm tobte und ihn aufwühlte, wie der Wind das ruhige Meer.
 

Lumen wollte nicht in die Küche, sehr zum Erstaunen Comitas, sondern in die Bibliothek. Wollte schon, als er ihr das Schloss zeigte, sich auf die bequemen Möbeln niederlassen und somit die Zeit verstreichen lassen und es sich in den alten Sessel gemütlich machen. Doch bisher hatte sie keinen Grund dafür gehabt. Natürlich hätte sie sagen können, dass sie lesen wollte. Aber das hätte nur zum Teil gestimmt. Das unfreiwillige Treffen mit Fallacia und ihre zuletzt unheilvollen Worte hatten sie etwas erschreckt und auch die des Magiers. Besonders die des Magiers. Sie wollte immernoch nicht wahrhaben, dass es einen Menschen gab, der sich von seinen Gefühlen losgesagt hatte. Aber vermutlich war sie zu naiv, um das zu begreifen.

Comitas hatten ihren Wunsch natürlich erfüllt. Er wunderte sich zwar immernoch, aber er sagte nichts. Etwas anderes, nicht minder niedergeschlagenes beschäftigte ihn und Lumen sah ihrem kleinen Freund an, dass ihn irgendwas bekümmerte. Als sie ihn jedoch danach fragte, winkte er nur ab und sagte, dass es nichts Schlimmes sei. Lumen aber konnte es ihm nicht so recht glauben. Jedoch drängte sie ihn nicht weiter. Sie hatte ja selber ihre Probleme.

„Ich Euch einige Kerzen anzünden werden. Dann Ihr was sehen können und es nicht ganz so dunkel sein wird!“, erklärte er, als sie die Bibliothek betraten und er schon zu den Kerzenständern ging, um sie anzuzünden. „Danke dir!“, sagte sie. Als der Raum nun einigermassen heller war, ging Lumen zu den Bücherschränken. Ließ den Finger suchend über die Bücherrücken wandern. Sie waren nicht beschriftet, sodass Lumen hinundwieder ein Buch nach dem anderen hervor ziehen und hineinschauen musste, um zusehen, was sie da in der Hand hatte. Zu Anfang dachte sie, hatte sie gehofft, dass sie Bücher über alte Legenden und Mythen finden würde. Legenden von magischen Wesen, die Gutes taten und Böses besiegten. Und über edle Herren und mutige Helden, die ihren Mut in großen Schlachten bewiesen und die Herzen junger Prinzessin eroberten. Mit ihnen glücklich werden. So wie Cor und der Hauptmann Fidus. Lumens Herz og sich bei der Erinnerungen an ihrer Schwester zusammen. Ob sie den Hauptmann geheiratet hatte?

Und Kinder mit ihm bekommen hatte?

Der Schmerz war kaum zuertragen und Lumen versuchte sich auf die Bücher vor ihr zu konzentieren.

Doch alle Bücher, die sie sich ansah, waren Bücher über alte Magie und Zaubereien. Vermutlich waren das alle, dachte sie.

Als so sie Buchreiche von Buchreihe entlang schritt und sich jedes Buch anschaute, musste sie feststellen, dass sie hier nichts fand, was sie suchte. Fast schon ein wenig enttäuscht seufzte sie auf und blieb stehen. Sah zu den anderen Buchreihen, die sie noch nicht in Augenschein genommen hatte und zu den obrigen, in der Galerie.

Was wenn es hier überhaupt keine Bücher über alte Legenden gab?

Was wenn Tenebrea sich nichts aus solchen Büchern machte?

Er war ja ein Magier und Magier verbrachten bestimmt nicht ihre Zeit mit den Lesen von Legenden. Nein. Eher mit dem Studium ihres Elements. Ob Gut oder Böse. Das schien keine Rolle zuspielen. Sie kannte es von den Magiern ihres Vaters. Manche von ihnen waren förmlich davon besessen, neue Formeln und Rituale zuerfroschen und auszuprobieren. Selten ließen sie sich mal im Schloss blicken und wenn, dann nur auf Befehl ihres Vaters, wenn er ihre Hilfe brauchte. Ansonsten blieben sie in ihren Behausungen.

Lumen hatte sich als kleines Kind immer vor ihnen gefürchtet, wenn sie vor ihren Vater traten. Ihre ernsten, meistens alten Gesichter, die auf einen fernen Pukt gerichtet waren, verfolgten sie in ihren Träumen und ließen sie mehr als einmal verschreckt aufwachen. „Du brauchst dich vor den Magiern deines Vaters nicht zu fürchten, Lumen!“, hatte ihre Mutter immer gesagt und sie gestreichelt. Ihre liebe Mutter.

Wie sehr sie sie vermisste. Besonders jetzt, wo sie an sie dachte. Lumen war ein kleines Mädchen gewesen, als sie starb. Eine schwere Krankheit hatte sie dahingerafft. Und danach hatte Lumen eine Zeit lang ihr Zimmer nicht verlassen und nur geweint. Auch ihre schwestern weinten, doch sie waren älter und stärker als sie und konnten den Schmerz damit umsoleichter vergessen. Nach einiger Zeit hatte auch sie ihn vergessen. Aber nun kam er wieder und holt4e sie mit solcher Wucht ein, dass sie kurz meinte, in die Knie zugehen. Lumen versuchte den Schmerz zuverdrängen, oder zumindest zulindern, in dem sie sich in Erinnerung rief, dass sie ihr hochundheilig versprochen hatte, sie niemals zu verlassen. Dabei schweifte ihr Blick auf den Ring, den sie am Finger trug. Ein goldener Ring mit einem dunkelgrünen Smaragd eingefasst. Ihre Mutter hatte ihn Lumen an ihrem Sterbebett gegeben und ihr gesagt, dass dieser Ring nur dem gegebern werden sollte, den sie liebte. Doch bisher hatte Lumen noch nie geliebt und so blieb der Ring weiterhin in ihrem Besitz. Außerdem erschien es ihr wie eine Beleidigung ihrer verstorbenen Mutter gegenüber, wenn sie diesen weggab. Niemals würde sie diesen Ring einem anderen geben können. Mochte sie ihn auch sosehr lieben. Mit einem traurigen Lächeln strich sie über den Ring und sagte leise in Gedanken:„ Ach, Mutter. Wenn du jetzt hier wärst. Hier bei mir!“

„Prinzessin Lumen. Ihr Euch nicht wohl fühlen?“, fragte Comitas und holte sie so aus ihren Erinnerungen. Lumen zwang sich, nicht mehr den Ring anzusehen und an das zu denken, warum sie eigentlich hier war. „Ich…ach, es ist nichts. Aber bitte sag mir, Comitas: Gibt es hier auch Bücher mit alten Geschichten und Legenden?“

Comitas Augen wurden vor Erstaunen größer und er schien erstmal selber überlegen zumüssen. Aber dann nickte er. „Ja, die es hier gibt. Sie etwas verstckt sind, weil sie kaum noch gelesen werden. Leider. Es wirklich schöne Geschichten sind!“, erklärte er und führte sie zu einer Ecke des Raumes hin, in der ebenfalls ein Schrank stand, nur war dieser nur mässig mit Büchern gefüllt. Wie die anderen waren auch diese abgenutzt und alt. „Hier, das sie seien!“, erklärte er.

Lumen zog drei von ihnen hervor. Comitas vier und trug sie gemeinsam mit der Prinzessin zudem kleinen Tisch, neben dem Diwan. „Ich Euch noch Tee und Kekse bringen werden!“, sagte er, wofür ihn Lumen sehr dankte. Bücher über Legenden, Tee und Kekse. Fast wie zuhause, dachte sie, als sie sich auf den Diwan setzte und sich das erste Buch nahm. Schon als sie die ersten Sätze gelesen hatte, war sie ganz gefangen und ließ sich immer weiter in die Geschichte hineinziehen. Anders als die Bücher, die sie im Schloss ihres Vaters gelesen hatte, schienen diese ein Eigenleben zu haben. Ihr mit leiser Stimme zu erzählen, was in ihnen geschrieben war. Lumen durchlief es kalt. Aber es war ein angenehmer Schauer. Die Stimmen hatten etwas Ruhiges, Harmonisches und vermochten es ihrer Phantasie Flügel zuverleihen. Malten Landschaften in ihren Geist, die sie noch nie gesehen hatte und nie gedacht hätte, dass es sie geben würde. Sah die Menschen, die darin spielten und beschrieben waren, so deutlich, dass meinte, sie würden vor ihr stehen.

In wenigen Minuten schon hatte sie sich in den Geschichten verloren und sobald sie das erste Buch fertiggelesen hatte, hatte sie sich das nächste genommen und versank erneut in der Welt, die die Bücher ihr offenbarten.

Lumen vergass dabei die Zeit und als Comitas wieder in der Bibliothek trat, um sie zum Abendessen zuholen, war ihr Erstaunen groß. „Ist es schon so spät?“, fragte sie ihn. „Ja, der Herr Euch schon erwarten!“, erklärte er. Lumen zauderte. Reumütig blickte sie zu dem Buch, das sie in der Hand hielt und dann zu denen, die noch ungelesen auf dem Tisch lagen. Wusste nicht sorecht was er machen sollte. Gerne wäre sie noch länger in der Bibliothek gelieben und hätte noch weitergelesen. Diese Bücher gefielen ihr. Sie waren so ganz anders, als die, die sie bisher gelesen hatte. „Ich habe nicht gedacht, dass so spät ist!“, sagte sie und legte das Buch auf den Tisch. Comitas grinste über beide Ohren. „Ich mir das gut vorstellen kann!“, sagte er, wurde dann aber wieder ernst. „Nun aber bitte Euch umziehen. Der Herr schon ungeduldig ist!“

Lumen seufzte, sah noch einmal zu den Büchern, ehe sie sich vom Diwan erhob und die Bibliothek verließ. Sie würde sie morgen weiterlesen.

Das Kleid, welches Comitas ihr gab, war violett und an den Ärmeln enggeschnitten, wobei die Enden etwas breiter wurden und fast ihre Hände bedeckten. Es war schulterfrei und der Rock fiel wie ein Wassefall hinunter.

Lumen strich bewundernt über den Stoff. Wie jedes Kleid, das sie hier getragen hatte, war auch dieses wunderschön anzusehen. Und sie fragte sich, woher ihr treuer Freund nur diese Kleider hatte. „Comitas, woher hast du all diese herrlichen Kleider?“, fragte sie ihn und Comitas hatte ein verschwörerisches Grinsen im Gesicht. „Ach, das sei ein kleines Geheimniss!“, sagte er nur wobei Lumen sich nicht damit zufrieden gab. Sie brannte darauf zu erfahren woher diese Kleidungsstücke kamen. Nach solanger zeit hatte sie ja wohl ein Recht darauf. „Bitte, Comi sag es mir!“, bat sie ihn. Aber Comitas winkte nur ab und sagte, dass sie jetzt gehen sollte, ehe sein Herr noch wirklich ungehalten über ihr zuspätkommen wurde.

Der Magier erwartete sie schon. Ungeduldig trommelte er mit den Fingern auf der Lehne seines Stuhls herum und sah dann mit finsterer Miene zur Prinzessin. Schnell machte sie einen Knicks und entschuldigte sich, dass sie ihn hat warten lassen. Eilig ging sie zu ihrem Stuhl. Doch bevor sie sich auch nur setzen konnte, stand er neben ihr und rückte für sie den Stuhl zurecht. Lumens Erstaunen war groß und sah den Magier an, als würde sie ihn nicht wiedererkennen. Er jedoch ließ sich nichts anmerken und setzte sich an seinen. Lumen sah ihn immernoch erstaunt an. Das war neu. Bisher hatte er sich nicht die Mühe gemacht, ihr wie ein Kavalier zu benehmen. Es passte nicht zu ihm. Und doch. Irgendwie freute es sie, dass er nun nicht mehr wütend auf sie zu sein schien. Sogar eine Kerze brannte. Lumen wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Wieder sah sie sich einem ganz anderen Menschen gegenüber. Einem anderen Mann, der ihr keine Angst machte. Sie wollte ihn schon fragen, was der Grund seinem Sinneswechsel war, als ihr der Magier zuvor kam. „Ich hörte, dass Ihr Euch in der Bibliothek die Zeit vertrieben habt und dabei vergessen habt, wie spät es wurde!“, sagte er knapp und in seiner Stimme schwang etwas wie Belustigung mit. Lumen nickte nur. War nicht in der Lage etwas zusagen. „Haben denn die Bücher Euch gefallen?“

„J-ja, sehr sogar!“, kam es schließlich aus ihrem Mund.

„Hm, ich habe lange nicht mehr in diesen Büchern gelesen!“, murmelte der Magier, mehr zu sich selbst. Lumen aber hörte dies. „Warum, diese Bücher, diese Geschichten sind doch so voller…voller Magie. Wieso lest Ihr sie nicht?“

Tenebrae antwortete nicht gleich darauf, sondern schwieg eine Weile und schaute vor sich hin. Er kannte diese Bücher und deren Geschichten. Hatte sie einst selber leidenschaftlich gelesen und sich von ihnen mitreisen lassen. Dies lag aber schon so lange zurück und er hatte sein Interesse an diesen verloren. Für waren sie nichte weiter als dumme Märchen, von Menschen, die es nicht gibt und die es niemals geben wird. Jedoch freute es ihn, dass die Bücher der Prinzessin gefielen. Er lächelte etwas. „Nun, als Kind mögen sie zwar wundervoll sein, aber für einen Magier sind sie bedeutungslos!“

Lumen schnappte nach Luft, als sie das hörte. Für Kinder?!

Soll das heissen, dass sie für ihn ein Kind war?

Lumen wollte darauf etwas erwiedern, aber sie beherrschte sich. Egal was sie auch sagte, es würde den Magier nicht kümmern. „Wenn Ihr so denkt, dann…!“, flüsterte sie und wagte es nicht, den Satz zu beenden. Zumindest nicht laut. „…Dann tut Ihr mir leid!“

Um sich nichts anmerken zulassen, nahm sie den Löffel und schöpfte damit etwas von der Suppe auf. Tenebrae sah sie lange schweigend an und konnte deutlich in ihren Augen sehen, was sie dachte. Mitleid!

Das letzte was er wollte. Er hatte selber dieses Leben gewählt und würde es weiterführen. Mitleid von irgendjemanden gaben ihm das Gefühl, etwas getan zuhaben, was er bereuen würde. Was er bereuen sollte. Ein wirklich störendes Gefühl und er wünschte sich, dass die Prinzessin ihn nicht mehr so ansehen würde. Das war schlimmer, als jedes Licht.

„Wenn Ihr Euch an den Büchern erfreut, soll es nicht schaden!“, sagte er beiläufig. Lumen sagte darauf nichts. Was denn auch. Es würde nichts bringen. So nickte sie nur und aß weiter.
 

Fallacia sah zu, wie die verhasste Prinzessin die Suppe aß und etwas von dem Wein trank.

Nervöse Ungeduld machte sich in ihr breit. Sie knetete die Hände. Aber auch grimmige Zufriedenheit. Diesesmal hatte sie nicht nur den Wein, sondern auch das Essen vergiftet. Zwar würde die Prinzessin nicht mehr langsam dahinsichen, aber das war es ihr auch wert. Sie wollte sichergehen, dass es nun endlich mit ihr aus sein würde. Dass die Prinzessin nicht gerettet werden konnte. Neben der Ungeduld und der Zufriedenheit, stieg auch die alte Eifersucht in ihr hoch. Sie hatte gesehen, dass ihr Herr diese Rose für die Prinzessin erschaffen hatte. Das glich schon an ein Sakrileg.

Was kümmerte es ihn eigentlich, dass sie nicht hier glücklich war. In ihren Augen war sie, egal was ihr Herr sagte, eine Gefangene und hatte eigentlich keine Rechte oder Freiheiten. Zugerne würde sie sie in einer dunklen Kerkerzelle schmachten sehen, bis sie starb.

Warum tat er das überhaupt?

Etwa um ihr eine Freude zumachen?

Pah!

Wie tief war ihr Herr da schon gesunken. Fast schon hätte sie ihn dafür ebenso gehasst. Ihn angeschrien. Aber dann hätte er wiederum sie in die Schranken gewiesen und das wäre sicherlich nicht ohne Schmerzen ausgegangen. So hielt sie sich zurück und beobachtete, wie die Prinzessin das Gift trank. Ein hähmisches Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie sich umdrehte und verschwand. „Sterbt wohl, Prinzessin!"
 

Lumen war wieder daheim. Im Schloss ihres Vaters, bei ihren geliebten Schwestern, die sie erst voller Unglauben ansahn, sie dann aber freudestrahlend umarmten. Sie küssten und Gott dankten, dass sie ihre jüngste wieder hatten. Auch ihr Vater war außer sich und schloss sie ebenso in die Arme. Lumen spürte, wie ihr Herz vor Freude hüpfte und alles, was sie bisher im Schloss des Magiers erlebt hatte, geriet sofort in Vergessenheit. Als sie so vor ihnen stand, glaubte sie erst, es sei einfach nur ein schöner Traum, so wie der erste, den sie hatte. Doch dann, als sie spürte, wie sie in den Armen ihrer Schwester und ihres Vaters lag, hatte sie keinen Zweifel daran. Sie war wirklich zurück. Dankbar darüber lehnte sie sich an die warmen Körper und genoss es. Auch wenn sie keine Ahnung hatte, wie sie hierhergekommen war oder was sie hiehergebracht hatte, war sie dennoch froh. Niemals mehr in dieser finsterten Festung zusein und der Dunkelheit gegenüber stehen zu müssen.

Nun würde sie wieder im Licht sein und es mehr genießen, als zuvor. Da sie nun erlebt hatte, was es hiess, alles, was einem wichtig war zuverlieren.

Mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen, setzte sich auf einen Sessel. Ihre Schwestern und ihr Vater setzten sich dazu und ein Diener brachte Tassen und eine Kanne mit duftendem Tee.

Trotz der Freude, dass sie nun wieder zurück war, hatte sie immernoch so ein komisches Gefühl im Bauch und der Tee sollte ihr helfen, dieses auszulöschen. Natürlich wollten ihre Schwestern und der König wissen, wie es ihr ergangen war und Lumen musste sich schon fast überwinden, zu erzählen, was sie erlebt hatte. Mit jeden Wort, dass sie sprach und versuchte den Magier so zu beschreiben, wie er auf sie wirkte. Drohend, böse und nicht zudurchschauen. Aber irgendwie konnte sie es selber nicht so recht glauben. Als würde eine Stimme in ihr dagegenprotstieren. Lumen schenkte ihr keine Beachtung. Oder versuchte es zumindest. Dennoch erzählte sie auch, dass er gut zu ihr war. Dass er mit ihr speiste und sie wirklich behandelte, wie einen Gast.

Ihre Schwestern staunten mit offenen Mündern als Lumen erzählte, wie es ihr im Schloss des dunklen Magiers erging und auch, als sie ihnen erzählte, dass er ihr einige freiheiten gab. „Das ist wirklich erstaunlich!“, kam es von Cor, die als erste ihre Stimme wiedergefunden hatte. „Er hat dir Zimmer gegeben und Kleider hattest du auch. Ich dachte er würde dich in ein kaltes Verließ stecken, bei Wasser und Brot!“, sagte sie und Lumen hob nur die Schultern. „Das dachte ich am Anfang auch. Aber er war wirklich, naja…sagen wir so, sehr freundlich!“, erklärte sie. Auch wenn er mir manchmal Angst machte, dachte sie und nippte an ihrer Tasse. Fortitudo schürzte etwas die Lippen. „Freundlich!“, murmelte sie. „Also auf mich hat er den Eindruck eines wilden Tieres gemacht, dass nach seiner Beute verlangte!“

Lumen schauderte bei diesen Worten ihrer Schwester. So hatte sie ihn auch gesehen. Und hatte sich vor ihm gefürchtet. Doch nun war sie wieder daheim und ihr würde sicher kein Leid geschehen. Glücklich darüber wieder bei ihren Liebsten zu sein. Und doch. Irgendwie bereute sie es, nicht mehr dort zusein, wo sie einst eingesperrt war. Lag es vermutlich daran, dass sie nicht mehr Comitas sehen würde. Er war ihr ein guter Freund in dieser finsteren Festung gewesen und ihn niemals wieder zusehen, versetzte ihr einen Stich. Aber auch den Magier würde sie nicht mehr sehen können. Der Stich wurde noch schlimmer, als sie an ihn denken musste. Aber warum?

Was hatte er, dass sie an ihn denken musste und ihr Herz so schwer wurde. Etwa seine Augen, die leuchteten in der Dunkelheit, wie Sterne und so blau waren wie der Himmel, bei einem sonnigen Tag?

Nein, ganz sicher nicht. Sie versuchte angestrengt nicht mehr an ihn zu denken. Und wenn, dann nur, als er ihr drohend erschien und sie ängstigte. Doch es war vergebens. Etwas in ihr weigerte sich, ihn so zusehen. Als würde ihr Herz es nicht wahrhaben wollen. Ihr Herz?

Lumen wusste nicht, was sie dagegen sagen oder tun konnte. Sie brauchte nur an ihn zu denken, schon schlug es ihr bis zum Hals. Wie um sicher zugehen, dass es auch wirklich ihres war, legte sie die Hand darauf und merkte, wie es schlug. Ba-Bumm. Ba-Bumm. Ba-Bumm.

Ihr Schlagen wurde immer stärker, mit jedem Gedanken, den sie dem Magier schenkte. „Was ist das bloss?“, fragte sie sich und schloss für einen kurzen Augenblick die Augen. Sah ihn dann deutlich vor sich. Das Gesicht, der Mund, die Augen, sie hin ihren Bann zogen. Das dunkle Haar. Er war so wirklich, dass sie glaubte, er würde wirklic vor ihr stehen, sowie es ihre Schwestern und ihr Vater jetzt taten. „Lumen!“, flüsterte er und sie erschauderte. Kein Groll oder Bitterkeit lag in seinem Ausruf, sondern etwas anderes. Etwas Sehnsüchtiges, Verlorenes. So als würde er nach ihr Rufen. Nicht um sie wieder einzusperren, sondern weil er sich nach ihr…verzerrt. Aber warum sollte er das?

Ihm lag doch nichts an ihr!

Oder etwa doch?

Lumen wollte nicht länger darüber nachdenken und öffnete die Augen. Aber auch wenn sie jetzt die Augen geöffnet hatte, sah sie ihn vor sich. Er ließ sie einfach nicht los. Das sahen auch ihre Schwestern und ihr Vater. „Was hast du, Liebes. Freust du dich nicht bei uns zusein?“, fragte ihre älteste Schwester. Lumen schüttelte den Kopf. „Doch, aber ich…ich kann ihn…es einfach nicht vergessen!“, flüsterte sie und blickte in ihre Tasse. Der Tee sah nun etwas dunkler und sie meinte in diesem das Spiegelbild des Magiers zusehen. „Was hat er nur getan, dass du so bedrückt bist?“, fragte Cor und in ihrer Stimme schwang Trauer mit. „Nichts…nichts was schlim…arrghhh!“

Als Lumen aufschaute, durchfuhr es sie eiskalt und sie drückte sich in Panik gegen die Rückenlehne ihres Stuhls. Von einem Moment auf den nächsten hatten sich die Gesichter ihres Vaters und ihrer Schwestern in grässliche, sprechende Todenköpfe verwandelt. Das Fleisch fiel ihnen förmlich von den Knochen und die Augen verschwanden in den schwarzen Höhlen. Nur die Kleider wiesen daraufhin, wer diese Gebeine waren. Lumen sprang auf und wich zurück. Blankes Entsetzen erfasste sie. Was war bloss mit ihnen passiert?

Noch für einen kurzen Moment hatten sie die Gesichter derer, die sie liebte und nun waren sie grässliche Ungeheuer. Als würden sie Lumens Entsetzen nicht sehen, standen die Skellete auf und gingen auf sie zu. „Was hast du, Lumen. Warum bist so voller Angst?“, fragte das Skellet, was einst mal Fortitudo gwesen war und streckte seine Knochenhand aus. Lumen wich noch weiter zurück. Wollte nicht, dass die Totenhand sie berührte. „Wir sind es doch. Erkennst du uns nicht?“, sagte nun das, was Cor war. Aber was war mit ihrer Stimme. Es war nicht mehr die, die ihrer Schwester gehörte. Sondern die eines Dämons. Tief und grollend. „Nein…nein!“, schrie Lumen entsetzt und sah, wie die Ungeheuer weiter auf sie zukamen.

„Aber Lumen. Was ist denn?“, kam es nun vom des Königs, ihres Vaters. Auch seine Stimme hatte sich verändert.

Lumen war nicht in der Lage etwas zusagen. Zu entsetzt war sie über die grausigen Gestalten, die mal ihre Familie gewesen waren. Nun veränderte sich auch der Raum, in dem sie war. Die herrlichen Tapetten blätterten ab, fielen hinunter wie welkes Herbstlaub. Gaben daruner den nackten Stein darunter frei und das Feuer erlosch. Die Möbel, auf denen sie noch gesessen hatten, vermoderten und dicke Spinnen webten ihre Netze darüber. Es ging so schnell, dass Lumen glaubte, die Zeit würde dahinrasen. Fassungslos starrte sie auf den Raum, der nun mehr einer kalten Gruft ähnelte. Nun er nicht mehr gemütlich und es herrschte keine Geborgenheit darin. Sondern das Grauen. Und sie war allein. Allein mit diesen schrecklichen Kreaturen. Sie ging immer weiter zurück, bis sie die Wand in ihrem Rücken spürte, die ihr jeden Fluchtweg versperrte und blickte mit schreckgeweiteten Augen auf die Gerippe, die immer weiter auf sie zugingen. „Liebste Schwester. Blein doch hier. Wir haben dich so vermisst!“, kam es krächzend aus dem Knochenmund von dem Skellet, dass mal ihre älterste Schwester war. „Ja, blieb doch. Wir wollen dich in unsere Arme schließen!“, kam es nun von dem anderen, dass Cor gewesen war. „Lumen, mein geliebtes Kind!“, lallte das Skellet des Königs und streckte seine knochigen Hände nach ihr aus. „Komm an meine Brust!“

„Nein…nein. Bleibt weg!“, wimmerte Lumen und sank hilflos und vor Angst zitternt in die Knie. Mit ängstlichem Herzschlag blickte sie zu den Ungeheuern. Sah, wie sie immer näher kam und ihre Hände sich schon berührte. Eisige Schauer rannen ihr über den Rücken, als der erste Knochenfinger sie an der Wange berührte und darauf andere folgten. Mit einer makaberen-zärtlichen Geste strichen sie ihr über das Gesicht. Immer wieder. Lumen fühlte neben der Angst auch Ekel in sich hochkommen. Beides nahm ihr die Luft zum atmen.Vergebens versuchte sie die kalten Totenhände von sich zuschieben und zu fliehen. Doch die Angst saß zu tief in ihren Knochen, als dass sie auch nur einen Muskel bewegen konnte. So ertrug sie es und weinte. Warum passierte das mit ihr?

Was hatte sie getan, um solches Grauen zu erleben?

„Keine Angst Schwester. Du wirst nicht mehr leiden!“, hörte sie die hallende Totenstimme ihrer zweitältesten Schwester und die eisigen Hände legten sich blitzschnell um ihren Hals. Drückten sogleich zu, noch bevor Lumen reagieren konnte. Lumen schnappte nach Luft, versuchte sich aus dem Griff zu befreien. Aber die Knochenhände ihres einstigen Vaters waren zustark, als dass sie sie aufbiegen konnte. Immer mehr drückten sie zu und pressten ihr alle Luft aus ihr heraus. Lumen würgte, kämpfte gegen die nahende Ohnmacht. Sah dabei in die dunklen Höhlen des Totenschädels. Sie waren so schwarz, dass Lumen glaubte, sich in ihnen zuverlieren. Sie zogen sie förmlich zu sich, ließen sie darin verschwinden.

Lumen fühlte, wie ihr Körper langsam leichter wurde. Wie alles Leben aus ihr wich. Nocheinmal versuchte sie sich loszureissen. Aber ihre Finger waren durch den Mangel an Luft schon zu taub, als dass sie noch etwas bewirkt hätte. So ließ sie sich ganz von der Schwärze, die ihr aus den Augenhöhlen des Totenkopfs entgegenstörmte gefangen nehmen und glitt in einen kalten und gleichgültigen Schlaf, aus dem sie nicht mehr erwachen sollte.
 

Comitas kam wie jeden Morgen immer in ihr Zimmer und brachte ihr das Frühstück. „Guten Morgen, Prinzessin. Ich hoffen, Ihr gut geschlafen habt!“, sagte er fröhlich und stellte das Frühstück auf den Tisch ab. Lumen rührte sich nicht. Blieb reglos im Bett liegen. „Prinzessin? Was mit Euch sein? Ihr Euch nicht gut fühlen? Prinzessin? Warum Ihr nichts sagen?“, fragte er und wurde malzumal nervöser. Langsam ging er auf ihr Bett zu. Lumen hatte die Decke über ihren Kopf gezogen, sodass er ihr nicht gleich ins Gesicht sehen konnte. „Prinzessin!?“, kam es nun besorgt und ängstlich von Comitas und er streckte de Hand nach der Bettdecke aus. Als er einen Zipfel davon zufassen bekam, zog er daran und wich entsetzt zurück. Das Gesicht der Prinzessin war leichenblass. Ihre Lippen hatten einen ungesunden bläulichen Schimmer und auf ihrem Hals waren deutlich Würgemale zusehen. Die Augenlider zitterten unruhig und hinundwieder drang ein klegevolles Wimmer über ihre Lippen. Comitas erholte sich nur sehr langsam von dem schrecklichen Anblick, den die Prinzessin ihm bot. Zu tief traf ihn dieser. Wasr nur mit ihr passiert?

„Prinzessin, was nur mit Euch ist?“, fragte er außer sich und berührte ihre Hand. Sie war eiskalt. Comitas schluckte den dicken Kloß, der sich in seinem Hals bildete, hinunter und kämpfte dagegen an vor Entsetzen zu weinen. „Mein Vater…meine Schwestern…sie…Monster!“, wimmerte sie nur und schluchzte. Grub das Gesicht in ihre Hände. Comitas verstand erst nicht. Aber dann ahnte er, was mit ihr war. Dieser Zustand konnte nicht so einfach aus heiterem Himmel kommen. Etwas böses, Magisches musste dahinter stecken. „Ich den Herren holen werde. Er sich Euch anschaut!“, versprach er ihr und eilte davon.
 

Mit einem Schwung stiess Comiast die Türen zu den Gemächern seines Herrn auf und schrie aufgeregt nach ihm. „Herr. Ihr schnell kommen müsst!“, rief er aufgeregt und völlig außer sich vor Sorge um die Prinzessin. Tenebrae schaute bloss auf, sah seinen Diener mit einem tadelnden Blick an. Gab ihm so zuverstehen, dass das unerwünschte Eintreten und sein Ausbruch nicht sein mussten. „Was gibt es, Comitas. Warum schreist du so rum?“, fragte er gelassen und versuchte die Empörung über den plötzlich Überfall seines Dieners zuunterdrücken. Von all seinen Dienern hätte er es gewiess nicht von Comitas erwartet.

Comitas wurd enun etwas ruhiger, nahm Haltung an. „Herr, etwas nicht stimmen mit der Prinzessin!“, brachte er aufgebracht hervor und rang die Hände. „Was soll schon nicht mit ihr stimmen. Drücke dich klarer aus!“, befahl er ihm in einem barschen Ton. Wenn es etwas gab, was ihn verstimmte, dann wegen Dingen, die belanglos waren, gestört zuwerden. Comitas zog schuldbewusst den Kopf zwischen die Schultern. Er hatte nun begriffen, dass er die Ruhe seines herren leichtfertig zerstört hatte und dass das sicher nicht ohne Folgen bleiben würde. Jedoch…

Die Prinzessin brauchte Hilfe. Jetzt sofort. „Sie so blass ist, dass es aussehen, wie tot sie sein. Sie kaum ansprechbar. Stammeln etwas von ihrer Familie und Monstern!“, erklärte er und zwang sich jedes Wort ruhig hervorzubringen. Weiterhin wie von Sinnen zuplappern würde sicherlich nichts bringen. Nur seinen Herrn noch ungehaltener machen. „Sie hat sicher nur schlimm geträumt. Nichts Ernstes!“, erwiederte Tenebrae unbeeindruckt. „Ich das nicht glauben. Nicht nur schelcht geträumt. Ich denken, dass man sie verflucht hat!“, kam es schüchtern aus ihm heraus und er sah seinen Herrn fielsagend an. Da hob der Magier die Brauen. „Verflucht?“, fragte er. „Wie kommst du darauf?“

„Ich deutlich etwas spüre Böses in ihr. Wie Gift, dass durchfließen sie!“, nun überschlug sich wieder seine Stimme und deutlich zeigte sich, dass er immer mehr Angst um sie hatte. „Bitte. Ihr Euch das ansehen müsst. Ihr sie retten müsst!“, flehte er dann und sah seinen Herrn verzweifelt an. Tenebrae sagte darauf nichts. Sondern sah einfach nur vor sich hin. Rang mit sich. Eigentlich sollte es ihm gleich sein, wie es um die Prinzssin stand. Selbst wenn sie wirklich im Sterben liegen sollte. Aber Comitas flehende Worte bewirkten, dass er nun selber beschloss, nach ihr sehen sollte. Er hatte ihr schließlich versprochen, dass ihr nichts zustoßen würde. Und er stand zu seinem Wort. Mit einem tiefen Seufzer erhob er sich. „Also gut. Ich werde es mir ansehen!“, erklärte er und Comitas dankte ihm mehr als einmal.
 

Comitas hatte nicht gelogen. Er selber spürte schwarze Magie in dem Leib der Prinzessin. Sie kroch durch sie, wie eine Schlange und zerstörte sie Stück für Stück von innen heraus. Lumen wimmerte immer wieder, warf den Kopf unruhig hinundher. Nach langen Betrachen wandte er sich an seinen Diener. Das Gesicht des Magiers eine harte Maske aus unterdrückten Zorn und auch Sorge. „Du hast gut daran getan, mich zu holen, Comitas!“, sagte er. Comitas lächelte schwach, erleichtert, dass sein Herr nicht mehr wütend war. Zumindest nicht mehr auf ihn. „Ihr ihr helfen könnt, Herr?“, fragte er und sah zu der Prinzessin. Tenebrae folgte seinem Blick. Sah die Prinzessin an und meinte wieder diesen Stich in seinem Herzen zu spüren. Noch bevor er wusste, was er eigentlich tat, streckte er die Hand aus und berührte sie an der Stirn. Zuckte dabei etwas zusammen, als er spürte, wie kalt ihre Haut war. Hart biss er sich auf die Unterlippe. „Wer auch immer ihr das angetan hat: Er wird dafür büßen!“, ging es ihm durch den Kopf und sein Gesicht verfinsterte sich. „Ja, das kann ich!“, flüsterte er und sah wieder zu seinem Diener. „Hol mir Silberkraut, reines Wasser und den Fuss einer Krähe!“, wies er ihn an. „Werfe alles in einen Topf, mit heisem Wasser gefüllt und ein Sieb!“

Comitas nickte, rannte dann los, um das zu holen, was sein Herr verlangt hatte.

Als die Zutaten zerkocht und ausgesiebt waren und nur die Brühe übrig blieb, goss der Magier diese in eine Trinkschale und setzte sich an das Bett der Prinzessin. Ein würzigsüßlicher Duft stieg auf dieser hervor und brannte ihn in der Nase. Tenebrae musste ein Würgen unterdrücken. Wäre es ein anderes Gift, so hätte er ein anderes, nicht so widerlich stinkendes Gebräu genommen. Aber nur so ein Mittel konnte gegen das Gift, welches sich im Körper der Prinzessin befand bestehen. Vorsichtig schob er seine Hand in den Nacken der Totgeweihten und hob ihren Kopf hoch. So dass er die Schale mit dem Gegengift problemlos an ihre Lippen legen und es ihr einflössen konnte. Die Prinzessin war schon fast tot. Nur noch ihr langsam werdender Herzschlag und ebenso ihr schwaches Atmen verrieten, dass noch ein kleinwenig Leben in ihr war. Sanft drückte er den Rand der Schale gegen ihre Lippen. Zuerst weigerte sich die Prinzessi, gab einen leisen Protestlaut von sich. Tenebrae blieb unerbittlich. „Trinkt das, Prinzessin!“, forderte er mit sanfter fester Stimme und kippte die Schale einwenig. Zuerst floss die Medizin aus ihren Mundwinkeln, doch dann öffnete sie etwas die Lippen und ließ zu, dass der Magier ihr das Mittel verabreichte. Als der letzte Tropfen ihren Hals hinuntergeflossen war, reichte er die leere Schale seinem Diener. Comitas nahm diese. Gerne hätte er gefragt, ob es reichte und wielange sie warten mussten. Doch er tat es nicht. Zu groß war die Sorge, aber auch die Dankbarkeit seinem Herrn gegenüber. Eine Weile noch hielt der Magier die Prinzessin aufrecht, dann legte er sie behutsam zurück und wandte sich seinem Diener zu. „In einer Stunde, gibst du ihr das Mittel nochmal. Nur die Hälfte. Das müsste reichen. Wenn nicht, sage mir bescheid!“, sagte er und verließ dann das Gemach der Prinzessin. Auch wenn sie nun nicht mehr in Lebensgefahr schwebte und das Gift schon gleich Wirkung zeigte, war er immernoch wütend. Er ahnte bereits, wer ihr das Gift verabreicht hatte. Und er würde ihr eine Falle stellen und ihr zeigen, was hiess, seinen Zorn auf sich gezogen zu haben.
 

Lumens Genesung ging zwar nicht schnell voran, aber dennoch besserte sich ihr Zustand. Ihre Wangen, die vorhin noch blass waren, wurden wieder rosig und ihre Augen waren längst nicht mehr eingefallen. Auch das Schluchzen und das unruhige umherwälzen hatte aufgehört. Dennoch ar sie zu schwach, um das Bett zuverlassen. Das Gegengift hatte neben der Bekämpfung des Giftes auch noch bewirkt, dass sie einen tiefen Schlaf hatte, in dem sie wieder gesund werden konnte.

Als sie endlich erwachte, fühlte sie sich frisch und gesund. Der Alptraum und ihr furchtbarer Zustand schienen weit nachhinten gerückt zu sein. Praktisch schon vergessen.

Comitas war auf höchste erfreut, sie gesund und muntern zusehen. „Oh, Prinzessin. Ich mich so sehr freuen. Ich schon dachte, Ihr womöglich…!“, plapperte er darauf los und Lumen lächelte schwach. „Ja, das dachte ich auch!“, sagte sie matt und sank in die Kissen zurck. Comitas brachte ihr das Frühstück ausnahmsweise ans Bett. Und als sie auf das Tablett auf ihrem Schoss sah, entdeckte sie wieder eine Rose. Nur war diese Türkis. Lumen nahm sie mit zittrigen Händen und roch an ihr. Sie roch nach Alpen und frisch gefallenem Schnee.

Woher hatte Comitas diese Rose?

Fragend blickte sie ihn an. Comitas lächelte. „Nun Ihr was essen müsst, um wieder zu Kräften zu kommen!“, sagte er dann und rückte das Tablett zurecht. Lumen wollte noch etwas sagen, doch da war er schon weg.

Sie wurde einfach nicht schlaut aus dem Verhalten ihres kleinen Freundes. Aber genauso wenig, wie aus dem des Magiers. Als er ihr dieses widerlichschmeckende Zeug gegeben hatte, hatte sie seine Stimme gehört, die sanft auf sie einredete. Fast schon hatte sie den Eindruck, als woller ihr wirklich helfen. Dass sie ihm wichtig war. Aber vermutlich war das auch reiner Unsinn. Lumen wollte es nicht so rechtglauben. Und doch..etwas in ihr sagte ihr, dass er wirklich um sie bemüht war. Nachdenklich drehte sie die Rose in den Fingern. Sie sollte sich bei ihm bedanken. Das war sie ihm schuldig. Nach allem, was er durch sie erleben musste. Dabei musste sie etwas lächeln. So wie sie dachte, hatte es den Anschein, als würde sie sein Leben ganz schon durcheinander bringen. Dann wären wir wohl quitt, dachte sie und roch noch einmal an der Rose, bevor sie aufstand und sich anzog.
 

Als es wieder Zeit für das Abendmahl war, hatte Comitas ihr erneut ein Kleid gegeben. Diesesmal war es tiefschwarz. Hatte kurze Ärmel und einen Rock, der ausunzählen einenzlenen Röcken zu bestehen schien. Es war schwer und Lumen fragte sich, wie sie in diesem Kleid gescheit laufen soll. Sie musste mehrmal den Roch raffen, damit sie auf diesen nicht trat und hinfiel.

Tenebrae erwartete sie bereits und als sie das Speisezimmer betrat, stand er auf und ging zu ihrem Stuhl um diesen zurecht zurücken. So wie beim letzten Mal. Lumen blieb auf der Stelle stehen und schaute ihn mit einem unschlüssigen Blick an. Wo sie vorher noch in Erwägung zog, ihm zu danken, herrschte nun Leere in ihrem Kopf. Er sah sie mit einem seltsamen Blick an. So als würde er sie sich sehr genau ansehen. „Wie ich sehe geht es Euch wieder gut, Prinzessin!“, sagte er. Lumen nickte bloss. Wusste nicht, was sie sagen sollte. Langsam ging sie zu ihm und ließ sich auf den Stuhl nieder. „Ja, dank Euch. Vielen Dank, dass Ihr mir das Leben gerettet habt!“, flüsterte sie dann und vermied es dabei, den Magier anzusehen. Mit einem Mal war sie peinlich berührt und fühlte sich wie ein kleines Kind, dass man bei einem Streich erwischt hatte. Warum brachte er sie nur so durcheinander?

„Das freut mich. Nun speisst, damit Ihr wieder zu Kräften kommt!“, sagte er Magier.
 

Fallacia kochte. Sie hatte sich sosehr darauf gefreut, dass die Prinzessin die letzte Nacht nicht überstehen würde. Hatte sogar selber Hand an sie gelegt, um ihr das letzte bisschen Leben aus ihr rauszupressen und den Rest dann ihrem zuschwachen Körper zu überlassen. Aber nun hatte ihr Herr persönlich dafür gesorgt, dass es ihr wieder besser ging. Das hatte sie natürlich auch diesem Gnom zuverdanken. Verdammter Comitas. Wie sehr sie sich wünschte, ihn töten zu können. Aber erst mal müsste sie sich um die Prinzessin kümmern. Das bedeutete also, dasssie wieder von vorne anfangen musste. Erneut hatte sie zum Gift gegriffen und es in den Weinkelch dieses Görs gegossen. Hoffentlich würde es diesesmal funktionieren.
 

Lumen aß zwar, aber immer wieder zum Magier blickent, der sich nichts anmerken ließ und wohl mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt war. Wie gerne würde sie wissen, was er dachte. Bereute er, dass er sie gerettet hatte?

Nein, ganz bestimmt nicht. Was hätte er denn davon. Er selber hatte darauf bestanden, sie bei sich zuhaben und sie beim Speisen vor sich zu haben. Was also sollte er gegen sie haben?

Doch etwas musste doch der Grund sein, dass er sich so benahm. Wieso sonst sollte er ihren Blicken ausweichen und so tun, als würde er sie nicht richtig wahrnehmen.

Tenebrae schien zwar von außenher in sich gekehrt zu sein. Fast schon unerreichbar. Aber innerlich sah es ganz anders aus. Die dankenden Worte der Prinzessin ließen sein Herz, von dem er glaubte, es sei schon lange nicht mehr das eines lebendes Wesen, schneller schlagen, als gut war.

„Vielen Dank, dass Ihr mir das Leben gerettet habt!“

Diese Worte bohrten sich wie glühende Nadeln in seine Brust, drangen hindurch, bis zu seinem Herzen und ließen es fast verbrennen. Eine Welle von den niegekanntesten, unterschiedlichsten Gefühlen durchströmte ihn. Er fühlte sich leicht und doch so, als würde er gleich im Nichts versinken. Er war veriwrrt, aber auch…glüklich!?

Konnte es wirklich sein, dass er nach solanger Zeit wieder so etwas, wie Glück verspürte?

Es schien verrückt. Beinahe schon undenkbar. Und doch…

Es war wirklich da. Ließ sein Herz höher schlagen und ihn wärmen. Zitternt holte er Luft, Blickte dabei zur Prinzessin, die wohl nichts von dem bemerkte, wofür er wirklich dankbar war und mahnte sich selber, ruhig zubleiben und nicht das aus dem Blick zuverlieren, was er eigentlich vorhatte. Als Prinzessin Lumen gerade nach dem Weinkelch griff um daraus zutrinken, sprang er auf und bevor sie richtig begreifen konnte, was er nun hatte, hatte er ihr schon den Kelch aus der Hand genommen und ihn, wie zu einem Tost hochgehoben. „Stoßen wir an. Auf Eure Gesundheit!“, sagte er laut. Lumen runzelte nur die Stirn.

Was hatte er nun wieder?

„Äh, ja…wenn Ihr mir den Kelch wiedergeben könnt, dann stosse ich gerne mit Euch an!“, sagte sie dann und wollte nach dem Kelch greifen. Doch der Magier schüttelte den Kopf und wandte sich dann zu einer der Zimmerecken, die dunkel dalagen. „Nicht doch. Euch meine ich nicht, Prinzessin. Ich spreche von Fallacia. Komm und stoss mit uns an!“

Durch Fallacia ging ein Ruck, als sie seine Worte hörte und erstarrte. Angst wallte in ihr hoch, als sie den feierlichen Ausdruck indem Gesicht ihres Herrn sah. Sie wusste, dass das natürlich nur gespielt und eine leise Drohung war. Sie wagte sich nicht, sich zu bewegen und starrte mit ängstlichem Blick zu dem Kelch, in der Hand des Magiers. Wenn sie sich nicht rührte, würder sie vielleicht nicht sehen. „Ich sagte, komm!“, knurrte nun der Magier mit feiner Stimme und sie soürte, wie er nur mit seinen Worten an ihr zog. Taumelnd und mit zitternen Knien kam sie aus ihrem Versteck und blickte immernoch zu dem Kelch, der nun ihr gildet.

„Ich…ich danke vielmals, aber ich muss leider…!“, stammelte sie, versuchte sich rauszureden und sich aus dem Griff ihres Herrn zu befreien. „Nichts musst du leider. Trink mit uns. Sei geschmeichelt. Ich und die Prinzessin würden gerne auf dein Wohl anstossen!“, schnurrte er und seine Augen hatten einen mörderischen Glanz. Er wollte sie wirklich mit ihrem eigenen Gift bestrafen. Zwar waren die Folgen bei ihr nicht so schlimm wie bei der Prinzessin, aber das Gift würde Schmerzen der schlimmsten Sorte in ihr heraufbeschwören, sodass sie sich wünschte, zu sterben. Fallacia schluckte, sah zum Kelch. Wenn sie sich weiterhin weigerte ihr Herr merken, dass da Gift drin war und sie strafen. Und wenn nicht, dann würde sie leiden. Mehr als zuvor. Beides schien ihr nicht die beste Lösung zu sein.

Da hörte sie die Stimme de Magiers. Nun kalt und wütend. „Es sei denn, du weißt, dass der Wein vergiftet ist!“, sagte er und sie zuckte zusammen. Auch Lumen schauderte, als sie das hörte. Gift?

Dieser Wein war vergiftet gewesen?

Wie als wenn etwas in ihr Klick gemacht hätte, wusste sie nun woher diese Alpträume kamen. Diese Hexe hat diese schrecklichen Träume mithilfe des Giftes in ihren Kopf gepflanzt, auf das sie Tag für Tag immer schwächer wurde und schließlich starb. Heise, glühende Wut erwachte in ihr zum Leben und sie woltle sich selber auf dieses Scheusal stürzen. Doch sie zwang sich ruhig zu bleiben. Tenebrae würde sie schon für ihr Vergehen bestrafen.

„Ich…ich weiss nicht, was Ihr…!“, wollte Fallacia sich verteidigen, doch da schüttete ihr schon der Magier den Wein ins Gesicht und vorbei war es mit seiner gespielten Freundlichkeit. „Verschon mich mit deinen Lügen, Fallacia. Du hast es gewagt, der Prinzessin zuschaden, wobei sie meinen Schutz geniesst. Du wusstest, was dich erwarten würde und hast es trotzdem getan!“, schrie er und warf den Kelch nach ihr. Fallacia wich aus. Stammelte weiter. „Aber ich…ich konnte doch nicht…!“, wimmerte sie und Tenebrae hatte genug. „Schweig!“, keifte er und machte eine wegwischende Bewegung mit dem Arm. Die Luft vor ihm zog sich zusammen und raste dann, wie eine Peitschte auf die zitterne Dienerin. Hart wurde sie von den Füssen gerissen und gegen die Wand geschleudert. Fallacia jaulte auf, als sie aufschlug und zu Boden ging. Tenebrae wollte sie noch einem gegen die Wand schleudern, doch hielt sich zurück. Sich an ihr die Finger mehr als nur einmal schmutzig zumachen, kam ihm nicht in den Sinn. Mit einer eleganten Umdrehung wandte er sich von der am Bodenliegenden ab und ging zur Prinzessin. Diese blickte zu ihm und sah deutlich, dass er immernoch kochte vor Wut. „Kommt, Prinzessin. Geht mit mir etwas spazieren. Im Garten!“, sagte er knapp und reichte ihr seinen Arm. „Aber ich…!“, kam es sogleich von ihr und biss sich augenblicklich auf die Zunge. Ihm jetzt, in seiner Laune zu wiedersprechen, war nicht gerade gesund. Aber es graute ihr in diesen toten Garten zu gehen. Mit ihm!

„Ich glaube nicht, dass ich…!“

„Ich bitte Euch, Prinzessin. Macht mich bitte nicht noch wütender, als ich es jetzt schon bin!“, sagte er leise und seine Stimme zitterte. Lumen biss sich auf die Unterlippe, sagte aber nichts mehr, sondern nickte und stand auf. Nahm seinen Arm und der Magier führte sie hinaus.

Zurück blieb Fallacia, die wimmernd und mit schmerzenden Knochen am Boden lag und dem Herrn und der Prinzessin nachsah. Unzählige Gefühle tobten in ihr. Schmerz, Trauer. Aber auch Zorn und Eifersucht. Letzteres galt der Prinzessin, die es wagte, sich dem Magier anzunähern und ihm hörig zu sein. Doch sie behielt dies für sich und ehe sie richtig verstand, was sie tat, begann sie zu weinen.

Verwirrende Träume

Wortlos schritten sie nebeneinanderher. Durch den Garten, der selbst in der tiefschwarzen Nacht noch dunkler wirkte, als er es schon tat. Lumen versuchte dabei den Blick auf dem Boden zuhalten, denn sie wollte nicht die vertrockneten Pflanzen sehen. Nicht nachdem sie diese herrlichen, sonderbaren Rosen gesehen hatte und liebte. Auch wenn sie wusste, dass nun Fallacia schuld war, dass sie diese schrecklichen Träume hatte, konnte sie den Traum, der über diesen trostlosen Garten handelte nicht vergessen. Was hatte sie überhaupt getan, dass man ihr so sehr schaden wollte?

Mehr als einmal wollte sie ihm diese Frage stellen. Fand aber nicht den Mut, weil sie fürchtete, dass sie so seinen Zorn noch mehr entfachen würde. So lief sie weiterhin neben ihn her. Schweigend, den Blick stets auf den Saum ihres Kleides gerichtet. Doch igrendwann hielt sie es nicht mehr aus und die Frage platzte aus ihr heraus. „Was hat sie denn gegen mich? Ich habe ihr doch nichts getan?“, sagte sie leise. Tenebrae sagte darauf erstmal nichts. Genu das gleiche fragte er sich auch. Er hatte immer gedacht, dass seine Diener ihm niemals in den Rücken fallen würden. Dass sie ihm treu waren. Aber anscheinend hatte er sich in Fallacias getäuscht und wieder stieg Zorn in ihm hoch. Gerne hätte er sie mehr als nur gegen die Wand geschleudert. Er hätte ihr auch, wie angedroht die Zunge rausgerissen. Hatte es aber sein lassen, weil er nicht wollte, dass es sich die Prinzessin mitansehen musste. Sonst hätte er wieder in ihren Augen als das Monstergegalten, für das sie ihn am Amnfang gehalten hatte. Warum ihn das störte, konnte er sich selber nicht erklären. Ihm schien es zu wieder zusein, dass sie ihn als das sah, was die anderen in ihm sahen. Wie seltsam das doch war. Dabei war sie nur eine Prinzessin. Noch dazu eine, mit dem Gemüt eines Kindes. Kurz blickte er sie an. Sah, wie sie schweigend und mit gesenktem Kopf neben ihn herlief, wie eine folgsame Sklavin. Bei diesem Vergleich schnürte sich sein Hals zusammen. Sklavin!

Sollte sie das wirklich für ihn sein?

Sollte das wirklich soweit kommen, dass er ihr Herr und Meister war?

Alles in ihm sträubte sich dagegen, als er diesen Gedanken weiter verfolgte.

Sie sollte keine Sklavin sein. Sondern frei und ohne irgendwelche Zwänge.

„Was hat sie denn gegen mich? Ich habe ihr doch nichts getan?“

Ihre Frage holte ihn aus seinen Überlegungen und er blieb kurz stehen. Sah sie an. Dann lächelte er und ging mit ihr weiter. „Doch, das habt Ihr. Ihr habt mein Vertrauen und meinen Schutz. Das, was sie nicht hat. Und was sie gegen Euch hat. Ganz einfach: Sie ist eifersüchtig und denkt natürlich, dass ich Euch hierherkommen ließ, weil ich in Euch eine Bettgespielin zufinden hoffe!“

Schamesröte stieg in ihren Wangen hoch, als sie seine Worte hörte und für einen Augenblick glaubte, sogar hoffte, dass ihre Ohren ihr einen üblen Streich spielen würden. Bettgespielin, dachte er das wirklich. Oder waren das nur Worte, die er als Erklärung für den Hass der Dienerin abtun wollte. Lumens Entsetzen musste deutlich in ihren Augen zu sehen sein, denn der Magier unterdrückte ein Lachen. Es bereitete ihm irgendwie Freude, sie erröten zu lassen. Dann wurde er aber wieder ernst. „Nein, ich werde Euch nicht zu solch einer machen. Das sagte ich ja bereits. Ihr seid mein Gast und als diesen werde ich Euch behandeln!“, versprach er ihr und Lumen wusste nicht, ob sie ihm das glauben sollte. Aber dann sah sie in seine Augen und sah auch, dass er es ernst meinte. Sie nickte. „Danke, das…finde ich sehr ehrenvoll!“, flüsterte sie und hätte sich selber für diese dummen Worte geohrfeigt. Sie hatte keinen Zweifel daran, dass er zu seinem Wort stand, aber sagen, dass sie es wusste, schien ihr auch nicht passend. Der Magier sah sie einen Moment lang schweigend an und aus einem ihm nicht erfindlichen Grund, fragte er sich wirklich und wahrhaftig, wie es sein würde, mit ihr das Bett zuteilen. Ob sie sich ihm fügen oder ihm eher die Augen auskratzen würde, wenn er ihr sich nur zunahe heranwagte. Vermutlich das letzteres.

Irgendwie war dieser Gedanke absurd und doch wirklich amüsant und so konnte er nicht anders, als sie mit einem verschmitzten Grinsen anzusehen. „Aber wenn Ihr es wünscht, kann ich Euch gerne zeigen, wie es ist, mit einem Mann…!“, sagte er und ließ das Ende frei in der Luft. Das Gesicht der Prinzesisn wurde nun so rot, dass es selbst in der Dunkelheit zu leuchten begann. Entrüstet über die Freizügigkeit des Magiers und sich selber schämend, solchen Worten überhaupt Gehör geschenkt zuhaben, wich sie vor ihm zurück und sah ihn an, als sei er von Sinnen. „Ihr seid ein Schuft. Wie könnt Ihr nur!“, blaffte sie ihn an und unterdrückte das Bedürfniss ihn für seine obzönen Worte zuschellen. Der Magier grinste, amüsiert über das Gesicht der Prinzessin und lachte dann. Es war ein heller, fast schon wunderbarer klang. Besonders weil Lumen ihn noch nie lachen gehört hatte. Es war das erste Mal, dass sie sein Lachen zu hören bekam und musste fast auch lachen. Einfach weil es sie überkam. Doch sie riss sich zusammen. „Was gibt es da zulachen? Findet Ihr es so komisch, mich zu beschämen!“, keuchte sie fassunglos, außer sich. Tenebrae brauchte noch einen Moment ehe er sich wieder gefasst hatte. Dennoch musste er ein wenig glucksen und sich das Grinsen verkneifen. „Nein, aber ich dachte, Ihr würdet Euch mit der Natur der Männer auskennen. Schließlich habt Ihr schon viele auf den Bällen Eures Vaters gesehen!“

„Nicht alle Männer sind solche ungehobelte, schamlose Schufte, wie Ihr!“, warf sie ihm scharf vor. „Ein Schuft? Bin ich das wirklich in Euren Augen?“, fragte er dann und klang, zu Lumens Erstaunen nun gekränkt. Nun war Lumen nicht mehr so außer sich, sondern senkte wieder den Kopf und es tat ihr leid, dass sie ihn als einen Schuft beschimpft hatte. „N-nein, dass seid Ihr nicht. Verzeiht. Aber ich wusste nicht, was ich sagte!“, entschuldigte sie sich. Blickte dann zu den Blumen und auch wenn sie wusste, das diese bei einer bloßen Berührung zu Staub zerfielen, berührtete sie sie mit den Fingerspitzen. Doch diesesmal zefiele die Blume nicht, sondern erwachte zum neuen Leben. Ihre Rosenblätter färbten sich von einem vertrockneten Braun zu einem frischen, leuchtenden Violett. Lumen sah mit großem Staunen zu der Blume. Wie war das möglich. Um sich sicher zusein, dass sie sich diese Rose nicht einbildete, legte sie die Finger an den Stiel und fuhr diesen entlang. Die Dornen kratzten etwas ihre Haut. Diese Rose war genauso echt, wie die anderen, die sschon vorher gesehen hatte. Sie blickte den Magier verwundert an. Dieser jedoch schien nun wieder ganz der alte zusein. Gefasst und kühl. „Sieht so aus, als würdet Ihr diesen Blumen Leben schenken!“, murmelte er und Lumen fühlte sich komisch, bei diesem Gedanken. „Nein, das glaube ich nicht!“, sagte sie. Wie sollte sie einer toten Pflanze neues Leben einhauchen. Sie konnte doch nicht zaubern. Nur er. „Aber Ihr könntet es!“, sagte sie und sah ihn nun an. In Tenebrae spannte sich alles zusammen. Natürlich konnte er das und er war es auch, der diese Rose auch zum erblühen brachte. Mit einer unauffälligen Handbewegung, als die Prinzessin die Rose berührte. Zuerst wusste er nicht, warum er das getan hatte. Es war einfach über ihn gekommen. Und er wollte auch nicht, dass die Prinzessin es bemerkte. Sondern behauptete, dass sie es sei, die die Rose erblühen ließ. „Nein, ganz sicher nicht. Ich bin dazu nicht im Stande!“, sagte er und als er die Rose mit den Fingerspitzen berührte, verwelkte die Rose wieder. „Seht Ihr. Ich brauche etwas Lebendes nur berühren, schon stirbt es!“, sagte er leise und unterdrückte den Schmerz, der sich sofort in seiner Brust bemerkbar machte. Es schmerzte ihn selber so sehr, dass er dieser Rose wieder den Tod brachte, wo er sie ebennoch zum Leben erweckt hatte. Aber nur konnte er ihr zeigen, dass sie sich in ihm irrte. Das er der Herr des Dunkelheit war. Lumen schluckte und sah zu der toten Rose. Ebennoch war sie überzeugt gewesen, dass er es war, der ihr zu neuem Leben verholfen hatte. Doch nun war sie sich nicht mehr so sicher. Was wenn er wirklich so war, wie sie am Anfang dachte. Und das alles, was sie bisher geglaubt hatte, nur Täuschung war?

Lumen wagte nicht, weiter darüber zu denken. Sie sah den Magier auch nicht an, weil sie seinen Blick nicht ertragen konnte, mit dem er sie bedachte. So abweisend und düster. Wieso ist er nur so, fragte sie sich und begann zu frieren. Tenebrae seufzte und machte vorsichtig einen Schritt auf sie zu, um sie nicht erschrecken. „Kommt, ich werde Euch auf Euer Zimmer bringen. Ihr friert!“, sagte er dann und nahm sie bei der Hand. Lumen leistete dabei keinen Widerstand und ließ sich von ihm zu ihrem Zimmer bringen.
 

Als er sie begleitet hatte, wartete er noch einen Moment. Dann verneigte er sich und wollte die Türe schließen. „Bis morgen, Prinzessin. Erholt Euch gut!“, sagte er und noch bevor Lumen darauf etwas erwiedern konnte, war die Türe auch schon zu. „Danke, Ihr auch!“, flüsterte sie, auch wenn sie wusste, dass er sie schon lange nicht mehr hören würde.

Nun war sie allein. Allein mit den verwirrenden Gefühlen, die in ihr waren und sich gegenseitig überbieten zu wollen. Zumal fühlte sie sich zu ihm hingezogen, weil er sich so für sie einsetzte, dass er selbst vor seinen Dienern nicht halt machte, aber dann wiederum fürchtete sie sich vor ihm, gerade weil ihm nichts und niemand heilig war. Und dann wiederum weil er in ihr den Eindruck erweckte, dass er nicht der war, für den er sich ausgab. Dass er nicht so ist. Doch dann musste sie daran denken, wie die Rose, die ebenoch lebte, bloss durch seine Berührung starb. Und dass es ihn anscheinend nicht kümmerte.

Was war das nur für ein Mensch, fragte sie sich wieder und begann sich zu entkleiden. Dabei fiel ihr Blick auf den Spiegel und als sie sich so halb nackt im Spiegel sah, schauderte sie, als sie sich an seine Worte erinnerte.

„Aber wenn Ihr es wünscht, kann ich Euch gerne zeigen, wie es ist, mit einem Mann…!“

Lumen schauderte und drängte diese Worte aus ihrem Kopf. Er hatte sie zwar aus reinem Schabernack gesagt, dennoch war sie sich sicher, dass dahinter auch ein Körnchen Wahrheit steckte. Ob sie die erste war, die er in sein Bett geholt hatte. Bestimmt nicht. Jemand wie er hatte sicherlich einen Harem voller schöner Frauen, die ihm nur zu gerne zu Willen sind. Allein schon bei diesem Gedanken wurde es ihr heiss und kalt. Fallacia hatte ja deutlich gemacht, dass sie sie nicht mochte. Sie vermutlich sogar hasste. Nur weil sie glaubte, den Magier mehr zugefallen, als sie es tat. So ein Unsinn!

Lumen legte keinen Wert darauf, dem Magier zu gefallen oder gar mit ihm etwas anzufangen.

Wie käme sie dann hin?

Soll diese Fallacia ihn doch ruhig haben.

Es würde sie nicht kümmern.
 

Wo er zunächst das Gefühl, welches Reue genannt wurde, nicht weiter beachtet hatte, als er die lebende Rose wieder sterben ließ, wurde dieses nun stärker und seine Schritte langsamer werden. Er blieb stehen und fasste sich in das Gesicht. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Warum hatte er das getan?

Hatte er nicht gesehen, wie groß ihre Augen wurden, als sie die blühende Rose ansah und wie in diesen die leise Spur von beginnender Freude aufstieg?

Es wäre doch nicht schlimm gewesen, diese Rose lebendig zulassen. Aber stattdessen hatte er sie wieder verwelken lassen und nur weil sie sagte, dass er in der Lage dazu war.

Tenebrae wollte wütend auf die Prinzessin sein, weil sie bei ihm etwas für möglich hielt, was nicht sein konnte. Doch er konnte es nicht. Sondern sich nur fragen, ob es sein kann, dass sie in ihm etwas auslöste, was noch keiner, nicht mal sein treuer Diener Comitas, geschafft hatte. Etwas, was ihn dazu brachte, zu fühlen. Zu spüren. Anders zudenken als sonst. Seit sie hier war und er gesehen hatte, wie traurig der Anblick der toten Rosen sie machte, hatte er immerwieder dieses Gefühl. Schmerzlich, bohrend. Hatte ihn dazu gebracht, ihr diese wundervollen Rosen zu schenken und sich heimlich gewünscht, dass sie eines Tages zu ihm gehen und sich dafür bedanken würde. Dass sie es aber bisher nicht getan hatte, hatte ihm aber auch gezeigt, dass er, egal, was er auch tat, niemals das erhalten würde, was er sich wünschte. Ihr Vertrauen. Sie würde niemals ihm ihr Vertrauen schenken. Dafür hatte sie zu große Angst vor ihm und verabscheute ihn sicherlich immernoch, weil er sie hier eingesperrt hatte. Auch wenn sie es nicht zeigte. Doch Tenebrae braucht nur in ihre Augen zusehen, um es zuwissen. Sie würde ihn immer so ansehen, egal was er machte. Mit einem niedergeschlagenen Seufzer fuhr er sich durchs Haar. Wiedermal hatte er es geschafft, die Prinzessin davon zu überzeugen, dass er ein Ungeheuer war. Nicht in der Lage, etwas zu emfpinden. Aber…als er gelacht hatte, da hatte er sich so leicht gefühlt und befreit, dass er glaubte, ein andere zusein. Ein Mensch, der ein Herz besaß, das schlug und in dem auch Gefühle innewohnten. Dies musste wohl auch die Prinzessin gesehen haben, denn ihre Augen sprachen Bände von Verwirrung und Unglauben.

Und auch er konnte es nicht glauben. Er war immer dem Glauben verfallen, dass er niemals lachen würde. Niemals mehr. Dass er das Lachen verloren hatte. Nun aber schien er es aber doch zu können und eine Welle von unterschiedlichen Gefühlen überrollte ihn.

Freude, Sorge und auch Angst. Das er zuletzt gelacht hatte, lag so viele Jahre zurück, die zugleich mit Schmerz und Zorn verbunden waren, dass er sich nicht mehr daran erinnern wollte. Nun aber hatte er gelacht. Doch statt den alten Schmerz in sich hochkommen zuspüren, fühlte er Erleichterung. Offenbar war es nicht mehr so, wie er gedacht und dass er dies womöglich der Prinzessin zuverdanken hatte. Wie seltsam. Ein Mädchen schaffte es, dass er lachte und nicht mehr so fühlte, wie er eigentlich sollte. Könnte es sein, dass sie es sogar vermag, ihn zu befreien. Aus dieser Dunkelheit, in der er sich selber eingesperrt hatte. Etwas in ihm sehnte sich danach und wünschte es sich sosehr. Betete, dass es so sein würde. „Lasst mich durch sie errettet werden. Lasst mich durch sie frei sein!“, flehte eine Stimme in ihm. Noch eine Weile stand der Magier da und versank in diesen hoffnungsschwangeren Gedanken. Aber dann ging er zu seinem Gemach. Er fühlte sich schwach und müde. Ein paar Stunden Schlaf würden ihm sicher guttun.
 

Lumen träumte wieder. Aber es war kein Alptraum. Sondern einer dieser Träume, die im Schlaf so real waren, als seien sie wirklich und beim Aufwachen einem noch lange im Gedächtniss blieben.

Sie war in einem Ballsaal und um sie herum wurde getanzt. Nur sie tanzte nicht. Sondern stand da. Mitten im Geschehen und keiner der Tanzenden schenkte ihr Beachtung. Eigentlich hätten sie sie sehen sollen oder gar anrempeln müssen. Doch nicht dergleichen taten sie. Für sie schien Lumen nicht zu existieren. Sie umtanzten sie und ließen sich nicht stören. Bewegten sich elegant um einander herum, zum Takt der Musik.

Die Männer und die Frauen trugen allesamt schwarze Masken und ebenso schwarze Gewänder.

Sie aber trug ein weisses Kleid. In einem der Spiegel, die an den Wänden standen und das Geschehen mehrfach zurückwarfen, konnte sie sich betrachten. Und ihr verschlug es fast den Atem. Das Kleid war das schönste, was sie jemals gesehen hatte. Der Rock, eine einzige silberglänzende Pracht. Von der Taille abwärts, ging er auseinander, wie ein Wasserfall, der sich in die Tiefe ergoss. Der obere Teil lag eng, wie ein Korsett. Betonte ihren wohlgeformten Körper. War mit funkelnden Perlen bestickt und die Ärmel waren aus feinster Spitze, die ihr locker unterhalb der Schultern lagen. Ihr Haar war kunstvoll mit weissen Lilienblüten geschmückt und fiel leicht an ihren Rücken entlang. Der Schein von unzähligen Kerzen, die auf hohen Ständern aufgesteckt waren und alles in einen sanften Schein tauchten, ließen Haar und Kleid golden schimmern. Lumen wollte nicht glauben, dass sie das war, die sich im Spiegel betrachtete und diesesKkleid trug. Sie war so schön, dass es ihr wie ein Traum vorkam. Eigentlich wirkte alles so wie ein Traum. Die tanzenden Paare, die sich nun langsamer als vorhin bewegten. Die Musik, die Mal dumpf, mal wieder klarer wurde. Das Licht, welches unruhig flackerte, sobald ein Lufthauch die Kerzen streifte. Selbst das Kleid, welches sie trug. Es fühlte sich zu leicht an, als dass es wirklich an ihrem Körper lag.

Und doch…

Eine Stimme sagte ihr, dass sie sich das nicht einbildete. Dass das wirklich war und sie wirklich in diesem Saal voller Tanzender sei. Dass sie wirklich das Kleid anhatte. Ihr Staunen und ihre Verwirrung zeigten sich deutlich auf ihrem Gesicht und sie fragte sich, wie sie hierhergekommen war. Ebennoch war sie im Schloss des Magiers und hatte in ihrem Bett gelegen. Hatte gesclafen. Und nun war sie hier. In diesem unbekannten Raum, voller Fremder. Lumen merkte, wie sie nverös und unsicher wurde. Immer wieder schaute sie um sich. Versuchte etwas Vertrautes zuerkennen. Und irgendwie kam ihr dieser Saal auch bekannt vor. Als wäre sie schonmal hiergewesen. Lumen schaute nochmals nachoben an die Decke. Ließ dann den Blick weiter wandern und meinte sich immer mehr an diesen zu erinnern. Ja, sie hatte ihn schonmal gesehen. Und sie wusste auch jetzt wo. Diesen Saal hatte sie im Schloss des Magiers gesehen, als Comitas ihr dieses zeigte. Sie war also immernoch bei ihm. Aber warum war dieser Raum nun voller Musik, Menschen und Leben?

Er war doch noch vorher verlassen und verkommen.

Was also war passiert, dass es sich nun verändert hatte?

Lumen fragte sich immermehr und zweifelte langsam an ihren Verstand. Doch da fiel ihr Blick auf einen Mann, der ebenso wie sie unmaskiert war und sich in der Menge aufhielt. Stumm stand er da und sah zu ihr hinüher. Er trug, anders als die anderen einen marineblauen Anzug, mit goldgestickten Verzierrungen. Seine Haltung war die eines Prinzen und sein Anblick so erhaben und herrlich, als sei er ein vom Himmel gestiegener Engel. Lumen sah ihn im Spiegel an und ihr Herz schlug schneller, als vorher. Auch er kam ihr vertraut vor. Doch das war nicht möglich!

Lumen glaubte, ihre Augen würden ihr Augen einen Streich spielen. Es war der Magier. Tenebrae!

Er durchschritt nun die Menge, sie sich vor ihm teilte. Beachtete die Tanzenden überhaupt nicht. Aber im Gegensatz zu Lumen schienen sie ihn anzusehen und deutlich war in ihren Augen Respekt zusehen. Fast schon Furcht.

Lumen drehte sich um, um ihn nun direkt anzusehen und als er nur wenige Zentimerter vor ihr stehenblieb, schlug ihr Herz bis zum Hals. Er sah in diesem Licht so aus, als sei er nicht von dieser Welt. Als sei er wirklich ein Engel. Oder mehr ein Teufel. Die Prinzessin schauderte. Wollte sich von ihm entfernen. Stattdessen blieb sie stehen und sah den Magier an. Wie ein vor Angst gelähmtes Kaninchen, welches vor einer Schlange dasaß. Als würde sie nicht in ihrem Körper sein und das ganze als Zuschauer betrachten, sah sie, wie der Magier nach ihrer Hand griff und diese in seine nahm. Er sagte kein Wort, sondern sah sie nur an und doch konnte sie deutlich, trotz seinem Schweigen, die Worte, die aus ihm sprachen, hören. „Vertraut mir, Lumen!“

Lumen zuckte etwas zurück, als sie ihren Namen mit seiner Stimme hörte. Es war nicht das erste Mal. Schoneinmal hatte er ihren Namen gesagt, auch wenn er dabei die Lippen bewegt hatte, aber sie hatte ihn deutlich gehört. Und wieder klang seine Stimme so, als wollte er sie bitten. Ihm zuvertrauen, ihm nahe zu sein…Ihn zu lieben…

Der letzte Gedanke ließ sie erschauern. Ihn lieben?

Wie könnte sie das. Er war doch…er war…, wollte sie weiterdenken, doch sie konnte es nicht. Immer wenn sie versuchte ihn als einen bösen Menschen darstellen zulassen, wiedersprach eine kleine leise Stimme. Sagte, dass sie sich irrte und er nicht so war, wie sie glaubte. Fast könnte sie meinen, dass es die Stimme ihres Herzens ist, die gegen die ihres Verstandes. Doch sie wollte nicht weiter darauf achten.

Sie wusste sowieso nicht, was sie darauf sagen oder denken sollte. Tenebrae sah sie weiterhin schweigend an. Wartete. Lumen senkte den Blick, weil ihr bewusst wurde, dass er sicherlich schon ungedulig wurde und nickte dann, um ihn nicht wütend zumachen. Sanfter Stimme hinoderher. Sie fürchtete sich immernoch vor ihm, weil sie nicht wusste, wie sie sich mit ihm stellen sollte. Also nickte sie nur.

Langsam zog er sie mit sich. Führte sie zu der Mitte der Tanzfläche, die nun frei war. Die anderen Tänzer sie umkreisten. Schauten mit angehaltenem Atem zu ihnen. Lumen wäre es unter anderen Umständen unangenehm gewesen. Diese Blicke, mit denen man sie ansah. So durchbohrend und als würde sie nicht hierher gehören. Aber als der Magier sie in seinen Armen hielt und begann mit ihr zutanzen, war es ihr egal. Sie achtete nicht mehr auf die Umstehenden, sondern nur auf ihn. Er war der einzige, an den sie jetzt denken wollte.

Nun war die Stimme ihres Herzens lauter. Hatte die des Verstandes zum schweigen gebracht.

Und flüsterte ihr Dinge zu, die für sie absurd waren und ihre Wangen rötlich leuchten ließen.

Verkrampft versuchte diese zu überhören und tanzte weiter. Das unsichtbare Orchester, das vorhin schnelle Musik gespielt hatte, spielte nun langsame und nur Streichinstrumente ließen diese erklingen. Geigen und eine Harfe, hörte sie und mit jedem Takt, der erklang und zu dem sie tanzten, fühlte sie sich leicht wie einer Feder. Schwebte förmlich und vergass dabei, dass sie mit dem Magier tanzte, der ihr einst soviel Angst machte. Er war nun ein ganz anderer. Ein Mann, der sie mit solch einem zärtlichen Blick ansah, dass es ihr fast die Sprache verschlug und sich fragte, ob er wirklich der war Magier war. In diesem dämmrigen Licht und mit seinem seltsamen versonnem Lächeln auf den Lippen, wirkte er wie ein ganz normaler Mann. Und gekleidet, wie ein Edelmann. Vielleicht sogar wie ein Prinz. Lumen schauderte. Obwohl sie nur wenige Zentimeter voneinander getrennt waren, spürte sie deutlich die Wärme, die von ihm ausstrahlte und sie einzuhüllen schien. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, schlug ihr bis zum Hals und ihre Knie wurden weich. Würde er sie nicht festhalten, wäre sie sicher in die Knie gegangen. Er wirbelte sie vorsichtig um her und als er zu merken schien, dass Lumen fast die Kraft über ihre Beine verlor und zufallen drohte, zog er sie nahe an sich heran und drückte sie an seine Brust. Lumen keuchte auf, als er das tat. Verwirrt schaute sie zu ihm hoch. Wollte ihn fragen, was und warum er es tat. Sie brachte aber keinen einzigen Ton über die Lippen. Sondern sah ihn nur an. Schaute in seine Augen, die statt der Farbe von einem eisblau nun von einem tiefen ozeanblau hatten. Lumen glaubte sich in diesen zuverlieren. In diesem tiefen Blau einzutauchen, dass so tief und ergründlich war, wie das Meer selber. Lumen verlor sich immer mehr darin, mit jeder Minute die verging und sich hinzog und mit jedem Schritt den sie machte. Ihr wurde mit einem Mal schwummerig und nun gaben ihre Knie nach. Sie kippte etwas zur Seite. Tenebrae fing sie auf. Blickte auf sie hinunter. Hob sie dann behutsam auf seine Arme. Statt sie auf ihr Zimmer zu bringen, hielt er sie weiterhin so und schaute auf sie. Lumen blinzelte, weil sie glaubte, dass alles um sie herum verschwamm. Auch der Magier. Seine Gestalt verschwamm für einen kurzen Moment, schien sich aufzulösen. Doch dann war er wieder klar zusehen. Hielt sie immernoch. Lumen wünschte sich, dass dieser Augenblick nicht verging. Dass er sie immerso halten würde. Ihre Furcht war verschwunden und etwas anderes erwachte in ihr. Ein Gefühl, dass ihren Magen flimmern ließ, als würden tausend Schmetterlinge in diesem umherflatten und ihn mit ihren Flügeln kitzeln. Ihr Herz, welches immernoch wildschlug, wurde nicht ruhiger, sondern behielt seinen schnellen Rhythmus bei. Ihr wurde warm und kalt zugleich und während sie immernoch in seine Augen blickte, geriet immer mehr in ihren Bann. Schien sich bald in ihnen zuverlieren. Die Geräusche, die Musik, selbst das Wummern ihres Herzens verklangen. Bis nur noch Stille herrschte. Sie spürte auch nicht mehr ihren Körper, der immernoch in den Armen des Magiers lag und zitterte, wie Espenlaub. Sondern wie sie immer leichter und leichter wurde, als würde sie zu einem Lufthuach werden, der dann in die Tiefen seiner Augen gezogen wurde. Dann wurde es dunkel um sie herum. Erst langsam, dann immer schneller. Aks würden die Kerzen um sie herum, eine nach der anderen erlöschen. Das letzte was sie noch sah, waren seine Augen. Diese blauen Augen, die trotz der herankriechenden Dunkelheit leuchteten und sie nicht mehr los ließen. Auch jetzt, wo alles in totaler Dunkelheit versank und sie schwebte. Die Augen des Magiers leuchteten, wie zwei Saphiere, in dessen Facetten sich das Licht einfangen ließ und es tausendfach zurückgeworfen wurde.

Schwaches Licht durchdrang die Finsterniss und als Lumen die Augen öffnete, fand sie sich in ihrem Gemach. Ihr Körper, der im Traum leicht wie eine Feder war, wog nun so schwer, als sei er aus Beton. Schwer war auch ihr Herz. Dieser Traum verwirrte sie und machte sie zugleich auch irgendwie glücklich. Tenebrae, der Magier, vor dem sie sich so sehr gefürchtet hatte, schien in diesem Traum ein anderer gewesen sein. Jemand, der sie festhielt, wenn sie fiel und sie mit seiner Wärme einhüllte, sodass auch ihr warm wurde.

Nach all diesen schrecklichen Alpträumen, die sie durch das Gift Fallacias hatte, war dieser Traum anders. Sie sollte sich eigentlich freuen, doch sie konnte es nicht. Er schien ihr das zuwiederspiegeln, was in ihrem Inneren war. Verwirrung, sehnsucht und der Wunsch nach…

Nach was. Nach etwas, dass die Menschen Liebe nannten. Aber wie könnte sie ihn lieben, geschweige denn er sie. Beide waren so unterschiedlich. In ihrem Denken und fühlen, dass sie unmöglich zusammen passen konnten. Sie besaß ein Herz, dass Mitleid empfinden konnte. Freude und auch Traurigkeit. Aber er schien nichts dergleichen zubesitzen, obwohl er ein Herz hatte. Sie hatte ihn aber noch nie weinen gesehen. Nur…lachen. Lumen erinnerte sich und ihr Herz stockte kurz. Schlug dann weiter. Heftiger, als vorher, und genauso wie in ihrem Traum. Er hatte gelacht. Gestern als er sie mit seiner unverblümten Art zum erröten und dann zum schimpfen brachte. Da hatte er gelacht und es klang nicht spottend, sondern heiter und ausgelassen. So als habe sie einen Witz gemacht. Und genau das verwirrte sie umso mehr. Wenn er nichts emfpinden konnte, so konnte er auch nicht lachen. Aber er tat es. Konnte es dann auch sein, dass er etwas fühlen konnte. Und wenn ja, was?

Lumens Gedanken, die nach einer Antwort für diese Frage suchten und auf weiteren, verliefen sich immer mehr in weiter Ferne. Es war wie ein endloser Weg, den sie da entlang lief. Auf der Suche nach den Antworten, die ihr weiterhalfen. Doch der Weg verirrte sich im Nirgendwo. Und Lumen musste es aufgeben. So schwer es ihr auch fiel.

Lumen verstand einfach nicht, was in diesem Mann vorging. Ob er das nur tat, um ihr zuzeigen, dass es sinnlos war auf etwas zuhoffen. Zuhoffen, dass sie doch hier glücklich werden konnte. Lumen wollte daran glauben. Aber in ihrem Herzen spürte sie, dass er selber nicht verstand, was in ihm vorging. Dass er selber verwirrt war und nicht wusste, was und wer er war. Aber das konnte sie sich auch natürlich einbilden. Es kam ihr irrsinnig vor, sowas von dem Magier zudenken. Ihm sowas zuzutrauen. Nein, er würde sicherlich nicht verwirrt sein. Dafür war sein Blick zukühl und zuentschlossen gewesen.

Er konnte sicherlich niemals dasselbe fühlen, wie sie.

Da klopfte es an der Tür und Comitas kam herein. Brachte das Frühstück. „Ich Euch einen rechtschönen Morgen wünsche. Ihr hoffentlich gut geschlafen und süß geträumt habt?“, fragte er gewohnt höflich. „Ja, das hab ich!“, sagte sie und setzte sich an den kleinen Tisch. Eine Rose lag auf einem Teller. Diesesmal war sie Rosa. Lumen nahm sie und roch an ihr. Sie roch wunderbar süß und würzig zugleich.

Eine seltsame Mischung.

Aber es bereitet ihr Freude. Eine lebende Rose, statt einer toten. Zärtlich strich sie mit den Fingern über die Rosenblätter. Wie weich sie waren. Fast so weich wie…Lippen.

Lumen schauderte, als ihr dieser Gedanke kam und als sie dabei an die des Magiers denken musste.

Im Traum war sie ihm so nahe gewesen, dass sie ihn wirklich küssen konnte. Aber nun war sie wieder wach und ihm würde sie niemals nahe sein können. Nicht so wie sie es sich vorstellte. Sich wünschte. Sich wünschte?

Wo dachte sie dahin? Was war nur in sie gefahren?

Wie kam sie nur auf den Gedanken, dass sie sich einen Kuss von ihm wünschte?

Hatte jemand ihr etwas ins Essen getan, dass sie auf solche Gedanken kam?

Sie hoffte nicht. „Was habt Ihr. Ihr so komisch, nachdenklich dreinschaut!“, sagte Comitas, der das Essen aufdeckte. „Ich…ich musste nur kurz daran denken, wie der Herr gestern gelacht hatte!“, sagte sie und Comitas bekam große Augen. „Gelacht hat der Herr? Wie das?“

Lumen wollte ihm erzählen, dass der Magier über ihre Empörung lachte, doch sie ließ es. Es war ihr unangenehm. „Er…er lachte einfach!“, sagte sie und schaute auf die Rose. Comitas, der sie immernoch mit großen Augen ansah, brach dann in freudiges Gelächter aus und tänzelte um sie herum. Lumen begriff nicht, was in ihrem Freund gefahren war. „Gelacht hat er, gelacht hat er!“, rief er immer wieder und klatschte in die Hände. „Comitas, was solls das?“, sagte sie. „Warum tanzt du denn rum?“

Da hörte Comitas auf und schaute sie nun traurig an. „Weil es lange her ist, dass er hat gelacht!“, sagte er betroffen und Lumens Herz machte einen schmerzhaften Schlag.

Es ist lange her, dass er gelacht hatte?

Wieso? Was hatte man ihm getan, dass er nicht mehr lachte?

„Warum?“, fragte sie und der trauige Blick Comitas wurde herzerweichend. „Man ihm sehr wehgetan hat!“, sagte er nur und Lumen fragte sich, was. Aber dass man ihm so sehr verletzt hatte, dass er nicht mehr lachte, ließ ihr Herz schwer werden. „Kommt. Was Ihr machen wollt?“, fragte er dann und versuchte seine Traurigkeit nicht mehr zuzeigen.

Lumen aber sah ihm an, dass er nur so tat, als würde er wieder fröhlich sein. Sie wollte ihn weiter danach fragen, weil es sie nicht losließ. Aber sicherlich würde Comitas ihren Fragen ausweichen. Sich weigern sie zu beantworten. Also ließ sie es.Vorerst.

Und überlegte, was sie machen konnte. In die Küche, nein sicherlich würde sie sich nicht konzentieren können. Zusehr hatten die Worte ihres kleinen Freundes sie verwirrt und sie würde sich sicherlich noch schneiden, so wie beim letzten Mal. Und in den Garten gehen wollte sie auch nicht, da sie wieder daran erinnert wurde, wie traurig und finster zugleich er wirkte. Blieb also nur noch die Bibliothek. Dort konnte sie sich ablenken. Sich wieder in die Welten, die von den Büchern erschaffen wurden, fliehen und träumen.

So saß sie auf dem Diwan, las weiter in den Büchern und verlor sich schon bald in diesen.

Die Zeit ging rum und schon bald holte Comitas sie für das Abendessen. Lumen seufzte schwer. Dennoch ging sie auf ihr Gemach, um sich umzuziehen.

Sie fragte sich, wie es dem Magier wohl ging.

Ob er immer noch diesen traurigen Blick hatte, oder ob er genauso war wie immer?

Lumen wollte, wenn sie ehrlich war, nicht darüber nachdenken. Sie konnte nicht sagen, was schlimmer war. Ihn als bedrohlich und gefährlich zusehen oder trurig. Beides weckte in ihr ein Gefühl, das sie nicht beschreiben konnte und das ihr eisige Schauer über den Rücken jagen ließen. Furcht, aber auch Mitleid. Neugier, weil er nicht mehr gelacht hatte und sie wissen wollte, warum. Ob sie es versuchen und den Magier danach fragen sollte?

Würde er ihr antworten oder sich wieder in schweigen hüllen?

Würde er überhaupt mit ihr reden?

Lumen fragte sich immer wieder dasgleiche, bis eine Stimme ihr sagte, dass sie es niemals erfahren würde, wenn sie nicht zu ihm ging. Also zog sie sich das taubengraue Kleid an, welches Comitas ihr bereitgelegt hatte. Die oberen Ärmel, die weit geschnitten waren, reichten bis zum Boden. Unter diesen waren zweite, enganliegendere Ärmel, die an den Enden spitzzuliefen. Deren Enden waren mit schwarzer, feiner Stickerei versehen. Auch schien der Rock aus einem Unter-und einem Oberrock zu bestehen. Während der obere durchsichtig war, schillerte der zweite, untere Rock in einem matten Grau und das Licht, welches darauf fiel, ließ ihn silbern glänzen. Der Ausschnitt war diesesmal nicht so tief und ließ auch nicht ihre Schultern zeigen. Aber er zeigte dennoch etwas Haut und der Stoff schmiegte sich, wie bei den anderen Kleidern sanft an ihren Körper. Fühlte sich an, wie eine zweite Haut. Zu dem Kleid bekam sie auch Haarschmuck. Ein Kranz aus silbernen, geflochteten Zweigen, an denen Blätter hingen, die ebenso silbern waren. Ein feiner Schleier war an diesem zierlichen Kranz geknöpft und wehte hinterher, wie ihr Haar. Lumen betrachtete sich im Spiegel und fragte sich, warum es diesesmal so ein Kleid ein.

Es schien nicht zu den anderen zupassen, die sie bisher getragen hatte. Und dennoch…

Es war einfach für sie gemacht und wunderschön.

Doch es konnte sie nicht von ihren Gedanken ablenken. Immer wieder musste sie sich fragen, wie sich der Magier nun ihr gegenüber benehmen würde. Sie hoffte irgendwie, dass er weder traurig noch düster sein würde. Sondern freundlich und…

Lumens Gedanken gingen in eine Richtung, die sie selber nicht verstand. Wäre sie nicht der Überzeugung, dass er etwas an Grausamkeit nachlässt, hätte sie ihn weiterhin für ein gewissenloses Monster gehalten, das mit ihr spielte. Aber so…

Nein, irgendwie schien es ihr schwerzufallen so zudenken. Und auch Comitas Worte ließen sie nicht los. Sie konnte dem Magier vertrauen. Aber wollte sie das auch?
 

Diese und andere Fragen beschäftigten sie immer mehr. Vorallem aber das Gefühl, das man Mitleid nannte. Was hatte man ihm angetan, dass er nicht mehr lachte, fragte sie sich zum wiederholtenmal und musste an Comitas traurige Antwort denken.

„Man ihm sehr wehgetan hat!“

Ein kalter Schauer rann ihr über den Rücken, als sie diese Worte wieder und wieder in ihrem Kopf hörte, die ihre Fragen, nach dem Warum noch mehr stärkten.

Auch jetzt wo sie ihm gegenüber saß und immer wieder zum ihm blickte. Er trank und aß, als wäre nichts. Dachte auch anscheinend an nichts. Zumindest nicht an das, was gestern passiert war. Dafür waren seine Bewegungen zusicher und zuruhig. Und doch meinte sie in seinen Augen etwas wie Schwermut zusehen. Aber sie konnte sich auch täuschen. Wie sooft. So versuchte sie auch nicht weiter daran zudenken. Die Fragen, die in ihrem Kopf nicht weiter zuhören. Soleicht ließen sie sich aber nicht ignorieren. Immer wieder riefen sie ihr zu. Drängten sie förmlich, dass sie sie auszusprach. Lumen aber weigerte sich. Sie fürchtete sich zusehr vor dem, was passieren würde. Etwas sagte ihr, dass sie sicher keine Antwort bekommen würde. Zumindest nicht eine, die sie hören wollte.

„Woher willst du das wissen, wenn du es nicht versuchst!“, zischte eine andere Stimme und sie zuckte etwas zusammen. Das stimmte. Sie würde niemals wissen, was passieren würde, wenn sie endlich ihre Angst besiegte und ihn fragte. Doch was dann…

Lumen fühlte sich hinundhergerissen. Wollte die Worte aussprechen, die ihr unaufhörlich durch ihren Kopf kreisten. Aber auch schweigen und so tun, als sei nichts. Irgendwann aber schien auch dem Magier nicht entgangen zusein, dass sie etwas beschäftigte. „Bedrückt Euch etwas, Prinzessin?“, fragte er und Lumen merkte, wie sie schrumpfte. „Wie kommt Ihr darauf?“

Um nicht zuzeigen, dass er ins Schwarze getroffen hatte, senkte sie den Kopf. Ihr war es unangenehm. Er legte den Kopf etwas schief und sah sie mit einem wissenden Blick an. Dann lächelte er. Diese naive Art der Prinzessin amüsierte ihn etwas. „Das sieht man Euch an der Nasenspitze an. Sagt: Was bekümmert Euch? Vielleicht kann ich Euch ja helfen!“

Lumen öffnete den Mund, um etwas zusagen. Doch sie konnte es nicht. Mit einem Mal war alles, was sie beschäftigt hatte wie weggeweht und sie wünschte sich nun, ganz woanders zusein. „Er denkt, es geht um mich!“, dachte sie und biss sich auf die Unterlippe. Ihre Furcht vor dem, was passieren konnte, wenn sie die Frage aussprach, kam wieder und lähmte ihre Zunge. Ängstlich blickte sie zu ihm und knetete nervös die Hände. Was war nur los mit ihr. Eben noch wollte sie aussprechen, was sie beschäftigte, aber jetzt traute sie sich nicht.

Zu groß war die Angst vor der Reaktion des Magiers.

„Nein, das…das könnt Ihr nicht!“, sagte sie leise.

Tenebrae hob eine Braue. „Woher wollt Ihr das wissen, wenn Ihr es nicht sagt?“ , fragte er und Lumen schluckte.

Ja, woher sollte sie das wissen, zischte wieder die Stimme und fast wäre es ihr rausgerutscht. Was hat man Euch getan, dass Ihr nicht mehr lacht?

Was hat man Euch getan, dass Ihr nicht mehr lacht?

Immer wieder drängte diese Frage sie, ausgesprochen zuwerden. Doch Lumen sagte stattdessen, ohne das sie es wirklich wollte:„ Weil es dabei um Euch geht!“

„Um mich?“, fragte Tenebrae und klang ehrlich überrascht. Dass die Prinzesin nur wegen ihm so nachdenklich und schüchtern war, verwirrte ihn. Warum, er hatte gestern doch gesehen, dass seine kalte und unnahebare Art ihr nicht behagen. Sie vielleicht sogar ängstigten. Wieso also dachte sie über ihn nach?

Lumen nickte. „Ja, ich…ich habe über Euch nachgedacht. Und es gibt Dinge an Euch, die ich nicht recht begreife!“, sprach sie unbeholfen weiter und hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Warum schwieg sie nicht. Es wäre doch das Beste, was sie machen konnte, um nicht doch die Frage zustellen, die sie so krampfhaft zurückhielt. Warum also redete sie weiter?

„Und was für Dinge wären das?“

Tenebraes Neugier war geweckt. So wie sie das sagte, klang es so, als würde sie wirklich wissen wollen, wer er war. Eine leise Hoffnung, dass sie wahrhaftig hinter seiner Maske, aus Finsterniss und Beherrschung blicken wollte, um zu sehen, wer er wirklich war, stieg in ihm auf. Sein Herz begann schneller zuschlagen als zvor und in seinem Bauch begann es seltsam zu kribbeln. Geduldig, auch wenn es ihm schwerfiel, schaute sie an und sah, dass sie mit sich kämpfte. Die Hoffnung schwand auf ein minimum. Offensichtlich war die Angst vor ihm immernoch größer, als die Neugier, die sie hatte und mit der sie nun rang. Lumen biss sich auf die Unterlippe, weil sie nicht wusste, wo sie anfangen sollte. Es gab sovieles an ihm, das sie verwirrte. Und jedes würde ihn sicher verstimmen. Also fing schwieg sie nur und schaute auf ihre Hände, die das schöne Kleid schon fast zerknittert hatten. „Ihr braucht Euch nicht zufürchten, Prinzessin. Sagt, was Euch an mir stört!“

Die Stimme des Magiers ließ sie zusammenfahren und sie hob den Kopf. Sah ihn an. Stören?

Es störte ihr an ihm nichts. Es verwirrte sie nur. Um das zu bekräftigen schüttelte sie den Kopf. Wie kam er nur auf so einen absurden Gedanken. „Das stimmt nicht. Es stört mich nichts an Euch. Aber ich weiss nicht, was ich von Euch halten soll!“, sagte sie und trotz das die Worte ihr schwer über die Lippen kamen, war sie erleichtert, sie endlich ausgesprochen zuhaben. Sie fühlte sich erleichtert. Doch als sie den Magier ansah, fühlte sich ihr Magen eiskalt an und ihr Herz zog sich zusammen. Der Blick, den der Magier ihr zuwarf, war befremdlich und auch irgendwie verletzt. „Was Ihr von mir halten sollt?“, fragte er und in seiner Stimme schwang bittere Enttäuschung mit. Lumen drückte sich gegen die Lehne des Stuhls, als würde sie so einem Blick entfliehen können. Die Worte und deren Klang waren wie ein Knurren und Lumens Furcht wurde größer dennje. „Ich dachte, das hätten wir schon geklärt?“, sagte er dann und Lumen horchte auf. Wir?

Das war das erste Mal, dass er so sprach. Sie nicht mit der höflichen Anrede ansprach, sondern sich und sie einbezog. Fast so als wären sie eng miteinander vertraut. Lumen Herz machte einen Aussetzer, als sie das dachte. Aber dann spürte sie, wie sie wieder rot im Gesicht wurde und sie senkte den Kopf. Unsinn, sie würden niemals so eng vertraut sein.

„Nein, haben wir…habt Ihr nicht mit mir. Ihr sagtet nur, dass ich Euch vertrauen kann!“

Tenebrae hob erneut die Brauen. „Habe ich das?“

„Ja, in dem Traum, in dem Ihr mit mir…!“, sie stockte, weil sie erkannte, dass sie sich in was verrannte. Tenebrae sah sie an, als wartete er darauf, dass sie weitersprach. Doch als sie es nicht tat, sprach er weiter. „In dem Traum? Habt Ihr etwa von mir geträumt?“

Tenebrae vermochte es nicht zusagen, ob es ihn freute, dass sie ihn in ihrem Traum gesehen hatte, oder er sich Sorgen machen musste. Was garantierte ihm, dass der Traum, in dem sie ihn sah, schön war. Vermutlich war es auch wieder ein Alptraum gewesen, in dem sie vor ihm versuchte zu fliehen. Der Gedanken schon allein reichte aus, dass sein Herz schwer wurde. Wäre er er selbst, würde ihn das nicht kümmern. Er würde dies nicht weiter beachten und sich gegenüber dessen gelichgültig verhalten. Aber seit letzter Nacht, war dem nicht so. Es kümmerte ihn und er fragte sich, wie das wohl weitergehen würde.

„Ja, ich…ich weiss, dass das zeimlich absurd klingt. Aber ich habe von Euch geträumt und…!“

Lumens Herz schlug mit jedem Wort schneller und härter in ihrer Brust. Beinahe hätte sie gesagt, dass er mit ihr im Traum getanzt hatte. Doch sie hielt sich zurück. Mehr musste er nicht wissen. „Und was…?“, fragte er weiter und Lumen wünschte sich, er würde nicht weiter nachbohren. Das ganze ging in eine Richtung, die sie nicht wollte. „Ihr habt gelacht!“, sagte sie ganz schnell, auch wenn sie sagen wollte, dass er mit ihr getanzt hatte und dass sie sich dabei ao ganz anders gefühlt hatte. Aber das wollte sie für sich behalten. „Gelacht?“, fragte er, als könnte er es nicht glauben und Lumen nickte. „Ja!“, kam es kleinlaut von ihr. „So wie im Garten gestern!“

„Ein seltsamer Traum, findet Ihr nicht?“, fragte er nun weiter. „Ja, da ich Euch lachen gesehen habe. Mit Ausnahme von gestern!“, fügte sie verlegen hinzu und senkte augenblicklich den Kopf. Ihr war es mehr als ungenehm solche Persönlichkeiten, wie ihre Träume ihm anzuvertrauen. Und sie hoffte, er würde es dabei darauf beruhen lassen. Doch Tenebrae schien sich damit nicht zufrieden zu geben. „Sieh einer an. Ihr gebt selber zu, dass es seltsam ist!“

Es klang mehr wie eine Feststellung, als wie eine Frage und Lumen hätte eigentlich widersprochen, aber wenn sie ehrlich sein sollte, wollte sie das nicht. Er hatte ja Recht. Es war seltsam. Fast schon gruselig. Aber Lumen wollte nicht weiter darüber nachdenken. Sondern versuchte dieses Gespräch nicht weiterzuführen. Doch das war leichter gesagt, als getan. Der wartende Blick des Magiers ließ sie nicht los und innerlich vereisen. Was machte sie bloss, um weiter darüber sprechen zu müssen. Fieberhaft suchte sie nach einem Ausweg. Und fand auch gleich einen. Wollte sie den Magier nicht fragen, warum er nicht mehr lachte?

Das wäre doch das, was sie davon bewahren würde, dieses Gespräch weiter zuführen.

„Wie kommt es eigentlich, dass Ihr nicht mehr lacht?“

„Habe ich doch. Das habt Ihr selber gesagt!“

„Ich meine, davor. Ihr habt vorher nicht gelacht!“

„Woher wisst Ihr das?“,

Nun nahm die Stimme des Magiers, die vorher gelassen geklungen hatte, einen lauernden Klang an und seine Blicke wurden bohrend. Lumen bereute nun ihre Worte und sie mekrte, wie sie ganz klein wurde. „Ich…es ist mir nur aufgefallen. Nach der ganzen Zeit, die ich nun hier war, habe ich Euch nicht lachen sehen!“, erklärte sie und musste dabei an Comitas denken. Daran, wie er ihr anvertraut hatte, dass er nach langer Zeit das Lachen vergessen hatte. Sie musste sich bemühen, es nicht laus auszusprechen, da sie wusste, dass Tenebrae wütend sein würde, wenn er erfuhr, dass sein Diener ihr etwas erzählt hatte, was sie nicht wissen durfte. Und Lumen wollte nicht, dass ihr einziger Freund betraft wurde, nur weil sie zu neugierig war. Sie hoffte, dass diese Notlüge reichen würde. Denn sonst wüsste sie nicht, was sie tun sollte. „Ist das so absonderlich?“, fragte er, immernoch mit dieser lauernden Stimme. „Nunja, ich…etwas…!“, murmelte sie und wagte es nicht, ihn anzusehen. Sie merkte, wie sie sich mit jedem Wort, das sie sagte, immer mehr einen Strick drehte und sich darin verfing, wie in einem Netz. Noch ein falsches Wort und es würde ihr das Genick brechen.

Lumen biss sich auf die Unterlippe und traute sich nicht weiterzusprechen. Egal was sie auch sagte. Es würde alles nur noch schlimmer machen. Tenebrae sah sie nur mit einem froschenden Blick an. Sein Groll, dass sie ihm solch eine dumme Frage stellte, war erstaunlicherweise schnell verflogen und er fragte sich, warum es sie so erstaunte. Geschweige denn beschäftigte. Sollte es ihr eigentlich nicht egal sein?

Sie hatte ihn bisher immer so angesehen, als sei er ein Monster. Aber eigentlich lag das schnon lange zurück. Sie hatten sich auch irgendwie angenähert. Hatten miteinander gesprochen. Dabei hatte er das Gefühl gehabt, dass sie ihn als Menschen sehen würde und nich als der dunkle, böse Magier, der er zuanfang in ihren Augen war. Aber jetzt, wo sie ihn so ansah, schwand das Gefühl. Etwas in ihm zog sich schmerzhaft zusammen, als er sich dessen klar wurde und er seufzte schwer. „Wieso fällt es Euch so schwer, mich als Mensch zu sehen?“, fragte er, mehr sich selbst als sie. Lumen hörte es dennoch und wollte darauf eine Antwort geben.

Weil Ihr niemals zeigt, was in Euch vorgeht!

Weil ich nicht schlau aus Euch werde!

Die Worte wollten aus ihr sprudeln, wie eine Quelle, die sich ihren Weg durch massive Steine bahnte, doch sie presste hart die Lippen aufeinander. Wollte immerhin diese Worte zurückhalten. „Wie dem auch sei. Ihr solltet wissen, dass ich…legt endlich Eure Verbohrtheit und Intoleranz ab. Dann werdet Ihr es schon aushalten!“, waren seine letzten Worte und Lumen schnappte empört nach Luft. Verbohrtheit und Intoleranz?

Hatten ihre Ohren ihr einen Streich gespielt oder hatte sie ihn richtig verstanden?

Die alte bekannte Wut stieg in ihr hoch. Nährte die Empörung, die sie bei den Worten des Magiers ergriffen hatte und ließ sie ihre Furcht vor ihm vergessen.

Was erlaubte sich dieser Magier eigentlich. Er war doch selber schuld, dass sie so von ihm dachte und ihn so sah. Was bildete er sich also ein, dass sie diejenige ist, die es schwer macht?

„Intoleranz…? Verbohrtheit?“, brach es aus ihr heraus, weil sie sich nicht beherrschen konnte. „Wer verhält sich so, dass es einem schwerfällt, es hier auszuhalten?“, platzte es aus ihr heraus. „Seit ich hier bin, behandelt Ihr mich wie eine Gefangene. Zwar speise ich gut und habe wunderbare Kleider. Aber ich kann nicht einen Schritt alleine machen, ohne dass diese schrecklichen Schatten sich auf mich stürzen!“

„Doch könnt Ihr, wenn ihr in meiner oder in der Nähe von Comitas seid!“, erklärte er und schien sich von ihrem Ausbruch nicht beeindrucken zulassen. Das ärgerte Lumen umso mehr. Lange war es her, dass sie solch eine Wut im Bauch hatte. Zuletzt hatte sie diese, beim ersten Essen mit ihm und schauderte, als sie daran denken musste, was danach passiert war. Fast wäre sie von den Schatten, die draußen auf sie lauerten, verschlungen worden. Wäre der Magier nicht gewesen. „Und was wenn ich das nicht will? Wenn ich allein sein will und alleine durch Euer Schloss gehen will?“, erwiderte sie und war verblüfft, dass sie solche Worte sprach. Aber sie hatte genug davon, von ihm abhängig sein zumüssen. Sie wollte nicht länger unter seinem Schutz stehen. Sondern allein entscheiden, was sie wollte.

Und dennoch genoss sie es irgendwie, von ihm beschützt zuwerden. Er war so stark und mächtig, dass es ihr den Atem raubte und ihr Herz schneller schlagen ließ. Es war seltsam, verrückt und hätte ihr Angst einjagen müssen, als sie darüber nachdachte. Aber das tat es nicht. Im Gegenteil: Ihr Herz schlug immer heftiger, als sie sich vorstellte, wie er vor sie gestanden hatte und die Schatten zurückgedrängt hatte. Auch wenn sie ohnmächtig gewesen war, hatte deutlich gespürt, dass er dagewesen war. Hatte seine Worte gehört. Jetzt wo sie so darüber nachdachte, erinnerte sie sich. Am Anfang hatte sie nur die Erinnerungen an die schrecklichen Schatten gehabt. Nun aber erinnerte sie sich immer mehr daran. Seine Stimme, die den Schatten befehlte. Dann die Hände von Comitas und deren seiner Brüder, die sie trugen und auf ihr Zimmer brachten.

Ein Schauer rann ihr über den Rücken, als sie sich immer mehr ausmalte, wie er dagestanden hatte und sie beschützte. Den Schatten Einhalt gebot und sie zurückscheuchte. Zugerne hätte Lumen das gesehen. Es war kindisch soetwas zudenken, aber ihr Verstand hatte seinen eigenen Kopf. Sponn immer mehr verwirrte und verrückte Dinge und Lumen drängte sie in den hintersten Teil ihres Kopfes. Es war keine Zeit, an sowas zudenken. „Warum wollt Ihr das?“, fragte er dann und Lumen fragte sich das selber.

Warum wollte sie allein durch dieses Schloss umhergehen, vor dessen Inneren sie sich fürchtete?

Mit einem Male erschien es ihr selber absurd und sie winkte ab. „Vergesst was ich sagte. Ich…ich habe dummes Zeug geredet!“, verteidigte sie sich schwach und schaute weg. Tenebrae sah sie lange schweigend an. Er fand nicht, dass sie dummes Zeug geredet hatte. Dass sie darauf beharrt hatte, von ihm oder Comitas nicht mehr abhängig zusein, zeigte ihm, dass sie erwachsen wurde. Dass sie wohl nicht mehr das ängstliche Mädchen war, das er zu Anfang in ihr gesehen hatte. Er lächelte etwas. „Das finde ich nicht. Ihr zeigt, dass Ihr kein kleines Kind seid. Auch wenn Ihr Euch manchmal so benehmt!“, erklärte er und Lumen fühlte, wie die Röte in ihr Gesicht hochstieg. Den letzten Satz hatte sie überhaupt. War das ein Kompliment?

Und vorallem, war es ernst gemeint?

Es war das erste Mal, dass er das sagte und Lumen spürte, wie ihr Herz schneller und schneller schlug. Trieb mehr Blut in ihre Wangen, die sie erröten ließ und sie wirkte nun verlegen. „Findet Ihr?“, fragte sie und knetete wieder ihre Hände. „Ja, Ihr habt Euch gewandelt!“, bemerkte er. „D-danke!“, stammelte sie. Ihr aber auch, wollte sie schon beinahe sagen, doch sie biss sich wie üblich auf die Zunge. Es war ihr unangenehm, sowas auszusprechen. Er hatte sich verändert, genauso wie sie. Er war nicht mehr so bedrohlich, wie am Anfang. Dennoch hatte er immernoch etwas an sich, was ihr Respekt einflösste. Ihre Furcht vor ihm nicht gänzlich vergessen ließ. Es blieb eine Spur davon. Nicht stark, aber dennoch präsent. Eine Weile saßen sie noch beisammen und speisten miteinander. Dann aber verabschiedete sich die Prinzessin vom Magier und verließ mit Comitas an ihrer Seite den Speisesaal.

Noch immer musste sie daran denken, wie sehr er sich verändern zu haben schien. Ob das was mit ihr zutun hatte?

Lumen wünschte es sich irgendwie, aber dann verwarf sie diesen Gedanken wieder. Warum sollte sie der Grund sein?

Er lebte schon solange hier allein. Nur mit seinen Dienern, da konnte es doch sein, dass er…was?

Ihr Nähe als selbstverständlich hielt und sich nichts daraus machte. Aber warum dann behandelte er sie so?

Lumen war verwirrt über ihre eigenen Gedanken und wäre Comitas nicht gewesen, der sie sogleich aus diesen geholt hätte, wäre sie in eine Richtung gegangen, die sie noch mehr verwirrt hätte. „Es Euch hier eigentlich gefallen?“, fragte er und blickte sie mit großen Augen an. Lumen blieb erstmal stehen, um richtig seine Worte zuverstehen und nach einer Antwort zusuchen. Was sollte sie sagen?

Dass sie es nur aushielt, weil er ihr so ein guter Freund war?

Dass sie immernoch am liebsten zurück möchte?

Oder sich wirklich hier wohlfühlte, weil sie glaubte in dem Magier etwas zusehen, was ihr bisher verborgen geblieben war. Lumen schien die letzte Antwort selbst nicht zubehagen, da entschied sie sich einfach nur zunicken. „Ja, ich…ich denke schon!“, sagte sie dennoch und hätte sich im nächsten Moment am liebsten auf die Zunge gebissen. Aber Comitas schien ihre nächsten Worte nicht gehört zuhaben und wenn doch, ließ er es sich nicht anmerken.

Lumen fragte sich, was in ihrem kleinen Freund vorging. Was er dachte.

Lumen hätte es zugerne gewusst.

Er wünschte ihr noch eine gute Nacht, dann ging er und ließ sie allein.

Lumen blieb eine Weile dastehen, sah ihm nach und wünschte sich die Fragen auszusprechen, die ihr im Kopf herumschwirrten. Doch nun hatte sie die Gelegenheit versäumt und so zog sie sich immer wieder über das Verhalten des Magiers grübelnt für die Nacht an und schlüpfte ins Bett.
 

„Und mehr hat sie nicht gesagt?“, fragte Tenebrae nach und musste sich bemühen, den aufsteigenden Kummer in seiner Stimme nicht mitklingen zulassen. Als ihm sein treuer Diener sagte, was die Prinzessin geantwortet hatte, war sein Herz fast stehengeblieben. Er hatte sich wirklich erhofft, dass sie ja sagen würde. Dass sie sagen würde, sie würde sich hier wohl fühlen. Wenn auch nur ein kleines bisschen. Aber wunderte es ihn eigentlich, dass sie dies stattdessen geantwortet hatte. Eigentlich nicht. Und dennoch hatte er sich erhofft, dass sie sich hier eingelebt hatte. Es fehlte ihr schließlich an nichts und er machte ihr Geschenke. Sogar ein Kompliment hatte er ihr gemacht. Doch das schien alle snichts zunützen und mit dem ohnmächtigen Gefühl der Ratlosigkeit, kam auch die Wut auf ihre Undankbarkeit hoch. Was glaubte sie eigentlich wer sie war und was sie sich zuerlauben hatte. Sie war schließlich hier zu Gast und müsste dankbar für das sein, was er ihr gab. Aber sie weiss es doch nicht, wie sollte sie da dankbar sein, sagte die Vernunft in ihm und brachte die Wut etwas zur Ruhe. Comitas musste gesehen haben, was in seinem Herrn vorging, denn er trat etwas näher und sprach ihn an:„ Wenn Ihr erlauben, Herr. Ihr doch sagen, dass die Geschenke von Euch kommen. Ich sicher bin, dass sie sich freuen werden!“

Tenebrae sah seinen Diener mit gehobenen Brauen an und irgendwie gab er ihm dabei Recht. Schöpfte dabei neue Hoffnung. Wenn er ihr sagen würde, dass diese Geschenke von ihm kamen, um ihr eine Freude zumachen, dann würde sie sicherlich…

Was…?

Dich als einen Freund sehen?

Deine Nähe erdulden?

Vielleicht sogar erlauben, sie zu berühren?

Sei kein Narr, zischte wieder diese Stimme, die alles zunischte machte, was sein Herz und vor Freude schneller schlagen ließ. In ihren Augen bist und bleibst du ein grausamer Mensch, der ihr zwar alles gibt, was ihr Freude macht, sie aber dennoch gefangen hält, weil er sie als Preis gefordert hatte. Tenebrae grub das Gesicht in beiden Händen. Konnte es nicht ertragen, diese beiden Stimmen streiten zuhören und versuchte sie zum Schweigen zu bringen. Ihm dröhnte der Kopf, als würde ein heftiges Sommergewitter darin toben. Nur langsam konnte sich dieses wieder beruhigen und es herrschte eine Leere in seinem Kopf, die beinahe schon erdrückend war. Comitas konnte es sich nicht mit ansehen, wie sich sein Herr quälte. „Herr…Ihr es sagen. Ich sicher bin, sie Euch dann etwas mehr mögen wird!“, machte er ihm weiter Mut. Doch Tenebrae schüttelte den Kopf. Trotz aber der Worte seines Dieners, der ihm wirklich treu war und seine tröstenden Worte immer geschätzt hatte, konnte er dadurch keine neue Hoffnung ergreifen. Dafür war er viel zu schwach und niedergeschlagen. „Nein. Dafür ist es zuspät. Sie sieht in mir keinen anderen, als den auch ihr Vater und andere in mir sahen!“, murmelte er. „Eine Bedrohung!“

Seine Stimme klang matt und auch etwas müde. Nie hätte er gedacht, dass ihm dies solche Kraft kosten würde, um sich zur Vernunft zuermahnen und all die Hoffnungen fahren zulassen, die bisher in ihm gewohnt hatten. Comitas sah ihn eine Weile mit tieftraurigen Augen an. So hatte er seinen Herrn noch nie erlebt und gerne hätte er weitergeredet, doch er ließ es. Es würde nichts bringen.
 

Wieder war sie in diesem Ballsaal, der vor tanzenden Menschen erfüllt war. Aber etwas war anders. Wo sie sie im ersten Taum nicht beachtet hatten, sie gar behandelt hatten, als sie Luft, so taten sie es nun nicht mehr. Lumen wurde einem Tänzer zum anderen weitergereicht, als würde man von ihr verlangen mit jedem hier, egal ob Mann oder Frau zutanzen, bis ihre Füsse bluteten. Doch es war kein höfliches Abklatschen, das den Wechsel des Tanzpartners ankündigte, so wie sie es im Schloss ihres Vaters und dessen Bällen kannte. Sondern ein wildes und rücksichtsloses Schubsen. Sie wurde herumgewirbelt, bis sie glaubte von dem grässlichen Schwindelgefühl ohnmächtig zuwerden. Die Musik, die vorher harmonisch und langsam war, war nun genauso wie der Tanz, in dem sie gefangen war. Schnell und wild, ohne eine Möglichkeit, zur Ruhe zukommen. Lumen keuchte und stöhnte gequält. Ihre Arme und Beine fühlten sich schwer wie Blei an und sie fürchtete, dass man ihr noch die Arme auskugeln würde, wenn man weoter so mit ihr tanzte. Sie versuchte mehr als einmal sich aus dem Griff ihrer jeweiligen Tanzpartner zubefreien, doch diese lachten nur. Ununterbrochen. Nicht fröhlich, sondern voller Schadenfreude. Weil es ihnen wohl Spass machte, sie so herumzuwirbeln, wie ein Blatt im Wind. Verzweifelt schaute Lumen sich um. Versuchte eine Lücke in den Tanzreihen ausfindig zumachen, in die sie schlüpfen und entkommen konnte. Doch die Leiber der anderen tanzten so eng aneinander, dass sie glaubte in einem wahren Meer ausschwarzem Stoff und lachenden Menschen zu sein. Teilten sie sich nur für einen kurzen Moment, so schoben sich andere davor und versperrten ihr den Weg, sobald sie auch nur einen und sei er noch so klein, entdecken konnte. Mit schwindendem Mut und Hoffnung, hier jemals rauszukommen und wachsender Verzweiflung, wurde ihr Körper ganz schwer und sie hing schlussendlich in den Armen ihres jetzigen Partners kraftlos wie eine Strohuppe. Ihr Gewicht, das dadurch immer schwerer wurde, schien diesem allerdings kaum etwas auszumachen. Denn er lachte und Lumen lief es kalt den Rücken runter. Das konnten niemals Menschen sein. Nie konnten Mensche so grauenvoll lachen. Es klang wie zerbrechendes Eis oder Glas, deren scharfe Scherben über etwas weichem kratzten und es zerfetzten. Lumen war zum Weinen zumute. Wieso träumte sie nur sowas schreckliches?

Es schienen Ewigkeiten zu vergehen, in denen sie in den Armen dieses Mannes tanzte, dessen Lachen ihre Ohren erfüllte und ihr den Verstand zurauben drohte. Sie hatte schon lange aufgegeben, sich dagegen zuwehren. Hing einfach nur da und tanzte. Ihre Füsse schwebten und tanzten über den Boden, als hätten sie ihren eigenen Willen und eigentlich hätte sie spüren müssen, wie sehr sie schon schmerzten. Doch sie fühlte nichts.

Sie fühlte sich zu schwach, als dass sie irgendwas spüren konnte.

Doch plötzlich wurde sie aus diesen Armen gerissen und landete in denen eines anderen. Lumen wimmerte. Zu mehr war sie nicht in der Lage.

„Nein…bitte nicht…Ich kann nicht mehr!“

Ihre Beine wollten schon nachgeben. Sie in die Knie sinken lassen. Aber die Arme hielten sie fest. Lumen zitterte und nun kamen ihr doch die Tränen. Erneut würde sie tanzen müssen. Und sicherlich würde das immer so weitergehen, bis sie tot umfiel. Aber da holte eine vertraute und auch nicht erwartete Stimme aus ihrer Furcht. „Lumen!“

Dieses eine Wort sorgte dafür, dass sie hochschaute in das Gesicht des Magiers sah. Ihr Atem setzte für einen kurzen Moment aus und ihr Herz machte einen Satz. Erneut stand sie ihm gegenüber und wieder war er nicht der, der er sein sollte. Er war nicht der dunkle Magier, vor dem sie sich fürchtete. Sondern ein Mann, der es vermochte, ihr Herz mal schneller mal langsamer schlagen zulassen. Sie alles vergessen ließ, was sie bekümmerte oder ihr Angst machte. Sie vergessen ließ, das sie vorhin gefangen war, in diesem Meer aus Leibern, die zu Wesen gehörten, die keine Menschen sondern Dämonen waren und sich einen Spass daraus machten, sie zu quälen. „Tenebrae!“, flüsterte sie und sah mit wildschlagendem Herzen, wie er ihre Hand nahm und zärtlich einen Kuss auf ihren Handrücken hauchte. Lumen erschauderte. Es war ein angenehmer Schauer und dieser Handkuss ließ ihr Herz höher schlagen. Bis zum Hals. Sie senkte den Blick, weil sie nicht wollte, dass er ihre geröteten Wangen sah. „Bitte, schenk mir diesen Tanz, Lumen!“, bat er und dies ließ ihre Knie nur noch weicher werden. In diesem Moment war seine Stimme so sanft und auch flehend, dass es ihr fast den Atem raubte und sie sich fragte, ob das wirklich nur ein Traum war. Es fühlte sich wie beim letzten Mal so echt an. So richtig. Lumen brachte nur ein schüchternes Nicken zustande und einige Minuten später tanzte sie mit ihm. Diesesmal war die Musik langsam, so wie bei ihrem ersten Tanz mit ihm undsie wiegte sich nur zugern in dem Takt der sanften Harfen-und Geigenklänge hinundher. Nun schienen sie genug platz zuhaben, um zu tanzen und sich zudrehen. Die anderen Tänzer, die in schwarzen Tüchern gehüllt waren, sahen ihnen zu und Lumen meinte ihre bohrenden Blicke in ihrem Rücken zu fühlen. Lumen versuchte, sie nicht zubeachten. Und sah Tenebrae es, so zischte er etwas und das Gefühl ließ nach. Dankbar dafür lehnte sie sich an seine Brust und atmete dabei tief seinen Duft ein. Er roch nach frischem Wind und Meer. Wie die Rose. Bei diesem Gedanken musste sie lächeln.

In diesem Moment kam ihr alles mehr und mehr real vor und sie vergass ganz und gar, dass dies nur ein zuschöner Traum war. Aus dem sie niemals erwachen wollte.

Irgendwann blieb er stehen und sie wurde sich bewusst, dass sie die Augen geschlossen hatte, als sie sie öffnete und etwas verwirrt war. Warum blieb er stehen?

Hatte sie etwas falsch gemacht?

Krampfhaft versuchte sich daran zuerinnern, ob sie ihm vielleicht auf den Fuss getreten war, aber sie konnte es nicht und vermutlich hatte sie es auch nicht.

Aber warum dann hörte er auf mit ihr zu tanzen?

Es war doch so schön gewesen.

Lumen wollte schon etwas sagen, doch da drückte Tenebrae sie eng an sich, sodass sie nun auch seinen Herzschlag unter ihren Händen, die sie auf die Brust gelegt hatte, spüren konnte. Es schlug im selben Takt, wie das ihrige. Die Röte in ihrem Gesicht wurde wärmer und sie wollte wieder nach untenschauen. Doch da legte Tenebrae die Finger unter ihr Kinn und hob es mit sanftem Druck nachoben. Brachte sie so dazu, ihn anzusehen. „Was…!“, kam es von ihr und sie fühlte, wie es in ihrem Magen kitzelte. „Was auch immer du von mir gehört hast, es ist nicht wahr!“, flüsterte er. Dann beugte er sich vor, legte sein Gesicht neben ihres, sodass ihre Wangen sich berührten und sie seinen Atem an ihrem Ohr fühlen konnte.

„Vertrau mir, Lumen!“

Lumen zuckte zusammen, als seine Lippen über ihre Ohren strichen und wäre dahingeschmolzen. So nahe war sie ihm noch nie gewesen. Ihr war warm. So warm…

„Lumen!“, flüsterte er nocheinmal und das ließ nun ihre Knie einknicken. Es war zuviel, als dass sie sich noch aufrecht halten konnte. Sie sank in den Armen des Magiers in sich zusammen und hielt sie fest.

Sie spürte noch seine Umarmung, als sie die Augen öffnete und einen Seufzer der Trauer ausstiess. Es war doch nur ein Traum gewesen. Diese Tatsache machte ihr Herz schwer und sie sank zurück in die Kissen. Könnte sie doch immer und jeder Zeit träumen.

Wieder seufzte sie und rollte sich auf die Seite. In dem Moment kam Comitas rein und er lächelte sie irgendwie glücklich an. „Ich Euch einen guten Morgen wünsche!“, sagte er und Lumen richtete sich auf. „Guten Morgen!“, sagte sie und robbte aus dem Bett. „Ihr auch gut geschlafen habt?“, fragte er wieder und sie nickte. „Ja…, ich…ich hatte geträumt!“, sagte sie und sah verwundert, wie sich Comitas Miene erhellte. „Oh und was ihr geträumt haben?“

Lumen überlegte, ob sie wieder etwas flunkern sollte. Aber irgendwie wollte sie das nicht. Sie wollte stattdessen mit ihm teilen, was sie erlebt hatte und nicht vergessen konnte.

„Ich habe getanzt. Mit deinem Herren. Es…es war einfach wunderbar…!“, sagte sie. „Ihr habt mit ihm getanzt?“, fragte er freudig und Lumen musste dabei lächeln. „Ja, ich…ich weiss, dass das verrückt klingt, aber es ist so!“

„Ich es nicht verrückt finde. Im Gegenteil. Ich begeistert bin!“, grinste Comitas, der sich offensichtlich mehr als nur freute, dass sie von seinem Herren träumte. Ihr war es fast schon peinlich. „Wirklich? Ist das so außergewöhnlich? Warum?“, fragte sie dann und für einen kurzen Moment wurde das Gesicht ihres kleinen Freundes bekümmert. „Es solange her ist, dass man im Baalsaal gefeiert hat. Ich die herrliche Musik vermisse und die freudigen Geräusche. Das Lachen und die Heiterkeit darin!“, murmelte er und Lumen konnte sich sehr gut vorstellen, wie er sich danach sehnte. Auch sie tat es. Sie vermisste die sanften und fröhlichen Klänge, die sie zum Träumen brachte und sie mit Freude erfüllten.

Da kam ihr eine Idee. Sie war verrückt und würde ihr sicherlich Ärger einbrocken, aber fragen konnte sie. „Sind die Instrumente denn noch hier im Schloss?“, fragte sie und Comitas schien erst nicht zu begreifen, was sie damit meinte. Doch dann hellte sich wieder sein Gesicht auf und wusste nun, was sie mit ihrer Frage beabsichtigte. „Ja. Oh ja. Sie hier seien. Auf dem Dachboden. Wartet, ich es Euch zeigen!“, sagte er eifrig, nahm sie bei der Hand und zerrte sie sogleich mit sich, wobei Lumen die Befürchtung hatte, dass er ihr den Arm abreissen würde.

Schnell liefen sie eingie Gänge entlang, folgten ihnen, bis diese vor einer Treppe führte, die sich schon sehr bald in der Dunkelheit verlor. Lumen schluckte, als sie sah, wie undurchdringlich diese Dunkelheit dort oben war und sie wollte schon zurückgehen. Doch Comitas hielt sie an der Hand und sah sie zuversichtlich an. „Ihr keine Angst haben müsst, Prinzessin. Euch nichts passieren würd!“, versprach er ihr, schnippte, um seinen Worten genügend Gesicht zugeben, mit den Fingern und eine kleine Flamme tanzte auf seinen Fingerspitzen. Mit dieser schritten sie die Stufen hinauf, die sich immer höher und höher windeten, wie eine Schlange und zu Anfang hatte Lumen versucht sie zuzählen, doch bei hundert blieb sie stehen und keuchte auf, als sie sehen musste, dass diese kein Ende zu nehmen schienen. Der Turm, den sie hinauf schritten, kam ihr immer enger vor, je weiter sie hinaufstiegen und Lumen bekam langsam Angst. Ihre Hände und Knie begannen zuzittern und auch wenn Comitas ihr aufmunternt diese drückte und ihr versichterte dass es nicht weit wein würde, fühlte sie, wie sie immer nervöser wurde.

Doch dann endete die Treppe vor einer Tür, die mit massiven Eisenschlägen beschlagen war und einen ziemlich alten Eindruck machte. Das Holz war morsch und brüchtig. Ein Wunder, dass sie noch solange durchgehalten hatte, dachte Lumen, als sie sich diese ansah. Comitas trat vor und schob sie auf. Sie quietschte entsetzlich und so laut, dass Lumen fürchtete, dass sie das ganze Schloss damit auf sich aufmerksam machen würden. Es war verrückt, aber sie kam sich vor, wie ein Eindringling. Wie jemand, der kein Recht dazuhatte, hier zusein. Lumen schaute sich um. Wurde das Gefühl nicht los beobachtet zuwerden. Sie fürchtete schon, etwas in den Schatten zusehen, was sie belauerte und dann im nächsten Moment sie anzuspringen. Comitas, der schon in den Raum hinter der Tür eingetreten war, drehte sich um und winkte sie zu sich. „Nun kommen, Prinzessin. Ihr keine Angst haben müsst!“, versprach er ihr und Lumen trat ein. Nicht jedoch nocheinmal zur Treppe zuschauen.

Täuschte sie sich, oder hatte sie wirklich eine Bewegung im Schatten gesehen?

Lumen wollte nicht weiter darüber nachdenken und ging in den Raum. Dahinter war der Dachboden. Doch anders als die, die sie vorher gesehen hatte, ähnelte dieser einem ehemaligen Wohnzimmer. An den Fenstern hingen Überreste von kostbaren Vorhängen, da erb nun durch die Zeit zerrissen und vermodert hinutner hingen und sich hinundwieder bewegten, wenn ein Lufthauch sie streifte. Der Raum war auch nicht so groß, wie sie angenommen hatte. Vermutlich war er das mal, aber nun schien er umgebaut gewesen zu sein. Und zwar so, das sman hier ruhige Stunden verbringen konnte.

Die Decke wurde von Balken gestützt, die ebenso einen alten Eindruck machten, aber dennoch das Gewicht zuhalten vermochten. Die Wände verkleidet mit verblassten Seidentapeten, mit einstigen herrlichen Verzierungen. Der reichverzierrte Teppich, der den Boden bedeckte, hatte Löcher, die wie Wunden darin pramgten und den nackten Bretterboden darunter enthüllte. Zentimeterdicker Staub hatte sich darauf gelegt. Sie ging weiter und ihre Füsse hinterließen Abdrücke. Trotz dass der Teppich nach all der langen Zeit und des Abtretens dünner geworden war, verursachte sie keine Geräusche. Vermutlich lag das an dem Staub, dachte sie und war froh nicht noch mehr Geräusche zumachen.

Die Luft war stickig und muffig. Lumen schien fast keine Luft zu bekommen. Am liebsten hätte Lumen sich umgedreht und wäre aus dieser Kammer geflohen. Doch ihr graute auch davor, allein durch die Dunkelheit, die Treppe hinunterzugehen.

Comitas musste dies bemerkt haben, denn er öffnete einige Fenster und ließ Luft hineinströmen. Schon sehr bald war die Luft etwas erträglicher und Lumen atmete erleichtert auf. Dann machte sie sich auf die Suche. Trotz dass der Dachboden groß war und eigentlich alles hineingepasst hätte, sogar ein Schlafzimmer, standen nur zwei Dinge dort. Unter einem Tuch konnte sie die Umrisse eines Tisches erkennen, auf dem etwas lag, was schon ziemlich eingestaubt war. Aus diesem war der Dachboden praktisch leer und Lumen fragte sich, warum.

Doch diese Frage beschäftigte sie nur kurz, da sie beim weitersuchen, etwas gefunden hatte, was die Umrisse einer Harfe hatte. Schnellen Schrittes ging sie zu dieser und zog mit einem etwas zuhastigen Ruck das Tuch weg. Dabei stieg eien wahre Wolke aus Stab auf und sie wedelte diese weg. Als sich diese dann legte, konnte Lumen sehen, was sich unter dem Tuch verborgen hatte und sie stiess einen Freundenruf aus. Tatsächlich eine Harfe

Und sie war in einem hervorragenden Zustand. Der goldene Lack schimmerte in dem dämmrigen Licht und hatte keine Risse. Die Saiten gespannt und glitzerten, wie Gold. Sie war wunderschön. Selbst im Musikzimmer ihres Vaters hatte sie nie solch eine Harfe gesehen. Sie war so groß, dass man sich setzen musste, um bequem spielen zu können. Wunderschöne verschlungene Ornamente, die Blumen und andere Pflanzen darstellten, zierten das goldene Holz. Neben der Harfe stand ein kleiner Hocker. Nachdem sie die Harfe bewundert hatte, setzte sie sich nun auf den Hocker und ließ vorsichtig die Finger über die Saiten gleiten. Ein lieblicher, leiser Ton erklang und Lumen verspürte aufeinmal den Wunsch, auf dieser zu spielen. Langsam zupfte sie mit den Fingern die Saiten und war selbst erstaunt, dass sie in der Lage war, es zuspielen. Aber vermutlich lag es an der Musik, die sie in ihrem Traum gehört hatte und ihr nun wieder in den Sinn kam. Praktisch ihre Finger steuerten. Es war seltsam und zugleich einfach magisch. Verträumt schloss sie die Augen und spielte weiter. Comitas stand neben sie und sah sie mit gerührtem Blick zu ihr hinauf. In diesem Moment war er glücklich. Glücklich endlich wieder ein Lächeln auf ihrem Gesicht zusehen, dass sich von kurzer Dauer war und auch glücklich endlich wieder dem Klang eines Instruments zulauschen. Es war solanger her. Solange…

Kleine Tränen kullerten ihm über die Wange und er wischte sie sich, laut schneifend weg. Da hörte Lumen auf und blickte besorgt zu ihrem Freund. „Comitas…was hast du?“, fragte sie.

Comitas schüttelte den Kopf, winkte ab. Immernoch lächelnd. „Nichts. Es nichts sein. Es nur solange hersein, dass ich dem Gesang der Harfe lauschen wurden!“, gestand er und Lumen bemerkte nun, dass diese Harfe ziemlich lanmge schon hier stehen musste. Wenn solch dicker Staub auf den Tüchern lag, musste das eine Ewigkeit sein. Sie stand auf und sah mit einem bekümmerten Blick zu den anderen abgedeckten Gegenständen.

„Wielange steht hier das schon alles?“

„Zulange!“, erwiederte Comitas. Dabei strich er über den abgedeckten Tisch und fegte eine Staubschicht hinunter, die wie Schneeflocken auf den Boden reiselten.

Lumen unterdrückte ein Niesen. Nocheinmal ließ sie ihren Blick über die Harfe und den Tisch schweifen. Es war eigentlich ein Jammer, dass hier alles oben stand und vor sich hin staubte.

Sie drehte sich herum und blickte hoch zu den Fenstern in dem Dach, durch das schwaches Licht drang. Doch sie stand an einer ungünstigen Stelle um überhaupt etwas von dem Himmel zusehen und ging etwas weiter zurück und stiess dabei mit dem Gesäß an die Tischkante. Diese geriet etwas ins trudeln und das, was darauf lag rutschte gefährlich nahe an den Rand. Bevor dieses Etwas jedoch auf den Boden fallen und womöglich dabei zerbrechen konnte, fing Comitas es auf. Um zu sehen, ob es wirklich keinen Schaden genommen hatte, drehte er es vorsichtig von einer Seite auf die andere und legte es dann mit einem erleichterten Seufzer wieder auf den Tisch. „Das beinahe schiefgegangen wäre!“, sagte er und schaute die Prinzessin an, die schuldbewusst den Kopf zwischen die Schultern zog. „Was ist da drin?“, fragte sie und blickte zum Kästchen. Comitas sah es auch an, dann nahm er es vorsichtig in die Hände und reichte es ihr. „Es dem Herren gehören. Ihr gut darauf aufpassen müsst!“, meinte er noch und Lumen schluckte. So wie er es sagte, musste es ein Schatz von großer Kostbarkeit sein. Langsam und vorsichtig öffnete sie den Kasten und linste hinein. Poliertes Holz schimmerte ihr entgegen und als sie den Kasten ganz öffnete, verschlug es ihr den Atem. Eine Violine!

Eine völlig in takte Violine. Gebetet im dunkelrotem Samt. Der Bogen sorgfältig daneben gelegt. Lumen legte den Kasten wieder auf den Tisch, stirch mit den Fingern, wie zuvor bei der Harfe, über die Saiten, die sofort einen feinen Ton anschlugen und sie schauern ließen.

Dass der Magier einst mal solch ein herrliches Instrument besessen und benutzt hatte, wollte ihr nicht in den Kopf gehen. Es passte nicht zusammen. Sie konnte sich ihn nur sehr schwer darauf spielen vorstellen. Aber vermutlich war sie schon wieder zu voreingenommen. Das musste es sein. Sie schloss den Violinenkasten wieder. Lange sagten sie nichts. Weder Comitas noch Lumen. Beide hingen ihren eigenen Gedanken nach. Während Lumen sich fragte, warum der Magier dieses Instrument mit der Harfe zusammen hier oben verbannt hatte und sich erneut fragte, was man ihm getan hatte, dass er plötzlich ein anderer Mensch geworden war, erinnerte sich Comitas an eine Zeit, in der sein Herr mit Freude auf dieser Violine gespielt hatte. Sanfte und auch fröhliche Musik daraus lockte. Im Takt mit der Harfe, die einst der vorherigen Herrin gehört hatte. Schon allein diese Erinnerung ließ wieder die Tränen in seine Augen treten. Schnell wischte er sie sich weg. „Wenn Ihr wollen, Ihr sie mitnehmen könnt. Doch gut sie verstecken Ihr müsst. Der Herr davon nichts wissen darf!“, sagte er dann und reichte ihr wieder die Kiste. Lumen zögerte. Sollte sie sie wirklich nehmen?

Schließlich gehörte sie dem Magier und so wie Comitas diese Worte aussprach, konnte es sie den Kopf kosten, wenn sie sich erdreistete, diese zu nehmen. „Warum…was würde…?“, weiter kam sie nicht, da die Angst größer wurde und ihr die Kehle zuschnürte. Sie konnte sich gut vorstellen, wie wütend der Magier sein würde, wenn sie sein Besitz an sich nahm. Wieder kam sie sich wie ein Eindringling vor und blickte zu der Tür, die offen stand und dahinter Dunkelheit lag. „Meinst du, ich darf sie wirklich nehmen? Was wenn er es doch rausfindet?“

„Sie bei Euch viel besser aufgehoben ist, als hier. Sie zuschade ist, hier zuverstauben. Und ich mehr sicher bin, dass Ihr auch gut darauf aufpassen werdet!“, meinte er nund klang nun zuversichtlich. Doch Lumen war sich da nicht so sicher, wie er. Dennoch nahm sie die Kiste mit der Violine darin. Er hatte ja auch Recht. Diese schöne Violine war wirklich zuschade, um hier oben vor sich hinzustauben. „Nagut, wenn du meinst!“, sagte sie kleinlaut.

Dann stiegen sie gemeinsam den Turm hinab und Comitas brachte sie in ihr Zimmer, da Lumen peinlich berührt feststellen musste, dass sie sich nur ihren Morgenmantel angezogen hatte. Schnell schlüpfte sie in ein neues Kleid, welches die Farbe frischem Holz hatte und diesesmal schmucklos war. Dennoch war es wunderschön. Schlicht und doch elegant. Lumen betrachtete sich kurz im Spiegel prüfte nach, ob auch ihre Haare in Ordnung waren.

Den Violinenkasten versteckte sie sorgsam unter ihrem Bett und vergewisserte sich, dass sie auch wirklich gut darunter versteckt war. Dann ging sie in die Bibliothek um weiterhin in den Büchern zulesen.

Dort verging die Zeit natürlich wieder wie im Fluge. Und schon bald musste sie zum Abendessen mit dem Magier. Aber ausnahmsweise fürchtete sie sich nicht vor ihm. Vermutlich war sie vielzusehr damit beschäftigt, über ihn und über das was ihn so verändert hatte, nachzudenken, als dass sie sich fürchten konnte. Es ließ sie einfach nicht los und jetzt wo sie vor der großen Tür zum Speisesaal stand, wurde sie sich bewusst, dass sie noch weniger wusste, als das es schon vorher tat. Was wusste sie überhaupt von ihm?

Nichts wenn sie ehrlich sein sollte!

Sie wusste nur, dass er ein Magier war und über dunkle Künste verfügte. Wie er aufgewachsen und wie er hierhergekommen war, blieb ihr bislang verborgen. Sie wusste nichts über seine Eltern. Oder ob er Geschwister hatte. Warum er hier lebte und…und…

Lumen schluckte als ihr bewusst wurde, was sie da dachte und sich fragte und brachte schnell diese neugierige Stimme, die immer mehr absurde und unmögliche Dinge flüsterte, zum schweigen. Was ging es eigentlich an, wie er vorher gelebt hatte und wie er aufgezogen wurde. Nichts!

Sie sollte sich lieber Gedanken über ihre Zukunft, anstatt über seine Vergangenheit machen.

Mit diesem Entschluss und tief Luft holend, öffnete sie die Tür. Ausnahmsweise hatte Comitas sie nicht bis zur Tür begleitet, da er schnell in die Küche musste, um etwas zu erledigen. So stand sie allein und spürte nun einen unwohlen Schauer über den Rücken laufend da und schaute um sich. Sah wieder die Schatten, denen sie bisher keine Beachtung geschenkt hatte, nun wieder deutlich vor und um sich und trat schnell ein. Erleichtert ihnen nicht mehr gegenüber zustehen, schloss sie die Tür und blickte zum Tisch. Doch statt an dem diesem zusitzen, stand der Magier vor dem Kamin, in dem wie immer das dunkle Feuer loderte. Die Kerze an ihrem Ende ebenso und warf ein schwaches warmes Licht auf seinen Rücken, während das dunkle Feuer seine vordere Seite beschien. Sie in einem unwirklichen Licht erscheinen ließ. Es war als würde sie einen Blick auf zwei unterschiedliche Seiten in ihm werfen. Die eine Licht und die andere in Dunkelheit gehüllt. Wobei er dem Licht natürlich im wahrsten Sinne des Wortes den Rücken zugekehrt hatte. Lumen schauderte und spürte, wie ihre Knie zuzittern begannen. So unheimlich dieses Bild war, es war ebenso eindrucksvoll. Es ließ ihn mächtig und erhaben erscheinen. So wie ein dunkler Engel, dachte sie. Da drehte er den Kopf und schaute zu ihr hinüber. Sein Gesicht war wie gewohnt eine Maske. Steinern und undurchdringlich und das Zittern ihrer Knie wurde schlimmer. Wie gern würde sie einmal einen Blick hinter der Maske werfen. Da drehte er sich herum und sah sie an. Lumen wich instinktiv einen Schritt zurück, als seine Augen sie erfassten. Er schien sie förmlich mit diesen zudurchforschen und tief in ihr Innerstes dabei zu sehen. Lumen senkte den Kopf, weil sie nicht länger diesem Blick standhalten konnte. „Guten Abend!“, kam es leise über ihre Lippen. „Guten Abend!“, erwiederte er. Dann schaute er wieder in die Flammen und schien aufeinmal etwas unruhig zuwerden. Seine Hände spielten mit etwas, das leise klimperte. Es machte Lumen selber etwas nervös. Das war das erste Mal, dass sie ihn so sah und sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. „S-stimmt etwas nicht? Wenn ich Euch gestern gekränkt haben sollte, dann…“, sprach sie weiter und die Stimme ihres Verstandes fauchte sie an, sie solle den Mund halten. Dass sie nur Unsinn vorsich hinredete. Aber irgendwie ließ sie dieser Gedanke nicht los. Und außerdem weil sie es nicht mehr aushalten konnte, ihn so zusehen und das Schweigen, welches zwischen ihnen herrschte ebenso wenig. Erneut drehte sich der Magier zu ihr herum und nun glaubte Lumen, dass etwas von der ausdruckslosen Maske, die sich über sein Gesicht gelegt hatte, zerbrach.

Was es war, konnte die Prinzessin jedoch nicht sagen.

„Nein. Das habt Ihr nicht!“, sagte er sehr leise und langsam, als würde es ihn Kraft kosten zu sprechen. Er wandte sich von dem Feuer im Kamin ab, ging auf sie zu. Blieb aber eine Armlänge vor ihr stehen. Nun konnte sie ihn kaum noch sehen. Der Schein des Feuers ließ schwach seine Konturen erkennen. Alles andere versank in der Dunkelheit. Lumen schluckte und versuchte ruhig zubleiben. „Was…was ist es dann?“, fragte sie wieder. „Nichts, woran Ihr schuld wärt, Prinzessin!“, sagte er und Lumens Herz machte einen Sprung. Es hörte sich ehrlich und beruhigend an. Etwas, was Lumen bei ihm nicht für möglich hielt. Dennoch hob sie nicht den Blick. Trotz dieser ungewohnten Worte, spürte sie, dass sie sich immernoch vor ihm fürchtete. Dabei war das wirklich lächerlich, solange sie schon hier war. „Ich habe über Eure Worte gestern Abend nachgedacht. Und ich bin zu dem Entschluss gekommen, Euren Wunsch nachzukommen!“, erklärte er und nun hob Lumen doch den Kopf. „Meine Worte…was für Worte?“, fragte sie, wie sie nicht verstand. Aber irgendwie hatte sie so eine Ahnung und dies ließ ihr Herz schneller schlagen. Mein Gott, dachte sie. Er hat wirklich über das, was ich gestern gesagt habe, nachgedacht. „U-Und wie?“

Statt etwas zusagen, streckte der Magier seine rechte Hand aus und ließ etwas herausbaumeln. Lumens Augen wurden groß, als sie es erkannte. Es war eine Kette. Feingliedrig und schimmerte in einem matten, milchigem Licht. Der Anhänger hatte die Form eines Regentropfes. Dieser leuchtete ebenso. Nur etwas heller und war mit einem silbrigen Netz, dass hauchzart war wie ein Spinnennetz, umschlossen. Obwohl es so schlicht und klein war, übte dieses Schmuckstück eine besondere Anziehung auf sie aus und sie streckte die Hand aus, um es zu berühren. Es war wunderschön. „Was ist das?“, flüsterte sie ehrfürchtig und als ihre Fingerspitzen den Anhänger berührten, durchlief sie ein warmer, angenehmer Schauer. „Eine Stella-Lacrima. Sie wird Euch vor den Schatten schützen, solange Ihr sie tragt!“, sagte er und Lumen hielt die Hand hin, als er sie geben wollte. Das Metall der Kette fühlte sich nicht kalt, sondern warm an und es wirkte beruhigend und sicher auf sie.

Lumen blickte lange auf diese unscheinbare Kette, die sie vor den Schatten beschützen sollte. Und fühlte zugleich, dass sie wirklich stark war. Sie schloss beide Hände darum, um die Wärme, die sie ausstrahlte, gefangenzuhalten. Dann lächelte sie. Dass der Magier ihr so ein schönes Geschenk gemacht hatte und dass er wirklich ihren Wunsch unabhängig zu sein, erfüllte, freute sie. Lumen konnte sich selber nicht erklären warum. Dass bedeutet, dass er mir vertraut. Warum sollte ich ihm nicht auch vertrauen, dachte sie und ihr Herz flatterte, wie die Flügel eines Schmetterlings. Es war einfach nicht zu erklären, dass sie aufeinmal so dachte und auch so froh war. Aber vielleicht lag es auch daran, dass er ihr zeigte, dass er anders war. So wie ein ganz normaler Mensch. Das war irgendwie wie ein Lichtblick, in dieser Dunkelheit, in der sie gefangen war. Dankbar lächelte sie ihn. „Danke. Ich danke Euch!“, sagte sie dann und öffnete die Hände um das Licht der Kette wieder freizulassen. Es schien noch heller geworden zusein und beleuchtete das Gesicht des Magiers. Ließ seine Augen dunkelblau schimmern, wie das Meer. Lumen blickte lange in diese, dann aber zwang sie sich wegzusehen. Der Gedanke, der ihr dabei kam war absurd und sie wollte diesen nicht weiterdenken.

„Nicht der Rede wert!“, sagte er und klang dabei wieder etwas kühl. Lumen betrachtete die Kette und wollte sie sich dann umhängen. Doch da kam der Magier ihr zuvor. Nahm ihr die Kette aus der Hand und ehe sie etwas sagen konnte, stand er hinter ihr und legte die Kette um ihren Hals. Als er sie verschlossen hatte, hob er vorsichtig ihre Haare hoch und dabei streiften seine Hände kurz ihren Nacken und sie zuckte etwas zusammen. Sie fühlten sich kalt wie Eis an, aber dennoch waren sie weich, wie Samt. Ihr lief es den Rücken hinunter. Diese zufällige Berührung fühlte sich sanft an, wie ein warmer Windhauch. Und obwohl es verrückt war, fühlte es sich gut an.

Sie blickte nun auf sie hinunter und sah den Anhänger, der sich an ihre Haut schmiegte und schimmerte. An sich ein wunderschöner Schmuck. „Nochmals danke!“, sagte sie und drehte sich zum Magier herum. Dieser stand nur da, sah sie mit einem nicht zudeutenen Blick an. Dann drehte er sich herum und ging zu ihrem Stuhl. Rückte ihn so, dass sie sich darauf setzten konnte und als sie sich setzte, ging er zu seinem.

Während sie speisten, herrschte Stille. Doch es war eine ganz andere Art von Schweigen. Keine eisige, bedrückende Stille. Sondern eine, in der sie nachdenken konnte. Über die üblichen Dinge. Nun auch über die Kette. Ihr kam es immernoch wie eine Geste seines Vertrauens, was ihr schenkte, vor. Immer wieder spielten ihre Finger mit dem Anhänger. Das Licht und die Wärme, die von ihm ausgingen, waren tröstend und stärkend zugleich.

Und sie fragte sich, warum sie ihm nicht vertrauen sollte. Er war doch gut zu ihr.

Also warum nicht. Aber da war immer noch diese Barriere, die sie sich selber errichtet hatte, in dem sie ihn für einen schlechten Menschen hielt und sie sah sich nicht in der Lage, diese zu überwinden.

Nachdem sie gegessen hatten, begleitete sie Comitas zu ihrem Gemach, wobei er große Augen bekam, als er die Kette um ihren schlanken Hals bemerkte. „Oh, der Herr sie Euch gegeben hat?“, fragte er mit einer feinen Spur Erstaunen darin und Lumen nickte. „Ja, damit ich mich auch alleine durch das Schloss bewegen kann!“, kam es zaghaft von ihr und wieder berührten ihre Finger das filigrane Geflecht der Kette. „Ohhhhh!“, machte Comitas und grinste dann. Lumen fragte sich, warum ihn das so erstaunte. Natürlich war es bie ihr nicht anders gewesen. Aber er müsste seinen Herrn doch besser kennen, als sie. „Was denn? Was ist daran so besonders?“, fragte sie und hob die Schultern. Comitas lächelte noch einmal kurz, dann zwinkerte er. „Er Euch wirklich sehr vertrauen!“, sagte er und Lumen biss sich unwillkürlich auf die Unterlippe. Das stimmte. Er vertraute ihr…

Und was tat sie. Sie hinterging ihn. Dabei musste an die Violine denken. Seine Violine, die sie genommen hatte, ohne zu fragen, praktisch gestohlen und nun bei sich versteckt hatte. Was wenn er es herausfand?

Würde er wütend werden?

Mit Sicherheit. So etwas persönliches, und mochte es eine gewöhnliche Violine sein, in der Obhut bei jemanden, den man kaum kennt, zu sehen, machte jeden wütend. Lumen mochte sich nicht vorstellen, was passieren würde, wenn er es herausbekam. „Ähja…das…das tut er…!“, gab sie zurück und wünschte ihm eine gute Nacht.

Lumen blieb nochlange wach, ehe sie einschlafen konnte.
 

Tenebrae saß in seinem Sessel und blickte ins Feuer. Dass er ihr diesesmal keine Rose geschenkt hatte, sorgte in ihm für ein schlechtes Gewissen und er fragte sich zuerst warum. Er sagte sich immer wieder, dass er zu weich geworden war und dass es nicht schadete. Aber irgendwie ließ es ihn nicht los. Dabei musste er an ihre Worte denken. Dass sie auch im Schloss umhergehen wollte, ohne die Begleitung Comitas. Dass sie unanbhängig sein wollte und das sorgte für mehr Gewissenbisse. Ihm wurde bewusst, dass er sie wirklich irgendwie einsperrte und das machte es noch schlimmer. Er hatte gehofft, dass, wenn er ihr die Kette gab und damit die Freiheit, sich in seinem schloss, ohne Angst von den Schatten verschlungen zuwerden, gab, würde das, was in ihm erwacht war und ihm keine Ruhe gab, endlich schweigen. Doch als er ihr die Kette gab, wurde es schlimmer. Und Tenebrae wusste nun, was es war, was ihn nicht ruhen ließ. Die stille Hoffnung, dass sie sich darüber freuen würde. Nun, sie hatte sich gefreut. Zumindest sah es für ihn so aus und eigentlich wäre es gut damit gewesen. Doch als er sie so ansah, spürte er, dass er sich mehr wünscht, als nur ihren Dank. Eine Berührung. Eine Umarmung. Egal, was auch immer. Hauptsache es stillte diese Sehnsucht, die in ihm hochkam. Die Sehnsucht ihr nahe zusein. Als sie sich die Kette umhängen wollte, hatte er nicht gezögert und sie ihr aus der Hand genommen, nur um sie ihr selber umzulegen. Dabei hatte er sie mit den Fingern gestreift. Hatte ihre Haut berührt, die sich seidenweich anfühlte. Und die Sehnsucht nach mehr stärkte. Fast hätte er sich vorgebeugt und ihren Nacken mit seinen Lippen berührt. Aber er konnte sich geradenoch rechtzeitig zurückhalten.

Was war nur in ihn gefahren?

Glaubte er wirklich, dass dies alles ändern würde. Dass er damit die Zuneigung der Prinzessin gewinnen würde. Vielleicht sogar ihre…Liebe.

Bei diesem Gedanken schüttelte Tenebrae den Kopf. Das ging zuweit. Gleich auf ihre Liebe zuhoffen. Es war absurd, an sowas zu denken oder gar zuhoffen. Bitterkeit breitete sich wie ein tödliches, lähmendes Gift in ihm aus. Ließ sein Herz verkrampfen. Er konnte versuchen was er wollte, um das zu ändern. Sie würde niemals das empfinden, was er sich heimlich wünschte.

Mit dieser Erkenntniss sank er noch tiefer in den Sessel und vergrub das Gesicht in beiden Händen.
 

In dieser Nacht fand Lumen keinen Schlaf. Ihre Gedanken kreisten immer wieder um dasgleiche. Tenebraes Geschenk und das damit verbundene Vertrauen. Und das sie dabei war, dieses schamlos auszunutzen. Ihr Magen fühlte sich an, als sei er zu einem Eisblock geworden und immer wieder versuchte sie, die Stimme zum Schweigen zu bringen, die sie ausschimpfte. Dass sie sich schämen sollte. Anderseits sagte eine andere Stimme, dass sie sich nicht zu schämen brauchte. Sie konnte es ihm ruhig heimzahlen, in dem sie seinen Besitz bei sich hatte und so ihm zeigte, dass sie anders konnte. Da wiederum aber meldetete sich die andere Stimme. Sagte, dass das nicht richtig und undankbar sei, was sie da tat und es ihm beichten sollte, um es nicht schlimmer zumachen, als es jetzt schon war.

Aber warum sollte es dadurch schlimmer werden. Es war doch bloss eine Violine. Nichts Besonderes.

Doch ist sie. Sie scheint ihm sehr wichtig zusein, auch wenn sie weggestellt war. Denn sonst wäre sie nicht so gepflegt gewesen.

Das ging die ganze Nacht so weiter und so war es auch kein Wunder, dass sie, als der nächste Tag anbrach, totmüde war und kaum aus dem Bett kam. Dennoch schaffte sie es und nahm erstmal ein Bad. Das würde vermutlich helfen, sie einigermassen wach zu bekommen. Zumindest hoffte sie das und als sie aus der Wanne stieg, war sie wirklich etwas wacher.

Comitas hatte ihr bereits das Frühstück gebracht und schaute sie mit gehobenen Brauen an. „Ihr so müde aussehen!“, sagte er und goss etwas Tee ein. Lumen lächelte etwas. „Ja, ich habe kein Auge zugemacht!“, erklärte sie und setzte sich. Wie immer lag eine Rose auf dem Tablett. Nur hatte diese gleich zwei Farben. Weiss mit roten Tupfen an den Enden der Rosenblätter. Sie roch daran und der herrlich würzige Duft von Zimt stieg ihr in die Nase.

Fast wäre sie darüber froh gewesen, doch irgendwie konnte sie sich nicht darüber freuen. Sie musste wieder an Tenebrae denken und seufzte dann schwer. Sie fühlte sich so schlecht, als sie diese Rose sich anschaute. Drehte sie gedankenverloren in ihren Fingern. Comitas sah sie eine Weile an, dann holte er sie aus seinen Gedanken. „Ihr Euch nicht wohlfühlen, Prinzessin?“

„Nein, nicht wirklich!“, sagte sie und legte die Rose wieder auf den Tisch. „Ihr traurig aussehen!“

„Ich frage mich, ob es wirklich eine gute Idee ist, die Violine hier zuhaben. Sie gehört mir ja nicht!“, rechfertigte sie sich und setzte sich auf den Stuhl um zufrühstücken. Comitas leuchtete das ein. Er nickte. „Aber ich finde, es ein Jammer seien, wenn sie da oben vor sich hinstaubt!“

Das stimmte. Ein solch schönes Stück durfte daoben nicht liegen und einstauben. Dennoch fürchtete sie sich vor dem nahekommenden Zorn des Magiers. Sie wollte nicht länger darüber nachdenken. „Und?“, fragte er dann und grinste breit. „Was wollen Ihr machen?“

Lumen wusste darauf erstmal keine Antwort. Sie hatte natürlich viele Möglichkeiten. Sie konnte in die Küche hinuntergehen und Comitas beim Zubereiten der Mahlzeiten helfen, oder hoch in den Turm gehen, um wieder auf der Harfe zuspielen. Aber dann würde sie sicherlich dabei auf dem kleinen Stuhl einschlafen. So müde wie sie war. Oder sich den ganzen Finger abschneiden. Daher entschied sie sich für die Bibliothek. Selbst wenn sie einschlafen würde, würde sie nicht auf den Boden sinken oder sich schneiden. „Ich wollte wieder in die Bibliothek gehen!“, sagte sie. „Ich Euch hinbringen soll?“, fragte er dann und Lumen wurde sich bewusst, dass sie noch immer die Kette um ihren Hals trug. Um ehrlich zusein, brauchte er das nicht. Immerhin war sie jetzt geschützt. Doch es war die Gewohnheit, die siegte und sie dazu bewegte, mit Ja zuantworten und sich von ihm dorthinbringen zulassen. Sie genoss sie schließlich. Seine Gesellschaft und dass er nicht von ihrer Seite wich. Er war ihr einziger Freund, an diesem feindseligen Ort.

„Nein, ist er nicht. Du hast noch einen. Und dies ist dein Gastgeber!“, sagte eine Stimme in ihrem Kopf und sie blieb abrupt stehen. Das Gesicht des Magiers tauchte vor ihrem geistigen Auge auf und fragte sich, ob sie das wirklich gedacht hatte. Es kam ihr absurd vor und sie schüttelte den Kopf, um nicht weiter darüber nachzudenken. Er und ein Freund, lächerlich!

„So da wären wir. Ich Euch schöne Stunden wünsche!“, sagte er und als er die Türen öffnete und Lumen eintrete, schloss er diese mit einem sanften Einklicken der Schlösser. Lumen sah noch eine Weile auf die Tür und irgendwie fühlte sie sich verloren. Als wäre sie ganz allein. Dabei brauchte sie nur nach ihm zu rufen und er würde kommen. Aber sie wollte das nicht. Sondern das tun warum sie hier war. Zielstrebig ging sie zu dem kleinen Tisch und nahm sich die Bücher. Trotz dass sie sooft in diesen und in den anderen gelesen hatte und sie eigentlich auswendig könne musste, las sie sie dennoch. Sie brachten sie immerhin auf andere Gedanken. Doch egal wieoft sie versuchte sich in die Geschichte hineinzuversetzen, es gelang ihr nicht. Immer wieder kehrten ihre Gedanken zu Tenebrae zurück, der ihr die Kette erreichte und wie sich kurz ihre Hände berührten. Wie seine blauen Augen sich von einem eisigen zu einem tiefen, dunklen Blau wandelten, dass sie zuverschlingen drohte. In denen sich sich zu verlieren glaubte. Und dieser seltsame Ausdruck in seinem Gesicht. Als würde er…

Ihr lief ein Schauer über den Rücken. Nein, das ist nicht möglich, sagte sie sich und versuchte weiterzulesen. Aber dabei musste sie immer mehr daran denken. Die Buchstaben vor ihren Augen verschwammen, verformten sich. Verloren an Konturen und lösten sich prakisch auf. Wurden zu einem dunklen unddurchdringlichen Nebel, der Lumen einhüllte.

Ihr Körper fühlte sich mit einemmal so schwer an, sodass sie nicht in der Lage war gegen diesem standzuhalten und die Augen öffen zuhalten. So glitt sie in eine tiefen Schlaf, der ihr willkommen war.

Es dämmerte bereits und als der Abend anbrach, erwartete der Magier sie zum gewohnten Abendessen. Aber die Prinzessin kam nicht.

Er fragte sich, wo sie blieb. Sie wusste doch, dass er sie erwartete. Er rief nach Comitas.

„Was ich für Euch tun kann, Herr?“, fragte er, als er eintrat und sah, dass sein langsam ungeduldig wurde. „Weißt du, wo die Prinzessin ist?“

„Sie vermutlich noch in der Bibliothek seien!“, meinte sein Diener und Tenebrae hob die Brauen. „In der Bibliothek? Solange?“

„Ich nach ihr sehen soll?“

„Nein, ich gehe allein!“, waren seine letzten Worte, ehe er aufstand und den Speisesaal verließ.

Comitas sah seinem Herrn für einige Minuten ratlos nach. Begriff nicht, warum er es ablehnte, dass er gehen sollte. Doch dann lächelte er. Na endlich, dachte er.
 

Er hatte sie gefunden. Schlafend auf dem Diwan, das Buch, in dem sie gelesen hatte, achtlos zu Boden fallengelassen. Das Haar ausgebreitet und umrahmte ihr Gesicht, wie einen Fluss aus goldenem Wasser. Der Anhänger leuchtete in einem pulsierenden Licht, dass dieses schimmern ließ. Tenebrae blickte lange auf sie nieder. Er hatte sie eigentlich wecken wollen, doch als er sie so sah, konnte er nichts anderes tun, als sie anzuschauen. Es kam ihm falsch und verboten vor, sie in ihrem Schlaf zu stören. So ging er langsam und vorsichtig, um sie nichtzuwecken, ging in die Knie und sein Gesicht blieb dicht über dem der Prinzessin.

Er schaute auf sie nieder. Blickte lange auf ihr Gesicht, das ruhig und entspannt war. Ließ dann seinen Blick von ihrem Gesicht über ihren Hals und über ihre Brust schweifen, die sich gleichmässig hob uns senkte. Leise hörte er ihren Atem. Ihre Hände hatte sie auf den Bauch gelegt. Ihre Hände, so zierlich und zart. Er konnte nicht anders. Er hob seine Hand, um die ihre zu berühren. Doch bevor er das konnte, schrack er zurück. Nein, schrie es in seinem Inneren. Das ging zu weit!

Schnell drehte er den Kopf weg, um sie nicht anzusehen. Um ihre hohe Stirn, die geschlossenen Augen und der sinnlich geformte Mund, der verlockend und doch unschuldig war nicht zusehen. Demn sonst wüsste er nicht, was er tun würde. Und dennoch konnte er nicht lange dagegen ankämpfen. Mit festzusammen gerepssten Lippen, sah er wieder zu ihr und wurde sich erneut bewusst, wie wunderschön sie eigentlich war. Warum hatte er ihre Schönheit nicht vorher schon beachtet. Warum jetzt?

Darum hatte er sie doch eigentlich zusich geholt. Weil sie die Schönste war und dem König am meisten am Herzen lag. Aber jetzt, wo er sie so betrachtete und daran denken musste, was er alles getan hatte damit sie sich wohlfühlte. Einigermasen zumindest, war er sich nicht mehr so sicher. All sein vorheriges Handeln und Denken schienen ihm mit einemmal bedeutungslos. Und wieder spürte er diesen schmerzlichen Stich in seiner Brust, wo sein Herz schlug. Auf den einen Stich folgten nun hunderte und er spürte, wie es immer schlimmer wurde. Zum ersten Mal kamen ihm Zweifel.

War es falsch gewesen, sie als Gegenleistung zu fordern?

Hätte er aus einem anderen Grund sie haben wollen?

Aber aus welchem?

Er wollte doch Rache!

Warum ließ es ihn aufeinmal so unruhig werden?

Wie als habe etwas seine Frage gehört, hörte er die Stimmen, die aus seinem tiefsten Inneren emporkamen und wie ein Echo in seinem Kopf hallten. Tenebrae lauschte ihnen und es druchlief ihn kalt, als er verstand, was sie sagten. Nein, das war nicht möglich. Das konnte nicht sein.

Dass, was die Stimmen da flüsterten, war so unfassbar und absurd, dass er darüber gelacht hätte. Sie verhöhnt hätte. Aber er konnte es nicht. Seine Kehle verengte sich. Etwas in ihm weigerte sich zwar noch immer, das wahrhaben zu wollen, was die Stimmen ihm zuflüsterten. Doch da gab es noch etwas anderes, was weitaus stärker war, als seine Gleichgültigkeit, die er vergebens versuchte aufrecht zuhalten und zustärken. Sein Herz verkrampfte sich und schmerzte mit jedem Schlag, den es tat.

Vergebens versuchte er die Stimmen zum schweigen zu bringen. Sagte sich dabei immer wieder, dass es nur an der Schönheit der Prinzessin läge, dass er so fühlte und dass es sicherlich noch schlimmer wäre, wenn er nicht endlich aufhören würde, sie so weiter anzusehen. Tenebrae schloss daher die Augen, ballte seine Hand zur Faust, sodass die Knöchel weiss hervorstachen und zu zittern begann. Was war nur los mit ihm?

Schon vorher hatte er sich anders gefühlt, als er eigentlich sollte. Nie hatte es ihn so sehr geplagt, die Prinzessin anzuschauen. Bis jetzt!

Und er fragte sich warum.

Ein Seufzer holte ihn aus seinen Gedanken und er öffnete die Augen. Blickte wieder zu ihr. Sie hatte sich nicht bewegt, sondern nur geseufzt. Und dennoch schaffte es selbst dies, ihn wieder in den Bann ihres schönen Gesichts zuziehen. „Sie ist schön…so schön…!“, dachte er und spürte, wie sein Herz nun wahre Sprünge machte.

Plötzlich waren seine Gedanken und seine Augen ganz auf ihre Lippen gerichtet, die verlockend in dem Licht schimmerten. Ihn dazu verlockten, sie zu berühren. Sie zukosten. Und er würde dies zugerne tun, wenn er ehrlich sein sollte.

Doch was dann?

Was wenn der Kuss, den er ihr raubte, die Sehnsucht, die hell in ihm aufloderte und sich nach ihrer Nähe, nach ihrer Berührung verzerrte, nicht besänftigte. Sondern noch verstärkte. Schon jetzt war diese zugroß, als das er sie bändigen konnte. Jetzt wo er ihren Schlaf beobachtete und ihr so nahe war, wie noch nie zuvor. Nun konnte er nicht wiederstehen. Hob die Hand, um sie an ihrer Wange zuberühren. Leicht strichen seine Fingerspitzen über ihre Wange und er schauderte, als er spürte, wie weich ihre Haut war. Der Schauer kroch von seinen Fingern, die Hand hinauf und dann zum und von seinem Arm und Schulter hinauf. Dann hinunter durch seinen Leib und bis in die Fussspitzen. Es war ein angenehmes warmes Zittern und Flimmern, welches seinen Herzschlag beschleunigte. Eine wohlige Wärme breitete sich in ihm aus. Erfüllte ihn, wie Feuer. Seine Hand, die noch immer auf ihrer Wange ruhte, zitterte etwas und er hoffte, dass sie nicht erwachte. Auf keinen Fall wollte er, dass dieser Moment zerstört wurde. Lange blieb er so, ließ seine Hand auf ihrer Wange und genoss das Gefühl, dass immer glühender wurde.

Plötzlich hörte er eine andere Stimme. Hörte wie sie flüsterte. Aber anders als die anderen Stimmen, flüstert diese abscheuliche Dinge. Dass er nicht zufürchten brauchte, dass sie aufwachen würde, wenn er sie mit einem Schlafzauber belegte und es so ein leichtes wäre, sie sich zuunterwerfen.

Ein einziger Zauber würde reichen und dann…

Tenebrae wagte es nicht weiter darüber nachzudenken. Hastig zog er seine Hand zurück und blickte heftig atmend auf sie hinunter. Nein, niemals!

Angewidert von sich selbst und entsetzt das er überhaupt an sowas dachte, stand er schnell auf, drehte sich um und wollte hinaus. Weg, nur weg von ihr, bevor er sich vergass. Eine niegekannte Panik hatte ihn ergriffen und er fürchtete, dass er es nicht länger kontrollieren würde, wenn er nicht bald aus der Bibliohek ging.

Als er aber die Tür erreichte und sie öffnen wollte, hörte er ein Wimmern und blieb kurz stehen. Zögerte. Dann drehte er sich um und sah zur Prinzessin.

Sie war es, die dieses Wimmern hervorgestossen hatte und nun die Hand ausgestreckt hatte. Doch das war nicht das einzige, was sich verändert hatte. Ihr Gesicht, das vorher ruhig und entspannt gewesen war, war nun ängstlich und ein Zittern ging durch ihren Körper.

Tenebrae blieb einen kurzen Moment stehen, blickte zu ihr und sah, wie ihr Gesicht nun von Panik erfüllt war. Sein Entschluss, fluchtartig die Bibliothek zuverlassen, verrauchte und ehe er richtig begriff, was er tat, stand er auch schon wieder vor ihr und blickte auf sie hinab. Ihr Schlaf wurde nun unruhiger und sie begann um sich zu schlagen. Wimmerte weiter und flehte immer wieder:„ Nein, nicht. Lasst mich!“

Tenebrae ahnte, dass sie einen schlimmen Traum hat und seufzte wieder. Es half nichts. Er konnte sie hier nicht liegen lassen und sie ihrem Alptraum überlassen. Als beugte er sich zu ihr hinunter und schob bedächtig seine Arme unter ihren Körper. Kaum, dass er sie hochgehoben hatte, verstummten ihr Flehen und ihr Wimmern und sie wurde wieder ruhig. Wie ein Baby schlummerte sie weiter. In seinen Armen.

Tenebrae schaute auf sie und fragte sich, ob es daran lag, dass er sie hielt oder einfach nur weil sie…

Der Magier schüttelte den Kopf. Sich länger darüber Gedanken zu machen, brachte nichts. Sondern nur noch weitere unnötige Gedanken, die sich im Nichts verliefen und ihm womöglich den Schlaf kosteten. Das konnteer nicht gebrauchen.

Mit langsamen Schritten, damit sie nicht wachwurde, ging er zu ihrem Gemach. Sah hinunterwieder zu ihr runter. Fragte sich dann wovon was sie träumte, dass sie solch eine Angst hatte und wimmerte. Als er dann vor ihrer Tür stand, öffnete er diese mit einem sanften Fusstritt und ging zum Bett, um sie darauf zu legen. Lumen schien nun noch tiefer zuschlafen als vorher. Ihr Atmen verriet es zumindest und er setzte sich auf die Bettkante. Beobachtete weiterhin ihren Schlaf. Es war unter seiner Würde, dies zutun und er fragte sich wirklich, was er sich dabei dachte. Doch irgendwie war es ihm gleich. Sie so anzusehen, gab ihm seltsamerweise ein Gefühl der Ruhe. Als würde ihre Ruhe auf ihn übergehen. Alles was ihn bisher gequält und aufgewühlt hatte, zum Schweigen bringen, sodass er entspannt war und sich nicht mehr daran störte, was ihm ausgemacht hatte. Zum Beispiel ihre Schönheit weiter zubetrachten. Lange tat er dies. Bis er glaubte sich vollundganz in dieser zu verlieren. Aber dann holte ihn die Prinzssin aus disem Bann. „Tenebrae!“, flüsterte sie und es klang nicht ängstlich. Sondern sehnsüchtig. So als würde sie wirklich nach ihm verlangen. Tat sie es denn. Es ließ sein Herz erneut schneller schlagen und in ihm die alte Hoffnung, dass sie ihn in ihrer Nähe haben wollte, erneut erwachen ließ und nährte. Noch lange blieb er so dasitzen. Hoffte, dass sie nocheinmal seinen Namen sagte. Er konnte sich nicht erklären warum. Aber es bereitete ihm Freude. Unglaubliche Freude.

Doch dann fand er, dass er langsam selbst zu Bett gehen sollte. Mit einem letzten Blick auf sie, erhob er sich dann und ging zur Tür. Bevor er aber ihr Zimmer verließ, drehte er sich um. Blickte zu ihr und flüsterte leise:„ Schlaf gut, Prinzessin!“

Dann verließ er ihr Zimmer.

Die alte Angst

Wieder hatte sie diesen Traum. Und wieder war er anders. Zwar war es immernoch dergleiche Saal mit den gleichen Tänzern. Aber etwas hatte sich geändert. Die Tänzer beachteten sie, aber tanzten nicht mit ihr so wild, wie im letzten Traum. Sondern versuchten sie nicht weitergehen zulassen. Drängten sich dicht an ihr, schoben sie mal hier mal dorthin. Und das mit solch einer Kraft, die Lumen nach Luft rangen ließ. Sie kam sich wie in eine Ertrinkende vor, gefangen in einem Meer aus schwarzen Tüchern und harten Leibern. Wenn sie schwankte oder strauchelte und fast zu Boden ging, hörte sie das Lachen. Dieses schreckliche Lachen, was sie auch im letzten Traum gehört hatte. Und nun wieder in ihren Ohren hallte. Wie das Tosen des wildpeitschenden Meeres. Zu Anfang versuchte sie sich noch dagegen zu wehren. Sich einen Weg aus diesem Gedränge zubahnen und zu entkommen.

Doch die Tänzer drängten sich so eng aneinander, dass sie kaum eine Lücke finden konnte. So blieb sie also gefangen, inmitten dieser Gestalten, die ihr mehr und mehr nicht menschlich erschienen und sie immer wüster herumschubsten. Lumen glaubte schon blaue Flecke zuhaben, ihr ganzer Körper schmerzte und sie konnte sich nicht länger auf den Beinen halten und sank in die Knie. Kauerte sich zu einem Häufchen Elend zusammen und hoffte, sie würde bald endlich aus diesem Alptraum erwachen.

Da erschien plötzlich eine Hand vor ihr. Jemand hielt sie ihr hin, damit sie sie ergriff. Lumen zögerte einen kurzen Moment. Fragte sich, ob es wirklich klug war diese anzunehmen. Womöglich war das wieder eine Falle, in die hineintappen sollte. „Vertrau mir!“, sagte plötzlich leise eine Stimme und ihr Herz machte einen Satz. Das konnte doch nicht sein, dachte sie. Aber irgendwie wusste sie es besser. Er war hier. Wie immer, wenn sie in diesem Saal war und sich hilflos fühlte. Und auch jetzt war sie dankbar dafür und nahm seine Hand. Ließ sich dann von ihm auf die Füsse ziehen. Drückte sich an ihn, als sei er der einzige Halt. Komischerweise fühlte sich seine Hände, die er auf ihren Rücken legte so real an, als würde sie wirklich in seinen Armen liegen.

Doch das konnte auch täuschen. Dennoch fühlte es sich wundervoll an. Tenebrae, der vorher die Arme schützend um sie gelegt hatte, streckte nun seinen rechten aus und machte eine wegwischende Bewegung. Sofort zerfasserten die umstehenden Tänzer, verwandelten sich in dunkle Nebelschwaden, die sich auflösten. Das einzige was von ihnen blieb, war ein klagendes Stöhnen. Doch Lumen achtete nicht darauf sondern, schmiegte sich an seinen Körper und genoss die Wärme, die aus ihm störmte. Auf sie überging und ihre eigene wurde. Lumen lächelte und seufzte.

Glaubte sich in seiner Umarmung zu verlieren. Sie fühlte sich in diesem Moment so wohl und geborgen, dass sie alles, was sie bisher erlebt hatte, vergass und zum ersten Mal glücklich war. Glück in den Armen eines Mannes, vor dem sie sich gehasst und gefürchtet hatte. Nun aber fühlte sie sich seltsamerweise zu ihm hingezogen. Eine, ihr unbekannte, Sehnsucht, war in ihr erwacht, erfüllte sie und drängte sie immer enger an seinen Körper. Bis sie glaubte ihr Körper würde mit seinem verschmelzen.

Dieses wunderbare und kaum zubeschreibare Gefühl schlug in ihr immer höher. Machte sie trunken. Mit einem tiefen Keuchen legte sie ihre Arme um seinen Hals. Lehnte ihren Kopf an seinen und ließ sich mit ihm im Takt der Musik wiegen. Lumen fühlte sich unendlich wohl. Mit einem seligen Lächeln hob sie dann den Kopf und schaute zu ihm hinauf. Auch der Magier sah auf sie nieder und um seine Lippen spielte ein sanftes Lächeln. Dann beugte er sich zu ihr hinunter. Ihr Herz blieb fast stehen, als sie sah, wie nahe ihre Lippen denseinen waren. Doch anstatt sie zu berühren, sie in einem Kuss gefangen zunehmen, blieb er dicht davor stehen und Lumen blickte erneut in seine Augen, die dunkel und tief waren wie das Meer. Flüchtig blickte sie dann zu seinen Lippen und sehnte sich danach, diese zuspüren. Sie reckte sich etwas, doch bevor sie sie nur streifen konnte, entfernte sich Tenebrae etwas. Aber nur wenige Zentimeter. Lumen aber machte nicht noch einen Versuch, denn sie ahnte, dass er auch diesen vereiteln würde. So blieb sie so stehen und ließ sich immer mehr von der Sehnsucht nach seinem Kuss gänzlich verschlingen. Bis es schmerzte.

„Tenebrae!“, flüsterte sie sehnsüchtig, schloss die Augen und hoffte das dies ausreichen würde, dass er sie küsste. Aber da verblasste der Traum.

Als Lumen erwachte, fand sie sich in ihrem Bett. Ihrem Bett?

Aber sie hatte doch noch letzte Nacht in der Bibliothek gelegen und geschlafen. Wie kam sie also in ihr Zimmer. Angestrengt suchte sie nach einer Antwort. War sie schlafgewandelt?

Das hatte sie noch nie gemacht. Zumindest hatte ihr Kindermädchen oder ihr Vater nichts davon gesagt.

Also war diese Möglichkeit ausgeschlossen. Wie also war sie war sie hierhergekommen. Angestrengt suchte sie nach einer anderen Lösung, dann aber meinte sie sich zu erinnern, wie echt sich Tenebraes Hände auf ihrem Rücken angefühlt hatten. Echter als es eigentlich im Traum sein sollte. Könnte es sein, dass er sie hierher gebracht hatte?

Dieser Gedanke ließ ihr Herz, schneller schlagen und trieb die Röte in ihr Gesicht.

Nicht der Gedanke, dass er sie berührt hatte, ließ ihr Gesicht glühen, sondern dass er sich die Mühe gemacht hatte, sie hierher zubringen. Es war vermutlich eine nicht bedeudungsvolle Geste, aber für sie schon. Nach der ganzen Zeit, wo er sich davor sträubte sie zu berühren, schien ihr das wie der erste Schritt, um das Eis zubrechen. Es war kindisch, sich an so einen Gedanken zuklammern. Aber er war einfach da und sie wollte ihn festhalten. Es fühlte sich gut an. Genauso wie in ihrem Traum und die Erinnerung ließ ihr Herz noch schneller schlagen, als zuvor. Diesesmal war es aber anders. Er hatte sich zu ihr hinuntergebeugt, als wolle er sie küssen. Was er aber nicht tat und dies ließ ihr Herz schwer werden.

Warum hatte er sie nicht geküsst?

War sie ihm doch so zuwider, sodass er sie zwar an sich heranließ aber nicht so nahe. Unsinn, wenn dann würde er sich nicht solche Mühe geben, dachte sie und sie holte tief Luft. Wollte daran glauben. Wie zu einem Gebet, faltete sie die Hände und flüsterte:„ Bitte lass es so sein!“

Da hörte sie, wie die Tür sich öffnete und Comitas hineinkam. Wie immer wünschte er ihr einen guten Morgen und bereitete das Frühstück zu. „Guten Morgen!“, erwiederte sie und musste beschämt feststellen, dass sie noch das Kleid vom gestrigen Abend trug, welches nun ziemlich zerknittert war. „Oh, nein…das schöne Kleid!“, jammerte sie. Doch Comitas winkte ab. „Ihr Euch keine Gedanken machen müsst. Ich Euch einfach ein neues geben werde!“, sagte er und eilte davon, noch bevor sie etwas sagen konnte. Lumen schaute ihrem Freund nach und etwas über seie Übereifrigkeit lächeln. Während er ihr ein Kleid holte, setzte sie sich an den Tisch und fand auch wieder eine Rose. Diesesmal war sie Gelb*. Als sie daran roch, hatte sie den Duft von Strand in der Nase. Sie musste lächeln. Comitas machte ihr das Leben hier wirklich leichter. Sie sollte sich bei Gelegnheit wirklich bedanken.

Als Comitas wiederkam, hatte er ein goldschimmerndes Kleid bei sich, mit kurzen Ärmeln. Dieses hatte allerdings keine Stickerein, sondern war schlicht und einfach. So wie das letzte. Doch das kümmerte Lumen nicht. Sie freute sich über jedes Kleid und jede Rose, die sie bekam. „Ich danke dir, Comitas!“, sagte sie und hielt das Kleid vor sich. „Ich das doch gerne tue!“, meinte er und wurde rot. Lumen lächelte und küsste ihn auf die kahle Stirn. Wo Comitas schon vorher rot war, glich sein Gesicht einer reifen Tomate. Verlegen hüpfte er von einem Bein aufs andere. „Oh, Ihr mich ganz verlegen macht!“, kicherte und Lumen kicherte auch.

Dann nahm sie zuerst ein Bad, um den Geruch von gestern von sich zuwaschen und dann in das neue Kleid zuschlüpfen.

Diesesmal wollte sie hoch in den Turm zu Kammer, mit der Harfe. Es zog sie praktisch magisch an, wieder auf dieser herrlichen Harfe zuspielen. Die Musik in ihrem Traum ließ sie nicht los, sodass sie nur einen Ausweg fand, diese aus ihrem Kopf zubekommen. Sie selber zuspielen. Comitas bekleitete sie, auch wenn es nicht nötig war. Aber Comitas nannte es eine liebgewonnene Gewonnheit und sie begleitete er sie.

Die Harfe schien auf sie gewartet zu haben. Lumens Schritte wurden schneller, als sie darauf zuging. Das Gefühl was sie zu Anfang gehabt hatte, hier unerlaubt einzudringen, blieb diesesmal aus und als sie sich auf den kleinen Stuhl daneben setzte, glitten sogleich ihre Hände über die Saiten. Zauberten herrliche Melodien und versank darin. Comitas hockte sich neben sie und lauschte. Sein Gesicht nahm wieder diesen verträumten Aussdruck an und er wiegte sich hinundher.

Die Musik hallte durch den Raum, kletterte dann die Treppen hinunter, durch den Turm und flog weiter durch den Rest des Schlosses. Erfüllte die Luft mit ihrem lieblichen Klang. Drang in jede Fuge und durch jeden Spalt. So auch durch die der Tür, die in das Zimmer des Magiers führte und an seine Ohren drang. Tenebrae, der in eines seiner magischen Bücher vertieft war, schaute auf und für einen kurzen Moment war er erstaunt. Diese Klänge hatte er schon lange nicht mehr gehört. Es schienen hundert Jahre herzusein, als er sie zum letzten Mal vernommen hatte. Und jetzt wo er so lauschte, schien er sich zurückversetzt zufühlen. In eine Zeit, in der die Musik noch eine Bedeutung für ihn hatte. In der er sich über diese wunderbaren Klänge freute und sie genoss. Er schloss die Augen und sah diesem in Gedanken eine Frau, die an der Harfe saß und darauf spielte. Doch es war nicht Lumen. Sondern eine Frau mit langen schwarzen Haaren, einer zierlichen Figur und wunderschönem feingeschnittenem Gesicht. Sie trug ein schönes, dunkelgrünes Kleid, das sich schmeichelnd an ihren Körper schmiegte und diesen wunderbarbetonte. Ihre Haare fielen wie ein Wasserfall an ihrem Rücken hinunter und glänzten im Licht, dass durch das Fenster fiel. Der Raum in dem sie saß, lebendig und erfüllt von ihrer Musik, die sie aus der Harfe entlockte. Auf ihrem Gesicht war ein glückliches Lächeln und ihr Kopf wippte im Takt der Musik. Ihre Hände zupften unbeirrt weiter, auch wenn ihre Augen geschlossen waren. Aber sie brauchte auch nicht zusehen, um zuwissen, welche Saiten sie anschlagen musste. Sie wusste es. Sie kannte die Harfe und jede einzelne Saite. So konnte sie spielen, als würde sie es ihr ganzens Leben tun.

Neben ihr auf dem weichen Teppich saß ein kleiner Junge. Die Knie an sich gezogen, die Arme darum geschlungen und das Kinn auf die Knie gelegt. Gebannt hörte er ihr zu und sein Gesicht strahlte. Er liebte diese Musik. Sie gab ihm ein Gefühl von Liebe und Geborgenheit. All das was der Magier nun nicht mehr imstande war zu fühlen. Tenebraes Herz zog sich zusammen. Wie sehr er dieses Gesicht vermisst hatte. Es hatte sich tief und schmerzlich in sein Herz gebrannt. Er hatte sich immer davor gefürchtet, an dieses zudenken und es meistens auch vermeiden können. Aber jetzt wo er diese Musik hörte, tauchte das Gesicht seiner Mutter wieder auf und trieb den brennenden Dolch des Schmerzens tief in sein Herz. Mit der Erinnerung an seine Mutter kam auch die an seinen Vater. Einen hochgewachsenen, schönen Mann, mit ebenso schwarzem Haar, das er zu einem Zopf zusammengebunden hatte. Obwohl er das feingeschnittene Gesicht seiner Mutter und ihre schlanken Finger geerbt hatte, hatte er die Augen und die Gabe seinem Vater zu verdanken. Die Gabe der Magier.

Über Schatten zuherrschen.

Aber was hatte es ihn gebracht. Nur Leid, Schmerz und Hass. Dieser hatte dafür gesorgt, dass er sich in die Finsterniss floh, um zu vergessen. Zuvergessen, was ihm einst angetan wurde und was er einst im Licht zuschätzen gewusst hatte. Nun aber, jetzt wo die Harfe wieder sang, kamen die Erinnerungen zurück und Tenebrae hätte er die Prinzessin dafür gehasst, da sie sich erdreistete, darauf zuspielen. Wäre am liebsten hinauf gegangen und diese elende Harfe zerschlagen. Sie zu Kleinholz verarbeitet. Und sie dafür bestraft. Doch woher sollte sie wissen, dass es verboten war in den Raum zu gehen. Und wenn er ehrlich sein sollte, war er froh, diese Musik nach all der langen Zeit wieder zu hören. Lange blieb er in seinem Sessel sitzen, die Augen geschlossen und der Musik lauschend. Dann endete sie und er fühlte sich seltsamerweise so, als würde er leicht wie eine Feder sein. Lag es an der Musik, oder eher an der Prinzessin, die es vermochte diese Klänge heraufzubeschwören, die sie eigentlich noch nie zu Gehör bekam. Es wunderte ihn einwenig. Woher kannte sie diese?
 

Als Lumen endete, hatte Comitas Tränen in den Augen, dieser er sich wegwischte. Er lächelte. „Das wundervoll war!“, sagte er und Lumen lächelte verlegen. Sie selber hatte nicht darauf geachtet, welche Saiten sie anschlug, sondern hatte einfach gespielt. Hatte die Musik, die sie in ihrem Traum gehört hatte, auf diese Harfe übertragen. Sie lebendig werden lassen.

Nun aber sank sie auf dem Stuhl zurück und betrachtete sich die Harfe.

Die Saiten zitterten noch einige Momente, dann hielten sie still. „Danke!“, murmelte sie. „Diese Musik. Woher Ihr gewusst haben, wie man sie spielt?“, fragte er dann. Lumen blickte nocheinmal zu der Harfe. „Ich habe sie in einem Traum gehört. Sie ließ mich nicht los!“, erklärte sie und berührte das Holz der Harfe. „Was war das eigentlich für eine Musik? Sie muss dir sehrviel bedeuten, wenn du dabei weinst!“, sagte sie. Comitas nickte. „Ja, sie mich immer daran erinnern, dass es auch schöne Zeiten gab!“, erklärte er und stand auf. Richtete sich seine Kleider. „Und diese Musik? Von wem ist sie?“

„Von meiner Mutter!“

Erschrocken blickten sie zur Tür, in der der Magier stand und zu ihnen hinüber sah. Beide, Lumen und Comitas sprangen auf und wirkten ertappt. Comitas wirkte dabei nervöser als Lumen es selber war und eilte sogleich zu seinen Herren. „Ich Euch um Verziehung bitte, wir nicht wollten…wir ehrlich nicht…!“, stammelte er, doch da hob der Magier die Hand und brachte ihn so zum schweigen. „Schon gut!“, sagte er nur und ließ seinen Diener stehen. Ging dann auf Lumen zu, die auf dem Stuhl zurückwich und sich duckte, wie ein verängstiges Tier. Wieder fühlte sie sich wie ein Eindringling und wünschte sich, dass sie ganz woanders war. Jetzt. In diesem Moment.

Was würde jetzt passieren?

Würde er sie dafür bestrafen?

Mit zitternen Knien blickte sie zu ihm, versuchte nicht an das zudenken, was unausweichlich war. An seine Wut, an seine Enttäuschung. Sie senkte den Kopf, um ihn nicht anzusehen und wartete voller Angst, auf das, was kommen würde. Doch statt dergleichen, blieb der Magier vor ihr stehen. „Mich würde interessieren, woher Ihr diese kennt!“, sagte er und legte dabei die Hand auf das Holz der Harfe. Es war eine zaghafte, beinahe zärtliche Geste und Lumen war etwas verwundert. Sie hatte erwartet, dass er wütend sein würde und weiss Gott, mit ihr machen würde. Aber das er nur dastand und die Harfe so berührte, ließ alles, was ihr Angst gemacht hatte, vergessen. Dennoch blieb der dicke Kloss in ihrem Hals und sie suchte nach den richtigen Worten. Sollte sie ihm sagen, dass sie sie in ihrem Traum gehört hatte und nicht mehr aus ihrem Kopf bekam. Aus ihrem Traum, in dem auch er war und mit ihr tanzte. Lumen fühlte wie ihre Wangen zuglühen begannen. Sie wollte schon, weil ihr keine andere Antwort einfiel, aber was sollte er dann von ihr halten. Dass sie in ihn verliebt war, wie eine fünfjährige und sich falsche Hoffnungen machte. Das war undenkbar und sie würde sich hüten, dies zusagen. Also beschränkte sie sich auf eine halbe Wahrheit. „Ich habe sie aus einem Traum!“, erklärte sie und blickte scheu zur Harfe. Der Magier hob die Brauen. „Aus einem Traum?“, fragte er nach und Lumen nickte. Wusste nicht, was sie dazu noch sagen sollte. „Erzählt mir davon!“

Nun schaute Lumen auf. In ihren Augen spiegelte sich Verwunderung. War das sein ernst?

Wollte er wirklich wissen, was das für ein Traum war?

Sie war verblüfft über sein plötzliches Interesse und wusste zunächst nicht, was sie sagen sollte. „Ich..ähm…nun…!“, stammelte sie und schaute wieder zu Boden. Ihr Blick streifte dabei Comitas, der nun nicht mehr nervös war und ihr zuzwinkerte. So als wollte er ihr Mut zusprechen und als wüsste er, was es wirklich mit dem Traum auf sich hatte. Lumen fragte sich, woher er das wusste.

„Wenn Ihr nicht wollt, müsst Ihr nicht. Ich werde Euch nicht zwingen!“, sagte er und da platzte es aus Lumen heraus. „Neinnein…ich…wenn es Euch nichts ausmacht!“

„Es macht mir nichts aus!“, sagte er und reichte ihr die Hand. Lumens Erstaunen wurde immer größer. Sie glaubte einen anderen vor sich zuhaben. Einen anderen Tenebrae, der, den sie nur in ihrem Traum bisher erlebt hatte und stand er vor ihr. Ihr Herz begann zurasen. Und als sie seine Hand nahm, spürte sie, wie ihr der Atem stockte. Seine Hand. Sie war wunderbar warm. Nicht mehr kalt und hart, wie Stein. Sondern die Hand eines Menschen, aus Fleisch und Blut. Lange blickte sie auf diese, um sicherzusein, dass es auch wirklich seine war. Dann aber blickte sie zu ihm hoch und ehe sie wusste, was passierte, ließ sie sich von ihm aus der Kammer führen.

Tenebrae schickte Comitas vorraus, in die Küche um der Prinzessin und ihm etwas zur Erfrischung zu bringen.

Während dessen führte der Magier sie in einen kleinen Raum, der sich als Wohnzimmer offenbarte. Doch anders als die anderen war dieser nur sperrlich eingerichtet. Ein Teppisch, zwei Sessel, zwischen denen ein kniehoher Tisch stand und einige alte, dennoch gut gepflegte Schwerter, die gekreuzt zur Zierde an der Wand hingen. Lumen blieb vor einen der Schwerter stehen. Sie kamen ihr bekannt vor. Diese Schwerter waren ebenso gearbeitet, wie die aus dem Reich ihres Vaters. Dieselben verschlungen Symbole, die in die Klingen eingraviert waren und das Heft des Schwertes, welches mit Leder umbunden war. Es waren Schwerter, die fürs Kämpfen hergestellt wurden. Sie waren leicht, besaßen aber dennoch breite und kräftige Klingen hatten. Es war die alte Kunst des Schmiedens gewesen, die diese Schwerter herstellen ließ. Aber was hatten sie hier zusuchen. In dem Schloss des Magiers.

Tenebrae bemerkte wie die Prinzessin die Schwerter betrachtete und ahnte, dass sie darauf eine Erklärung haben wollte. Davor fürchtete er sich einwenig. Denn er müsste das was er vergessen wollte, wieder aufleben lassen und damit war der alte Schmerz, den er niedergerungen hatte, wieder da. Würde ihn peinigen. Aber dies müsste er in Kauf nehmen. Er hatte ja schoneinmal den Schmerz besiegen können. „Wie ich sehe, scheinen Euch die Schwerter zugefallen!“, sagte er beiläufig und kam auf sie zu. Bliebe neben ihr stehen. Seine Worte holten sie aus ihren Gedanken und sie nickte. „Ja, diese Schwerter…sie kommen aus dem Reich meines Vaters!“, sagte sie und berührte eines davon. Es lief ihr kalt den Rücken hinunter. „Das stimmt. Eine wundervolle Arbeit. Nicht wahr?“, fragte er. Lumen nickte. Ja, das waren sie und sie fragte sich wieder, woher er diese Schwerter hatte. Brachte jedoch die Frage zunächst nicht über die Lippen, da ihr der Mut fehlte. Doch ihre Neugier war zugroß, als das sie sie unterdrücken konnte. „Woher habt Ihr sie?“, fragte sie und durch den Magier ging ein Ruck. „Mein Vater hatte sie einst von Eurem Vater erhalten. Als Geschenk, für seine Treue!“

Lumens Augen wurden groß, als er dies sagte. Sein Vater hatte diese Schwerter von ihrem. Für seine Treue?

Sie wollte die nächste Frage aussprechen. Wollte wissen, wie es dazukam. Doch da nahm Tenebrae ihre Hand und führte sie zu den Sesseln. „Setzt Euch und erzählt mir alles von Eurem Traum!“, sagte er und Lumen schauderte. „Wirklich alles?“, wollte sie schon fast fragen. Doch sie konnte sich noch zurückhalten. „J-ja…!“, sagte sie und setzte sich. Tenebrae tat es ihr nach und ließ sich in den Sessel von ihr gegenüber nieder. Da kam Comitas herein. Er trug ein Tablett mit Teeservice. Zwei Tassen, Unterassen und eine Kanne, aus der ein dünner Dampffaden stieg. Auf einem kleinen Teller waren schmackhaft aussehen Törtchen, die Lumens Magen zum knurren brachten. Comitas goss jedem von ihnen eine Tasse Tee ein und reichte sie Lumen und dem Magier. Dann verabschiedete er sich und ließ die beiden allein. Lumen nippte an dem Tee, der verzüglich schmeckte und sie von innen wärmte.

Doch das alles half nichts, um ihr Mut zumachen und ihm von ihrem Traum zu erzählen. So schaute sie verlegen vor sich hin und suchte nach den richtigen Worten. Wie sie den Traum beschreiben konnte, ohne sich selber zuverraten und in eine peinliche Situation zubringen. „Nun…ich…ich war da in diesem Saal und hörte diese Musik. Sie einfach wunderschön und ich konnte sie nicht vergessen. Eigentlich nichts Besonderes!“, erklärte sie und nahm noch einen Schluck. Kurz blickte sie zu ihm. Suchte in seinem Gesicht nach irgendeiner Reaktion. Doch das Gesicht des Magiers war ausdruckslos. So als würde er nicht wirklich dasein.

Lumen fragte sich, ob er ihr überhaupt zugehört hatte. Lange sagte er nichts. Dann aber wurde sein Blick wieder aufmerksam. „War das alles?“, fragte er und Lumen spürte, wie ihr Hals sich zuschnürte. So wie er das sagte, schien er sich nicht damit zufrieden zu geben und sie unterdrückte den Impuls weiterzuerzählen. Ihm davon zuerzählen, dass sie mit ihm getanzt hatte. Seine Worte, seine ganze Haltung und wie er sie ansah, zwangen sie förmlich dazu und sie schaute weg. Kämpfte weiterhin dagegen an, doch dann gab sie auf und seufzte. „Nein…ich…ich habe Euch in diesem Traum gesehen und es war auch nicht das erste Mal. Ich hatte solche Träume schon vorher. Dreimal. Und immer sah ich Euch!“

„Mich?“

„Ja, ich weiss selbst nicht warum. Aber immer wart Ihr da. In meinem Traum und dennoch wart Ihr…es nicht!“

„Wie soll ich das verstehen?“

Deutlich hörte man in der Stimme des Magiers die Ungeduld und Lumen fühlte sich mehr und mehr unwohl in ihrer Haut. Sie versuchte sich zu beruhigen und nahm dabei einen Schluck Tee. „Ihr wart ein ganz anderer!“

„Ein anderer?“

„Ja, Ihr…Ihr wart…so, dass ich mich nicht vor Euch zu fürchten brauchte. Dass ich mich wohlfühlte!“, sagte sie und kam sich dabei doch vor, wie eine Närrin. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, alles zu erzählen. Was würde er nun denken von ihr?

Der Magier saß nur da und schaute sie an. Ein Chaos aus verschiedensten Gefühlen, die sich wiedersprachen, tobte ihn ihm und er wusste nicht, auf welche er hören sollte. Ihre Worte hätten ihn kalt lassen sollen. Genauso der Traum. Was kümmerte es ihn eigendlich. Es war bedeutungslos für ihn. Aber dass in ihrem Traum die Musik, die einst seine Mutter gespielt hatte, darin vorkam und nun auch er und wie sie sich dabei gefühlt hatte, verwunderte ihn und machte ihn neugierig. Etwas was er nicht für möglich gehalten hatte.

Doch hatte sich das nicht gändert, sei die Prinzessin bei ihm war?

Hatte er sich nicht etwas verändert?

War er nicht darauf bedacht gewesen, dass sie sich wohlfühlte?

Hatte er nicht alles dafür getan?

Wenn er der gewesen wäre, für den ihn alle hielten, wäre dem sicher nicht so. Es wäre ihm gleich gewesen. Aber nun…

Tenebrae verlor sich dabei in diesem Gedanken, verfolgte ihn weiter und vergass dabei gänzlich dass die Prinzessin gegenüber von ihm saß. Doch das änderte sich, als sie ihn ansprach. „Warum wolltet Ihr das wissen?“, fragte sie ihn und holte ihn so aus seinen Gedanken. „Es hat mich neugierig gemacht. Ein interessanter Traum!“, sagte er und versuchte dabei gleichgültig zuklingen. Dabei war er alles andere als gleichgültig.

Das Chaos tobte noch weiter in ihm und ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. Nur mit größter Mühe konnte er sich zusammenreissen.

Wie schaffte es dieses Mädchen ihn so aus der Ruhe zu bringen?

Ich…ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich nur ein Traum war. Es war so real!“, sagte sie und fühlte sich mehr und mehr wie eine Närrin, die auf etwas hofft, das nicht passieren würde.

„So sind Träume. Spiegelbilder, die aus den tiefsten Sehnsüchten geboren werden und nicht weiter sind, als Lügen, die es einem leicht machen, die Wahrheit zuertragen!“, sagte er und jedes Wort versetzte ihr einen Stich. So wie er es sagte, hörte es sich an, als würden Träume ihm wirklich nichts bedeuten. „Habt Ihr den niemals Träume?“, fragte sie und hätte sich im nächsten Moment auf die Zunge gebissen.

„Nein!“, sagte er entschieden und stand auf. Ging zum einem der Fenster. Wandte ihr so den Rücken zu.

Tenebrae wäre fast eine andere Antwort über die Lippen gekommen. Nämlich das er Träume gehabt hatte. Aber das war schon lange her. Solange, dass es ihm wie eine Ewigkeit vorkam und so war es auch eigentlich keine Lüge. Dennoch spürte er einen schmerzhaften Stich, als er nun so dastand und in die Finsterniss draußen schaute. Aber dieser Schmerz war nichts im Vergleich zu dem, den er verspürte, als er noch träumen konnte. Träume bedeuteten für ihn Schmerz. Schmerz und Erinnerungen, die er vergessen wollte. Dass die Prinzessin ihn das gefragt hatte, riss die alte Wunde in seinem Herzen auf und ließ ihn erstarren. Es kostete ihn große Mühe, sich von diesem nicht übermannen zulassen. Seine Hände zitterten und er wünschte sich nun, dieses Gespröch niemals begonnen zuhaben. „Ich habe keine Träume!“

„Aber das kann doch nicht sein!“, wandte Lumen ein, da es ihr nicht recht in den Kopf kommen wollte, dass ein Mensch nicht träumen konnte. Es erschien ihr absurd.

Wie sovieles, seitdem sie hier war.

Aber dies traf sie schwerer, als alles anderes und auch wenn sie wusste, dass sie damit dem Magier zu nahe trat, ihn womöglich noch wütend machen würde, wollte sie es nicht wahrhaben und es darauf beruhen lassen. Es ließ sie nicht los.

Sie stand ebenfalls auf, ging zu ihm, bis sie knapp vor ihm stehen blieb und hob die Hand. Sie konnte nicht sagen warum. Aber sie wollte ihn in diesem Moment berühren. Ihm zeigen, dass er sich irrte. „Ihr müsstet doch auch welche haben. Schließlich seid auch Ihr ein Mensch!“, sagte sie und als ihre Hand seinen Rücken berührte, fuhr er herum, packte dabei ihre Hand und funkelte sie wutentbrannt an.

„Ich bin kein Mensch. Ihr solltet es längst begriffen haben, Prinzessin. Ich bin die Finsterniss, die alles verschlingt!“, schrie er und drückte ihre Hand sofest zu, sodass er das Blut aus ihren Adern presste. Lumen keuchte schmerzhaft auf und sank in die Knie. Tränen brannten in ihren Augen und sie sah den Magier flehend an. Der Schmerz in ihrem Arm war zugroß, als das sie was sagen konnte. „In meinen Adern fliesst nicht das Blut eines Menschen, sondern das eines Dämons. Mein Herz ist nicht wie das Eure. Sondern grausam und voller Dunkelheit!“, tobte er weiter und mit jedem Wort, drückte er immer mehr zu, bis Lumen glaubte vor lauter Schmerzen keine Luft zubekommen. Sie begriff nicht, warum der Magier so wütend reagierte. Sie hatte doch nur die Wahrheit gesprochen. Oder hatte sie sich geirrt. War er wirklich nicht in der Lage zu träumen?

Hatte sie es nun zuweit getrieben, mit ihrer Gutgläubigkeit und der Hoffnung, doch noch etwas, wie Licht in seinem Herzen zufinden?

Diese Gedanken lösten sich auf, sobald sie sie gedacht hatte und gingen unter in einem Strudel aus Schmerzen. „Bitte…hört auf…Ihr…Ihr tut mir weh!“, flehte sie unter tränenerstickter Stimme und versuchte die Hand, die sich wie eine Klaue um ihre gelegt hatte, zu öffnen. Doch das bewirkte nur, dass er fester zudrückte, als er es vorher schon tat. „Wehtun…ich tue Euch doch nicht weh. Noch nicht! Aber bald, wenn Ihr nicht lernt, Eure Zunge im Zaum zuhalten!“, knurrte er und war wieder der, vor dem sie sich fürchtete.

„Was…was Ihr tut da, Herr. Lasst sie los. Ihr nicht sehen, dass Ihr sie verletzt?“, hörte Lumen die aufgebrachte und ängstliche Stimme ihres Herren und war erleichtert, dass er ihr zur Hilfe kam. „Co-mi-tas!“, wimmerte sie und wand sich im Griff des Magiers.

„Msich da nicht ein, Comitas. Auch du solltets deine Grenzen kennen!“, fauchte er und warf seinem Diener einen eisigen Blick zu. „Aber Ihr sie gleich töten werdet!“, flehte Comitas. Eilte auf ihn zu und zerrte an den Kleidern des Magiers.

Tenebrae aber hörte nicht auf ihn. Ihm war es egal, ob er sie verletzte oder gar tötete. Sie hatte es zuweit getrieben mit ihrer Blauäugigkeit und ihrer kindlichen Unbeschwertheit.

Was nahm sie sich denn heraus?

Sollte sie nicht mittlerweise wissen, wie sie sich ihm gegenüber zuverhalten hatte?

Wie er wirklich war?

Hatte er es nicht deutlich genug gemacht?

Warum musste sie sich nur immer wieder querstellen?

Sie war selber schuld, wenn sie nun dafür gestraft wurde. Wenn sie nicht hören wollte, musste sie fühlen. „Ich werde sie schon nicht töten. Aber ich werde sie lehren!“, sagte er. Riss an ihrer Hand und ließ sie aufschreien. Comitas konnte es sich nicht mitansehen. Er klammerte sich am Arm seines Herrn. Sah ihn mit Angst in den Augen und gnadeflehend an. „Bitte…Herr…ich Euch anflehen!“, bettelte er und zog und zerrte an seinem Arm. „Schweig!“

„Herr…bitte…Egal was sie gesagt haben, sie es nicht so gemeint haben. Sie Euch nicht verärgern wollte!“, wimmerte er, genauso wie sie es tat. „Woher willst du das wissen?“, fragte er bedrohlich und kurz lockerte sich der Griff um die Hand der Prinzessin. „Ich sie kenne. Sie Euch niemals kränken würde. Sie nicht so ist!“

Da schaute der Magier ihn für einen kurzen Moment an und der Ärger und der Zorn wichen aus seinem Gesicht. „Und was sagt dir das?“, fragte er und auch wenn er nicht mehr ganz so wütend ist, war seine Stimme immernoch eiskalt. „Sie Ihr Euch nur ansehen müsst. Sie so aussehen, als wenn sie Euch verletzen wollte?“, erwiederte Comitas, dessen Stimme etwas fester wurde und neue Hoffnung schöpfte. Tenebrae sah von seinem Diener zu der Prinzessin, die auf dem Boden kniete und wimmerte. Ihr Handgelenk war schon ganz weiss und unter seinen Fingern war deutlich ein blauer Fleck zu sehen. Ihr Gesicht war von Schmerz und Angst verzerrt und sie zitterte am ganzen Leib. Ihr Haar fiel ihr über die Schultern und verbarg zum Teil ihr Gesicht. Dennoch konnte er es sehen und sein Herz krampfte sich zusammen. Was war nur in ihn gefahren?

Was tat er das?

Noch ehe er richtig begriff, was er getan hatte und was er beinahe getan hätte, ließ er ihre Hand los. Lumen zog diese an sich. Umklammerte diese mit ihrer anderen und wimmerte und schluchzte. Erleichtert darüber dass sein Herr wieder zusich gekommen war, atmete er auf und ging zur Prinzessin. Sanft half er ihr aufzustehen. Lumens Körper bebte immernoch. Schniefend wischte sie sich die Tränen weg und blickte zu ihrer Hand, die er zuvor gepackt hielt. Ein hässlicher blauer Fleck prangte darauf und ihr zog sich der Magen zusammen, als ihr bewusst wurde, dass es schlimmer gekommen wäre, wenn Comitas nicht eingegriffen hätte. Er hätte sie womöglich noch…

Lumen schauderte. „Es alles gut ist. Ich hier bin!“, sagte er und tätschelte ihre Hand. Tenebrae stand da, wie vom Donner gerührt. Sah, wie sie zitterte und sich fürchtete. Was hatte er nur getan. Die Reue, die nun an Stelle der Wut getreten war, schnitt ihm tief ins Herz und zerfetzte es. Ließ ihn kaum noch atmen. Mit schwankenden Schritten ging er auf sie zu, streckte die Hand aus. Wollte um Vergebung bitten, um damit den Schmerz zutilgen. Doch kaum hatte er sie erreicht, wich sie vor ihm zurück. Als wäre er ein wildes Tier, dass sie gleich wieder angreifen würde. „Nein, rührt mich nicht an!“, schrie sie. „Bleibt mir vom Leib. Ihr Ungeheuer!“

Dann stürmte sie los. Eilte aus dem Zimmer, wie vom Teufel gehetzt. Comitas lief ihr nach.

Tenebrae blieb allein zurück und spürte, wie etwas in ihm zersprang. Etwas, was ihm wichtig geworden war. Etwas, was ihn dazu brachte, ihr gegenüber freundlich zusein und all ihre Wünsche zuerfüllen. Es war zu einem Teil von ihm geworden. Nun aber hatte er es und damit sich selbst zerstört. Jeglicher Kraft beraubt, sackte er in die Knie. Konnte nicht glauben, was er getan hatte. Was mit ihm geschehen war. Es erschien ihm wie ein schrecklicher Alptraum. Dabei mischten sich ihre panischen Worte hinein und ließen ihn erstarren. Ihre Worte halten wie ein verzerrtes Echo in seinem Kopf wieder und wieder. Und ganz besonders ein Wort. Ungeheuer! Ungeheuer! Ungeheuer!

Als wäre dieses Wort, das, was es bedeutete, grub es seine Krallen tief in ihn und riss an ihm. Tenebrae glaubte dabei keine Luft zubekommen und atmete keuchend. Ungeheuer, in ihren Augen bin ich ein Ungeheuer, sagte er sich und seine Augen begannen verräterisch zu brennen. Er machte sich nicht die Mühe sie zurückzuhalten.

Heiss rannen ihm Tränen über die Wangen. Doch niemand würde diese sehen. Nicht mal die Prinzessin. Denn nun würde sie sich nicht mal in seine Nähe wagen. Selbst wenn er es sich sehnlichst wünschte. Dafür hatte er selber gesorgt.

Erste Annährungen

Seit diesem Tag setzte Lumen keinen Fuss vor die Tür. Nicht mal in die von ihr so geliebte Bibliothek ging sie, um die Bücher zulesen, die sie so sehr mochte. Sondern bat Comitas ihr die Bücher zu bringen, die sie mochte. Und in die Dachkammer, in der die Harfe stand, wollte sie auch nicht. Dachte sie nur einmal daran, musste sie sich daran erinnern, was es ausgelöst hatte. Und die Angst hielt sie erneut gepackt, wie ein Greifvogel, sein wehrloses Opfer. Nein, sie wollte weder in die Bibliothek noch woanders. Sondern nur in ihrem Zimmer bleiben, wo sie sicher war. Die Kette, die ihr der Magier geschenkt hatte, hatte sie abgenommen und in eine Schublade gelegt. Sie wollte sich nicht mehr. Nicht nachdem sie gesehen hatte, dass er wieder zu der Bestie geworden war, vor der sie sich gefürchtet hatte.

So saß sie oder lag auf ihrem Bett oder auf dem Sessel und schaute ins Leere, wie auch jetzt lag sie auf ihrem Bett.

Comitas Besuche waren das einzige, was sie einigermassen davor bewahrte noch tiefer in diese trübe Stimmung zuversinken. Nicht aber gänzlich. All das was sie bisher von dem Magier gehalten hatte. Dass er anders sein konnte, war zerbrochen wie Glas und sie stand vor den Scherben und trauerte darüber. Und auch dass der Magier nicht danach verlangte, sie zum Abendessen zu sehen, machte dies immer schlimmer und nährte die Selbstschuld. Eigentlich sollte sie froh sein, ihn nicht sehen zu müssen. Aber das war sie nicht.

Neben der Selbstschuld machte sich auch Wut in ihr breit. Warum kam er nicht und stellte sie zur Rede. Wenn sie wirklich schuld daran war, sollte er es doch endlich sagen und damit aus der Welt schaffen. Wollte er etwa, dass sie sich noch schlechter fühlte.

Wenn ja, dann gelang ihm das außerordentlich gut. Doch so gern sie weiterhin wütend auf ihn gewesen wäre, war der Kummer weitaus größer. Frass sie praktisch auf.

Als Comitas sie erneut besuchte, konnte er es schließlich nicht ertragen. Er wollte sie wieder lachen sehen. „Kommt, liebe Prinzessin. Lacht. Nur einmal!“, sagte er und als Lumen nichts darauf sagte oder gar reagierte, griff er sich dabei drei Mandarinen, die er gekonnt in die Luft warf und damit jonglierte. Lumen schaute nur zu.Ihr Gesicht blieb ausdruckslos.

„Na? Och bitte. Nur einmal lachen!“, bat er sie und ließ dann die Mandarinen in einem weitgeöffneten Mund verschwinden. Als er ihn wieder öffnete, hatte er die Mandarinen so in seinem Mund gelegt, dass sie in Reihundglied nebeneinander lagen und wie eine witzige Variation von Zähnen aussahen. Ein schwaches Lächeln huschte über ihr Gesicht. Das ließ Comitas noch mehr lächeln mit den Madarinen in seinem Mund und nuschelte: „Endlich. Ich schon dachte, Ihr niemals mehr lächeln würdet!“

Dann schluckte er die Früchte hinunter und ging zu ihr. „Ich lächle nur, weil ich dich habe, Comi!“, sagte sie und richtete sich auf. Ihre Augen glänzten und waren gerötet. Nach solanger Zeit hatte sie wieder geweint. Warum, konnte sie sich selber nicht erklären. Sie hatte gedacht, es würde an der Angst vor ihm liegen oder an den Schmerz, der in ihrer Hand pochte. Aber das war es nicht. Es war wegen ihrer Trauer um die Hoffnung, dass sie sich an ihn gewöhnen und mit ihm zusammen leben könnte. Es ertragen würde, hier zuleben. Und zuletzt, weil sie glaubte, sich in ihn zu verlieben. Doch nun erschien ihr all dies, wie eine Illusion, wie eine Täuschung, die ihr die grausame Wahrheit vorenthielt.

„So sind Träume. Spiegelbilder, die aus den tiefsten Sehnsüchten geboren werden und nichts weiter sind, als Lügen, die es einem leicht machen, die Wahrheit zuertragen!“

Das waren die Worte des Magiers und auch wenn sie sich dagegen sträubte, gab sie ihm Recht. Was hatte sie sich nur dabei gedacht?

Wie konnte sie nur so naiv sein?

Erneut brannten Tränen in ihren Augen und sie schluchzte. „Ohne dich, wäre ich längst ein einziges Häufchen Elend. Oder gar dem Wahnsinn verfallen!“, sagte sie zitternt. Comitas sah sie mitleident an und nahm ihre Hand. Die, die der Magier beinahe zerquetscht hatte. Der blaue Fleck ist größer geworden und schmerzte. „Prinzessin!“, sagte er und streichelte ihre Wange. Diese Berührung hatte ungemein etwas tröstendes, sodass Lumen etwas ruhiger wurde. Sie ergriff seine Hand, die sich wunderbar warm anfühlte und drückte sie gegen ihre Wange. „Was soll ich nur tun Comitas? Was habe ich falsch gemacht? Ich wollte ihn nicht wütend machen!“, wimmerte sie, als die Erinnerung wiederkehrte und sie lähmte. Dieser Blick, in seinen Augen. So als habe sie ihn hintergangen und nun die gerechte Strafe erhalten würde. Was hatte sie getan, dass er sie so ansah?

Hatte sie wirklich etwas Falsches gesagt. Und wenn ja, was war es?

„Ich das doch wissen!“, sagte er. „Und nein, Ihr nichts flasch gemacht haben. Der Herr nur…ich nicht selber wissen, wie ich es sagen soll. Aber Ihr nicht daran schuld seid!“

Lumen hätte ihm das zugerne geglaubt, aber sie fühlte sich dennoch schuldig. „Und was kann ich tun?“, fragte sie und Comitas schien erstmal selber nachzudenken zu müssen. Dann seufzte er. „Ihr ihm am besten etwas Zeit gebt. Er sich nur etwas beruhigen muss!“

Lumen wollte fragen, wielange es dauern würde, doch sie biss sich noch rechtzeitig auf die Zunge. Es konnte ihr eigentlich egal sein. Aber das tat es nicht. Sondern ließ ihr Herz schwerwerden. Wäre es nicht besser zu ihm zugehen und sich zu entschuldigen. Auch wenn Comitas sagte, dass sie nicht schuld sei. Das Schuldgefühl blieb.

Comitas sah dies und ging mit schwerem Herzen zu seinem Herren.
 

Tenebrae, der im Sessel saß und das Gesicht mit der rechten Hand abstützte, schaute in die dunklen Flammen. Auch ihm erging es nicht anders. Er machte sich ebenso Vorwürfe. Für einen Moment hatte er sich vergessen und Hand an die Prinzessin gelegt und dies erschien ihm wie ein schlimmer Alptraum, der ihn noch lange verfolgte. Aber er gab auch der Prinzessin die Schuld.

Warum konnte sie auch nicht einfach aufhören vom Träumen zuerzählen?

Hatte sie nicht gesehen, dass er damit schmerzliche Erinnerungen verband?

Das es ihn selber schmerzte?

Offensichtlich nicht, denn sonst hätte sie den Mund gehalten und hätte ihn auch nicht berührt.

Jetzt wo er darüber nachdachte, war er ehrlich gesagt froh, eine warme weiche Hand auf seinen Schultern zuspüren, die bis zum äußersten angespannt waren. Doch in all seinem Schmerz und aufkommender Wut, hatte er dies nicht bemerkt und noch ehe er richtig verstehen konnte, was in ihn gefahren war, hatte er ihre Hand gepackt und zugedrückt. Für diesen Moment hatte er sich selber vergessen und sich seinem dunklem Wesen überlassen. War bereit, ihr ernsthaft wehzutun und hatte nicht auf die Worte seines treuen Dieners gehört. Sie waren wie dumpfe Echos, die nur schwer und zäh durch den Nebel seines Verstandes gedrungen, der sich über ihn gelegt hatte und ihn kaum erreichten. Nur langsam kam er wieder zu sich und entließ die Prinzessin aus seinem Griff. Nun nagte das schlechte Gewissen.

Was mochte die Prinzessin jetzt von ihm denken. Er hatte selber geschworen, dass er ihr kein Leid zufügen würde und nun hatte gegen sein eigenes Versprechen verstossen. Wie sehr er sich dafür hasste. Mochte sie auch schuld daran sein oder nicht. Er hätte sich beherrschen sollen.

„Herr…wenn Ihr erlaubt. Der Prinzessin es nicht gut gehen!“, sagte plötzlich Comitas, der neben seinen Herren getreten war und dabei die Hände rang. Unterwürfig schaute er ihn und mit gemischten Gefühlen an. Tenebrae hörte ihn zuerst nicht und hing seinen Gedanken noch eine Weile nach. Doch dann sah er zu ihm. „Der Prinzessin?“, fragte er. Seine Stimme klang müde und als gehöre sie nicht einem jungen, sondern einem Mann, der schon hundert Jahre gesehen hatte.

Im ersten Moment fragte er sich, was es ihn kümmern sollte, dass es ihr nicht gut ging. Sie war doch selber schuld daran?

Hatte sie nicht mit ihrer unbedarften, kindlichen Art ihr Unglück herbeigeführt?

Warum sollte es ihn also kümmern?

Aber dann war er über diese Nachricht selbst tief betrübt. „Wieso? Was hat sie?“

„Sie sich schwere Vorwürfe macht. Sie Euch nicht verletzten oder wütend machten wollte. Es ihr leidtuen. Aufrichtig!“, erklärte Comitas und sah seinen Herren mit der Hoffnung in den Augen an, dass er sich erweichen ließ. „Sie macht sich Vorwürfe?“, fragte er nur und brauchte selbst einen Moment, ehe er es richtig begriff. Vorwürfe?!

Soll das heissen, das sie einsieht, einen Fehler gemacht zuhaben?

Es konnte nur diese eine Möglichkeit geben. Und diese ließ sein Herz schneller schlagen, doch dann zog es sich zusammen, als er sich wieder bewusst wurde, was er getan hatte. Er presste die Lippen zu einem harten Strich zusammen und vergrub das Gesicht in seinen Händen. „Selbst wenn. Es bringt nichts. Es ist zuspät!“, sagte er mehr zu sich selbst. „Nein, ist es nicht!“, sagte Comitas, mit fester Stimme und Tenebrae warf ihm einen verblüfften aber auch entrüsteten Blick zu. Das war ihm neu, dass sein Diener, der stets zurückhaltend und höflich war, nun sowas von sich gab. Aber anscheinend ging ihm das selber zu sehr zu Herzen, als das er an sich halten konnte. „Wie soll ich das verstehen?“

„Ihr es wieder gut machen könnt!“

„Und wie?“, fragte er wieder, wobei er sich Mühe gab kühl zuklingen und nicht so, als sei er ebenfalls genauso Schuld daran, wie sie. Als habe er nichts getan. „Nun, das Ihr selber wissen müsst!“

Mit diesen Worten verließ er seinen Herrn und ließ ihn verwirrt allein. Diesesmal musste er selber daraufkommen.
 

Lumen träumte wieder. Doch es war nicht der Traum, den sie zuletzt hatte, sondern ein anderer. Statt sich in dem prächtigen Baalsaal und in den Armen des Magiers zufinden, war sie in einem Irrgarten. Meterhoch ragten die Büsche in den Himmel und schienen undurchdringlich zusein. Wie Mauern, die kein Entkommen möglich machten. Und auch wenn sie wusste, dass sie daraus nicht entfliehen konnte, versuchte sie es trotzdem und suchte nach einem Ausweg. So rannte sie so schnell wie es ihre Füsse möglich machten und schaute immer wieder nach links und rechts. Doch in der undurchdringlichen Hecke, die immer näher zu rücken schien, mit jedem Schritt den sie machte, sah sie weder eine Öffnung noch irgendeine andere durch die sie entkommen konnte.

Verzweiflung ergriff sie und machte ihre Füsse schwer wie Blei. In ihrem Kopf hallte es immer wieder, dass sie hier niemals rauskommen würde. Dass sie hier eine Gefangene bleiben und für immer durch diesen Irrgarten herumirren würde.

Bei diesem Gedanken sackte ihr Magen nachunten und sie musste sich förmlich dazu zwingen weiterzulaufen. Hielt sich krampfhaft an der Hoffnung fest, hier dennoch rauszukommen. Irgendwo muss es doch einen Ausweg geben. Lumen wollte einfach nicht aufgeben.

Also lief sie weiter, durch die Dunkelheit. Und dann…

Dann sah sie in der Ferne etwas aufblitzen. Lumens Gedanken überschlugen sich. Ein Licht!

Konnte dies ein Ausgang sein?

Lumen betete, dass es das war und rannte noch schneller, als zuvor. Das Licht kam näher und sie streckte die Hand aus. Konnte schon fast danach greifen.

Da aber schien sich das Licht zuteilen. Nun leuchteten zwei Lichtpunkte vor ihr und Lumen zögerte nun kurz. Diese Lichtpunkte erinnerten sie an das Leuchten von Augen. Aber das konnte doch nicht sein. Oder doch?

Lumen starrte einige Minuten noch zu den Lichtpunkten, dann aber rannte sie wieder los. Wenn das wirklich Augen waren, die da leuchteten, musste dort vorne jemand auf sie warten. Jemand, der sie hier rausbringen…sie retten würde. War dieser jemand sogar der Magier? Lumens Herz schlug dabei schneller. Der Gedanke, dass der Magier es war, der da in der Dunkelheit stand, ließ sie schneller werden. Verlieh ihr fast Flügel. Neue Hoffnung stieg in ihr auf und ihre Furcht wandelte sich in unbeschreibliche Freude, ohne zuwissen warum. „Er ist es. Er muss es einfach sein!“, rief in ihrem Kopf und sie rannte schneller. Glaubte aus der Dunkelheit die Umrisse eines Menschen zuerkennen und als das Leuchten stärker wurde, sah sie auch nun endlich wer da vor ihr stand. Es war wirklich Tenebrae. Lumen stiess ein Dankesgebet dem Himmel entgegen und streckte die Hand aus. Nur noch wenige Zentimeter trennten sie von ihm. „Tenebrae…Tenebrae!“, rief sie erleichtert. Doch der Magier antwortete nicht, sondern sah sie nur an. Sein Gesicht reglos, wie immer. Und seine Augen…

Sie waren leer, ausdruckslos. So, als würde er sie nicht erkennen. Lumens Herz schien mit einmal aufhören zuschlagen. Und sie blieb stehen. Nur wenige Zentimeter vor ihm. Und mit einemale war die Hoffnung, die in ihr keimte, erloschen. Dieser Blick. In diesem lag kein Erkennen. Hatte er sie etwas vergessen?

Lumens Herz krampfte sich für einen Sekundebruchteil schmerzlich zusammen. Schlug dann doppelt si schnell wider und sie fühlte, wie ihr das Blut wurde aus ihrem Gesicht wich. Nein, das konnte nicht sein!

„Tenebrae…ich bins Lumen!“, versuchte sie es und war erschrocken, wie dünn ihre Stimme klang. Aber vermutlich lag es daran, dass dieser Blick ihr Angst machte. „Tebebrae!“, kam es erstickt von ihr und sie machte einen Schritt auf ihn zu. Hoffte, dass er sie erkennen würde. Doch der ausdruckslose Blick blieb und Tenebrae schien sich mit einem Schritt von ihr zuentfernen. Ihr Herz machte einen schmerzhaften Satz. Schlug diesesmal langsamer, was es noch schlimmer machte. „Tenebrae…erkennst du mich nicht?“, rief sie und streckte die Hände aus. In dieser Geste lag Flehen und Angst. Tränen brannten in ihren Augen.

Warum hatte er sie vergessen?

Was hatte sie getan?

Unfähig sich zubewegen oder gar zudenken, schaute sie zu ihm. Die Hände immernoch nach ihm ausgestreckt. Ein unruhiges Zittern ging durch diese und Lumen fühlte kalte Tränen über ihre Wangen laufen. Immer wieder fragte sie sich, warum. Da wandelte sich der Ausdruck und seine Augen wurden nun vorwurfsvoll. Lumen spürte einen Stich in ihrem Herzen, der es zuzerreissen drohte und ihre Knie gaben nach. Sie hatte keine Kraft um sich noch länger aufrechtzuhalten. Die Angst in diesem dunklen Labyrinth gefangen zu sein und nun nicht von ihm erkannt zusein, hatten ihr die Kraft geraubt.

Nun saß sie vor ihm und versuchte seinem vorwurfsvollen Blick auszuweichen, doch auch als sie den Kopf abwandte, konnte sie deutlich diesen auf sich spüren. Ihr wurde kalt und sie fühlte sich so wie am Anfang, als sie ihm das erstemal gegenüber stand. Sie umschlang mit den Armen ihren Oberkörper und zitterte. Warum fühlte sie sich aufeinmal so verloren und…schuldig. So als habe sie es selber heraufbeschworen.

Und da fiel es ihr ein. Sie war schuld daran. Weil sie einfach ihre lose Zunge nicht im Zaum halten konnte und damit den Zorn des Magiers auf sich gerichtet hatte. Auch wenn sie immernoch nicht verstehen konnte, warum der Magier so wütend geworden war, als sie behauptete, dass jeder in der Lage war zu träumen, fühlte sie sich schuldig. Es musste etwas Schlimmes in ihn wachgerufen haben. Und sie war schuld daran. Die Ätrnen flossen nun im mer mehr über ihre Wangen und als sie hochschaute, sah er sie immernoch so an. Erenut streckte sie die Hand aus, aber nicht um ihn zu berühren, sondern um ihn um Vergebung zu bitten. „Tenebrae…bitte…!“, wimmerte sie. „Vergib mir…bitte…Tenebrae…ich…wollte das nicht…vergib mir!“

„Mit deiner unüberlegten und naiven kindichen Art, hast du dies selber zuzuschreiben. Und mich dabei verletzt. Ich kann dir nicht vergeben!“, sagte er und seine Worte waren wie Eis. Kalt und und tödlich. Lumens Hals schnürte sich zu und sie fürchtete, keine Luft zubekommen. Sie senkte den Kopf, weil sie es nicht ertrug ihn anzusehen. Aber seine Worte waren weitaus schlimmer, als der Blick, mit dem er sie strafte. „Ich habe das nicht gewollt. Bitte vergib mir!“, flehte sie in der unerfühlbaren Hoffnung, dass er ihre Entschuldigung annahm. Doch das einzige, was sie von ihm hörte war:„Ich gab dir alles, was du dir gewünscht hattest. Aber nun wirst du für immer in der Dunkelheit gefangen sein und das einzige, was dir bleibt, sind die Tränen und der Schmerz, der dich langsam zerfressen wird, bis nichts mehr von dir übrigbleibt!“

Dann verschwand er und ließ sie allein. Allein in der Dunkelheit, die nun immer dichter wurde, sie immer mehr verschlang. Und mit ihrer Trauer, alles verloren zuhaben, an dem ihr Herz hing.
 

Tenebrae konnte sich selber nicht erklären, was ihn dazu getrieben hatte in das Zimmer der Prinzessin zugehen. Er war wie von selbst dorthin gegangen, wie als würde er unter Trance stehen. Er kam erst wieder zusich, als er neben ihrem Bett stand und auf sie hinunter blickte. Er wusste auch nicht, was er erwartet hatte. Es sollte ihm eigentlich gleich sein, was mit der Prinzessin war. Sie hatte schließlich selbst Schuld daran. Das versuchte er sich zumindest einzureden. Abern wie zuvor in seinem Gemach, war er sich nun auch nicht so sicher und das schlechte Gewissen, was ihn plagte schien wohl stärker zusein, als seine Wut, der er so angestrengt festzuhalten versuchte, es aber nicht vermochte. Und als er sah, wie sie im Schlaf sich umherwälzte und wimmerte, ging es ihm schlechter. Ihr zarter Körper zitterte und bebte, als würde sie unter einem schlimmen Fieber leiden und immer wieder schien sie etwas zu wimmern. Der Magier konnte nicht verstehen was, so ging er als in die Knie und beugte sich über sie. Ein kalter Schauer rann ihm über den Rücken.

„Tenebrae…bitte…!“, hörte er es aus ihrem Mund und ihre Stimme zitterte vor Angst. Fürchtete sie sich sosehr vor ihm?

„Vergib mir…bitte…Tenebrae…ich…wollte das nicht…vergib mir!“

Minuten lang konnte sich der Magier nicht rühren. Wie zu Stein erstarrt kniete er neben ihrem Bett und noch immer hallten ihre Worte in seinem Kopf wieder. „Sie hat tatäschlich meinen Namen gesagt. Sie bittet mich um Vergebung…es tut ihr leid…sie wollte das nicht!“, schrie eine Stimme weit hinten in seinem Verstand und sein Herz schien schneller zuschlagen. Nicht nur weil es ihn erstaunte, sondern weil es ihn auch…glücklich machte. Er hatte gedacht, dass Comitas ihm nur aufmuntern wollte, als er ihm erzählte, dass sie von ihm geträumt hatte. Aber nun wusste er es besser und er hätte sich darüber noch mehr gefreut. Nur dass sie bei solch einem Traum nach seinem Namen rief, ließ sein Herz wieder schwer werden und das schlechte Gewissen wuchs ins unermessliche. Wieder fragte er sich, was er getan hatte und wünschte sich, die Zeit zurückdrehen zu können, um seinen Fehler rückgängig zumachen. „Lumen!“, flüsterte er, mit ebenso zittriger Stimme und streckte die Hand aus, um mit seinen Fingern ihre Wange zu berühren. Doch da drehte sie den Kopf weg und weinte. Mit einem Male wurde ihm schmerzlich bewusst, dass er alles versuchen konnte, und dennoch nicht ihr die Furcht nehmen konnte. Geschweige denn ihr Vertrauen zugewinnen. „Sie würde sich niemals von mir berühren lassen!“, kam es ihm in den Sinn und übertönte die Stimme, die ihn dazu anstachelte, es nocheinmal zuversuchen. Noch einmal die Hand nach ihr auszustrecken. Doch er zögerte. Würde sie aus ihrem Schlaf nicht aufschrecken, wenn er es tat und sie ihn erneut ansehen, als sei er ein wildes Tier? Ein Ungeheuer?

Sicher würde sie das und diese Tatsache sorgte umso mehr, dass sein Herz sich mehr und mehr zusammenkrampfte. Mit einer ruckartigen Bewegung, die ihn taumeln ließ, erhob er sich wieder und verließ hastig das Zimmer. Er musste raus. Bevor er sich vergass.

Als er draußen auf dem Gang stand, lehnte er sich an die Wand und rang nach Atem. Dass er kaum Luft in seinen Lungen hatte, erschreckte ihn. Aber irgendwie vermutete er auch, dass es mit seinem eigenen Schmerz zutun hatte. Ein schwaches Lächeln huschte über seine Lippen. Es war verrückt, dass er das tat und das er froh darüber war, etwas wie Schmerz zu empfinden. Es war lange her, dass er so fühlte und auch wenn es ihn einwenig erschreckte, wollte er dies nicht missen. „Ich bin also trotz allden langen Jahren, die ich in der Dunkelheit verbracht habe, dennoch menschlich geblieben!“, dachte er. „Wer hätte das gedacht!“

Noch eine Weile blieb er so dastehen, dann drehte er sich um und ging zu seinem Gemach, um sich auszuruhen. Und zuversuchen zuschlafen. Denn vielleicht vermochte es der Schlaf, den Kummer zuvergessen.
 

Als der nächste Tag anbrach, graute es Lumen das Bett zuverlassen. So blieb sie liegen und schaute mit leerem Blick hoch zur Zimmerdecke. Der Traum ließ sie nicht los. Hielt sie gefangen, wie ein Adler eine Maus in seinen Krallen. Tenebrae war in diesem schrecklichen Traum so anders, so wie damals, als sie sich vor ihm fürchtete. Und ihr wurde übel, als sie daran dachte, dass er nun wieder so sein würde, wie zuvor. Dass er seine andere Seite niemals mehr zeigen würde und sie behandeln würde, wie eine Gefangene. Eine Gefangene in einem goldenen Käfig.

Comitas kam herein, um ihr das Frühstück zubringen und sah, dass es ihr schlechter ging, als gestern. Er seufzte schwer und ließ das Frühstück erstmal auf dem Wagen. Ging zu ihr und setzte sich zu ihr aufs Bett. Lumen richtete sich auf. „Ihr so furchtbar aussehen, Prinzessin. Es mir das Herz zerbricht, Euch so zusehen!“, sagte er und seine großen Augen glänzten. „Ich…ich habe wieder geträumt. Es war so schrecklich. Diese Dunkelheit, überall um mich herum und…und…!“, wollte sie weitererzählen, doch die Erinnerung an den Blick des Magiers, ließ sie innehalten und erneut weinen. Comitas ergriff sanft ihre Handgelenke, zog sie hinunter und sah sie an. „Nicht Prinzessin. Ihr Euch nur noch mehr zerstört!“, wandte er ein und Lumen umarmte ihren kleinen Freund. „Ach, Comitas was soll ich nur tun…?“, wimmerte sie tränenerstickt. „Ich weiss, ich bin schuld daran. Aber ich habe zugroße Angst, mich bei ihm zu entschuldigen. Was wenn er mich abweist…?“

„Prinzessin!“, sagte Comitas und strich ihr beruhigend über den Kopf. „Ihr an gar nichts schuld seid. Ihr nur das Gute in ihm gesehen habt!“

„Wenn das stimmt und wenn ich gewusst hätte, was dann passiert wäre, wäre es mir lieber gewesen, es nicht sehen zuwollen!“

„Sagt das nicht!“, sagte Comitas beruhigend und Lumen löste sich von ihm. Wischte sich die Tränen weg. „Wenn es doch stimmt…Ich dachte selber, dass er anders sein konnte und habe es auch gesehen. Ich war wirklich froh. Und jetzt…!“, schluchzte sie. „Ist alles zerstört!“

„Quält Euch nicht länger. Kommt. Esst etwas!“, sagte Comitas und führte sie zum Tisch, auf dem er das Frühstück aufdeckte. Doch Lumen verspürte keinen Hunger. Sie fand sich nicht im Stande, etwas von dem wohlduftende, Essen anzurühren. Dennoch tat sie es, um Comitas nicht noch mehr Kummer zumachen und weil sie keinen leeren Magen haben wollte. Den Rest des Tages verbrachte sie wie immer in ihrem Gemach und versuchte sich in die Welt der Bücher zu vertiefen, um immerhin etwas zuvergessen. Doch immer wenn sie an einer Stelle kam, wo der Held der in notgeratenenMaid zur Hilfe kam und sie in seine Arme nahm, musste sie immer wieder an Tenebrae denken. Wie er sich zuvor nur rührend um sie gekümmert hatte und wie nahe sie sich in ihren vorherigen Träumen gewesen waren. Aber nun waren sie weitvoneinander entfernt und es würde nichts geben, damit sich dies änderte.

Mit einem tiefen Seufzer legte sie das Buch weg und schaute aus dem Fenster. Ein bleigrauer Himmel war zusehen und Lumen wurde sich bewusst, dass sie dieser Dunkelheit, die dort darußen herrschte, keine Beachtung mehr geschenkt hatte. Nicht seit dem sie gesehen hatte, dass der Magier eine andere Seite an sich hatte. Nun aber sah sie diese nur allzudeutlich und fühlte die alte Bedrückheit auf sich schwer lasten.

So verging der Tag und die Nacht brach herein. Auch diesesmal wollte der Magier nicht, dass sie mit ihm speiste und Lumen war selbst erschrocken, wie sehr sie dies vermisste.

Noch eine Weile blieb sie wach, dann aber legte sie sich ins Bett und es dauerte genauso lange, ehe sie einschlief.

Diesesmal lief sie nicht durch das Labyrinth aus meterhohen Hecken, sondern kauerte auf dem Boden. Die Hände vors Gesicht geschlagen und weinte bitterlich. Es war als würde der Traum dort weitergehen, wo er zuletzt aufgehört hatte. Sie war erneut allein. In dieser Dunkelheit, in der der Magier sie zurückgelassen hatte, nachdem er sie vorwurfsvoll angesehen und harte Worte ausgesprochen hatte. Gerne hätte sie ihn dafür gehasst. Doch ihr gebrochenes Herz und die Schuldgwfühlte, die sich wie glühendheisse Nadeln in sie hineinbohrten, ließen dies nicht zu. Sondern lächerlich erscheinen. „Warum solltest du ihn für etwas hassen, was du dir selber verschuldet hast!“, zischte eine Stimme, die ihre eigene war und ließ sie erschauern.

„Hättest du deine lose Zunge besser zurückgehalten, wäre das nicht passiert!“

Hart biss sie sich auf die Unterlippe, bis sie Blut schmeckte und musste sich eingestehen, dass diese vermaledeite Stimme Recht hatte. Hätte sie sich nur besser zurückgehalten, dann wäre das nicht passiert. Aber nun war es zuspät und der Magier würde sicherlich nicht mehr zubesänftigen sein. Dass hatte sie deutlich in seinem wilden Blick gesehen und an seinen zornigen Worten gehört. Er würde ihr niemals vergeben. Und dieser Gedanke ließ sie noch mehr weinen und wimmern.
 

Erneut stand er an ihrem Bett und blickte auf sie nieder. Diesesmal sagte sie nichts, sondern weinte nur und allein dies reichte aus, um seinem Herzen erneut tausend Stiche, die glühend und schmerzlich waren, zuversetzen. Tenebrae kniete neben ihrem Bett und als ihre Hand auf die Decke fiel, zögerte er nicht und ergriff sie. Lumen seufzte, als habe man eine schwere Last von ihr genommen und ihr Gesicht entspannte sich etwas. Auch Tenebrae fühlte sich etwas besser, auch wenn er immer noch die Stiche tief in seinem Herzen spürte.

Aber was konnte er tun?

„Tenebrae!“, flüsterte sie und diesesmal klang es nicht ängstlich, sondern sehnsüchtig. Ein dicker Kloss bildete sich in dem Hals des Magiers. Es ließ ihn erschauern, als er hörte, wie sie seinen Namen sagte und sein Blick blieb an ihrem Mund haften. Ihr Mund. So unschuldig und verlockend zugleich, wie einst in der Bibliothek. Dort hatte er sich gerade noch zurückhalten können. Doch nun, wo er ihr wieder so nahe war, war der Drang ihre Lippen mit den seinen zu berühren noch stärker geworden. So Stark, dass er nicht mehr dagegen ankämpfen konnte. Langsam, um keine falsche Bewegung zumachen, beugte er sich zu ihr hinunter und hielt dicht über ihrem Gesicht inne. Ließ einen Moment verstreichen, in dem er tief ihren Duft einatmete. Dann senkte er sein Gesicht tiefer, bis sein Mund den ihren leicht streifte und ihn dann schließlich ganz auflegte. Nicht so fest, wie es bei einem Kuss war, aber dennoch so, dass er deutlich ihre weichen Lippen spüren konnte und sein Herz setzte einen Schlag aus. Ein warmes alles betäubendes Gefühl breitete sich in ihm aus und er vergass, wielange er so dakniete und sie küsste. Nie hätte er gedacht, dass ein gewöhnlicher Kuss in ihm sowas auslösen konnte. Sogar die dunkle Stimme, die ihm zu anfang die widerlichsten Dinge zugeraunt hatte, schwieg. Worüber Tenebrae sehr erleichtert war. Das letzte was er wollte war, dass diese Stimme alles zerstörte. Lange blieb er so und konnte sich kaum von ihr trennen. Doch dann entschied er sich doch zurückzuziehen. Vorsichtig erhob er sich und blickte noch einen Moment auf sie nieder. Dann drehte er sich um und verließ auf leisen Sohlen das Gemach der Prinzessin.
 

Etwas hatte sie berührt. Zuerst an der Hand, dann ihren Mund. Es war eine leichte, sanfte Berührung. Sanft wie der Wind und irgendwie tröstend. Sie vertrieb die Angst und das Schuldgefühl und sorgte für eine wohlige Wärme in ihrem Inneren. Diese hielt lange an. Auch als sie erwachte. Und auch wenn diese wunderbare Wärme sie alles vergessen ließ, was sie gequält hatte, fragte sie sich, warum es diesesmal anders war. Vorher hatte sie sich noch gefürchtet, aber nun…

Es war als habe diese eine Berührung, die wie aus dem Nichts kam, alles weggewischt und sie fühlte sich wohl. Aber es machte sie nachdenklich. Es hatte sich so echt angefühlt. Als würde jemand wirklich ihre Hand halten und sie dann küssen. Nur wer?

Der Magier etwa?

Nein, Lumen konnte sich das nur sehr schwer vorstellen. Nicht nachdem, was vorgefallen war. Aber warum nicht. Vielleicht war das eine Art Entschuldigung. Ach was, Lumen. Du bildest dir da was ein, zischte wieder diese Stimme und Lumen wollte sie nicht hören. Nicht jetzt, wo sie sich nicht mehr so schuldig fühlte. Dennoch musste sie immer wieder daran denken und sich fragen.

Noch lange blieb sie im Bett sitzen, hing ihren Gedanken nach und schaute aus dem Fenster. Wie immer war der Himmel grau und trüb. Draußen war es still. Nur ein schwacher Windhauch kam hinunterwieder auf und sie hörte ihn leise rauschen. So wie jetzt. Aber irgendwas schien an diesem Rauschen anders zusein. Es war kraftvoller, lauter und glich eher dem Rauschen des Meeres. Doch das konnte nicht sein. Draußen gab es nur eine trostlose Wüste. Keine einzige Pfütze gibt es in dieser. Nun aber hörte sie deutlich das Meeresrauschen und Lumen verstand nicht, woher dieses kam. Bildete sie sich das nur ein?

Nein, dafür war es zulaut und zudeutlich zuhören. Lumen stand auf und ging zum Fenster. Blickte hinaus und sie glaube zuerst, sie würde immernoch träumen. Unter ihrem Fenster wogte und tanzte das Meer. Seine Wellen schlugen gegen die Felsen und die Gischt stob hinauf. Perlte in tausend Tropfen hoch und spritzte auf die Scheiben ihres Fensters. Das Meer leuchtete förmlich. In den unterschiedlichsten Grün-und Blautönen. Mal war es smaragdgrün, dann saphirblau, dann dunkeltürkis und Azur. Es raubte ihr einfach den Atem. Nie hatte sie das Meer gesehen, nur davon gehört. Oder davon gelesen und schon in ihrer Phantasie hatte sie es deutlich vor sich gesehen. Seine Pracht und Herrlichkeit. Nun sah sie es mit eigenen Augen und konnte ihr Staunen nicht bändigen. Auch nicht als Comitas ins Zimmer kam und ihr das Frühstück brachte. „Guten Morgen, Prinzessin. Ihr gut geschlafen habt?“, fragte er. Lumen drehte sich nicht herum, bemerkte ihn nicht mal. Doch dan drang seine Frage in ihr Bewusstsein. „J-ja…habe ich…!“, sagte sie und schaute weiterhin gebannt hinaus. Aufs Meer, das sich nun wandelte. Es passierte langsam, so, als wüde jemand einen Schleier lüften. Die tosenden Wellen verwandelten sich in saftiggrüne Wiesen, deren Halme sich im Wind wiegten und am Horizont türmten majestätische Berge auf. Wahre Wolkenberge bauten sich auf, aus denen dunkle Flecken auftauchten und wieder verschwanden. Zuerst dachte sie, es seien diese grässlichen Vogelwesen. Doch dann sie, die breiten Schwingen und die anmutigen Schläge, die sie vollbrachten und erkannte, um was es sich dabei handelte. Es waren Adler, die ihre Kreise zogen. Es verschlug ihr glatt den Atem. Woher kam diese wunderbare Landschaft?

Vorher war da nurnoch karges Wüstendland. Nichts als Staub und Dreck. Nun aber war es ein fruchtbares Land, das von Leben erfüllt war. Lumen konnte es nicht glauben. Comitas trat neben sie. Sah mit ihr zu der Landschaft hinunter. Sein Staunen war ebenso groß. Doch Lumen achtete erstmal nicht darauf, sondern war ganz und gar von diesem herrlichen Ausblick gefangen. Wie war das möglich?

Das grenzte schon an ein Wunder, dachte sie. Nein, nicht an ein Wunder. Sondern an Zauberei!

Ihr Herz setzte kurz einen Schlag aus und sie blickte zu Comitas hinunter. Könnte es sein, dass ihr Freund diesen Zauber gewoben hatte, um sie ihr eine Freude zumachen. Möglich wäre es, da er ihr sehr nahestand und er alles probiert hatte, um sie wieder zum Lachen zu bringen. Vergebens bisher. Aber dies vermochte es, den Rest ihres Kummers zuvertreiben. Und das er wohl so überrascht tat, konnte daran liegen, weil er verlegen war. Aber warum sollte er das. Er schien nicht so zusein. Seltsam. Dennoch freute sie sich. Dankbar lächelte sie auf ihn hinunter. „Comitas. Gib zu, das warst du?“, fragte sie und grinste. Comitas schaute auf sie hoch und in seinem Gesicht war en großes Fragezeichen zusehen. Dann schüttelte er den Kopf. „Nein, zu so einem Zauber ich nicht in der Lage bin!“, sagte er und blickte wieder hinaus. Lange Zeit sagte er nichts. Doch dann drehte er sich wieder zu ihr herum und sagte mit erstaunter Stimme. „Aber der Herr. Er sowas kann!“, sagte er und Lumen glaubte, man würde ihr den Boden unter den Füssen wegreissen. „Der Herr…du meinst Tenebrae?“, fragte sie, weil sie es nicht glauben konnte. Der Magier soll das für gemacht haben?

Comitas nickte und er bekam ein nachdenkliches Gesicht. „Ja, außer ihm mir niemand einfallen!“, meinte er. Lumen stand da, wie vom Donner gerührt und blickte wieder hinaus. Es erschien ihr wie ein Traum. Tenebrae, der sie wo voller Wut gepackt hielt und sie nicht mehr sehen wollte, hatte diese wunderschöne Landschaft einfach vors Fenster gezaubert. Warum aber?

Wollte er es wiedergutmachen, dass er ihr solch eine Angst gemacht hatte?

Lumen wünschte es sich. So sehr. Doch über diesen Wunsch lag ein dunkler Schatten. „Warum? Ich war es doch, die ihn…!“, sagte sie und Comitas nahm ihre Hand. „Ich Euch doch schon gesagt habe, dass Ihr keine Schuld habt. Und ich mir gut vorstellen kann, dass er sich damit bei Euch entschuldigen wollte!“, erklärte er und seine Worte bestärkten ihre Hoffnung, sodass ihr Herz so schnell schlug, dass sie es bis hoch zum Hals spüren konnte. Sie war gerührt und spürte, wie sie zuzittern begann. „Das hat er für mich getan?“, fragte sie mit dumpfer Stimme und Comitas nickte erneut. „Ja, so wie die Rosen und die Kleider. All dies kam von ihm!“

Lumens Herz blieb nun stehen, für einige Augenblicke und sie glaubte, ihre Ohren würden ihr einen Streich spielen. Er hatte ihr die Rosen und die Kleider gegeben?

Das ergab für sie keinen Sinn. Aber wenn sie ehrlich sein sollte, ging es nur ihrem Vertsand so, der sich so standhaft geweigert hatte, es anders zu sehen. Ihr Herz sagte dagegen was anderes. Nämlich dass sie es schon längst gewusst hatte, aber es irgendwie nbicht wahrhaben wollte. Sondern diese Geschenke Comitas Güte zuschreiben wollte. Weil er für sie der Einzige war, der ihr am Herzen lag. Nun aber schien es so, als gäbe es da noch einen, der ihr nichts Böses wollte. Wie dumm und undankbar sie war. Die Kleider waren nichts Besonderes gewesen, mochten sie auch so schön sein. Aber die Rosen…

Diese bedeuteten ihr sehr viel und nun begriff sie…

Er hatte sie ihr geschenkt, um ihr eine Freude zumachen. Nachdem er gesehen hatte, dass sie die Rosen vermisste, die sie im Garten ihres Vaters bewundern konnte. Und als er gesehen hatte, wie traurig sie war, die Rosen zusehen, die es im toten Garten gab. Nur deswegen!

Aber dennoch passte es nicht zusammen. Warum schenkte er ihr Rosen, obwohl er sich nichts daraus machte. Warum, wenn sie nicht weiter für ihn waren, als Pflanzen. Vorallem konnte sie ihn sich nicht vorstellen, wie er Rosen pflückte. Das passte wirklich nicht zusammen, dachte se, wobei sie bei dieser Vorstellung schmunzeln musste. Blieb aber ernst. „Aber warum…?“

Comitas sah sie lange schweigend an, dann nahm sein Gesicht einen leichten tadelnden Ausdruck an. „Na, damit Ihr Euch wohlfühlt. Er doch gesagt hat, dass Ihr sein Gast seid!“, meinte er und Lumen fühlte sich malzumal schlechter. Ja, das hatte er und sie hatte es einfach ignoriert. Vorher war sie froh gewesen, nun endlich von diesem schlechten Gewissen befreit zusein, aber jetzt war es wieder da und sie biss sich auf die Unterlippe. Und da war noch etwas. Ihr Blick ging zum Bett, wo sie unter diesem den Kasten mit der Violine versteckt hatte. Was machte sie jetzt bloss?

Einerseits wollte sie nun auch etwas tun, um sich bei ihm zu entschuldigen, aber sie fürchtete sich zusehr davor, dass er erneut wütend auf sie sein würde. Nocheinmal würde sie es nicht ertragen. Aber einfach nur dazustehen und nichts tun, konnte sie auch nicht. Das Beste wäre es, sich bei ihm erst zu bedanken und ihm dann die Violine zugeben. Schließlich gehörte sie ihm ja.

Er hatte den ersten Schritt gemacht. Nun sollte sie ihm entgegen kommen. Das war sie ihm schuldig. „Comitas, ist der Herr in seinem Gemächern?“, fragte sie lauter und abgehetzter, als sie es beabsichtig hatte und Comitas sah sie für einen kurzen Moment erschrocken an. Dann aber nickte er. „Ja, ist er!“

„Gut!“, sagte sie, schnappte sich ihren Morgenmantel und ging dann zu ihrem Bett um den Kasten hervorzuholen. „Dann bringe mich zu ihm!“, sagte sie und ehe Comitas richtig begriffen hatte, was sie vorhatte, war sie aus dem Zimmer verschwunden.
 

Comitas hatte sie, wie sie es wünschte zum Gemach des Magiers gebracht und während sie hinging, fragte sie sich, wie sie am besten anfangen sollte. Zuerst sollte ich mich bedanken und entschuldigen. Dann gebe ich ihm die Violine zurück und entschuldige mich nochmals, überlegte sie. Ja, das müsste gehen. Hoffentlich, waren ihre letzten Gedanken, als sie nun vor der große Tür stand und hörte, wie Comitas anklopfte und sie ankündigte. Als dann von drinnen die Stimme des Magiers erklang und sie hereinbat, fühlte sie sich nun nicht mehr ganz so wohl. Im Gemach des Magiers, war es dunkel. Nur das Feuer im Kamin, welches ebenso ein dunkles war, wie im Speisesaal, loderte und spendete diffuses Licht. Vor dem Kamin in einem Ohrensessel, saß der Magier und blickte zu ihr hinüber. Shcien sie aufmerksam und kritisch zu mustern. Jetzt beruhte Lumen es, dass sie sich nicht richtig fertig gemacht hatte. Sie trug weder eines der Kleider, die für sie bereitlagen noch hatte sie ihre Haare durchgebürstet. Was für einen wirren Anblick sie abgeben musste. Sie schämte sich, in solch einen Aufzug, der einer Prinzessin unwürdig war, vor ihm zustehen. Was würde ihr Vater sagen, wenn er sie jetzt so sehen konnte. Ach, was kümmert es dich, was dein Vater sagen würde. Er ist weitfort und kann dich nicht sehen. Also mach dir deswegen nicht soviele Gedanken. Aber er soll mich nicht so sehen, dachte sie und blickte zum Magier, der darauf wartete, dass sie eintrat. Mit langsamen, steifen Schritten trat sie ein und hörte, wie Comitas hinter ihr die Tür schloss. Den Kasten mit der Violine hielt sie verkrampft vor sich. Wie als würde dieser sie schützen. Tenebraes Augen wanderten von ihrem Gesicht zu dem Kasten und ein Ruck ging durch ihn. Wo er vorher entspannt dagesessen hatte, war er nun alles andere als entspannt und er fragte sich, woher sie in den Beseitz des Violienkastens kam. Tief atmete er ein und stand dann auf. Ging auf sie zu und blieb einige Meter vor ihr stehen. „Was ist, Prinzessin. Kann ich für Euch etwas tun?“, fragte er und Lumen schluckte. Schüttelte dann den Kopf. „Nein. Ihr…Ihr habt schon so viel für mich getan und darum wollte ich mich…bedanken. Und entschuldigen. Ich wollte Euch nicht wütend machen und ich…wollte Euch diese hier wiedergeben. Sie gehört Euch und ich habe nicht das Recht sie zu haben!“, sagte sie und streckte dann den Kasten ihm entgegen. Senkte dabei den Kopf, weil sie ihm nicht in die Augen schauen wollte. Tenebrae sah sie lange schweigend an. Dann sah er zum Kasten, in dem die Violine lag. Seine Hände begannen zu zittern. Es vergingen Minuten des Schweigens, als er dann die Hände ausstreckte, um den Kasten an sich zu nehmen. Langsam nahm er ihn ihr aus den Händen und schaute auf die glatte Oberfläche, auf der eine feine Staubschicht lag. Behutsam wischte er diese weg und schaute aufs ploierte Holz. Konnte schwach sein Gesicht darin sehen. Das letzte al als er die Violine in den Händen gehalten hatte, war er noch ein kleiner Junge und seine Mutter hatte ihm zu seinem Geburtstag diese geschenkt.

Wie oft hatten sie oben in der Dachkammer zusammen musiziert. Sie auf ihrer Harfe und auf der Violine, die er meisterhaft beherrschte. Unzähligemale und immer wieder hatten diese Stunden ihn glücklich gemacht. Doch das war ewig her und seit weder seine Mutter noch sein Vater nicht mehr waren, hatte er dieser auch nicht mehr angerührt. Zu groß war der Schmerz an die Erinnerung, sobald er sie nur ansah. So verbannte er die Violine auf die Dachkammer. Zu der Harfe, die ebenso unberührt blieb und vergass sie. Doch jetzt, wo er sie in den Händen hielt, kam seine Erinnerung wieder zurück und sie ließ sein Herz schwer werden. Sein Hals schnürte sich zu und er glaubte, keine Luft zubekommen. Er war versucht, sie von sich zu werfen. Ins Feuer, auf das sie nie wieder unter seine Augen treten würde. Doch eine leise Stimme flehte ihn an, es nicht zutun. Und sie schien stärker zusein, als der Wunsch die Violine nicht mehr sehen zuwollen. So hielt er sie weiterhin in den Händen und schaute dann zu der Prinzessin, die zu Boden blickte und die Hände rang. Sie ahnte wohl, dass es falsch war, sie bei such zu haben und fürchtete nun wohl, dass er noch wütender wurde. Das wäre er auch, aber er konnte es nicht. „Woher habt Ihr diese Violine?“, fragte er und seine Stimme schwankte. Lumen schaute auf und sah ihn an. In seinem Gesicht konnte sie nichts erkennen, dennoch sah sie aber in seinen Augen schwach etwas flackern. Es war nur kurz da und sie konnte es nicht richtig erkennen. Aber ihr Gefühl sagte ihr, dass der Anblick der Violine ihn schwer traf. Und sie fühlte sich schlecht dabei. Sie brauchte einige Minuten um die richtigen Worte zu finden. „Ich…ich habe sie aus der Dachkammer. Ich…ich dachte, so eine schöne Violine sollte daoben nicht rumliegen…!“, erklärte sie und versuchte ruhig zu klingen. „Warum habt Ihr sie mir nicht eher gegeben. Warum jetzt?“

„Ich...ich hatte bis jetzt nicht den Mut gefunden. Und als ich sah und erfuhr, was Ihr für mich tatet, wollte ich Euch danken, indem ich sie Euch wiedergebe!“, sagte Lumen. Hielt den Blick tapfer auf sein Gesicht fest und versuchte noch einmal dieses Flackern zusehen. Doch es war verschwunden. Tenebrae sagte darauf erstmal nichts. Sondern sah von der Prinzessin zu dem Violinenkasten und dann wieder zu der Prinzessin. Lange blieb sein Blick auf ihr gerichtet, dann machte er einen Schritt auf sie zu, blieb dann dicht vor ihr stehen und noch ehe sie oder er verstehen konnte, was wirklich passierte, berührte der Magier sie an der Wange. Strich sanft darüber. Lumen schauderte und kurz setzte ihr Herz einen Schlag aus. Der Traum kam ihr wieder in den Sinn und mit einem Male fragte sie sich, ob das wirklich ein Traum war. Diese Berührung war die gleiche, die sie vorherige Nacht gespürt hatte. Das war kein Zufall. Und ihr Herz wummerte in ihrer Brust. Ihre Gedanken, die noch vor wenigen Minuten klar waren und von denen sie überzeugt war, überschlugen sich. Nahmen neue Formen an.

Was wenn das kein Traum gewesen war. Wenn er sie wirklich letzte Nacht so berührt hatte, wie jetzt?

Könnte es sein, dass er…

Tausend Fragen wirbelten durch ihren Kopf, doch sie war nicht imstande, eine von ihnen zuergreifen und sie auszusprechen. Zu schön waren diese und sie wollte sie ehrlich gesagt nicht zunichte machen, nur weil sie sie aussprach. Sie war zusehr von dieser Geste überrascht, als das sie irgendwas sagen oder tun konnte. „Ich danke Euch, dass Ihr sie mir wiedergebt!“, flüsterte er und Lumen blinzelte. „Das bedeutet mir sehr viel!“

Lumen öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch noch immer war sie wie benommen. Träumte sie das?

Hatte der Magier wirklich diese Worte an sie gerichtet?

Lumen konnte ihn nur ansehen, während sie sich das und mehr fragte. Er war ihr so nahe…

Sie brauchte nur die Hand auszustrecken, um ihn zu berühren. Warum tat sie es nicht?

Mehr brauchte es dazu doch nicht. Nur die Hand ausstreckten und schon würde sie ihn berühren. Lumen aber fehlte der Mut. Anscheinend fürchtete sie sich immernoch zu sehr davor, verletzt zu werden. Aber warum?

Was konnte er ihr tun?

Er hatte sie nie wirklich verletzen könne, weil sie sich nicht wirklich nahe waren. Bis auf jetzt und auch wenn sie sich wünschte, ihm zu zeigen, dass sie sich nicht mehr vor ihm fürchtete, konnte sie es nicht. Es war, als würde etwas sie davon abhalten. Sie davor bewahren wollen einen Fehler zumachen. Aber was war daran verkehrt?

Lumen wusste darauf keine Antwort. In ihr tobten die unterschiedlichsten Gefühle und vor allem die widersprüchlichsten. Ihr Herz sagte ja. Aber ihr Verstand nein. Es war zum verrückt werden.

„Geht jetzt. Heute Abend zum Abendmahl sehe ich Euch wieder!“, holte er sie aus seinen Gedanken und Lumen nickte knapp. Ging dann zur Tür und verließ sein Zimmer. Comitas wartete schon draußen auf sie und obwohl im die Fragen auf der Zungen lagen, hielt er sich zurück, sie auszusprechen. Er konnte ihr ansehen, dass sie etwas beschäftigte. Dennoch sagte er erstmal nichts, sondern geleitete sie auf ihr Zimmer. Aber dann konnte er nicht mehr an sich halten. „Und, wie war es?“, fragte er. „Wütend der Herr auf Euch war?“

„N-Nein. Er…er hatte sich bedankt, dass ich ihm die Violine gegeben hatte!“, sagte sie nur und setzte sich in den Sessel. Das Frühstück war mittlerweile kalt geworden. Aber Lumen hatte sowieso keinen Hunger, da sie immer und immerwieder daran denken musste, wie der Magier sie an der Wange berührt hatte und an seine Worte. „Ich danke Euch, dass Ihr sie mir wiedergebt. Das bedeutet mir sehr viel!“

Nichts ließ sie daran zweifeln, dass er das ehrlich gemeint hatte und ihr Herz machte erneut einen Sprung. Diese Worte berührten sie tief und innig. Fast wie eine Liebkosung. Lumen spürte, wie ihr Gesicht zu glühen begann. Mein Gott, was denke ich da, dachte sie beschämt.

Er hat doch kein Interesse an mir!

Doch da hörte sie wieder diese Stimme, die ihr das Gegenteil sagte. Und sie fühlte, wie wahrlich neue Hoffnung in ihr aufstieg. Und diesmal hielt sie diese fest. Wollte sie nicht loslassen.
 

Der Magier saß in seinem Sessel. In sich zusammengesunken und hatte die Hand über das Gesicht gelegt. Er hatte die Augen geschlossen und versuchte sein wildpochendes Herz zu beruhigen. Er verstand nicht, warum es ihn so aus der Fassung brachte, dass die Prinzessin seine alte Violine wiedergegeben hatte. Es handelte sich doch dabei nur um ein Stück Holz. Bedeutungslos und ohne Nutzen. Er sollte sie ins Feuer werfen, auf das sie in ein Häufchen Asche verwandelt wird. Aber etwas hielt ihn zurück. Die gleiche Stimme, die ihn vorhin schon zurückgehalten hatte, sie nicht zuverbrennen. Die ihm sagte, dass sie mehr war, als das, was er sah. Genauso wie es bei der Prinzessin war und bei den Gefühlen, die sie in ihm auslösten. Dabei durchlief ihn ein Schauer und er fragte sich, was das zu bedeuten hatte. Wie immer, wenn er fühlte, wie er sich zu verändern begann und das alles mit der Prinzessin zutun zu haben schien. Es war seltsam. Ein einziger Mensch war dazu in der Lage.

Und vorallem das sie es schaffte, sein Herz, dass er vorher so gut wie verschlossne hatte zu berühren. Vom ersten Tage an. Zum Teil war er froh, dass es jemanden gab, der dies schaffte. Ihn aus der Finsterniss befreite, in die er sich selbst eingesperrt hatte und dann wiederum fürchtete er sich davor. Die Angst, dass er sich auch in etwas verrante, war groß.

Was wenn das alles nur ein Trick war?

Wenn sie nur so tat?

Nein, das konnte nie und nimmer eine List sein. Er hatte es schließlich in ihren Augen gesehen. Dass sie es ernst meinte und wahrlich…

„Seid kein Narr!“, zischte eine kalte Stimme und ließ ihn zusammenzucken. Deutlich spürte er, dass er wohl nicht mehr allein war. Zuerst dachte er, es sei Fallacia, die es wieder darauf anlegte seinen Groll auf sich zuziehen. Doch er sah nichts. Nur Dunkelheit. Diesesmal aber schien sie noch dunkler zusein, als vorher und er spürte deutlich, wie unsichtbrae und boshafte Augen zu ihm hinüberstarrten. Tenebrae versuchte diese mit kühler Erhabenheit zu beachten und kämpfte gegen das lähmende Gefühl der Angst an, welche sich wie ein Gift durch seinen Körper floss und ihn zittern ließ. Was war nur mit ihm?

Noch nie hatte er solch eine Angst verspürt. Warum jetzt?

Die Schatten, die in den Ecken seines Zimmers lauerten, schienen seine Verwirrung gespürt zuhaben. Denn sie krochen näher an ihn heran. Streckten ihre Krallen und Klauen nach ihm aus. Er glaubte sogar ein böses Kichern zu hören. Und er hörte sie flüstern.

„Sie ist nicht besser als ihr Vater. Irgendwann wird sie Euch hintergehen. So sind die Menschen nunmal. Nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht!“, zischelten sie. Ihre Stimmen hallten nach und klangen wie Glas, das zersprang. Vervielfachten so nur umso mehr die Angst des Magiers, bis er glaubte von dieser zu Eis zuerstarren. „Ihr könnt ihr nicht trauen. Sie wird Euch hintergehen. Sie ist eine Schlange, die nur darauf wartet zu zubeissen und Euch zu vergiften, auf das Ihr quallvoll sterbt!“

Plötzlich ging ein Ruck durch den Magier, als die Schatten weiterhin ihre giftigen Worte aussprachen. Es war als wäre etwas in ihm zum Leben erwacht. Etwas noch dunkleres, als es die Schatten waren und dieses Etwas gab ihm Kraft. Kalte Wut packte ihn. Verdrängte die Aangst, bis sie gänzlich verschwunden waren. Mit vor Wut funkelnden Augen blickte er zu den Schatten, die sich augenblicklich zurückzogen. Wie Hunde, die ihren Herren fürchteten. Ein kaltes Lächeln stahl sich von seinen Lippen. Doch dieses blieb nur kurz. Für einen kurzen Moment war er schwach geworden. Das drufte nicht nocheinmal passieren. Er durfte sich nicht von diesen Kreaturen, die seiner Macht unterlegen waren, einschüchtern lassen. Sondern ihnen zeigen, dass er ihr Herr war und sie seiner Diener. Nicht umgekehrt.

Ruckartig sprang er aus dem Sessel auf und blickte voller dunkler Entschlossen ihnen entgegen. „Schweigt. Ich will nichts von Euch dergleichen hören. Wagt es nicht nocheinmal so zu mir zusprechen. Ansonsten verwandle ich Euch in das, was Ihr einst war. Kümmerliche Schattenflecke, die nur einen Sonnenstrahl brauchen, um ausgelöscht zuwerden!“, drohte er und diese Drohung verfehlte ihre Wirkung nicht. Auf der Stelle verflüchtigten sie sich und er wieder allein. Noch eine Weile hielt die Wut an und das Dunkle in ihm brüllte enttäuscht auf, als es feststellen musste, dass die Schatten keinen weiteren Versuch unternahmen und es keinen Grund hatte, sich auf sie zustürzen um sie zu bestrafen. Tenebrae schloss die Augen. Legte die Hand auf seine Brust und murmelte immer wieder:„ Ruhig…es gibt keinen Grund weiter zugrollen…!“

Nur langsam konnte sich das dunkle Wesen in ihm beruhigen und wieder einschlafen. Tenebrae öffnete darauf die Augen, und atmete erleichtert aus. Das letzte was er wollte war, sich wieder dem Dunklen Ich hinzugeben. Auch wenn sich diesesmal sein Groll gegen seine Schatten richten und er damit leben würde, wollte er es dennoch nicht zulassen. Wenn das Dunkle einmal aus ihm hervorkam, nicht als ein Gefühl, sondern so, dass es seinen Körper und Geist übernahm, ihn zu einer leeren Hülle machte, würde es sicherlich nicht so einfach sein, es wieder einzusperren. Und er würde nicht wissen, wer Freund und wer Feind war. Womöglich würde er der Prinzessin noch was zuleide tun. Das durfte und wollte er nicht zulassen. Und schon gar nicht wollte er, dass sie nocheinmal sein dunkles Ich sah.
 

Am Abend erschien Lumen wie verabredet im Speisesaal. Der Magier erwartete sie. Am Tisches Ende, wo sie saß brannte eine neue Kerze. Es war wie immer. Und doch schien sich etwas verändert zuhaben. Das was zwischen ihnen vorgefallen war, lag wie ein Schatten über sie. Aber nicht das, was ihr Herz schwergemacht hatte, sondern das, was geschehen war, als sie ihm seine Violine gegeben hatte. Seine Worte und sein Blick. Das seltsame Gefühl, welches sie ergriffen hatte, begleitet von der Hoffnung, wollte nicht vergehen. Auch jetzt nicht, wo sie sich sagte, dass sie ruhig bleiben und sich nichts anmerken durfte. Kaum dass ihr Blick sein Gesicht streifte, fing ihr Herz wieder an zu flattern, wie die Flügel eines Spatzes. „Bleib ruhig, Lumen!“, sagte sie sich und versuchte die verräterische Röte in ihrem Gesicht zuunterdrücken. Seit wann brachte er sie soweit, dass sie rot wurde?

Comitas und seine Brüder deckten das Essen auf und schenkten Wein ein. Doch Lumen beachtete dies nicht. Ihre Aufmerksamkeit galt ganz allein dem Magier, der sie ebenso anschaute und einen nachdenklichen bis besorgten Ausdruck in den Augen hatte. Das war ungewöhnlich, fand sie und als sie merkte, wie sie ihn anstarrte, wandte sie sich dem Essen zu. Emsig, beinahe schon hastig, schnitt sie ein Stück von dem gebratenem Fleisch ab und schob es sich in den Mund. Kaute darauf herum, doch sie schmeckte nichts. Zu sehr beschäftigten sie seine Blicke, mit denen er sie ansah und sie fragte sich, was in ihm vorging. Ob er genauso fühlte, wie sie?

Lumen wünschte es sich. Tief in ihrem Herzen. „Schmeckt es Euch nicht?“, fragte der Magier und sie schaute auf. Sie ahnte, dass seine Frage nur gestellt war, damit sie nicht so nachgrübelte. Dennoch schüttelte sie den Kopf. „Doch, aber ich…!“, wollte sie sagen, doch sie brachte nicht die Worte über die Lippen. „Ich weiss, Ihr vermisst Euer altes Leben!“

Lumen zuckte zusammen. Nein, das war es nicht!

Sondern die Frage ob er genauso fühlte. Aber sie hatte nicht den Mut, diese auszusprechen. Zusehr fürchtete sie sich davor, dass er diese Frage verneinen würde.

„Nein…das ist es nicht…!“, versuchte sie es dennoch. Aber sie konnte einfach nicht weitersprechen.

Da stand der Magier auf, kam auf sie zu und reichte ihr die Hand. Lumen war zuerst etwas überrascht, blickte verwirrt zum Magier hinauf. Sie verstand nicht, was er von ihr wollte. „Gehen wir etwas an die frische Luft. Vielleicht geht es Euch dann besser!“, schlug er vor. Lumens Erstaunen wurde noch größer, als sie dies hörte. Anscheinend war er wirklich um ihr Wohlergehen bemüht. Aber war das nicht von anfang an so gewesen. Hatte er ihr nicht all diese schönen Kleider und die Rosen geschenkt, damit sie sich wohlfühlte. Dennoch war es für sie immer wieder was Neues und sie freute sich nun umso mehr, dass er es offen zeigte. Sie legte ihre Hand in die seine und stand auf. Ließ sich dann von ihm hinausführen, in den Garten.

Dabei musste sie sich daran erinnern, wie er einst behauptet hatte, dass seine Gabe niemals Leben erschaffen, sondern nur Tod bringen konnte. Und an die bedrückte Stimmung zwischen den beiden. Besonders an die des Magiers. Innerlich hoffte sie, dass es anders sein würde. Verstohlen warf sie einen Blick zu ihm hinauf. Doch weder in seinen Augen noch in dem Rest seines Gesichts konnte sie irgendeine Spur von Schwermut erkennen. Sein Blick war stur geradeaus gerichtet und er schien ganz in Gedanken versunken zusein. Was gäbe Lumen dafür, einmal zu wissen, was er dachte. Da schaute der Magier sie an und Lumen sah schnell weg. Sogleich spürte sie wieder diese verdammte Röte in ihrem Gesicht hochsteigen. „Und? Fühlt Ihr Euch wieder einigermassen gut?“, fragte er und Lumen wäre vor Scham am liebsten im Boden versunken. „J-ja…!“, kam es kleinlaut von ihr. Richtete den Blick zu den Rosenbüschen. Ihn anzusehen, war ihr aufeinmal peinlich. Besonders als sie neben ihm herlief und er ihr Hand hielt. Warum hielt er überhaupt ihre Hand?

Sie trug doch wieder die Kette. Zwar nur um ihm zu zeigen, dass sie seine Entschuldigung angenommen hatte. Aber hier gab es nichts, was ihr gefährlich werden konnte.

Also warum hatte er ihre Hand in seiner?

Spielt dass eine Rolle? Sei doch glücklich, dass er es tut, hörte sie in ihrem Kopf die Stimme sagen und errötete noch mehr. So wie die Stimme das sagte, klang es wirklich so, als habe sich etwas tief in ihr danach gesehnt, dass er sie auf irgendeineweise berührte. Und dies ließ sie noch mehr rot werden. Was war nur mit ihr geschehen. Noch vor langer Zeit hatte sie sich vor ihm gefürchtet und ihn auch verabscheut, weil er sie aus ihrem Leben gerissen hatte. Einem Leben, das solange schon hinter ihr lag, dass sie sich fragte, ob es wirklich ein Leben gewesen war und nicht nur ein Traum, aus dem sie erwacht wäre. Nun war sie hier bei ihm und auch wenn sie es selber nicht glauben konnte, begann sie sich wahrlich wohlzufühlen. Und jetzt wo sie wusste, dass er ihr diese Geschenke gemacht hatte, umso mehr. Wobei sie sich selber nicht erklären konnte warum. In vielerlei Dingen.

„Warum habt Ihr mir diese Geschenke gemacht?“

Die Frage war ihr schneller über die Lippen als ihr lieb war und als Tenebrae stehenblieb und sie seinen Blick deutlich auf sich spüren konnte, wusste sie, was sie getan hatte. Wie gehetzt blickte sie zu ihm und wollte schon ihre Worte rückgängig machen. Doch nun war es zuspät.

Tenebrae sah die Prinzessin einen langen Moment schweigend an. Er hatte sich fast gedacht, dass sie diese Frage irgendwann stellen würde. Sie hatte schon so nachdenklich ausgesehen, als sie n den Garten und hatte gespürt, wie ihr Herz schlug, als er weiterhin ihre Hand hielt. Hatte deutlich ihren Puls durch die dünne Haut gespürt und sich gefragt, was sie so nervös machte. Warum sie so rot wurde im Gesicht wurde und ihn nicht anschaute. Doch er wollte sie nicht fragen, weil er wusste, dass er keine Antwort bekommen würde.

Als er aber ihre Frage gehört hatte, blieb er stehen und sah sie an. Sie schien es zuspüren und er merkte, wie sie zitterte. „Ist das Euer Lieblingswort? Warum?“, fragte er und nun sah sie ihn an. In ihren Augen war deutlich Verwirrung zu sehen. „Wie?“, kam es nur von ihr und Tenebrae musste ein schmunzeln unterdrücken. Ihre kindliche Art konnte manchmal wirklich den letzten Nerv kosten, aber ihn auch zum Lachen bringen. So wie jetzt. „Nunja, ede Frage, die Ihr mir stellt, fängt mit diesem einen Wort an. Da frage ich mich wirklich, ob das Euer Lieblingswort ist!“, sagte er und Lumens Gesicht wurde noch röter, als es vorher schon war. Aber dann lächelte sie. Das stimmte. Jede Frage die sie stellte, begann mit diesem einen Wort. „Vielleicht. Ich weiss es nicht!“, sagte sie und hob die Schultern. „Nun aber zu meiner Frage!“

Tenebrae musste auch lächeln. Wurde dann aber wieder ernst. Denn nun würde er ihr das sagen müssen, was ihn dazu gebracht hatte und es kostete ihn mehr Kraft, als er es sich vorstellen konnte. „Weil ich wollte, dass Ihr Euch wohlfühlt. Ich wollte, dass Ihr in mir mehr seht, als es die anderen tun!“, sagte er und war erschrocken wie brüchig seine Stimme klang.

Bedeutete es ihm soviel, dass sie in ihm einen Menschen sah?

Es musste so sein, denn sonst hätte er dies alles nichts getan. Lumen sah ihn mit großen Augen an. Wenn sie ehrlich sein sollte, hatte sie sich sowas schon irgendwie gedacht, aber sie wollte es nicht wahrhaben. Stattdessen hatte sie sich eingeredet, dass er dies nur getan hatte, um sie…

Da schrie sie die Stimme an, nicht länger die Augen zuverschließen und zu erkennen, was wirklich dahinter steckte. Dass er es wirklich so wollte und dass er…

Lumen fiel es schwer, diesen Gedanken loszulassen. Es war ihr unangenehm. Auf eine nichterklärbare Art. Dennoch blieb davon ein Flüstern und seine ebenausgesprochenen Worte ließen sie nicht los. Zum ersten Mal, seit sie hier war, hatte er ihr gezeigt, was er wirklich wollte. Lumen öffnete den Mund, um darauf etwas zusagen. Doch ihre Zunge war wie taub und ihr Kopf leer. Sie fühlte sich wie in einem Traum und wäre seine Hand nicht, die sie festhielt, so würde sie das glauben. Dabei schaute sie auf diese. Und war erstaunt, wie warm und fest sie sich anfühlte. Ganz anders, als vorher, als sie diese bedrohliche Kälte gesehen hatte, die ihn umgab und sie sich vor ihm gefürchtet hatte. Ihr wurde bewusst, dass sich alles verändert hatte und doch auch wieder nicht. Die Dunkelheit, das ausgetrocknete Land und das bedorhliche Schloss blieben, so wie sie waren. Nur der Magier hatte sich in ihren Augen geändert. Er war freundlich, zuvorkommend und er wollte, dass sie ihm vertraute.

Was hinderte sie also daran?

„Das…das wusste ich nicht!“, stammelte sie und die Röte in ihrem Gesicht nahm zu.

„Das konntet Ihr auch nicht. Bisher habt Ihr mich ja für ein Ungeheuer gehalten!“, war seine Antwort darauf und Lumen zuckte bei dieser zusammen.

Es sollte kein Vorwurf sein, dennoch überkam Lumen wieder das schlechte Gewissen. „Das tut mir leid. Ich wollte Euch nicht kränken!“

„Nicht doch. Ihr hattet in diesem Punkt Recht. Ich hätte Euch nicht so grob anpacken und anbrüllen dürfen. Ich bin es, der sich entschuldigen muss!“, wiedersprach er und wunderte sich selber, dass er diese Worte aussprach. Dabei war es aber die Wahrheit. Und er hätte nie gedacht, dass so befreiend sein kann. Es war als würde ihm ein Stein vom Herzen fallen. „Aber das habt Ihr doch schon!“, wiedersprach sie und musste sich bemühen, ihre Stimme ruhig klingen zulassen. „Nein. Nicht oft genug!“, sagte er leise. Laut sagte er. „Ihr müsstet doch Eure Familie vermissen?“

Lumen hielt inne, als er das Thema soschnell wechselte und konnte zunächst erst nicht drauf reagieren. Dann aber tauchten die Gesichter ihrer Schwestern und das ihres Vaters auf und ihr Herz wurde schwer. Ja, sie vermisste ihre Familie. Sehr sogar. Aber in all der Zeit hatte sie kaum an sie gedacht, weil sie vielzusehr an ihn gedacht hatte und sie fühlte sich schlecht.

Was mochten sie für Todesängste durchstehen, weil sie nicht wussten, wie es ihr ging. Lumen wagte es nicht, sich das vorzustellen.

„Ja, das tue ich!“, log sie schnell. Sie merkte nicht, wie sie seine Hand zudrücken begann. „Aber…das ist nicht weiter schlimm!“

„Ihr seid eine schlechte Lügnerin, Prinzessin!“

Ein schwaches Lachen war in seiner Stimme zuhören und als sie ihn ansah, sah sie in seinen Augen Tadel. Aber auch Kummer. Dadurch fühlte sie sich noch schlechter. „Lügen gehörte nie zu meiner Stärke!“, sagte sie trocken. „Eine Eigenschaft, die Euch sehr ehrt!“, kam es von ihm. „Das trifft leider nicht auf jeden zu!“

Da horchte Lumen auf. So wie er das sagte, klang es so, als ob…

„Was meint Ihr damit?“, wollte sie schon beinahe fragen, weil erneut ihre Neugier, was seine Vergangenheit betraf, geweckt war. Mehr und mehr schien er, ob es absichtlich war oder nicht, etwas davon preiszugeben, dennoch hielt er sich noch so gut betucht, dass er immer mehr neue Fragen in ihr aufwarf und sie sich kaum noch beherrschen konnte, diese zurückzuhalten. Tenebrae blieb stehen und ließ ihre Hand los. Als ihre hinabfiel, fühlte sie sich mit einem Male verloren und allein. Sie wollte wieder nach seiner Hand greifen, doch da machte der Magier einen Schritt zur Seite, sodass er ihrer Absicht entging und dies war für Lumen wie ein Schlag ins Gesicht. Sie wollte fragen warum, doch als sie in seine Augen sah, versagte ihre Stimme.

Der Blick, den er in seinen Augen hatte, war so schwer und schmerzlich, dass es ihr selber die Tränen in die Augen trieb.

Tenebrae wandte sogleich den Kopf herum, damit sie es nicht sah. Für ihn war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis sie diese eine Frage stellte. Zugerne hätte er ihr offenbart, was ihn so sehr quälte. Sie an seine Gefühle, teilhaben lassen. Aber dazu fehlte selbst ihm der Mut. Es war viel zuschmerzlich für ihn. Noch sah er sich nicht inder Lage, es ihr zuerzählen. Und wenn er ehrlich sein wollte, wollte er es auch nicht. Sie würde es nicht verstehen. Sie würde mich dann mit deren Augen sehen, dachte er und allein bei diesem Gedanken wurde ihm schlecht. „Wir sollten reingehen. Es wird langsam kalt!“, sagte er und drängte sie förmlich hineinzugehen. Lumen hätte am liebsten dagegen protestiert, weil sie wissen wollte, was er damit meinte. Ihr ging diese ganze Geheimnisskrämerei langsam zuweit. „Warum?“, fragte sie etwas überrumpelt, doch dann klang sie verärgert. „Hört auf, mir auszuweichen. Ich habe Euch was gefragt!“

Da sah der Magier sie an und seine Augen waren wieder wie Eis. „Ich habe die Fragen beantwortet, die ich für richtig halte. Gebt Euch damit zufrieden, Prinzessin!“

Erneut war seine Stimme ein Knurren und wieder umgab in drohende Kälte.

Lumen wich einen Schritt zurück. Wieso tat er das?

Wieso öffnete er sich ihr erst und dann zeigt er ihr wieder die kalte Schulter. Wie kontne sie jemals wirklich schlau aus ihm werden, wenn er immer wieder Seiten zeigte, die sie immermehr verwirrten. Sie senkte den Kopf, weil er ihre gemischten Gefühle nicht sehen sollte. Sie schämte sich für diese. „Verzeiht. Ich wollte Euch nicht wütend machen. Aber Ihr…Ihr seid und bleibt mir einfach in Rätsel. Ich würde so gerne mehr über Euch erfahren, als ich jetzt schon weiss!“, entschuldigte sie sich und Tenebraes Ärger über ihrer Sturköpfigkeit verflog. Er hatte keinen Zweifel an ihren Woten. Er wusste, dass sie ehrlich gemeint waren und seufzte. „Schon gut. Geht zu Bett!“, sagte er knapp und Lumen konnte nichts anderes tun, als zu folgen. Was anderes konnte sie nicht machen. Zu erschüttert war sie, von seinem abrupten Stimmungswechsel. Als wäre er ihr Herr, verneigte sie sich und wollte sich umdrehen, um sich zu ihrem Gemach aufzumachen, doch da hielt er sie an der Hand fest. „Ich begleite Euch!“

Die Augen der Prinzessin wurden groß, als er dies sagte und fragte sich, ob sie sich verhört hatte. Seine Stimme war aufeinmal seltsam matt. Ganz anders als vorhin und das ließ neue Fragen in ihr aufkommen. Aber sie aussprechen traute sie sich nicht.

Tenebrae konnte und wollte die Prinzessin so nicht gehen lassen. Nachdem sie offen ausgesprochen hatte, was sie beschäftigte, konnte er es auch nicht. Ihre Worte hatten ihn tief berührt. Hatten sein Herz berührt und ein kleiner Teil in ihm war ihr dankbar dafür. So hatte sie ihm gezeigt, dass er ein Herz besaß, das schlug und in der Lage war, zufühlen.

Lumen sah ihn immernoch unschlüssig an und brachte schließlich nur ein Nicken zustande. Ließ sich dann von dem Magier zu ihrem Gemach führen. Dabei warf sie ihm immer wieder verstohlene Blicke zu, doch dem Magier schien es nicht zukümmern.
 

Vor der Tür blieben sie stehen und sahen sich einen langen Moment schweigend an. In Lumens Kopf gab es soviele Gefühle, denen sie Ausdruck geben wollte. Sich aber nicht traute.

Tenebraes Blick glitt zu ihren Lippen. Verweilten dort einen Moment und Lumen fragte sich plötzlich, ob er sie küssen wollte. Wünschte es sich sogar. Es war ein kindischer, aber auch sehnsüchter Wunsch, der da in ihr erwacht war. Und als sie auf seinen Mund blickte, war das Verlangen, sie auf ihren zuspüren, umso größer. Sie schloss die Augen und hob etwas dem Kopf. Hoffte so ihm zuzeigen, was sie sich wünschte.

Doch da ging der Magier einen Schritt zurück. Richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Sein Blick war nicht zudeuten. Lumen öffnete den Mund, um etwas zusagen. Aber kein Wort kam ihr über die Lippen. Zu erschüttert war sie von seiner plötzlichen Reaktion, als das sie etwas darauf sagen konnte. War sie zuweit gegangen?

Kramphaft versuchte sie etwas in seiner stummen und ausdruckslosen Miene zuerkennen. Vergebens!

Der Magier war nun wieder ganz verschlossen und zeigte nichts von dem, was in ihm vorging. Und Lumen bereute nun offen gezeigt zuhaben, was sie wollte. „Gute Nacht. Prinzessin. Schlaft gut!“, sagte er schließlich und es klang entgültig. Lumen öffnete den Mund, um dies zuerwiedern, aber sie hatte immer noch nicht ihre Stimme gefunden. Sondern musste mit ansehen, wie er sich umdrehte und ging.

Sie blieb noch eine Weile vor der Tür ihres Germachs stehen. Sah ihm nach und versuchte den schmerzhaften Stich zu ignorieren, der sich tief in ihr Herz bohrte. Gerade eben noch hatte sie das Gefühl gehabt, dass es etwas zwischen ihn gab. Eine Verbindung, die sie sich selber zwar nicht erklären konnte, aber etwas besonderes sein musste. Denn sonst würde sie nicht so am Boden zerstört sein, nachdem er gegangen war und sie allein gelassen hatte. Schwer seufzend drehte sie sich um und ging in ihr Zimmer. Zog sich für die Nacht um, wobei sie das Kleid achtlos zu Boden fallen ließ. Zu sehr war sie in Gedanken versunken. Die Blicke, die Worte des Magiers und was hinter diesen verborgen war, ließen sie nicht los. Immer wieder musste sie sich diesen Moment vor Augen halten. Er war so menschlich und auch so verletzlich gewesen, dass sie kaum glauben konnte, dass es sich hierbei um den einunddeselben Mann handelte, der sie einst hiergefangen hielt.

Wenn sie es sich so recht überlegte, war er wie ausgewechselt. Und all sein Bemühen, dass sie sich hier wohlfühlte, sorgte in ihr für eine angenehme Wärme. Diese hielt an, auch als sie sich ins Bett gelegt hatte und die Augen schloss. Ließ sich davon in den Schlaf wiegen.

Bis sie im Reich der Träume versank.
 

Dichter Nebel waberte um sie herum. Nahm ihr jegliche Sicht. Lumen drehte sich unzählige um sich selber, um etwas zuerkennen. Doch egal wo sie war. Der Nebel verschluckte alles. Selbst ihre Rufe. Und Lumen begann sich zu fürchten. Wo war sie nur?

Wie war sie hierhergeraten?

War das etwa ein Trick des Magiers?

Nein, er würde niemals etwas dergleichen tun, schoss es ihr durch den Kopf. Aber was hatte sie dann hierhergebracht?

Noch bevor sie weiterdarüber nachdenken konnte, sah sie, wie sich langsam aus dem Nebel drei Schatten hervorschälten. Zwei davon waren zierlich, der andere, dritte, massig. Lumen machte instinktiv einen Schritt zurück. Sie hatte gelernt, Schatten nicht zuvertrauen. Waren das etwa Schatten aus dem Schloss des Magiers, dachte sie voller Angst und griff sich an den Hals, an dem sie die Kette mit dem schützenden Anhänger trug. Doch ihre Finger griffen ins Leere. Lumen erstarrte und blickte runter auf ihren Hals. Die Kette war weg. „Nein…!“, keuchte sie und blickte wieder zu den Schatten. Diese waren näher gekommen und nahmen nun etwas an Schärfe an. Erst schwach, doch dann erkannte Lumen langsam aber mit sicher Gewissheit, um wenn es sich bei den Schatten handelte. Sie keuchte nochmal. Aber diesesmal aus Überraschung und Er leichterung.

Sie standen vor ihr, sahen sie an und lächelten. Lumen glaubte zunächst an eine Täuschung.

Blinzelte, um sicher zu gehen, dass sie sich das nicht doch einbildete. Als sie erneut zu ihnen sah und sie immernoch dawaren, machte ihr Herz einen Sprung. Endlich sah sie sie wieder. Ihre Schwestern und ihren Vater. Sie eilte auf sie zu, breitete die Arme aus. „Vater! Schwestern!“, rief sie überglücklich und fiel ihnen um den Hals. Ihre Schwestern erwiederten die Umarmung. Küssten sie auf die Wangen und streichelten ihren Kopf. Als ihr Vater dranwar, sie zu umarmen, musste Lumen weinen. Solange hatten sie sie nicht mehr gesehen und nun endlich lagen sie sich wieder in den Armen. „Lumen, meine Tochter. Endlich kann ich dich wieder in meine Arme schließen!“, flüsterte ihr Vater. Lumen lächelte glücklich. Fürchtete aber, dass es wieder zu einem schlimmen Alptraum werden konnte, so wie ihr letzter, als sie glaubte ihre Familie zusehen. Aber je länger sie in den Armen ihre Liebsten lag, umso sicherer war sie sich, dass es ein schöner Traum war und blieb. „Oh, Vater. Ich habe dich so sehr vermisst!“, wimmerte sie und drückte sich fester an ihn. „Wir dich auch, Kind. Ich habe es mir nie verzeihen können, dass ich…!“

Die Stimme ihres Vaters brach ab. Aber sie konnte sich auch so denken, was er sagen wollte und schüttelte den Kopf. „Ich habe dir verziehen!“, flüsterte sie. Das hatte sie wirklich.

Aber seit wann?

Lumen wollte darüber nicht genauer nachdenken. Was sie wollte war in den Armen ihrer Familie liegen und ihre Nähe genießen, auf die sie solange verzischten musste. Aber dann holte eine Stimme sie aus ihren glücklichen Gedanken. „Lumen!“

Die Prinzessin zuckte zusammen, als sie diese hörte und auch erkannte. Langsam löste sie sich aus der Umarmung ihres Vaters, drehte sich herum und sah nur wenige Schritte hinter sich den Magier stehen. Einsam. Verloren. So wie sie einst. Lumens Herz wurde nun schwer, nachdem es sich so gefreut hatte. Irgendetwas drängte sie, zu ihm zu gehen. Ihn zu berühren. Ihm zu zeigen, dass er ncht allein war. Dass sie für ihn da war.

Aber was sollte sie ihren Schwestern und ihrem Vater sagen?

Sie blickte zu ihnen. Wollte die richtigen Worte finden. Doch da hielt sie inne, als sie sah wie sie sich von ihr entfernten und Lumen mit einer Mischung aus Kummer und Verwirrung ansahen. Es schnürte ihr die Kehle zu. „Schwester!“, flüsterte ihre älteste Schwester Fortitudo, streckte dabei die Hand aus. Lumen tat es ihr nach. „Schwestern…Vater!“, flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme. „Lumen!“, hörte sie wiederum vom Magier. Sah zu ihm hinüber und sah, dass er ebenfalls die Hand nach ihr ausstreckte. Lumen fühlte sich plötzlich hinundhergerissen. Was sollte sie tun, zu ihrer Familie gehen, die sie liebte und vermisste. Oder sollte sie ihrem Herzen folgen und zu ihm gehen. Ihm ihre Hand geben, als Zeichen, dass sie sich für ihn entschied. Aber ihr fehlte der Mut. Bei beiden. Sie fürchtete sich davor, den einen zuverletzten, wenn sie sich für den anderen entschied. Was sollte sie also tun?

Sie wollte sowohl bei ihrer Familie, als auch bei ihm sein. Aber sie ahnte, dass das unmöglich war. Ihre Schwestern und ihr Vater lebten in einer Welt des Lichts und der Magier in einer der Finsterniss. Sie konnte unmöglich in beiden Welten leben.

Aber für welche sollte sie sich entscheiden?

Je länger sie überlegte, desto weiter entfernten sich ihre Familie und der Magier von ihr. Glitten immer weiter weg, bis sie fast im dunstigen Nebel verschwanden. Lumen schrie entsetzt auf. Wollte nach beiden greifen. Es war jedoch zuspät. Sie waren bereits verschwunden und Lumen blieb allein zurück. „Vater…Schwestern…Tenebrae…nein…lasst mich nicht allein!“, wimmerte sie. Wirbelte um sich herum. Weil sie hoffte, sie dennoch wieder zusehen. Aber sie kamen nicht wieder und eine erdrückende Stille legte sich über sie. Das einzige was zu hören war, war ihr Schluchzen und Wimmern. Sie fühlte sich noch verlorener, als sie es schon bereits getan hatte und wünschte sich aufzuwachen. Schlug mit den Fäusten gegen ihre Schläfen, sagte sich dabei immer wieder:„ Wach auf, wach doch endlich auf!“

Doch der Nebel lichtete sich nicht. Lange Zeit blieb sie zusammengekauert auf dem Boden und weinte. Weinte, weil sie wieder allein war. Weil sie nicht den Mut gefunden hatte, sich zu entscheiden. Warum war sie nur so feige gewesen?

Es wäre doch so einfach gewesen. Sie hätte einfach nur die Hand von einem der beiden ergreifen müssen und alles wäre vorbei. Aber ihre Angst den anderen zu verletzten, war größer, als alles andere. Und so blieb sie allein. Verloren. Wie jedesmal wenn sie nicht den Mut fand und sich dafür selber verfluchte. „Warum…!“, wimmerte sie und vergrub das Gesicht in den Händen. „Warum kann ich nicht einfach das tun, was mein Herz mir sagt?“

„Weil du dich zusehr fürchtest, was passieren könnte, wenn deine Hoffnung nur Luftschlösser sind!“, sagte plötzlich eine sanfte Stimme und Lumen schaute erschrocken auf. Ihr Herz machte einen gewaltigen Satz, als sie sah, wie sich eine Gestalt aus dem dichten Nebel hervorschälte, die einer Frau zu gehören schien. Und irgendwie konnte Lumen den Verdacht nicht abschütteln, diese zu kennen. Auch die Stimme kam ihr vertraut vor.

Aber das konnte doch nicht sein!

Gebannt und nicht ihren Augen trauend sah sie zu der Gestalt, die näher kam und an Form und Gestalt immer mehr an Deutlichkeit gewann, bis sie vor ihr stand und mit einem mildem Lächeln auf sie blickte. Lumen konnte nicht sagen, was sie am liebsten getan hätte. Weinen oder vor Freude jubeln. Vor ihr stand eine schöne hochgewachsene Frau, gekleidet in einem edlen Gewand und mit einer filigranen Krone auf dem Haupt. Ihr Haar war dem von Lumen ähnlich, golden. Silberne Strähnen schimmerten jedoch hervor. Das Gesicht der Frau hatte durch das vorangegangene Alter Falten bekommen. Aber Lumen erkannte sie trotzdem und die Freude war nun größer als der Unglaube. Sie schloss den Mund, doch nur um einmal zu schlucken und dann laut, als sie aufsprang um die Frau zu umarmen „Mutter!“, zusagen. Königin Misericordia breitete die Arme aus und schloss diese sogleich, als sich ihre Tochter eng an sie schmiegte und die Augen schliesste. „Lumen, meine kleine Lumen!“, sagte sie und strich hier zärtlich über den Rücken. Sofort fühlte Lumen sich daran erinnert, wie sie als kleindes Mädchen stets so von ihrer Mutter berührt wurde, wenn sie Kummern oder einen schlimmen Traum gehabt hatte. Dass sie nun wieder diese Berührung spüren durfte, glich ihr einem Wunder. Dabei wusste sie, dass das nur ein Traum war. Doch dies war ihr allerlei. Sie sah ihre tote Mutter wieder. Ihre Mutter, die sie so sehr geliebt und als sie gestorben war, vermisst hatte. Hielt sie fest an sich gedrückt und sog tief ihren Duft ein. Lange Zeit blieben sie so ineinander geschmiegt stehen, dann löste sich ihre Mutter und Lumen blickte sie mehr als schmerzlich an. „Lumen…Hör auf dich vor dem zufürchten, was sein kann. Fürchte dich nicht vor deinen Gefühlen, die du für den Magier hegst!“, sagte sie und Lumens Augen wurden groß, als sie dies hörte. Ihre Gefühle, für den Magier?

Hatte sie wirklich welche?

Und wenn ja, seit wann?

Lumen suchte angestrengt nach einer Antwort. Fand aber keine. Ihre Mutter schien sie jedoch längst zukennen. „Denk doch mal nach, Lumen. Wieso tut er all das für dich?“, fragte sie nun in einer Tonlage, die sie nur anschlug, wenn sie Lumen ins Gewissen reden will. Lumen hob darauf ratlos die Schultern. Wobei sie wieder diese Stimme in ihrem Kopf hörte. Doch Lumen achtete nicht darauf. Ihre Mutter sah sie einen langen Moment an, als ihre Tochter darauf nichts sagte, lächelte sie milde. „Weil er mehr will, als dass du dich wohl fühlst. Er will dir zeigen, was er für dich fühlt!“

„Was er für mich fühlt?“, wiederholte sie und verstand erst nicht. Doch als sie in das Gesicht ihrer Mutter sah, verstand sie und sie konnte nich glauben, was sie ihr damit sagen wollte. „Soll das heissen, dass er mich…?“, fragte sie und konnte den Satz nicht beenden. Sie konnte es einfach nicht fassen. Der Magier sollte sie lieben?

Aber wenn dem so wäre, dann hätte er sie nicht…

Ihre Mutter schien ihre unausgsprochene Frage gehört zuhaben, denn ihr Gesicht nahm nun einen traurigen Ausdruck an und sie ergriff die Hände ihrer Tochter. „Darauf kann ich dir keine Antwort geben. Das musst du selber von ihm erfahren. Aber…egal was es ist, du musst es ihm verzeihen. Denn seine Gefühle für dich, sind wirklich!“, sagte sie und gab ihrer Tochter umso mehr Rätseln auf.

Was sollte das nun bedeuten?

Warum sagte sie ihr nicht einfach was sie wissen wollte?

„Mutter, bitte. Sage mir, was das zubedeuten hat. Ich möchte endlich wissen, was er verbirgt. Wenn du etwas weißt, dann sage es mir!“, flehte sie, doch noch bevor ihre Mutter darauf etwas sagen konnte, wurde ihre Gestalt durchsichtig und drohte zuverschwinden. Lumen schrie entsetzt auf, streckte die Hand nach ihr aus, wie zuvor bei dem Magier und ihrer Familie. Sie wollte nicht auch noch ihre Mutter verlieren. Aber es war zuspät. Ihre Mutter war verschwunden. Aber anstatt wieder allein in diesem Nebel zu sein, lichtete sich dieser und sie schlug die Augen auf.

Sie war wieder in ihrem Zimmer, in ihrem Bett. Doch die Erinnerung ihres Traumes hielt sie fest und fras sich tief in ihr Herz. Lumen kämpfte mit den Tränen. In ihr tobte ein Orkan von Gefühlen, den sie zu besänftigen nicht in der Lage war. Freude, Treuer, Hoffnung und Verzweiflung. Sie hatte im Traum die gesehen, die sie liebte und verloren hatte. Auf die eine oder andere Art. Und es schmerzte, obwohl es nur ein Traum gewesen. Lumen kamen die Tränen. Vorallem wegen ihrer Mutter, die ihr erschienen war und sie in die Arme genommen hatte. Sie hatte schon fast vergessen wie es war, in ihren Armen zu liegen und ihrer sanften Stimme zu lauschen. Nun war diese vergessene Erinnerung wieder zum Leben erwacht und ließ ihr Herz schwer werden. Je mehr sie sich an diesen Traum erinnerte, sich wahrlich daran klammerte und sich das Bild ihrer Mutter und ihrer restlichen Familie vor Augen hervorrief, desto mehr wurden die Tränen und größer der Schmerz und ebenso die Sehnsucht, sie wieder zusehen. Schluchzend schlug sie die Hände vors Gesicht und weinte.

Als Comitas hereinkam und Lumen so vorfand, zögerte er keine einzige Sekunde. Sondern stellte schnell das Frühstück auf den Tisch und eilte zur Prinzessin. „Prinzessin Lumen…was Ihr haben? Sagt es mir doch. Ich Euch vielleicht kann helfen!“, bat er sie, als er auf das Bett sprang und ihre Hände ergriff, um sie wegzuziehen und sie anzusehen. Doch da umarmte Lumen ihren kleinen getreuen Freund so stürmisch, dass Comitas nicht richtig wusste, wie ihm geschah. Presste ihn dann fest an sich, sodass er kaum noch Luft bekam. Comitas lief schon blau im Gesicht an, schnappte nach Luft und gab ihr mit wilden fuchtelnden Handbewegungen zu verstehen, dass sie ihn doch bitte lolassen sollte, sondern würde er in ihren Armen ersticken. „Prinz-essin…Ihr mich…bitte lolassen. I-ich…keine Luft mehr…bekommen!“, japste er und als Lumen sich bewusst wurde, was sie gerade tat, ließ sie ihn vor lauter Schreck los. „Oh, Comitas. Bitte entschuldige!“, sagte sie sogleich aufgewühlt und beugte sich zu Comitas, der neue Luft in seine Lungen strömen ließ. Der winkte ab und lächelte etwas. „Scho-schon gut. Es…es mir wieder gutgehen!“, sagte er, wurde dann aber wieder besorgt. „Aber was mit Euch seien? Ihr so furchtbar geweint haben. Ihr schlecht geträumt?“,

Lumen musste ein trockenes Lachen unterdrücken. Schlecht geträumt, das war wirklich eine Untertreibung. Und sie wollte es ihm auch sagen, doch sie fühlte sich nicht imstande, es auszusprechen, um nicht gleich wieder in Tränen auszubrechen. „Prinzessin, Ihr es mir ruhig sagen können. Ihr doch wissen, dass ich Euch ein guter Freund bin!“, sagte er, nahm dabei ihre Hand und lächelte sanft. Auch Lumen lächelte und all ihr Zögern und Zaudern verrauchten. Ja, das war er und dafür war sie ihm wirklich dankbar. Wiedereinmal hatte er es geschafft, ihr neuen Mut zugeben und sich die Tränen wegzuwischen. „Ja, ich möchte dir dafür nochmal danken. Ich werde dir erzählen, was ich geträumt habe. Aber bitte versprich mir, dass du niemanden davon erzählst. Nicht mal deinem Herren!“, bat sie ihn inständig und begriff selber nicht warum sie dies sagte. Offenbar schämte sie sich, dass sie ihn in so einem Traum gesehen und trotz, dass er sie angefleht hatte, ihm nicht die Hand gereicht hatte. Wenn er es erfahren würde, was mochte er dann von ihr denken?

Dass es ihr gleich war, dass er an ihrer unerwiederten Liebe zerbrach?

Nein, im Gegenteil. Sie fürchtete sich mehr davor, dass das alles nur ein Wunschtraum war. Hervorgerufen, durch die Sehnsüchte und den immer stärker werdenden Gefühlen, die der Magier in ihr hervorrief. Aber wenn dem so war, warum gab er sich solche Mühe und wollte, dass sie glücklich war?

Lumen konnte sich keine einzige Antwort darauf geben. Wenn sie glaubte, sie habe die Antworten gefunden, nach denen sie suchte, plagten sie neue Zweifel, die diese nichtigmachten. Es war einfach zum verrückt werden. Warum konnte sie sich einfach nicht zwischen ihrem Herzen und ihrer Vernunft entscheiden?

Es wäre doch so leicht, wenn sie nur den Mut haben würde. Aber den hatte sie nicht. Sie hatte nicht die Kraft, um sich zu entscheiden, da sie sich zusehr fürchtete, was sein könnte. Und was nicht. Lange Zeit hing sie diesen Gedanken nach, ehe Comitas sie aus diesen holte. „Ich es Euch versprechen. Nun Ihr mir doch erzählen, was Ihr haben geträumt!“, sagte er und sie nickte. Erzählte ihm dann, was sie in ihrem Traum gesehen hatte. Und anstatt sich etwas besser zufühlen, wurde die Last beinahe unerträglich.

Comitas hatte aufmerksam zugehört und als sie geendet hatte, hatte sein Gesicht einen nachdenklichen Ausdruck. Was sollte er dazusagen?

Er konnte nicht wirklich behaupten, dass er sich darüber freute. Die Art, wie sie ihm ihren Traum schilderte, beunruhigte ihn etwas. Es hatte den Anschein, als würde dies sie schwer belasten und verunsichern. „Es ihr wirklich schwer fallen, sich zu entscheiden!“, dachte er mitleidig und nahm dann ihre Hände. „Ich nichts sagen werde. Versprochen!“, sagte er und schenkte ihr ein sanftes Lächeln. Lumen dankte ihm. Und sie wusste, dass sein Wort etwas zählte. Dennoch hoffte sie, dass er wirklich stillschweigen bewahren würde. Er war ihr zwar ein guter Freund, aber seinem Herrn war er ebenso loyal ergeben. Vielleicht noch ein wenig mehr.

Comitas blieb noch eine Weile, dann aber ging er, weil er noch anderswo gebraucht wurde und als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, blieb er noch eine Weile so stehen und dachte nach. Eigentlich hatte er versprochen, nichts von dem Traum der Prinzessin zusagen. Aber er hatte auch gesehen, wie sehr sie das mitnahm und auch die Angst. Zwar wusste er nicht wovor sie sich fürchtete, da sein Herr ihr ja selber versichert hatte, dass er ihr nichts zuleide tun würde und ihr stets jeden Wunsch erfüllt hatte. Doch er hatte so die leise Ahnung, dass diese Angst mit ihren erwachenden Gefühlen zutun hatte, die dem Magier golten.

Auch seinem Herrn ging es nicht besser. Seit gestern Nacht war er schweigsam und war in sich gekehrt gewesen. Natürlich hatte Comitas gefragt, was er hatte. Doch selbst ihm hatte sich der Magier nicht anvertraut und war so allein mit seinen Gedanken gewesen.

Und genau das brachte ihn in eine Zwickmühle. Er hatte seinem Herren Treue gesschworen und wollte ihm auch als Freund zur Seite stehen. Aber andereseits war er mit der Prinzessin befreundet. Er wollte ihr genauso dienen, wie er es bei dem Magier tat. Wenn er sein Wort brach, würde er sie verraten und wenn nicht dann würde er sein Vertrauen, welches der Magier nur ihm entgegen brachte, zunischte machen. Und weil er beide nicht hintergehen wollte, musste er schwerem Herzen einsehen, dass er diesesmal nichts tun konnte, um beide zueinander finden zulassen. Das mussten sie allein.

Den ganzen Tag über hatte Lumen am Fenster gestanden und hinausgeschaut. Das Trugbild, das nur eines von vielen Geschenken des Magiers war, war das einzige was sie davor bewahrte, noch tiefer in ihre trübe Stimmung hinabzugleiten. Die ganze Zeit musste sie an ihren Traum denken. Erlebte jede einzelne Minute von neuem und ihr Herz wurde malzumal schwerer. Blickte dabei zum Ring an ihrem Finger. Drehte ihn und musste an die Worte ihrer verstorbenen Mutter denken.

„…Er will dir zeigen, was er für dich fühlt!“

Diese Worte verfolgten sie noch eine ganze Weile. Auch als sie zum Abendessen mit dem Magier kam. Immer wieder versuchte sie einen Blick auf ihn zuerhaschen, doch sein Gesicht war beinahe vollend von der Dunkelheit verborgen. Nur das Glimmen des Feuers im Kamin, dessen Schein auf seine Augen traf, verriet ihr, dass er ihr gegenüber saß und sie ebenso anschaute wie sie ihn. Als sie sich das bewusst wurde, senkte sie augenblicklich den Kopf und ließ, um sich abzulenken und seinen Blicken zu entgehen, den Löffel in dem Suppenteller umherkreisen. Nicht ein Wort hatte er mit ihr gesprochen. Nicht mal einen Gruss hatte er ihr gegönnt. Lumen fragte sich, was sie getan hatte, dass er ihr wieder die kalte Schulter zeigte. Und das ließ sie nur noch mehr in dieses tiefe dunkle Loch fallen, dass sich gestern über Nacht in ihr gegraben hatte. Irgendwann hielt sie es nicht aus und stand dann auf. „Wenn Ihr nichts dagegen habt, möchte ich jetzt auf mein Zimmer!“, sagte sie und zu ihrem Erstaunen aber auch Ärger, gewehrte er ihr diesen Wunsch. Mit einem Wink entließ er sie und machte auch nicht die Anstalten, sie zu begleiten. Dass verärgerte sie noch mehr, zwang sich aber ruhig zu bleiben. Es würde nichts bringen.

Als sie den Speisesaal verlassen hatte, sah der Magier ihr nach und brauchte sich nicht zufragen, was sie hatte. Ihm war nicht entgangen, dass das gestrige nicht spurlos an ihr vorbeigegangen war. Auch ihm war es nicht anders ergangen. Ihr Versuch ihn zuküssen, hatte ihn völlig aus der Fassung geworfen. Nur mit größter Mühe konnte er sich zurückhalten. Wobei es ihn wirklich lockte, nachzugeben und sie zu küssen. Sich seinem Verlangen hinzugeben und sie näher an sich heranzulassen, als er es bisher gewagt hatte. Wäre das nicht die Erfüllung alldessen gewesen, wonach er sich sehnte. Aber stattdessen war er zurückgewichen. Und etwas hatte in ihm schmerzlich aufgeschrien. Doch Tenebrae hatte dies nicht beachtet. Wollte es auch nicht. Hätte er sie geküsst, hätte er sich nichtmehr bändigen können. Die Bestie, die tief in ihm schlief, wäre erwacht und hätte unaussprechliches mit ihr getan, was das zarte Band, welches sich zwischen ihnen zu entwickeln begann, zerriss. Davor fürchtete er sich am meisten. Es war ihm wichtig, auch wenn es ihm immernoch selber überraschte, aber lange dagegen ankämpfen wollte er auch nicht. Konnte es nicht. Egal wie tief sein Hass auch sah und wie sehr er sich sträubte. Sein Herz begann immer mehr die Oberhand zugewinnen und verdrängte alles, was er bisher gedacht hatte. Gab ihm dafür neue Kraft sich zurückzuhalten, auch wenn es ihm schwerfiel. Doch war es ihm wichtig. Denn immerhin war es das erste Mal seitlangem wieder, dass es so ein Band zwischen ihm und einem anderen Menschen gab. Es war für ihn wie ein Schatz. Kostbarer als alles andere. Und er wollte dieses schützen. Um jeden Preis. Nun aber war die Angst, dass er zuweit gegangen, größer. Er hatte die Wut und die Zweifel in ihren Augen gesehen. „Ich hätte den nächsten Schritt machen müssen, nachdem sie den ersten getan hatte!“, warf er sich vor und wischte sich über das Gesicht. Er fühlte sich mit einmal müde und ohne jegliche Kraft. Er fragte sich zum zigtenmal, wie es sein kann, dass die Prinzessin ihn so sehr verändert hatte.

Comitas bemerkte natürlich, dass sein Herr sich in Gedanken verloren hatte, die ihm immernoch fremd waren. Nach solanger Zeit. „Herr, es Euch nicht gut gehen?“, fragte er, wobei seine Frage überflüssig war. Doch anders wusste er nicht, wie er ihn ansprechen konnte. Tenebrae, der die Augen geschlossen hatte, öffnete diese und wirkte noch matter. „Ich weiss nicht. Ich glaube, ich habe…die Prinzessin mit nur einer einzigen Geste mehr verletzt, als ich es mit Worten tun kann!“, gestand er und seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Comitas horchte sogleich auf. Das war das erste Mal, dass er wirklich ausgesprochen hatte, was ihn aufwühlte. Und Comitas sah sich nun mehr in seinem Vorhaben bestärkt, den beiden den nötigen Schubser in die richtige Richtung zugeben. Dennoch wollte er das Vesprechen, was die Prinzessin ihm abgenommen hatte, nicht brechen. So griff er zu einer List.

„Woher Ihr das wissen, wenn Ihr nicht mit ihr redet? Geht doch zu ihr. Ich mir sicher bin, dass sie Euch nicht wirklich böse ist!“, sagte er und räumte währenddessen ab. Tenebrae sah ihn für einige Minuten ratlos an, dann aber wurde sein Gesicht entschlossen. Offenbar hatte er es begriffen. Und Comitas atmete erleichtert auf.
 

Das Klopfen holte Lumen aus ihren Gedanken und sie war froh, dass Comitas vorbeikam. Vielleicht war er ja in der Lage, dass sie wieder lächeln konnte. „Herein!“, sagte sie. Da sie mit Comitas rechnete, brauchte sie sich nicht umzudrehen. Als aber statt Comitas der Magier hereintrat, war sie überrascht und merkte, wie ihre Knie butterweich wurden. Zum ersten Mal kam der Magier persönlich. Ohne das sie es gewollt hatte. Und gerne hätte sie ihn wieder hinausgebeten, weil sie ihn nicht sehen wollte. Nicht jetzt, wo es ihr noch schlechter ging, als sie ihn nun im vollen Schein sah. In all seiner Pracht, mit diesem nicht zudeutbaren Ausdruck im Gesicht. Auf der Schwelle stehend und er machte auch nicht den Eindruck, als würde nicht eher gehen, bevor er losgeworden war, was ihn zu ihr führte. Das machte Lumen nervös und ihn fortzuschicken, brannte ihr wirklich unter den Nägeln. Aber dann sagte sie sich, dass er eigentlich hier der Herr war und immernoch bestimmen konnte, wohin er ging und wann er ging. So musste sie ihn also gewähren lassen und wollte ihn hineinbitten. Doch Tenebrae wartete erst gar nicht, sondern schritt über die Schwelle und schloss die Tür hinter sich. Lumen zuckte zusammen, als die Tür ins Schloss fiel und ihr wurde bewusst, dass sie nun allein mit ihm war. Eine dunkle Unruhe wühlte in ihr und sie musste sich wirklich zusammenreissen, um nicht gehetzt um sich zuschauen und nach einem geeigneten Gegenstand zuschauen, dem sie dem Magier über den Schädel ziehen konnte, wenn er ihr zu nahe kam. „Beruhigt Euch, Prinzessin. Ich werde Euch nichts tun!“, versicherte er ihr, als habe er ihre Gedanken gelesen. Lumen hätte ihm das zugerne geglaubt. Aber seine Augen waren immernoch wie Eis. Sie nickte. Versuchte ihre Furcht nicht zuzeigen.

„Was…was wollt Ihr denn von mir?“, fragte sie dann, wobei sie wusste, dass ihre Frage etwas unbeholfen, sogar etwas unhöflich klang. Doch sie wusste nicht, was sie anderes sagen sollte. Und wenn er durch ihre Frage beleidigt war, so ließ er es sich nicht anmerken. Sondern schwieg und kam etwas näher. Blieb aber weit genug vor ihr stehen, sodass sie jederzeit ausweichen konnte. „Mir blieb nicht verbrogen, dass Euch etwas schwer beschäftigt. Eure Blicke sprachen förmlich Bände und ich frage mich, ob Ihr nicht darüber sprechen wollt!“, sagte er und sah, wie sich die Augen der Prinzessin weiteten. Er hätte selber überlegt, wie sie darauf ansprechen konnte und noch bevor er die richtigen Worte gefunden hatte, waren sie auch schon über seine Lippen gekommen. Doch was ihn am meisten überraschte, war der Blick, den sie ihm schenkte. Als würde sie nicht richtig glauben können, was sie da gehört hatte. Aber dann wurde ihr Gesicht nachdenklich und auch verlegen. Kurz schwieg sie, sagte nichts. Dann, als sie ihn ansah, war etwas in ihren Augen, was ihm seltsam bekannt vorkam. Er brauchte eine Weile, bis er es erkannte und sein Herz schlug einen Takt schneller. Was er da sah, war Hoffnung. Hoffnung auf etwas, was sie schon solange verloren und vermisst hatte und dass nun zu ihr wiederkehren würde. Er konnte sich auch vorstellen, was es war. Es war dasgleiche, was er einst verloren hatte und nicht im Traum gedacht hatte, es wiederzubekommen.

Dass die Prinzessin diese ebenso in sich trug, gab ihm neuen Mut. Doch er wollte auch nicht übermütig werden und die Prinzessin drängen. Sondern wartete. Lange Zeit sagte sie erstmal nichts. Dachte nach. Fragte sich, ob es wirklich klug war, es ihm zu erzählen. Und auch wenn sie ihm irgendwie auf eine gewisse Weise vertraute, hatte sie dennoch Angst, dass sie sich in ihm getäuscht hatte. Egal wie. Daher beschloss sie, es nur bei einer halben Wahreit sein zulassen. Er sollte nicht wissen, dass sie von ihm geträumt hatte. Es war ihr peinlich und Träume waren für sie etwas Persönliches. Nur würde der Magier nicht eher gehen, bevor sie ihm sagte, was sie so niederdrückte. „Ich…ich hane von meiner Familie geträumt. Von meinem Vater. Von meinen Schwestern und von meiner Mutter. Sie…sie starb, als ich noch klein war!“, sagte sie und sah dann wieder zu Boden. Ihr Blick blieb wieder auf dem Ring haften und sie drehte ihn, als würde er einen Zauber freisetzen, der sie von ihrem Kummer befreite. Tenebrae, der sich bisher nicht gerührt hatte, durchfuhr es, als sie von ihrer Mutter sprach. „Heisst das, Ihr habt Eure Mutter auch…?“, fragte er und seine Kehle schnürte sich zu. Bei jedem Wort das er sagte. Er hatte keinen Zweifel daran, dass sie die Wahrheit sprach. Dass sie ebenso keine Mutter mehr hatte, ließ ihn Mitleid mit ihr haben. Mit ihr fühlen, da er selber nur zugut wusste, wie es war ohne Mutter aufzuwachsen. Lumen nickte und kämpfte sichtbar mit den Tränen. „Ja, sie…sie starb an einer Lungenentzündung. Der Winter war sehr kalt gewesen und sie hatte sich bei einer armen Zofe angesteckt, sie sehr geschätzt hatte. Sie hatte sie sogar höchstpersönlich gesund gepflegt, sehr zum Ärger meines Vaters und zur Sorge der Ärzte, die sie inständig davor warnten. Doch meiner Muter war das egal. Sie wollte sie nicht sterben lassen. Sie konnte sie nicht retten und steckte sich mit der tückischen Krankheit an. Die Ärzte taten alles, um sie zuheilen. Aber sie war schon zusehr geschwächt, als das sie sich gegen die Erkältung wehren konnte. Und irgendwann…wachte sie nicht mehr auf!“, erzählte sie und schluchzte. Wischte ihre Tränen weg, was keinen Sinn hatte, da die Trauer sie erneut übermannte, wie damals, als sie noch ein Kind war und nicht richtig begreifen konnte, warum ihre Mutter starb und was es bedeute, wenn jemand es tat. Ihr zarter Körper zuckte und schüttelte sich bei jedem Schluchzern, den sie tat und wankte. Drohte zusammen zubrechen unter der Last ihres Schmerzes. Tenebrae machte rasch einige Schritte, überwand so den Abstand zwischen ihnen und umfing sie mit seinen Armen. Drückte sie fest an sich. Lumen schien dabei nur noch mehr zuweinen und sich an ihn zudrücken. Grub ihr Gesicht in seine Brust und krallte ich an seinem Hemd fest. Das war wirklich nicht die Entwicklung, die er sich durch dieses Gespräch verhofft hatte, aber anders wollte er es auch nicht mehr. Sie waren sich nun so nahe, wie noch nie zuvor. Vermutlich noch näher. Tenebrae schloss dabei die Augen, um dies in vollen Zügen zu geniessen. Zu seiner Scham versetzte es ihn in Freude, dass sie sich ihm anvertraut hatte und zuließ, dass er sie so hielt. Aber dies wurde schnell überschattet, als er sich in Erinnerung rief, warum sie in seinen Armen lag.

So tief also sitzt der Schmerz in ihr, dachte er und spürte selber, wie die Trauer um seine Mutter wieder hochkam. Wie eine Flut überschwemmte sie ihn. Drohte ihn mitzureissen und zuertränken. Aber Tenebrae kämpfte dies nieder. Einer von beiden musste stark sein. Er hatte immer seinen Schmerz und alles was damit verbunden war, wunderbar verbergen und einschließen können.

Warum sollte es diesesmal nicht der Fall sein. Urplötzlich tauchte das Gesicht seiner Mutter vor seinem geistigen Auge auf. Es traf ihn mit solch einer Wucht, dass es ihm schier den Atem raubte und ihn nach Luft schnappen ließ. Ein lähmendes Gefühl breitete sich in ihm aus, dass schnell in Schmerz umschlug. Er musste sich bemühen, nicht ebenso in die gleiche Trauer hinabzugleiten. Es war schließlich zulange her, als das man noch lange daran denken sollte. Das war Vergangenheit und diese kümmerte ihn nicht länger. Sondern nur das, was vor ihm lag und das war Lumen.

Sanft wiegte er sie in seinen Armen. Strich ihr dabei über den Rücken. Redete ihr gut zu. „Schhhh…ganz ruhig. Es ist gut!“, flüsterte er sanft. Immer wieder, auch wenn er wusste, dass sie sich nicht dadurch beruhigen würde.

Lange blieben sie so stehen. Und das Schluchzen wurde malzumal leiser, bis es ganz verstummte. Doch sich von ihrer Trauer erholt, hatte sie sich noch nicht ganz. Er hörte sie zitternt nach Luft holen und spürte ihre warmen Tränen, die auf den Stoff seines Hemdes tropften. Zu sehr nahm sie die Erinnerung an ihre Mutter mit, als das sie sich von dem damit verbundenen Schmerz befreien konnte. Sie schüttelte den Kopf und sah ihn dann ab. Ihre Augen waren gerötet vom Weinen und ihr Gesicht war das Spiegelbild ihres Inneren. Verzerrt und entstellt. Zeugten von Leid, dass sich kaum in Worte fassen ließ. „Nein…nichts ist gut. Sie fehlt mir so…so sehr. Ich wünschte, ich könnte sie noch einmal sehen. Könnt…könnt Ihr nicht…!“, wimmerte sie und Tenebrae ahnte schon, was sie damit meinte. Er ergriff ihre Hände, löste sie von seinem Hemd und sah sie mit einer Mischung aus Bedauern und Ernst an. „Nein!“, sagte er, wo es ihn wirklich Kraft kostete, diese Worte auszusrepchen, da er wusste,es sah, wie sehr sie daran hing und hoffte, dass er es konnte. „Diesen Wunsch kann ich Euch leider nich erfüllen!“

Lumens Körper fühlte sich an wie betäubt, als er diese Worte aussprach und sie sah ihre Hoffnung, ihre Mutter wiederzusehen, Stück für Stück zerbrechen. Es war eine aus Trauer geborene Hoffnung und sie hatte sich daran festgehalten, wie eine Ertrinkende. Nun aber machte er diese zunischte und sie fühlte sich leer. Gerne hätte sie ihn dafür gehasst, aber sie konnte es nicht. Sie war zu aufgewühlt, so traurig, als das sie etwas wie Hass oder Wut fühlen konnte. Gerade wollte sie wieder anfangen zuweinen, weil sie nicht anders konnte und das Gesicht in den Händen vergraben, als der Magier diese wegzog und schnell darauf sagte:„ Aber ich…ich kann dir deinen Vater und deine Schwestern zeigen!“

Lumen sah ihn an, als sei sie aus einem schlimmen Traum erwacht. Als wäre er derjeinige, der aus daraus geweckt hatte. Sie war wie vom Blitz getroffen. Konnte es wirklich sein…?

Hatte er sie um ersten Mal persönlich angesprochen?

Sie wollte es nicht glauben, hatte auch keine Zeit, um es richtig zu begreifen, denn der Magier nahm sie bei der Hand und zog sie mit sich. Vorsichtig aber dennoch bestimmt. Entschlossen und bereit ihr zuhelfen. Lumens Herz begann wieder zurasen und sie fragte sich, was er vorhatte. Als sie in sein Zimmer kamen, sprach er eine Formel, in einer ihr unbekannten Sprache und nach wenigen Sekunden wurde der Raum, der vorhin in Dunkelheit lag, von kleinen Kerzenflammen erhellt, die in der Luft schwebten und die Finsterniss verscheuchten. Die Schatten, die sich darin heimisch gefühlt hatten, wischen zischend und ängstlich zurück. Doch Tenebrae achtete nicht darauf, sondern bat Lumen dort stehen zubleiben, wo die Lichter am dichtesten schwepten und ging zu einer Truhe, die schon lange nicht mehr geöffnet wurde. Als er sie öffnete, stob eine Wolke Staub auf und er begann darin zu suchen. Dabei zog er alte benutzte Stoffe hervor, warf Sachen aus der Kiste, die ihm in Weg lagen und schimpfte, weil er nicht das fand, was er suchte. Was auch immer das war. „Argh, wo habe ich das blöde Ding nur…nein, nein das ist es auch nicht. Verdammt!“, schimpfte er weiter und Lumen musste ein Lächeln unterdrückte. Wer hätte gedacht, dass er auch schimpfen konnte, wie ein Rohrspatz. Er überraschte sie immer wieder, wenn sie es nicht erwartete. Aber dann fragte sie sich noch umso mehr, was er da suchte. Gerade wollte sie ihn darauf ansprechen, als er sich aufrichtete und stolz sagte:„ Ah, hier ist er. Wusste ich es doch!“

Dann drehte er sich um und hielt einen Spiegel in der Hand. Er musste schon viele Jahre dadrin gelegen haben und auch nicht mehr benutzt worden. Das Glas des Spiegels war schmutzig von dem Staub, der darin gelegen hatte und Lumen meinte darin einige Kratzer und Risse zusehen. Jedoch war der Spiegel sich schön. Der Griff war schmal und war wie gemacht für die Hand einer Dame. Der Spiegel musste einst mit Gold lakiert gewesen sein. Der Rand war wie die Rangen einer Pflanze, in einander verschlungen. Kleine Rosenblätter waren daran befestigt. Sie kam näher. Die Lichter folgten ihr. Ließen sie nicht allein. Sie blieb neben dem Magier stehen und sah den Spiegel bewundernt an. Und auch wenn dieser Spiegel alt und nicht besonders aussah, spürte sie, dass es sich herbei nicht um einen gewöhnlichen Spiegel handelte. „Was…was ist das für ein…Spiegel?“, fragte sie ihn ehrfürchtig und berührte den Spiegel mit ihren Fingerspitzen. Vorsichtig. Aus Angst, dass er zerspringen würde. „Dieser Speigel ermöglicht dir, alles zusehen, was du möchtest. Sage einfach, was du sehen willst und er wird es dir zeigen. Jeden auf dieser Welt!“, sagte er und wieder sprach sie an, als würden sie engmiteinander befreundet sein. Lumens Herz hüpfte nun und sie fürchtete, er würde das wilde Schlagen hören. Er reichte ihn ihr und als sie in die Hand nahm, fühlte sie, wie warm der Griff war. Es lief ihr kalt den Rücken runter und sie blickte den Magier an. „Wirklich?“, fragte sie wie ein begriffsstutziges Kind und er nickte. „Sage einfach, wen du zu sehen wünschst!“, meinte er nur und Lumen schaute in den Spiegel. Wischte dann mit der Hand darüber, damit der Staub verschwand. Unschlüssig und mit einem leisen Zweifel, schaute sie hinein. Zögerte kurz, weil sie es nicht so daran recht glauben wollte, aber dann sagte sie sich, das sie nichts zu verlieren hatte und sagte dann laut:„ Zeige mir meine Schwestern, bitte!“

Das Glas des Spiegels leuchtete nach ihrer Bitte schwach in einem blauen Licht auf, wurde dann heller, bis es Lumen blendete. Der Spiegel wurde immer wärmer, doch nicht so heiss, dass sie sich die Hand verbrannte. Als ein Lufthauch aus dem Spiegel strömte, schaute sie hinein. Sie sah den Garten, im Schloss ihres Vaters, den sie so sehr geliebt hatte. Doch keine Spur von ihren Schwestern Lumen schaute den Magier an, wollte wissen warum sie sich nicht sah. Da hörte sie die Stimme ihrer älteren Schwester, wie sie nach Cor rief und Cor rief zurück. Sie tauchte so plötzlich im Spiegel auf, dass Lumen glaubte, sie sei aus dem Nichts erschienen wie ein Geist und an ihrer Hand hielt sie den Hauptmann. Beide wirkten wie ein junges Päarchen, das man bei dem verbotenen Kuss erwischt hatte. Vermutlich waren sie das auch. Lumen musste lächeln, als sie sah, was für einen Blick sie miteinander tauschten. Kaum bin ich nicht mehr da, schon muss Cor meinen Platz als die Tochter einnehmen, die macht, was sie will und sich gegen die Regeln hinwegsetzt, dachte sie und ihre Augen begannen wieder zubrennen. „Cor, dürfte ich fragen, wo du mit dem Hauptmann so schnell verschwunden bist?“, fragte Fortitudo mit den Händen in die Hüfte gestemmt und ihre Stimme hatte denselben Klang, wie die von der Amme, wenn sie sie damals, als sie noch klein war, mit den Fingern in der Keksdose erwischt hatte. Oder auch beim Schwänzen des Unterrichts. Was sich so alles getan hatte, während ich hier war, dachte sie. Cor schaute unschuldig drein und verschränkte die Hände hinter dem Rücken. „Ach, nichts. Ich wollte dem Hauptmann nur zeigen, wie üppig unsere Kleiderschränke sind!“, sagte sie und zwinkerte Hauptmann Fidus verschwörisch zu. Dieser erwiederte diese Geste. „Das kannst du sonst wem erzählen, Schwesterherz!“, sagte sie und unterbrach damit das Gekicher der beiden. „Mir brauchst du nicht so kommen. Mich kannst du nicht an der Nase herumführen, wie unsere Amme!“, meinte sie. „Meinst du, ich habe nicht gesehen, wieoft ihr euch heimlich trefft. Du solltest dich wirklich schämen. Ich dachte immer, Lumen sei leichtsinnig und wie ein kleines Kind!“

Da wurde das Lächeln aus Cors Gesicht hinweggewischt und sie sah gekränkt aus. Auch Fortitudos Gesicht wurde nun traurig, weil sie wusste, dass sie was Falsches gesagt hatte. „Verzeih mir. Es…es ist nur so, dass sie mir fehlt. Jeden Morgen wache ich auf und gehe in ihr Zimmer, weil ich hoffe, dass das nur ein böser Traum war. Ich fühle mich so schuldig, weil ich sie nicht schützen konnte. Ich habe kein Recht, soetwas zusagen!“, sprach sie und Lumens Unterlippe zitterte. Sie hatte sich gedacht, dass es doch nicht so weiterging, wie sie es sich gewünscht hatte. Doch es traf sie hart und sie musste den Spiegel festhalten, um ihn nicht fallenzulassen. Ihre Schwester gab sich die Schuld, wobei es nicht stimmte. Sie hatte alles getan, um sie zu schützen. Zugerne hätte sie etwas gesagt, doch ihre Kehle war wie zugeschnürt. „Kö-können sie mich hören?“, fragte sie. „Nein. Sie können dich auch nicht sehen. Nur kannst sie hören und sehen!“, sagte er und Lumens Hand zitterte. Er wollte schon nach dem Spiegel greifen, um ihr noch mehr Kummer zuersparen. Doch Lumen zog den Spiegel weg und sah weiterhinein. Sie wollte ihre Familie sehen, mochte es schmerzen. Es war ihr egal. So sah sie weiterhin in den Spiegel und sah die Sorge in den Gesichtern ihrer Schwestern. Hauptmann Fidus legte tröstend den Arm um sie. Lumen sah dem jungen Mann an, dass er nach den richtigen Worten suchte, sie aber nicht fand. Was sollte er auch schon sagen?

Alles wird gut. macht Euch keine Sorgen. Es wären bloss Lügen gewesen, die die schmerzliche Wahrheit verbergen sollten. Dabei wollte Lumen am liebsten zu ihnen rufen und sagen, dass es ihr gutgeht. Doch sie war nur stummer Zuschauer und konnte nichts tun. „Mach dir keien Vorwürfe. Du…du hast es versucht!“, sagte ihre Schwester Chor und Lumen war froh, dass ihre Schwester dasgleiche dachte, wie sie. Dann folgte Schweigen. „Wie geht es eigentlich Vater?“, fragte Cor dann und etwas an dem Klang ihrer Stimme ließ Lumen das Schlimmste befürchten. Fortitudo schüttelte den Kopf und ihr Gesicht wurde niedergeschlagener. „Es geht ihm nicht besser. Aber auch nicht schlechter. Doch er…er macht sich schreckliche Vorwürfe. Ebenso wie ich. Nur zerren seine an seinem Körper und an seiner Kraft. Er…ich habe Angst, dass er…!“, flüsterte Fortitudo und konnte ihre Tränen und ihre Sorge nicht zurückhalten. Lumen wusste, dass ihre Schwester in vielen Schlachten mitgekämpft und auh viele ihrer treuen Mitstreiter verloren hatte. Hatte um sie getrauert und die Hinterblieben getröstet. Dabei war sie immer gefasst gewesen. Auch wenn es sie selbst schwer zusetzte, sogar für Nächte voller Alpträume sorgte, war sie dennoch eine Prinzessin, die sich beherrschte und ihr Innerstes wahren konnte. Aber wie es aussah, machte sie der kritische Zustand ihres Vaters sehr zuschaffen und sie konnte verstehen, dass sie weinte. Auch sie weinte. Und so war es auch kein Wunder, dass Lumen als nächstes ihren Vater sehen wollte.

Das Bild wurde verschwommen, wurde von Schlieren durchzogen, wie bei Wasser, wenn es sich kräuselte. Dann wurde es wieder klar und sie sah ihren Vater, der auf dem Thron saß. Nach den Worten ihrer Schwester hatte sie schon befürchtet, dass es schlecht um ihn stand, aber als sie sah, wie schlecht, glaubte sie den Boden unter den Füssen zu verlieren. Sein schwarzes, kurzgeschnittenes Haar, war ergraut und hatte lichte Stellen. Sein Gesicht, das einst so voller Kraft und Leben war, war eingefallen und glich dem eines alten Mannes. Sein ganzes Aussehen war das eines gebeutelten und schwachen Menschen, der alles in seinem Leben verloren hatte. „Vater!“, flüsterte sie. „Vater!“, hörte sie ihre älterte Schwester sagen und ihr Vater sah auf. Seine Augen hatten kaum noch Leben in sich. Und es ließ Lumen kalt werden. „Gib dir doch nicht länger die Schuld. Du wirst daran noch zu Grunde gehen!“, sagte Prinzessin Fortitudo und legte ihre Hand auf die ihres Vaters. Ihr Vater sagte darauf nichts, sondern schaute nur vor sich hin. Er schien gar nicht mehr richtig dazusein und Lumens Angst und Sorge wurde immer größer. Dann aber schien doch noch Leben in ihren Vater zu kommen. Er sah seine ältere Tochter an und schüttelte den Kopf. „Wie soll ich mir dabei nicht die Schuld geben? Hätte ich nie eingewilligt, wäre deine Schwester noch bei uns!“, sagte er. Fortitudo wusste nicht, was sie darauf erwiedern sollte. Er hatte Recht. Sie hätten nach einer anderen Möglichkeit suchen und nicht auf das Angebot des Magiers eingehen sollen. Aber der König hatte wohl keine andere Wahl gehabt, da selbst seine Magier nichts gegen die Armee, die hinter den Toren seines Reiches anrückten, unternehmen konnten. Aber jetzt bereute er es und wünschte sich, es rückgängig machen zu können.

„Ich frage mich immer wieder, wie es ihr geht. Ob sie noch lebt?“, flüsterte er. „Oder ob sie nicht schon längst…!“

Seine Stimme versagte und er barg das Gesicht in seiner Hand. „Nein, Vater. Ich lebe und es geht mir gut!“, schrie Lumen, auch wenn sie wusste, dass er sie nicht hören konnte. Aber sie ertrug es nicht, ihn so leiden zusehen. Ihre Schwester konnte darauf nichts sagen. Sie wurde von der gleichen Angst geplagt. Der Gedanke, dass ihre kleine Schwester nicht mehr am Leben war, ließ sie wahre Höllenqualen erleiden. „Du darfst nicht daran denken. Sonst…sonst wirst du niemals wieder gesund. Und das Volk braucht dich. Wir brauchen dich!“, sagte Fortitudo und legte ihre Hände auf die Schultern ihres ausgezerrten Vaters. König Sapientias Gesicht verzog sich bei diesen Worten zu einer schmerzlichen Maske und er berührte ihre Hand mit den Fingerspitzen. „Ich weiss, aber selbst ich habe keine Kraft mehr!“, sagte er und Lumen glaubte völlig den Verstand vor lauter Sorge zuverlieren. „Nein, Vater. Du darfst nicht sterben!“, schrie sie verzweifelt. Einmal mehr wünschte sie sich, dass man sie auch hören konnte, wie sie ihre Schwestern und ihren Vater. „Vater…bitte…strib nicht!“, wimmerte sie. Da begann aufeinmal das Bild im Spiegel zuverschwimmen. Ließ die Konturen, die vorher glasklar waren, nun milchigtrüb werden und erneut schien es, als würde sie durch sich kräuseltes Wasser sehen. Dann wurde die Spiegelfläche, die vorhin noch ihre Familie gezeigt hatte, dunkel und sie sah ihr eigenes Gesicht. „Was…nein…ich möchte meinen Vater sehen!“, kam es schrill aus ihr und sie schüttelte den Spiegel. Hoffte so ihn wiederzusehen, doch der Spiegel gehorschte ihr nichts und Lumen sank in die Knie. Drückte dabei den Spiegel fest an sich und schluchzte. Tenebrae blickte auf sie nieder und konnte sich gut in sie hineinversetzen. Konnte den Schmerz, den sie erlitt, gut nachvollziehen. Auch wenn er wieder von dunkler, alles verschlingender Wut gepackt wurde, als er ihn sah und ihn dann kalte Genugtuung erfüllte, als er sah, wie sehr es den König schmerzte, seine geliebte Tochter nicht mehr zusehen, ließ der Kummer der Prinzessin ihn nicht kalt. Mit einem Male bereute er, dass er ihr den Spiegel gegeben hatte, damit sie ihre Liebsten wieder sehen konnte. Was mochte nun in ihr vorgehen?

Wie würde sie jetzt denken und was würde sie nun tun wollen?

Tenebrae befürchtete, dass sie sich nun niemals hier wohlfühlen würde. Oder gar hier glücklich sein würde. Was konnte er ihr schon geben, damit sie ihre Traurigkeit vergass. Nichts, denn er wusste selber nur zugut, dass nichts und niemanden die Familie ersetzen konnte, die man verloren hatte. Er kniete sich neben sie, legte behutsam die Hände auf ihre Schultern. Wollte sie an sich heran ziehen, um sie zu trösten. Doch da sprang die Prinzessin auf und eilte weinend davon.

Blind mit Tränen in den Augen, rannte sie aus dem Zimmer des Magiers und hörte nicht sein Rufen. Fand wie von selbst den Weg in ihr eigenes Gemach und warf sich aufs Bett. Weinte, wobei sie gedacht hatte, keine einzige Träne mehr weinen zu können. Aber der schreckliche Anblick, den ihr Vater bot, nahm sie sosehr mit, dass sie doch noch Tränen vergießen konnte.

Sie fühlte sich in diesem Moment ohnmächtig vor Angst und Sorge und war nicht in der Lage, klar zu denken.
 

Tenebrae hatte gesehen, dass es die Prinzessin nicht zurückhalten konnte und Zweifel nagten an ihm. Hatte er das richtige getan, oder doch nicht eher schlimmer gemacht?

Er hätte sich denken sollen, dass die Prinzessin so reagieren würde, wenn sie sah, wie es ihren Liebsten ging. Dennoch hatte er ihr den sehenden Spiegel gegeben, weil er hoffte, so ihre Niedergeschlagenheit zuvertreiben. Nun hatte er gesehen, was er damit angestellt hatte und er sah den Spiegel als etwas an, was er am liebsten in kleine Stücke gehauen hätte. „Was habe ich getan?“, fragte er und sein Gesicht verzog sich wütend. Wütend über sich selbst, weil er so dumm gewesen war zuglauben, er würde ihr einen Gefallen tun. Mit einer zornigen Handbewegung legte er, nein schleuderte er eher den Spiegel in die Kiste zurück und schloss diese genauso. Stützte sich dann auf dem Deckel ab und atmete schwer ein und aus, als habe dies alles die Luft aus seinen Lungen getrieben. Sein Herz musste dabei ebenso in mit Liedenschaft gezogen worden sein, denn es schlug so schnell, dass er fürchtete es würde zerspringen. Minuten lang blieb er so gebeugt stehen und holte Luft. Versuchte sich zuberuhigen. Comitas kam herein und wollte sich erkundigen, ob es ihm gutginge. Aber als er sah, in welch einer Verfassung sein Herr war, eilte er sofort zu ihm. „Herr, etwas nichts stimmen?“, fragte er. Tenebrae hob nur die Hand, wollte seinem Diener damit verständlich machen, dass er jetzt nichts dazusagen will. Aber seine Zunge war schneller als sein Verstand. „Habe ich…einen Fehler gemacht, Comitas? War es ein Fehler, ihr ihre Familie zuzeigen. Sie wird garantiert jetzt nachhause wollen. Jetzt wo sie gesehen hat, wie schlecht es ihrem Vater geht!“, flüsterte er und sprach damit seine leise, aber kalte Befürchtung aus. Comitas sagte darauf erstmal nichts, denn wenn er nicht die Worte aussprach, die seinem Herrn halfen, würde er noch mehr in seine Furcht hinabgleiten.

„Ihr es doch nicht böse gemeint habt. Ihr ihr nur helfen wolltet. Sie es sicher so verstehen!“, sagte er und kam näher. Tenebrae schleppte sich zum Ohrensessel und ließ sich darin nieder. „Aber was wenn sie es so sieht. Du hast sie doch sicherlich gesehen, wie aufgelöst sie war!“, murmelte er. Comitas verbiss sich da die Antwort. Er hatte sie nur weinend wegrennen sehen. Was genau passiert war, wusste er nicht. Aber jetzt wurde es ihm klar und er musste feststellen, dass es alles andere als leicht sein würde, seinen Herren Mut zumachen. Er wusste auch nicht, wie er das bewerkstelligen konnte. Sie waren an einem Punkt angelangt, an dem selbst ihm guter Rat teuer war.
 

Als der nächste Tag anbrach und Comitas wieder immer das Frühstück brachte, verspürte Lumen keinen Apetitt, mochte es noch so lecker aussehen und ebenso riechen. Die Angst, dass ihr Vater sterben würde, überwog alles andere. Nicht mal die weise Rose, die dabeilag, vermochte es, sie zu trösten. Lumen bedankte sich nur und stellte sich vors Fenster, wo sie hinaussah.

Den ganzen Tag stand sie so da. Aber irgendwann hielt sie es nicht aus, weil sie glaubte, die Decke würde ihr auf den Kopf fallen, zog sich was anderes an und wanderte durch das Schloss, nicht jedoch ohne die Kette, die der Magier ihr gegeben hatte. Bei diesem Gedanken musste sich erinnern, wie er sie angesprochen hatte. So persönlich, freundschaftlich. Als wären sie nicht länger fremd miteinander. Das hatte ihr Herz hüpfen lassen. Ebenso als er ihr den Spiegel gab, damit sie ihre Familie wiedersehen konnte. Auch wenn es sie schmerzte. Aber er hatte es nur gut gemeint und konnte ja nicht wissen, was sie da zusehen bekam. Dass sie halsüberkopf davon gelaufen war, bereute sie sehr. Er musste jetzt sicher denken, dass es seine Schuld war, dass sie außer sich war und sie ging zu ihm. Doch als sie an der Tür klopfte, öffnete er ihr nicht. Auch nicht als sie zum zweiten und dann zum dritten Mal anklopfte. Noch eine Weile blieb sie vor der Tür stehen, in der Hoffnung, dass er ihr dennoch öffnen würde. Als er es jedoch nicht tat, seufzte sie schwer und ging weiter. Sie wusste nicht, wieso, aber plötzlich fand sie sich am Fusse der Treppe, die hinauf in den Turm führte. Der Turm, in dem die Harfe stand. Lumen biss sich auf die Unterlippe, weil sie nicht so recht wusste, ob sie wirklich hinaufsteigen sollte. Als sie zuletzt dort oben war, hatte sie es sich mit dem Magier gründlich verdorben und er hatte sie erstmal links liegen lassen. Keine schöne Erinnerung.

Dennoch schien die Harfe sie wieder zulocken und Lumen versuchte zuerst dagegen anzukämpfen, doch dann gab sie nach und schritt die Stufen hinauf. Nichts hatte sich verändert. Der Raum war so geblieben, wie sie ihn verlassen hatte und das Herzstück bildete die Harfe. Lumen blieb eine Weile in der Tür stehen, schaute zur Harfe, deren Rufen etwas leiser geworden, aber nicht gänzlich verstummt war. Im dämmrigen Licht meinte Lumen zusehen, wie die Saiten ein Eigenleben entwickelten und sich bewegten. Bildete sie sich das wirklich ein, oder war das wirklich?

Lumen ging näher heran und mit jedem Schritt, den sie machte, wurde sie sich bewusst, dass sie sich das doch nicht eingebildet hatte. Die Harfe lebte!

Auch als sie schon daneben stand und sich auf den Hocker setzte, spielte sie weiter. Dann aber verstummte sie und Lumen sah sich lange mit unergründlichen Augen an. War das das Werk des Magiers oder das von Comitas, das die Harfe selber gespielt hatte?

Möglich wäre es. Und dass sie sie nicht sah, musste nichts bedeuten. Schließlich hatte sie ja erlebt, dass der Magier einen Zauber aussprechen konnte, ohne dass er sehen musste. Und dennoch irgendwas war anders. Diese Harfe hatte eine ganz andere Musik gespielt. Nicht die, die sie in ihren Träumen zu Anfang gehört und dann selber gespielt hatte. Sondern eine andere, traurige Melodie, die von kaum gestillter Sehnsucht erzählte und ihr die Tränen in die Augen zu treiben drohte. Minuten lang saß sie da. Wusste zunächst nicht, was sie hier oben machen sollte. Auf der Harfe spielen kam für sie nicht mehr in Frage, da sie fürchtete, dass wenn sie jetzt spiele, dass sie wieder weinen würde. Also saß sie nur da und schaute zur Harfe. Dann streckte sie dennoch die Hand aus und kurz strichen ihre Finger über die feinen Saiten. Ein schwacher Ton wurde dardurch hervorgelockt und Lumen erfasste nun doch das Verlangen zu spielen. Es war als wolle die Harfe sie dazubringen und Lumen konnte nur schwer dagegen ankämpfen. Schlussendlich begann sie doch an den Saiten zuzupfen. Zu ihrem Erstaunen schwand die Niedergeschlagenheit und sie fühlte sich leicht und unbeschwert. So als habe die Musik ihr das fortgenommen, was sie schwerbedrückte. Sie hätte den ganzen Tag so spielen können. Ihr tat die Musik gut und ließ sie träumen. Und vergessen. Doch damit war es schnell vorbeisein, denn Tenebrae stand in der Tür und hatte zugehört. Hatte sich bis jetzt nicht gerührt, doch dann war er näher herangetreten. „Geht es Euch besser?“, fragte er sie, so plötzlich, dass die Prinzessin hochgeschreckt war und ihn ansah, wie ein Gespenst. Dann nickte sie. „Ja, ich…tut mir leid, wenn Ihr wegen Kummer hattet!“, flüsterte sie. Tenebraes Augen wurden groß als sie das gesagt hatte und fragte sich sogleich, woher sie das wusste. Ließ sich aber nichts anmerken und winkte ab. „Ihr braucht Euch nicht zuentschuldigen. Es war auch meine Schuld. Wenn ich Euch den Spiegel nicht gegeben hätte, wärt Ihr niemals…!“, wollte er sagen, doch da war Lumen aufgesprungen. „Unsinn…es war gut, dass Ihr mir diesen Spiegel gegeben habt und dafür bin ich Euch dankbar!“

Lumen hatte jedes Wort ernst gemeint. Sie war ihm dankbar, auch wenn sie sich dies erst jetzt bewusst wurde und sie spürte, wie ihr ein schwerer Stein vom Herzen fiel. Dem Magier schien es nicht anders zu gehen, denn er nahm kurz ihre Hand in seiner. Drückte sie. Lumen schaute zu ihm hinauf. In ihren Augen lag Erstaunen und aber auch eine gewisse Zuneigung. „Ich…ich weiss nicht, wie ich Euch danken soll!“, flüsterte sie und senkte den Blick, weil sie ganz verlegen wurde. „Wenn Ihr einen Wunsch habt, dann…dann sagt ihn!“

Halt den Mund, schrie die Stimme der Vernunft in ihrem Kopf, aber es war zuspät und sie bereute ihre Worte auch nicht. Sie stand in seiner Schuld, wenn sie es so sah. Zwar wusste sie auch, dass sie damit einen Fehler machen würde, aber sie hatte lange genug seine Gutmütigkeit ausgenutzt, ohne ihm etwas zurückzugeben. Tenebrae sah sie einen Moment lang an und musste ein wenig lächeln. Dann hob er ihre Hand an seine Lippen und hauchte ihr einen Kuss auf den Handrücken. „Dass Ihr Euch hier wohlfühlt und mich in Eurer Nähe duldet, ist mir Dank genug!“, sagte er. Nein, es muss da noch mehr geben, hallte es in ihr und wollte es auch aussprechen, doch der Blick, den der Magier ihr zuwarf, brachte sie zum schweigen. Und sie fragte sich, ob er das ernst meinte. Warum nicht. Er hatte ja selber gesagt, er wollte, dass sie sich wohlfühlte. Aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass er sich damit zufrieden geben würde. Tief in ihrem Inneren wusste sie es. Und sie überlegte jetzt schon, welchen Gefallen sie ihm tun würde. Als ihre Gedanken dabei in eine Richtung gingen, die ihr Röte ins Gesicht trieb, verscheuchte sie diese und ermahnte sich, nicht an sowas zudenken.

Trotz dass sie sich zum ihm hingezogen fühlte, sollte sie nicht vergessen, dass sie eine Prinzessin war. Auch wenn es ihr schwerfiel, seinen Blicken, die die reinste Verlockung waren, zu wiederstehen.

„Gehen wir runter. Hier oben ist es stickig!“, sagte der Magier, dem das Schweigen unbehaglich wurde und führte die Prinzessin hinunter. Ohne ein Wort zuwechseln, gingen sie die Stufen hinunter. Hinundwieder sahen sie sich einander ratlos an. Immer wenn der andere es nicht sah. Als sie im Flur standen, wollte der Magier sich wieder in sein Gemach zurückziehen, doch Lumen hielt ihm am Arm zurück. Jetzt allein zusein, erschien ihr unerträglich. Sie wollte aufeinmal in seiner und nur in seiner Nähe sein. „Nein, geht bitte nicht!“, flehte sie und klang dabei wie ein verängstigtes Kind. Tenebrae sah sie für einige Minuten verwirrt an. Dann wirkte sein Gesicht so als haderte er mit sich. Als würde er nicht wissen, was er tun wollte. Zugerne wäre er bei ihr geblieben. Hätte sich mit ihr unterhalten. Doch er wusste auch, dass er das nicht konnte. Er hatte sich schon vielzuweit aus dem Fenster hervorgebeugt. Und wenn er nicht aufpasste, würde er stürzen. Dass ihn dies nun gerade jetzt durch den Kopf, kam ihm lächerlich vor. An sowas hätte er schon früher denken sollen. Nun war es eigentlich zuspät. Aber jetzt, wo sie sich an ihm klammerte, überkam ihn dieser Gedanke nun und er fragte sich, ob er nicht hier einen Schlussstrich ziehen sollte. Dabei sah er zu ihrer Hand, die ihm am Arm hielt. So als wollte sie ihn wirklich nicht gehen lassen. Kurz biss er sich auf die Unterlippe, dann holte er tief Luft und sprach die Worte aus, die gegen jede Vernunft war. „Also gut. Wohin soll ich Euch begleiten?“

Lumen war nun an der Reihe etwas veriwrrt zusein. Dass der Magier ihr die Entscheidung übergab, wohin sie mit ihm gehen wollte, überraschte sie und machte sie auch etwas unsicher. „Ähm…nunja…!“, überlegte sie und schaute den langen Flur entlang. Außer der Küche und der Bibliothek fiel irh kein angenehmer Ort, an dem sie gern verweilte. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Magier gerne dabei stand, während sie sich in ihre Küchenmagdtracht warf und Brot backte. Blieb also nur die Bibliothek. „Ich würde gerne wieder in die Bibliothek gehen!“, sagte sie und versuchte dabei ruhig zu klingen. Tenebrae nickte nur.

Nach wenigen Minuten waren sie in der Bibliothek und Lumen versuchte ihre aufkommende Anspannung zubekämpfen. In all der ganzen Zeit hatte sie die Bibliothek als ihr kleines Reich gesehen, in das sie sich zurückziehen konnte. Nun aber würde sie dies mit dem Magier teilen und eigentlich war ja er der Herr über dieses Schloss. Ihm gehörte alles hier. Von der kleinsten Nische bis zum größten Stein. Alles war seins. Ebenso sie. Dabei wurde ihr ganz anders und sie verscheuchte diesen Gedanken. Sie war nicht sein Eigentum. Sondern sein Gast. Aber irgendwie schien ihr das nicht mehr zureichen. Sie wollte mehr für ihn sein. Doch sie traute sich nicht länger und genauer darüber nachzudenken. Es war ihr peinlich.

Tenebrae führte sie zu dem Diwan, wo sie sich niederleiß. Der Magier selbst setzte sich in einen Sessel, schaute sie an. Und Lumen rutschte nervös hinundher. Der Blick, mit dem er sie bedachte, war unergründlich. Forschend. Als würde er sie das erste Mal sehen.

Lumen schaute kurz zu ihm, dann nahm sie sich ein Buch und begann darin herumzublättern, ohne auch nur einen Satz zulesen. Sie wollte sich ablenken, um nicht seinen Blick zusehen, der sie malzumal verschlang. Sie in seinen Bann zog. Sie konnte es regelrecht fühlen, wie er an ihr zog und sie an sich fesselte. Ein Schauer rann ihr über den Rücken. „Bitte hört auf, mich so anzusehen!“, sagte sie nach einer Weile. „Wie sehe ich Euch an?“, fragte er.

„Ihr…Ihr seht mich auf eine Art an, die…die mich frösteln lässt!“, sagte sie und das Gefühl, dass er in sie hineinsehen konnte, nahm immer mehr zu. „Wirklich? Das ist mir nicht bewusst!“, sagte er und das beklemmende Gefühl wich augenblicklich. Lumen atmete dadurch etwas ruhiger und sie traute sich wieder, ihm ins Gesicht zusehen. Nun schien der Magier ganz woanders zusein. Er ließ den Blick durch die Bibliothek wandern, als würde er etwas suchen. Etwas, was sie nicht sehen geschweige denn greifen konnte. Gern hätte sie gewusst, was es war, denn so wie er umherschaute, schien es ewas wichtiges, für ihn Bedeutendes zusein.

Tenebrae konnte nicht sagen, wie lange er schon nicht ehr hier gewesen war. Früher, als sein Leben noch unbeschwert war, hatte er hier Stunden verbracht. Hatte sich in den Büchern, die er genauso so sehr liebte einst seine Violine, vertieft. Schien selber in die Rolle des Helden geschlüpft zusein und erlebte dessen Abenteuer. Kämpfte gegen schreckliche Ungeheuer und böse Hexenmeister. Bestand Prüfungen und löste schwierige Rätsel, die einem das Leben kosten konnten, wenn man diese nicht löste oder bestand. Und eroberte die Herzen von jungen, schönen Mädchen, die in Not geraten waren. Ihm wurde schmerzlich bewusst, dass er sich nach dieser Zeit sehnte. Jetzt wo er nach all der ganzen Zeit wieder hier saß. Doch genauso wie seine verloren Eltern, konnte auch diese Zeit nicht wiederkehren. Tenebrae schloss die Augen, versuchte das Bild seiner unbekümmerten Jugend zuvertreiben, weil es ihm tausend Stiche ins Herz versetzte.

Lumen sah, dass es dem Magier nicht gut ging. Dass ihn etwas plagte. Und sie konnte ihn nicht so sehen. „Tenebrae, stimmt etwas nicht?“, fragte sie und holte ihn so aus seinen Gedanken. Er schüttelte kurz den Kopf, um die letzten Reste seiner Erinnerung zuverwischen. Er war viel zusehr in seinen Erinnerungen versunken gewesen, als das er mitbekam, dass sie ihn mit seinem Nabem ansprach. „Nein, alles in Ordnung!“, sagte er und seine Stimme klang dabei mehr als bedrückt. Lumen sah ihn an und wusste sofort, dass seine Worte eine Lüge waren und auch wenn sie es eigentlich gut sein lassen sollte, wollte sie nicht, dass dies weiterhin für ein schweres Schweigen zwischen ihnen sorgte. „Tut mir leid, wenn ich Euch Kummer mache!“, murmelte sie und wandte den Blick ab. „Wie kommt Ihr nur auf solch einen absurden Gedanken?“, fragte er. Lumen hob nur die Schultern. „Immer wenn ich Euch so sehe, habe ich das Gefühl, als würde ich schuld daran haben. Ich allein!“, sagte sie und ihre Stimme klang nun auch brüchig. „Es ist so als hätte ich, ohne es zubeabsichtigen, etwas in Euch bewirkt, was nicht sein sollte. Und ich fürchte mich davor, dass Ihr deswegen mich nicht mehr…nicht mehr ertragen könnt!“, erklärte sie leise und der Magie sah sie einen langen Moment schweigend an.

Schluckte dann. Soweit war es nun gekommen, schoss es ihm durch den Kopf. Sie hatte seine Gedanken, die er stets sogut verschlossen hatte, ausgesprochen und er fragte sich, ob er so leicht zudurchschauen geworden war. Es machte ihn etwas Angst, weil es noch nie einer vor ihr vermocht hatte. Und er wusste nicht, wie er damit umgehen sollte. Aber er war auch irgendwie erleichtert. Endlich musste er nicht diese Maske tragen, durch die man keine Gefühle sehen konnte. Vorallem nicht mehr vor Lumen, die der Ursprung für seinen Wandel war. Er würde ihr endlich zeigen können, was in ihm vorging. Da es zumal keinen Sinn hatte, weiterhin zutun, als würde er sich ihre Nähe nicht wünschen. Wenn sie schon seine Gedanken lesen konnte, würde sie schon sehr bald erfahren, was er fühlte. Tenebrae konnte nicht sagen, ob er darüber froh war. Es wäre ihm schon eine Erleichterung, seinen Gefühlen freien Lauf zulassen. Aber er fragte sich, ob es wirklich eine gute Idee war. Er fürchtete sich etwas vor dem was sein könnte. Doch da gab es noch etwas, was ihn beschäftigte. Ihre Angst, dass er ihre Nähe nicht weiterertragen würde. Wie kam sie bloss auf so einen Unsinn?

„Glaubt Ihr das wirklich?“, fragte er und Lumens Kopf ruckte nachoben, sah ihn mit verwunderten Augen an. „Glaubt Ihr, ich könnte wirklich Eurer Nähe überdrüssig sein?“

Lumen wusste nicht was sie sagen sollte. Solche Worte hatte sie aus dem Mund des Magiers nicht erwartet. Zumal er sie ganz leise ausgesprochen hatte, sodass sie wie ein Flüstern, gar wie eine Liebeserklärung klang. Aber das konnte sie sich natürlich auch einbilden. Vielleicht sagte er das nur, um sie von ihrer Schuld freizusprechen. Er sah sie aber nicht dabei an, sondern schaute nur vor sich hin. Schien in fernen Gedanken versunken zusein.

Nun folgte doch noch Schweigen. Tenebraes Worte hatten die Prinzessin nachdenklich gemacht. Und jetzt wo sie so nachsinnte, kam ihr ihre Befürchtung albern vor. Wenn er ihrer überdrüssig gewesen wäre, hätte er schon längst was getan. Hatte er aber nicht. So schüttelte sie nur den Kopf. „Seht Ihr. Hört also auf, an sowas zudenken!“, sagte er und leise sagte er:„ Ihr seid der einzige Mensch, der seitlanger Zeit in meiner Nähe war und es mit mir aushielt!“

Da schaute Lumen ihn an und wollte darauf schon etwas erwiedern. Ihre Stimme aber wollte nicht gehorchen. Zu überwältigt war sie von diesen Worten, die ihm über die Lippen gekommen war und ihr Herz zum rasen brachten. Sie fürchtete schon, dass er das Wummern hören würde. Da stand er auf. Einfach so und so plötzlich und etwas an seiner starren Haltung ließ Lumen fürchten, dass nun alles wieder so war, wie immer. Dass er zu keiner emotionalen Regung fähig war. Oder gar sie wieder unterdrückte. Das konnte sie nicht ertragen. Nicht ein weiteresmal. Also nahm sie ihren Mut zusammen, erhob sich ebenso und nahm seine Hand die ihrige. „Das war mir nicht bewusst. Es…es muss schwer sein, sein ganzes Leben allein zusein!“, flüsterte sie. Daraufhin schaute der Magier zu ihr und dann auf ihre Hand, die beinahe zerbrechlich in seiner aussah. Als wäre sie aus Glas. Tenebrae fürchtete sich davor die Hand zudrücken. Er war nicht in der Lage ich zu rühren. Ihre Worte hatten ihn wie ein Pfeil getroffen und raubten ihm den Atem. Es war schwer für ihn gewesen. Besonders als er noch ein Kind war. Er fühlte sich, nach dem Tod seiner geliebten Eltern so allein und verlassen, dass er am liebsten gestorben wäre. Selbst als es noch Diener, menschliche Diener gab, die noch in seinem Schloss lebten, schafften es nicht, ihren jungen Gebieter zutrösten. Nur Comitas Freundschaft konnte ihn davon abhalten in den Freitod zugehen. Seit diesem dunklen Tag hatte er keine Menschenseele mehr in seiner Nähe gelassen. Bis auf die Diener natürlich, die sich stets bemühten, ihm jeden Wunsch zuerfüllen. Doch die Trauer und der Gram des jungen Herrn waren größer und konnten nicht gestillt werden.

So begann die Finsterniss, welche sich in den Ecken gesammelt hatte und von seinen dunklen gefühlen genährt wurde, auszubreiten. Bis sie das gesamte Schloss erfüllte. Seine Diener hatten die Dunkelheit nicht mehr ertragen.

Einem nach dem anderen zog sie in sich und erstickte jede Kraft und jede Hoffung, die ihr Opfer in sich trug, bis es selbst von Dunkelheit erfüllt war und zu einem Schatten geworden war.

Nur mithilfe seiner dunklen Macht konnte er sie beherrschen und sich vor ihrer Rache schützen. Würde er dies nicht, würden sie sich auf ihn stürzen und ihn zerreissen. Ihn zu ihresgleichen machen. Als die Schatten sich vermehrt hatten, musste er erkennen, dass es kein lebendes Wesen, außer Comitas und seinen Brudern natürlich, länger bei ihm lebte. Und so hatte er sich zurückgezogen. Voller Gram und auch vor Zorn, auf denjenigen, der Schuld an seinem Unglück war. Erst als er gehört hatte, dass der König drei Töchter hatte und die dritte am meisten liebte, schöpfte er neue Hoffnung. Hoffnung auf Rache. Sogleich hatte er sich aufgemacht, um sich das Mädchen anzusehen, dass gelangweilt von den Sitten am Hofe ihres Vaters war und war gebannt von ihrer Schönheit. Aber auch von ihrer Melancholie. Tief in seinem Inneren hatte sich ein Verlangen gemeldet, welches er noch nie verspürt hatte und er erfüllt von dem Wunsch, diese zu besitzen. Nun war sie bei ihm und am anfang erschreckte es ihn, dass sie, eine gewöhnliche Sterbliche in der Lage war, sein Herz, welches als kalt und dunkel galt, rühren konnte. Doch nun wollte er dies nicht missen. Es zeigte ihm, dass er noch in der Lage war, zufühlen. Dass er noch lebte und lieben konnte. Bei diesem Gedanken begann sein Herz schneller zuschlagen, als es üblich war und seine Finger schlossen sich wie von selbst um ihre. Hob dann diese an seine Lippen und hauchte ihr einen Kuss auf den Handrücken. Kaum dass seine Lippen ihre Haut berührten, durchzuckte sie ein elektrischer Schlag und ihr Körper begann zubrennen, wie Feuer. Ihre Knie wurden butterweich. Wie immer, wenn er ihr nur die kleinste Geste von Freundlichkeit machte.

„Ich danke Euch!“, flüsterte er.

Lumen runzelte verwundert die Stirn. Er bedankte sich. Für was denn?

Sie hatte doch nichts gemacht. Doch für den Magier waren ihre Worte mehr als er sich vorstellen konnte. Sie zeugten deutlich davon, dass sie mit ihm fühlte. Dass sie Mitleid mit ihm hatte. Bei einem anderen und auch bei ihr zu anfang, konnte er darauf verzischten. Nun aber war er froh, dass sie es tat. Immerhin ein Mensch auf dieser rauen Welt, der einem wie mir ihr Mitgefühl schenkt, dachte er. Beugte sich dann vor und noch ehe er wusste, was er tat, drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf die Lippen.

Lumen war völlig überrascht, als der Magier ich einen Schmetterlingskuss gab und ein erstickter Laut stahl sich von ihren versiegelten Lippen. Doch dann schloss sie die Augen und überließ sich ganz ihm. Schon immer hatte sie sich gefragt, wie sich seine Lippen anfühlen würden. Ob sie weich und warm waren, wie die Strahlen der Sonne. Oder kalt und hart, wie Stein. Nun wusste sie es und sie war froh, dass das erstere eingetroffen war. Als hätte der Kuss nun auch diese letzten Schranken, die zwischen ihr und ihren Gefühlen zu dem Magier aufgerichtet waren, weggefegt, konnte sie nicht mehr an sich halten und ihre Arme um seinen Hals schlingen. Ihn fest an sich drücken, sodass sie ihm damit deutlich zeigte, ihn nie wieder loszulassen. Auch dem Magier erging es nicht. Zwar konnte er nicht sagen, warum er sie küsste, doch er fühlte dabei die Erfüllung, nach der er sich so sehr gesehnt hatte. Hatte endlich die Antwort auf seine Frage, wie sich ihre Lippen auf die seinen anfühlen würde und ob sie es erlaubte, dass er sie küsste. Dass sie ihn nicht von sich stiess und stattdessen an sich heranzog, war mehr, als es Worte zusammenfassen konnte. Und jetzt wo sie diesen Schritt gemeinsam gemacht hatten und alle Zweifel fort waren, war er nun auch nicht mehr an seine Zurückhaltung und Angst gefesselt und legte seine Arme um sie. Strich dabei mit den Händen über ihren Rücken, woraufhin Lumen schauderte und das ein Kribbeln auslöste, dass durch ihren Körper jagte. Bis in die tiefsten Winkel und in alle Enden und sie zittern ließ. Das Kribbeln schien sich besonders in ihren Brüste zusammeln und sie spürte, wie sich ihre Brustwarzen erhärteten. Sich aufrichteten. Kurz fürchtete sie, dass er dies spüren und sie von sich drücken würde. Doch diese Furcht verblasste schnell, als ein Verlangen sie ergriff, welches ihr selber fremd war und sie kurz vor Scham beben ließ. Sie vermochte nicht zusagen, was es war. Nur das es noch heiser war, als die Sehnsucht, die sie zuvor verspürt hatte und sie alles vergessen ließ, was man sie gelehrt hatte. Zurückhaltung, Frommheit und vorallem, sich immer bewusst zusein, dass man für alles, was man tut einmal die Folgen tragen würde.

Aber konnte es denn verboten sein, wenn man sich seinen Gefühlen hingab?

War es so schlimm, wenn man dem Verlangen, nach einem anderen, erlag?

Dem Verlangen nach einem anderen Körper?

Nach dessen Wärme und Berührungen?

Lumen konnte sich das nur sehr schwer vorstellen. Immerhin wären sie und ihre Schwestern nicht geboren, hätten sich ihre Eltern nicht eben diesem Verlangen gebeugt. Also was war daran verboten, wenn sie es ihnen nun gleichtat. Wie von selbst öffneten sich ihre Lippen und wollten dem Magier Einlass gewähren. Doch noch bevor er ihrer Einladung folgen konnte, löste er abrupt den Kuss.

Verlegen und ungläubig sahen sie sich an. Wie zwei Kinder, die etwas Unüberlegtes getan hatten und nicht sorecht wussten, wie sie damit umgehen sollten. Vorallem Tenebrae. Er war sichtlich erschrocken darüber, dass er so weit gegangen war. Jetzt wo er richtig begriffen hatte, was er gerade getan hatte, packte ihn blanke Panik. Was hatte er sich da nur gedacht?

So würde er es noch viel schlimmer machen. Am liebsten wäre davongestürmt und hätte sich in seinem Gemach eingesperrt. Er bereute, dass er nachgegeben und sich darauf eingelassen hatte. Doch nun war das Kind in den Brunnen gefallen und er konnte es nicht mehr rückgängig machen. Obwohl ein kleiner Teil in ihm es auch nicht wollte. Er hatte den Kuss ebenso genossen, wie sie und er wäre auch weiter gegangen. Aber die Furcht sich zu verlieren, überwog diese Euphorie. Die Schatten würden, wenn er auch nur einmal nachgab, nicht zögern, um ihn zuvernichten. Und sie ebenfalls. Er könnte sich noch vielleicht lange genug wehren, um sie doch zurückzuhalten. Die Prinzessin aber würden sie verschlingen, ihr den Verstand rauben, sodass sie nicht mehr die Kraft hatte, sich gegen sie zuwehren und eine von ihnen wurde. Das wollte der Magier um jeden Preis verhindern. Auch wenn es bedeutete, dass er ihr wieder die kalte Schulter zeigen würde. Dies musste er in Kauf nehmen. So schwer es im auch viel. „Es…es wäre besser wenn ich jetzt gehe. Ich sehe Euch dann zum Abendessen!“, sagte er und klang dabei wie von selbst gefasst und ohne eine Spur von Zittern, wobei er alles andere als gefasst war.

Lumen sah ihn nur an. Rang mit sich und um die Worte, die sie sagen wollte, ihr aber nicht über die Lippen kamen. Nur ein Nicken brachte sie zu stande. Der Magier sah sie noch einen kurzen Moment an. Wankte kurz in seinem Etnschluss, doch dann sagte er sich, dass es das Beste wäre und dass er jetzt weich werden durfte. Er hatte schon genug angerichtet. Als ging er und als er die Tür hinter sich schloss, klang das Einrasten des Türschlosses so, als habe man sie in einen Kerker eingesperrt und die Tür verschlossen. Lumen saß da, wie vom Donner gerührt. Wieder einmal hatte er sie als sie gehofft hatte, endlich sein wahres Wesen und seine Gefühle zuerkennen, vor den Kopf gestossen. Wieder hatte er die Seite, die eine andere an ihm war und die ihr am liebsten war, fortgewischt, wie die Wellen die Fussspuren im Sand. Für einen langen schmerzlichen dachte sie, sie sei der Grund, warum er sich wieder so plötzlich von ihr abgewandt hatte. Aber was hatte sie falsch gemacht?

Sie hatte doch ihn gewähren lassen und um gezeigt, dass sie seinen Kuss mehr als nur gewollt hatte. Was also war so verkehrt gewesen?

Warum tat er ihr das nur an?

Bei dieser Frage kam ihr ein schrecklicher Gedanke. Was wenn es ihm Freude bereitete, sie so zappeln zulassen und mit ihr dieses perfide Katz-und-Maus-Spiel zuspielen. Nein, das würde er niemals tun, schrie es in ihr. So boshaft konnte er nicht sein. Nicht nach dem, was er für sie getan hatte. Dennoch hinterließ sein plötzliches Verschwinden einen bitteren Nachgeschmack und jetzt wo sie wieder ganz allein war, hatte sie auch nicht mehr einen Grund, hier in der Bibliothek weiterhin zu bleiben zulesen. Da sie sich sowieso nicht mehr auf die Geschichten konzentieren konnte.
 

Als Comitas in das Zimmer der Prinzessin trat, brauchte er sie nur anzusehen, dass es ihr nicht gut ging. Wieder machte sie ein langes Gesicht und er fragte sich sogleich, was sein Herr wieder angerichtet hatte. Es grenzte schon beinahe an einem Irrenhaus und Comitas musste einen genervten Seufzer unterdrücken. Dennoch zwang er sich zu einem munteren Lächeln. Die Frage, wie es ihr ging, erübrigte sich natürlich. Lumen schaute aus dem Fenster, als würde sie nicht in dieser sondern in einer anderen Welt sein. Sie hatte ihn wohl nicht bemerkt. Minutenlang blieb er so stehen und wartete darauf, dass sich die Prinzessin umdrehte. Aber sie tat es nicht, sondern blickte unentwegt hinaus und Comitas fragte sich, was sie so sehr in den Bann gezogen hatte. Er ging zu ihr und stellte sich neben sie, blickte hinaus. Die magische Landschaft, die sein Herr für sie geschaffen hatte, veränderte sich in einem stetigen Wechsel. Nichts schien daran falsch oder traurigstimmend zusein. Doch je länger er die Prinzessin so ansah, ahnte er, dass es etwas anderes sein musste, was sie so in sich gekehrt machte. Und es hatte mit seinem Herren zutun. Wie immer!

„Ihr so nachdenklich ausseht. Ihr mir nicht sagen wollt, warum?“, fragte er vorsichtig und Lumen schien noch immer ganz woanders zusein, doch dann drehte sie sich um und als er ihren Blick sah, war er sich sicher, dass sein Herr erneut etwas getan haben musste, was ihr zuschaffen machte. „Solangsam ich nicht mehr weiss, was tun ich soll!“, dachte er.

„Gestern Nacht…da hat mich dein Herr geküsst!“, sagte sie schwach und ihre Stimme zitterte. Comitas Mund klappte auf, als er das hörte. Mit allem hatte er gerechnet, aber nicht damit. Endlich war er doch über seinen Schatten gesprungen. Er hatte sich getraut und den nächsten Schritt getan. Nun war das Eis gebrochen.

Doch warum klang die Prinzessin so niedergeschlagen?

Müsste sie nicht glücklich sein?

„Und warum dann Ihr so traurig seien?“, fragte er und Lumen seufzte. „Ich weiss nicht, was ich davon halten soll. Er…er hat mich, nachdem wir uns geküsst haben, von sich geschoben und gemeint, dass es besser wäre, wenn er jetzt ginge!“, sagte sie und bei Comitas fiel der Groschen. Das war es also!

Und wo vorher Comitas gedacht hatte, dass sein Herr endlich den Mut gefasst hatte, wurde er sich bewusst, dass er sich zufrüh gefreut hatte. Dass doch nicht alles wahrsein kann, dachte er. „Und Ihr nicht gefragt haben, warum?“

„Ich…ich konnte nicht!“, gestand sie. Sie hatte nicht den Mut gehabt, ihn nach dem Grund zufragen. War auch zuverletzt gewesen, als das sie es hätte tun können. Comitas Ärger verflog und er sah sie voller Mitgefühl an. Wie mochte sie sich jetzt dabei fühlen?

Was hatte sein Herr sich nur dabei gedacht. Er müsste doch wissen, dass er sie damit verunsichern würde. Oder war es ihm egal. Comitas konnte und mochte es sich nicht vorstellen. Zwar mochte sein Herr jahrelang in der Dunkelheit gelebt haben und war selber zu einem Teil von ihr geworden, doch seit die Prinzessin hier war, hatte er sich endlich von dieser befreien können. Zumindest hatte es den Anschein gemacht. Hatte er sich etwa geirrt?

Comitas hoffte, dass das alles nur ein Missverständniss oder gar aus einer Laune passiert war.

Denn sonst würde es nicht leicht werden, die Prinzessin davon zu überzeugen, dass er es nicht so gemeint hatte. „Ihr Euch für Abendessen fertig machen solltet. Der Herr sicherlich auf Euch warten!“, sagte er, um die bedrückende Stille, die darauf folgte zu unterbrechen. Lumen wäre es lieber gewesen, diesen Abend nicht mit ihm zuspeisen. Nach dem was in der Bibliothek geschehen war, vermochte sie es nicht noch einmal zusehen.

Zum einen aus Scham, weil sie etwas zugelassen hatte, was sie, nachdem sie darüber nachgedacht hatte, nicht glauben konnte. Zum anderen weil sie sich fürchtete, wieder diesen kalten und gefühlosen Blick in seinen Augen zusehen. Der gar nicht zu dem Mann passte, der eine warme, gütige Seite hatte und dessen Lippen ebenso weich waren.

„Hier. Ich Euch wieder ein schönes Kleid gebracht habe!“, sagte er und versuchte damit zu locken. Sie zu ermutigen, sich anzuziehen. Lumen drehte sich herum, um zu dem Kleid zuschauen, welches Comitas ihr gebracht und aufs Bett gelegt hatte. Sie musste schlucken, als sie es sah. Das Kleid war schwarz. Hatte lange Ärmel, die weit geschnitten waren und eine meterlange Schleppe. Und wie jedes Kleid hatte auch dieses einen Ausschnitt, der sich wagemutig auf der Grenze zwischen sittsam und schamlos befand. Bei dem Anblick des Kleides wurde ihr übel. Aber sie fand es auch passend für ihre jetzige Stimmung.

Mit einem resignierten Seufzen fing sie an sich zu entkleiden und das schwarze Kleid über zustreifen. Sie fühlte sich darin eingeengt und wollte schon ein anderes anziehen. Ließ es jedoch sein. Das letzte was sie wollte war ihn wütend zumachen. Comitas frisierte sie noch einwenig, bevor er sie zum Esszimmer brachte.

Sie bemühte sich gefasst zu wirken und sich nichts anmerken zulassen. Ermahnte sich und sagte sich zum ersten Male, dass sie eine Prinzessin sei und sich durch nichts und niemanden aus der Ruhe bringen lassen durfte. Doch als Comitas die Tür öffnete, sie eintrat und dann den Magier sah, der sie unverwandt anschaute, schmolz ihre Entschlossenheit. Für einen Sekundenbruchteil sah sie sich selber mit dem Magier in der Bibliothek. In seinen Armen. Seinen Kuss erwiedernt. Und dann, als sie sich ihrer Gefühle für ihn sicher wähnte, seine aprupte Flucht. Die ihr das Herz schwer werden ließ. Und es erneut tat. Sie fragte sich, wie er sich wohl ihr gegenüber geben würde. Wie immer kühl und unnahbar. Oder würde er dennoch etwas aus seiner kalten außeren Haltung kommen und ihr zeigen, was er fühlte. Was er für sie fühlte.

Als sie einen verlegenden und vor allem hoffnungsvollen Blick in seine Richtung sah und sah wie er vor sich hinblickte. Die Augen beinahe leer und ohne jede Regung. Lumen fürchtete schon mit einem Leblosen speisen zu müssen, doch als Comitas sie ankündigte, bewegten sich seine Augen zu ihr und das Licht des schwarzen Feuers glimmte darin vor. Etwas Unheimliches lag in ihnen wie schon lange nicht mehr und Lumen machte einen Schritt zurück. Fürchtete sich. Was war nur mit ihm passiert?

„Prinzessin, etwas nicht stimmen?“, fragte Comitas überflüssigerweise und Lumen hätte sich am liebsten auf den Absatz umgedreht und wäre fortgelaufen. Doch sie zwang sich stehen zubleiben und mit schwachem Mut den Kopf zuschütteln. „Alles in Ordnung!“, raunte sie und ging dann zum Tisch. Der Magier macht keine Anstalten, für sie den Stuhl zurechtzurücken, sondern saß nur da und schaute sie wartend an.

Als sie Platz genommen hatte, rutschte sie paarmal unruhig hinundher und sagte sich immer wieder, dass sie sich zusammen reissen musste. Wenn er wieder meinte, sich ihr gegenüber zuverschließen, konnte sie das ebenso. Hoffte sie zumindest. Und dass sie sich davon nicht unter kriegenlassen würde.

Comitas und einige seiner Brüder deckten das Essen auf. Doch so köstlich es roch und sie lockte, verspürte sie keinen Appetit. Es erschreckte sie selbst, wie sie es traf, aber war das denn ein Wunder. Gerade wo sie gehofft hatte, dass nun alles anders sein würde, hatte er ihr diese Hoffnung in tausend Scherben geschlagen. Und sie fühlte sich verraten. Konnte aber nicht den Mut aufbringen ihn dafür zuhassen. Auch ihr Enschluss sich dem Magier ebenso kühl zugeben, drohte zuschwanken. Zugerne hätte sie ihn mit seinem plötzlichen Stimmungswandel und was er ihr damit antat konfrontiert. Ihn deutlich spüren lassen, dass er ihr damit wehttat, doch dafür fehlte ihr die Kraft. So konnte sie nichts anderes tun, als dazusitzen und vor sich hinzuschauen. Stocherte mit der Gabel im Fleisch herum, ohne einen Bissen davon in den Mund zunehmen.

„Was ist mit Euch, Prinzessin. Habt Ihr denn keinen Appetit?“, fragte er und seine Stimme war befremdlich ruhig. Als sei nichts. Lumen schaute auf und sah ihn für einen kurzen Augenblick an. Das Bedürfnis ihm den Grund zu nennen kam in ihr hoch, wie bei einem brodelndem Vulkan und sie musste sich wahrlich zusammenreissen, um es nicht auszusprechen. Wobei sie sich natürlich fragte, was sie davon abhielt. Es war ihr gutes Recht es auszusprechen. Aber sie fürchtete sich auch davor, dass er darauf nicht reagieren würde. Zumindest nicht so, wie sie es sich erhoffte. Und die Angst war größer, als der Wunsch ihrem Kummer freie Luft zu lassen. „N-nein, ich…!“, versuchte sie es. Aber ihre Stimme versagte augenblicklich. In diesem Moment schämte sie sich dafür, dass sie so feige war und musste dabei an ihre Schwester Fortitudo denken, die ihren Mut in zahlreichen Schlachten bewiesen hatte. Während sie und ihre Schwester Nächtelang um sie gebangt und ihr Vater sich gewünscht hatte, dass sie zur Vernunft kommen würde. Ihr Vater. Wie mochte es ihm gehen. Lebte er noch?

Oder war er schon längst an Kummer gestorben?

Lumen wünschte sich nocheinmal in den Spiegel schauen zukönnen, um zusehen, ob ihr Befürchtung stimmte. Doch sie wusste nicht, ob sie die Kraft haben würde den Anblick, der sich ihr bieten würde, zuertragen. Egal ob er lebte oder tot war. Beides wäre für sie schrecklich. „Ihr?“, bohrte er weiter und holte sie aus ihren düsteren Gedanken. „Ich...ich muss nur gerade an meinen Vater denken. Das letzte Mal als ich ihn sah, sah er mehr tot als lebendig aus und ich frage mich, ob er…!“, sagte sie und schon beim bloßen Gedanken schnürte sich ihr der Hals zu und ließ sie würgen. „Ob er noch am Leben ist? Wenn Ihr wollt kann ich Euch wieder den Spiegel geben. Dann könnt Ihr es sehen!“, bot er ihr an. Doch Lumen schüttelte den Kopf. „Nein, ich wüsste nicht, was ich dann täte!“, brach es auch ihr heraus und zu allem Unglück brannten ihr die Augen. „Ihr liebt Euren Vater wirklich sehr? Trotz dass er Euch bereitweillig an mich verkauft hat!“, sagte er und es versetzte Lumen einen Stich. Verkauft, das klang so, als sei sie ein Stück Vieh. Nicht mehr Wert als ein Mensch. Und auch wenn er zum Teil recht hatte, machte sie auch ihm dafür verantwortlich. Schließlich wollte er sie als Gegenleistung haben. Hatte ihr alles gegeben, was sie sich insgeheim wünschte und noch mehr. Nun aber schien er wieder ganz der Alte zusein. Vergessen waren wohl all die Empfindungen, die er in ihr auslöste und die er sie in ihm weckte. Da war es doch kein Wunder, dass sie nun so dachte. Dass sie sich nach ihrem Vater sehnte. „Ihr wart es doch, der meinen Vater mit dem Tod drohte und Ihr wart es, der mich wollte. Mein Vater war nicht einverstanden damit. Wollte mich beschützen. Vor Euch beschützen. Also hört auf so zureden, als sei er der Schuldige!“, sagte sie voller insbrunst und spürte Ärger in sich aufsteigen. Auch wenn es ihr selbst schmerzte, dass er sich so gab, so tat es noch mehr weh, dass er nun über ihren Vater schlecht redete, der sowieso schon mit dem Tod rang.

„Das ist er doch indirekt. Er hätte ja mein Angebot ablehnen können und seinen achsomächtigen Magier mehr Druck machen sollen. Dass sie meine Armee nicht aufhalten konnten, beweisst nur, dass sie Stümper sind!“, erwiederte Tenebrea kalt und nahm in aller Seelenruhe einen Schluck aus seinem Weinkelch. Das sorgte noch mehr dafür, dass Lumens Ärger wuchs und ihre Hände sich zu Fäusten ballten, sodass ihre Nägel sich ins Fleisch bohrten. „Und Eure Worte beweisen, dass Ihr ein Herz aus Stein habt!“, konterte sie scharf.

Darauf erwiederte der Magier erstmal nichts, sondern sah sie nur an. In ihren Augen sah er deutlich ihren Zorn auf ihn aber auch den Unglauben. Lange Zeit sagte er nicht, doch dan sprach er und sein Stimme war nun noch kälter als vorher. „Wenn ich wirklich ein Herz aus Stein habe, dann würdet Ihr in einem meiner Kerker ein trostloses Dasein fristen und nicht in dem edelsten meiner Gemächer hausen. Von den Kleidern, die Ihr tagtäglich tragt ganz zuaschweigen!“

Darauf wusste Lumen zunächst keine Antwort, da ja er im Recht war. Ihm mit solch einer unverschämten Beschimpfung entgegen zukommen war undankbar. Und grausam. Aber es war ihr einfach über die Lippen gekommen. Konnte es nicht mehr zurücknehmen. Wollte es auch nicht, da sie nicht begriff, warum der Magier wieder so kalt zu ihr war.

Zugerne hätte sie darauf was erwiedert, doch ihr kam nichts in den Sinn, was seinen Worten als Kontra dienen konnte. So stand sie auf, weil sie nicht weiter wusste und auch nicht länger den Blick des Magiers ertragen konnte, der auf ihr ruhte. So herablassend und enttäuscht, als sie sei diejenige gewesen, die ihm einen Dolchstoss versetzt hatte.

Mit einem leichten Zittern, dass sie erfasste stellte sie sich vor den Kamin, in dem das dunkle Feuer vor sich hinloderte und sah wie die Flammen höherschlugen, als sie sich heranwagte. Augenblicklich wich sie einen Schritt zurück und das Feuer beruhigte sich wieder.

„Für wielange gedenkt Ihr mich hierzubehalten?“, fragte sie unnötigerweise. „Wie lange denkt Ihr werde ich Euch hierbehalten?“, erwiederte der Magier daraufhin und sie konnte an seiner Stimme hören, dass es keinen Sinn hatte auf etwas zuhoffen, was niemals eintreffen würde. „Für immer?!“, flüsterte sie, mehr zu sich selbst. „Ihr kennt die Antwort darauf, Prinzessin!“, hörte sie ihn sagen. Und ob sie sie kannte. Ihr Magen verkrampfte sich und zugleich hörte sie sich selber sagen: „Was hast du erwartet? Er wird dich solange bei sich behalten, bis du ihm überdrüssig bist!“

Nein, er…er liebt mich, schrie sie im inneren. „Bist du dir sicher?“, höhnte nun wieder die Stimme und ließ Lumen noch mehr zittern. „Warum tut Ihr das? Was habe ich Euch getan, dass Ihr mich so quälen müsst?“, fragte sie leise. „Ich quäle Euch nicht. Aber ich habe zulange unter den Menschen gelebt, um zuwissen, dass sie auch mit einem Lächeln einen täuschen und hintergehen und noch mehr tun, nur um ihre eigenen Bedürfnisse zustillen!“, erklärte er voller Bitterkeit. „Darum ziehe ich es eigentlich vor, für mich allein zusein!“

„Warum habt Ihr mich dann…!“

Lumens Stimme versagte, als sie weitersprechen wollte. Alles in seinen Worten ließ sie darauf hoffen, dass es nicht so war, wie sie es befürchtete. Zugleich fragte sie sich, warum er seine Einsamkeit aufgeben hatte, wenn er sie doch so sehr schätzte. Das passte nicht zusammen. Sie verstand einfach nicht, was dahinter steckte. „Hört auf, mir ständig diese Frage zustellen!“, sagte er und Lumen durchfuhr es kalt. An dem Rutschen des Stuhls hörte sie, dass er aufgestanden war und nun hinter sie trat. Sie spürte seinen Atem im Nacken und musste dagegen ankämpfen sich umzudrehen. „Ihr solltet Euer Schicksal schon längst akzeptiert haben!“, sagte er. „Nach all der ganzen Zeit, in der Ihr hier seid!“

Nach diesen Worten drehte sie sich doch herum und sah geradewegs in seine kalten Augen. Da der Schein des Feuers direkt auf sein Gesicht fiel, ließ es ihn in einem unheimlichen Licht erscheinen und Lumen wäre zurückgewichen, wenn da nicht das Feuer gewesen wäre. „Was hat man nur mit Euch gemacht, dass Ihr so…?“, fragte sie und sie war nicht in der Lage weiterzusprechen. Sie hatte das ausgesprochen, was sie schon immer, was ihn betraf, wissen wollte. Und kurz glaubte sie in seinen Augen zusehen, was sie hoffen ließ. Eine Regung von einem Gefühl, dass er bisher noch nicht richtig gezeigt hatte. Doch so plötzlich es in seinen Augen aufflackerte, war es auch wieder verschwunden. „Das hat Euch nicht zukümmern!“, erwiederte er und ging einen Schritt zurück. Machte eine Andeutung zu ihrem Stuhl. Wollte dass sie sich setzte, doch Lumen war endgültig der Hunger vergangen und sie drehte sich wieder um.

Sie wollte ihn nicht mehr ansehen. Für einen kurzen Moment konnte sie nicht mal seinen Anblick ertragen. Und dies ließ ihre Augen brennen. Das hat Euch nicht zukümmern, hörte sie noch deutlich ihn diese Worte sagen. Und ob es mich zukümmern hat, dachte sie. Weil ich Euch liebe!

Das Kleid, welches ihr vorhin schon viel zueng erschienen war, schnürte sie nun ein und sie glaubte keine Luft zubekommen. Der Gedanke, dass sie ihn wahrlich liebte war absurd, aber auch die Antwort auf alle Fragen, die sie je geplagt hatten und die sie dazu brachten, Dinge zudenken oder zutun, die sie nicht begriff. Zumindest bis jetzt. Aber nun wusste sie es. Konnte jedoch nicht sagen, ob sie darüber erleichtert sein sollte. Sie fürchtete, dass ihre Liebe eine unerwiederte Liebe war. Was wenn er nicht dasgleiche fühlte, wie sie. Lumen glaubte nicht daran, dass sie solch eine Zurückweisung ertragen würde. Nicht nachdem was…

Lumen schnürte es die Kehle zu und sie fragte sich, wie das alles noch weitergehen würde. Ob sie bald irgendwann daran zerbrechen oder sich vorher selbst richten wird. Egal wie sie es drehte und wendete, ihr stand keine schöne Zeit bevor. „Wollt Ihr nichts mehr essen?“, fragte der Magier und Lumen schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe keinen Hunger mehr!“

Tenebrae sah die Prinzessin einen langen schweigenden Monent an. Ihr ganzer Körper schien zu zittern und das gleich galt auch für ihre Stimme. Einmal mehr musste der Magier darum kämpfen nicht nachzugeben und sie in seine Arme zuschließen. „Ich ziehe mich auf mein Zimmer zurück, wenn es Euch recht ist!“, sagte sie dann und drehte sich herum. Ließ jedoch den Blick gesenkt. „Nein, ist es mir nicht!“, wollte er schon aussprechen, doch er nickte nur. Wenn er sie dazuzwang hierzubleiben, würde sie noch unglücklicher werden. „Wenn Ihr es wünscht!“, sagte er laut und rief nach Comitas. Dieser trat sogleich ein und der Magier fragte sich, ob er nicht schon die ganze vor der Tür gestanden und gelauscht hatte. Wenn ja, so ließ er sich nichts anmerken. „Ja, Herr?“

„Bring die Prinzessin auf ihr Zimmer. Sie wünscht es!“, sagte er und sah ein letztes Mal zu der Prinzessin. Die rührte sich nicht und schaute immer noch auf den Boden. Erst als Comitas ihre Hand nahm, ließ sie sich wegführen. Bevor sie aber den Speisesaal verließ, warf sie noch einen letzten Blick zum Magier, der ungerührt dastand und Lumen glaubte, ihr Herz würde vor Kummer zerspringen.

Entschluss zu Grausamkeit

Als Lumen erwachte fühlte sie sich seltsam. So als habe jemand eine schwere Decke über ihre Seele gelegt und ihr fehlte die Kraft, sich von dieser zu befreien. „Was ist nur mit mir?“, fragte sie sich und richtete sich auf. Rieb sich den Kopf. Er schmerzte entsetzlich. So als habe man ihr eine kräftige Ohrfeige gegeben und sie stöhnte auf, als dieser Schmerz immer schlimmer wurde.

Ihr wurde dabei schlecht und die Prinzessin atmete paarmal tief ein und aus und das Schwindelgefühl ließ zu ihrer Erleichterung nach. Dennoch blieb sie einige Minuten im Bett sitzen und wartete, bis sie sich sicher war, dass es ihr auch wirklich besser ging. Erst dann kletterte sie aus dem Bett und nahm erstmal ein Bad. Das warme Wasser tat ihr gut und sie entspannte sich etwas. Sie blieb noch einige Minuten im warmen Wasser sitzen, doch dann steig sie aus der Wanne und streifte sich frische Kleider über. Alled war so wie immer. Wie immer wartete ein schönes Kleid auf sie. Lumens Bewunderung für die Kleider hatte sich jedoch etwas gelegt, als sie an diesem Moment erwacht war. Viel ging ihr durch den Kopf. Am meisten jedoch der Gewissheit, dass sie sich in den Magier verliebt und es nicht wirklich bemerkt hatte. Konnte man das denn?

Sie hatte oft in den Büchern davon gelesen, dass die Liebe einen traf wie ein Blitzschlag. Bei war dies jedoch nicht passiert. Sie hatte nicht wie ein starres Reh dagestanden und nicht denjenigen angesehne, als wäre er ein vom Himmelgestiegener Gott, wie die Maiden in den Geschichten. Und auch nicht der Magier hatte nicht gleich etwas wie Gefühle ihr gegenüber gezeigt. Hatte ihr nicht beteuert, dass er für sie sterben oder bis ans Ende der Welt gehen würde, nur um bei ihr zusein. Nein, bei ihm und ihr war es ganz anders gewesen. Langsam und viel Zeit. Mit jedem Tag, der anbrach und mit jedem Geschenk, das der Magier ihr gemacht hatte. Wie bei einer Blume, die mit jedem Strahl der Sonne und jedem Tropfen Wasser genährt wurde, bis sie gänzlich heranwuchs und in ihrer ganzen Schönheit erblühte. Lumen musset dabei unmerklich lächeln und gab sie für einen kurzen Moment dieser Träumerei hin, doch dann senkte sich ein dunkler Schatten über diese. Wieder quälte sie die Frage und Ungewissheit, ob der Magier genauso für sie empfand. Ob er ebenso sie liebte. Lumen wünschte und erhoffte es sich. Schließlich sprach so einiges dafür. Die Kleider, die Rosen, die außergewöhnlich rochen und die anderen kleinen Geschenke. Jedoch mit der wandelnden Landschaft, hatte er ihr das größte Geschenk gemacht. Es lenkte sie von der trsiten und düsteren Landschaft ab, die sich da hinter ihrem Fenster zeigte. „Er hat soviel ür mich getan und wollte dass ich mich wohlfühle. Und ich weiss nicht, wie ich mich dafür erkenntlich zeigen kann!“, seufzte sie, schloss die Augen und wischte sich dabei über das Gesicht. Dass sie das sagte, obwohl sie nicht wusste, wie er zu ihr stand, verwunderte sie etwas. Aber sie war sich sicher, dass es da etwas geben musste, was ihn dazu gebracht hatte. Kein Mensch, der einen anderen bei sich haben wollte und nicht das alles tat, konnte dies aus reiner Langeweile tun. Geschweige denn nichts dabei zu empfinden. Es musste einfach so sein. Um sich darüber nicht weiter den Kopf zuzermartern, schritt sie zu dem Fenster um zusehen, welche Landschaft ihr sich diesesmal zeigte. Sie hoffte, dass die sich im Winde wiegenden Wiesen oder die sich auftrümenden Wellen sie ablenken würden. Doch als sie hinausblickte, sackte ihr Herz augenblicklich schmerzlich nachunten. Statt grünes wildes Meer oder saftige Wiesen zusehen, sah sie nur eine trostlose Steppe, die sich viele Meilen weit hinzog. Kranke und krüppelige Bäume waren das einzige, was aus dem fruchtlosen Boden ragte und über allem hing ein bleiener dunkler Himmel. Die Illusion war fort und damit alle Hoffung, auf das, was sie sich wünschte. „Nein!“, keuchte sie und legte ihre Hand aufs Glas, als wollte sie nicht wahrhaben, dass dies wirklich war. „Nein!“

Wie vom Donner gerührt stand sie da und starrte hinaus. Wo sie vorher gedacht hatte, dass alles gut werden würde, wurde sie eines Besseren belehrt. Das die sich wandelnde Landschaft einfach so im Nichts aufgelöst hatte, war sicherlich nicht einfach so passiert. Sie konnte sich nicht beim besten Willen vorstellen, dass der Magier keine Kraft mehr hatte, sie aufrecht zuhalten. Er war mächtig. Dass wusste sie. Aber aus welchem Grund hatte er sie dann verschwinden lassen?

Lumen wusste darauf keine Antwort. Die konnte ihr nur der Magier geben. Schon allein bei dem Gedanken, ihn das zufragen, kam ihr ein ungutes Gefühl und sie fürchtete sich davor. Ein Klopfen ließ sie zusammen zucken und sie drehte sich erschrocken herum. „Guten Morgen, Prinzessin. Ich Euch das Frühstück bringe!“, rief Comitas freudig und schob das Wägelchen hinein. Lumen war bemüht gute Miene zum bösen Spiel zumachen und sich nichts anmerken zulassen. Die Verwirrung und der Schmerz über die verschwundene Illusion wollte sie ihrem kleinen treuen Freund nicht aufbürden. „Danke, Comitas!“, sagte sie und blickte wieder hinaus. Es versetzte ihr einen Stich und sie kämpfte mit den Tränen. „Warum Ihr so traurig schauen?“, fragte er und noch bevor Lumen etwas sagen oder tun konnte, was ihn davon abhielt, aus dem Fenster zuschauen, war er auch schon an ihrer Seite und sah hinaus. Als er sah, was auch sie sah, seufzte er. Es war mehr ein niedergeschlagenes Seufzen, als ein entsetztes Keuchen. „Ich es schon sehen!“, sagte er und wandte sich ab. Machte sich daran, das Frühstück aufzudecken. Deutlich war es in seinem Gesicht zusehen, was er dachte und was er vorallem von seinem Herren dachte. Sich fragte, was ihn dazugeritten hatte, dieses Geschenk wieder fortzunehmen. Er wusste doch ganz ganu, dass die Prinzessin sich daran erfreute und ihm war es doch auch wichtig, dass sie sich hier wohlfühlte. Warum also hatte er das getan?

Lumen fragte sich das ebenso. Noch einen kurzen Moment schaute sie aus dem Fenster und wandte sich mit einem weiteren schweren Seufzen von dem Fenster ab. Ließ sich in den Sessel fallen. Als sie auf den kleinen Tisch schaute, sah sie, dass keine Rose dabeilag und auch wenn sie irgendwie damit gerechnet hatte, traf es sie. „Warum? Warum tut er das?“, fragte sie sich und nahm mit zitternen Fingern die Tasse, um daraus zu trinken. Der warme Tee konnte sie kaum beruhigen. Zu aufgewühlt und verletzt war sie, als das sie ruhig Tee trinken konnte. Irgendwann sprach sie Comitas an. „Ihr…darüber wollt sprechen?“, fragte er sie. Lumen schüttelte den Kopf. Mit ihm konnte sie nicht sprechen. Nur mit dem Magier und sie nahm sich vor, ihn nach dem Grund zufragen, warum er die Vision aufgehoben hatte. Und dies duldete keinen Aufschub. Sie trat sie, ohne sich richtig angekleidet zuhaben auf den Flur und schritt mit schnellen Schritten zu den Gemächern des Magiers. Inzwischen kannte sie sich gut genug aus, um sich nicht zuverirren. Mit festentschlossen Schritten ging sie weiter und überlegte sich, was sie dem Magier sagen würde. Überhörte dabei die Rufe Comitas, der sie bat, nicht zu dem Herren zu gehen. Als sie schließlich vor der mächtigen Flügeltür stand, klopfte sie heftig dagegen und rief nach dem Magier. Doch werde hörte sie eine Antwort noch öffnete er ihr. Lumen fragte sich kurz was das sollte, doch dann pochte sie wieder dagegen. Diesesmal heftiger und aufgebrachter. „Tenebrae…Tenebrae macht mir auf. Ich bin es, Prinzessin Lumen!“

Sie wusste, dass es unötig war, dass sie ihren Namen nannte, doch es war ihr einfach so über die Lippen gekommen und sie konnte auch nicht leugnen, dass sie mal zumal ärgerlicher wurde. Machte sich der Magier einen Spass daraus, dass er sie gänzlich ignorierte?

Oder war er einfach zufeige und fürchtete sich vor ihr und vor ihrer Wut, sodas er ihr nicht öffnete?

Beides schien nicht recht zu ihm zupassen und so fragte sie sich immer mehr, warum er ihr nicht öffnete. Irgendwann erzitterte die Tür unter ihren Schlägen und das Echo hallte tausendfach durch die langen Korridore. „Tenebrae! Ich weiss, dass Ihr in Euren Gemächern seid. Öffnet mir. Auf der Stelle!“

„Bitte, so Ihr doch bitte aufhören. Der Herr, er…er sich ruhen aus!“, hörte sie nun doch die Bitten ihres kleines Freundes und schaute zu ihm hinunter. In ihren Augen lag noch immer Ärger und sie hatte alle Mühe, diesen zuunterdrücken. „Ausruhen, von was?“, kam es gepresst aus ihr und ihre Fäuste ballten sich. Zitterten. Comitas konnte nur hilflos die Schultern zucken und zur Tür blicken, hinter das Schlafgemach seines Herrn lag. „Ich es selber nicht weiss. Aber Ihr Euch bis heute Abend gedulden müsst!“, meinte er mit deutlichem Nachdruck und Lumen musste einsehen, dass ihr nichts anderes übrig blieb. Doch während dieser langen Zeit würde ihr Ärger nicht schwächer werden. Und Lumen schöpfte aus dieser Kraft.
 

Der Abend kam, für Lumens Geschmack viel zu langsam und als es endlich soweit war, spürte sie, wie ihr Magen zutoben begann. Nervös und dennoch entschlossen nicht zurückzuweichen, machte sie sich fertig für das Abendessen und stand dann vor der Tür zum Speisesaal. Gerade wollte sie die Tür öffnen, als diese aufschwang.

Leise, quietschend und die Dunkelheit, in die sie blickte schien die eines Abgrunds zusein. Wäre sie nicht so wütend auf ihn, hätte sie sich davon einschüchtern lassen. Doch die Finsterniss hatte bei ihr an Macht verloren, Zumindest an diesem Abend und sie schritt langsam und mit hocherhobenen Kinn in den Saal. Der Magier warf ihr einen erstaunten Blick zu. Ließ sich aber nichts anmerken und wies mit der Hand auf den Stuhl. „Bitte setzt Euch!“, bat er sie höflich. Aber Lumen blieb stehen, sah ihn finster an. „Nein!“, sagte sie. „Nicht bevor Ihr mir was erklärt habt!“

„Was soll ich Euch erklären?“, kam es prompt von Tenebrae, der äußerlich unberührt und kühl war, aber innerlich zitterte er. Nie hatte er sie so aufgebracht, so wütend zusehen. „Das wisst Ihr ganz genau. Warum habt Ihr die Illusion vor meinem Fenster verschwinden lassen?“, fragte sie und unterdrückte dabei die Frage, was die fehlende Rose betraf. Es reichte, wenn sie ihn nur auf diese Sache ansprach. Egal was es war, es würde ihr nicht gefallen. Tenebrae lehnte sich zurück, schwieg eine Minute und sein Blick schien ins Leere zugehen. Überlegte, was er ihr sagen konnte, um sie hart zutreffen und zu seiner eigenen Schande fiel ihm nichts ein. War er schon so weich geworden, dass er nicht mal solch eine Lappalie erledigen konnte?

Es musste so sein, denn er zuckte nur mit den Schultern. „Ich sah keinen Grund mehr, diese aufrecht zuhalten!“, erklärte er ruhig. Lumen schnappte nach Luft. Konnte und wollte nicht glauben, was sie da gehört hatte. Er sah keinen Grund mehr?

War er nicht darauf bedacht gewesen, dass sie sich wohlfühlte?

War das etwa kein Grund gewesen?

Was war nur in ihn gefahren, fragte sie sich wieder.

„Keinen Grund? Ihr habt diese Illusion doch heraufbeschworen, um mir eine Freude zumachen. Ist das kein Grund?“, fragte sie ihn und merkte, wie ihr aus Ärger geborener Mut langsam zuschwinden schien. „Ihr habt Euch doch daran erfreut. Lange Zeit genug, wie ich finde!“, bemerkte er und gab sich weiterhin ungerührt. Lumen schluckte und rang nun darum, ihren Mut nicht zuverlieren. „Ich dachte, Ihr wolltet dass ich mich wohlfühle?“, fragte sie und merkte, wie ihre Stimme zu zittern begann. Versuchte dabei immernoch festentschlossen auszusehen, wobei ihr Herz schmerlich in der Brust pochte. „Das will ich auch. Aber ich will auch, dass Ihr es nicht mit Euren Wünschen übertreibt. Dass Ihr seht, dass ich immernoch Herr hier in diesem Schloss bin!“

„Das weiss ich doch!“, kam es fast leise von ihr und sie senkte den Kopf. „Dann seht ein, dass auch meine Großzügigkeit Grenzen hat!“, erwiederte er daraufhin. „Nun setzt Euch!“

Lumen gehorchte. Es war wie er sagte. Er war der Herr und damit stand er über sie. Doch Lumen spürte, wie ihr Magen tobte und ihr Herz malzumal schmerzlicher schlug. Sie hatte gehofft, dass er die Illusion wieder aufleben lassen würde. Dass er nun sich indirekt dafür dagegen entschied, versetzte ihr einen Stich. Der Abend verlief im eisigen Schweigen und selbst ein Narr konnte sehen, dass die neue Kälte des Magiers die Prinzessin bekümmerte. Sie fast schon in ein tiefes Loch stürzte. Immer wenn sie den Magier anschaute und versuchte etwas in seinen Augen, die ihr oft gezeigt hatten, dass etwas in ihnen war, wie Leben, eben dieses wieder sehen. Sah es jedoch nicht. Und wenn, dann war es unter einer dicken Schicht aus Eis verborgen. Eine Schicht, die sie nicht aufbrechen konnte.

Ein schweres Schweigen lag die ganze Zeit über ihnen und die Prinzessin kämpfte bemüht darum, ebenso kühl zusein, wie der Magier, der in allerseelen Ruhe aß. Sie konnte es aber nicht. Umso erleichterter war sie, als der Magier das Mahl beendet hatte und Comitas rief, damit er sie auf ihr Zimmer bringen konnte. Noch bevor sie aber den Speisesaal verließ, drehte sie sich zu ihm herum. Doch Tenebrae saß nur da, und schaute in die Flammen. Wich damit ihrem Blick aus. Und wieder fragte sich Lumen, was in den Magier gefahren war.

Gerne hätte sie ihm eine gute Nacht gewünscht, doch sie ahnte, dass dies dem Magier kalt lassen würde. Wie so vieles.

So verließ sie ohne ein weiteres Wort den Speisesaal und schritt zu ihrem Zimmer.
 

Lumen verspürte nicht den Wunsch aus dem Bett zusteigen. Wenn der angebrochene Tag so wie der gestrige sein würde, wollte sie sich am liebsten in die Decken hüllen und niemals mehr hervorgekommen. Wieder einmal hatte sie es nicht geschafft dem Magier genug die Stirn zubieten, wie sie es wollte. Sondern sich wieder einmal von seinen Worte einschüchtern lassen. Aber wie könnte sie auch anders?

Sie wurde einfach nicht schlau aus ihm. Und das machte sie zum einen wütend und auch verzweifelt. Wie kann sie ihn nur erreichen. Es muss doch eine Möglichkeit geben. Lumen grübelte und zerbrach sich ihren Kopf. Doch egal welche Lösung sie auch fand, sie musste nur an seinen kalten Blick denken, um diese wieder zuvergessen und mit jeder Minute und jedesmal wenn sie seine kalten Augen vor sich sah, wurde sie verzweifelter und ratloser. Mit einem resignierten Seufzer, richtete sie sich auf. Schaute aus dem Fenster. Von nun an, würde sie jeden Tag dieses Bild sehen. Ihr Magen verknotete sich bei diesem Gedanken.

Um nicht weiter daran zudenken, versuchte sie sich abzulenken. Ihr erster Gedanke war hoch in den Turm zugehen und auf der Harfe zuspielen. Mittlerweise kannte sie den Weg. Sie war selber erstaunt, wie einfach und gut sie sich hier auskannte. Aber vermutlich lebte sie hier schon lange genug, um es zuwissen.

Als sie vor der Tür stand, zögerte sie einen Moment. Konnte sie wirklich auf der Harfe spielen, ohne den Zorn des Magiers auf sich zuziehen?

Nach dem was gestern geschehen war, behagte es ihr nicht und ihre Vernunft sagte ihr, dass sie lieber umdrehen und von dem Turm hinabsteigen sollte.

Doch dann öffnete sie sie. Zum Teufel mit der Angst, dachte sie. Soll er doch vor Wut platzen.

Entschlossen machten sie den ersten schritt. Blieb jedoch wie erstarrt stehen, als sie sah, dass die Harfe nicht an ihrem angestammten Platz stand. Dort wo war sie war, war nun nur noch ein leerer Platz und Lumen merkte, wie erneut ihr Herz schwer wurde. Dass die Harfe nicht mehr da war, war auch ein Zeichen für die Leere in ihr und sie schluckte. Hatte der Magier die Harfe entfernen lassen, um ihr deutlich zumachen, dass es vorbei war mit seiner sanften Seite. Lumen konnte und wollte es nicht glauben. Und doch sah sie es. Mit einem schweren Seufzen drehte sie sich herum und stieg die Stufen hinunter. Quietschend fiel die Tür hinte rihr ins Schloss und der Laut, mit dem sie zufiel, klang engültig, wie der Tod.

Der Tag verging, zu ihrer Bestürzung schnell und schon bald fand sie sich wieder vor der Tür zum Speisesaal wieder. Am liebsten wäre sie davon gerannt, hätte sich in ihrem Zimmer eingesperrt. Aber dann hätte er erst recht geglaubt, dass sie sich vor ihm fürchtete und diese Genugtuung wollte sie ihm nicht gönnen.

Die Tür schwang auf. Und wieder begrüsste sie die Finterniss. Sie hätte sich eigentlich schon längst daran gewöhnen sollen. Doch die Finsterniss war diesesmal anders, als bisher. Lauernd und gefährlich, als sei sie ein Raubtier, dass sie zerreissen wollte. Dabei war das einzige Raubtier, was sich in diesem Raum befand, der Magier, der ruhig auf seinem Stuhl saß und sie erwartend anschaute. Lumen schluckte, ermahnte sich, ruhig zubleiben. Sagte sich, dass sie ihm nicht zeigen wollte, dass sie sich vor ihm fürchtete. So schritt sie hinein und wollte auf ihrem Stuhl platz nehmen, hätte ihr Blick nicht die Harfe gestreift, die vor dem Kamin stand und von dem blauen Licht der Flammen beschienen wurde. Zuerst war sie froh, sie hier zufinden. Sie hatte schon befürchtet, dass er die Harfe vernichtet hatte. Aber was für einen Grund hätte er gehabt. Die Harfe schien für ihn eine große Bedeutung zuhaben. Doch dann fragte sie sich, warum sie hier stand. Diese Harfe schien hier nicht so richtig zupassen. In diese Dunkelheit. Der Magier bemerkte ihren Blick und ihre Ratlosigkeit. „Wundert Ihr Euch, dass ich die Harfe hierher bringen ließ?“, fragte er dann und Lumen nickte. „Dabei solltet Ihr es Euch eigentlich denken!“

„Ihr wünscht, dass ich Euch auf der Harfe etwas spiele?“, fragte sie prompt und ließ den Blick auf der Harfe. Lumen mag zwar in manchen Dingen naiv sein, aber sie war nicht dumm. Und mochte die Harfe auch hier nicht so recht passen, ahnte sie dennoch, was er von ihr erwartete. „Das ist kein Wunsch!“, sagte er und seine Stimme war kalt wie Eis, sodass es Lumen einen Schlag versetzte. „Sondern ein Befehl!“

Befehl. Dieses Wort hallte tausendfach in ihrem Kopf wieder und wieder, wie ein Echo und zum ersten Mal wurde sie sich bewusst, dass sie mehr als nur Gast war. Sondern auch eine Gefangene, die abhängig von den Launen des Magiers war. Ein schrecklicher Gedanke, ging es ihr durch den Kopf. Dennoch nickte sie nur und ging zur Harfe. Wie eine willenlose Puppe. Setzte sich auf den kleinen Hocker und streckte die Finger nach den Saiten aus. Doch kaum, dass sie sie berührte, zuckte Lumen innerlich zusammen. Ein kurzer aber intensiver Schmerz durchzuckte ihre Finger, wie ein Stromschlag und jagte ihr kalter Schauer über den Rücken. Sie begann zu zittern und fragte sich, was das sollte. Irgendwas musste mit der Harfe passiert sein. Etwas, was nichts Gutes heisen konnte. Lumen sah die Harfe mit einem ängstlichen Blick an und wollte aufstehen. Von dieser Harfe sich entfernen, die nun nicht mehr das war, was sie mal war. Doch da erklang die Stimme des Magiers. „Spielt!“, befahl er und dieses eine Wort reichte aus, dass sie tat, was er wollte. Wie bei einem Bann. Oder viel mehr wie bei einem Fluch. Kaum dass sie saß, spürte sie einen schrecklichen Druck auf ihrem Kopf und ihren Schultern, als würde etwas unsichtbares sie auf dem Hocker festhalten wollen. Und damit nicht genug. Ohne es zuwollen streckte sie erneut die Finger aus und als sie die Saiten berührte, glaubte Lumen, sie würden sie schneiden. Sich tief in die Haut graben und brennende Schnitte hinterlassen. Lumen stiess einen Schmerzenslaut aus. Wollte aufhören, doch die Kraft, die sie festhielt, zwang sie weiter zuspielen. Die Melodie, die sie der Harfe entlockte war nicht die, die sie kannte. Sondern eine, die einem wahrlich Angstschauer über den Rücken laufen lassen konnte. Ihre Töne waren dunkel und düster. Erinnerte an die von Trauergeigen. Und mit jedem Akord wurde es immer schlimmer. Das Brennen in ihren Finger wurde unerträglich und Lumen biss sich auf die Unterlippe. Versuchte die Tränen, die ihr in die Augen traten, wegzudrücken. Sie hatte, obwohl sie diese schlimme Kraft festhielt, immernoch den Willen, den Kopf zudrehen und zum Magier zu blicken. Und auch wenn sie nichts sagen konnte, schrien ihre Augen förmlich warum.

Warum verlangte er von ihr, solch eine schreckliche Musik zuspielen?

Warum tat er das an?

Tenebrae sah sie nur an. Sah, wie sie litt und ihn anflehte aufzuhören. Würde ihre Sicherheit ihm nicht so sehr am Herzen liegen und wäre er grausam, dann hätte er sie davon erlöst. Hätte sie den Schatten zum Fraß vorgeworfen.

Doch dieser Schritt, diese Qual, die sie durch ihn erlitt, war nötig, um sie dazu zubringen ihn zu hassen. Ihm war es selber schwer gefallen, die Harfe mit einem Fluch zubelegen. Da diese zumal seiner geliebten, verstorbenen Mutter gehört hatte und es ihm zuwider war, diese für so einen grässlichen Zweck zu benutzen. Aber eine andere Möglichkeit war ihm nicht eingefallen und Tenebrae hoffte, dass das dies ausreichen würde. Immerhin liebte Lumen diese Harfe und hatte es immer irgendwie genossen, auf dieser zuspielen.

Jetzt wo die Harfe verflucht war und diese dumpfen und tiefen Töne sang, musste das schon allein für Lumen grauenvoll sein und das sich die Saiten wie scharfe Klingen an ihren weichen Fingern anfühlte. Musste dies noch schlimmer machen. Tenebrea beteten, dass es so war.

Lumens Hände schienen ihr nicht mehr zugehorchen. Nicht mal ein Teil von ihr zu sein. Sie bewegten sich über die Saiten, zupften sie und spielte immer intensiver. Lumen schrie innerlich auf. Ihre Stimme war wie verschwunden. Sie war nicht in der Lage, ihren Schmerz und ihre Angst laut kund zugeben. Es war als habe der dunkle Zauber, der auf der Harfe lag und ihre Finger steuerte, ich auch noch die Stimme geraubt zuhaben. Und ihr blieb nichts andere übrig, als weiterzuspielen. So wie es der Magier verlangt hatte. Fragte sich dabei immer wieder, was er nur mit ihr tat und warum. Ihre Vewirrung und Verzweiflung drehten sich im Kreis, wurden zu einem Strudel, der sich immer tiefer in ihre Selle schraubte und sie beinahe das Bewusstsein kostete. Sie glaubte, alles würde sich drehen und sie keuchte auf. Das Blut verschwand aus ihrem Gesicht und sie wurde leichenblass.

Irgendwann, es kam Lumen wie eine Ewigkeit vor, hörte es auf und sie sank in sich zusammen. Rang nach Luft. Ihre Hände und Finger fühlten sich taub an. Als sei kein Leben mehr in ihnen. Lumen sah sie sich an. Erwartete, dass sie unzähligen Schnitten bluteten. Doch nicht ein Kratzer war zusehen. Der Schmerz jedoch war klar und deutlich und ließ sie weinen.

Ihr ganzer Körper begann zu zittern wie Espenlaub und als sie wieder zum Magier sah, war er aufgestanden. Sah sie mit einem kalten, grausamen Blick an. „Von nun an werdet Ihr jeden Abend diese Musik spielen!“, sagte er und Lumen wäre am liebsten aufgesprungen und hätte laut aufgeschrien. Ihn angefleht dies nicht von ihr zuverlangen. Aber selbst jetzt, wo der Fluch von ihr genommen war, war ihre Stimme nichts weiter als ein heiseres Krächzen, was stossweise und unkontrolliert über ihre Lippen kam.
 

„Warum Ihr das tun? Was Ihr Euch nur dabei denken?“, fragte Comitas außer sich und lief nervös hinundher. Tenebrae saß nur im Sessel und schaute in die blauen Flammen. Er hatte damit gerechnet, dass sein getreuer Diener ihn diese und noch weitere Fragen stellte. Hatte sich auf die passenden Antworten zurecht gelegt, doch egal welche er ihm gab. Sie schien dem kleinen Hauskobold nicht reichen. „Ihr einen großen Fehler machen!“, schnauzte er. „Den einzigen Fehler, den ich gemacht habe war, sie zufordern und ihre Liebe gewonnen zuhaben!“, dachte und hütte sich diese Worte laut auszusprechen. „Misch dich nicht ein, Comitas. Dies ist meine eigene Angelegenheit!“, sagte er laut. Comitas blieb einige Minuten stocksteif stehen und sah seinen Herren mit einer Mischung aus Skepsis und Unglauben an. Eure eigene Angelegenheit, dachte er. Ihr Euch damit ins eigene Verderben stürzen werdet!

„Ich habe diesen Weg gewählt. Also werde ich ihn gehen!“, sagte er um diese Debatte zubeenden. Comitas glaubte, dass er damit seinen Fehler meinte, die Prinzessin zusich geholt zu haben. Dabei dachte Tenebrae jedoch an etwas ganz anderes. Etwas, was sein eigenes Herz verkrampfen ließ. „Geh!“, forderte er ihn auf und nur widerwillig folgte er dem Befehl seines Herrn.
 

*
 

In den darauffolgenden Abenden machte der Magier sein grausames Versprechen wahr. Jeden Abend zwang er Lumen auf der verfluchten Harfe zuspielen und zuleiden. Lumen glaubte, sich in einem schrecklichen Alptraum zufinden. Und jedesmal wurde dieser schlimmer, je schneller und je wilder ihre Finger über die Harfe glitten. Dem Willen des Magiers gehorchten und nicht den ihren. Irgendwann vermochte es Lumen nicht mehr zuertragen. Zu groß waren der Schmerz und die Verzweiflung, die sie umschlingen, wie eine Schlange, die ihr das Leben auspresste. Sie zitterte am ganzen Leib, als würde sie an einem schrecklichen Fieber leiden, während sie immer weiter spielte und die Saiten scharfe Schmerzen durch ihre Finger jagten. Wie kleine Blitze, die die Nerven lähmten und ihre Finger taub werden ließen. „Bitte…!“, flehte sie ihn an. „Hört auf. Nehmt diesen Fluch von mir!“, wimmerte sie. Der Magier sah sie nur an. Keine Regung in seinem Gesicht war zusehen. Als würde es ihn nicht interessieren. Aber dann machte einer mit der Hand eine wegwichende Bewegung und der Druck in ihrem Kopf verschwand. Dankbar keuchte sie auf und wollte vom Stulhl aufstehen. Doch ihre Knie waren zuschwach, als dass sie sie tragen konnte und sank zu Boden.

Schweratment und gegen die Tränen ankämpfend, stützte sie sich mit den Händen ab und zitterte. Wimmerte. Schaute dann flüchtig zu ihm und versuchte etwas wie Reue in seinem Gesicht zusehen. Doch das Gesicht des Magiers war eine ausdrucklose Maske.

Lumen hatte sich mittlerweile von der Hoffnung verabschiedet, dass alles vielleicht doch noch für kurze Zeit war. Dass dies eine seiner Launen war, die bald wieder verschwinden würde.

Dennoch schmerzte es sie.

„Warum quält Ihr mich? Warum seid Ihr nur so grausam?“, fragte sie gepresst, als sie sich beruhgt und von dieser Qual erholt hatte.

„Ich soll grausam sein?“, fragte er vorwurfsvoll und erhob sich von seinem Stuhl. Schritt langsam, wie ein lauernder Wolf, der sich heranpirschte und blieb dann stehen. Lumen blickte, bei seiner Frage hinauf und schauderte, als sich ihre Blicke trafen. Nie hatte solch eine Kälte in seinen Augen gesehen. Und es kostete sie alle Kraft zunicken. Für sie war er grausam. Weil er sie dazuzwang auf dieser grässlichen Harfe zuspielen. Weil er ihr alles genommen hatte, was sie hatte und fragte sich, was noch kommen würde. Lumen antwortete auf diese Frage nicht. Denn egal was sie sagte, es würde nichts bringen. „Was wisst Ihr denn schon? Was wisst Ihr, was grausam ist?“, waren seine harten Worte und ließen sie zu Eis erstarren. Lumens Antwort wäre gewesen, dass sie das, was er tat für grausam hielt. Dass sie einfach nicht verstand, was er sich dabei dachte. Doch sie brachte einfach nicht den Mut auf, diese auszusprechen. „Ich war bisher immer gut zu Euch. Habe Euch mit Geschenken verwöhnt!“, sagte er. „Nun liegt es an Euch!“

Lumen schauderte, als er dies sagte und schaute wieder auf. „Was…was meint Ihr damit?“, fragte sie und mochte sich nicht vorstellen, was er darauf antworten würde. „Dass Ihr Eure Schuld bei mir begleicht!“, kam prompt seine Antwort und Lumen kamen die schlimmsten Vorahnungen in den Sinn. Beinahe wollte sie schon den Kopf schütteln und nein rufen. Hielt sich aber noch im rechten Moment zurück. „Habt Ihr geglaubt, dass ich das alles aus reiner Freundlichkeit tue?“, fragte er und Lumen war kurz davor laut zuschreien. Ja. Sie hatte es wirklich geglaubt. Weil sie daran glauben wollte. Aber nun wurden ihre Hoffnung, ihr Glaube zunichte gemacht. Kraftlos und vorallem verzweifelt, senkte sie den Kopf. Der Magier sah dies als ein Zeichen ihrer Kapitulation. „Dann wäre das geklärt!“, sagte er knapp. Nichts ist geklärt, dachte sie.

„Bitte. Ich möchte nicht weiterhin auf dieser Harfe spielen!“, bat sie ihn nachdrücklich und hoffte, diese eine Bitte würde er ihr noch gewähren. Tenebrae sagte erstmal nichts. Schien alles abzuwägen. „Gut. Auf der Harfe braucht Ihr nicht mehr spielen!“, sagte er. Und Lumen wollte schon erleichtert aufatmen, doch sogleich sagte er:„ Aber dafür werdet Ihr nächsten Abend in mein Gemach kommen!“

In Lumen krampfte sich alles zusammen, als sie das hörte. Sie brauchte nicht lange darüber nachzudenken, was er mit dieser Forderung bezweckte. Panisch schüttelte sie den Kopf. „Nein, dass…das könnt Ihr nicht von mir verlangen!“, stiess sie hervor. „Kann ich nicht?“, fragte er und seine Stimme klang lauernd. Er beugte sich über sie, sodass sein Gesicht nahe an ihrem war und seine darauffolgenden Worte waren scheidend wie Stahl. „Ihr habt ja keine Ahnung, was ich noch alles machen kann!“

Ihr wurde in diesem Augenblick übel, als sie das hörte und ihr erster Impuls war, ihn zuschlagen. Bisher hatte er sich zurückgehalten. Hatte ihr versichert, dass er ihr nichts tun würde. Doch nun schien er dieses Verspechen brechen zuwollen.

Warum jetzt, fragte sie sich. Warum tat er das jetzt?

Er hätte es schon die ganze Zeit brechen können.

Warum hatte er also solange gewartet?

Was hatte sie getan?

Lumen verstand es einfach nicht. „Sagt mir, warum Ihr gerade jetzt sowas von mir verlangt!“, fragte sie, weil sie nicht aufgeben und vorallem es nicht wahrhaben wollte. Die ganze Zeit über hatte er sie behandelt, wie einen Gast. Mehr noch. Wie eine Herrin. Und auch wenn sie wusste, dass seine Großzügigkeit einmal einen Preis haben würde, hatte sie nicht geglaubt, dass dieser so hoch und schrecklich sein würde. Dass sie dies nicht wahrhaben wollte, anstatt zuakzeptieren umso mehr. War doch noch etwas wie ein Funken von Widerstand in ihr?

Tenebrae schaute sie nur an, sagte nichts. Ihre Frage war mehr als berechtigt. Dass sie seine Wandlung nicht verstand, war nur verständlich und dass diese sich damit nicht abfinden wollte, ebenso. Sie will allen ernstes an das Gute in mir glauben, dachte er bitter. Wieso nur?

„Ich habe meine Gründe. Ihr habt lange genug von meiner Gastfreundschaft profitiert und es wird Zeit, dass ich nun etwas von Euch zurückbekomme!“, waren seine Worte und wandte sich zum Gehen. Doch bevor er ging, drehte er sich nocheinmal um und sagte, wie als wäre es eine Warnung:„ Kommt nächsten Abend in mein Gemach. Ich erwarte Euch!“

Dann war er verschwunden. Darauf kam Comitas und brachte die Prinzessin auf ihr Zimmer Keiner der beiden sagte ein Wort.

Und kaum das Lumen sich ausgezogen und ins Bett gelegt hatte, konnte sie ihre Tränen nicht zurückhalten.
 

Wieder einmal konfrontierte Comitas seinen Herren mit den Bedenken, die er hatte und auch mit der Wut, die das plötzlich herzlose Handeln des Magiers strafte. Doch Tenebrae überhörte diese, auch wenn es ihm schwerfiel. Er war sich bewusst, dass das ein Fehler war. Dass er alles zerstörte, was zwischen ihnen war. Und was er sich selber erträumt hatte. Doch um sie zuschützen, musste er dies tun. „Ich kann dir nur einmal sagen, dass du dich nicht da einmischen sollst, Comitas. Ich habe meine Gründe und die musst du akzeptieren!“, sagte er. „So wie meine anderen Entscheidungen und Befehle!“

Comitas schnaubte. Es hatte keinen Sinn weiterhin zuversuchen seinen Herren ins Gewissen und ihm diese Idee auszureden. „Mir es nicht leicht fallen. Ich nur hoffen kann, dass Ihr wissen was ihr tut!“, sagte er nachdrücklich und verließ dann seinen Herren. Tenebrae sah ihm nach. Und ob er es wusste. Nur war er sich nicht ganz so sicher, ob er es auch wirklich wissen wollte.
 

Hätte es in ihrer Macht gestanden, so hätte sie den Abend verzögert und zwar solange, bis sie sich etwas hätte einfallen können, um das was kommen würde, zuverhindern. Doch der Abend kam und mit dem Abend die Angst vor dem, was unweigerlich kommen würde. Dies wurde nicht besser, als sie feststellen musste, dass nicht Comitas, sondern einer seiner Brüder, ein miesepetriger Gnom mit einer scharfen Hackennase, vor der Tür stand und ihr ein Nachthemd überreichte. „Der Herr wollen, dass Ihr das tragt!“, knurrte er und Lumen nahm, wenn auch etwas verwirrt das Nachthemd an sich. Sie hatte doch eines. Warum also gab er ein neues. So alt war es auch nicht. Fast schon wollte sie es dem Gnom wieder geben, doch die nächsten Worte von ihm ließen ihn innehalten:„ Er es Euch befehlen!“

Lumen schluckte und nahm es doch an sich. „Ich hier drauße warten werde auf Euch!“, erklärte er und schloss daraufhin die Tür. Lumen zögerte und sah unschlüssig das Nachthemd an. Sollte sie es wirklich wagen und sich weigern das Nachthemd zutragen.

Aber was würde dann passieren?

Lumen fürchtete sich vielzusehr, als genauer darüber nachzudenken und entschloss sich, es zutragen. Was konnte es schon schaden, dachte sie sich und zog sich aus, um in das Nachthemd zuschlüpfen. Doch als sie in den Spiegel schaute, war ihr alles andere als wohl zumute. Während ihr altes Nachthemd ihr bis zu den Knöcheln reichte und ihre Schultern bedeckte, war dieses nur so lang, dass es kurz über ihren Knieen endete und an feinen Schnürren über ihrem Leib hing. Ebenso wurde es von Schnürren über ihrer Brust zusammengehalten. Ein dicker Knoten bildete sich in ihrem Hals.

So sollte sie zum Magier gehen?

Schamesröte stieg in ihr Gesicht, als sie daran denken musste, dass Magier sie so zusehen bekam. Und das sicherlich nicht ohne Grund. Ihr wurde wieder schlecht bei dem Gedanken, was er vorhatte. Würde er wirklich soweit gehen, fragte sie sich und begann zuzittern. Sie kannte die Antwort. Wenn er sie schon dazuzwang auf einer verfluchten Harfe zuspielen, Abend für Abend, dann auch sicherlich zu sowas.

Nein, dass darf nicht wahrsein, dachte sie und schüttelte den Kopf. Da ließ ein gereiztes Klopfen sie hochschrecken. Hörte von draußen den Gnom wirsch rufen:„ Ihr fertig seien. Dann kommen!“

„Nein, ich komme nicht!“, wollte sie schon am liebsten schreien. Aber dann erinnerte sie sich an die Kraft des Magiers und das es ein leichtes für ihn war, sie dazu zwingen, die Harfe zuspielen. Er würde sicherlich auch diesesmal davon Gebrauch machen. Da hat es keinen Sinn, sich querzustellen. So versuchte sie sich Mut zumachen und öffnete die Tür. Der Gnom, der mürrisch dreinblickte und etwas vor sich hinmurmelte, brachte sie zu dem Schlafgemach des Herrn und klopfte kurz an. Als der Magier sie hereinbat, öffnete er die Tür und Lumen trat ein. Wie immer herrschte in diesem Raum Dunkelheit. Nur das Kaminfeuer, was brannte, spendete Licht. Doch das reichte aus, um den Magier zusehen, der auf dem Bett saß und sie mit einem Blick ansah, in dem dunkle Begierde lag. Noch hinzu kam, dass er kein Hemd trug. Nur seine schwarze Hose. „Ihr seid spät, Prinzessin!“, sagte er vorwurfsvoll und Lumen biss sich auf die Unterlippe. Am liebsten wäre ich gar nicht hier, ging es ihr durch den Kopf. Tenebrae besah sich die Prinzessin eingehend. Er musste zugeben, dass dieses Nachthemd an ihr seinen Reiz hatte. Doch als er daran dachte, zuwas es diente, schob er diesen Gedanken zurück. „Kommt näher!“, sagte er und in seinen Worten klang deutlich ein Befehl mit. Lumen unterdrückte ein hecktisches Kopfschütteln. Sie sträubte sich innerlich und wollte dort stehen bleiben, wo sie war. Doch sie fürchtete auch wieder diesen Druck in ihrem Kopf spüren zumüssen, der sie nahe einer Ohnmacht brachte. Aber nichts passierte. Noch nicht.

Lumen schluckte, weil sie sich sehr gut vorstellen konnte, dass er sie mit dem Bann belegen würde, wenn sie nicht horschte. Also folgte sie seinem Befehl, weil sie es nicht darauf ankommen lassen wollte und ging zum Magier. Blieb dann vor ihm stehen. Schaute zu Boden. Ihr ganzer Körper begann zu zittern.

Sie kam sich vor, wie ein Menschenopfer, dass schon bald sein Leben zu Gunsten eines dunklen Gottes aushauchen würde.

Tenebrae spürte ihre Angst und versuchte diese auszukosten. Beugte sich dann vor. Langsam. Strich mit seinen Händen über ihre Arme. Ergriff diese und zog sie näher an sich heran. Umschling ihre Hüfte, sodass sie sich nicht losmachen konnte. Ließ seine Nasenspitze dicht über ihren Bauch gleiten. Zeichnet damit sanfte Linien und Kreise und sog ihren Duft ein und gab ein wohliges Knurren von sich. Wie herrliche sie duftet, dachte er und lächelte heimlich. Lumen hätte am liebsten entsetzt aufgekeucht, als er sie an sich presste. Damit hatte er ihr gezeigt, dass er keine Rücksicht auf sie nehmen würde. Dass er sich das holen würde, was ihm gebührte. Ihr wurde speiübel bei diesem Gedanken und sie legte ihre Hände an seine Schultern, stemmte sich dagegen und sie wollte sich von ihm losreissen. Da schaute der Magier auf und seine Augen funkelten sie gefährlich an. „Habt Ihr vergessen, Prinzessin, dass es nun an Euch ist, mir einen Wunsch zuerfüllen?“, knurrte er. Sofort konnte sie sich nicht rühren, geschweige den einen Laut von sich geben. Wunsch, was ist das für ein Wunsch, wenn Ihr Euch an mich vergehen wollt, schrie es in ihrem Inneren, doch sie wagte es nicht, diese Frage laut auszusprechen. Zu groß war das Entsetzen über das, was der Magier tat. Und er schien noch viel weitergehen zuwollen. Denn als sie ihre Hände von seinen Schultern wieder nahm, er zog sie, mit einem dunklen Lächeln aufs Bett, noch bevor Lumen etwas dagegen tun konnte und legte sich mit der Geschmeidigkeit eines Raubtieres über sie. Sah sie mit vor Verlangenverschleierten Augen an. Lumens Blick war hingegen starr und voller Angst an die Decke gerichtet. Das Zittern nahm immer mehr zu bis sie glaubte, das Bett würde mitzittern und sie kämpfte dagegen an, laut aufzuschreien. Nichs desto trotz das sie sich fürchtete, hatte sie auch etwas wie Trotz in sich. Und dieser sorgte für einen abstrussen Gedanken. Wenn sie jetzt Schwäche zeigte und schrie, so glaubte sie, würde das den Magier noch mehr anstacheln. Sie kannte zwar nicht genug Männer und war immer in dem guten Glauben, dass jeder Mensch etwas wie Moral in sich hatte, aber sie wusste auch irgendwie, dass er auch etwas Verdorbenes in sich hatte. Und dieses Etwas trat nun ans Tageslicht.

Der Magier schien sich daran nicht zustören. Im Gegenteil. Er schien es zu geniessen!

Legte seine Hand auf ihren Innenschenkel. Lumen zuckte sammen, als sie seine kalte Hand auf ihrer Haut spürte. Kurz sah der Magier sie an. Wartete. Schien in ihrem Gesicht nach einer Reaktion zusuchen. Doch da Lumen ihn nicht direkt ansah, sondern zur Decke starrte, sah er dies nicht und ließ dann die Hand hinauf wandern. Immer weiter, bis sie mit den Finger zuerst unter dem Saum ihres Nachthemds verschwanden. Lumen schauderte. Biss sich auf die Unterlippe und kniff die Augen zusammen. Wandte dann den Kopf ab. Sie wollte nicht sehen, wie er weiter mit seiner Hand über ihren Körper strich. Es reichte schon, wenn sie es spürte.

Tenebrae bemerkte, wie die Prinzessin wegschaute und versuchte, seine Berührungen so gut wie es ging zu ignorieren. Auch wenn es ihn irgendwie freute, dass es sie erschreckte, sie anwiderte, ärgerte es ihn dennoch. All die ganze Zeit hatte er ihr das gegeben, was sie sich wünschte. Was ihr Herz erfreuen könnte. Doch jetzt, wo er etwas als Gegenleistung haben wollte, verweigerte sie es ihm. So als stünde es ihm nicht zu. Sowas undankbares, dachte er grollend. Machte sich an den Schnürren zuschaffen, die das Nachthemd zusammenhielten. Er drängte all seine Reue und Zweifel zurück. Was kümmerte es ihn schon, wenn sie sich wehrte und sich vor ihm ekelte. Wenn er dafür bekam, was ihm gehörte.

Langsam zog er an den Schnürren und schob dann erst die eine Seite, dann die andere ihres Nachthemdes beiseite und entblöste dabei ihre nackte Brust, die sich zitternt hob und senkte. Welch ein Anblick, dachte er lüsternt. Die dunkle Begierde, die in jedem Menschen und in jedem Mensch schlummerte, erwachte nun vollends zum Leben und brüllte begierig auf.

Und Tenebrae folgte diesem Brüllen.

Beugte sich nach unten und hauchte ihr einen Kuss auf die Haut, in das Tal zwischen ihren Brüsten. Lumen zuckte dabei noch heftiger zusammen und das Verlangen, aufzuspringen und davon zulaufen, wurde übermächtig. Ihr Körper allerdings schien ganz im Griff des Magiers zusein. Und so konnte sie nicht anders tun, als dazuliegen und es zu zulassen. Sich seinem Willen zuunterwerfen. Lumen wünschte sich an einen anderen Ort. Fort von hier. Schon beinahe begann sie zu weinen, weil sie es hasste, sich so hilflos zufühlen. „Ihr seid wunderschön!“, raunte er gegen ihre Haut und sie spürte jeden seiner heissen Atemzüge. Ein Schauern ging ihr durch den Leib. In ihrem Kopf hörte sie seine Worte immer wieder und auch ihre eigene Stimme. „Lügner!“, schrie sie innerlich und bäumte sich instinktiv unter ihm auf. Wollte es versuchen. Eigentlich hätte diese Worte sie beruhigen sollen. Doch das taten sie nicht. Mit dem was er tat, machte er ihr deutlich, dass er nie etwas Gutes im Sinn mit ihr hatte. Lumen presste die Lippen zusammen, um ein Schluchzen zuunterdrücken.

Sie fragte sich erneut, warum er ihr das antat?

Angst, vor dem was er bereit war zu tun und Verwirrung lähmten sie wie ein Gift. Sorgten dafür, dass sie sich nun nicht mehr gänzlich rühren konnte. Nichtmal Luft zuholen wagte sie. Sie blieb einfach nur liegen. Ließ es über sich ergehen. Doch ihr Körper konnte nicht ganz verbergen, wie es in ihr aussah. Eine Träne rann ihr über die Wange. Stumm. Ohne dass man es bemerken konnte. Tenebrae tat es jedoch. Er hielt inne, als er fühlte, wie ihr Körper zu beben begann und schaute auf sie nieder. Sah die Spur der einen Träne und mit einem Male musste er erkennen, dass er zuweit gegangen war. Erkannte was er gerade tun wollte. Und Ekel und Wut über sich selber erfasste ihn. Mit einer ruckartigen Bewegung, drehte er sich um. Wandte ihr den Rücken zu.

Für heute Abend war es genug.

„Geht, Prinzessin!“, sagte er. Seine Stimme war brüchtig und war die eines alten Mannes. Lumen, sichtlich erstaunt aber auch froh darüber, dass der Magier von ihr abließ, richtete sich auf. „Was?“, kam es ihr über die Lippen und dieses Wor war aus reiner Verwrriung geboren. „Ich sagte, dass Ihr gehen sollt!“, fauchte er und Lumen schluckte. Eiligst flochte sie dann die Schnürre ihres Nachthemdes zusammen und lief zur Tür. Noch bevor sie aus dem Zimmer war, sah sie zum letzten Mal zum Magier. Dann ging sie. Erleichtert dass es vorbei war.
 

Als die Prinzessin draußen war, begann sich der Magier zufragen, was er sich nur gedacht hatte. Er hatte vorgehabt sie dazu zubringen, ihn zuhassen. Er hatte gehofft, dass wenn er sie dazu zwang, mit ihm diese Nacht zuverbringen, würden ihre Gefühle, die er deutlich in ihren Augen sah, verschwinden. Sodass nur eine Gefühl da war, mit dem er vermutlich besser leben konnte. Hass!

Doch als er gesehen hatte, wie sie begann zu weinen und ihn angesehen hatte, hatte er feststellen müssen, dass er zuweit gegangen war. Was hatte er sich nur dabei gedacht?

Er hätte es besser wissen müssen.

Ein leises Rascheln holte ihn aus seinen Grübeleien und bevor er nachschauen konnte, wer da war, spürte er eine zierliche Hand über seinen nackten Rücken gleiten und hörte eine Stimme, dicht an seinem Ohr:„ Wollt Ihr nicht mit mir vorlieb nehmen?“

Tenebraes Gesicht verfinsterte sich, als er sie erkannte. Fallacia?

Sie war wirklich die Letzte, die er bei sich haben wollte. Von berühren lassen, ganz zuschweigen. Steif und mit düsterer Miene saß er da und biss sich auf die Unterlippe, bis er Blut schmeckte. „Ich bin sicherlich viel fügsamer, als die Prinzessin!“, säußelte sie und glitt mit der Hand vom Rücken, über seine Seite und hinauf zu seiner Brust. Strich lockend darüber. Bei einem anderen Mann hätte die Berührung wahre Lust entfacht, so wie sie darüber strich und versuchte ihren Herrn zu umgarnen. Doch Tenebrae ließ das kalt.

Es widerte ihn sogar an und machte ihn wütend, dass sie sich die Frechheit nahm, ihn zu berühren und ihn zu etweas zubringen, was niemals passieren würde. Der Magier holte tief Luft, ballte die Hände zu Fäusten bis die Knöchel weiss wurden. Versuchte die Berührungen seiner Dienerin nicht zubeachten. Doch als sie es wagte, ihm einen Kuss auf den Hals zuhauchen, konnte er nicht mehr an sich halten. Mit einem Wutschrei, drehte er sich um, entriss sich ihrer Umarmung und rammte ihr gleichzeitig seine Faust ins Gesicht der Schönen. Fallacia stiess einen schrillen Schmerzensschrei aus und fiel vom Bett. Hielt sich ihr Gesicht und blickte ihren Meister ungläubig an. Versuchte sich sogleich bei ihm zu entschuldigen. Doch Tenebrae wollte davon nichts hören. „ Mach das du wegkommst, oder…!“, drohte Tenebrae und ließ eine dunkle Welle hinter sich auftürmen. Fallacia verstand und eilte, gebückt, das Schlafgemach.
 

Den ganzen Tag über machte sich Lumen ihre Gedanken, über das was gestern Nacht beinahe geschehen war. Sie war im ersten Moment erleichtert gewesen, dass er sich von ihr zurück zog. Hatte sich aber dann doch gefragt, was das alles sollte.

Erst holte er sie zu sich ins Bett. Wollte sie sich nehmen. Sie hatte es deutlich in seinen Augen gesehen. Und danh hatte er sie weggeschickt.

Auch wenn sie froh, dass er sich am Ende doch noch zurückgehalten hattem, begriff sie es nicht. Sie hatte es ihm irgendwie zugtreut. In den letzten Tagen hatte er ihr deutlich die kalte Schulter gezeigt und Dinge von ihr verlangt, an die er zu anfang bestimmt nicht hatte.

Aber was hätte er davon?

All sein ganzes Streben hatte er doch darauf ausgelegt, dass sie sich wohlfühlte. Das ergab doch keinen Sinn.

Ach was zerbrach sie sich den Kopf. Egal wie sehr sie darüber auch nachdachte, versuchte eine Lösung darauf zufinden, es würde nichts bringen. Es gab so viele widersprüchliche Dinge, die nicht zusammen passen wollten. Nachdenklich und bekümmert stand sie am Fenster und spielte dabei geistesabwesend mit dem Ring an ihrem Finger. „Was soll ich nur tun?“, fragte sie sich dann nach einer Weile und schaute zum Ring hinunter. Trotz des dämmrigen Lichtes, schimmerte der grüne Smaragd in der Fassung. Fast so als wollte er ihr mit ihr sprechen. „Sag mir bitte, was ich tun soll!“, bat sie ihn und schaute weiterhin auf ihn hinunter. „Sprich mit ihm!“, flüsterte plötzlich eine Stimme und sie zuckte zusammen. Entgeistert schaute Lumen den Ring an ihrem Finger an, hob die Hand und legte dann den Kopf schief, sodass der Ring an ihrem Ohr war. Hatte sie sich jetzt was eingebildet, oder hatte sie wirklich eine Stimme gehört?

„Was…?“, flüsterte sie und hoffte so, dass der Ring nochmal antworten konnte. „Sprich mit ihm!“, wiederholte der Ring und sie machte einen Schritt zurück.

Nein, das hatte sie sich nicht eingebildet. Der Ring hatte gesprochen!

Aber wie war das möglich?

Und was sie noch mehr verwirrte war, dass sie mit ihm reden sollte. Würde er ihr denn zuhören?

„Du wirst es nie erfahren, wenn du es nichts wagst!“, ertönte die Stimme, die bisher immer die Entscheidungen getroffen hatten, die aus ihrem Herzen kamen. Warum also sollte sie auch diesesmal nicht auf sie hören. Weil sie sich fürchtete erneut abgewiesen zuwerden, gab sie sich selber darauf die Antwort. Aber vielleicht würde es diesesmal anders sein, machte sie sich die Hoffnung. Es gab nur einen Weg das heraus zufinden.

Wenige Minuten später stand sie vor der Tür und klopfte an. Während sie wartete, dass er sie hereinbitten würde, überlegte sie sich, wie sie am besten anfangen sollte. Es würde nicht leicht werden, dass wusste sie. Aber sie musste es versuchen. Als dann die Tür aufschwang trat sie ein und sah den Magier, der vor dem Kamin stand. Sein Gesicht lag im Dunkeln, während das Licht des Feuers seinen Körperumriss scharf von der üblichen Dunkelheit um ihn herum abhob. Lumen fühlte nun wieder die gewohnte Nervösität von ihr Besitz ergreifen und ihre Knie begannen zu zittern. Ihr Verstand sagte augenbklicklich, dass sie lieber davon laufen sollte. Aber ihr Herz sagte, dass sie es niemals erfahren würde, wenn sie nicht den Versuch machte und über ihren Schatten sprang. „Ich…ich muss mit Euch sprechen!“, sagte sie und trat ein. Verschte dabei selbstsicher zuwirken, wenn es nur nicht so dunkel wäre und er sie anschaute, als hätte sie ihn bei etwas gestört. Lumen verfluchte diese Finsterniss und wünschte sich eine Kerze dabei zu haben, um immerhin etwas Licht zu haben. „Über was denn?“, fragte der Magier und legte den Kopf schief. Lumen biss sich kurz auf die Lippe, dann holte sie tief Luft, während sie auf ihn zuging und dann dicht vor ihm stehen blieb. „Über das, was gestern vorgefallen ist!“, erklärte sie knapp und der Magier drehte sich abrupt um. Zeigte ihr damit deutlich die kalte Schulter. „Was gestern war, ist längst vergangen. Nicht mehr wichtig!“, sagte er ungerührt und versuchte es selber zu glauben. Doch es belastete ihn genaso, wie es der Prinzessin zu denken gab und er wäre am liebsten im Boden versunken. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis sie sich daraüber Gedanken machte. Und auch wenn der Magier irgendwie dankbar war, dass sie ihn damit konfrontiterte, hätte er diesen Moment am liebsten noch etwas weiterhinaus gezögert, bis er sich was überlegt hatte, wie es weiter ging. Nun aber stand die Prinzessin hinter ihm und wollte wissen, was nun Sache war. Und das war ihr gutes Recht.

Lumen schüttelte den Kopf. Nein, das war nicht vergangen und unwichtig. Sondern ein Grund um endlich zuerfahren, was er wirklich wollte. So ergriff sie seinen Arm. „Nein, das ist es nicht. Sagt mir, was Ihr Euch dabei gedacht habt. Was Euch dazu getrieben hat und warum Ihr es beendet habt?“, verlangte sie zuwissen. Es spurdelte einfach so aus ihr heraus. Ihr Herz hatte nun die Oberhand gewonnen und die Vernunft niedergerungen. Zuerst war sie selber über ihre Worte erstaunt, aber auch erleichtert, dass sie endlich ausgesprochen hatte. Der Magier rührte sich nicht, hatte ihren Worten gelauscht und musste den Drang unterdrücken, sich um zudrehen und ihr alles zu beichten. Aber ihre Hand abschütteln konnte er auch nicht. In dieser Geste lag soviel Flehen und Hilflosigkeit, dass er es nicht fertigbrachte. Schon zusehr hatte sie sein Herz erobert. „Seid froh, dass ich es beendet habe. Ich habe ja gesehen, dass Ihr es nicht wolltet. Euer Gesicht und Eure Tränen waren mehr als deutlich!“, sagte er und seine Stimme begann zu zittern. Lumen biss sich auf die Unterlippe. „Da habt Ihr Recht. Ich habe mich gefrüchtet und wäre am liebsten vor Euch weggelaufen. Aber dann…!“, wollte sie sagen, da drehte sich der Magier um und sah sie mit einem fragenden Blick an. „Aber?“

„Aber dann habe ich…gespürt, dass Ihr…das ihr das nicht selber wolltet!“, kam es aus ihr, auch wenn sie selber nicht wusste, wie sie auf so einen Schwachsinn kam. Doch Lumen wollte nicht weiter darüber nachdenken. Tenebrae hob die Brauen. „Wie kommt Ihr denn darauf?“, war seine Frage, womit er bestätigte, dass ihre Worte dumm gewählt waren. Lumen schaute ihn nur flüchtig an, dann schaute sie wieder zu Boden und suchte nach einer Möglichkeit sich aus dieser Sackgasse rauszureden. „Ich…Ihr hättet weitermachen können. Hättet mich ausgelacht und mich mit Gewalt nehmen können, so wie Ihr es vermutlich auch vorgehabt hatte. Habt Ihr aber nicht. Ihr hättet mich für meine Hoffnung, dass Ihr mir nichts tun würdet, bestrafen können, wenn Ihr wirklich so grausam gewesen wärt. Das habt Ihr aber auch nicht!“, sagte sie und mit jedem Satz, den sie aussprach wuchs in ihr neuer Mut und hob dabei den Blick, bis sie ihn ansah. „Und außerdem, habt Ihr mir versprochen, dass Ihr mir niemals was tun würdet. Dass Ihr mich fortgeschickt habt, beweist, dass Ihr nie im Sinn hattet, mich Euch zu unterwerfen!“

Dann folgte eine lange Pause und Lumen holte tief Luft, um ihren Gedanken zuvollenden. „Ihr habt immer Euer Wort gehalten. Habt mir nie etwas angetan. Warum solltet Ihr das also jetzt ändern?“, fragte sie. „Das passt nicht zu Euch!“

Tenebrae sah sie für einige Minuten an und musste innerlich staunen über ihren plötzlichen Mut und ihren Scharfsinn. Sie hatte Recht. Er hatte es nie im Sinn gehabt. Zumindest nicht so weit zugehen. Ihr nur ein wenig Angst machen. Nun aber erkannte er, dass er sie unterschätzt hatte. Wo er zu anfang dachte, dass sie ein Kind sei, welches naiv und ängstlich war, stand nun eine Frau, die es besser wusste, Die in ihn hineinsehen konnte, wenn sie es nur wirklich wollte. Und das machte ihm etwas Angst. War er so vorhersehbar geworden?

„Woher wollt Ihr das wissen. Ich könnte Euch auch etwas vormachen!“, erwiderte er, gespannt auf ihre Antwort. Er hegte die leise Hoffnung, dass sie nun einknicken und vor sich hinstammeln würde. Doch nichts dergleichen passierte. Lumens Augen nahmen einen seltsamen ernsten und wissenden Blick an. „Das stimmt. Das könntet Ihr. Aber das würdet Ihr nie tun. Ich…ich vertraue darauf. Ich vertraue Euch!“

„Und was wenn Euch Euer Vertrauen den Kopf kosten könnte?“, fragte er und beugte sich dabei zu ihr hinunter. Ihm war bewusst, dass er das unvermeintliche herausforderte und auch wenn er es nicht wollte, konnte er nicht anders. Er wollte es wissen.

Lumen wiederstand dabei einen Schritt zurück zumachen. Blieb stehen. Wenn sie jetzt kleinbeigab, würde sie nicht nochmal den Mut finden und ihm die Stirn bieten können. „Selbst wenn es mich den Kopf kostet. Ich fürchte den Tod nicht. Nicht mehr!“

„Ihr wärt also bereit jeden Preis zuzahlen?“

Als der Magier das sagte, holte sie erstmal tief Luft. War sie wirklich bereit dazu?

Doch ihr Herz kannte bereits die Antwort. Und zu dieser stand sie.

„Ja. Ja, das wäre ich. Mir wäre alles gleich. Wenn ich nur…wenn ich nur bei Euch sein darf!“

Die Augen des Magiers wurden groß. Wäre er nicht selber erstaunt über ihre Worte, hätte er darüber gelächelt. Hätte ihre, so dachte er, aus reiner Verzweiflung, ausgeprochenen Worte verhöhnt. Doch als er ihr in die Augen sah, wusste er, dass sie es ernst meinte. Ein Zittern ging durch ihn durch und er war es nun, der schwankte und kaum den Mut aufbrachte, die nächste Frage zustellen. „Warum nehmt Ihr ein solch großes Wagnis auf Euch?“

„Weil ich…weil ich Euch liebe!“, brachte sie hervor, wobei sie erst gezögert hatte. Aber wenn sie es jetzt nicht aussprach, würde sie das niemals aussprechen.

Lumen sah, wie sich die Augen des Magiers noch mehr weiteten und er den Mund öffnete, um etwas zusagen. Nein, schrie sie innerlich, weil sie fürchtete, dass er ihr Geständnniss nicht hören wollte. Noch bevor eine Silbe über seine Lippen kam, machte sie eine Satz nachvorne, schlang ihre Arme um seinen Hals und drückte ihm ihre Lippen auf die seinen. „Ich liebe Euch!“, brachte sie noch hervor, ehe sie ihn küsste.

In den Magier begann ein Sturm von unterschiedlichen Gefühlen zutoben, als er diese Worte aus dem Munde der Prinzessin hörte. Weil ich Euch liebe!

Tauendfach hallte diese eine Satz durch seinen Kopf. Freude, Erleichterung, aber auch Angst. Er wusste beim besten Willen nicht, was er darauf sagen sollte. Geschweige denn wie er reagieren sollte. Tausend Stimmen drängten ihn, sie zu umarmen und ihren Kuss zuerwidern.

Was sprach auch dagegen. Er wollte es ebenso wie sie. Wollte sie ebenso spüren und berühren dürfen. Schjon vorher hatte er sie geküsst und sie in seine Arme geschlossen. Es war nichts Verbotenes. Sondern nur natürlich. Was wäre also falsch daran?

Wie zur Antwort hörte er das Whispern der Schatten, die er schon in der Bibliothek gehört hatte, als er sie das erstmal bewusst geküsst hatte und fort an immer hörte. Ihn mit ihrer Boshaft dafür sorgten, dass er sich zu fürchten begann. Sich fürchtete, dass sie der Prinzessin das Leben raubten. Nur deswegen hatte er sich dazu entschlossen, sich ihr gegenüber grausam zuverhalten. Nun aber schien dies alles zunischte gemacht worden zusein.

Tenebrae war versucht, den Kuss zuerwidern. Zwang sich jedoch sich zurück zuhalten. Sanft schob er sie von sich. Er musste nachdenken. Nach einer richtigen Lösung suchen.

„Was…?“, fragte sie und ihr Gesicht spiegelte Verwirrung und auch Schmerz. „Ich biete Euch, gebt mir Zeit, Prinzessin!“, bat er leise. Lumen sah ihn für einige Minuten an. Dann nickte sie. Mehr konnte sie nicht mehr tun. Sie hatte ihm ihre Liebe gestanden. Nun lag es an ihm. Doch bevor sie ging, streifte sie den Ring von ihrem Finger ab und reichte ihn dem Magier. „Dann nehmt ihn trotzdem!“, sagte sie und der Magier nahm den Ring an sich. Sah sie etwas verwirrt an. „Gebt ihn mir wieder, wenn Ihr es Euch doch anders überlegt hat!“, sagte sie dann und wandte sich um. Als sie draußen war, schaute er auf den Ring. Ihre Bitte war unmissverständlich. Wenn er sie nicht liebte, so würde er ihr den Ring wiedergeben.

Gedankenverloren ließ er den Ring zwischen seinem Zeigefinger und Daumen kreisen. Wog dabei jedes Pro und Kontra ab. War es klug, sich seinen Gefühlen schlussendlich hinzugeben?

Wäre es nicht besser, ihr den Ring wieder zugeben?

Könnte er damit leben, seine Liebe zu ihr für sich zu behalten und sie so tief in sich zuvergraben, auf das nichts sie ans Licht bringen könnte?

Würde es ihn nicht eher um den Versand bringen. Ihn wahnsinnig machen, bis er daran starb?

Der Tod wäre ein leicht ertragebares Schicksal, als sie sterben zusehen. Aber sie, nachdem sie in ihn hingesehen hatte, zurückzuweisen, hielt er für undankbar und noch grausamer, als alles Bisherige. Da kam Comitas rein, der seinen Herrn mit sorgenvoller Miene ansah. Lange stand er so da, und sagte nichts. Für den Magier gab es keine andere Möglichkeit, warum er hier war, als das er die Reaktion der Prinzessin gesehen hatte und nun wissen wollte, was passiert war. „Du warst immer mein Gewissen. Hast mir immer klar vor Augen gezeigt, was wichtig ist. Warst immer für mich da, wenn ich mich allein fühlte. Ich habe das bisher nie zu schätzen gewusst!“, begann der Magier und sah die ganze Zeit den Ring an. Comitas hatte zu jedem Satz genickt. Hatte nichts gesagt. Er sah dem Magier, seinem Herrn, deutlich an, dass ihn etwas schwer zuschaffen machte und er wollte auch diesesmal ihm zur Seite stehen. Beim letztne Satz wollte er jedoch zu einer Antwort ansetzen. Ihm sagen, dass sein Vetrauen und seine Freundlichkeit ihm Dank genug war. Dass er ihm nichts schuldete. Doch Tenebrae hob die Hand. Brachte ihn so zum Schweigen. „Und auch diesesmal bitte ich dich, mir zusagen, was ich richtig ist. Ist es die richtigte Entscheidung, wenn ich zu meinen Gefühlen stehe oder nicht doch ein zugroßes Risiko?“, fragte er und sah nun zu Comitas. Comitas sagte erstmal nichts. Dachte selber nach. Nun war es soweit. Sie waren an einem Punkt angelangt, an dem eine Entscheidung gefällt werden muss. Und Comitas musste bedauernd einsehen, dass er ihm diese Entscheidung nicht abnehmen konnte. Geschweige denn ihm dabei helfen konnte.

„Dass nur Ihr wissen könnt!“, sagte er mit schwacher Stimme. Tenebraes Gesicht verzog sich, als er das hörte. Was anderes hatte er eigentlich nicht erwartet. Ihm war irgendwie bewusst gewesen, dass sein treuer Diener ihm diesesmal nicht helfen konnte. Diesesmal musste eres selber tun. Selber die richtigte Entscheidung treffen.
 

Lumen war, seit sie aufgestanden war, in ihrem Zimmer aufundab gelaufen. Immer wieder fragte sie sich, ob es wirklich eine gute Idee gewesen war, ihm ihre Liebe zugestehen und ob er sich für sie entscheiden würde. Der Ringe, den sie ihm gegeben hatte, war ein Pfand ihrer Liebe. Und wenn er ihn ihr wiedergab, würde es bedeuten, dass er nicht so fühlte, wie sie. Bei diesem Gedanken zog sich ihr Magen zusammen. Nein, sagte sie sich und schüttelte den Kopf. Er liebt mich. Ich weiss es. Ich spüre es.

Als es ihr zu dumm wurde, setzte sie sich hin und versuchte sich abzulenken.

Dann aber klopfte es an der Tür und Lumen zuckte zusammen. „J-Ja?“, rief sie viel zulaut und erhob sich. Die Türe öffnete sich und der Magier trat ein. Lumen schnappte unwillkürlich nach Luft und straffte die Schultern. So wie er dreinschaute, konnte man denken, er würde etwas tun, was ihm sehr sehr schwerfiel. „Tenebrae, was…?“, fragte sie und sie sah, wie er bei der Erwähnung seines Namens aus ihrem Munde zusammenzuckte. „Kommt mit!“, befahl er barsch. Lumen gehorchte. Lag es an den beiden einzigen Worten, oder eher an dem Klang seiner Stimme?

Lumen konnte es sich nicht genau sagen. Aber ihre Füsse bewegten sich wie von selbst und sie folgte dem Magier. Den Gang entlang und zuerst dachte sie, sie würden in die Bibliothek gehen. Doch als sie den nächsten Gang abbogen, der in einen entlegenen Teil des Schlosses führte, fragte sie sich, wohin er sie führte.

Sie fragte sich das immer wieder, während sie weitergingen und dann einen Treppe hinunterstiegen. Die Wände, die vorher mit Seidentapetten überzogen waren, wurden nun kahl und waren nun aus blanken Steinen. Sie glänzten vor Feuchtigkeit, je tiefer sie hinunter stiegen. Vereinzelt steckten brennende Fackeln in den Wandhalterungen und spendeten genug Licht, um die Stufen, die unregelmässig waren, zusehen. Es wurde immer kälter.

Während sie hinabstiegen, wechselten sie kein Wort und Lumen wurde es mal zumal unwohl zumute. Immer wieder warf sie einen Blick zu ihm. Doch der Magier blickte stur geradeaus und schien nicht daran interessiert zusein, mit ihr ein Gespräch anzufangen. Oder gar sie aufzuklären, warum sie hier hinunter gingen.

Als sie am Treppenende angekommen waren, stieg ihr ein modriger Duft in die Nase. Es war feucht und kalt und sie fröstelte. Lumen versuchte die Kälte und den Geruch zu ignorieren. Wo zum Teufel waren sie?

Gerade wollte sie dem Magier dies fragen, als sie an der ersten Tür vorbeiliefen. Sie war aus dickem Holz und mit Eisen beschlagen. Ein schweres Schloss hign daran. Lumen fuhr der Schrecken in alle Glieder. Mit einem Schlag wich ihr das Blut aus dem Gesicht, als sie erkannte, wo sie waren. Sie waren in einem Verließ!

Lumen warf dem Magier einen fassungslosen Blick zu. Warum hatte er sie hierhergebracht?

Statt was zusagen, ging der Magier zu einer der Zellentüren und schloss sie auf. Und noch ehe Lumen reagieren oder etwas sagen konnte, traf sie ein heftiger Schlag im Genick. Lumen gab noch einen kurzen Laut von sich, bevor sie zu Boden ging und das Bewusstsein verlor.
 

Als sie wieder zu sich kam, durchfuhr ein schrecklicher Schmerz ihre Arme und ihre Finger fühlten sich schrecklich taub an. Lumen wimmerte und blickte hoch. Wollte wissen, warum ihr die Arme schmerzten und ihre Finger nicht mehr zuspüren waren. Ihr fuhr der Schreck in alle Gleider, als sie sah, dass ihre Hände hoch über ihrem Kopf und von eiskalten Eisenschellen gefesselt waren. „Was zum…!“, keuchte sie und blickte dann an sich hinunter. Ihre Füsse waren nackt. Ebenso wie ihr Oberkörper. Jemand musste sie, während sie bewusstlos war, ausgezogen haben. Nur ihren Unterrock hatte man ihr gelassen. Lumen fror erbärmlich. Noch schlimmer als vorher. Es wurde immer schlimmer, mit jedem zittrigen Atemzug, den sie machte. Angst und Verzweiflung ergriffen sie und lähmten jeden Muskel in ihr. Hecktisch suchten ihre Augen die Zelle ab, die ihre geworden war. Es war dunkel. Nur durch ein kleines, vergittertes Fenster fiel schwaches Licht hinein. Fiel auf sie.

Ihre Gedanken überschlugen sich. Warum war sie hier gefesselt.

Erlaubte sich der Magier einen bösen Scherz?

Ihr blieb nicht viel Zeit, um sich darüber Gedanken zu machen, denn die Tür öffnete sich laut qiuetschend und eine Gestalt trat ein. Lumen versuchte etwas zuerkennen. Doch es war zu dunkel und die Gestalt bewegte sich zu schnell, als sie etwas sehen konnte. Die Zellentür schloss sich wieder und sie nun hörte Schritte. Schritte, die sich ihr näherten und dann hinter ihr waren. Nun herrschte Stille. Lumen konnte nur ihr Atmen hören. Er war zittrig und unkontrolliert. Es hörte sich wie das Röscheln einer Erwürgenden an. Sie drehte den Kopf, verrenkte sich, um zusehen wer da hinter ihr war. Ohne Erfolg.

In der Stille hörte sie plötzlich, wie etwas auf den Boden glitt. Die Angst wurde immer größer und ihr brach kalter Schweiss aus.

„Wer…wer ist da?“, fragte sie zitternd und statt mit Worten, anwortete man ihr mit einem lauten Knallen. Es lief ihr augenblicklich kalten den Rücken hinunter. Nur wenige Minuten später schrie sie gepeinigt auf, als sich ein Schmerz über und ihren Rücken ausbreitete, der brannte wie Feuer. Sie spürte neben dem Schmerz, wie Blut, heiss und flüssig über ihren Rücken floss. Wieder ein Knallen und ein neuer Schmerz durchfuhr sie, wie Feuer. Lumen schrie erneut auf. Nach diesen Schlägen folgten weitere und bei jedem Schlag, schrie die Prinzessin auf.

Für Fallacia waren diese Schreie wahre Musik in den Ohren. Es war soleicht gewesen, die Prinzessin mit einem einfachen Täuschungszauber hier in das Verließ zulocken. Sie war ihr blind gefolgt, nur weil sie das Gesicht des Magiers angenommen hatte. Und nun war sie ihr ausgeliefert. Hilflos und ohne, dass ihr jemand zur Hilfe kam. Nicht mal dieser kleine nervige Zwerg. Die Aussicht, dass sie sie peinigen und zu Tode prügeln konnte, ohne dass ihr Herr dazwischen ging, zauberte ein böses Lächeln auf ihre Lippen. Endlich würde sie ihrer Wut und ihrer Eifersucht, die sie solange gequält hatten, freien Lauf geben können. Dabei führte sie sich immer wieder vor Augen, wie nah sie dem Magier gekommen war. Wie sie es geschafft hatte, ihn sein Herz zustehlen. Ihn weich gemacht und zugleich blind gemacht hatte, für das, was eigentlich war. Und als sie gesehen hatte, wie dieses elende Miststück den Magier geküsst hatte, war ihr endgültig der Kragen geplatzt. Sie wollte sie strafen. Strafen für die Unverschämtheit und für das, was ihr gelang, was ihr versagt blieb. Dass ihr Herr ebenso Mitschuld daran hatte, schien ihr nicht in den Sinn zukommen. Zu sehr hatte sie sich in ihren Hass auf die Prinzessin, auf ihre Rivalin verrannt, als sie das sehen konnte. Und diesen Hass ließ sie die Prinzessin spüren. Mit jedem Schlag der Peitschte, der ihren Hass begleitete und mit jedem Schrei, den die Prinzessin ausstiess, wuchs die Freude, dass sie ihr bald das Leben rausgeprügelt hatte. Fallacia verfiel in ein irres Lachen, schlug heftiger zu und schon bald und zu ihrem Bedauern, verstummten die Schreie der hilflosen und gepeinigten Prinzessin. Leblos hing sie wie eine Puppe in ihren Ketten. Ihr Rücken war blutverschmiert und von zahlreichen Striemen, die sehr tief waren und den Tod bedeuten konnten, entstellt. Fallacia war das jedoch egal. Sie wollte solange auf sie einschlagen, bis nichts mehr an dem Mädchen menschlich war. Bis es nichts war, als ein zerfetzter Sack aus blutendem Fleisch. Wenn sie mit dem Rücken fertig war, würde sie sich den Rest vornehmen. Ja, so würde sie das machen. Sie würde sie mit ihrer Peitsche solange bearbeiten, bis nicht mal die Assgeier draußen, sie anrühren wollten.

Tief nach Luft holend hörte sie dann auf, auf den geschundenen Rücken einzuschlagen und ging nachvorne, um mit der Brust der Prinzessin fortzufahren. Kurz hielt sie inne, hob dann mit dem Stiel der Peitsche das Gesicht der bewusstlosen Prinzessin an und verzog angewidert das Gesicht. Sie war schön. Das musste sie zugeben. Und diese Schönheit hatte den Magier, den sie verehrte, verhext. Fallacia knurrte. „Dein hübsches Gesicht werde ich dir jetzt nehmen, sodass dich kein Mann mehr haben will!“

Dann trat sie zurück und schwenkte die Peitsche zum neuen Schlag. Doch als sie zu diesem ausholen wollte, wurde er mitten in der Bewegung gestoppt. Fallacia stutzte. Drehte sich dann um und erstarrte. Hinter ihr stand der Magier. Er war es, der die Peitsche festhielt und sie mit einem gefährlichen, beinahe schon tödlichen Blick anschaute. Alles Blut wich ihr aus dem Gesicht. Wo sie vorher so vor Euphorie über das Leid der Prinzessin erfüllt war, war nun das einzige Gefühl, was sie erfüllte, blanke Panik. „Was tust du hier?“, fragte der Magier leise und knurrend. Ihm war die Überflüssigkeit seiner Frage bewusst. Es war allzudeutlich, was er da tat. Dennoch wollte er es aus ihrem Mund hören. Dass sie aber stattdessen schwieg und ihn nur ängstlich ansah, machte ihn wütend. Hätte sie zu ihrer Tat offen gestanden, hätte ihn um Vergebung angefleht, dann wäre er bereit gewesen, ein Auge zu zudrücken. Doch das hatte er vielzuoft und sie war eindeutig zuweit gegangen. Mit einem Ruck entriss er ihr die Peitsche. Beachtete nicht das Blut, welches er sich auf die Hand und seine Kleider schmierte. Zugroß war die Wut auf seine Dienerin, die sich angemasst hatte, der Prinzessin ein Haar zukrümmen. Flüchtig schaute er Lumen an. Sah dass sie bewusstlos war. Dass war vermutlich das Beste, was passieren konnte. Als sein Blick aber auf das Blut und ihren Rücken traf, schaute er cshnell weg. Zu tief traf es ihn, als er dies sah und wandte sich wieder Fallacia zu. „Comitas!“, schrie er und seine Stimme hallte von den Steinwänden tausendfach wieder. Nach einigen Minuten betrat er die Zelle und als er die Prinzessin schlug er die Hände vor den Mund. Murmelte entsetzte Worte. Konnte sich nicht rühren. „Mach sie von diesen Ketten los und kümmere dich um sie!“, war sein Befehl und Comitas gehorchte. Emsig machte er sich daran sie von den Ketten zubefreien. Als Lumen zu Boden ging, stützte er sie und versuchte sich daran, sie aus der Zelle zuschaffen. Tenebrae sah, wie sich sein Diener damit abplagte. Seufzte und schnippte mit dem Finger. Schon waren sie verschwunden.

Dann wandte er sich wieder Fallacia zu, die sich nicht gerührt hatte und ihn mit bebenden Lippen anschaute. „Bi-bitte…!“, stammelte sie und wollte aufstehen. Dabei weiterhin um Gnade flehen. Aber da traf sie die Peitsche mitten ins Gesicht.

Fallacia schrie, hielt sich ihr Gesicht. Blut strömte aus dem Schnitt über ihr Gesicht. Sie taumelte nach hinten. Ging dann in die Knie, als sie ein neuer Schlag traf. Diesesmal auf ihre Beine, der ihr die Kraft nahm.

Tenebrae sah mit kalter Genugtuung, wie seine untreugewordene Dienerin Schmerzen hatte und sich zurückzog, wie ein verängstiges Tier. Ihn dabei anflehte, sie zuverschonen. Doch der Magier dachte nicht daran. „Du hast es gewagt, die Prinzessin zuverletzten. Wolltest sie umbringen. Ich werde keine Gnade wallten lassen. Doch töten werde ich dich nicht. Aber strafen werde ich dich trotzdem!“, sagte er und murmelte dann einige Worte. Die Peitsche, die er in der Hand hielt, wurde von einem tiefroten Glühen umhüllt und als das Glühen erlosch, sah Fallacia, wie sich die Peitsche zu bewegen begann. Sie hörte ein Zischen und als sie genauer hinsah, sah sie mit Entsetzen, wie auf der Oberfläche der Peitsche kleine Mäuler aufgetaucht waren. Sie öffneten sich, sodass Fallacia die ebenso kleinen, aber scharfen Zähne sehen konnte. Ihr Atem stockte. Schüttelte dann den Kopf, weil sie nun wusste, was er vorhatte. „Nein…nein…bitte…bitte nicht!“, wimmerte sie und sah ihn flehend an. Doch Tenebrae dachte nicht daran, ihr Flehen zuerhören. „Hör auf zu wimmern und zu jammern. Du bekommst deine Strafe!“, sagte er und schlug im nächsten Moment zu. Wenn die Schläge einer einfachen Peitsche schon schlimm waren, so waren die Schläge dieser verhexten Peitsche um ein tausendfach schlimmer. Die Zähne der Mäuler gruben sich tief in ihr Fleisch. Rissen dabei Stücke aus ihrem Gesicht, ihrer Brust, ihrer Arme und Beine. Je nachdem wo er sie schlug. Schon bald war sie von kleinen aber nicht minder harmlosen Bisswunden übersät. Ihre Wut auf die Prinzessin und die Freude, die sie bei ihren Schreien verspürt hatte, waren nichts im Vergleich zu der des Magiers, als er auf sie einschlug. Ebenso ihre Schläge. Während ihre schnell waren, waren seine langsam und damit viel schlimmer. Das rythmische Knallen der Peitsche wurde zu einem grausamen Stakkato, der in den Gängen wiederhallte. Untermalt von ihren Schreien und von seinen Worten, die sich immer und immer wiederholten. „Rühr. Sie. Nie. Wieder. An. Hast. Du. Mich.Verstanden?!“
 

Comitas hatte die Wunden der Prinzessin gesäubert und verbunden. Hatte sie auf den Bauch gelegt, damit die Wunden in Ruhe heilen konnten. Hatte die Decke über sie gezogen, damit sie nicht fror. Ein starkes Zittern schüttelte sie und als Comitas ihre Stirn berührte, musste er feststellen, dass sie regelrecht glühte. Schnell holte er eine Schale mit Wasser und tupfte mit einem angefeuchten Tuch diese ab. Er wich ihr nun nicht mehr von der Seite. Wachte über sie. Wenn sie in ihrer Ohnmacht anfing zu wimmern und zuweinen, tätschelte er sanft ihre Hand und flüsterte, dass alles gut war. Dabei beruhigte sie sich wieder.

Als der Magier mit Fallacia fertig war, hatte er sich zu der Prinzessin begeben. Er stand in der Tür, als Comitas sich zu ihm umdrehte und eilte zu ihm. „Wie geht es ihr?“, fragte der Magier, ohne den Blick von der Prinzessin zunehmen. Comitas schaute kurz zu ihr, seufzte dann. „Die Wunden ich versorgen konnte. Aber sie starkes Fieber hat!“, erklärte er. Tenebrae atmete tief durch und ging dann zu ihr. Kniete sich neben dem Bett und schaute sie an. Es war reiner Zufall gewesen, dass er ihre Schreie gehört hatte. Gerade war er durch das Schloss umhergewandert, um sich im Klaren zu sein, was er für sie fühlte. Als er ihre Schreie hörte, glaubte er, es seien die Klagelaut der Schatten. Dann hörte er die Schläge. Und war ihnen gefolgt. Zum einen aus Neugier. Er wollte wissen, woher diese kamen. Die Schläge und Schreie wurden immer lauter, während er seine Schritte in den alten Trakt des Schlosses lenkte und dann vor der Türe stand, hinter der die Treppe zu den alten Verließen führte. Sofort fühlte der Magier wie sein Innerestes zu Eis wurde. Es war Ewigkeiten her, dass er einen Fuss auf diese Treppe gesetzt hatte, die in die Finsterniss führte. Nun aber würde er wieder hinuntergehen. Und es ließ ihn innehalten. Es gab sogut wir nichts, vor dem er sich fürchtete. Aber dieses Verließ, in dem sein Vater einst seine Feinde eingesperrt hatte und deren Wehklagen bis hinauf erklangen, hatten immer kalte Schauer über seinen kindlichen Rücken laufen lassen. Das lag nun Jahre zurück und das Verließ, hatte nichts von seinem Schkrecken eingebüsst. Kurz zauderte er mit sich, überlegte, ob er wirklich dahinunter wollte. Doch als er wieder die Schläge gefolgt von den Schreien hörte, drängte er die Angst zurück und öffnete die Tür. Kalte Luft schlug ihm entgegen. Sie roch widerlich modrig und feucht. Tenebrae schüttelte sich angewidert und musste sich weiter dazu zwingen, die Treppe Stufe für Stufe hinabzusteigen. Als er im langen Gang stand, versuchte er sich nicht umzusehen. Die Zellen, in denen die verrotteten Gebeine der eintsigen Gefangenen zu beachten. Die Erinnerung daran, war schon so schlimm genug. Sein Vater war zwar ein mächtiger Magier, wie er nun, und auch ein Mann, der Gnade kannte. Aber das alles verlor jegliche Bedeutung, wenn es jemand wagte seiner Familie ein Haar krümmen zuwollen.

Es war nicht selten, dass man nach ihrem Leben trachtete und sein Vater kannte Mittel und Wege, diese aufzuhalten. Es dient zu Eurer Sicherheit, hatte er immer gesagt. Dennoch fürchtete sich Tenebrae vor seinem Vater, wenn er seine Feinde wegsperrte und leiden ließ.

Und so war es auch jetzt wieder. Er glaubte, das Wehklagen der Gefangenen wieder zu hören, als er den Gang entlangschritt und versuchte den Blick nachvorne gerichtet zu halten. Die Schreie wurden immer lauter, mit jedem Schritt, den er machte und es schnürte ihm die Kehle zu. Angst saß ihm im Nacken und er musste sich immer mehr dazu zwingen, weiter zugehen. Doch die Angst wurde zu glühender Wut, als er sah, wie Lumen, angekettet und mit nacktem Oberkörper ausgepeitscht wurde. Das allein hätte schon gereicht. Aber als er sah, dass derjenige, der die Peitsche schwang, Fallacia war, musste er wirklich an sich halten, um sie nicht gleich umzubringen.

Was danach passiert war, war wie ein Traum. Er hatte Lumen aus den Ketten befreien lassen und weggeschafft. Nahm sich dann Fallacia an und hatte nun die Peitsche gegen sie gerichtet. Ihre Schreie waren nichts weiter als dumpfe Laute und ihr Flehen ebenso. Als sie dann wie ein Häufchen Elend vor ihm kauerte und aus unzähligen Wunden blutete, wandte er sich ab. Angewidert und unberührt, von ihrem Leid. Sie hatte es sich selber zuzuschreiben und es wäre eigentlich das Beste gewesen, sie gleich zu töten. So dachte er. Doch dann siegte die Grausamkeit. Er fand es für eine viel bessere und vorallem passendere Strafe, sie am Leben und erkennen zulassen, dass es keine andere Frau gab, als die Prinzessin, die er wollte. Sagte sich aber gleich darauf, dass er es nicht zuweit treiben und trotzdem vorsichtig sein sollte. Und das er dies nicht als einzigen Grund sehen sollte, um ihr nahe sein zuwollen.

Nun kniete er neben ihr und bangte um ihr Leben. „Bringe noch etwas Heilkräuter!“, bat er Comitas. „Ich werde heute Nacht bei ihr bleiben und mich um sie kümmern!“

Comitas nickte, eilte davon und brachte nach wenigen Minuten die gewünschten Kräutern.
 

Wie es der Magier versprochen hatte, kümmerte er sich darum, dass die Prinzessin wieder zu Kräften kam. Stunde um Stunde saß er an ihrem Bett. Wechselte die Verbände. Flösste ihr die Mixtur ein, die das Fieber senken würde und wachte über ihren Schlaf. Wenn sie im Schlaf anfing zu weinen und darum zu flehen, dass diese Schmerzen doch endlich aufhören sollen, beugte er sich zu ihr und küsste sie auf die Wange. Flüsterte ihr zu, dass alles gut werden würde.

Dann beruhigte sie sich und schlief weiter. Tenebrae beobachtete sie währenddessen. Sah ihr entspanntes Gesicht, wenn die Pein von ihr abließ. Das Lächeln, wenn sie einen schönen Traum hatte. Wieder fragte er sich zum zigten Mal, ob es nicht ein Fehler war, sie hier haben zuwollen. Aber sie fortschicken, in den Schoss der Familie zurückbringen, konnte er sie auch nicht. Er hatte sich zusehr an ihre Nähe gewöhnt, als dass er sich jetzt von ihr trennen konnte. Er brauchte sie, wie er die Luft zum atmen brauchte. Sie schien die einzige zusein, die ihn vor dem Abgrund bewahren konnte, der sich vor ihm auftat und ihm zuverschlingen drohte. Bevor sie kam, war er sich dieser Gefahr nicht bewusst gewesen. Nun aber sah er es deutlich. Und er schauderte. All die Jahre habe ich in der Finsterniss gelebt und habe nicht die Gefahr gesehen, die um mich herum war, dachte er. Und jetzt sehe ich es. Als wäre sie das Licht, das mich retten will. Bei diesem Gedanken presste er die Lippen fest aufeinander, sodass sie ein blasser Strich waren. Sie war sein Licht!

Und dieses galt zu beschützen. Koste was es wolle!

Als Lumen endlich die Augen öffnete, war er eingeschlafen. Die Wache und die Sorge um sie hatte ihn geschwäscht und ermüden lassen. Auf einem Stuhl neben ihrem Bett. Die Arme vor der Brust verschränkte und den Kopf auf die Brust gelegt saß er da und schlief. Lumen wäre beim Anblick des Magiers beinahe zurückgewichen, doch dann beruhigte sie sich wieder. Sie konnte sich noch gut daran erinnern, dass es der Magier gewesen war, der sie in das Verließ geführt hatte, aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass er es auch war, der sie ausgepeitscht hatte. Mochte es Wunschdenken oder gar Naivität sein. Sie konnte es sich nicht beim besten Willen vorstellen. Und selbst wenn er es gewesen wäre, warum saß er dann hier. Während sie geschlafen und sich von ihren Wunden erholt hatte, hatte sie deutlich seine Nähe gespürt.

Und nicht nur seine Nähe.

Sondern auch seine Sorge und seine Angst um sie. Lumen spürte, wie ihr Herz begann schneller zuschlagen. Wenn sie vorher nach einem Zeichen von Liebe, in ihm gesucht hatte, so hatte sie dieses gefunden und wusste nicht, was sie sagen sollte. Stumm blickte sie ihn an.

Dachte nach. Als der Magier die Augen öffnete, sah sie ihn immernoch an. Sein Gesicht und sein Blick sprachen immernoch von Müdigkeit. Doch als er sah, wie sie lächelte, fiel etwas von der Müdigkeit ab. „Geht es Euch wieder besser, Prinzessin?“, fragte er und versuchte wach und ruhig zuklingen. Lumen nickte. Zuckte aber zusammen als sie den stechenden Schmerz in ihrem Rücken spürte und fasste sich über die Schulter. Sie stiess einen kurzen Schmerzenslaut aus. „Mein…mein Rücken!“, wimmerte sie. Tenebrae stand auf, beugte sich zu ihr und legte behutsam seine Hand auf die schmerzende Stelle. „Comitas hat deine Wunden gut versorgt. Aber ich fürchte, dass Narben bleiben werden!“, sagte er. Lumen senkte den Blick. Wo Tenebrae dachte, dass ihr Schweigen ein Ausdruck ihres Kummers über ihren geschundenen Rücken war, so war dies in Wirklickeit nur, weil sie sich daran erinnerte, was passierte war, bevor sie in diese Ohnmacht und in das Fieber gestürzt war. Die Schläge der Peitsche und der darin liegende Hass, hatten sich tief in ihre Seele gefressen. Suchten sie auch jetzt noch heim und ließen sie schütteln. „Wollt Ihr wissen, wer Euch das angetan hat?“, fragte er. Lumen schüttelte den Kopf. Es spielte für sie keine Rolle, wer sie so gequält hatte. Wichtig war für sie nur, dass er da war und sie gerettet hatte. „Nein, ich…danke, dass Ihr mich da rausgeholt habt!“, sagte sie dann, wobei sie sich über die Lippen leckte, weil sie trocken und rissig waren. Sie fühlte sich schrecklich. Das Fieber hatte sie völlig ausgezerrt und ihr Körper schien viel zuschwach zusein, als dass sie sich aufrecht halten konnte. Dennoch brachte sie ein Lächeln zustande. Tenebrae nickte. Stand dann auf. „Ruht Euch noch etwas aus. Ihr seid noch zuschwach. Ich werde Comitas bitten, Euch etwas zuessen zubringen!“, sagte er und ging zur Tür. Noch bevor er aber das Zimmer der Prinzessin verließ, drehte er sich um. „Bitte kommt morgen Abend in den großen Saal. Ich erwarte Euch dort!“

Dann war er auch schon weg. Lumen klappte der Mund auf, als sie jedoch nicht die richtigen Worte fand und weil es zuspät war, schloss sie ihn wieder und sank zurück ins Bett.

Comitas kam und brachte reichlich was zuessen. Warme Suppe, würziger Wein, etwas Obst und sogar einige kleine Naschereien. Lumen verschlang dies mit großem Appetitt. Comitas war glücklich, dass sie sich langsam immer mehr erholte. Am nächsten Tag brachte er ihr das gleiche. Das abendliche Mahl mit dem Magier fiel aus, da er wollte, dass sie das Bett hütete und wieder neue Kraft hatte. Irgendwie vermisste Lumen das Mahl mit ihm. Es war ihr so gewohnt und vertraut geworden, dass sie es kaum erwarten konnte, wieder mit ihm zuspeisen.

Als dann der nächste Abend anbrach, und Comitas die Verbände von ihrem Rücken nehmen konnte, schaute sie sich im Spiegel an. Noch immer sah sie etwas erschöpft an. Dennoch hatte sie wieder Leben in ihren Augen und ihr Gesicht war nicht mehr fahl. Sie sah beinahe so aus, wie vorher. Bevor sie in dieses Verließ gelockt wurde. Der ganze Schrecken schien von ihr abgefallen zu sein.

Dann drehte sich um. Und sah die Narben, die sich über ihre Haut zogen. Ihr Magen verknotete sich. Es werden Narben bleiben. Doch Lumen kümmerte es nicht. Es hätte schlimmer kommen können. Sie hätte tot sein können. Dass sie noch lebte, verdankte sie ihm. Und dann erinnerte sie sich noch, was er gesagt hatte, bevor er ihr Zimmer verlassen hatte. Er wollte sie heute Abend im großen Saal sehen. Der große Saal. Lumen musste dabei an den alten Baalsaal denken. Aber warum wollte er sie dort treffen?

Lumen fragte sich das immer wieder. Auch während sie badete. Es tat gut, den Schmutz und den alten Schweiss von sich wegzuwaschen. Als sie lange genug in dem warmen Wasser gelegen hatte, bis sie sich sicher war, dass sie nicht mehr wie ein Tier stank, stieg sie aus dem Wasser und trocknete sich ab. Zu ihrer Erleichterung brannten die Narben nicht, als sie in das Wasser gestiegen war und auch jetzt, als sie sich abtrocknete. Ihre Haare rubbelte sie sich gerade mit einem Handtuch ab, als sie wieder in ihr Zimmer kam. Beinahe wäre ihr das Handtuch aus den Händen gefallen, als sie das Kleid sah, welches auf ihrem Bett. Spielten ihre Augen ihr wieder einen Streich, oder sah sie wirklich das Kleid daliegen, welches sie in ihrem Traum getragen hatte, als sie mit dem Magier getanzt hatte. Nun hatte sie eine Ahnung, was es nun mit seiner Bitte auf sich hatte und ihr Herz begann zurasen.

Wollte er heute Abend mit ihr tanzen?

Eine übermächtige Vorfreude stieg in ihr auf. Eiligst machte sie sich daran, ihr Haar zuende zutrocknen und es zu fresieren. Dann schlüpfte sie in das Kleid. Sie konnte es kaum erwarten.
 

Comitas brachte sie bis zu der großen Flügeltür, hinter der der große Saal lag. Das unruhige, vorfreudige Gefühl war inzwischen zu einem wahren Kribbeln und Schauern gewachsen, das sich bis zu ihrem Herzen hinaufgezogen hatte und es Flattern ließ. Comitas schien ihre Aufregung zuspüren, denn er warf ihr einen wissende Blick zu und schob dann die Tür auf. Als sie den Saal als das letzte Mal gesehen hatte, war dieser dunkel und düster. Staub hatte den Boden bedeckt und Spinnweben hingen von der Decke. Doch nun schien der ganze Schmutz und die Dunkelheit fortgewischt zusein. Stattdessen waren die Wände sauber und glänzten in dem Kerzenlicht golden. Der Boden war poliert und spiegelte die Decke, die sich meterhoch erhob, wieder. Kronleuchter, die selbst den reichsten Mann vor Neid erblassen ließen, hingen von dieser hinab und die darauf aufgesteckten Kerzen spendeten warmes Licht. Zusätzlich standen an den Wänden fünfarmige Kerzenständer, deren Kerzen ebenso brannten.

Der ganze Raum schien nun der zusein, den sie in ihrem Traum gesehen. Nur die Tänzer, die maskiert und ganz in schwarz gekleidet waren, fehlten. Aber einer fehlte nicht. Tenebrae!

Er stand mitten im Raum, und schien auf sie zuwarten.

Lumen atmete tief durch, weil sie spürte, wie ihr Herz heftiger in ihrer Brust schlug und sie fürchtete, er könnte es hören. Langsam kam sie auf ihn zu. Ihre Knie waren weich wie Butter und sie hatte Angst, dass sie ihr Gewicht nicht tragen konnte. Tenebrae lächelte und hielt ihr die Hand hin. Lumen nahm sie. Alles, was nun passierte, kam ihr wie der Traum vor. Die Kerzen, der Saal, der glänzte und strahlte und der Magier, der sich vor ihr verneigte und ihr. Sie fürchtete, dass dies wirklich ein Traum war und dass sie aus diesem erwachen würde. Als dann aber der Magier seinen Arm um ihre Hüfte legte, sie an sich zog und sich ihre Körper berührten, vergass sie ihr Angst und schmiegte sich an ihm. Nein, dass war kein Traum! Das war Wirklichkeit, rief sie innerlich.

Dann begann die Musik und sie fingen an, sich zum Takt dieser zu bewegen. Wirbelten über die Fläche. Drehten sich und mit jedem Schritt und jedem Takt wurde das Klopfen ihres Herzen stärker. Lumen achtete aber nicht darauf. Auch nicht auf die Musik, die ihr so vertraut war, sondern hatte nur Augen für den Magier.

Sie fühlte sich in diesem Moment so leicht. So als würde sie schweben. Ihr wurde kurz schwindelig bei diesem Gedanken und sie legte unbewusst den Kopf auf die Brust des Magiers. Seine Körper schien der einzige Halt zu sein, der sie davor bewahrte, ohnmächtig zu werden. Dennoch schloss sie die Augen. Ihr wäre es am liebsten gewesen, wenn die Zeit stillgestanden wäre. Dass dieser Moment niemals vergehen würde.

Selten hatt sie sich wohl, so glücklich gefühlt.

Ich bin so glücklich, dachte sie. Da blieb der Magier stehen. So plötzlich, dass sie nicht richtig reagieren konnte und gegen ihn stolperte. Verwirrt runzelte sie die Stirn. „Das habe ich wirklich nie für möglich gehalten!“, hörte sie den Magier dann sagen und sie schaute hinauf.

„Warum?“, fragte sie. Tenebrae lächelte etwas niedergeschlagen. „Weil ich den Eindruck hatte, dass ich Euch die letzte Hoffnung genommen hatte. Hoffnung darauf, dass wir zusammenfinden würden!“

Lumen senkte dabei den Blick. Mit seinem Eindruck lag er gar nicht so flasch. Er hatte ihr die Hoffnung genommen. Aber nun, jetzt wo sie mit einander tanzten und er nun wirklich zu ihr stand, schien das keine große Rolle mehr zu spielen. Er hatte ihr mehr gegeben, als sie zu träumen wagte. Trotz allem, was passiert war. Dennoch musste sie ihm sagen, was sie für eine Zeit lag grausame Tatsache hielt. Sie schuldete es ihm. „Das…das ist auch richtig. Ich hatte wirklich Angst, dass Ihr niemals…!“, begann sie beschämt und suchte nach den richtigen Worten. Fand sie aber nicht. Biss sich dabei auf die Unterlippe. Tenebrae ahnte, worauf sie hinaus wollte und legte den Finger unter ihr Kinn. Hob ihr Gesicht hoch, so dass sie ihn ansah. „Ich kann es Euch nicht verübeln. Ich war wirklich ein Narr. Ich hatte gedacht, dass ich gegen meine Gefühle ankämpfen kann. Dass ich sie begraben muss!“, sagte er und klang dabei selber so, als würde er sich in Grund und Boden schämen. „Aber jetzt muss ich erkennen, dass das ein Fehler war!“, gestand er und strich ihr über die Wange. Lumen seufzte bei dieser Berührung und schloss wieder die Augen. „Ein sehr großer Fehler!“, sagte er. „Ich hoffe, du kannst mir vergeben!“

„Ja, das kann ich!“, flüsterte sie. Seine Bitte erschien ihr mehr als überflüssig. Sie würde ihm alles verzeihen. Tenebrae gab einen glücklichen Laut von sich, was wie ein Seufzer klang.

Dann nahm er ihre Hand und hob sie an seine Lippen. Drückte ihr einen sanften Kuss auf. Lumen schauderte dabei. Lächelte nocheinmal, ehe sie wieder ihren Kopf auf seine Brust legte. „Ich weiss nicht, wie ich Euch dafür kann!“

„Das braucht Ihr nicht!“, sagte er und wiegte sich mit ihr. Lumen seufzte. „Doch das muss ich. Ihr habt mir soviel gegeben!“

„Ich sagte doch, dass ich das nur tue, damit du glücklich wirst!“

Lumen lächelte. Schmiegte sich an ihm. „Ja, das sagtest du. Danke trotzdem. Danke für diesen schönen Abend!“

„Wer sagt denn, dass er schon vorbei ist?“, fragte er nun plötzlich und in seiner Frage hörte sie ein Lächeln. Verwirrt schaute sie zu ihm hoch. „Heisst das, dass das noch nicht alles war?“

Die einzige Antwort, die der Magier gab, war ein verschwörerisches Grinsen.
 

Vom großen Saal führte er sie den Flur entlang und sie erkannte den Weg. Er führte sie zum Garten. Lumen sah ihn fragend an. Der Magier sagte aber nichts. Führte sie weiter. Durch diesen trostlosen Garten, der ihr Herz schwerwerden ließ und zu einem Teil davon, den sie noch nie bemerkt hatte. Hier waren die Pflanzen ebenso abgestorben. Eigentlich nichts Besonderes. An einer Stelle in der Mauer jedoch, schienen die abgestorbenen Dornenranken dichter miteinander verwachsen zusein. Sie blieben davor stehen und ohne auf die fragenden Blicke der Prinzessin zu achten, holte der Magier einen goldenen, einfachen Schlüssel hervor und steckte ihn mitten ins Gestrüpp. Der Schlüssel schien in irgendwas einzurasten. Drehte ihn und es klickte leise. Die Dornenranken krochen zurück, gaben dabei eine kleine Pforte frei, die sich sogleich öffnete. Dunkelheit empfing sie und kurz war Lumen versucht, sich nicht vom Fleck zu rühren. Doch dann, als der Magier sie wieder an die Hand nahm, folgte sie ihm durch die Pforte. Die Dunkelheit hatte ihren Schrecken schon lange verloren. Jetzt wo sie an seiner Seite war. Sie durchschritten einen Tunnel. Ihre Schritte hallten von den hohen Wänden wieder und Lumen fragte sich, wohin er sie führen würde. Sie hatte nicht die geringste Ahnung. Außer Wüste konnte es jenseits der Schlossmauern ja nicht geben, dachte sie sich. Umso überraschte war sie, als sie an dessen Ende schon bald ein bläuliches Licht sah. Lumens Schritte wurden beinahe zu einem Rennen. Sie war nun neugierig. Noch neugieriger, als sie es schon vorher war und spürte eine gewisse Unruhe in sich und konnte es kaum erwarten, um zusehen, was da am Ende des Tunnels war. Als sie dann aus dem Tunnel hinauskamen, verschlug es ihr den Atem. Wo sie erwartet hatte, eine Wüste zu sehen, wurde sie nun eines Besseren belehrt. Sie waren mitten in einem Wald. Es war Nacht und alles, die Bäume, das Gras, selbst die Felsen, die aus dem Boden ragten, schimmerten in den unterschiedlichsten Blautönen. Lumen ließ staunend den Blick durch den Wald streiften. Die Bäume, die alt und dennoch stark aussahen, um sich aufrecht zuhalten, erhoben sich stolz in den nächtlichen Himmel. Schienen mit dem Himmel, der in einem dunklen samtblau über getaucht war, zu verschmelzen. Kleine leuchtende Punkte tanzten zwischen den Bäumen und durch die Luft herum. Glühwürmchen!

Lumen staunte noch immer. Nie hätte sie gedacht, dass sie mal Glühwürmchen sehen würde. Gscwheige denn hier. In dieser Einöde, die sie erwartet hatte, die sich aber nun als lebensspendende Oase entpuppte. Aber sollte sie sich nicht schon längst gewöhnt haben, dass vieles nicht so ist, wie es schien?

Es sollte sie nicht wundern. Dennoch ließ dieser Wald sie innehalten. Nie hatte sie so schönes gesehen. Lumen ging einige Schritte vor, hob die Hand zu den Glühwümrchen, die oben schwebten und einige davon umschwirrten ihre Hand. Lumen kicherte, als sie ein leichtes Kitzeln auf ihren Fingern spürte. Dann wandte sie sich dem Magier zu. „Das…das gibt es doch nicht!“, brachte sie hervor. Tenebrae lächelte. „Hier in meinem Schloss schon!“

„Komm mit. Ich will dir noch mehr zeigen!“, sagte er und führte sie weiter. Sie liefen einen Pfad entlang, der sich den Hügel, auf dem sie angekommen waren, hinunterschlängelte. Ringsum sie herum standen Bäume. Sie schienen wie ein Wall zu sein, der sie verbarg. Dabei waren sie die einzigen, in diesem Wald. Und doch hörte Lumen, wie der Wald lebte. Sie hörte den Wind, der durch die Äste strich und das Zirpen und Gurren von verschiedenen Tieren, die hier lebten. Die sich jedoch nicht zeigten. Lumen spürte sie jedoch. Spürte ihre Nähe. Ihre Herzschläge und hörte ihr Atmen. Es war einfach fantastisch.

„Wie ist das möglich? Hier, wo eigentlich Wüste sein sollte?“, fragte sie und drehte sich um die eigene Achse. Tenebrae hob nur die Schultern. Ging dann weiter und Lumen folgte ihm.

Sie kamen schließlich zu einem See, an dessen Ufer eine alte Weide stand, deren lange Blätter bis ins Wasser reichten. Der See lag ruhig und still da. Man könnte meinen, dass seine Oberläche ein Spiegel war. Glatt und makellos. Etwas weiter hinter ging der Wald weiter und Lumen konnte die Bäume als dunkle Umrisse erkennen. Doch der See zog sie an. Er leuchtete förmlich in dem Licht, dass alles hier erfüllte und erhellte. Aber auch von einem anderen Licht. Das von Laternen, die auf der Oberfläche schwamen und ihren Schimmer tausendfach auf den glatten See wiederspiegelt warfen.

In mitten dieser Laternen sah Lumen einen Pavallion, dessen obere Enden in der Luft zu schweben schienen. Unter dem Zelt, dessen Stoff durchsichtig war wie Seide, waren einige Kissen hingelegt und ein Tischchen stand da. Wieder sah sie ihn an und anstatt wieder was zusagen, machte Tenebrae einen Schritt auf den See zu. Hob den Fuss und Lumen dachte, er wollte ins Wasser steigen. Doch statt dass sein Fuss darin eintaucht, passierte nichts dergleichen. Sondern blieb an der Oberfläche. Nur kleine Wellen kräuselten sich darunter.

Lumen furschte die Augenbrauen. Langsam ging sie auf ihn zu und setzte zögernd ihren eigenen auf die Wasserfläche. Auch ihrer versank nicht. Nachdem einen Fuss folgte ihr zweiter. Lumen schaute hinunter um sicher zusein, dass sie wirklich auf dem See und nicht auf Glass stand. Als sie dann die Wellen unter ihren Füssen sah, schaute sie den Magier an. „Wie machst du das?“, fragte sie schließlich. „Das bin nicht ich. Sondern mein Vater. Er hat das alles hier erschaffen!“, sagte er. Lumens Augen weiteten sich. Sein Vater?

Es war das erste Mal, dass sie von ihm hörte und ihr wurde bewusst, dass sie so gut wie nichts von ihm wusste. „Dein Vater?“, fragte sie. Tenebrae nickte. „Ja, er…er war, wie ich ein Magier. Von ihm habe die Magier geerbt!“, erklärte er und nahm ihre Hand. Machte dann einen weiteren Schritt und sie tat es ihm gleich. Schritt mit ihm über dem See. Beobachtete, wie immer wieder kleine Wellen unter ihnen aufwirbelten. Bis sie zum Pavalion kamen und sich dann in die Kissen setzten. Sie waren weich und gemütlich. Lumen kam es wieder vor, wie ein Traum.

Das alles war einfach zu unglaublich, als dass es wahr sein konnte. „Du schaffst es immer wieder mich in Staunen zuversetzen!“, sagte sie und schaute sich um. Tenebrae lachte. Es klang ehrlich und fröhlich, so ganz anders.

„Das freut mich zu hören. So wird es nicht langweilig!“, sagte er und griff dann zu dem Tischchen. Nahm eine Karaffe und zwei gläserne Kelche. Goss etwas von dem Wein, der golden schimmerte hinein und reichte ihr einen der Kelche. Lumen nahm einen Schluck. Er schmeckte süß, aber nicht zusüß. Und etwas würzig. „Mhhh, vorzüglich!“, sagte sie und nippte nochmals an dem Glas. Auch Tenebrae nahm einen Schluck. „Freut mich, dass er dir schmeckt!“

„Auch ein Erbe deines Vaters?“

„Ja, wie sovieles hier!“, sagte er und seine Stimme klang nun etwas nachdenklich. So als würde er an etwas denken, was schon lange zurücklag und an dass er sich nur schwer erinnern wollte. „Er muss ein großer Mann gewesen sein?“, murmelte sie, da sie bemerkte, wie sein Blick in die Ferne ging. Tenebrae nickte. „Ja, das war er!“

„Was…was ist aus ihm geworden?“

Tenebrae prsste die Kiefer aufeinander und kämpfte mit sich. Dann sagte er:„ Er ist gestorben. Vor langer Zeit!“

„Das tut mir leid!“

„Es muss dir nicht leidtun. Du konntest es ja nicht wissen!“, meinte er und winkte ab. Versuchte dann das Gespräch auf ein anderes Thema zu bringen. Doch Lumen musste dabei an ihren Vater denken. War er auch schon tot oder rang er immernoch mit dem Tod?

Lumen spürte einen kurzen Anflug von Angst, die die Freude hinwegfegte und sie zittern ließ. Tief atmete sie durch, versuchte sich zu beruhigen. Tenebrae sah dies zu deutlich und legte behutsam die Hand auf ihre Schulter. „Lumen, stimmt was nicht. Du…du siehst so bedrückt aus?“, fragte er und sie schüttelte den Kopf. „Es ist nichts. Ich…ich musste nur…!“, wollte sie sagen, doch sie sprach nicht weiter. „Wie heisst dieser Ort eigentlich?“, fragte sie schnell, um nicht weiter daran denken zumüssen. „Dieser Ort hat keinen!“, sagte Tenebrae. „Aber du kannst ihn einem geben, wenn du es willst!“

Lumens Herz setzte kurz einen Schlag aus. Ihre Augen wurden groß. Dass hatte sie nicht erwartet. Sie dürfte diesem Ort, der sie in den Bann gezogen hatte, einen Namen geben?

Sie freute sich irgendwie darüber und hatte auch sogleich einen Namen. Er tauchte wie aus dem Nichts in ihrem Geiste auf und sie fand ihn passend, weil er alles, für das dieser Ort stand, beschrieb. „Somnium!“

„Somnium!“, wiederholte der Magier, so als würde er diesen Namen sich genau einprägen wollen, dann lächelte er. „Ein schöner Name!“

Lumen lächelte ebenso und schaute dann hinauf in den Himmel. Sah wie der samtblaue Himmel noch dunkler wurde und wie Sterne auf sie hinabfunkelten. Sie lehnte sich in den Kissen zurück und verlor sich bei dem Anblick. Begann mit offenen Augen zu träumen. Ließ noch einmal alles, was vorher passiert war, Revue passieren und fühlte sich dabei mehr und mehr wie in einem Märchen. Sie schloss mit einem wohligen Seufzer die Augen. Dämmerte vor sich hin. Der Wein schien seine Wirkung zuzeigen. Ihr wurde warm und angenehme Schauer rannen ihr über den Rücken. Sie fühlte sich in diesem Moment so wohl.

Gerade dämmerte sie weg, als sie einen Lufthauch auf ihrem Gesicht spürte und die Augen öffnete. Nur wenige Zentimeter war das Gesicht des Magiers von seinem entfernt. Lumens Herz setzte einen Schlag aus und drückte sich etwas tiefer in die Kissen. „Wa-was…?“, wollte sie sagen, doch da legte der Magier seine Lippen auf ihre. Sanft und ohne eine Spur von Zwang. Sein Kuss glich dem des Frühlingswindes. Lumen blieb noch einige Minuten völlig starr. Sah zum Mann hinauf, der die Augen geschlossen hatte und den Kuss zugenießen schien. Es war der erste sanfte Kuss seitlangem, den er ihr gab. Für Lumen schien er eine Ewigkeit herzusein und nach einigen Minuten, als sie sich daran erinnerte, wie schön seine Küsse sein konnten, schloss sie die Augen und erwiederte diesen. Zögernd. Schüchtern. Als fürchtete sie, dass das so schnell wieder vorbei sein konnte, als ihr lieb war.

Aus dieser Erwiederung gewann der Magier weiterhin Mut, den Kuss zu vertiefen und die Prinzessin in seine Arme zuschließen. Sie an sich zudrücken. Lumen antwortete damit, dass sie ebenso ihre Arme um seinen Hals legte und ihn zu sich hinunter zog. Ihr Kuss war nun soweit in die Tiefe gegangen, sodass sie beide bereitwillig dem jeweils anderen seine Zunge überließen. Tenebrae war der erste, der mit seiner Zunge tief in die ihm völlig fremde Mundhöhle glitt und diese sogleich erkundete. Lumen stiess einen Laut aus, als sie seine Zunge über die ihre streichen spürte. Für Sekunden war sie wie vom Blitz getroffen und konnte sich nicht rühren. Sooft hatte sie sich gefragt, wie es wäre ihn so zu küssen. Nun wusste sie es und es übertraf all ihre Vorstellungen. Die Hitze, die vorher durch den Wein da gewesen war, wurde nun umso größer. Strömte durch ihren Körper, bis in die hintersten und tiefsten Winkel ihres Körpers und sienverging in dieser Hitze. Mit einem Seufzer erwiederte sie nun diesen etwas intimen Kuss und begann mit den Händen über seinen Rücken zustreichen. Ihn zumassieren und sich jeden Muskel, der sich unter seiner Kleidung verbarg einprägen zuwollen.

Es verging lange Zeit, ehe sie sich von einander lösten und sich mit verschleierten, beianhe matten Augen ansahen. Beide rangen nach Luft. Ihre beider Herzen wummerten, sodass sie den Puls bis hinauf in ihre schläfen spüren konnte. „Lumen!“, flüsterte der Magier und sie hörte deutlich das Verlangen in seiner Stimme. Das Verlangen nach mehr. Nach mehr Küssen. Nach mehr Berührungen. Und das Verlangen nach ihr.

Lumen konnte darauf erstmal nichts erwiedern, Zumindest nicht mit Worten. Doch in ihrem Kopf hallte es tausendfach:„ Nimm mich. Mache mich zu deinem!“

Quälend langsam beugte sich Tenebrae wieder zu ihr hinunter um sie erneut in einen innigen Kuss zuverstricken. Lumen ließ sich ohne Widerspruch darauf ein. Versank darin und in seiner Umarmung. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, mit jeder Minute, die beim Kuss verging und Lumen glaubte, ihre Seele würde dabei ihren Körper verlassen und geradewegs in den Himmel kommen. Aus diesem Gefühl wurde sie aber wieder je gerissen, als sich der Magier erneut von ihr löst und sich aufrichtete. Lumen wollte ihn schon fragen, warum er aufhörte. Doch dann zog er sie ebenso hoch und begann, während er nun auf ihren Nacken sanfte Küsse hauchte, sie aus ihrem Kleid zubefreien. Öffnete die Schnürre, die es am Rücken zusammen hielten und schob es dann von ihren Schultern. Auf jeden Zentimerter, den er freilegte, hauchte er einen Kuss darauf. Lumen seufzte bei diesen flüchtigen Schmetterlingsküssen auf und drängte sich ihm entgegen. Der Wunsch nach mehr, wurde mal zu mal immer mehr. Und dieses Verlangen würde er heute Nacht stillen. Mit einem Ruck machte er mit ihrem Mieder, welches sie unter dem Kleid trug, kurzem Prozess.

Langsam ließen sie sich dann wieder in die Kissen zurücksinken. Engumschlungen und Lumen genoss die Küsse des Magiers, die nun ihren Hals verließen und wieder den Weg auf die ihrigen fanden. Miteinander verschmolzen und brannten wie Feuer. Lumen atmete dabei tief ein. Versank förmlich in seinen Armen.

Ihr Körper selbst begann zuglühen. Sich nachdem des Magiers zu verzerrren. Und so machten sich ihre Finger selbstständig und fuhren über den Stoff seiner Jacke. Suchten nach etwas, womit sie sie öffnen konnten. Tenebrae musste bei ihrem Versuch, ihn zu entkleiden lachen und schob ihre Hände beiseite. Lumen gab darauf einen Protestlaut von sich, der durch den Kuss gedämpft wurde. Tenebrae löst kurz den Kuss. Lumen atmete tief ein und aus. Versuchte Luft in ihre Lungen zu holen. Sie wollte fragen warum, brachte jedoch keinen weiteren Laut von sich.

Tenebrae lächelte sanft. „Alles zuseiner Zeit!“, flüsterte er und verwickelte sie erneut in einen Kuss. Umarmte sie dabei und drückte sie fest an sich, als wollte er sie mit seinen Körper vereinen. Sich und sie zu einem einzigen Wesen machen.

Begierig darauf jeden Milimeter ihres Körpers zuerkunden, strichen seine Hände über ihren Rücken. Berührten dabei auch die verheilten Narben und Lumen zuckte dabei etwas zusammen. Als der Magier darafhin sie ansah und deutlich in seinem Blick Sorge zusehen war, schüttelte sie den Kopf. „Es…es tut nicht mehr weh!“, flüsterte sie und lächelte. Sie konnte sich denken, warum er innegehalten hatte. An diesen Narben sollte es nicht scheitern. Sie waren ja verheilt und Lumen hatte den Schmerz schon lange vergessen. Tenebrae sah sie einen Moment forschend an, dann lächelte er auch und beugte sich zu ihr hinunter. Begann dann sich selbst zu entkleiden. Erst die Jacke, dann das weisse Hemd darunter.

Lumen stockte der Atem, als sie seine nackte Brust sah. Es war zwar nicht das erste Mal, aber diesesmal war es was anderes. Sie schien in dem Licht der unzähligen Laternen zu schimmern, als sei sie aus fließendem Gold. Nur seine Augen, die dunkelblau, wie der Himmel waren und das schwarze Haar, erinnerten daran, dass er in der Dunkelheit lebte. Aber selbst das schien nicht mehr von Bedeutung zusein. Was jetzt zählte, waren er und sie. Ein Mann und eine Frau, die sich in dieser Nacht lieben werden. Nur das hatte Bedeutung!

Langsam hob sie die Hand, legte sie auf seinen Bauch, der sich fest und hart anfühlte. Lumen konnte spüren, wie er sich bei jedem Atemzug bewegte und das Verlangen in ihr immer stärker wurde. Auch dem Magiers musste es so ergehen, denn kaum das ihre Hand auf seiner Haut lag, schien sein Atem plötzlich etwas schneller zuwerden und in seinen Schläfen pochte es. Hitze kam in ihm auf. Gebannt von dem Anblick des Körpers von Tenebrae, der einem jungen Gott zu gehören schien und nicht selbst Herrin ihrer nächsten Handlung, wanderte ihre Hand höher. Bis sie seine Brust berührte und unter dieser sie das Schlagen seines Herzens spürte. Es schlug ebenso schnell wie das ihrige und Lumen schluckte. Mehr und mehr wurde sie sich bewusst, dass da mehr war, als nur Liebe. Begieride. Verlangen. Der Wunsch mit dem andere zuverschmelzen und niewieder von ihm getrennt zuwerden. Selbst wenn es bedeutete, dass sie damit ihre Seele an die Finsterniss verlor. Was kümmerte es sie. Wenn sie dafür für immer glücklich werden würde, würde sie auch diesen Preis zahlen. Sie war sowieso schon auf Gedeih und Verderb diesem Mann verfallen, der ihr zuerst grausam erschienen, nun aber doch ein Mensch wie jeder andere war. Nur hatte dieser Mensch sie ganz und gar gefangen genommen und ihr Herz gestohlen.

Und das gleiche galt auch für den Magier. Zum ersten Mal seitlangem hatte er wieder Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Mit der Frau, die sein Herz erhellt und gänzlich erobert hatte. Keine Angst und keine Sorge würden ihn mehr plagen. Nicht heute Nacht. Mit den letzten Handgriffen zog er das Kleid gänzlich von ihr. Nun lag sie nackt unter ihm, ihr Körper bebend und zerbrechlich. In diesem Moment kam sie ihm wie ein Engel vor. Rein und unschuldig. Tenebrae musste willkürlich schlucken und fragte sich, ob er es wirklich über sich bringen würde, einen Engel seiner Unschuld zu berauben?

Ihm kam dies wie ein Sakrileg vor.

Lumen sah sein Zögern und sah ihn mit ungeduld aber auch Sorge an. „Was hast du?“, flüsterte sie und richtete sich etwas auf. Tenebrae biss sich auf die Unterlippe. Hing selbst seinen Gedanken nach. Schaute ins Leere. Dann sah er sie wieder an. Beugte sich soweit vor, bis sich ihre Stirnen berührten. „Noch können wir es beenden. Du brauchst es nur zusagen!“

Bei diesen Worten spürte Lumen den alten Stich und den ebenso alten Schmerz. Beenden?

Wollte er es etwas doch nicht?

Warum?

Sie waren sich doch schon nahe gekommen. Entsetzte darüber schüttelte Lumen den Kopf. Diesen Moment, diesen Höhepunkt, ihrer erblühten Liebe, hatte sie sich mehr als nur herbeigesehnt. Und sie würde den Teufel tun und es beenden. „Nein, ich will es nicht beenden!“, sagte sie und umklammerte seine Schultern in einer flehenden Geste. „Endlich sind wir uns so nahe. Näher als zuvor und ich will es nicht…!“

Ihre Stimme brach und sie sah ihn mit festentschlossenen aber auch nicht minder flehenden Augen an. Tenebrae sah sie noch einen Moment an. Versuchte etwas in ihrem Blick zuerkennen, dass ihre Worte Lügen straften. Sah jedoch nichts und erleichtert seufzte er. Sie hatte es ihm offengestanden und war bereit. Was und wievele von Beweisen brauchte er noch. Er lächelte. Glücklich darüber, dass sie es ebenso wollte und drängte sie zurück in die Kissen. „Dann!“, sagte er und strich mit seinem Finger sanft über ihre Wange.

„Wird dies unsere erste gemeinsame Nacht!“

Verrat

Als Lumen aufwachte, fand sie sich an der Seite des Magiers. Im Bett liegend und ohne ein Stück Stoff am Leib. Lumen war noch etwas müde, ehe sie richtig begriff was vor sich gegangen war. Doch dann fiel es ihr wieder ein und ihre Wangen glühten. Sie hatten sich in der letzten Nacht geliebt. Mehrfach sogar. Wo sie am Anfang schüchtern miteinander umgegangen waren, waren sie bei den anderen Malen wilder und ungezügelter gewesen. Lumens Wangen glühten noch heisser, als sie sich vor Augen führte, dass sie ebenso ungezügelt gewesen war und wie ihre Schreie durch den ganzen Wald gehallt hatten. Aber bereuen tat sie es auch nicht. Endlich waren sie sich nahe gekommen und Lumen hatte jeden Moment ausgekostet. Seine Küsse, die brannten wie Feuer. Die Berührungen seiner Hände, die auf ihrem ganzen Körper zusein schienen. Seine Zunge, die gierig über ihre, von heissem Schweiss überzogene, Haut strich. So herrlich samtig. Seine Stösse, die ihren Körper zum erbeben brachte und ihr süße Keuche entlockten. Lumen schnappte etwas nach Luft, als sie sich daran erinnerte und sah, wie er sich über ihr bewegte und sie voller Verlangen ansah.

Da öffnete der Magier die Augen und sah sie mit einem leisen Lächeln an. Deutlich sah er ihre roten Wangen und strich darüber. „So verlegen?“, fragte er mit einer Spur Schadenfreude. Lumen vergrub das Gesicht etwas in den Kissen. „Als ob es dir nicht anders ging!“, grummelte sie. Tenebrae lächelte, sodass sie seine weissen Zähne sehen konnte. Alles an ihm erinnerte sie an die Nacht davor. Es gab kein Körperteil, dass er gestern nicht dazu benutzt hatte, um sie in Wonne zuversetzen. „Hör auf mich so anzugrinsen!“, sagte sie. Vergrub sich dabei tiefer in die Kissen. Tenebrae musste daraufhin lachen. „Was ist daran so falsch?“, fragte er, fuhr dann leise und sanft fort:„ Das was zwischen uns passiert ist, ist nichts verbotenes gewesen. Sondern etwas Natürliches und wunderbares. Wir haben uns geliebt. Dass sollte nichts Böses sein!“

Lumen lächelte daraufhin und schmiegte sich wieder an ihn. Genoss seine Wärme und Nähe, als er den Arm unter sie schob und sie eng an sich drückte. Ihre Hand ruhte auf seiner Brust, die sich hob und senkte, wenn er atmete. Daraufhin verflochte er seine Finger mit ihren. Drückte ihre einen Kuss auf die Stirn. „Ich liebe dich!“

„Ich liebe dich auch!“, erwiderte sie. Schlief dann erneut ein.
 

Seitdem verging kein Tag, an dem Lumen voller Sehnsucht den Abend herbeisehnte und damit die Gesellschaft des Magiers. Oft trafen sie sich, wenn der Magier für sie Zeit hatte, in der Bibliothek und sie las ihm im Kerzenschein etwas aus den Büchern vor. Dabei hafteten seine Augen an ihren Lippen. Verfolgten gespannt die Geschichte, die sie ihm erzählte. Als würde er nie genug davon bekommen. Lumen störte es nicht. Er hatte ihr soviel Gutes getan, dass sie auch ihm mehr als einen Gefallen tun wollte.

Sie unternahmen hinundwieder auch Spaziergänge durch die von ihr getaufte Traumwelt Somnium. Doch das Schönste von allem war, wenn Lumen auf der Harfe für Tenebrae spielte. Der Fluch, der einst auf der Harfe gelegen hatte, hatte der Magier fortgenommen und nun waren es wieder liebliche Klänge, die die Harfe sang, sobald Lumen sie berührte. Verträumt und mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen, saß Lumen da und war mit den Gedanken voll und ganz bei dem Magier, der nicht unweit von ihr saß und ihrem Spiel lauschte. Für ihn war es ebenso eine Freude, wie für sie. Vermutlich noch mehr. Mit dem Gesang der Harfe verband er die Erinnerung an seine geliebte, verstorbene Mutter und auch wenn die Erinnerung ihn dennoch schmerzte, so machte es ihn trotzdem glücklich. Endlich konnte er selber von sich sagen, dass er wieder Liebe für jemanden anderen empfand. Er hatte schon beinahe vergessen, was für ein schönes Gefühl das war.

Und dass sie es ihm geschenkt hatte, kam ihm mehr wie ein Wunder vor.

Irgendwann stand er auf, während sie spielte und legte die Hände auf ihre Schultern. Abrupt hörte Lumen auf zuspielen und sie schaute ihn an, als sei sie aus einem tiefen Schlaf erwacht. „Habe ich was falsch gemacht?“, fragte sie. Tenebrae schüttelte den Kopf. „Nein!“, sagte er leise, trat dann vor ihr, nahm ihre Hand und zog sie vom Stuhl. Hauchte einen Kuss auf ihren Handrücken. „Ich bin nur glücklich. Das ist alles!“

Lumen wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. Nie hatte sie solch schöne Worte aus seinen Mund gehört. Nicht mal als sie die Nacht mit einander verbracht hatten. Er vermochte es immer wieder, sie in Staunen zuversetzen. Sie senkte etwas den Kopf. „Mir geht es genauso!“, gestand sie und erhielt erneut einen Kuss. Diesesmal auf den Mund. „Ich hätte niemals gedacht, dass dies mal so sein würde!“, sagte der Magier, als sich ihre Lippen wieder voneinander trennten. „Warum?“

„Weil ich fürchtete, dich für immer verloren zu haben. Mit dem was ich tat und mit dem…!“, sagte er und sein Gesicht verzog sich angewidert über sich selbst. „…Was ich dir noch antun wollte!“

Lumen wusste, was er damit meinte und die Erinnerung an den Versuch sie gegen ihren Willen zu nehmen kam wieder. Doch dann verdrängte sie diese. Schüttelte den Kopf. „Das ist nicht weiter wichtig. Das hast du selbst mal gesagt!“

„Doch es ist wichtig. Ich will, dass du es verstehst. Warum ich das alles tun wollte!“, sagte er und es klang wie ein Flehen. Ein Flehen nach Absolution. Lumen öffnete den Mund, wollte etwas sagen. Doch sie brachte keinen Laut über die Lippen. Tenebrae ergriff ihre Hände, drückte sie, bis es zu schmerzen schien. „Ich fürchtete, dass meine Liebe zu dir, mich schwächen würde. Nein…Bitte, lass mich aussprechen. In deinen Ohren mag es dumm klingen. Aber ich dachte, wenn ich mich von Gefühlen wie Hoffnung, Liebe und Vertrauen ablenken lasse, dann versagt meine Kraft!“, sagte er und nahm vorsichtig den Anhänger der Sternenträne zwischen die Finger. „Die Sternenträne hat etwas von meiner Kraft ins sich. Das Licht soll dich schützen. Das weißt du ja. Und ich hatte Angst, dass, wenn meine Kraft schwächer wird, auch die Sternenträne an Kraft verliert. Dann wärst du schutzlos den Schatten ausgeliefert und das wollte ich mit allen Mitteln verhindern. So nahm ich auch in Kauf, dass du mich hassen würdest. Dies schien mir weitaus erträglicher zusein!“

Lumen sah ihn einige Minuten an. Sage nichts. Das war es also!

Darum das gante Theater. Nur um sie zuschützen, war er so kalt die letzten Tage zu ihr gewesen. Lumen konnte nicht sagen, was sie davon halten soll. Es rührte sie schon irgendwie. Aber machte sie auch traurig. Es hätte einen anderen Weg geben müssen, dachte sie. Sie hatte immer gedacht, dass er ein Mann war, der mehr als nur eine Lösung für ein Problem hatte. Dass er aber zu so einer drastische Lösung griff, machte ihr Herz schwer. „Ich hoffe, du kannst mir verzeihen!“, hörte sie ihn sagen und wurde dabei aus ihren Gedanken gerissen. Sie lächelte. Machte einen Schritt zu ihm, sodass sie nur wenige Zentimeter voneinander getrennt standen und legte die Stirn an seine Brust. „Das kann ich!“, flüsterte sie. „Schließlich hast du mir gezeigt, was du wirklich für mich fühlst!“

Tenebrae lächelte. Küsste sie auf den Scheitel. „Ich danke dir!“

Fallacia hätte am liebsten geschrien. Nur mit Mühe konnte sie sich ruhighalten. Die Narben, die der Magier ihr zugefügt hatte waren zwar verheilt. Aber der Schmerz war immernoch präsent. Und suchte sie immer wieder heim, sobald sie vesuchte, Rachegedanken gegenüber der Prinzessin zu hegen. Auch jetzt spürte sie das schreckliche Brennen auf ihrem Rücken, während sie sah, dass die Prinzessin und der Magier sich wieder näher kamen. Sich umarmten und küssten. Tränen der Wut und des Schmerzens liefen ihr über die Wangen und nur schwer kontne sie sich abwenden und gehen. Gerne wäre sie der Prinzessin ins Genick gesprungen um ihr dieses zu brechen. Doch sie musste nur an die Worte ihres Herren denken um sie innehalten zulassen.

Hilflos eilte sie aus den Schatten, in denen sie sich versteckt hatte. Sie wollte nicht länger sehen, dass eine andere an ihrer Stelle war.

Für Lumen schienen die Tage des Glücks kein Ende zu nehmen. Trotz der Spaziergänge, den Vorlesungen in der Bibliothek und den Harfenspiel wurde es nie langweilig. Immer wieder fand der Magier etwas, womit er sie erfreuen konnte. Und der heutige Abend war einer davon. Als sie sich zum Abendessen trafen, war sie verwirrt als sie sah, wie er neben dem Stuhl stand und die Violine, neben ihm auf dem Tisch. Ihre Augen wurden groß, als sie sie sah. Sie hatte die Violine lange nicht mehr gesehen. Es schien wie eine Ewigkeit herzusein. Und sie hatte gedacht, dass die Violine wieder in irgendeine Ecke lag und vor sich hinstaubte. Doch nun sah sie sie und sie freute sich. Aufgeregt über das was sie hier erwartet, blickte sie ihn an und Tenebrae sah das Leuchten in ihren Augen. Er lächelte. „Ich dachte mir, es wäre nur fair, wenn ich dir nun selbst etwas vorspiele!“, sagte er und deutete dabei auf ihren Stuhl. Lumen nickte. Das Essen konnte noch warten. Kaum dass sie saß, begann er zu spielen und Lumen musste feststellen, dass er die selber Musik auf der Violine spielte, wie sie auf der Harfe. Es war eine perfekte Ergfänzung zu ihrer Musik. Und dennoch war es was anderes. Lumen konnte nicht sagen was, aber die Musik rührte ihr Herz. Ließ es wild schlagen, wie in der einen Nacht. Die Violine sang nicht nur von Liebe. Sondern auch von Hoffnung. Träume. Aber auch von Schmerz. Sie schien alles preiszugeben, was seine Seele ausmachte und dies überwältigte sie. Ließ sie fragen und auch verstummen.

Irgendwann hörte er auf. „Was hast du, Lumen. Warum weinst du?“, fragte er und Lumen zuckte etwas zusammen. Fasste sich an die Wange und fühlte wirklich, wie ihre Fingerspitzen feucht waren. Sie weinte. Verwirrt schüttelte sie den Kopf. „Ich… ich weiss es auch nicht!“, stammelte sie. Dann aber lächelte sie. „Vermutlich liegt es daran, dass ich noch nie sowas schönes gehört habe!“

Tenebrae lächelte auch und legte die Violine in den Kasten zurück. „Ich wusste, dass sie dir gefällt!“

„Das ist noch untertrieben!“, bemerkte sie und verbarg gleich das Gesicht in den Händen. Etwas noch dümmeres hätte sie wirklich nicht sagen können. „Tut mir leid!“, murmelte sie durch ihre Hände. Tenebrae schüttelte den Kopf. „Nicht schlimm!“, sagte er und trat vor sie. „Es freut mich, dass sie dich zu Tränen rührt!“

„Das tat sie!“, sagte sie und stand dann auf. Wischte sich die letzten Tränen weg. „Woher…?“

Tenebrae lächelte etwas sanfter. „Meine Mutter hatte sie mir immer vorgespielt. Auf der Harfe!“, sagte er und machte eine Kopfbewegung zu der Harfe. „Deine Mutter?“

Der Magier nickte. „Sie war eine gute Lehrerin. Wie ebenso mein Vater. Von den beiden habe ich so einiges gelernt. Das eine oder andere versteht sich!“, fügte er dann mit einem Grinsen hinzu. Lumen erwiederte das Grinsen. Doch dann schwand dieses. „Ich würde so gern mehr über dich erfahren. Ich habe das Gefühl, dass ich dich kaum kenne. Trotz dass ich schon solange hier bin. Aber du scheinst wie ein Buch mit sieben Siegeln zu sein und immer wenn ich dachte, dass ich eines davon gebrochen hätte, kommen zwei weitere!“, sagte sie und der Magier musste bei dem Vergleich mit ihm und einem Buch lachen. „Soviele sind es nun wieder auch nicht!“

Das Lachen hielt aber nicht lange an. „Aber du hast recht. Ich sollte dir wirklich mehr von mir erzählen. Doch bitte hab Geduld. Irgendwann werde ich dir alles erzählen. Aber nicht heute!“, räumte er ein und sah sie um Verständniss bittend an. Lumen fiel es schwer, sich mit diesen Worten erstmal zu frieden zugeben. Sie hätte gerne mehr erfahren. Doch wenn der Magier sich erstmal in Schweigen hüllen wollte, musste sie dies akzeptieren. Daher nickte sie. „Danke!“, sagte er leise. Sprach dann laut:„ Und jetzt lass uns essen!“

Als sie fertiggespeist hatten, legten sie sich zusammen ins Bett. Lumen schmiegte sich wieder an den Magier und schlief auch bald ein. Während sie schlief, beoachtete Tenebrae sie. So wie immer. Stirch mit dem Finger leicht über ihre Schläfe, ihr Wange hinunter und hielt dann bei ihren Lippen inne. Weich waren sie, wie Rosenblätter. Er hätte sie stundenlang so ansehen können. Ihre Schönheit in sich aufnehmen. Trotz dass dieses Gesicht ihm vertraut war. Doch es wurde ihm nicht überdrüssig. Für ihn war sie immer noch wie ein rettender Engel, der ihn aus dieser Finterniss führte und ihn Frieden gab. Frieden. Etwas, was er sich niemals erträumt hatte. All der Hass, die Rache und die Wut schienen in weiter Ferne gerückt zusein. Nichts erinnerte ihn mehr daran, was man ihm angetan hatte.

Glücklich darüber lächelte er und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange.

Dann war auch er eingeschlafen.
 

„Ich mich so freuen, dass es Euch wieder gut geht!“, sagte Comitas eines Tages zu Lumen, während sie beide in der Küche waren und Brote backten. Lumen lächelte. „Ich niemals gedacht hätte, dass Ihr endlich zu einander finden!“

„Ich auch nicht!“, flüsterte sie und knetete gerade den Teig durch. Dabei musste sie an letzte Nacht denken. Wie sie in seinen Armen eingeschlafen war. Und in diesen wieder erwacht war. Aus einem unerempfindlichen Grund hatte sie Angst, dass er verschwunden war. Vermutlich hatte sie sie, weil sie immernoch nicht glauben konnte, dass es wahr geworden war. Comitas sah sie mit einem freudigen Lächeln an. „Ich Euch in der Küche vermissen habe, Prinzessin!“, sagte er dann.

„Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich nicht mehr daran gedacht hatte!“

„Ich Euch deswegen keinen Vorwurf mache. Ihr wichtigere Dinge im Kopf hattet!“

„Das stimmt. Aber ich hätte dennoch daran denken und dir in der Küche helfen sollen. Dann hätte ich dadurch auch meinen Kummer etwas vergessen können!“

„Ihr wirklich verunsichert wart, oder?“, fragte er nachsichtig und Lumen nickte. „Ja, ich wusste nicht…was ich glauben sollte und was nicht!“

„Nun es Ihr aber tut!“, versichterte Comitas und strahlte wieder über das ganze Gesicht. Lumen ließ sich davon anstecken. Für sie war all der Kummer vergessen. War von ihr abgefallen, wie ein zuschwergewordener Mantel. „Ja, nun weiss ich es!“

Nachdem das Brot im Ofen geschoben war, machten sich Comitas und Lumen an die Schmutzwäsche. Sie schrubten und tauchten sie in das Wasser, das sich blad schon dunkel verfärbte und hängten sie in einen entlegenen Innenhof zum trockenen. Lumen strich gerade die Bettlaken glatt und zupfte sie zu recht, als sie hinter sich eine höhnische Stimme hörte. „Sieh an, du hast es also endlich in sein Bett geschafft. Nicht zufassen. Dabei dachte ich, dass vollweibliche Wesen mehr sein Geschmack sind!“

Lumen drehte sich um und sah Fallacia an der Wand gelehnt stehen. Bei dem Anblick der Frau, vor die Comitas sie eindringlich gewarnt hatte, durchfuhr sie kalt und sie merkte, wie sich alles in ihr verkrampfte. Sie drehte sich um. Versuchte nicht an die Worte dieser missgünstigen Frau zudenken, sie anschaute, als sei sie ein lästiges Insekt. Sie wie das sagte, kang es, als würde sie zur Bettgespielin des Magiers geworden sein. Es hätte sie kränken sollen, da sie mehr war, als nur eine gewöhnliche Konkubine. Aber da war etwas, was ihr ein lächeln auf die Lippen zauberte. „Eifersüchtig?“, fragte sie und versuchte das Lächeln nicht darin hören zulassen. „Auf dich? Wovon träumst du nachts? Nein, ich habe nur Mitleid. Denn irgendwann wird er deiner überdrüssig sein und dich wegwerfen. Du hast zwar ein schönes Gesicht und jeder andere Mann würde bei dir sofort schwach werden. Aber er ist anders. Er hat andere Vorstellung von einer Frau. Du bist nur zum Zeivertreib!“, sagte Fallacia, die sich ihren Ärger über die Frechheit der Prinzessin nicht anmerken lassen wollte und ging langsam auf sie zu. Wobei es ihr unter den Nägeln brannte, diese in ihr hübsches Gesicht zu schlagen. Ihr war bewusst, dass sie sich damit wieder eine Strafe einhandelte. Aber solange sie ihr zumindest keine körperlichen Schmerzen zufügte und ohne dass es ihr Herr bemerkte, würde sie damit durchkommen. „Und wenn dieser Moment kommt, welche Glückliche wird es sein, die für ihn das Bett wärmt?“, fragte Lumen. „Du etwa?“

Halt den Mund, schrie es in ihrem Inneren, doch sie verbat sich jegliche Zurückhaltung. Die Worte und auch diese arrogante Art dieser Frau machten sie insgeheim wütend. Nicht nur dass sie sie vergiftet hatte und durch Alpträume leiden ließ, bis sie stirbt. Nun musste sie ihr auch nur das Glück trüben, welches sie endlich erfuhr. Lumen konnte und hatte einiges vertragen. Aber das ging zu weit. „Ich wiederum finde nicht, dass er ein Mann ist, der solch eine Frau, wie dich an sich heranlassen würde!“, konterte sie scharf und zog etwas fester als beabsichtig an dem nächsten Laken. Als Fallacia das hörte, musste sie den Drang unterdrücken sich auf die Prinzessin zustürzen. Mochten diese Worte absichtlich oder reinzufällig ausgesprochen sein. Sie verfehlten ihre Wirkung nicht. Sie waren die bittere Wahrheit, die Fallacia so tapfer unterdrückt und verdrängt hatte. „Hab ich nicht Recht?“, fragte Lumen und drehte sich zu ihr herum. Und ihre Stimme klang, zu ihrer eigenen Überraschung ebenso kalt, wie des Magiers. Nur noch schwach hörte sie die Stimme ihrer Vernunft, die sie ermahnte es nicht auf die Spitze zutreiben. Immerhin war diese Fallacia efärhlich und lumen konnte sich nicht annähernd vorstellen, was sie mit ihr machen würde, wenn sie sie wütend genug gemacht hatte. Doch Lumen war es gleichgültig.

„Er würde dich ebenso wenig anfassen wollen, wie die Frauen, die du für unwürdig hälst!“

Nun reichte es Fallacia. Das war zuviel. Noch mehr solcher Beleidungen konnte sie nicht ertragen. Mit wildem, mörderischem Blick schritt sie auf sie zu und blieb dicht vor ihr stehen. „Treibe es nicht soweit, Prinzessin. Sonst…!“, stiess sie zwischen ihren Zähnen hindurch und zur Untermalung ihrer Worte hob sie die Hand, und zerriss mit ihren Fingernägeln das weisse Laken. Es ratschte und riss. Lumen blickte zu dem zerfetzten Stoff und wurde sich nun wieder bewusst, dass sie es deutlich viel zuweit getrieben hatte, als gut war.

„Fallacia!“, erscholl dann die Stimme des Magiers, der in der Türe stand und beide wachsam anschaute. Sofort wich Fallacia zurück un versteifte sich in Erwartung einer erneuten Bestrafung. Lumen, erleichtert dass er eingeschritten war, machte ebenso einen Schritt von ihr weg und schaute dann zu ihm. Kaum dass sie es richtig bemerkte, war er schon zu ihnen herangeschritten und sah Fallacia mit drohenden Blicken an. Minuten vergingenm während er sie so ansah. Dann wandte er sich an Lumen und reichte ihr die Hand. „Kommt, Prinzessin!“, sagte er und Lumen gehorschte. Als sie den Innenhof beinahe verlassen hatten, drehte sich Tenebrae zu Fallacia um, die immer noch wie zu Stein erstarrt dastand. „Das Laken, welches du zerrissen hast, wirst du wieder zusammennähen, verstanden!“, sagte er schroff und Fallacia brachte nur ein Nicken zustande.
 

Am Abend saßen Tenebrae und Lumen vor dem Feuer des großen Kamins im Speisesaal. Um ihretwillen hatte er statt dem dunklen ein normales Feuer entfacht und war selber erstaunt, we gut seine Augen dies vertragen konnte. Doch vielleicht lag es auch an der langen Zeit, die er mit ihr verbracht hatte und damit mit dem Licht, welches sie hier in dieses dunkle Schloss wiederbrachte. Während Tenebrae im Sessel saß, saß Lumen neben ihm auf dem Boden und hatte den Kopf auf sein Knie gelegt. Mit verträumtem Blick schaute sie in die Flammen. Genoss es, wie er ihr durch das Haar strich. Ohne aufzusehen, wusste sie, dass sein Blick auf ihr ruhte und fragte sich sogleich woran er dachte. Fragte sich, ob er in diesem Augenblick das gleiche dachte wie. Sich so fühlte wie sie. Sie schloss die Augen, seufzte dabei. „Bist du glücklich?“, fragte er nach einer Weile und holte sie aus ihren Gedanken. Langsam öffnete sie die Augen, richtete sich ebenso auf und sah ihn an. „Ja, mehr als ich es mir vorstellen konnte!“, flüsterte sie. „Und du?“

„Ich auch!“, erwiederte er und beugte sich zu ihr hinunter. Hauchte ihr sanft einen Kuss auf die Lippen. „Ich liebe dich, Lumen!“
 

Für Lumen schien das Glück kein Ende zu nehmen. Die Tage wurden zu einer Ewigkeit, die mehr und mehr einem schönen Traum glich. Doch aus diesem wurde sie bald gerissen. Urplötzlich und ohne Vorwarnung, dass es ihr die Luft raubte. Alles begann mit einem Traum. Dunkel und angsteinflössend. Lumen fand sich im Schlafgemach ihres Vaters, der allein in seinem Bett lag und dem Tode nahewar. Sein Gesicht war blass und seine Augen eingefallen. Er schien um Jahrunderte gealter zusein. Ein alter Mann, der keinen Sinn mehr zu Leben hatte. Eine einsame Kerze flackerte neben seinem Bett. Das einzige Licht in der dieser beklemmenden Finsterniss. Als sei die Flamme, die auf dem Docht tanzte, das Sinnbild für das Leben, das schwächer und schwächer wurde. Und die Finterniss, die den Tod zubedeuten schien immer stärker. Bald würde das Licht gänzlich erlöschen und damit auch das Leben ihres Vaters. Lumen, nicht mehr als ein Gespenst schritt mit langsam Schritten auf ihn zu. Sie spürte, wie ihr die Tränen in den Augen drangen und ihre Hände zitterten, als sie sie ausstreckte. „Vater!“, hörte sie sich selber leise wimmern und stand dann neben ihrem Vater. Er schien kaum noch ansprechbar zusein. Seine Augenglider, die geschlossen waren zitterten und er drehte den Kopf in die Richtung, aus der er den Ruf gehört hatte. „Lumen…?“, flüsterte er. „Ja, Vater. Ich bin es. Lumen!“, kam es erstickt aus ihrer Kehle und sie ergriff die Hand, die er hob. Ihre Hände waren durchsichtig und ihre Berührung kaum mehr als ein Lufthauch. „Lumen!“, wiederholte ihr Vater nur, wie in einem Fiebertraum und eine einzige Träne glitzerte in seinem Augenwinkel. „Vater!“

„Lumen. Mein Kind. Bitte vergib mir!“, flüsterte er, ehe seine Hand plötzlich ganz schwer und steif wurde. Mit den letzten Worten, die er aussprach war auch der letzte Hauch des Lebens aus ihm gewichen und niemand war bei ihm. Nur Lumen, die zu einem Geist geworden und dennoch in der Lage war, Trauer und Schmerz zufühlen. „Vater!“, schrie sie und ihre Hände umfasste die ihres toten Vaters fester. „Vater, bitte wach auf, Vater!“

Doch es half nichts. Ihr Vater war tot. Gestorben an einem gebrochenem Herzen und allein in der Dunkelheit, die nun die Oberhand gewann, als die Kerze erlosch. Still breitete sich aus, die nur durchbrochen war von Lumens Schluchzen.
 

Als Lumen erwachte, war ihr Gesicht nass von Tränen und sie wusste zunächst nicht, ob sie das wirklich nur geträumt hatte. Als sie jedoch die Atemzüge und die warme, trostspendende Nähe des Magiers neben sich fühlte, beruhigte sie sich wieder und legte sich wieder ein. Ein Traum. Es war nur ein boshafter Traum, versuchte sie sich einzureden, doch das Bild ihres sterbenden Vaters, der nur noch ein Schatten seiner selbst war, hatte sich tief in ihr Gedächtniss gebrannt und sorgte noch für den Rest der Nacht dafür, dass sie sich unruhig hinundher wälzte.

Tagelang versuchte Lumen sich nichts anmerken zulassen und weiter unbekümmert die Zeit mit dem Magier zu geniessen. Doch das Schicksal schien es nicht mit ihr gutzumeinen. Als wollte es ihr das Glück zerschlagen in tausend Scherben.

Der Traum lag wie ein dunkler, alles verderbender Schatten über ihrer Seele und sie verspürte mehr als einmal diese schreckliche Angst, dass dieser Traum eine Art Prophezeiung war, die sich erfüllen würde, oder vielleicht schon längst erfüllt hatte. Gerne hätte sie sich eingeredet, dass dies Unsin sei. Doch es blieb ein dunkles Echo und es quälte sie von Tag zu Tag. Es gab nur eine Möglichkeit Gewissheit zu haben. Sie musste es mit eigenen Augen und Leibhaftig sehen. Ohne Spiegel oder einen Zauber. Sie musste zu ihrem Vater gehen.Wenn er sie sah, wohlauf und lebendig, so hoffte sie, würde er wieder zu Kräften kommen und in das Leben zurückfinden. Nur wie sollte sie das dem Magier sagen?

Stunde um Stunde, sie miteinander verbrachten, grübelte sie nach. Und ihr Gesicht nahm malzumal einen bekümmerten Ausdruck an. Fort waren das Lächeln und das Funkeln ihrer Augen, wenn sie sich freute. Dies blieb natürlich nicht unbemerkt. Comitas war der erste, der er es sah. „Was mit Euch ist, Prinzessin. Ihr doch vorher so glücklich gewesen seid?“, fragte er traurig und Lumen biss sich auf die Unterlippe.

Sie fragte sich, warum das Schicksal es ihr nicht gönnte, glücklich zusein. Sie immer wieder verletzte und Qualen erleiden ließ. Was hatte sie getan, damit sie das verdiente. „Ich…ich weiss es auch nicht?“, log sie schnell, weil sie Comitas damit belasten wollte. Sie wollte und musste endlich lernen allein damit fertig zuwerden. „Ihr mich nicht belügen könnt. Sagt mir, was Euch bedrückt!“, forderte Comitas beinahe schon ernst und bevor Lumen richtig nachdenken konnte, was sie sagen sollte, rutschte es ihr heraus. „Ich träumte, dass mein Vater stirbt und niemand war bei ihm. Er war ganz allein!“, sagte sie und fühlte sich etwas besser. Jedoch die Angst blieb. Ihr Hände begannen zuzittern und sie vergrub das Gesicht in diesen, weil sie es nicht ertragen konnte, weiterhin in dieser Ungewissheit zusein. „Ich muss zu ihm. Ich muss einfach. Aber ich weiss nicht wie!“

„Ihr doch den Herren fragen könnt. Er Euch sicherlich zu ihm bringt!“, sagte er. Lumen hatte auch schon daran gedacht, aber davor gescheut. Sie konnte sich gut vorstellen, dass es für ihn nicht leicht sein würde. Aber was für eine andere Wahl hatte sie. Außerdem. Wenn er sie liebte, würde er dies verstehen und sie gehen lassen. Und selbst wenn es nur eine Stunde wäre. Sie wäre ihm dankbar. Bis an ihr Lebensende. „Ich kann es ja versuchen!“, sagte sie. Klang dabei alles andere als hoffnungvoll.
 

An diesem Tag hatte sie Tenebrae gebeten etwas spazieren zu gehen. Sie brauchte frische Luft, um sich genau zu überlegen, was sie sagen sollte.Tenebrae erfüllte ihr diesen Wunsch.

Als er vorschlug durch den magischen Wald zugehen. Doch Lumen schüttelte daraufhin den Kopf. Wenn sie diesen magischen Ort sehen würde, würde sie ein schlechtes Gewissen bekommen und in ihrem Entschluss wanken. Daher gingen sie durch den Garten. Dabei vermied sie es, die vertrockneten Rosenträucher anzusehen. Der Anblick bei jeglichen toten Dingen, erinnerte sie an ihren Vater.

Während sie so nebeneinander herschritten, überlegte Lumen, wie sie die Bitte, die ihr so schwer auf der Seele lag, richtig formulieren konnte. Ihr war bewusst, dass der sicherlich bedenken haben und ihren Wunsch hinterfragen würde. Die Angst um ihren Vater aber ließ sie nicht los. Nach den richtigen Worten suchend biss sie sich auf die Unterlippe. Der Magier bemerkte natürlich, dass der Prinzessin etwas auf der Seele lag. „Was bedrückt dich, Lumen?“, fragte er und holte sie aus ihren Gedanken. Zuerst versuchte sie es runterzuspielen, doch als er sie mit gehobenen Brauen ansah, seufzte sie. „Ich…ich mache mir Sorgen um meinen Vater. Ich befürchte, dass er im sterben liegt oder schon tot ist. Und ich werde keine Ruhe haben, ehe ich mir sicher bin. Darum…!“, sagte sie und sah zu ihm hoch. „…

Habe ich eine einzige Bitte. Bitte, lass mich zu meinem Vater gehen. Ich muss wissen, ob er noch lebt. Selbst wenn es nur ein Tag ist!“

Tenebrae schlug die Augen nieder. Seufzte und versuchte sich seine Niedergeschlagenheit nicht anzumerken zulassen. Er hatte sich schon gedacht, dass sie etwas derlei beschäftigte. Und dass sie mit solch einer Bitte an ihn herantreten würde. Dennoch hatte er sich gewünscht, dass dieser Moment niemals kommen würde. Sie gehen zulassen hieße wieder allein zusein. In dieser Dunkelheit, ohne ihre Nähe, die ihm Kraft gab. Aber nur ein einziger Blick in ihre Augen zeigte ihm, dass sie wahrlich um das Leben ihres Vaters bangte und nicht die grünen Wiesen und die lebensspendenen Wälder vermisste. Er blieb stehen. Sein Blick ruhte immernoch auf ihrem Gesicht. Innerlicht flehte Lumen darum, dass ihr diesen Wunsch erfüllte. Danach, das schwor sie sich, würde sie ihn niemehr etwas bitten. „Ein Tag reicht nicht!“, überlegte er laut, während sein Blick kurz ins Leere ging. Als er sie wieder ansah, klang seine Stimme sanft, aber auch ernst. „Ich erfüllte dir deine Bitte. Aber komme in sieben Tagen wieder hierher zu mir. Fünf Tage um deinen Vater wieder gesung zumachen und zwei Tage, um dich zuverabschieden. Nicht mehr!“

Das war mehr als Lumen sich erhofft hatte. Dankbar darüber, dass er bereit war, sie gehen zulassen nickte sie. „Ja, ich schwöre es. Bei allem was mir heilig ist!“

„Dann sollten wir keine Zeit verlieren!“, sagte Tenebrae, als habe er ihre nächsten Worte nicht gehört und nahm sie bei der Hand. Führte sie aus dem Garten hinein ins Schloss. Zu seinem Gemach. Vor der Wand, die als einzige kahl und ohne irgendwelche anderen Möbel bedeckt war, blieben sie stehen. Dann nahm er ein Tigelchen von einem der zahlreichen Regale und ließ ein silbrig glitzerndes Pulver in seine Hand rieseln. Dieses blies er gegen die Wand und murmelte:„ Ianua hic aperire!“

Die glatte Fläche, auf der das Pulver sich verteilte begann plötzlich zu glimmen und zu leuchten. Ein sanfter Wind kam auf und erst dachte Lumen, dieser käme durch ein geöffnetes Fenster. Doch dann spürte sie, wie der Wind ihr Gesicht streifte. Das silberne Leuchten verblasste, hinterließ eine mannshohe Öffnung, die dunkel vor ihnen lag. Ähnlich wie der Eingang zu einem langen Flur. Lumen sah den Magier an. Dieser bedeutete ihr mit einer Handbewegung voran zugehen, während er einige Schritt hinter ihr blieb. Gemeinsam durchschritten sie den Flur und Lumen glaubte, dieser würde sie, wie der verborgene Gang im Garten, in den magischen Wald führen. Doch statt dem blauen Leuchten der Bäume, sah sie in weiter Ferne das Licht der Sonne. Diese ging gerade auf, als sie aus einer kleinen Höhle traten und einige Schritte weitergingen, bis sie auf einem Hügel standen. Von diesem aus konnte sie auf das Dorf schauen, über dem das Schloss ihres Vaters thronte. Die Sonne ging dahinter aus und ließen es dunkel erscheinen. Ein langer Schatten zog sich daher über das Dorf und tauchte dieses in tiefer Dunkelheit. Trotz der Wärme des anbrechenden Tages, wurde ihr kalt. Sie rieb sich die Arme und musste ein Schaudern unterdrücken. Tenebrae sah dies und trat neben sie. Legte den Arm um ihre zarten Schultern und zog sie an sich. „Du solltest gehen. Dein Vater braucht dich!“, flüsterte er und Lumen nickte langsam. Doch noch ehe sie den ersten Schritt mache, drehte sie sich zu ihm herum. „Wie kann ich zu dir zurückkehren?“, fragte sie. „Komme am Ende des siebten Tages an diese Stelle. Wenn die Nacht hereinbricht, werde ich hier auf dich warten und dich abholen!“, sagte er. Das Sonnenlicht, welches sich immer weiter ausbreitete, drängte ihn in den Schatten der Bäume. Lumen nickte erneut. „Dann…in sieben Tagen!“, sagte sie und ohne auf eine Antwort zu warten, lief sie den Hügel hinunter.

Tenebrae sah ihr noch einen Moment nach. Sah wie sie den Hügel hinunterrannte, als könne sie es kaum erwarten, wieder im Schloss und bei ihrer Familie zusein. Fast glaubte er, dass er einen Fehler gemacht hatte. Doch dann sagte er sich, dass er ihr vertrauen konnte und sie ihn niemals betrügen würde. Mit dieser Gewissheit, die auch Hoffnung war, kehrte er in sein Schloss zurück. Er wusste jetzt schon, dass er den siebten Abend kaum erwarten konnte.
 

Als Lumen endlich vor den gewaltigen Toren des Schlosses stand, war die Sonne bereits weiter aufgegangen und schickte ihre hellen Strahlen ins Dorf. Die Wachen, die das Pech hatten, Wache zuhalten, gähnten und wussten erst nicht, wer da auf sie zugeeilt kam. „Wer seid Ihr?“, fragte einer von ihnen und versperrte ihr den Weg, mit dem Stab seines Sperres. „Ich bin es. Prinzessin Lumen!“, sagte sie. Die Wachen jedoch schienen sie nicht zu kennen. Sie sahen sie an, als sei sie eine Fremde. „Prinzessin Lumen? Aber unsere jüngste Prinzessin ist tot. Du kannst sie unmöglich sein!“, sagte wieder nun der erste. Lumen durchfuhr es kalt, als sie das hörte. Sie soll tot sein?

Aber warum und wer behauptete solch einen Unsinn?

„Ich bin nicht tot. Ich lebe!“, sagte sie und ihre Stimme war dünn wie Eis. „Unsere Prinzessin ist tot. Jeder weiss das. Scher dich weg, Mädchen!“, sagte nun der zweite und stellte sich neben seinem Kupmanen. Er schien weniger Geduld zuhaben als der andere. „Aber…!“, begann Lumen. Und der zweite Wachmann stiess mit dem Ende seines Sperres auf den Boden. „Hörst du nicht. Verschwinde!“

„Was ist denn da los?“, fragte eine ihr bekannte Stimme und ein Mann tauchte um die Ecke auf. In der Hand eine Fackel. Als das Licht der Flamme auf sein Gesicht traf, atmete Lumen erleichtert auf. Hauptmann Fidus!

„Hauptmann, dieses Mädchen weigert sich zugehen. Es behauptet, es sei die verstrobene Prinzessin Lumen!“, antwortete der erste Wachmann ruppig und deutete auf die Prinzessin. Kaum dass der Hauptmann sie ansah, weiteten sich seine Brauen. „Das ist unmöglich!“, hauchte er. Er selber schien es ebenso wenig glauben zu wollen, als er sie sah. Doch dann strahlte er über das Gesicht. Dann aber wurde sein Gesicht erzürtnt. Doch dieser Blick galt nicht ihr, sondern den Wachen. „Das ist die Prinzessin, Ihr Tölpel. Lasst sie ein!“, befahl er grantig. Und die Wachen machten, dass sie den Befehl des Hauptmannes erfüllten. Eiligst liefen sie davon und riefen den Wachen, die hinter dem Tor postiert waren zu, sie sollen das Tor öffnen.
 

Einer des Königs Diener, der die Nachricht erhalten hatte, dass die totgelgaubte Prinzessin wiedergekommen war, rannte durch die Gänge und stürmte dann in das Schlafgemach des schwachen Königs. „Majestät…Majestät!“, rief er aufgeregt. „Was ist? Siehst du dummer Kerl nicht, dass Ihre Majestät kaum noch ansprechbar ist?“, fuhr ihn der Kammerdiener an, der neben dem Arzt der einzige in dem Zimmer war. „Aber die Prinzessin…!“, stammelte der arme Kerl völlig außer Atem und nicht wissend, wie er es sagen sollte. „Was ist mit ihr? Von welcher der beiden sprichst du überhaupt?“, fragte der Kammerdiener wieder und man sah ihm an, dass er keine Lust hatte, jedes einzelne Wort aus der Nase des armen Dieners zu ziehen. „Prinzessin Lumen. Sie ist wieder da!“, sagte er und einige Minuten tauschten der Kammerdiener und der Arzt verwirrte Blicke. Dann aber wandte er sich wieder an den Diener. „Was redest du da? Prinzessin Lumen ist tot!“, herrschte er ihn an. „Sie lebt!“, rief er aufgebracht. „Hauptmann Fidus führt sie gerade ins Schloss!“
 

Fortitudo und Cor waren durch den ganzen Trubel draußen auf den Gängen wachgeworden und fragten sich, was da vor sich ginge. Schnell zogen sie sich ihre Mäntel über und eilten in den großen Saal, in dem sich schon Bedienstete und Wachen tummelten und wild miteinander tuschelten. Als die Prinzessinen eintrafen, machten sie ihnen platz und verbeugten sich. Fortitudo ging auf einen der Wachen zu. „Sag was das für ein Aufruhr ist?“, fragte sie ihn. „Eure Schwester Lumen ist aus dem Reich der Toten wiedergekehrt!“, erklärte er demütigst. „Meine Schwester Lumen?“, wiederholte sie. Cor beugte sich nachvorne. Auch sie hatte die Anwort des Mannes gehört. „Aber das ist doch nicht möglich. Unsere Schwester ist doch tot!“, flüsterte sie. „Oder etwas nicht?“

„Ich weiss es nicht!“, sagte die älteste und ging weiter. Dort wo die Menschenmenge am dichtesten war, sahen sie den Hauptmann, der in Begleitung einer jungen Frau war. Sie schoben und drängten sich durch die Menge, da die anderen wohl nicht ahnten, dass die Königstöchter nahten. Doch kaum dass man ihrer Angesichtig wurde, machte man ihnen platz. Gaben den Weg und damit den Blick frei auf den Hauptmann, der in Begleitung der Prinzessin war. „Lumen!“, rief Cor fassunglos und überglücklich ihre jüngere Schwester wiederzusehen. Fest und innig schloss sie sie in ihre Arme. „Das kann doch unmöglich wahrsein!“, erwiederte Fortitudo. „Schwester!“, flüsterte Lumen und strahlte Fortitudo an. „Doch ich bin es. Ich bin zurück!“

„Lumen!“, war es nun an Fortitudo den Namen ihrer Schwester zusagen und ging auf sie zu. Umarmte sie ebenso wie es Cor tat und drückte sie fest an sich. „Wie lange ist das her und wie sehr habe ich mir gewünscht, dich wieder zusehen, geliebtes Schwesterchen!“, murmelte sie und strich ihr über den Kopf. Lumen genoss diese Berührung und schloss die Augen. Sie war ebenso glücklich, endlich wieder ihre Schwestern in die Arme zu schließen. Sie hätte die ganze Zeit so in den Armen ihrer geliebten Schwestern versinken können. Doch dann kam ihr wieder in den Sinn, weshalb sie hier war. „Vater. Bitte, bringt mich zu unserem Vater. Ich muss zu ihm!“, sagte sie und schob sich aus den Armen ihrer Schwestern.
 

Mit ihren Schwestern im Schlepptau betrat sie das Zimmer ihres Vaters. Hatten der Arzt und der Kammerdiener vorher noch Zweifel gehabt, so waren diese von Winde verweht. Mit großen ungläubigen Blicken sahen sie die Prinzessin an, die sich ihrem Vater näeherte und an das Bett trat. Der Anblick, der sie erwartete, traf sie und glich dem, in ihrem Traum. Doch es war viel schlimmer und sie kämpfte gegen die Tränen an. „Vater!“, flüsterte sie, beugte sich über ihn und nahm seine Hand. Drückte sie sanft. Dem König entfuhr ein Seufzen, das zum Fürchten war. Seine Augenlider zitterten. Er hatte kaum Kraft sie zu öffnen. Es war genauso wie in ihrem Traum. Nein, es darf nicht zuspät sein, schrie es in ihrem Inneren. „Vater. Bitte öffne die Augen. Ich bin hier. Ich bin es Lumen. Dein Wildfang!“, sagte sie immer und immer wieder, um ihn zurück zuholen. „Lumen?“, fragte er nach einer Weile und endlich öffneten sich seine Augen. Doch sie waren trüb. Hatten kaum noch Leben in sich. „Ja, ja ich bin es, Vater. Lumen, deine Lumen!“, sagte sie, da sie Hoffnung schöpfte, dass er doch noch unter die Lebenden kommen würde. Langsam richtete sich der König auf und sah seine Tochter an. In seinem Blick sah, sie, dass er, obwohl sie seine Hand hielt, es nicht glauben wollte. Dass er sie für einen Geist hielt. „Vergib mir mein Kind!“, flüsterte er. „Ich vergebe dir!“, sagte sie und drückte seine Hand. Wollte ihm so zeigen, dass sie wirklich war. „Nur bitte, komme wieder zu uns zurück!“, flehte sie und küsst die Hand ihres Vaters. Wie entsetzlich kalt sie war. „So…bist du doch kein Geist, der hier ist, um mich zu quälen. Um mir zuzeigen, dass ich einen großen Fehler gemacht habe?“, fragte ihr Vater und seine Stimme klang nun nicht mehr ganz so hohl wie vorher. Lumen schüttelte den Kopf. „Nein. Ich bin es wirklich. Aus Fleisch und Blut. Kein Geist!“, sagte sie und küsste diesesmal seine Stirn. Der König richtete sich gänzlich auf und hob die Hand, um sie an die Wange der Prinzessin zulegen. Er holte tief Luft und in seinen Augen kehrte allmählich das Leben zurück. „Lumen. Du bist es!“, sagte er und breitete die Arme aus, um sie um seine Tochter zuschlingen. Der Arzt daraufhin wies ihn an, sich zu schonen. Doch der König hörte nicht darauf, sondern umarmte seine verlorene und ihm wiedergegebene Tochter. „Lumen…meine kleine Lumen!“, sagte er und ihm rannen Trännen über die Wange. Auch Lumen weinte. Beide gleichermaßen glücklich darüber, dass sie wieder vereint waren. „Oh, Vater!“
 

Die Rückkehr der Prinzessin wurde im ganzen Lande verkündet. Und jeder Mann und jede Frau war auf den Beinen, um sich davon selber ein Bild zumachen. Als der König, immernoch etwas schwach auf den Beinen zwar, mit ihr auf den Balkon trat und das Volk sie sahen, brach es in Freudenrufe aus. „Unsere Prinzessin ist wieder da!“

„Und unser König ist wieder bei Gesundheit!“

„Hoch lebe unsere Prinzessin!“

Als der König die Hand hob, verstummte das Volk und er begann zusprechen. „Ja, ich bin wieder gesund. Das verdanke ich allein meiner jüngsten Tochter!“, sagte er und sah Lumen freudestrahlend an. Lumen lächelte. „Von heute an, wird wieder alles gut!“

Daraufhin gab der König ein Fest. Zwei Tage dauerte es und jeder, ob adelig oder bäuerlich war eingeladen. Es wurde getanzt, gesungen, gegessen und getrunken.

Lumen aber ließ das Fest vergehen, als sei es nichts. Sie wollte nicht feiern. Sondern mit ihrem Vater und ihren Schwestern die verbleibende Zeit verbringen. Denn sieben Tage vergingen schnell und Lumen wollte sie nicht unnütz verstreichen lassen. Und die Neugier ihrer Schwestern und ihres Vaters war zugroß, um sich vollends zufreuen.

So saßen sie im kleinen Salon und Lumen erzählte ihnen, wie sie die Zeit im Schloss des Magiers zugebracht hatte. Den Teil, in dem sie sich in ihn verliebte und er sich in sie, ließ sie erstmal außen vor. „Es ist ein Wunder, dass du wieder bei uns bist!“, sagte ihr Vater. „Wir glaubten schon, dass du tot seist!“

Daraufhin senkten Fortitudo und Cor beschämt den Kopf. Sie hatten solange nichts mehr von ihrer Schwester gehört, und auch die Hoffnung aufgegeben, sie jemals wieder zusehen, dass sie vom Schlimmsten ausgingen. Lumen lächelte milde. „Nun aber bin ich dich wieder hier!“, sagte sie. „Ich mache mir bis heute noch Vorwürfe, dass ich mich auf den Handel dieses Monsters eingelassen habe!“, sagte ihr Vater mit schwerer Stimme, als habe er ihre Worte nicht gehört. „Dir blieb doch keine andere Wahl!“, erwiederte Lumen und beugte sich vor, um über seine Hand zu streichen. „Ich hätte nach einer anderen Möglichkeit suchen sollen!“, warf er sich vor. „Vater hör doch auf, dir Vorwürfe zumachen. Lumen ist zurück. Wohlauf und gesund!“, sagte Fortitudo. König Sapientia nickte. „Dennoch würde ich gerne wissen, wie du entkommen konntest. Das Reich des Magiers sah nicht gerade so aus, als könne man aus diesem leicht entrinnen!“

Prinzessin Fortitudo konnte sich noch gut daran erinnern, wie das Reich von Tenebrae von Dunkelheit erfüllt und von bedrohlichen Bergen umringt war. Auch wenn sie froh war, ihre Schwester bei sich zuhaben, hatte sie Zweifel, dass sie einfach so entkommen konnte. „Ich bin nicht entkommen. Er hat mich gehen lassen!“, sagte Lumen, da sie wusste, dass sie nun den Grund für ihre Rückehr sagen musste. „Dich gehen lassen? Einfach so?“, fragte ihr Vater. „Ich habe ihn gebeten, weil ich mir Sorgen machte. Und er erfüllte mir den Wunsch. Doch ich muss zu ihm zurück. Am Abend des siebten Tages!“, erklärte sie und ihr Vater wude kreidebleich. „Was?“, keuchte er und seine Finger krallten sich um die Lehnen. „Ich habe es ihm versprochen!“, erwiederte Lumen und fühlte, wie ihr der Mut sank. Sie wusste, dass es ihrem Vater das Herz brechen würde. Aber sie war an ihr Wort gebunden. Und sie wollte es nicht brechen. „Dann breche dein Wort. Wie kannst du zu ihm zurückkehren, nachdem er dich mir entrissen hat?“, fragte ihr Vater aufgebracht. „Ich habe es ihm versprochen!“, erwiederte Lumen darauf zum Nachdruck. Doch dem König war es allerlei, ob sie es dem Magier versprochen hatte oder nicht. „Du wirst nicht zu diesemUngeheuer zurückgehen. Ich verbiete es dir!“

„Aber Vater ich…!“, versuchte sie es, doch ihr Vater schnitt mit einer energischen Handbewegung. „Kein Aber. Du wirst nicht gehen!“

Und mit diesen Worten war das erste Gespräch nach dieser langen Zeit, in der sie fort war, beendet.
 

„Du willst wirklich zu ihm zurück?“, fragte Cor am nächsten Tag, der dritte ihres Besuches, während sie und Lumen durch den Garten spazierten. Nach der gestrigen Diskussion war Lumens Freude über die plötzliche Genesung ihres Vaters mit Sorge überschattet und nur schwer ließ sie sich dazu überreden etwas frische Luft zuschnappen. Bis jetzt hatten sie geschwiegen und waren nebeneinander durch die Sträucher, die mit Rosen und anderen farbenprächtigen Blumen gespickt waren und Lumen ließ ihre Finger über die der Rosen streichen. Sie erinnerten sie an die des Magiers, die sie jeden Morgen auf ihrem Frühstückstisch entdeckt hatte. Lumen beugte sich vor und roch an diese. Doch statt einen sonderbaren exotischen Duft in der Nase zuhaben, rochen diese Rosen ganz normal und Lumen fühlte, wie sich Enttäuschung in ihr bemerkbar machte. In der ganzen Zeit, in der sie beim Magier war und die Wunder, die er vollbracht hatte, gesehen hatte, erschienen ihr diese Rosen, die sie einst so sehr liebte, langweilig. Sie fragte sich dabei wie es Tenebrae ging. Saß er gerade wieder in der Dunkelheit und sehnte den Tag ihrer Rückkehr ebenso herbei, wie sie. Oder genoss er die Ruhe.

Cor holte sie aus ihren Gedanken. „Lumen?“, fragte sie und rüttelte ihre Schwester an der Schulter. Lumen richtete sich auf und sah sie an, als sei sie aus einem Traum erwacht. „Was hast du gesagt?“

Cor sah sie kurz skeptisch an, dann wurde ihr Gesicht milder und sie wiederholte ihre Frage. „Willst du wirklich zu ihm zurück?“

Lumen nickte. „Ja, ich gab ihm mein Wort!“, sagte sie und blickte wieder zu den Rosen. Rosa, rot, blass rose und weiss. Sie hätte gerne blaue, türkisse oder andere außergwöhnliche Rosen, als diese hier. „Ist es nur das? Oder gib es noch einen anderen Grund, warum du wieder bei ihm sein willst?“, fragte Cor und zuerst hätte man denken können, dass sie misstraurisch war, was diese einfach Antwort anging. Doch als Lumen ihre Schwester ansah, sah sie in ihren Blicken etwas ganz anderes. Lumen wurde rot und sie senkte den Kopf. Wie immer schaffte Cor sie zudurchschauen, mochte sie auch solange weggewesen sein. Ihr konnte sie nichts vormachen. „Du liebst ihn, stimmts?“, fragte sie und Lumen hörte das Lächeln in ihrer Stimme. Sie nickte. „Und liebt er dich?“

Wieder nickte Lumen und errötete noch mehr. Cor lächelte. „Das habe ich mir irgendwie gedacht. Als ich sah, wie du versucht hast, ihn in ein gutes Licht zurücken, habe ich es gesehen!“

„Bitte sage Vater davon nichts. Er würde nur noch mehr versuche mich zurückzuhalten. Mich womöglich noch einsperren!“, bat Lumen sie inständig und wirkte verloren, wie ein Kind. Cor lächelte wieder, umarmte ihre kleine Schwester. „Bei mir ist dein kleines Geheimniss gut aufgehoben!“, versicherte sie ihr. „Danke!“, nuschelte Lumen in das schwarze Haar ihrer Schwester. Dann lösten sie sich. „Was ist eigentlich mit dir? Seid du und der Hauptmann schon den Bund der Ehe eingegangen?“, fragte Lumen, um das Gespräch zu einem schöneren Thema zulenken und Cor seufzte schwer. „Naja, nicht ganz. Wir werden diesen Monat heiraten, aber richtig freuen konnte ich mich nicht. Ich musste wieder an Vater denken und wie krank er war. Fast schon wollte ich die Hochzeit verschieben. Doch Vater sagte, dass ich das nicht tun und auf ihn nicht achten sollte. Er wollte, dass ich glücklich bin!“, erklärte Cor schweren Herzens. „Also sagte er den Kammerdienern, sie sollen alles für die nahende Hochzeit vorbereiten. Einladungen wurden verschickt und Schneider wurden beauftragt, mir die schönsten Brautkleider zunähen. Da wir nicht wussten, wie lange er noch zuleben hatte, entschieden wir uns, dass die Hochzeit…diese Woche stattfinden soll!“

Lumens Augen wurden groß. Diese Woche?

Sie konnte nicht sagen, ob sie für diesen Wink dem Schicksal dankbar sein oder bedrückt sein sollte. Es freute sie natürlich, dass ihre Schwester ihren Angebeteten heiratete und dass sie es aus Rücksicht auf ihren Vater tat, aber dennoch hätte Lumen sich gewünscht, dass es zu einem anderen Zeitpunkt gewesen wäre. An einem, wo sie nicht bald wieder gehen musste. „Wann…heiratet ihr genau?“, fragte sie. „In vier Tagen!“, sagte Cor und schaute schuldbewusst drein. Lumens Herz sackte nach tiefer, als es schon vorher war.

In vier Tagen würde sie wieder zum Magier zurückkehren und nicht dabei sein können, wenn der Hauptmann Fidus und ihre Schwester die Ringe tauschten. „Wann heiratet ihr genau. Abends?“, fragte sie wieder, auch wenn sie nicht wusste warum. Sie würde nicht dabei sein können. Sie hatte dem Magier geschworen, dass sie am vereinbarten Tag und am vereinbarten Ort auf ihn warten würde, damit er sie mitnahm. Vorher hatte sie es sich sehnlichst gewünscht, wieder bei ihm zusein. Nun aber bereute sie, dass sie die Bedingung des Magiers einfach akzeptiert hat, ohne richtig nachzudenken. Hätte sie es wagen und ihn um mehr Aufschub bitten sollen?

Nun war es zuspät. Und Lumen wurde es schwer zumute.

„Nein. Am Mittag!“, hörte sie ihre Schwester sagen. „Ich denke das wird reichen!“

Lumens Herz machte daraufhin einen Satz. Wieder hörte sie in ihren Worten, dass sie lächelte. Lumen hob den Kopf. Konnte es sein?

Cor lächelte, wie zu Bestätigung ihrer stillen Hoffnung. „Ich möchte nicht, dass du wegen mir dein Wort brichst!“, sagte Cor und streichelte sanft Lumens Wange. „Vor allem nicht, weil er gut zu dir war und dich liebt!“

Dankbar darüber, dass sie doch noch der Hochzeit ihrer Schwester beiwohnen kann, ohne dabei ihr Wort zubrechen, schloss sie sie in ihre Arme. „Danke, Cor. Tausend dank!“, sagte sie. Cor lachte leise. „Schon gut, kleine Schwester!“

Des Nachts lag Lumen oft wach in ihrem Bett. Hinundwieder schaute sie aus dem Fenster und musste an den Magier denken. Die Tage vergingen beinahe wie im Flug und der Tag ihrer Rückkehr rückte immer näher. Zum einen freute sie sich. Aber zum anderen fragte sie sich, wie sie es anstellten sollte. Ihr Vater würde nicht zulassen, dass sie ging und sicherlich Wachen aufstellen, damit sie kaum einen Fuss aus dem Schloss setzen konnte. Vielleicht konnte sie sich während der Hochzeitsfeier rausschleichen, während die anderen feierten.

So würde sie sich zwar nicht von ihrer Familie nicht richtig verabschieden können und ihrem Vater würde es erneut das Herz brechen. Womöglich würde er wieder so schwach sein, dass er das Bett hüten müsste. Lumen wurde flau bei diesem Gedanken und sie wünschte sich, dass es einen anderen Weg geben würde. Einen der leichter sein würde. Für sie alle. Doch ihr Vater hatte deutlich gemacht, dass er niemals zulassen würde, dass sie zum Magier zurückkehrt.

Es blieb ihr also nur diese eine Möglichkeit.
 

Am Tage von Cors Hochzeit haben sich alle geladenen Gäste in der Kapelle des Schlosses versammelt und sahen mit gespannten Gesichtern zum Bräutigam. König Sapientia, Fortitudo und Lumen, gekleidet in Festtagskleider, standen etwas weiter weg. Einige von Hauptmann Fidus engsten Vertrauten standen hinter ihm. Sie waren seine Trauzeugen und warfen sich amüsierte Blicke zu, während Fidus nervös von einem Fuss auf den anderen trat. In der Schlacht mochte er ein unterschrockener Kämpfer und ein hervorragender Anführer sein, aber vor dem Altar schien er aufgeregt, wie ein kleiner Junge vor einer Prüfung zu sein. Mehr als einmal legten sie ihm behutsam die Hand auf die Schulter und raunten ihm beruhigende Worte zu. Doch Fidus war zu nervös, als dass er auf diese hören konnte.

Als dann der Organist die ersten Takte zum Hochzeitsmarsch spielte, spannten sich in ihm sämtliche Muskeln an. Dann öffnete sich die vergoldete Flügeltür und Mädchen, gekleidet in weissen Tüllkleidern und mit Blumenkränzen auf dem Kopf kamen herein, um rosane und rote Rosenblätter auf dem Boden zuverteilen. Einige Hofdamen, die Brautjungfern folgten und dann kam die Braut. Gekleidet in ein prächtiges Kleid, aus weissem Satin. Ein zierliches vgoldenes Diadem auf dem Kopf und mit einem Brautschleider über dem Gesicht, kam sie herein. Hinter sich zog sie eine meterlange Schleppe aus ebenso glänzendem Stoff. In ihren Händen trug sie einen nicht minder prächtigen Brautstrauss aus weissen Rosen und Lilien. Die Hochzeitsgäste schnappten nach Luft als sie die schöne Braut sahen, die langsam an ihnen vorbei und zum Altar schritt. Fidus Nervöstiät war wie gegeblasen und stolz wie ein König und glücklich, reichte er ihr die Hand. Cor nahm sie und trat neben ihn. Der Pfarrer räusperte sich und begann mit der Zeremonie. Während dieser sah Lumen unentwegt zu ihrer Schwester und konnte nicht leugnen, dass sie neidisch war. Wie gern würde sie auch vor dem Altar stehen, mit dem Magier an ihrer Seite. Ihm ihr Jawort geben.

Wie wunderbar das wäre.

Als der Moment der entscheidenden Frage kam, stellte sie sich vor, wie der Pfarrer ihr diese stellte und sie sie mit einem „Ja!“, beantwortete und dann dem Magier. In ihrer Phantasie sagte er ebenso ja. Das was sich vor ihr abspielte, verschwamm mit dem, was sie sich wünschte. Sie versank in dieser Vorstellung vollund ganz. Als dann der Hauptmann den Schleier seiner Braut hob, um sie zu küssen, sah sie kurz den Magier, wie er ihren Schleier hob und sie küssen wollte.

Die Glocken läuteten und kündigten an, dass zwei Menschen erneut den Bund des Lebens eingegangen waren.

Danach folgte ein Fest. Ähnlich wie das, als Lumen zurückkehrte. Nur das diesesmal Cor und ihr angetrauter im Mittelpunkt standen. Sie wurden von jeder Mann beglückwünscht und an wünschte alles Gute. Allen voran König Sapientia, Fortitudo und Lumen. Der König umarmte sie innig. Fortitudo ebenso und Lumen. Dann wurde getanzt. Den Ball eröffnete natürlich das Brautpaar. Dann betraten andere Paare die Tanzfläche und wirbelten herum. Während Lumen ihnen und den anderen zuschaute, wünschte sie sich, dass der Magier hier sein und mit ihr tanzen würde. Irgendwie kam sie sich einsam vor, so wie sie dastand und als einzige keinen Tanzpartner hatte. „Entschuldigt, Prinzessin Lumen. Darf ich um diesen Tanz bitten?“, fragte plötzlich eine Stimme neben ihr und sie schaute auf. Fast schon wollte sie begeistert ja sagen, weil sie glaubte, die Stimme Tenebraes zuhören. Doch als sie sah, dass es ein anderer war, verrauchte ihre Freude. Zuerst wollte sie nein sagen. Lieber würde sie weiterhin am Rande stehen und zusehen, als mit einem anderen zutanzen. Aber dann entschied sie sich anders. Was konnte es schon schaden, wenn sie auch tanzte und sich vergnügte. So würde immerhin die Zeit vergehen. Also nickte sie und ließ sich von dem jungen Mann auf die Fläche führen.

Tanzte mit ihm. „Wie ich gehört habe, wart ihr Monatelang eine Gefangene dieses grausamen Zauberers. Ihr müsst wahrlich Ängste ausgestanden haben!“, begann der Mann. Doch Lumen regaierte nicht. Sie hörte zwar, was er sagte, doch antwortete nicht. Sie wollte nicht mit einem Fremden darüber reden. Setzte einen Fuss nach dem anderen und drehte sich zum Takt der Musik. „Wenn ich früher davon erfahren hätte, hätte ich alles Mögliche getan, um Euch aus seiner Gewalt zu befreien!“

„Nein. Dazu wärt Ihr nicht im Stande gewesen!“, flüsterte sie.

„Doch, das wäre ich!“, behauptete nun der Mann mit vor Stolz geschwollener Brust. „Gegen mein Schwert hätte dieser Teufel keine Chance. Ich bin der Beste, wenn es um einen Kampf mit dem Schwert geht!“

Da hielt Lumen inne und sah ihn finster an. Krampfhaft versuchte sie die ersten bissigen Worte zuunterdrücken, die ihr auf der Zunge lagen. „Ihr…mögt zwar der Beste sein. Aber gegen seiner Magie kann selbst Euer Geschick mit dem Schwert nichts aussrichten!“, sagte sie ernst. Daraufhin lächelte der Mann nur milde.

Nur schwer konnte sie ihren Ärger bei diesem Lächeln und über die Überheblichkeit dieses Mannes verbergen. Und gerne hätte sie sich daran nicht gestört, aber dass ein Ausenstehender so dreist war und über den Magier sprach, als sei er ein Monster, machte sie wütend. Dennoch verstand sie es gut, es nicht zuzeigen. Wegen so einem hochmütigen Kerl wollte sie sich weder das Fest noch ihre Vorfreude beim Magier zurückzukehren verderben lassen. „Eure Sorge schmeichelt mir Prinzessin. Aber ich bin mir absolut sicher, dass ich gegen ihn bestehen kann. Jeder hat eine Schwachstelle. Selbst so ein Ungeheuer wie er!“

Das reichte Lumen. Mit nur diesen wenigen Worten, die schmerzhafter und grausamer waren, als jedes Schwert, hatte er dafür gesorgt, dass ihre Wut nun keine Grenzen kannte. Dass ihr Vater schon kein gutes Haar an dem Magier ließ, konnte sie verstehen. Aber bei diesem hier, hatte sie kein Verständniss. Mit einem Ruck entriss sie ihm ihre Hände und sah sie wütend an. „Was erlaubt Ihr Euch? Ihr kennt ihn nicht und wisst nicht, wie er wirklich ist. Lieber würde ich bei ihm bleiben für den Rest meines Lebens, als von einem wie Euch gerettet zu werden!“, fauchte sie und ließ den Edelmann stehen, der nicht wusste, was er falsch gemacht hatte. Fortitudo hatte dies aus einiger Entfernung gesehen und war zu Lumen gegangen, weil sie wissen wollte, was vorgefallen war. „Ach, dieser…dieser unverschämte Kerl glaubte allenernstes, dass der Magier mir Böses wollte. Mich gefangen hielt. Dabei weiss er überhaupt nichts!“, grollte sie und warf einen verächtlichen Blick in die Richtung, in der sie ihn hatte stehen lassen. Fortitudo seufzte. „Ich muss zugeben, dass auch ich Zweifel habe, dass er es wirklich gut mit dir meint!“, sagte sie und Lumens weiteten sich. Nicht aus Zorn, sondern auch Verweiflung. Gerade ihre Schwester sollte es doch wissen. Immerhin hatte sie ihnen die ganze Geschichte erzählt und ehrlich geklungen. Warum glaubte ihr niemand, bis auf Cor glauben. „Ich habe gesehen, was für Monster er bei sich hat und die Angst in deinen Augen. Es fällt mir offengesagt schwer, zuglauben, dass er dir gut gesonnen ist. Versteh mich nicht falsch. Aber es macht mir Angst!“

Lumen schlug die Augen nieder. Sie konnte es ihr nicht verüblen, dass sie so dachte, da Fortitudo die älteste war und damit die Verwantwortung für sie beide hatte. Von Kindesbeines an, hatte sie sich um sie gekümmert, seit ihre Mutter gestorben war und dass sie nun zusehen würde, wie sich ihre kleine Schwester erneut in die Hände eines Menschen begab, der vor Erpressung und Todesdrohungen nicht zurückschreckte, würde sie nicht ertragen. Oder gar zulassen wollen. Sie glich ihrer verstorbenen Mutter in so vieler Hinsicht. Lumen akzeptierte dies. Doch sie wollte auch, dass sie begriff, dass der Magier ein gutes Herz hatte. Schließlich hatte sie ihnen ja erzählt, dass er sie beschützte und sich ihr gegenüber sanft verhielt.

Dass dennoch ihre Schwester skeptisch war, machte dies nicht gerade leicht.

Hatte sie so ein falsches Bild von ihm?

„Das tue ich doch nicht. Nur musst du mich auch verstehen. Ich…er ist ganz anders, als du denkst und…ich habe ihm schließlcih versprochen, zu ihm zurückzukehren!“, sagte sie und klang dabei so, als würde sie das Misstrauen und die Versuche, diese zu zerstreuen, sie ihrer Kraft berauben. Fortitudo sah sie daraufhin lange schweigend an. Konnte deutlich in den Augen ihrer kleinen Schwester sehen, wie sehr es sie mitnahm, dass sie zwischen den Fronten stand und nicht wusste, für welche sie sich entscheiden sollte. Zum einen ja, wollte sie ihre Familie nicht verlieren. Aber zum anderen wollte sie auch den Magier nicht verletzen. Das und noch vieles mehr, was sie aus ihren Erzählungen erfahren hatte, machte ihr klar, dass Lumen auf Biegen und Brechen darauf beharte, dass sie sein wahren Wesen zukennen schien. Sie seufzte schwer.

„Das verstehe ich. Dennoch fällt es mir schwer, mich von dir zuverabschieden!“, sagte Fortitudo. Lumen presste die Lippen aufeinander. „Fortitudo bitte, mache es mir nicht noch schwerer, als es jetzt schon ist!“, jammerte sie und war den Tränen nahe.

War es so schwer, sie allein entscheiden zulassen, was gut für sie war?

„Das tue ich nicht. Aber es ist doch zuerwarten, dass es für uns schwer sein wird, von dir Abschied zu nehmen. Wer weiss, wann wir dich wiedersehen!“, sagte sie und umfasste die Schultern ihrer Schwester. Niemehr, ging es Lumen durch den Kopf und ihr Herz wurde noch schwerer, als es jetzt schon war. „Ich muss sehr bald los!“, sagte sie schnell um das Thema engültig zubeenden. Schließlich feierte ihre Schwester Hochzeit und sie wollte diesen Tag nicht mit Tränen und Abschiedsschmerz trüben. Darum hob sie den Blick und sah ihre Schwester festentschlossen an. „Sobald die Sonne…!“

Da hielt sie inne und ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen. Bei den ganzen Festlichkeiten, der Freude und der Sehnsucht hatte sie gänzlich die Zeit aus den Augen verloren. Jetzt als sie aus dem Fenster sah und sah, dass sich der Himmel schon verdunkelt hatte und die ersten Sterne am Firnament flackerten, wurde sie sich bewusst, dass sie spät, viel zuspät, war. Sie musste sich beeilen, wenn sie rechtzeitig am verabredeten Ort ankomen wollte. „Ich…ich muss gehen!“, stammelte sie, raffte ihren langen Rock und eilte davon. Drängte sich durch die Reihen der Tanzenden und überhörte die Rufe ihrer Schwester.

Draußen im Hof holten sie ihr Vater und ihre Schwestern ein. „Lumen. Wohin willst du gehen?“, fragte ihr Vater, als sie die Tore erreichten. Einige der Wachen, die für diesen Abend aufgestellt waren, sahen erstaunt zu den Menschen, die angelaufen kamen. „Öffnet das Tor!“, rief Lumen aufgeregt. „Nein, lasst es geschlossen!“, erwiderte der König und holte als erster seine Tochter ein. „Lumen, was hast du vor?“, fragte er. „Ich muss zu ihm zurück!“, sagte sie. „Ich bin schon vielzuspät!“

An die Wachen gewandt, sagte sie. „So öffnet doch!“

„Nein!“, schrie nun König Sapientia. „Das Tor bleibt zu. Und Lumen. Du gehst nirgenwohin!“

„Bitte, versteh doch, Vater. Ich muss…!“, versuchte es Lumen verzweifelt, doch ihr Vater schnitt ihr laut das Wort ab. „Ich lasse nicht zu, dass du gehst. Wachen, nehmt die Prinzessin und bringt sie ins Schloss!“, befahl er. Die Wachen wollten schon tun was er sagte.

Lumen schrie entsetzt auf. Dann passierte alles ganz schnell.

Kaum dass sich der Himmel endgültig zum Abend verdunkelt hatte, zog ein kalter und heftiger Wind auf und fegte über sie hinweg. Alle fröstelten. Und ehe sich einer von dem ersten Schrecken erholen konnte, kam mit dem Wind die Dunkelheit. Sie schien sich wie ein Mantel über sie zu legen und zuverschlingen. Selbst das Licht der Sterne erlosch und die Lichter im Schloss vermochten es nicht, diese Finsterniss zurückzuhalten. Lumen wusste, was das zu bedeuten hatte und innerlich schrie sie entsetzt auf. Nein!

Ehe sie es sich versah und etwas sagen konnte, packte sie wie aus dem Nichts schon eine eisigkalte Hand und riss sie zurück. Die Kälte, die über sie hinweg gefegt war, war nun hinter ihr und schien malzumal kälter zuwerden. Raubte ihr den Atem. „Nein, nicht. Das bitte nicht!“, wimmerte sie innerlich. Sie spürte in ihrem Rücken, dass der Magier genau hinte rihr stand, noch bevor sie einen Blick nachhinten geworfen hatte. Als sie dann doch ochschaute, sah sie in das finstere Gesicht des Magiers Tenebrae. Sie öffnete den Mund, wollte etwas sagen. Da riss er sie zurück. Ohne Erbarmen. Ohne Verständniss.

Ihr Vater und ihre Schwestern schrien auf. Sie ebenfalls. Doch als sie nachhinten fiel, und in die Dunkelheit gezogen wurde, verstummte ihr eigener Schrei.

Sie konnte nur die ihrer Familie hören, bevor alles um sie in tiefster Schwärze verschwand.

Mit schnellen Schritten und ohne den Griff um ihr Handgelenk zu lockern, zog der Magier sie unerbittlich hinter sich her. Sagte dabei kein Wort. Sondern schaute nur wütend vor sich hin und war für das Flehen und Entschuldigen der Prinzessin taub. In seinem Kopf herrschte nichts als Schwärze. Er fühlte nichts mehr. Sondern ging einfach weiter. Strauchelte die Prinzessin oder wurde langsamer, riss er an ihrem Handgelenk, sodass sie glaubte, er würde ihr den Arm auskugeln. Dass sie dabei schmerzlich aufschrie, interessierte ihn nicht.

Ihr Weg führte sie durch einen langen Flur. Nur schwach konnte sich Lumen an diesen erinnern. Als Tenebrae jedoch die massive Eichentür öffnete und ihr der feuchte, modrige Geruch in die Nase stieg, wusste sie, wohin dieser Flur führte. In Lumen verwandelte sich alles zu Eis. Tenebrae brachte sie zu den Verließen. Instinktiv stemmte sie ihre Hacken in den Teppisch und wollte sich aus seinem Griff winden. Daraufhin warf der Magier ihr einen zornigen Blick zu. In diesem lag soviel Zorn und Hass auf sie, dass sie ihren Widerstand auf der Stelle aufgab und sich gehorsam die Stufen hinunter ziehen ließ. Kaum dass sie die Treppe hinter sich gelassen hatten und nun im kargen Gang standen, wo sich links und rechts die Zellen befanden, schaute Lumen Tenebrae flehend an. „Bitte…!“, kam es ängstlich aus ihrem Munde. „Ich habe die Zeit vergessen!“

Doch Tenebrae dachte nicht daran, ihre Worte zuhören. Erneut zog er sie mit sich. Lenkte die Schritte dann zu einer der Zellen. Als sie an dessen Schwelle standen, stiess er sie hinein und noch bevor Lumen sich umdrehen und aus der Zelle rennen konnte, knallte der Magier ihr schon die Türe vor der Nase zu. „Nein!“, schrie sie panisch und schlug mit den Fäusten gegen das dicke Holz, bis ihre Hände aufrissen und zubluten begannen. Sie wollte hier raus. Raus aus diesem Loch, in dem Finsterniss herrschte. Sie schrie nach Tenebrae. Er solle sie rauslassen und ihr vergeben. Doch das einzige was ihr antwortete war ihr Echo. Das dumpf im leeren Zellengang verklung.

Tod der Spinne

Als Tenebrae sie am siebten Abend nicht an der Stelle angetroffen hatte, an der sie erscheinen sollte, machte sich Angst in ihm breit. Angst, dass sie ihr Wort gebrochen hatte und nicht wiederkommen würde. Nicht mit ihm zurück wollte. Doch die Angst wurde dann schnell von Wut verdrängt und ließ ihn kochen. Er hatte sich doch klar und deutlich ausgedrückt. Genau in der Nacht des siebten Tages und keinen Tag später. Erzürnt über den Bruch ihres Versprechens hatte er sich auf den Weg gemacht um sie zu holen. Er traf sie im Hof an, als sie versucht hatte, zugehen. Kaum dass sie seiner angesichtig wurde, versuchte sie ihm alles zuerklären. Doch der Magier wollte ihre fadenscheinigen Enschuldigen nicht hören. Sie hatte ihr Wort gebrochen und sie würde nun dafür die Folgen zuspüren bekommen. Hatte sie nicht selber bei allem was ihr heilig ist, geschworen. Was gäbe es also für eine passendere Strafe, als ihr die Freiheit zunehmen und sie der Dunkelheit vorzuwerfen. Mit kalter Genugtung hatte er die Tür zugeworfen und war von dannen gelaufen. Nun saß er in seinem Zimmer. Das Feuer im Kamin blieb aus, sodass er in der Finsterniss saß und sich in seine Wut und Enttäuschung immer mehr hineinsteigerte. Und mit der Enttäuschung kam auch der Schmerz. Etwas, was er geglaubt hatte, nie mehr zu spüren.

Doch der Schmerz brannte sich tief und glühendheiss in ihn hinein. Ließ ihn nach Luft ringen und trieb ihm die Tränen in die Augen. Sie hat ihr Wort gebrochen, wie es einst ihr Vater getan hatte, durchschoss es ihn und der Schmerz wurde unerträglich.

Er begann sich zufragen und zu zweifeln. Hatte er sich bloss was vorgemacht und daran geglaubt, dass sie die eine sein würde, die sein Herz erwärmen und ihn retten würde?

War er wirklich so blind gewesen, um nicht zusehen, was wahr und was eine Lüge war?

Tenebrae konnte sich darauf keine Antwort geben. Zugroß war der Kummer und die Enttäuschung über sich selber und über die Prinzessin, die in ihm Liebe erweckt hatte und diese nun auf schändlichste ausgenutzt hatte.

„Ich Narr. Was habe ich mir nur dabei gedacht?“, fragte er sich mit einem heisseren Lachen, das von Schluchzern erschüttert wurde und vergrub das Gesicht in seinen Händen. „Ich hätte es besser wissen müssen!“
 

Für Lumen schien die Zeit jede Bedeutung verloren zuhaben. Außerhalb der Zelle gab esnichts außer Finsterniss. Sie hatte schon längst aufgehört, den Magier anzuflehen und um Vergeben zu bitten. Er würde sie nicht hören. Geschweige denn sie rauslassen. Warum hatte sie bloss nicht darauf geachtet, wie spät es war?

Wäre sie früh genug losgegangen, wäre das nicht passiert. Doch sich jetzt zufragen, was wäre wenn, machte dies nicht rückgängig. Sie würde hier unten bleiben, bis sie starb. Sie hatte es sich ja selbst verschuldet, als sie sagte, dass sie es bei allem, was ihr heilig ist, schwor. Warum hatte sie nicht darauf geachtet, wie viel Zeit vergangen war?

Sich das immer wieder fragend, kauerte sie sich in die hinterste Ecke ihrer Zelle und schlang die Arme um ihre Knie. Weinte bitterlich. Ihr Schluchzen hallte, wie zuvor ihre Schreie, durch den Gang und drang bis hinauf in die Gemächer des Magiers. Tenebrae hörte sie und versuchte ihnen keine Beachtung zuschenken. Sich einzureden, dass sie sich das selber zuzuschreiben hatte. Und er nichts Falsches gemacht hatte. Schließlich hatte er ja angekündigt, dass sie, sollte sie gegen seine Forderungen vertossen, sich im Kerker wiederfinden würde. Sie war sich der Tragweite ihres Bruches bewusst gewesen. Also konnte sie keine Gnade von ihm erwarten.

Aber warum fühlte er sich trotzdem sich schrecklich?

Tenebrae versuchte eine Antwort auf diese und andere Fragen zufinden.

Ehe er jedoch dazukommen konnte, spürtre er die Anwesenheit von jemandem, den er gar nicht hier haben wollte. „Ich habe es Euch doch gesagt. Ihr werdet nur Kummer haben, wenn Ihr sie zu Euch holt!“, kam es von Fallacia. Sie versuchte traurig zuklingen, doch Tenebrae konnte sie nicht täuschen. Er hörte deutlich, dass es sie freute, sie entzweit zusehen. Seine Finger gruben sich in den Stoff seiner Stuhllehnen und er hielt den Blick starrgeradeaus. „Spar dir dein Mitleid und deine leeren Worte, Fallacia. Es freut dich doch, dass es soweit gekommen ist!“, sagte er leise. Fallacia wich daraufhin einen Schritt zurück. Er hatte sie durchschaut. Doch das war nur die halbe Wahrheit. „Es stimmt. Ich bin froh, dass Ihr und die Prinzessin entzwei gerissen wurdet. Aber ich kann es nicht ertragen, Euch so am Boden zerstört zusehen. Darum…!“, sagte sie und ging auf ihren Herren zu und kniete sich neben ihn. Legte ihm die Hand auf sein Knie. Tenebrae zuckte bei dieser Berührung zusammen. Ekel überkam ihn. Was erlaubte sie sich, ihn anzufassen. Jetzt wo es ihm so schlecht ging.

Dennoch war er neugierig, was sie sagen würde. Daher schaute er sie an und wartete darauf, dass sie weitersprach. „….Bitte ich Euch: Vergesst sie und vertraut Euch mir an. Ich würde Euch niemals enttäuschen!“

Tenebrae sagte erstmal nichts, sah sie nur an. Dann als er weitersprach, war seine Stimme kalt und ungerührt. „Ich weiss nicht, ob ich dir das glauben soll. Du hast oft genug gegen meinen Willen gehandelt. Da fällt es mir schwer, dir zuglauben!“

Fallacia senkte den Kopf. „Ich weiss, und es tut mir auch leid. Aber ich verspreche Euch hier und jetzt, dass ich nichts tun werde, was Euch erzürnt. Wenn…wenn Ihr mich nur endlich erhört!“, sagte sie und begann das Knie des Magier zustreicheln. Etwas weiter hoch zuwandern. Tenebrae sah dies mit lauerndem Blick. Hatte er vorher gedacht, dass Fallacia nicht zuweit gehen würde, um das letzte bisschen von seiner Güte ihr gegenüber zuverwischen, so war er sich nun sicher, dass sie mit dem Feuer spielte und sich daran verbrennen würde. Wollte denn niemand hier akzeptieren, dass er der Herr war?

„Und was willst du?“

„Das Ihr sie aus Eurem Herzen verbannt und mich an ihre Stelle nehmt!“, sagte sie und stürzte sich damit in eigene Unglück. Tenebrae hätte sie für diese Worte schlagen können. Doch dann hatte er eine bessere Idee. Wenn Schläge und Drohungen nicht wirkten, würde es vielleicht reichen, sie zu demütigen. Mit einem finsteren Lächeln, nahm er ihr Kinn und hob es zu ihm hoch. „Wenn dem so ist…?“, begann er und stiess sie nach hinten. Fallacia brachte nur einen überraschten Laut von sich und wollte aufstehen. Doch da war schon der Magier über ihr und drängte sie wieder auf den Boden. In seinen Augen war ein gefährliches Funkeln zusehen. Ein grausam lüsterner Zug umspielte seinen Mund. „Du sagst, dass du mich niemals enttäuschen würdest und ich glaube dir!“, flüsterte er und seine rechte Hand legte sich um ihre Brust. Strich über diese.

Fallacia schluckte. Eigentlich hätte sie sich darüber gefreut, dass er sie berührte, doch sie war wie gelähmt vor Angst. So wie er das sagte, konnte das nichts Gutes bedeuten und als er mit einem brutalem Ruck ihr Kleid in Stücke riss und den Blick auf ihren nackten Oberkörper freigab, wusste sie, dass sie eine Fehler gemacht hatte. Schnell legte sie ihre Hände auf ihre entblössten Brüste und versuchte von ihm wegzukommen. „Bitte. Ich…ich habe das nicht so…!“, wollte sie sagen, doch der Magier knurrte. „Gesagt ist gesagt. Glaube nicht, dass ich dich jetzt gehen lassen werde!“

Und mit diesen Worten, drückte er ihre Beine auseinander und schob sich dazwischen. Fallacia schrie auf, als sich sein Becken gegen das ihrige drückte. Doch dann schien er es sich anders überlegt zuhaben. Denn er packte ihre Schultern und drehte sie herum, sodass sie mit dem Rücken zu ihm gewandt dalag. Die Angst blieb jedoch. Er wollte doch nicht wirklich…?

Sie versuchte wegzurutschen, doch der Magier hielt sie an ihren Hüften fest. „Nein, bitte…!“, flehte sie. Doch es war sinnlos. Tenebrae war festentschlossen sie zu bestrafen. „Zuspät. Mit dem was du sagstest, hast du dich mir ausgeliefert!“, sagte er und das nächste was Fallacia spürte war, wie er mit Gewalt in sie eindrang.
 

Als er fertig mit ihr war, jagte er sie mit Drohungen aus seinem Gemach. Fallacia schleppte sich, wie eine geprügelte Hündin durch das Schloss. Der Schmerz in ihrem Unterleib war immernoch deutlich spürbar und loderte immer auf neuste auf, wenn sie einen Schritt machte. Vertrocknete Tränen glänzten auf ihren Wangen. Vertrocknet war ebenso das Blut, an den Innenseiten ihrer Schenkel. Sie zitterte am ganzen Leib. Blieb stehen und sank zu Boden. Die letzten Minuten und der damit verbundene Schrecken ließen sie nicht los. Hatten sich tief in ihre Seele und ihren Körper gebrannt. Mit allem hatte sie gerechnet, doch nicht, dass er sich an ihr vergehen würde. Und auch noch Freude daran hatte. Sie hatte es deutlich in seinen Augen gesehen, wie er es genossen hatte. Als sie sich wieder das Bild von ihm vor Augen führte, wie er sich über sie beugte und in sie immer wieder eindrang, wurde ihr schlecht und sie konnte sich nur schwer zurückhalten, um sich nicht zuübergeben. Warum hatte er das nur getan?

Was war falsch gewesen, ihm zuzeigen, dass sie ihm gegenüber treuergeben war?

Fallacia blieb noch lange auf dem Boden hocken. Wimmerte vor sich hin und suhlte sich in Selbstmitleid. Doch dann stieg in ihr blanker Hass auf. Hass auf die Prinzessin. Weil sie schuld war, dass der Magier sich von ihr abgewandt hatte. Eigentlich hätte sie auch den Magier hassen sollen, da er es war, der sie erniedrigt hatte. Doch dann sagte sie sich, dass das alles die Schuld der Prinzessin war. Wegen ihr musste sie leiden. Sie musste dafür büsen.

Endgültig!
 

„Was ihr getan habt, Herr?“, fragte Comitas aufgebracht, als er erfuhr, dass der Magier die Prinzessin in das Verlies geworfen hatte. „Das hat dich nichts zu kümmern!“, waren seine einzigen Worte. Er hatte sich, nachdem er Fallacia gestraft hatte, gewaschen. Sich von dem Schmutz befreit, den Fallacias Körper auf seinem hinterlassen hatte. Grimmige Zufriedenheit war in seinen Augen zusehen. „Ihr einen Fehler machen!“, warf Comitas ihm vor. „Den einzigen Fehler den ich gemacht habe, ist, zuglauben, dass sie mich liebt und ich ihr vertrauen kann!“, knurrte er und seine Hände ballten sich für einen kurzen Moment, sodass seine Knöchel weiss hervortraten. „Es war Irrsinn es zuglauben!“

„Nein, das war es nicht!“, murmelte Comitas niedergeschlagen. „Geh jetzt. Ich will alleine sein!“, befahl Tenebrae und Comitas gehorchte. Wenn auch nur wiederwillig.

Tenebrae holte den Ring hervor, den die Prinzessin ihm gegeben hatte und drehte ihn in seinen Fingern. Sah, wie das Licht des dunklen Feuers auf dem polierten Gold glänzte. Er war versucht dieses Stückchen Metal ins Feuer zuwerfen, auf das es zuerschmolz und zerstört wurde. Nachdem die Prinzessin ihn betrogen hatte, wollte er nichts mehr haben, was ihn an sie und an ihre angebliche Liebe erinnerte. Er hob schon die Hand, um den Ring zuwerfen. Hielt aber inne. Sein Blick blieb daran haften und aus einem ihm nicht erfindlichen Grund, stecke er ihn wieder ein. Konnte es sein, dass er immernoch etwas für sie fand?
 

Die Zeit verging und Lumen rechnete nicht damit, dass jemals jemand anderes an ihre Zelle kommen würde, außer den Zwergen, die ihr das Essen brachten.

Sie war sich sicher, dass sie hier allein dahinvegetieren würde. Umso überraschter war sie, als sie Schritte hörte, die sich von außen der Zelle näherten und die Tür geöffnet wurde. Doch statt des Magiers stand Fallacia in der Tür. Lumen wich zurück. Jetzt hat sie mich, wo sie mich haben wollte, dachte sie. Blanke Angst erfasste sie. Nach dem hitzigen Wortgefecht und ihren scharfen Worten, konnte sie nicht damit rechnen, dass sie sie mit Samthandschuhen anfassen würde. Sondern es geniessen würde, sie zu quälen und zu demütigen. Und so gern Fallacia dies auskosten wollte, wie die Prinzessin litt und ihr Fett wegbekam, wollte sie an ihrem Plan festhalten. Denn dann wäre der Genuss des Triumphes umso größer. Langsam schloss sie die Tür hinter sich und kam auf sie zu. Lumen wich weiter zurück, bis ihr Rücken gegen die Wand hinter ihr zuspüren war und ihr Blick blieb stetig auf sie gerichtet. In Erwartung, dass Fallacia sich auf sie stürzen und sie mit ihren Fingernägel, die wie Klauen aussahen, zerkratzen würde. Doch Fallacia tat nichts dergleichen, sondern blieb vor ihr stehen. „Du hast dir das selber zuzuschreiben, dass der Herr dich hier eingesperrt hat!“, sagte sie leise. Lumen biss sich daraufhin auf die Unterlippe. Das brauchte sie ihr nicht zusagen. Sie wusste, dass sie selber schuld war. Sie hatte das Vertrauen des Magiers bitter enttäuscht. Sie wandte den Kopf ab und musste gegen das Zittern ankmöpfen, was sie erfasste. Fallacia sah, dass sie sich dessen bewusst war und lächelte kurz verächtlich. Dann wurde ihr Gesicht milder. „Was hast du dir gedacht? Er hat dir sein Herz und sein Vertrauen geschenkt. Und du? Du zerstörst es!“, sagte sie. „Dabei war er so glücklich!“

„Ich wollte das nicht!“, war Lumens antwort und sie begann zu weinen. „Und doch hast du es getan. Wie einst dein Vater!“, hörte sie Fallcia sagen und Lumen zuckte bei diesen Worten zusammen. „Mein Vater?“, fragte sie verwirrt, weil sie nicht verstand, was das zubedeuten hatte und was sie damit meinte. Fallacia nickte. „Ja, dein Vater. Einst kam Tenebrae, da sein Vater ebenso ein Magier und im magischen Rat des Königs war, in die Lehre von einem andern Magier, der nun der Großmagier am Hofe deines Vaters ist und er erkannte die Macht und das Potenzial, das in ihm steckte. Der älteste Hofmagier missgönnte ihm seine Kraft natürlich. Er fürchtete um seinen eigenen Rang und um das Ansehen, welches er zweifelslos beim König genoss. Schon seit langen war die Familie Tenebraes, allen voran aber sein Vater, ihm ein Dorn im Auge und hatte immer versucht ihn loszuwerden. Und er sah auch seine Chance für gekommen. Also redete er deswegen dem König ein, dass er dabei war, sich einen mächtigen Feind zu machen, der irgendwann einen Angriff gegen ihn führen würde. Wenn er nichts dagegen unternehmen würde, versteht sich. Und dein Vater glaubte ihm. Darum schickte er seine Männer los, um den Jungen zuholen. Er war nicht mehr da. Nur seine Eltern.Doch das war ihm auch recht. So konnte dein feiner Vater auch die beiden auslöschen, die seiner Meinung nach, das Übel in diese Welt gesetzt haben. Er schickte sie beide auf den Scheiterhaufen, wo sie verbrannten!“

Als Fallacia geendet hatte, konnte Lumen nicht glauben, was sie da gehört hatte. Ihr Vater soll der Mörder der Eltern des Magiers sein. Aber das konnte doch nicht sein. Ihr Vater würde das niemals tun. Würde nie etwas so grausames machen. Dafür kannte sie ihn zugut. Und was wenn doch…?

Nein, ihr Vater wäre dazu niemals im Stande. Nicht mal wenn es wirklich darum, sich und das Volk zuschützen. Niemals hätte er zu solch einen Mittel gegriffen. „Das…das ist eine Lüge!“, sagte sie und stand auf. Ihre Knie waren weich und gaben etwas nach. Doch sie konnte sich aufrechten halten. „Das ist keine Lüge. Sondern die bittere Wahrheit. Euer Vater hat dem Magier, meinem Herr, soviel Leid und Schmerz zugefügt, dass er daran zerbrach und nur eines wollte. Rache!“, sagte sie und konnte nun ein Lächeln nicht verbergen. Sie genoss es, sie aus der Fassung geraten zusehen. „Darum holte er Euch hierher, als Lohn für seine Dienste. Es ging ihm niemals um Euch selbst. Oder um Euer Herz. Er wollte Euren Vater dort treffen, wo er ihn getroffen hatte!“

„Nein, das ist nicht wahr!“, kam es erstickt aus ihr und sie schüttelte fassungslos durch den Kopf. „Wenn du es nicht mir glaubst, warum fragst du ihn nicht selber. Er wird es dir Wort für Wort wiedergeben!“, sagte sie ungerührt und drehte sich dann um. Öffnete die Türe und ehe sie sie verließ, drehte sie sich zu ihr herum. Sah sie gleichgültig an. „Frage ihn ruhig, sonst wirst weiterhin blauäugig durchs Leben gehen. In dem dummen Glauben, dass jeder Mensch etwas Gutes in sich hat und dieses stärker ist, als alles andere!“, sagte sie und schloss dann hinter sich die Tür. Ließ Lumen allein, mit ihren Gedanken. Hatte sie etwa recht und ihr Vater hatte wirklich das Blut von Tenebraes Eltern an seinen Händen kleben.

Tat das wirklich, weil er fürchtete, dass er sich gegen ihn wenden würde.

Obwohl sie wusste, dass sie Fallacia nicht trauen durfte, konnte sie den Gedanken nicht abschütteln, das was Wahres dran war. Und dass nur der Magier ihre Zweifel beseitigen konnte. Sie musste ihn sprechen.
 

Aus dem Westen rückte eine Schar von Soldaten heran. Nach der Entführung der Prinzessin, hatte der König Männer in die Berge geschickt, damit sie die Prinzessin holen sollten. Doch es verging eine Woche und keiner der Männer, geschweige denn die Prinzessin kehrte zurück. Darauf sandte man einen Boten, der sich nach dem Verbleib der Soldaten erkundigen sollte. Als er dann die, von Geiern und anderem Getier, zerfressen Leichen der Männer entdeckt hatte, hatte der König erneut eine Gruppe geschickt. Diesesmal angeführt von seinem fähigsten Hautpmann. Nämlich Fidus. Er und dreisig Männer. Cor war natürlich nicht begeistert davon. Wütend schimpfte und schrie sie ihren Vater an, er solle ihr nicht den Gatten rauben. Es dauerte Stunden, ehe Fidus Cor davon überzeugen konnte, dass er es tun musste. Denn wenn sie erneut eine Gruppe ohne einen guten Hauptmann schicken würden, würden auch diese sterben und ihre Schwester wäre immernoch nicht befreit.

Cor musste mit den Tränen kämpfen. Ihr fiel es sichtlich schwer, sich von ihrem Gatten zuverabschieden. Da sie ja nicht wusste, ob sie ihn jemals wiedersehen würde. „Versprich mir, dass du nichts Dummes tust!“, flehte sie ihn am Tag seiner Abreise an. Fidus lächelte und strich ihr eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht. In ihrem Gesicht war deutlich die Angst und die Sorge zusehen, die sie Nächtelang nicht schlafen ließen. Sanft küsste er sie auf die Stirn. „Ich verspreche es Euch, meine Liebste!“, sagte er dann und umarmte sie. Minutenlang blieben sie so stehen. Dann löste er sich von ihr. Es viel beiden schwer. Ebenso sich auf Wiedersehen zu sagen. Das Schlagen der Hufe und das Zuschlagen der großen Tore, ließen sie zusammenzucken und sie fühlte plötzlich eine schmerzliche Leere. Es war genauso wie damals, als er hinausritt um zuerfahren, welche Armee das Reich ihres Vaters bedrohte und sie fürchtete, dass er ebenso schwerverletzt sein würde, wie damals. Oder schlimmeres. Sie faltete die Hände und blickte zum Himmel hinauf. Sprachstumm ein Gebet, dass ihr Mann wieder kommen würde. Lebendig und unverletzt. Dabei flossen ihr die Tränen über die Wangen.

Fidus wünschte sich ebenso, bei seiner Frau anstatt nun hier zusein. Aber was konnte er schon gegen den Befehl seines Königs tun. Er hatte, als er zum Hauptmann ernannt wurde, geschworen, seinem König treuzudienen. Und daran fühlte er sich gebunden.

Aber ebenso an dem Bund den er mit Cor geschlossen hatte. Cor, dachte er und schaute über seine Schulter. Das Schloss und das Reich des Königs, ihrem Vaters, schien meilenweit weg. Man konnte es nur schwach am Horizont erahnen. Er fühlte förmlich, wie es ihn immer zum Schloss und damit zu seiner Frau zog. Hoffentlich würden sie die Prinzessin schnell finden und befreien, damit er zu ihr zurückkehren konnte.

Sie waren mittlerweile tiefer in das Gebirge eingedrungen und die Soldaten schienen vor Angst kaum noch die Augen schließen zukönnen. Immer wieder schauten sie sich um. Redeten über die anderen. Die unglücklichen Soldaten, die vor ihnen hier waren und einen grausamen Tod gefunden hatten und steigerten sich damit immer mehr in ihre Angst.

Fidus teilte ihre Furcht.

Noch gut hatte er die Begegnung mit den Schatten in Erinnerung, die alle, bis auf ihn, getötet hatten. Sah noch deutlich, wie seine Männer vor seinen Augen abgeschlachtet wurden. Auch jetzt sah er es und ein Schauer rann ihm über den Rücken. Immer wieder ließ er den Blick über die scharfen Kanten der Berge schweifen, die dunkel und pechschwarz über ihnen und von allen Seiten aufragten. Wie zu Stein erstarrte Ungeheuer erhoben sie sich und erweckten den Eindruck, dass sie sich jeden Moment aus ihrem felsigen Gefängniss befreienen und sich auf sie stürzen würden. Fidus wandte schnell den Blick ab. Hielt den Blick geradeaus und ermahnte sich, sich nicht abzulenken. Suchte stattdessen etwas in den Schatten, was auf einen Hinterhalt deuten konnte. Der Wind, der durch das Gebirge pfiff, klang schauerlich. Erinnerte ihn an das Wehklagen verlorener Seelen. Fidus atmete tief ein und versuchte ruhig zubleiben. Einer der Soldaten war bei diesen Lauten Angst und Bange zumute. Er trieb sein Pferd schneller an und ritt dann neben seinem Hauptmann. „Hauptmann, hört Ihr das auch?“, fragte er überflüssigerweise. Fidus nickte. Straffte die Schultern. „Ja!“

„Wahrlich beängstigend!“, bemerkte der Soldat und kam konnte deutlich hören, dass ihm die Zähne klapperten. „Reiss dich zusammen. Wir haben den Befehl die Prinzessin zurück zuholen!“, konterte er scharf und musste sich dabei selber ermahnen, nicht vor Angst sein Pferd zuwenden und davon zugallopieren.

Ihm fiel es ebenso so schwer, ruhig zubleiben. Mit dem Schritt, den sein Pferd machte und ihn näher ans Reich des Magiers brachte.
 

Tenebrae sah dies alles vom höchsten Turm seines Schlosses und verzog verächtlich das Gesicht. Diese Narren versuchen doch tatsächlich in sein Reich zugelangen, um die Prinzessin zubefreien. Wie dumm von ihnen. Dabei wäre es doch das klügste, wenn sie fortbleiben und damit länger leben würden. Und so gern Tenebrae sie mit einem einzigen Fluch getötet hätte, so wollte er ihnen dennoch eine und letzte Warnung geben. Mittlerweile ritten sie auf einem Weg, der an einer Schlucht führte. Dieser war nur so breit, sodass die Reiter hintereinander herreiten konnten. Sie passierten eine Felsnase. Der pefekte Ort, um sie am Weitergehen zu hindern. So hob er die Hand und ein Sturm zog auf. Riss und zog an ihm. Vermochte es aber nicht, ihn vom Turm zustossen. Tenebrae murmelte einige Worte und die finsteren Wolken teilten sich. Ein greller Blitzstrahl schoss aus diesen und zischte auf die Berge zu. Fidus und einige der Männer sahen den Blitz. „Duckt Euch!“, schrie er, als kurz danach der Blitz in das Gestein des Berges über ihnen einschlug und große Felsbrocken herausgebrochen wurden. Die Männer schrien auf und versuchten sich zu retten. Doch ein zweiter Blitz bohrte sich in die Felsen. Diesesmal war es der Weg, auf dem die Soldaten standen. Dieser bekam auf der Stelle Risse und brach weg. Riss gut die Hälfte der Männer und ihre Pferde hinab in den Abgrund und in den Tod. Zugleich wurden fünf der übrigen Männer von den herabfallenden Felsen erschlagen und unter ihnen begraben. Die Pferde der Überlebenden hatten sich aufgebäumt und sie von ihren Rückengeworfen. Fidus und die restlichen seiner Gefolsleute drückten sich an die Wand. Krochen weg von dem totbringenden Abgrund. Nur knapp konnte sich Fidus vor einem Sturz in den Abgrund retten. Schweratment klettete er über den Rand. Saß mit den übrigen seiner Männer auf festen Stein.

„Hauptmann Fidus. Die anderen, sie…sie…!“, stammtelte einer von den Überlebenden und konnte nicht fassen, was so eben passiert war. Fidus nickte. Nach dem Grollen des Blitzes, dem Bröckeln der herabstürzenden Felsen und der Schreie der sterbenden Männer, war es plötzlich still. Nicht mal das Wehklagen des Windes, war zu hören. Nur das Wummern der verängstigten Männer, die unter der Felsennase kauerten und nicht wussten, was sie tun sollten. Der Weg zurück war ihnen praktisch abgeschnitten und die Pferde waren vor lauter Panik davongeritten. „Was sollen wir jetzt tun?“, fragte er nun, da der Hauptmann nichts sagte. „Ihr solltet umkehren, solange Ihr noch könnt!“, hörten sie plötzlich eine Stimme, wie Donnerhall und die Männer zuckten zusammen. Schauten dann hoch und sahen auf einem Felsen über ihnen den Magier stehen. Wie aus dem Nichts war er aufgetaucht und schaute sie mit durchdringenden Blicken an. Kälte und Tod sprach aus seinen Augen. Für die Männer war klargewesen, dass er die Blitze und den Erdrutsch geschickt hatte. Und mochte das Entsetzen über sein Erscheinen auch noch so groß sein. Bei einem der Soldaten waren der Hass und der Schmerz über den Tod seiner Kameraden viel größter. Mit einem Schrei sprang er auf, zerrte sein Schwert aus der Scheide und stürzte auf den Magier zu. Wollte sein Herz mit einem Schwerthieb zerfetzen. „Du Teufel. Ich werde dich…!“, schrie er. Doch bevor er den Magier erreichen konnte, streckte dieser die Hand aus und ein Lichtstrahl schoss aus seinen Fingerspitzen. Traf den Soldaten in der Brust und kurz gellte sein Schmerzensschrei. Dann brach er zusammen. Fidus erhob sich. Lief auf den Mann zu, drehte ihn auf den Rücken. Wollte ihn retten, doch als er in die glasigen Augen des Soldaten schaute, wusste er, dass es zuspät war.

„Ihr…!“, rief Fidus zornig und seine Hand fuhr zum Griff seines Schwerters. „Lasst Euer Schwert stecken, Hauptmann!“, befahl der Magier und Fidus blieb wie vom Donner gerührt stehen. Seine Hand, die nach dem Griff seines Schwertes gelangt hatte, verharrte mitten in der Bewegung. Auch die anderen Soldaten machten keine Anstalten nach ihren Waffen zugreifen und blickten starr zum Magier, der über ihnen thronte, wie ein dunkler und grausamer Engel. Minuten vergingen, ehe der Magier zusprechen begann. „Ihr seid hier nicht erwünscht!“

Seine Stimme hallte wie Donner durch das Gebirge, sodass man glaubte, dass das Gestein jeden Moment nachgeben und die übrigen Überlebenden mit sich in die Tiefe reissen würde.

Hauptmann Fidus stand wie angewurzelt stehen. Den Magier hatte er nur einige Sekunden gesehen, als die Prinzessin mit Gewalt entführt wurde. Nun sah er ihn genau vor sich stehen und er konnte nun verstehen, warum man sich vor diesem Mann in Acht nahm. Er strhalte eine solch dunkle Präzens und Macht aus, dass man ihn mit einem schwarzen Gott vergleichen konnte. Es fiel ihm schwer sich vorzustellen, dass Lumen, seine jüngere Schwägerin sich bei diesem Mann wohlfühlen konnte und zu ihm zurück wollte.

Dass der Magier sie für ungebetene Gäste hielt, konnte sich der Hauptmann gut vorstellen. Und auch, was er mit solchen machen würde.

„Geht und sagt Eurem feigen König, dass, wenn er schon seine Tochter wiederhaben will, selber kommen und nicht irgendwelche dummen Gefolgsleute schicken soll!“, bellte der Magier und nun rührte sich der Hauptmann. Mit zitternen Beinen, machte er einen Schritt auf ihn zu. „Wir…!“, sagte er und versuchte seine Stimme ruhig und ebenso herablassend klingen zulassen, wie es der Magier getan hatte, doch die Angst, die ihm bei dem Anblick des Magiers erfasst hatte, ließ seine Stimme schwach werden und wie die eines ängstlichen Kindes klingen. Glich einem Wimmern und der Hauptmann räusperte sich. „Wir haben den Befehl, sie zurück zuholen!“

„Das haben die, die vor Euch hier waren ebenso und es nahm ein übles Ende mit ihnen!“, erwiederte der Magier und deutete dabei auf die Schlucht, auf dessen dunkler Grund die Gebeine der Unglücklichen lagen und sich zu diesen nun die wnächsten gesellt hatten. „Daher gebe ich Euch einen guten Rat: Wenn Euch Euer Leben lieb ist, dann geht. Vergesst den Befehl!“

„Nein!“, rief der Hauptmann widerspenstig und versuchte die Angst nicht siegen zulassen. Bisher hatte er seinen Mut immer wieder in der Schlacht bewiesen und hatte immer, auch wenn es nicht gut für ihn und seiner Männer aussah, einen Weg gefunden, die Schlacht für sich zu entscheiden. Nun aber stand er einem Gegner gegenüber, der sich nicht soeinfach durch seine Kühnheit und seinem Mut beeindrucken ließ. Sondern ihn dafür sogar verhöhnte. „Tut was ich Euch sage: Geht, solange Ihr noch könnt!“, wies der Magier ihn an und seine Stimme allein schon war eine Drohung. „Und ich sage: Nein!“, konterte der Hauptmann. Seine Vernunft nannte ihn dabei einen Narren. Einen lebensmüden Narren, doch die Pflicht, dem Befehl folgezuleisten, war größer. Mochte er noch soviel Angst haben. Die Angst zuversagen, und den König zuenttäuschen, weil er aus eigener Furcht die Prinzessin nicht zurückholen konnte, war es beneso. Messte sich mit der, vor dem Magier und seinem Zorn.

Bis jetzt konnte er nicht sagen, welche siegen würde.

„Ich habe dem König geschworen, dass ich sie zurückhole!“

„Und Euer Schwur ist Euch wichtiger, als Euer Leben?“, fragte der Magier und hob die Brauen. Soviel Starrsinn konnte doch unmöglich in einem Menschen sein. Geschweige denn gesund. Auch wenn er die Sturheit des Mannes vor ihm bewunderte, so bedauerte er es auch, ihn in die Schlucht zustürzen, wenn er ihn dazu zwang. In einem früheren Leben hätte er nicht gezögert, sondern ihn gleich getötet. Doch er hielt inne. Der Prinzessin hatte er es schließlich zuverdanken, dass er so etwas wie Mitgefühl und Erbarmen kannte. Eine lästige Angewohnheit, wie er nun zugeben musste. Aber sie hielt ihn zurück, wie eine Fessel ein wildes Pferd zurückhielt, das sich seine Freiheit wieder zurückerkämpfen wollte.

„Ja, denn ich schulde dem König meine Treue und damit auch meine Ehre!“, schrie der Hauptmann, ohne zuwissen, was er da wirklich von sich gab. Entweder war ihm seine Treue und Ehre wirklich so wichtig. Wichtiger als sein eigenes Leben, oder er musste verrückt gewesen sein, dass zusagen. Fidus konnte nicht sagen, welche es dieser beiden Möglichkeiten war.

Sollte er wirklich so verbohrt sein und sein Leben hergeben, nur weil er den Befehl des Königs erfüllen wollte?

In seinem Kopf hörte er sich selbst anschreien, er solle nicht so leichtsinnig sein und endlich tun, was der Magier sagte und sich und seine Männer retten.

Doch er blieb.

Tenebrae sah ihn einen langen Moment schweigend an. Für den Hauptmann sah es so aus, als würde er abwägen, ob er ihn sofort töten oder noch einmal eine letzte Warnung aussprechen sollte. Er machte einen unruhigen Schritt nachhinten und alles in ihm krampfte sich für einen bevorstehenden Angriff zusammen. „Ich frage mich wirklich, was der König Euch schuldet, dass Ihr so erpicht darauf seid, seinem Befehl zufolgen?“, fragte dann Tenebrae nachdenklich und alle Kälte war aus seiner Stimme verschwunden.

„Der König schuldet mir nichts!“, kam es vom Hauptmann prompt, der nun neuen Mut fasste. „Ich geniesse sein Vertrauen und er gab mir seine Tochter zur Frau, trotz dass ich kein Adliger bin. Mehr brauche ich nicht!“

„Seine Tochter? Soll das heissen, auf Euch wartet eine Frau?“, fragte er und die Verwunderung in seiner Stimme war nicht gespielt. Hauptmann Fidus nickte. „Ja, Cor. Die Schwester des Mädchens, das Ihr geraubt habt. Dies ist auch der Grund, warum ich nicht ohne sie zurückkehren kann!“, sagte er. „Meine Frau hofft darauf, ihre Schwester wiederzusehen. Lebendig!“

„Und was ist mit Euch?“, fragte Tenebrae. „Was soll mit mir seien?“, kam es von dem Hauptmann.

„Liegt Euch den nichts daran, dass sie Euch lebendig wiedersieht. Oder seid Ihr so blind?“

Als der Magier von seiner Frau sprach, zuckte Fidus zusammen. Und ob ihm was daran lag, dass er sie lebend wiedersah. Und bis jetzt hatte er sie, zu seiner eigenen Schande aus der Erinnerung gestrichen. Doch nun kehrte sie zurück und ebenso das Versprechen, dass er nichts Dummes tun würde. Ihr Gesicht erschien vor seinen Augen. Er sah, wie sie ihn flehend ansah und wie nahe sie den Tränen war. Er presste die Lippen aufeinander und sein Herz verkrampfte sich. Wie würde Cor reagieren, wenn man seinen Leichnam auf einer Bahre ins Schloss zurück trug. Sie wäre am Boden zerstört, würde weinend über seinem toten Körper gebeugt sein und ihrer Trauer laut hinausschreien. Sodass es jeder hören konnte. Hauptmann Fidus schauderte bei dieser Vorstellung und der Mut, den er ebenoch hatte, schwand erneut. Diesesmal um Cors Liebe und ihrer Angst ihn zuverlieren wegen. „Habe ich es mir doch gedacht. Die Pflicht und Eure Treue mögen zwar groß und wichtig sein, aber die Liebe zu Eurer Frau ist noch viel größer!“, sprach der Magier und seine Stimme klang nun eindringlich, als wollte er den Hauptmann wirklich davon abbringen, noch länger hier zuverweilen. „Darum seid nicht töricht und werft Euer Leben nicht für solch etwas Dummes weg!“

Der Hauptmann wollte schon aufbegehren und sagen, dass es nichts Dummes sei. Doch kaum wollte er es, schon sah er wieder Cor vor sich, wie sie weinend über ihn gebeugt war und sein bleiches Totengesicht streichelte und ihm versagte die Stimme. Sein Magen verknotete sich. Dann blickte er wieder zu dem Magier, der ungerührt dastand und auf eine Antwort des Hauptmannes wartete. Minuten lang sahen sich die beiden Männer an und dabei versuchte der Hauptmann etwas in den Augen des Magers zuerkenne, was ihn hoffen lassen könnte, er würde es sich anders überlegen. Aber der Magier ging als Sieger hervor. Mit einem resignierten Seufzen senkte er den Kopf, drehte sich um und wollte seinen Männern den Rückzug befehlen. Doch dann hielt er inne, wandte sich wieder dem Magier zu. Zwar hatte der magier ihn dazubewegen können, umzukehren, dennoch wusste er nicht, wie er mit leeren Händen unter die Augen des Königs treten konnte. „Und was soll ich dem König sagen, wenn er fragt, warum ich nicht, trotz des Risikos mein Leben zuverlieren, versucht habe, sie zurückzuholen?“, fragte er. Der Magier antwortete nicht gleich, sondern sah ihn nur an. Dann streckte er die Hand aus und ehe Fidus reagieren konnte, schoss etwas auf ihn zu und ein entsetzlicher Schmerz durchschoss ihn. Der Ursprung war sein Bein, das zubrennen schien. Als er zu diesem hinunterblickte, sah er die tiefe Fleischwunde, aus der stossweise Blut strömte.

„Das sollte Euch davor bewahren, vor dem König das Gesicht zuverlieren. Geschweige denn von seinem Vertrauen!“, sagte der Magier gelassen. „Wenn er wirklich der gutherzige Mann ist, für den man ihn hält!“

Und der Hauptmann verstand. Die Wunde bewahrte ihn davor, vom König in Ungnade zufallen. Er nickte. Seine übrigen Männer eilten sofort zu ihm und stützten ihn. Einer von ihnen, wies einen anderen an, nach einem der entlaufenen Pferde zusuchen. Dieser gehorschte sofort und nach vielen Minuten kam er zurück, mit einem Pferd.

Gemeinsam hievten sie den verletzten Hauptmann auf dieses und nahmen es an die Zügel.

Der Hauptmann verzog das Gesicht, als sein Bein eine falsche Bewegung machte und hielt sich an dem Sattelknauf fest. Dann gab er das Zeichen zum Rückzug. Die Männer horchten und führten das Pferd den Weg zurück, den sie gekommen waren. Ein letztes Mal blickte der Hauptmann über die Schulter. Sah den Magier, der sich nicht gerührt hatte, dastand und ihnen zusah, wie sie von dannen gingen.

Ihm wurde bewusst, wie glimpflich er eigentlich davon gekommen war. Anders als die Soldaten vor ihnen und er dankte Gott dafür. Aber diesem voran, dankte er auch dem Magier. Mit dieser Verletzung hatte er ihm mehr geholfen, als man sich vorstellen konnte.

„Danke!“, dachte er, doch seine Lippen formten das Wort stumm und er glaubte ein kurzes Lächeln, das weder falsch noch verächtlich war, über die Lippen des Magiers huschen zusehen, ehe er hinter einer Biegung verschwand.
 

Ein Geräusch weckte Lumen aus ihrem unruhigen Schlaf. Sie hatte von Feuer geträumt. Menschen, die darin gefangen waren und die sie als Tenebraes Eltern erkannte, obwohl sie sie noch nie gesehen hatte. Von ihrem Vater, der in aller Seelenruhe zusah, wie diese zwei Menschen in dem Feuer starben. Der Schrecken, den sie in diesem Traum erlitt, kroch ihr durch Mark und Bein und ließ sie nicht los.

Immer wieder fragte sie sich, ob er das wirklich war, oder nur eine von Fallacias Lügen erschaffene Illusion. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ihr Vater, den sie als gütigen und gerechten Mann, kannte, so etwas Grässliches tun würde.

Der Traum verblasste dann, als sie das Quietschen von Scharnieren hörte und ihre Augen öffneten sich. Das erste was sie sah, war Schwärze, so wie immer. Erschöpft und frierend richtete sie sich auf und schaute sich um. Kurz hatte sie die Hoffnung gehabt, dass jemand, am liebsten Comitas in ihrer Zelle stehen würde und ihr Trost zusrepchen würde. Doch als sie in dieser undurchdringlichen Dunkelheit nichts sah, wie könnte sie auch, sagte sie sich, dass sie sich das Quietschen nur eingebildet hatte. Eine weitere durch Verzweiflung geborene Hoffnung, wie sie sich einredete.

Da tauchten plötzlich zwei glühende Sterne auf. Bläulich schimmernt. Zuerst glaubte Lumen sie würde sich diese Lichter nur einbilden. Dass sie ein weiteres Trugbild waren. Wie so viele andere Dinge, während sie hier gefangen war. Lumen hatte schon aufgehört zuzählen, wieoft sie aus ihren Alpträumen eracht war, weil sie glaubte, sich dann in ihrem Bett und in ihrem Zimmer zufinden und dann doch bitter enttäuscht wurde. Sie seufzte und musste ein Schluchzen unterdrücken. Da hörte sie die Stimme.

„Du hast versprochen, wieder zurückzukommen!“, sagte die Stimme. Lumen erkannte sie sofort, auch wenn es für sie gefühlte hundert Jahre hersein mussten, als sie zuletzt mit dem Magier gesprochen hatte. Zuerst war sie erleichtert, endlich wieder seine Stimme zuhören. Es war schreklich still und einsam in dieser Zelle gewesen, als er sie hier eingesperrt hatte. Und kurz schöpfte sie die Hoffnung, dass er ihr vergeben hatte, doch dann wurde sie sich bewusst, wie deutlich Verachtung und der Vorwurf in seiner Stimme zuhören waren. Ihre Kehle wurde ganz trocken und ihr Leib, wurde schwer wie Blei. Er hatte ihr nicht verziehen!

Wieso sollte er auch?

Er war es nicht, der hier zu recht saß. Sie hatte ihn hintergangen. Wie einst ihr Vater ihn hintergangen hatte.

Sie sah mit lähmender Angst, weil sie glaubte, die Strafe, die noch kommen würde, zu kennen, wie sich der Magier nun aus der Dunkelheit schälte. Langsam, als würde die Dunkelheit ihn gebären und der Blick, mit dem er ihr sie bedachte, war kalt und voller Verachtung. War mit der, in seiner Stimme nicht zuvergleichen. Lumen biss sich augenblicklich auf die Unterlippe. Senkte den Blick. Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen. Nicht nachdem…

Sie versuchte nicht daran zudenken. Seine Worte hallten jedoch wie ein Echo durch ihren Kopf und ließen ihr das Herz zusammenkrampfen. Etwas zusagen, dass ihn beschwichtigen könnte, würde nichts bringen. Er hatte ja schließlich Recht. Sie hatte ihr Wort gebrochen. Sie fühlte sich scheußlich, als sie nun so ihm gegenüber saß und nicht wusste, was sie sagen sollte. Mit dem Wissen, dass es nichts ändern würde.

Der Magier sah sich die kümmerliche Gestalt an, die einst mal eine schöne Prinzessin war, der er sein Herz geschenkt hatte und nichts weiter war, als eine Gefangene ihrer eigenen Hinterlist. Das Haar, was einst glänzte, wie Gold, war stumpf und verfilzt. Das Gesicht, früher lieblich und schön anzusehen, von Schmutz und Unrat verschmutzt. Ihr Kleid, was sie am Leibe trug, das mal ein herrliches Festtagsgewand war, nun ein Schatten von diesem. Zerlumpt und wenig Schutz bittend vor der Kälte, die in dem Verließ herrschte. Man könnte Mitleid haben mit ihr. Er könnte es. Aber kaum, dass sich etwas dergleichen in ihm regte, sagte er sich, was sie getan hatte, und das Mitleid schlug in Wut um. Er fragte sich selber, warum er hier unten war, obwohl ihm ihr Anblick zuwider war. Doch er hatte nachdem er in sein Schloss zurückgekehrt war und Comitas ihn erneut aufgesucht hatte, um ihn umzustimmen, was jedoch nicht vom Erfolg gekränt war, dennoch keine Ruhe mehr gehabt. Immer wieder kehrten seine Gedanken zu der Prinzessin in seinem Verließ zurück und er fragte sich, ob sie schon tot war.

Nun jetzt wo er ihr gegenüberstand und sie zitternt, wie ein Häufchen Elend, vor sich sah, konnte er nicht sagen, was er lieber fühlen wollte. Kalte Freude darüber, dass es ihr schlecht ging oder doch etwa Zweifel und sich fragen, ob es richig war, sie hierher zubringen. Als er aber in die Augen der Prinzessin sah und sah, dass sie sich erhoffte, er würde ihr vergeben, beschloss er, sich davon nicht entmutigen zulassen. Für jeden gab es Grenzen. Selbst für sie. Und die hatte sie überschritten.

Lumen merkte das natürlich. Ließ den Blick gesenkt, weil sie nicht in seine kalten Augen blicken konnte. „Es tut mir so leid!“, flüsterte sie und ihre Stimme verlor sich. „Für das, was du getan hast, gibt es keine Entschuldigung!“, kam prompt die kalte Antwort des Magiers und ließ Lumen innerlich erfrieren. Gerne hätte sie gefragt, warum er so grausam zu ihr war und ihr nicht vergeben konnte. Immerhin war es keine Absicht, sondern nur einMissgeschick. Doch sie wusste auch, dass der Magier sich damit nicht zufrieden geben würde. Missgeschicke würden ihn nicht umstimmen und ihr aus dieser Zelle holen.

Für ihn musste es wirklich ausgeshen haben, dass sie absichtlich die Zeit vergass und sich nun als das zuunrecht verutreilte Mädchen aufspielte, um dann wieder seine Gunst zu geniessen. Um sich damit rauszuziehen.

Dabei war es wirklich keine Absicht gewesen, warum sah er das nicht?

„Ich habe das nicht gewollt. Das musst du mir glauben!“, wimmerte sie, brachte jedoch immernoch nicht den Mut auf, ihn anzusehen. „Ich habe dir geglaubt. Mehr als bei jedem anderen zuvor und du hast mich angelogen!“, warf er ihr vor und jedes Wort schnitt tiefer, als es ein Messer tun konnte in ihr Herz. Schnitt ein Stück nach dem anderen davon heraus und Lumen glaubte vor Schmerzen und Tränen zusammen zubrechen. Da kam ihr ihr Vater wieder in den Sinn. Er hatte ihm auch geglaubt und war dann aufs übelste betrogen worden. Noch schlimmer als bei ihr. Dabei musste sie an ihren Traum denken. Ihr Vater ließ seine Eltern verbrennen und sie erinnerte sich auch wieder, zwar schwach nur, aber dennoch genau, dass sie ihn damit zur Rede stellen wollte. Dass sie es aus seinem Munde hören wollte. Auch wenn sie sich davor nun fürchtete.

„Und mein Vater?“, fragte sie mit heiserer Stimme und musste sich dazu zwingen, weiterzusprechen. „Was soll mit ihm sein?“

„Hatte er wirklich vorgehabt, dich und deine Eltern zutöten, nur weil du zu einem mächtigen Magier werden würdest?“, fragte sie und in ihrem Kopf schrie es sogleich:„ Bitte sag nein. Bitte sag nein!“

„Ja und nein!“, sagte der Magier. Er kreuzte die Arme vor der Brust. „Er ließ meine Eltern hinrichten, das stimmt. Aber er wollte auch mich verbrennen lassen. Meine Eltern wollten das natürlich nicht zulassen. Sie schickten mich und Comitas daher fort, bevor die Schergen deines Vaters, wo auch der Großmagier, bei dem ich in die Lehre ging, in unser Zuhause eindringen und uns holen konnten. Doch ich wollte sie nicht allein lassen, also lief ich zurück, trotz Comitas Rufen und Versuch, mich aufhzuhalten. Ich wollte irgendwas tun, um sie vor dem sicheren Tod zuretten. Aber es war bereits zuspät. Sie brannten auf ihren Scheiterhaufen lichterloh und dein Vater, dieser Feigling, sah zu und war erleichtert, dass immerhin die Eltern tot waren. Einen Jungen zufinden und zufangen würde nicht schwer werden, dachte er. Sie würden mich aber nicht finden. Zumindest nicht so, wie sie es sich vorgestellt haben. Ich floh in die Dunkelheit, machte sie zu meinem Verbündeten und schwor bittere Rache!“

„Und das Werkzeug zu deiner Rache war ich!“, brachte sie schwach hervor und ihr Körper gefror zu Eis. Und es lag nicht an der Kälte in ihrem Gefänginiss. „Genau! Ich wollte deinen Vater genauso schwer treffen, wie er einst mich traf!“, sagte er und sie hörte deutlich das grasuame Lächeln in seiner Stimme. Nun hatte sie die Antwort auf die Frage, die sie von anfangan geplagt hatte und Lumen konnte nicht sagen, ob sie auf diese lieber verzischtet hätte. Wenn sie das geahnt hätte. Sie hatte keine Zweifel an den Worten des Magiers. Dennoch weigerte sich ein Teil von ihr, es zuglauben. So wie das der Magier sagte, schien es so, als habe der König zwei Gesichter. Das eine, welches sie seit ihrer Geburt kannte und ihn als gutherzigen Mann zeigte und das andere, das einem Mann gehörte, der wahrlich über Leichen geht. Nur um seine Macht nicht zuverlieren. Lumen schauderte. „Warum hast du mir das verschwiegen?“, fragte sie dann. Sie war den Tränen nahe.

„Hättest du es mir geglaubt?“, fragte der Magier wiederum und Lumen konnte daraufhin nur den Kopf schütteln. „Also erübrigt sich diese Frage!“, erklärte er. Drehte sich dann um. Wollte gehen. Doch Lumen hielt ihn zurück. „Bitte verzeih mir!“

Ihre Worte waren ein letzter schwacher Versuch, es doch noch zum Guten zu wenden. Doch da hätte sie auch bei den Schatten, um Verzeihung bitten sollen. Tenebrae blieb erstmal nur stehen und sagte nichts. Dann drehte er den Kopf halb zu ihr herum. „Wie ich schon sagte: Für das, was du getan hast, gibt es keine Entschuldigung!“

Dann öffnete er die Türe zu ihrem Kerker und ließ sie laut zufallen. Schloss dann ebenso hörbar ab und ging.

Lumen war wieder allein. Allein in dieser Dunkelheit und fühlte sich noch verlorerner, als zuvor.

Jetzt wo sie die Wahrheit kannte und der Magier sie wieder wie siezte und damit deutlich machte, dass es aus zwischen ihnen war, wusste sie nun, dass sie für immer hier in diesem dunklen Loch bleiben würde. Bis zu ihrem Ende.
 

Tenebraes Hände zitterten, als er aus dem Verließ zurückgekehrt hatte. Es hatte ihn mehr Kraft gekostet, den Grund für ihren Aufenthalt zuerläutern, als er gedacht hatte. Er dachte, es würde ihn nicht kümmern. Ihn unberührt lassen. Doch kaum das Lumen den Tod seiner Eltern ansprach und wissen wollte, ob der König wirklich der Mörder war, hatten seine Hände angefangen zu zittern. Er hatte es für einen kurzen Moment wieder vor sich gesehen. Seine Mutter und sein Vater, wie sie von den Flammen verschlungen wurden und sich die Seelen vor Schmerzen aus dem Leibe schrien. Aber dann verscheuchte er dieses Bild und versuchte ruhig zu bleiben. Sich davon nicht überwältigen zulassen. Nachdem er gegangen war und sie ihrem Schicksal überlassen hatte, fühlte er sich ermattet und kraftlos. Er sank in den Sessel und atmete schwer. Fragte sich warum es ihn selber so sehr mitnahm?

Es sollte ihm gleich sein. Immerhin lag es Jahre zurück. Doch die Erinnerung an seine im Feuer gefangenen Eltern ließ ihn nicht los. Er hörte wieder ihre Schreie und hatte den Geruch vom verbrannten Fleisch in der Nase. Übelkeit stieg in ihm hoch und er musste ein Würgen unterdrücken. Er presste sich die Hand auf den Mund, als er den bitteren Geschmack der Galle auf der Zunge schmeckte. Nur mit größter Kraftanstrengung konnte er diesen hinunterwürgen.

Doch die Kraftlosigkeit blieb.
 

Nachdem sie endlich die ganze Wahrheit erfahren hatte, ergab alles nun einen Sinn. Der Zorn auf ihren Vater. Der Entschluss in dieser Dunkelheit zuleben. Und warum er das Licht einer Kerze nicht ertragen konnte. Seit er mit ansehen musste, wie seine Eltern in den Flammen starben, war ihm die Dunkelheit zu einem Zuhause und zu einem Schutz geworden. Lumen hätte sich gerne eingeredet, dass das eine Lüge war. Doch als sie in die Augen des Magiers gesehen hatte, sah sie, dass er die Wahrheit sagte. Ihr Vater war wirklich ein Mörder.

Wie konnte er?

Hatte er ihr nicht selbst die Tugenden gelehrt, die ein guter Herrscher haben sollte. Mitgefühl, Güte und einen Sinn für Gerechtigkeit in sich tragend. Und trotzdem hatte er selber dagegen verstossen. Wie würde sie jemals ihren Vater sehen können, wie sie es als kleines Mädchen getan hatte, jetzt wo sie wusste, dass an den Händen ihres Vaters Blut klebte und einem Jungen seine Eltern genommen hatte?

Zu keiner Antwort fähig und weil es sowieso keinen Sinn hatte, sich weiterdarüber den Kopf zuzerbrechen, weil sie bis zu ihrem Tode hierbleiben würde, grub sie das Gesicht in die Hände und wimmerte. Sie spürte, wie sie immer mehr in ein tiefes Loch fiel, aus dem sie nicht mehr rauskommen würde. Es klaffte wie eine tödliche Wunde in ihrer Seele und quälte sie. Man hatte sie zu einem Spielball gemacht, ohne dass sie es wusste, oder sich wunderte. Wie naiv von ihr. Sie vefluchte sich selbst dafür.

Warum war sie nicht misstraurisch geworden?

Warum hatte sie sich von all dem blenden lassen?

Sie machte sich nun selber schwere Vorwürfe und glitt tiefer in das Loch hinein. Ließ es zu. Es würde sowieso nichts bringen. Sie wird sterben. Hier in dieser Dunkelheit. Da hatte alles keine Bedeutung mehr.

Ihre Finger berührten dabei den Anhänger, den der Magier ihr geschenkt hatte und sie zuckte zusammen. Schaute hinunter. Das Licht, welches in der Sternenträne gefangen war, leuchtete zwar, aber nicht stark genug, um die Dunkelheit zu durchdringen.

Sie hatte sie ganz vergessen. Und so sehr sie auch erleichtert war, sie noch zu haben, es würde nichts ändern. Ein fetter Kloss bildete sich in ihrem Hals und machte es ihr schwer, zuatmen.

Sie würde hier eingesperrt bleiben.

Nicht mal Comitas, ihr kleiner treuer Freund würde es vollbringen, sie aus diesem Loch zubefreien, ganz zuschweigen den Magier umzustimmen. Bei dem Gedanken an ihm, wurde ihr schwer um Herz. Wie mocht es ihm nun gehen. Machte er ihr ebenso Vorwürfe wie es der Magier tat, weil sie ihn ebenso enttäuscht hatte oder bangte er um sie und würde versuchen ihr zu helfen?

Sie hoffte es irgendwie. Comitas war stets ein guter Freund gewesen. Von Anfang an und sie konnte sich nur schwer vorstellen, dass es ihm gleichgültig war, dass sie hier unten war. Sicherlich machte er sich schreckliche Sorgen. Doch wenn dem so gewesen wäre, warum war er nicht gekommen, um ihr das Essen zubringen oder zumindest mit ihr zureden. Die Antwort fand sie schnell. Tenebrae würde den Teufel tun und ihn hinunter lassen. Sicherlich hatte er ihm unter Strafe befohlen, nicht mal daran zudenken, zu ihr hinunter ins Verließ zu gehen. Sondern schickte seine Brüder, diese griesgrämmigen Kerle, die ihr das Essen durch den Schlitz in der Türe durchschoben und dann auch wieder gingen. Jedoch hoffte sie schon irgendwie, dass er kommen würde. Mochte es auch nur für einen kurzen Moment sein.

Sie schloss die Augen und wünschte es sich vom Herzen. Da hörte sie wie sich die Türe öffnete und schaute auf. Sie erwartete, dass erneut der Magier vor ihr stehen würde. Doch stattdessen sah sie eine kleine Gestalt, mit dünnen Ärmchen und Beinchen und gekleidet in einem zerlumpten Sack. „Wer ist da?“, fragte sie mit brüchtiger Stimme. „Prinzessin?“, erklang die Gegenfrage und Lumens Herz machte einen freudigen Sprung. Comitas!

Sie richtete sich auf und sah mit Erleichterung, dass er hier war hatte zu ihm. „Comitas? Bist du das wirklich?“

Trotz dass er leibhaftig vor ihr stand, fürchtete sie dennoch, dass es sich dabei um ein Trugbild handelte. Als er jedoch näher trat und sie ihn deutlich erkennen konnte, war sie überglücklich. „Comitas, ich bin so glücklich, dass du hier bist!“, rief sie und umarmt den dürren Hals ihres Freundes. Comitas quiekte etwas und tätschelte ihr den Rücken. Dann wand er sich aus ihrer Umarmung, da er keine Luft mehr bekam und legte dann den Finger an seine Lippen. „Wir keine Zeit haben, Prinzessin. Hier!“, sagte er leise und hielt ihr ein Flakon hin, dass mit einer dunkelblauen Flüssigkeit, die schimmerte, als er es schüttelte. „Ihr das trinken müsst, dann Ihr kommen wieder in das Schloss Eures Vaters!“

Lumen schaute das Flakon mit gerunzelter Stirn an. „Aber wie?“

Sie konnte sich nicht vorstellen, wie diese dunkle Flüssigkeit sie zurück bringen sollte. Mochte Comitas auch magische Kräfte haben, ihr fiel es jedoch schwer, das zuglauben.

„Ihr mir ruhig vertrauen könnt. Es Euch wirklich zurückbringen!“, drängte Comitas und schaute nervös über die Schulter. In der Erwartung, dass bald jemand vor der Türe stehen und hineintreten würde. Er wollte sich nicht vorstellen, was dann passieren würde.

„Und was wirst du Tenebrae sagen?“, fragte sie und nahm für einen kurzen Moment den Blick von dem Flakon. Dass er ihr helfen wollte, freute sie. Aber sie machte sich auch Sorgen, um Comitas. Was wenn der Magier herausfand, dass Comitas ihr aus dem Kerker geholfen hatte?

Comitas war wohl zwar der einzige von den Dienern, die zu dem Magier ein freundschaftliches Verhältniss hatte. Aber das würde sicherlich dem Magier wenig kümmern, wenn er herausfand, dass sein treuer Diener die Gefangene befreit und in das Schloss ihres Vaters zurückgebracht hatte. Womöglich würde er ihn sogar dafür umbringen. Bei dem Zorn, den sie in seinen eisblauen Augen gesehen hatte, würde sie das nicht wundern. Und ein Schauern rann ihr über den Rücken.

Comitas bemerkte ihre Sorge. Lächelte sanft und strich ihr über die Wange. „Um mich Ihr Euch keine Sorgen machen braucht!“, sagte er leise. „Ich mir schon was einfallen lassen!“

Lumen schluckte. Gerne hätte sie ihm das geglaubt. Aber die Angst um ihren Freund blieb. Er sollte nicht wegen ihr zu Schaden oder schlimmeren kommen.

„Ja, aber…!“, begann sie. „Ihr doch hier rauswollen, oder etwa nicht?“, fragte Comitas und ehe Lumen darauf antworten wollte, hielt sie inne. Natürlich wollte sie hier weg. Aber gehen wollte sie auch nicht. Es war verrückt, das wusste sie. Der Magier hatte schließlich nicht vor, sie irgendwann aus diesem Loch zuholen. Dies hatte er deutlich gemacht.

Aber gehen…?

Sie fragte sich, ob sie das wirklich sollte. Vielleicht, so dachte sie, würde er sich doch noch beruhigen und ihr verzeihen. Wenn sie nur wartete und hoffte.

Sei nicht so dumm, rief eine bittere Stimme in ihrem Kopf und sie verzog schmerzlich das Gesicht. Es durchfuhr sie, als habe sie sich verbrannt und spürte zugleich eine lähmende Kälte. Nein, er würde mir niemals verzeihen, dachte sie und presste Lippen aufeinander. Kurz spürte sie, wie ihre Augen brannten, doch sie unterdrückte die Tränen. Tränen halfen nichts. Sie musste sich nun entscheiden. Entweder dafür, dass sie hierblieb und stirbt, allein in der Dunkelheit oder zu ihrer Familie zurückkehr zu kehren.

Einen langen Moment zauderte sie, dann blickte sie wieder zu der Flüssigkeit, die geheimnissvoll in dem Flakon glänzte. Es hatte beinahe schon eine hypnotische Wirkung auf sie. Das Schimmern erinnerte sie an das Licht, welches sich in den Wellen des Meeres brach und tausendfach zurückgeworfen wurde. Schon allein der Gedanke an das Meer, über dem sich der weite Himmel spannte, reichte es, damit der Wunsch, aus diesem Kerker zu entfliehen, in ihr wach wurde. Lumen schloss dabei die Augen. Konnte es sehen. Das blaugrüne Meer, dessen Schaumkronen auf den Wellen tanzten und mit einem donnernden Tosen sich an den Felsen brachen. Ihre Gedanken an das Meer und den Himmel sponnen weiter, wie von selbst und sie konnte nun die Berge und die Wälder sehen. Wie sich die Wipfel der Tannen und Fichten im Wind wiegten und hatte sogar ihren würzigen Duft in der Nase. Sie lächelte dabei. Dachte weiter und sie sah das Schloss ihres Vaters, das über dem Tal und dem Dorf htronte. Sie glaubte sogar ihre Familie zusehen, wie sie um sie bangten. Es wäre nur richtig, wenn sie zu ihnen zurückkehrte. Dann würden sie sehen, dass es ihr gut ging. So streckte sie die Hand aus und nahm das Flakon. Es fühlte sich warm und zerbechlich an. Lumen fürchtete, es zuzerbrechen, wenn sie zufest zudrückte und damit den einzigen Weg hier raus zuvernichten. Vorsichtig drehte sie es in ihren Händen und beobachtete, wie das Schimmern zunahm, je öfter sie es drehte. „Ich wäre sogern wieder bei ihnen!“, flüsterte sie zu sich selbst. „Dann Ihr einen Schluck daraus nehmt!“, sagte Comitas ermutigend. „Und Ihr wieder dort seien, wo Ihr hingehört!“

Lumen atmete einmal tief durch. Ja, sie müsste nur darauf trinken und dann wäre sie wieder zuhause. Es war so einfach. Sie öffnete das Flakon. Ein seltsamer Geruch stieg ihr in die Nase. Es roch salzig und bitte. Sie rümpfte die Nase. Aber dann überwand sie ihren Ekel und wollte es an die Lippen setzen. Doch da hielt sie inne und sah nocheinmal zu Comitas.

Blickte ihn lange dnkbar, aber auch traturig an. Es fiel ihr schwer zugehen. Sie wollte ihn nicht hier zurück lassen. Daher reichte sie ihm die Hand. Auch wenn sie wusste, dass er nicht auf ihre Bitte eingehen würde. Dennoch wollte sie es versuchen. „Komm mit mir!“, sagte sie. Doch Comitas schüttelte den Kopf. Wie sie es sich gedacht hatte. „Nein, ich hierher gehören!“, erwiederte er und lächelte. Dann nach eine kurzen Pause, sagte er noch zum Abscheid:„ Ich Euch alles Gute wünsche, Prinzessin!“

Lumen lächelte. „Ich dir auch!“, sagte sie und setzte dann das Flakon an die Lippen. Zäh rann es ihr die Kehle hinunter und hinterlies einen üblen Nachgeschmack. Es schmeckte genauso, wie es roch und ein Schauern ging ihr durch Mark und Bein. Sie schüttelte sich.

Dann, nach wenigen Minuten, nach dem sie es getrunken hatte, fühlte sie, wie ihre Haut zu Kribbeln begann. Eine Gänsehaut bildete sich auf dieser und Lumen sah zu ihren Armen. Sie wusste nicht, was sie zuerwarten hatte. Fragte sich, ob sie sich nun auflösen würde und dann im Schloss ihre feste Gestalt bekommen würde. Oder würde der Kerker vor ihren Augen verschwinden und sich in die Landschaft verwandelte, die sie im Reich ihres Vaters oft genossen hatte. Lumen blickte zu Comitas, wollte fragen, was nun passierne würde. Doch statt Comitas sah sie Fallacia, die mit einem grausamen Lächeln über ihr stand und mit einem Mal ergriff sie blanke Panik. „W-Was…?“, wollte sie fragen, als sie einen entsetzlichen Schmerz in ihrer Brust spürte und sich daran griff. Fallacia kicherte. „Nur ein kleines, aber feines Gift, das dich dahin bringt, wo du hingehörst, Prinzesschen. Nämlich in die Hölle!“, zischte sie und beugte sich vor. Nahm eine ihrer Haarsträhne und wickelte sie sich um die Finger. Genoss es sichtlich, dass ihre Rivalin langsam dahinscheidete.

Fallacia sagte noch etwas anderes, doch Lumen konnte es nicht hören. Ihre Sinne schwanden und sie fühlte, wie ihr Körper von einer bleienden Schwere erfüllt wurde. Fast so als würde sie in einen tiefen Schlaf gleiten. In einen Schlaf des Todes. Alles in Lumen sträubte sich, dies zu akzeptieren und sie versuchte sich dagegen zuwehren. Doch kaum das sie es wagte, spürte sie erneut den Schmerz und er schien sich nun furch ihren ganzen Körper zu ziehen. Raubte ihr damit die Luft. Lumen röchelte, griff sich an den Hals.

Bildete sie sich das ein, oder war er geschwollen?

Sie versuchte Luft in ihre schreienden Lungen zu bekommen. Doch ihr Körper schien nicht mehr ihrem Willen zu gehorchen und alle erdenklichen lebenswichtigen Aufgaben einzustellen. Nur ihr Herz schien sich noch gegen das Gift behaupten zuwollen. Zu hoffen, dass es den Kampf gewinnen würde, tat sie aber nicht. Es würde jegendlich das Gift, welches in ihrem Blut war, weiter durch ihren Körper pumpen, bis es auch den letzten Funken von Leben vernichtet hatte. Sie spürte schon, wie ihre Finger und Füsse in den Spitzen taub wurden. Ihr Geist immer mehr in tiefste Finsterniss dahinglitt. Darin versank, wie ein Stein im Wasser.

Wie sie auf den Steinboden fiel und das letzte bisschen Leben aushauchte, bekam sie, als sich ihre Augen schlossen, nicht mehr mit. Sie war schon in eine Dunkelheit eingetaucht, aus der sie nicht mehr wiederkommen würde.

Nur dumpf hörte sie noch die schwachen und unregelmässig werdenden Schläge ihres Herzens.

Bis auch diese verstummten.

Zufrieden dass die Prinzessin endlich aus dem Leben verschwunden war, aus ihrem Leben, drehte sie sich um und verließ die Zelle. Sie würde ihr nicht mehr in die Quere kommen.
 

Comitas hatte, nach langem Hinundherdiskurtieren mit seinem Herren, endlich die Erlaubniss hinunter in den Kerker zugehen, um der Prinzessin das Essen zubringen. Natürlich würde er nicht das Essen einfach so durch den Spalt schieben. Nein. Er würde sie auch gleich mal besuchen, um mit ihr zureden. Denn er glaubte nicht daran, dass Lumen ihr Wort absichtlich gebrochen hatte, sondern wusste, dass das alles nur ein Versehen war. So stellte er kurz das Tablett mit dem Essen, dass nicht aus einem Krug Wasser und altem Brot, so wie es üblich war, sondern aus einer Schale mit frischem Obst, einem Becher Wein und einer warmen Suppe bestand, auf den kleinen Hocker und und schloss auf. „So, Prinzessin. Ich hofen, Ihr großen Hunger haben. Ich…!“, sagte er und als er in den Kerker trat, fiel ihm vor Schrecken das Tablett aus den Händen. Es schepperte laut, als Becher, Schale zu Boden fielen und das Obst verteilte sich auf dme Boden. Die Suppe verschwand in den Fugen. Doch Comitas kümmerte sich nicht um das gute und nun verschwendete Essen. Lumen lag totengleich auf dem Boden und rührte sich nicht. Er rannte auf sie zu und rüttelte an ihr. „Prinzessin…Prinzessin was mit Euch seien. So wacht auf. Bitte. So wacht doch bitte auf!“, flehte er und ihm kamen die Tränen. Das Gesicht der Prinzessin war bleich, wie das einer Toten und als er sein Ohr auf die Brust legte und das schwache Schlagen ihres Herzens hörte, war er Jenseits von Angst. Er musste seinen Herren holen, sonst würde sie sterben.

So rannte er, wie vom Teufel gehetzt die Stufen hinauf und in die Gemächer des Magiers.

„Herr…Herr. Ihr sofort in den Kerker kommen müsst!“, schrie er außer sich. Tenebrae hob nur die Brauen. „Wieso? Was gibt es denn?“, fragte er. „Die Prinzessin sie ist…!“, rief Comitas aufgebracht und machte eine Armbewegung zum Flur. „Was ist mit ihr?“

„Sie…sie stirbt!“, brach es aus Comitas und Tränen rannen ihm über die Wangen.

Tenebrae trafen diese Worte so hart, wie es ein Schlag ins Gesicht tat und er sprang sofort auf. Vergessen waren plötzlich der Groll und die Enttäuschung, das einzige, woran er nur noch dachte war, sie zu retten. „Bring mich auf der Stelle zu ihr!“, befahl er und Comitas gehorchte.

Er brachte den Magier zu der Prinzessin, die immernoch totengleich dalag. Mit schnellen Schritten lief der Magier zu ihr und kniete sich neben sie. Er wollte die Hand nach ihr austrecken, hielt jedoch inne. Er fürchtete sich davor sie zu berühren und festzustellen, dass sie tot war. Er zögerte noch lange, dann legte er die Hand auf ihre kalte Schulter und beugte sich über sie. So wie ein Vater, der sein Kind wecken wollte.

„Lumen!“, flüsterte er. „Lumen, wach auf!“

Doch Lumen wachte nicht auf. Tenebrae erhob sich etwas. Blickte zu ihr hinunter und suchte etwas, was auf eine Verletzung deuten könnte. Nichts aber war zusehen. Langsam, vorsichtig drehte er sie auf den Rücken und hob sie auf seine Arme. Zog sie an sich.

Lumen glaubte in der Dunkelheit, in der sie gefangen war, etwas zuspüren. Eine Berührung, sanft und flüchtig wie ein Lufthauch. Auch meinte sie zu hören, wie jemand ihren Namen rief. Aber das war doch nicht möglich. Sie war doch tot. Wie konnte sie dann etwas spüren?

Tenebrae zog sie näher an sich heran, sodass sie eng an seiner Brust lag und strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht. Ihre Haut war weiss und schien kein Blut mehr zuhaben. Ihr Körper wog nichts, war leicht wie eine Feder. Ein unkontrolliertes Zittern erfasste ihn und er strich nocheinmal die Hand aus, um über ihre Wange zustreicheln. Die Wange, die einst einer lebenden schönen Frau gehörte. Einer Frau, die er geliebt hatte und immernoch liebte. Mochte sie ihn enttäuscht haben oder nicht. Er konnte sie einfach nicht hassen. Mit dem aber was er getan hatte, hatte er sie in eine Lage gebracht, die sie nun zu einer Toten gemacht hatte.

Hatte sie sich etwa selbst getötet, nur weil er sie seinen Zorn spüren lassen wollte?

Tenebrae wollte das nicht glauben. Doch dann erinnerte er sich daran, wie sie ihn angesehen und angefelht hatte, er möge er doch verzeihen. Sie wollte es ihm sogar erklären, als sie zurück waren und er sie zum Kerker hinunter geschleift hatte. Wenn sie ihn betrogen hätte, hätte sie das nicht getan. Und schon gar nicht mit dieser Verzweiflung in der Stimme. Das alles wurde ihm erst jetzt, zuspät bewusst und er legte seine Stirn gegen ihre, die sich eisig anfühlte. Lange blieb er so und lange blieb es um sie herum still. Aber dann hörte man sein Schluchzen und es dauerte nicht lange, bis die erste Träne auf die geschlossenen Augenlider der Prinzessin tropfte. An dieser kurz liegenblieb und dann hinunterran, als würde es die Prinzessin sein, die weinte. „Was habe ich nur getan?“, warf er sich vor. Immer wieder und wieder. Strich Lumen ununterbrochen durch das Haar. Hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn. Als würde sie das wiederholen.

Lumen spürte dies und war verwirrt. Was ging hier nur vor sich?

War sie etwa doch nicht tot, sondern in einem Reich zwischen den Lebenden und den Toten. War sie darin gefangen bis in alle Ewigkeit?

Wenn ja, dann wollte sie endlich sterben. Denn nichts konnte sie sich schlimmeres vorstellen, als nicht tot und nicht lebendig zusein.

Comitas holte den Magier irgendwann aus seiner Trauer und Vorwürfen zurück. „Herr, seht Euch das an!“, sagte er und hielt ein Flakon hoch. Tenebrae konnte nur schwer den Blick heben und ihn ansehen. Tränen trübten seine Sicht. Er blinzelte paarmal und konnte wieder einigermassen was erkennen. Nun sah auch er das Flakon und runzelte die Stirn.

Warum hatte er das nicht gesehen?

„Woher hast du das?“, fragte er mit entkräfteter Stimme. „Das lag hier rum. Ich auch nicht sagen kann, wie das hieher kommt!“, erklärte Comitas und reichte es dem Magier, als er danach verlangte. Tenebrae drehte das feineglasige Fläschchen und roch schließlich daran. Er zog den Kopf zurück und verzog das Gesicht. Fluchte dabei, was das für ein widerwärtiges Zeug sei und hielt dann inne. Nochmal roch er daran und sein Gesicht, welches Trauer und Verwirrung spiegelte, wurde nun finster. „Dieses elende Miststück!“, knurrte er. Legte die Prinzessin dann behutsam ab. Erhob sich. „Bring sie in meine Gemächer. Ich bin gleich zurück!“, sagte er und drehte sich um, um zugehen. Comitas hielt ihn zurück. „Herr, wohin ihr gehen?“

„Ich werde ein paar Takte mit Fallacia reden!“, sagte er und etwas in seiner Stimme ließ Comitas wissen, dass Fallacia nun keine Gnade zuerwarten hatte. Sein Blick ging wieder zu Lumen, die dalag, wie eine welke Blume. Und hoffte, dass sein Herr Fallacia das gleiche antat, was sie ihr angetan hatte.
 

Was Fallacia anging, freute sie sich, dass es endlich mit der Prinzessin vorbei war. Und hoffte nun, dass der Magier sie nun etwas näher an sich heranlassen würde. Denn nun war sein Liebchen tot und er ganz allein mit seinem Schmerz. Sie würde ihn nur zugerne trösten. Als er dann nach ihr rief, erschien sie. Die Freude war groß und sie bemühte sich, sich nichts anmerken zulassen. Langsam schälte sie sich aus der Dunkelheit. „Ja, Herr?“, fragte sie, als sie dann neben ihn stand. „Was kann ich für Euch tun?“, fragte sie. Doch kaum, dass sie dies ausgesprochen hatte, packte Tenebrae sie am Hals und schleuderte sie gegen die nächstgelegene Wand. Fallacia schrie auf und ging zu Boden. Für einen kurzen Moment wurde ihr schwarz vor Augen. Doch dann rappelte sie sich wieder auf und schaute zum Magier, der über ihr stand und die Hände zu Fäusten geballt hatte. Sein Gesicht sprach von Zorn und blanker Rachelust. Fallacia versuchte, irritiert zuschauen. „Was…was ist mit Euch?“, fragte sie und das schüttete noch mehr Öl ins Feuer. Tenebrae stiess ein wütendes Knurren aus und packte Fallacia an den Haaren. Zerrte sie auf die Füsse. Überhörte dabei, dass sie vor Schmerzen schrie und schlug sie mehr als einmal hart ins Gesicht. „Das fragst du noch?“, keifte er.

„Ich weiss nicht, was Ihr meint!“

„Lüg mich nicht an. Ich weiss ganz genau, dass du der Prinzessin Nachtgift gegeben hast. Obwohl ich die ausdrücklich befohlen habe, sie nicht anzurühren!“

„Aber sie hat es freiwillig genommen!“

„Sicherlich hast du einen Zauber benutzt, um sie dazu zubringen!“, schrie er nun und stiess sie gegen die Wand, sodass sich der Putz aus dieser zulösen schien. Tenebrae musste sich wahrlich bremsen, wobei es ihm wirklich unter den Nägeln brannte, sie mit blossen Händen zu zuzerreissen. Doch an ihr wollte er sich nicht länger die Finger schmutzig machen. Sie war es nicht wert. „Ich frage mich warum!“

„Ich…ich tat das für Euch!“, wimmerte Fallacia, als der Magier endlich von ihr abließ und sie nach Luft schnappte. Schon allein diese Worte, brachten ihn zur Weisglut. Was nahm sich dieses Stückchen Dreck heraus, diese Tat mit seinem Wohlergehen auszugleichen?

„Für mich?“, schrie er und war kurz davor, seine Meinung zu ändern. Vielleicht sollte er sich doch die Finger schmutzig machen. Ihr einen Arm ausreissen, oder ein Auge oder vielleicht auch zwei ausstechen. Ihr die Zunge herausschneiden, damit sie keine Lügen mehr verbreitete. Tenebraes Vorstellungen für eine grausame Strafe für Fallacia wurden immer mehr, doch er besann sich, sich zurück zuhalten. „Ja…sie…sie schlecht für Euch. Seit sie hier ist, habt Ihr Euch zum negativen verändert. Ihr habt an Härte und Grausamkeit verloren und seid weich geworden. Ich konnte mir das nicht mehr mit ansehen. Darum habe ich das getan!“, begann sie und hob das Gesicht, dass Tränen und Blut verschmiert war. „Ich tat es weil ich Euch liebe!“

Tenebrae konnte nur ein verächtliches Schnauben dafür aufbringen. „Mich lieben, dass ich nicht lache!“

Fallacia schüttelte den Kopf. Wollte ihm damit zeigen, dass sie das nicht so gewollt hatte und sich dafür entschuldigen will. „Verzeiht, Herr. Verzeiht mir!“, flehte sie und kroch zu ihm hin. Wollte ihn am Fuss berühren. Doch Tenebrae machte einen Schritt zurück, entfernte sich so von ihr und zeigte ihr damit, dass es zuspät war und er ihr niemals vergeben würde. Sie hatte schon zuoft gegen seinen Willen gehandelt. Auch Fallacia sah dies und weinte. „Was..was wollt Ihr nun mit mir machen?“, fragte sie und die Stimme des Magiers klang kalt und endgültig. „Wie eine Spinne webst du deine Intrigen. Darum sollst du wie eine Spinne enden!“, sagte er und hob die Hand. Fallacias Augen weiteten sich. Sie öffnete den Mund, um zuschreien, doch nur ein heiseres Krächzen kam ihr über die Lippen und sie spürte sogleich, wie sich ihr Leib zusammen zog. Sie krümmte sich unter furchtbaren Schmerzen und sah, wie sich ihre bleiche Haut schwarz verfärbte. Dabei glänzte und keine Facetten sich darauf abbildeteten. Nein, schrie es in ihrem Inneren und sie blickte zum Magier hinauf, der zusah, wie sie sich verwandelte. Ihr Körper wurde kleiner und kleiner. Ihr wuchsen zustätzlich vier weitere Gliedmassen, die in spitze Klauen endeten und ihr Kopf schrumpfte auf Murmelgröße. Unzählige Augen glänzten feucht, als sie sich bewegten.

Aus der einstigen schönen Fallacia war nun eine Spinne geworden. Abstossend und hässlich, wie sie es in ihrer Seele war. Tenebrae sah zu dieser mit grimmiger Freude. Die Spinne bewegte ihre Beinchen, als müsste sie sich mit ihnen vertraut machen und versuchte sogleich wegzukrabbeln. Doch kaum dass sie die Wand erreicht hatte und daran hochklettern konnte, schwebte der Fuss des Magiers über ihr und trat zu. Ein Kreischen, viel zu laut für eine Spinne, erklang dabei und der Magier verzog triumphierend das Gesicht. Hob dann den Fuss und sah die tote Spinne. Sah sie ihrem eigenen Blut und mit zerquetschten Beinen und Körper. Beinahe wollte er schon auf sie spuken, aber dann wandte er sich davon ab. Er hatte sie bestraft und bereute es nicht. Das einzige, was er bedauerte, war, dass nun sein guter Teppich ruiniert war.

Geheimnisse!

Comitas hatte sie in das Bett des Magiers gelegt. Hatte sie noch gewaschen. Ihr Haar gekämmt und sie in frische Kleider gesteckt. Er wollte sie nicht länger in diesem jämmerliuchen Zustand sehen. Es war schon schlimm genug, dass sie in einen todesähnlichen Schlaf gefallen war. Als der Magier hineinkam, drehte sich Comitas zu ihm herum. „Herr, Ihr ihr helfen müsst. Sie nicht sterben darf!“, flehte er, doch Tenebrae sagte nichts. Sondern ging zum Bett, in dem die Prinzessin lag und kniete sich neben sie. Nahm ihre Hände in die seinen und schaute sie lange schweigend an. Comitas wurde dabei immer nervöser und und fragte sich, warum sein Herr nichts tat. „Herr, was wir tun können?“, fragte er, auch wenn er wusste, dass sie nichts tun konnten um die Prinzessin zuretten.

„Hol alles hier, um das Gift, welches sie in sich hat, zu neutraliesieren!“, sagte er nach einer langen quälenden Minute. Comitas, ebenoch verzweifelt und nervös, nickte nun. „Welches Gift es sich handeln?“, fragte er. „Nachtgift!“, sagte der Magier nur und Comitas eilte schon davon.

Es vergingen kaum fünf Minuten, als er schon auch wieder zurück kam. Mit Schalen, Tigelchen und Kräutern auf den Armen. Er breitete alles ordentlich auf dem Noden aus und Tenebrae machte sich daran, dass Gegengift herzustellen. Dabei schaute er immer wieder zu Lumen, die einfach nur dalag und mehr tot als lebendig wirkte. Sein Magen verknotete sich bei diesem Anblick. Die aufkommende Angst um sie machte es beinahe unmöglich seine Hände ruhig zuhalten und nicht eines der wertvollen Zutaten zuverschütten. Comitas half ihm. Zermalmte die Käruter mit dem Stößer zu einer breiigen Masse und schüttelte sie in die Schale. Tenebrae goss etwas klares Wasser hinein und vermengte alles. Raspelte noch einige Kerne von fremdartigen Früchten hinein und setzte sich dann zu der Prinzessin aufs Beet. Schob vorsichtig seine Hand unter ihren Nacken und setzte die Schale mit dem Gegengibt an ihre Lippen.

Lumen spürte, wie ihre Lippen von etwas auseinander gedrückt wurden und etwas Flüssiges, Warmes zwischen ihre Zähne floss. „Trink das, Lumen!“, hörte sie von weither eine Stimme und als die Flüssigkeit beinahe schon über ihre Mundwinkel rann, begann sie zuschlucken, Langsam und zögernt, aber sie schluckte es hinunter. Erleichtert seufzte er auf. Sie war noch nicht ganz verloren. Tenebrae hob die Schale etwas höher, sodass auch der letzte Rest in ihren Mund floss, bis sie leer war und legte die Prinzessin dann zurück auf die Kissen. Reichte Comitas die leere Schale, ohne dabei den Blick von ihr zulassen. Und während Comitas die benutzten Dinge wegräumte, blieb der Magier neben ihr sitzen. Beobachtete, wie das Mittel wirkte und wie sich ihre Brust immer deutlicher hob und senkte, während sie atmete. Es begann bereits zu wirken.

Er seufzte. Erleichtert, dass es nicht zuspät war und dass er sie noch vor dem Tode bewahren konnte. Doch noch war es zu früh sich zu freuen. Sie musste erstmal wieder zusich kommen. Und das konnte dauern. So blieb er neben sie sitzen und hielt ihre Hand. Sprach mit ihr, weil er sich davon erhoffte, sie würde ihn hören.

Und Lumen hörte ihn. In ihrem tiefen Schlaf, der noch vor kurzem ein Todesschlaf war und nun zu einem traumlosen Schlaf geworden war, hörte sie seine Stimme in der Dunkelheit und sie fühlte, wie die Kälte, die mit dem nahenden Tode sie erfasst hatte, langsam in eine wohlige Wärme umschlug. Fast wie an einem sonnigen Tag. Lumen lächelte dabei.

Und plötzlich begann die Finsterniss, einem schwachen Grau zuweichen. Welches dann sich in ein strahlendes Licht verwandelte und das Rauschen des Windes hören konnte. Für einen kurzen Moment war Lumen irritiert, hielt inne. Aber dann ging sie auf das Licht zu. Immer schneller und schneller, als könne sie es nicht erwarten, aus dieser Dunkelheit zu kommen, Oder zog das Licht sie an, wie das Licht die Motte. Lumen verstand es nicht hatte auch ein wenig Angst. Doch dann schwand diese und ein Gefühl von freudiger Erregung erfüllte sie.

„Lumen!“, hörte sie nur noch wie aus weiter Ferne den Magier nach ihr rufen und seine Stimme verhallte, je näher sie dem Licht wurde. Dieses wurde stärker, als sie endgültig in das Licht trat. Zuerst war sie geblendet von der Kraft des Lichtes. Sie hielt die Hand davor und kurz gab es nichts, als strahlendes Weiss. Als sich dann aber ihre Augen daran gewöhnte sie konnte es sehen. Die grüne Wiese, auf der sie stand, deren Halme sich sanft hinundher wiegten, wenn der Wind über sie strich. Der blaue Himmel, der wolkenlos über ihr hing und die Berge, die sich in der Ferne dunkelblau von dem des Himmels abhoben. Erst dachte sie, es sei ein Traum. Jedoch wenn dem so wäre, wie konnte sie die Wärme der Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht und das Flüstern des Windes hören?

Nein, das konnte kein Traum sein.

Es wirkte alles zu real, um ein Hirngespinst zusein und sie verlor sich für einen kurzen Moment in diesem Anblick. Sie glaubte sogar, die Landschaft, die sich vor ihr erstreckte, zukennen. Lumen versuchte sich zuerinnern woher. Zuerst schien es jedoch als würde ein zäher Nebel über ihren Erinnerungen liegen, der es ihr schwer machte, zu diesen durchzudringen. Aber dann konnte sie den Nebel vertreiben und Lumen war nun erstaunt.

Es war dieselbe Landschaft, die der Magier erschaffen hatte. Wie konnte das sein?

Wie war sie hierhergekommen?

Das Letzte, woran sie sich erinnern konnte, war, wie Fallacia sie vergiftet hatte und wie nahe sie dem Tode war. Die Kälte blieb ihr noch gut in Erinnerung und sie schauderte. Doch nun war sie hier, inmitten dieser wunderschönen Landschaft, die ihr wie ein Traum erschien. Und Lumen fragte sich, ob sie nicht doch ihr sterbliches Leben hinter sich gelassen hatte und nun ins Paradies übergetreten war.

Da hörte sie nun wieder die Stimme des Magiers. Hörte ihren Namen aus seinem Munde und etwas wie Sorge schien darin zuliegen. Sie drehte sich um, weil sie dachte, er würde neben ihr stehen. Aber sie war allein. „Tenebrae?“, fragte sie, verwirrt darüber, dass sie ihn nicht sah. Dabei hatte es geklungen, dass er direkt neben ihr stehen würde. Um sicher zusein, dass sie sich das nicht eingebildet hatte, drehte sich ein paarmal um die eigene Achse. Versuchte im Schatten der angrenzenden Bäume den Magier zusehen. Sah ihn jedoch nicht.

Spielte ihre Fantasie ihr einen Streich?

Nocheinmal rief sie nach dem Magier, in der Hoffnung, er möge ihr antworten. „Tenebrae? Wo bist du?“, fragte sie laut und einige Minuten herrschte Stille. Nicht mal der Wind sang weiter, sondern hatte sich gelegt. Mit einem Mal schien die Landschaft, die sie zu ihrem eigenen Paradies erklärt hatte, ihre Schönheit und Harmonie verloren zuhaben. Sie wirkte nun viel zu ruhig und beklemmend, als das man sagen konnte, sich hier wohl zufühlen. Es schien nun auch kälter geworden zusein, und als sie hinauf schaute, sah sie, dass sich dicke dunkle Wolken vor die Sonne geschoben hatten. Lumen hatte ein ungutes Gefühl dabei und schaute sich wieder nach dem Magier um. „Tenebrae! Bitte! Sag mir wo du bist!“, flehte sie nun und wünschte sich, dass er sich blad zeigen würde. Trotz was er ihr angetan hatte, brauchte sie ihn. Er war der einzige, der die beschützen konnte. Und den sie bei sich haben wollte. „Tenebrae!“

Ihre Stimme überschlug sich beinahe, als sie wieder und wieder nach ihm rief und nun den Hügel hinunterrannte. Ununterbrochen schaute sie sich um. Der Magier jedoch blieb unsichtbar. Nur seine Stimme schien sie noch zuhören. Oder glaubte sie das nur?

Lumen spürte, wie Panik sie erfasste, wie eine eisige Klaue und sie zum weiterrennen trieb. Was wenn ihr vermeintliches Paradies, sich als tückische Falle entpuppte und sie darin gefangen war. Was wenn sie sich das alles nur erträumt hatte?

Lumen schüttelte diesen und noch andere schreckliche Gedanken ab und rannte. Rannte, bis ihre Füsse schmerzten und sie kaum noch Luft in ihren Lungen hatte. Mittlerweile war es so dunkel geworden, dass sie sich fragte, ob es Nacht war oder wieder diese Finsterniss, in der sie zuvor gefangen gewesen war. Jedoch nach oben, in den Himmel, zuschauen oder gar den Blick von dem, was vor ihr lag, zunehmen, traute sie sich nicht. Sie hatte zugroße Angst. All die schrecklichen Alpträume, die sie hatte, schienen nun wieder allgegenwärtig zusein, sich zusammenzurotten und auf sie zulauern. Irgendwann blieb sie mit dem Fuss an einem Stein hängen stolperte. Sie schrie auf, als sie zu Boden stürzte und war zuerst nicht in der Lage, sich zurühren. Doch dann hörte sie das Donnern und rollte sich herum. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen, als sie die grauen Wolken sah, die sich über sie türmten und sich dann zu mehreren schrecklichen Kreaturen verformten. Wölfe, Drachen und Wesen, die menschliche Körper, aber den Kopf eines Stieres oder einer Echse besaßen, starrten auf sie nieder und das Rot in ihren Augen glühte infernalisch. Lumen schrie entsetzt auf und versuchte zurück zuweichen. Es war genauso wie damals, als sie das erste Mal im Schloss des Magiers schlief und von diesen Träumen heimgesucht wurde. Und die Angst, die sie nun zu Eis erstarren ließ, war es ebenso. Langsam krochen die schrecklichen Kreaturen auf sie zu und streckten ihre Klauen nach ihr aus. Wollten sie fassen, sie zu sich ziehen und sie mit ihren gewaltigen Mäulern zerreissen.

„Nein…!“, schrie sie, wisch über dem Boden rutschend zurück, doch die Klauen folgten ihr. Krochen, ähnlich wie Nebelschwaden, über dem Boden und als eine der Kreaturen sie am Saum ihres Kleides erwischte und daran zog, schrie sie erneut. Grub die Finger in das Gras und trat nach dem Arm, der sie festhielt. Sie wollte nicht, dass diese Monster sie bekamen. Doch egal wie fest sie auch trat und versuchte sich von ihnen fern zuhalten, die Klaue zog und zerrte sie weiter zu sich heran und neben dieser kamen nun abdere Krallen, die sich tief in ihr Fleisch gruben und sie fürchtete, dass sie ihr das Fleisch von den Knochen reissen würden. Lumen schrie und schrie. Hatte Tränen in den Augen und die Angst stieg ins unermessliche.

Mit jedem Herzschlag kam sie den Monstern immer näher, bis sie ihren ekelhaften Atem in der Nase hatte und deren Klauen auch nun auf ihren Schultern spürte, die zudrückten. „Nein!“, schrie sie und wehrte sich erneut. Versuchte sich aus den Griffen der Ungeheuer zu befreien. Die Kreaturen aber verstärken ihre Griffe immermehr und fauchten wütend.

„Lasst mich los!“, schrie sie, schlug um sich. „Beruhige dich, Lumen!“, hörte sie plötzlich eine Stimme sagen und die Kreaturen begannen sich wie von einem Moment auf den nächsten aufzulösen. Verloren ihren Schrecken und anstatt in die glutroten Augen der Monster und deren schrecklichen Grimassen, blickte sie in die besorgten Augen und Gesichter ihrer Familie.

Lumen stutzte und glaubte in den nächsten Tarum geschlittert zusein. Aber dann hörte sie die Stimmen ihrer Schwestern. Und schaute zu ihren Handgelenken. Sah statt Klauen ebenso Hände, die sie umfassten. Zarte, warme und weiche Hände, die sie erkannte. Es waren die ihrer Schwestern. Lumen blinzelte und schaute sich dann richtig um. Sie war in ihrem Zimmer. Sah die weissgetunchten Wände, die ebenso weissen Seidengardinen, die sich im Wind blähten und im Sonnenlicht tanzten. Ihre Hände sanken, nachdem ihre Schwestern sie losgelassen hatten, auf die Laken und strichen darüber. Fühlten den weichen, beinahe wolkigen Stoff und sie drehte den Kopf. Sah die Fenster, durch die sich das Licht brach und das Glas bunte Lichtpunkte auf die gegenüber liegende Wand warf.

Lange blieb ihr Blick an diesen hängen. Wo sie zuvor dachte, dass sie das noch träumte, wurde sie sich mal zumal sicher, dass sie im Schloss war. Und wie zuvor in ihrem Traum fragte sie sich, wie sie hierher gekommen war.

Fortitiudo war es, die ihre Schwester aus ihren Gedanken holte. „Lumen?“, fragte sie und setzte sich auf das Bett. Lumen verweilte noch einen Moment so, den Kopf abgewandt und mit einem Blick, der in die weite Ferne gerichtet war. Dann drehte sie ihn, sodass sie sie ansah. Aber sie schien immer noch ganz woanders zusein. „Alles in Ordnung mit dir?“, fragte Fortitudo. Besorgt, dass ihre Schwester irgendwie geistig nicht wirklich dar war. Der Blick, der in ihren Augen lag, macht ihr Angst. „Ja!“, kam es nur von Lumen. Dann drehte sie den Kopf und ihre Augen schienen nach etwas zusuchen. Oder eher nach jemanden. Ihr Vater war nicht da und das ließ sie ein wenig stutzen. Der König hätte genauso gewartet, bis sie erwachte und wäre der erste gewesen, der sie in seine Arme geschlossen hatte. Aber irgendwie war sie froh, dass sie ihn nicht gleich sah. Denn sonst wären ihr die Fragen, warum er einst die Eltern des Magiers töten ließ und wie er sich im Spiegel noch ansehen konnte, rausgerutscht und das hätte wiederum dazu geführt, dass sich beide aufregen. So hatte sie aber Zeit, sich was einfallen zu lassen, wie sie besser damit umgehen konnte.

„Wie bin ich hiehergekommen?“, fragte Lumen nun um nicht weiter darüber nachzudenken. Sie richtete sich auf und kurz erfasste sie ein Schwindel. Sie stöhnte und fasste sich an die Stirn. Cor stützte sie und legte sie, mit sanftem Druck in die Kissen zurück. Fortitudo schien erstmal nicht zuwissen, was sie mit dieser Frage meinte. Kurz schaute sie zu Cor, die auf der anderen Seite des Bettes stand und ihren ratlosen Blick zuerwiedern schien. Dann blickte sie wieder Lumen an. „Hauptmann Fidus hat dich zurückgebracht!“, erklärte sie nur. Lumen runzelte die Stirn.

Wie und wann war das passiert?

„Und…und der Magier?“, fragte sie wieder. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Tenebrae sie so einfach hatte gehen lassen. Schließlich war sie seine Gefangene. Bei diesem Gedanken wurde ihr erneut übel. Nein, ich war sein Gast, sagte sie sich. Doch diese Worte konnten nichts gegen die Übelkeit ausrichten, die sie überkam, als sie sich die vergangen Tage, oder mochten es Wochen sein, vor Augen hielt, als sie im Kerker eingesperrt war und vergiftet wurde. Fortitudo schwieg und Lumen fürchtete schon, dass es zum Kampf zwischen dem Hauptmann und dem Magier kam. Fortitudo warf Cor nun einen hilflosen Blick zu. Cor verstand und nickte. „Er hat dich gehen lassen!“, sagte sie sanft und nahm Lumens Hand, die sich eiskalt anfühlte. „Weil du aussahst wie tot, bat Fidus ihn, deinen toten Körper zurück ins Schloss bringen zudürfen, damit du im Kreise der Familie deine letzte Ruhe finden kannst!“

Daraufhin bildete sich ein schleimiger Kloss in ihrem Hals, an dem sie beinahe erstickte.

Tot?

War sie das wirklich gewesen?

Lumen erinnerte sich an die Dunkelheit und die Kälte, die sie umhüllte, wie einen Mantel, der sie erstickte und schauderte. Aber dann hatte sich etwas verändert. Die Kälte war in Wärme umgeschlagen und sie hatte das Licht gesehen. Konnte sie sich das alles nur eingebildet haben?

War das etwa das, was man „Das Leben nach dem Tode“, nannte. In einem Buch, welches in der Bibliothek des Magiers gestanden hatte, hatte sie davon beiläufig gelesen und erstmal nicht weiterbeachtet. Sondern es zurückgestellt und sich ein neues Buch genommen. Nun aber erinnerte sie sich daran. Darin stand, dass Menschen, die kurz vor ihrem Ende standen, und bereits mehr lebendig als tot waren, davon erzählten, dass sie ein Licht am Ende eines langen Tunnels sahen, durch den sie gegangen waren und wenn sie in Licht traten, in das Paradies eintreten würden.

Und für einen kurzen Moment, hatte sie das auch geglaubt. Hatte die herrliche Landschaft gesehen und es für das Paradies, für den Garten Eden gehalten. Der sich jedoch in das Gegenteil verwandelt und schließlich in einen Traum endete.

Nein, sie war nicht tot. Aber sie wäre es beinahe gewesen. Sie hatte es gespürt. Wie ihr Herz langsamer schlug und die Kälte immer stärker wurde. Und noch etwas war da. Da war diese Stimme, die sie dem Magier zuschrieb und wie etwas gegen ihre Lippen gedrückt wurde. Eine Flüssigkeit, die ihre Kehle hinunterrann und ihr neue Kraft gab. Sie wärmte. Ähnliche wie die Sonnenstrahlen, die in ihr Zimmer fielen. „Und er…er hat es einfach zugelassen?“, fragte sie und war erschrocken, wie schwach ihre Stimme war. Noch immer wollte sie es nicht glauben, dass der Magier ihn und ihren vermeindlichen Leichnam ohne irgendeinen Protest hatte gehen lassen. Aber vermutlich lag es daran, dass er für eine tote Prinzessin keine Verwendung hatte. Was nützte ihm ein kalter Frauenkörper. Lumen gab sich darauf selbst die Antwort. Nichts!

Er würde sich nicht die Mühe machen und sie bestatten lassen. Nicht eine einzige Träne für sie vergießen.

Bei diesem Gedanken brannten ihr die Augen. Ihr Herz schlug verkrampft, als wollte es aufhören und es schmerzte. Sie unterdrückte ein Schluchzen. Sie wollte nicht glauben, dass er sich nicht von ihr verabschieden wollte.

„Ja!“, sagte Fortitudo. Dieses eine Wort schnitt ihr ins Herz, wie ein Messer und sie schloss die Augen. Ihre Lippen wurden schmal und blass. „Hat er was gesagt?“, fragte sie und ihre Stimme war erstickt von nahenden Tränen. „Nein!“

Cor warf ihrer Schwester daraufhin einen finsterten Blick und Fortitudo versuchte ihn nicht beachten. „Lasst mich allein!“, wimmerte Lumen und vergrub das Gesicht in den Kissen. An dem Zittern und Zucken ihrer Schultern sahen ihre Schwestern, dass sie weinte. Cor legte behutsam die Hand auf ihre Schulter. Strich sanft darüber, um sie zu trösten. Doch Lumen streifte ihre Hand ab. „Lumen!“, sagte Cor besorgt und wollte sie wieder an der Schulter brühren. Lumen aber schrie in das Kissen:„ Lasst mich allein!“

Und ihre Schwestern berücksichtigten ihren Wunsch.
 

Einsam ging der Magier durch die Flure seines Schlosses. Es war still gworden, als er die Prinzessin in die Obhut ihrer Familie übergeben hatte. Und mit ihr war auch das Leben, welches einst dieses Schloss erfüllt hatte, verschwunden. Selbst das Licht, welches die Finsterniss durchbrochen hatte und das man Hoffnung nannte und ihn glauben ließ, so zu leben, wie einst, war fort. Nun gab es nichts mehr.

Lumen hatte dies alles fortgenommen. Das einzige, was gab es, war Leere und Dunkelheit.

So wie zuvor, bevor Lumen in sein Leben trat und sein Herz berührte.

Tenebrae vermochte nicht zusagen, ob er froh oder tiefbetroffen sein sollte. Zum einen hatte er es getan, weil er nicht wollte, dass sie noch länger durch seinen Egoismus zu Schaden kam und zum anderen, weil er wusste, wie sehr sie ihre Familie vermisste.

Dabei hatte das erste den stärksten ausschlaggebenden Punkt, da er vielzuspät erkannt hatte, nachdem er sie vor dem Tode bewahrt hatte, dass es ein Fehler war, sie als Lohn gefordert zuhaben.

Fallacia hatte es ihm deutlich gezeigt. Auch wenn sie das mit Sicherheit nicht beabsichtigt hatte, hatte sie es und dafür war er ihr dankbar. Trotz dass sie damit zuweit gegangen war. Aber anders hätte er es nicht erkannt. Er hätte nicht erkannt, dass diese Welt, die Welt der Dunkelheit, viel zugefährlich für sie war. Dass es immer jemanden oder etwas geben würde, was ihr nach dem Leben trachtete und er dies nicht verhindern konnte. Das er sie nicht immer beschützen konnte.

Diese Tatsache mochte schmerzlich sein, aber sie war so wahr und echt, wie der Stein aus dem das Schloss gebaut war. Tenebrae blieb stehen und schaute sich um. Die Dunkelheit, die durch Lumens Licht, welches sie im Herzen trug, zurückgedrängt wurde, war nun wieder erstarkt und lauerte um ihn herum. Als wollte sie sich auf ihn stürzen. Auf ihn, ihren Herren. Doch vielleicht sann die Finstenriss, die jahrelang sein Vertrauter gewesen war und ihn geschützt hatte, nun auf Rache.

Tenebrae wusste um die Gefahr, die die Finsterniss und die darin lebenden Wesen darstellten.

Sie waren die Ausgeburt seiner eigenen Wut und seines Hasses auf den König.

Waren daraus erschaffen worden.

Und zu ihnen kamen all die verloren und verzweifelten Seelen derer hinzu, die einst ihn bedienten und unter der Dunkelheit zugrunde gingen. Selber zu Schatten wurden. Er hörte ihr Klagen, Jammern und ihre Wut darüber, was sie aus ihnen geworden war und dass sie ihm die Schuld dafür gaben, nun laut und deutlich. Hörte, wie sie Rachepläne schmiedeten und sich die schlimmsten Qualen für ihn ausdachten. Ein Schauern ging ihm durch Mark und Bein.

Sie sind das absolut Böse, welches keine Gande kennt. Und jetzt wo er selbst verwundbar und leicht anzugreifen war, würden sie es sich nicht nehmen lassen, sich auf ihn zustürzen. Er spürte schon, wie sich einer der Schatten ihm näherte und die mit Klauenversehene Hand nach ihm ausstreckte. Doch kaum, dass der Schatten den Magier berührte, drehte er sich um und schleuderte ihm eine Lichtkugel zu. Als die Lichtkugel auf den Schatten traf, explodierte er und seine Gestalt löste sich binnen von Sekunden auf. Daraufhin wischen die anderen Schatten zurück. Flohen, doch ihre Nähen blieb spürbar.

Tenebrae erlaubte sich ein siegeerisches Lächeln. „Lasst Euch das eine Lehre sein!“, sagte er und ging weiter. Für dieses eine Mal, konnte er die Schatten in ihre Schranken weisen, doch er wusste, dass sich das bald ändern kann. Und wenn dies geschehen würde, dann würde er sterben. Und die Prinzessin würde es nicht erfahren. Vielleicht war es auch gut so. Er hatte die ganze Zeit in Einsamkeit gelebt und sich nicht daran gestört.

Nun würde er auch in dieser Einsamkeit sterben.

Und niemand würde um ihn trauern.
 

Fünf Tage. Fünf Tage vergingen, in denen Lumen das Bett nicht verließ. Auf Anordnung der Ärzte und weil sie selber keinen Wunsch verspürte, aufzustehen. Jeden Tag kamen die Ärzte, um zusehen, wie es der Prinzessin ginge. Und immer wieder sagte sie ihnen, dass es ihr gut ginge.

In dieser Zeit kamen Cor und Fortitudo oft zu ihr und unterhielten sich mit ihr. Um über das Wetter, über die Männer, die versucht hatten, Fortitudo den Hof zumachen und dabei kläglich scheiterten und dass Cor im siebten Himmel schwebte, wie nie zuvor, seit der Hochzeit mit ihrem geliebten Hauptmann. „Mich würde es nicht wundern, wenn wir bald schon Tanten werden!“, bemerkte Fortitudo mit einem Kichern und Cor errötete. „Naja, wir…wir wollen uns Zeit lassen!“, sagte sie. Lumen musste dabei etwas lächeln. Doch dann wich das Lächeln und sie schaute wieder aus dem Fenster. Sah den Sonnenschein und hörte die Vögel zwitschern. Doch so froh sie auch sein sollte, wieder dazusein, fragte sie sich, was mit dem Magier war. Wusste er denn, dass sie noch lebte?

Oder hatte er sich damit abgefunden, dass sie tot war und sie schon längst vergessen?

Lumen weigerte sich, das zudenken oder gar zu glauben. Tenebrae würde sie niemals vergessen. Er liebte sie und sie liebte ihn. Wie gern wäre sie jetzt bei ihm und könnte ihm zeigen, dass sie wohlauf war. Dass ihr Körper nicht kalt und leblos war.

Dass ihr Herz noch schlug.

„Tenebrae!“, dachte sie sehnsüchtig und schloss die Augen.

„Lumen!“, hörte sie jemanden sagen und erst dachte sie, es sei ihr Geliebter, doch dann erkannte sie, dass es ihre Schwester Cor war, die sie angesprochen hatte. Sie öffnete die Augen und sah sie an. „Was hast du gesagt?“, fragte sie und Cor hob verwirrt die Brauen. „Ich habe nichts gesagt!“

„Ach, dann…dann habe ich mir das nur eingebildet!“, sagte sie und sah wieder hinaus. „Wo ist eigentlich Vater. In der ganzen Zeit habe ich ihn nicht gesehen?“

„Vater ist mit einigen seiner Minister auf Reisen gegangen. Es ging um die Verhandlungen mit den Nachbarreichen. Wegen Vorräte für den Winter, Soldaten, die gebraucht werden und so weiter!“, erklärte Fortitiduo und machte eine drehende Handbewegung. Lumen nickte. Sie kannte diese Reisen und wie lange sie dauerten. Es würden gute mehrere Wochen vergehen, ehe er wieder kam. Kurz erlaubte sie sich ein erleichtertes Lächeln. Genug Zeit um sich auf das Treffen mit ihm und mit den neuen Erkenntnissen vorzubereiten.

„Lumen, ist alles in Ordnung mit dir?!“, fragte Cor, der das seltsame, abwesende Verhalten ihrer Schwester Sorgen machte. „Ja. Ja, natürlich.Warum sollte nichts in Ordnung sein?“

„Naja, seit mein Mann dich wiedergebracht hat und du wieder zu dir gekommen bist, bist du so seltsam!“, erklärte Cor.

Fortitudo sagte nichts, aber ihre Blicke sprachen Bände und dass es stimmte, was Cor sagte. Auch sie machte sich Sorgen um Lumen.

„Ich…ich…es belastet mich immernoch sehr!“, sagte sie dann. „Zum Glück haben die Ärzte dich noch rechtzeitig retten können!“, meinte Fortitudo und sie lächelte. Dann aber schwand das Lächeln. „Wie das überhaupt passiert?“

Lumen schluckte. Wie sehr sie sich vor dieser Frage gefürchtet hatte. Wenn sie ihren Schwestern sagte, dass sie das Gift aus purer Verzweiflung genommen hatte, weil der Magier sie in ein Verließ geworfen hatte, würden sie wieder dieses falsche Bild von ihm haben. Und es reichte schon, wenn ihr Vater gegen ihn war und sie von ihm fernhalten wollte. Als sie an ihren Vater dachte, wurde ihr anders zumute. Bisher hatte er sie nicht besucht und sie fürchtete sich davor, wenn er irgendwann vor ihrer Tür stand und hineinkommen wollte.

Sie fragte sich, ob sie es ertragen könnte, mit ihm zusprechen. Ihn anzusehen. Jetzt wo sie wusste, was ihr Vater getan hatte, würde es ihr schwerfallen, in ihm dem Mann zusehen, dern sie von Kleinauf kannte. Ihren Vater, der gütig und gerecht war.

„Ich weiss es auch nicht!“, log sie schnell. „Ich weiss nur, wie ich durch das Schloss lief und mich dann plötzlich etwas niederschlug. Ich wurde wohl dabei ohnmächtig!“

„Aber du…du hattest so gut wie keinen Puls. Du sahst mehr tot als lebendig aus!“, wiedersprach Fortitiudo. Lumen sagte darauf erstmal nichts. Sie konnte sich vorstellen, dass Fortitudo misstraurisch wurde und ihr diese Lügengeschichte nicht glaubte. „Nunja…!“, gab Lumen nur von sich. Sie hatte ganz vergessen, dass sie Fortitudo nichts davon gesagt hatte, dass sie ihn liebe. Und auch nicht ihrem Vater. Nur Cor, weil sie wusste, dass sie es als einzige verstehen würde.

„Raus mit der Sprache. Was ist da passiert?“, bohrte nun Fortitudo und beugte sich zu ihr hinüber. Lumen schluckte. Sowie ihre Schwester das sagte, klang das wie, als würde sie keine Ruhe geben, ehe sie die Wahrheit erfahren hatte. Und sie würde dabei sogar vermutlich zu drastischen Mitteln greifen. „Nun!“, sagte sie und rückte etwas näher. Lumen fühlte sich, als würde sie verhört werden und kroch etwas zurück. „Ich ähm…!“, begann sie und suchte nach dem richtigen Worten. „Fortitudo, hör doch auf. Du siehst doch, dass ihr das unangenehm ist!“, mischte sich Cor nun ein und rettete sie damit. Fortitudo wollte schon etwas sagen, doch Cor schüttelte den Kopf. Für heute war es mit den Fragen genug.
 

Nach einiger Zeit erlaubten die Ärzte ihr, das Bett schließlich zuverlassen und Lumen war froh darüber. Diese ewige Bettruhe und ihr Gemach hatten sie malzumal eingeengt und ihr die Luft zum atmen genommen. Sie wollte raus und das erste wohin sie wollte, war der Garten. Unter einem Baum sitzend genoss sie die warmen Sonnenstrahlen und lauschte dem Gesang der Vögel, die sich in den Wipfel der Obstbäume ihre Nester gebaut hatten. Der Wind streifte durch die Blätter. Ließ sie tanzen und wehte ihr den Duft der Blumen zu ihr hinüber. Wie wunderbar sie dufteten. Doch im Gegensatz zu denen, des Magiers, rochen sie nicht annähernd so gut und kaum dachte sie an die außergeöhnlichen Rosen, schon hatte sie wieder an den Magier denken müssen. Wie sehr sie sich wünschte seine Stimme zu hören und ihn zusehen. Ihre Finger strichen über den Anhänger. Er fühlte sich warm an und das Metall schien in einem stetigen Rhythmus zu pulsieren. Als würde er selbst Leben in sich tragen. Lumen schaute auf diesen hinunter und sah, wie das Licht, welches im Anhänger gefangen war, flackerte. Sich dem Pulsieren anpasste und den Eindruck immer mehr verstärkte, als würde wirklich Leben in dieser Kette sein. Dabei musste sie an den Magier denken, der ihr einst erklärt hatte, dass die Kette einen Teil seiner Macht in sich trug, um sie zu beschützen. Bedeutete das Flackern und Pulsieren dann auch, dass etwas von seinem Herzen darin war?

Lumen schluckte und versuchte den Knoten in ihrem Hals loszuwerden, als sie darüber nachdachte, dass wie womöglich sein Herz um den Hals trug. Sie wusste nicht, ob sie das freuen oder ängstigen sollte.

Wenn sie wirklich sein Herz hatte und hier war, was würde dann aus ihm werden?

Würde er sterben?

Lumen wagte es nicht, weiterdarüber nachzudenken und versuchte den Gedanken beseite zu schieben. Ihn zu verdrängen. Doch er kehrte immer wieder zurück und legte sich wie ein kaltes Leichentuch um sie. „Tenebrae. Du darfst nicht sterben!“, dachte sie und umschloss den Anhänger fester.
 

Die Angst um den Magier ließ sie nicht los. Selbst abends, als sie sich zum Schlafen legen wollte. Immer wieder, sobald sie einschlief, schreckte sie auf und schaute sich um. Manchmal hatte sie das Gefühl, dass jemand sie rief oder dass sie ihr Zimmer, wie ein Geist durch die Wände verließ und davon schwebte. Durch die Dunkelheit der Nacht. Über die Felder und Täler, bis sie unter sich die scharfen Zacken der Berge sah und in der Ferne das Schloss. Mit wachsener Freude wieder bei Tenebrae zusein, schwebte sie schneller, bis sie auch durch die Mauern des Schlosses glitt. Ohne auch nur ein Geräusch zu verursachen.

Auf der Suche nach ihrem Geliebten schwebte sie durch sämtliche Räume, rief nach ihm. Doch es kam keine Antwort.

Als sie ihn endlich fand, war sie froh ihn zusehen und kaum das ihre Füsse den Boden wieder berührten, eilte sie zu ihm, um ihn zu umamrnen. Ihm zusagen, dass sie wieder bei ihm sei und auch bleiben würde. Aber dann fuhr ihr der Schreck in die Glieder, als sie näher herantrat. Tenebrae hatte die Augen geschlossen und schien nicht bei Bewusstsein zu sein. Nichtmal zu atmen. Sein Körper war in sich gesunken. Sein Kopf ruhte auf seiner Brust. Lumen ging zu ihm und berührte ihn an der Schulter. Flüsterte seinen Namen, doch er reagierte nicht. Lumen fürchtete schon, dass es zuspät war. Zärtlich über seine Wange streichend und darum flehend, er möge doch die Augen öffnen, setzte sie sich vor ihm auf den Boden. „Tenebrae, mach doch bitte die Augen auf!“, flüsterte sie mit tränenerstrickter Stimme. Und sie wollte schon die Hoffnung aufgeben, als dann doch der Magier die Augen öffnete und sie ansah. Lumen wollte schon ihrer Erleichterung kundtun, doch dann sah sie, welche Farbe seine Augen angenommen haben. Sie waren nicht mehr eisblau, sondern pechschwarz. Und etwas Dunkles, Bedrohliches lag in diesen Augen. Lumen spürte, wie sie kalte Angst packte und sie zurückweichen ließ. Was war mit ihrem Liebsten passiert?

Jetzt wo sie seine Augen gesehen hatte, bemerkte sie auch seine Hände. Sie waren schwarz. Wie es seine Augen waren. Und seine Finger endeten in scharfen Klauen. Wie bei den Schatten, die ihr nach dem Leben trachteten. Lumens Herz raste in ihrer Brust und die Angst wurde immer größer. „Tenebrae?“, fragte sie und hoffte, dass das Schwarz, das Bedrohliche, in seinen Augen verschwinden würde. Doch es blieb und der Magier sah sie auf eine Art an, wie es ein Wolf tat, der sich seine Beute besah, bevor er sie sich holte. Lumen wich weiter zurück und stand dann auf. Wollte fortlaufen. Woher die Angst vor ihm plötzlich kam, verstand sie nicht. Doch womöglich liegt das an seinen Augen, die denen eines Tieres glich und kaum dass sie seinen Namen gesagt hatte, hörte sie ein Knurren aus seiner Kehle.

Dann erwachte sie und zitterte am ganzen Leib.

Das wiederholte sich immer wieder, bis die Sonne aufging.

So war es auch nicht verwunderlich, dass Lumen kaum aus dem Bett kam und wenn, dann dunkelvoilette Ringe unter den Augen hatte.

Ihren Schwestern entging das nicht. Besonders nicht Cor, die schon immer ein wachsames Augen dafür hatte, wenn jemand Kummer hatte. Eines Tages, als die beiden im kleinen Salon beisamen saßen und Tee tranken, sprach sie ihre Schwester an. „Lumen, magst du mir nicht sagen, was mit dir ist?“, bat sie sie, als sie ihr eine Tasse Tee warmen Kamlilientee eingoss. Lumen, die ganz in ihren Gedanken, in ihren Sorgen um den Magier, versunken war, verstand sie erst nicht, doch dann drang die Frage Cors in ihr Bewusstsein und sie bemühte sich ein fragendes Gesicht zumachen. „Was meinst du?“, fragte sie und nippte an ihrer Tasse. Der Tee nahm etwas von ihrer Anspannung und ließ sie ein wenig ruhiger werden. „Dass mit dir etwas nicht stimmt. Seit du hier bei uns bist!“, sprach sie ihre Sorge direkt aus und Lumen hörte deutlich ihre älteste Schwester. Wie sie darauf drängte, zu erfahren, was ihr im Schloss des Magier wiederfahren war. Lumen senkte augenblicklich den Blick, konnte ihre Schwester nun nicht ansehen. Das konnte sie nie, wenn sie bei etwas erwischt wurde und versuchte zulügen. Se nahm noch einen Schluck Tee. Und mit einemal schien ihr der Tee nicht mehr zu schmecken. Statt der gewohnten milden Note, schmeckte er nun bitter, wie Bier und sie verzog für einen kurzen Moment das Gesicht. „Ich…ich möchte nicht darüber reden!“, sprach sie leise und stellte die Tasse auf den Untereller. Dabei zitterte ihre Hand, sodass die Tasse klimperte. „Noch nicht!“

„Wenn Vater kommt, wirst du es müssen!“, gab ihr Cor plötzlich bedenken und bei der bloßen Erwähnung ihres Vaters krampfte sich alles in ihr zusammen. Sie hatte Recht. Wenn ihr Vater von seiner Reise zurückkam und sie ihm gegenüber steht, würde er von ihr verlangen, zu erzählen, was geschehen war. Cor hatte es nicht böse gemeint. Wollte sie damit nicht unter Druck setzen, sondern ihr klarmachen, dass es besser wäre, wenn sie es ihr als erste erzählte. Denn so konnte Cor, den Schaden, der dabei entstehen würde, etwas abmildern. Und Lumen wusste das.

Daher beschloss sie, ihre Schwester einzuweihen, da sie die einzige sein würde, die sie danach in Ruhe lassen würde. Und ihr somit Zeit gab. Tief holte sie Luft und begann zu erzählen.
 

Als es Abend war, stand Cor noch lange an dem Fenster ihres Schlafgemachs und schaute in die Nacht hinaus. Die Geschichte, die ihr Lumen erzählte, war furchteinflössend gewesen und wenn sie es nicht besser wüsste, hätte sie den Magier dafür verflucht, dass er zugelassen hatte, dass ihr sowas zustiess. Nach den Schilderungen ihres Vaters und Fortitudo war er ein grausamer Mann, der sich der schwarzen Magie bediente und vor dem man sich in Acht nehmen sollte. Auch ihr Mann hatte am eigenen Leib erfahren müssen, dass mit dem Magier nicht zuspassen war und er keine Skrupel hatte. Aber wenn dem so gewesen wäre, hätte er ihn getötet und nicht nur einfach verletzt. Und auch Lumens vorherige Berichte irritierten sie und ließen zum Schluss den Verdacht aufkommen, dass der Magier Tenebrae ein menschliches Wesen war, das fühlen konnte. Und noch etwas gab es, was sie in diesem bestärkte. Sie ging zu ihrem Schminktisch, öffnete die kleine Schatulle, in der ihr Schmuck lag und holte einen Ring hervor. Hätte man dnicht gewusst, für was er stand, hätte man ihn für ein gewöhnliches Schmuckstück gehalten. Doch dieser Ring hatte eine Bedeutung. Eine sehr wichtige. Einst hatte ihre Mutter ihn ihrer jüngsten Schwester gegeben. Mit den Worten: „Schenke diesen Ring nur demjenigen, den du liebst!“

Und diesen Ring hatte Lumen dem Magier gegeben. Als Zeichen ihrer Liebe.

Dass dies auch ein Irrglaube sein kann, kam nicht in Frage. Sie hatte ja gesehen, wie Lumen versucht hatte, den Magier in Schutz zunehmen und sich freute ihn bald wiederzusehen. Sie hatte ihr ja gesagt, dass sie ihn liebe und dass er ihre Liebe erwiederte.

Jedoch machte es sie stutzig, dass der Magier den Ring ihr, Cor, gegeben hatte. Als er die bewusstlose Lumen zurückgebracht hatte. Cor hatte es, jetzt wo sie darüber nachdachte, wieder deutlich vor sich.

König Sapientia, Hauptmann Fidus, der sich von dem Angriff einigermassen erholt hatte und seine Frau und ihre Schwester saßen im Versammlungsraum, der für das Schmieden von Strategien im Krieg, benutzt wurde und berieten sich. Gerade hatte Fidus ihm erzählt, was sich in den Bergen, im Reich des Magiers abgespielt hatte und der König machte ein betroffenes Gesicht. „So, gibt es keine Chance, Lumen zu befreien?“, fragte er und der Hauptmann schüttelte den Kopf. „Nein, ich bedaure, dass es so ist!“

„Ihr habt selbst gesehen, wie vielese wir vor dem Aufbruch waren und wenige wir waren, als wir zurückkamen!“

„Aber wir müssen Lumen wiederzurückholen. Wer weiss, was er mir ihr anstellt. So wütend wie er war!“, rief Fortitiudo, die die Lehnen ihres Stuhls umklammerte und dass so fest, sodass ihre Knöchel weiss hervorstachen. Deutlich war der ältesten Prinzessin anzusehen, dass ihre Sorge um Lumen kaum noch mit denen der anderen zuvergleichen war. Sie machte sich, wie ihr Vater zuvor schlimme Vorwürfe. Warum hatte sie nicht besser aufgepasst und ist ihrer Schwester zuhilfe gekommen, als sie von dem Magier geraubt wurde. Sie hätte sich mit einem Schwert bewaffnen und sich ihm in den Weg stellen sollen. Hätte gegen ihn kämpfen sollen. Doch was nützte es jetzt, sich deswegen selber zumartern, wenn die Schwester, bei dem Magier, um ihr Leben bangte. Sie mussten etwas tun!

König Sapientia hob beruhigend die Hand. „Ich verstehe deine Angst, Fortitudo. Und ich mache mir ebenso Sorgen. Doch wenn wir wieder Männer loschicken, werden sie sicherlich auch sterben und ich möchte nicht schuld an den Tod solch vieler Unschuldiger sein!“, sagte er und seine Stimme brach. „Ich habe schon deine Schwester ins Unglück gestürzt, wegen meiner eigenen Feigheit!“

Cor sagte als einzige nichts. Sie schaute nur stumm vor sich hin. Sie machte sich ebenso Sorgen um Lumen und ihre Angst war ebenso groß, wie der anderen. Doch sie hatte Zweifel, dass Lumen gerettet werden wollte. Wenn sie wüsste, wie viele Männer bereits den Tod gefunden hatten, würde sie den Magier schon allein aus diesem Grund nicht verlassen wollen. Mochte er ihr auch schlimmes angetan haben oder nicht. Sie wollte nicht, dass umsonst Menschen für sie ihr Leben ließen.

Fortitudo fiel auf, dass Cor nichts sagte und sie fühlte Wut in sich hochkommen. Wie konnte ihre Schwester nur still dasitzen und nichts zu der Beratung beitragen. Wollte sie sie nicht wieder zurückhaben?

„Cor, warum sagts du nichts?“, herrschte sie sie an. „Wir alle müssen uns jetzt was einfallen lassen, wie wir Lumen befreien können!“

„Ich weiss. Nur ich glaube kaum, dass wir es schaffen würden!“, sagte Cor kleinlaut, und biss sich im nächsten Moment auf die Zunge. Sie konnte sich gut vorstellen, wie sich das in den Ohren der anderen anhören würde. Um voreilige Schlüsse erst gar nicht aufkommen zulassen, sprach sie schnell weiter. „Selbst wenn es uns gelingen würde, sie zu befreien was dann. Ich habe selber gesehen, dass sie wirklich etwas für den Magier empfindet und dass sie sich nach ihm sehnt. Auf der Hochzeit und auf dem Ball, war dies deutlich zusehen. Du hast es doch auch gesehen, Fortiudo. Wie kannst du also glauben, dass sie wirklich weg von ihm will. Ich weiss, dass das falsch klingt und dass ich dabei anhöre, wie eine Närrin. Aber ich sage nur die Wahrheit!“

Daraufhin sagte Fortitudo erstmal nichts. Cor hatte Recht. Sie hatte es ebenso gesehen, aber es nicht wahrhaben wollen. Es als einen bösen Zauber gesehen, den der Magier über sie gelegt hatte, um ihr seinen Willen aufzuzwingen. Nun aber, war sie sich nicht mehr so sicher. „Was wenn er und sie wirklich!“, begann sie sich zufragen. „Egal, was Ihr auch für ein Bild von ihm habt, Schwester und Vater. Ich glaube, dass Ihr Euch darin täuscht!“, waren ihre letzten Worte und stand auf. Wollte die Runde verlassen. „Cor, das kann nicht dein Ernst sein!“, platzte es aus dem König und seine Augen sprachen förmlich Bände des Unglaubens.

Hatte dieser Teufel nun auch noch seine zweite Tochter verhext?

Cor blieb stehen und drehte sich wieder herum. Sah ihren Vater bitternst an. Sie musste ihm seine Augen öffnen. „Doch, das ist mein Ernst, Vater. Lumen liebt Tenebrae. Und dasselbe fühlt er auch für sie!“, sagte Cor. Je mehr er ihren Worten lauschte, desto mehr glaubte er, dass Cor nun auch unter den Eifnluss des Magiers geraten war. Zwar wusste er nicht wie, aber er fest davon überzeugt.

„Cor, höre dich doch selbst mal reden. Du nimmst diesen Unhold in Schutz, obwohl er uns deine Schwester wegnahm. Und ihr womöglich Schlimmes antut, redest du über ihn, als sei er gut!“

„Er ist gut!“

„Cor, du…!“, wollte der König noch sagen, doch weiter kam er nicht, als ein heftiger Windstoss die Türe aufstiess und sich für einige Minuten Dunkelheit den Raum erfüllte.

Alle Anwesenden schrien entsetzt auf und verstanden nicht, was das zubedeuten hatte. Doch als die Fackeln an den Wänden wieder brannten und die Dunkelheit vertrieben, stand der Magier vor ihnen. Auf seinen Armen die Prinzessin. Ohne Bewusstsein. „Lumen!“, schrie der König außer sich und eilte auf ihn zu. „Was hast du mit meinem Kind gemacht?“

Wütend und fassungslos entriss er dem Magier die Bewusstlose und sah Tenebrae voller Hass an. Er hatte sich schon gedacht, dass Lumen durch die Hände des Magiers zu Schaden kommen würde. Doch nun zusehen, dass sein Kind womöglich nicht mehr atmetete, versetzte ihn in blanke Panik. „Ich habe sie gerettet!“, sagte Tenebrae nur, der sich davon nicht beeindrucken ließ. Dass der König ihm grollte, war ihm bewusst gewesen. Er konnte sich gut denken, dass ihm gleich den Hauptmann auf den Hals hetzten würde, um ihn für sein Vergehen zubestrafen. Kurz schaute er zum Hauptmann und sah sogleich, dass die Hand am Griff seines Schwertes lag. Senkte sich jedoch wieder. Zeigte ihm, dass er nicht vorhatte, ihm zu nahe zu kommen. Ein schwaches Lächeln stahl sich von seinem Lippen. Kluger Mann, dachte er. Dann wandte er sich wieder an den König.

„Warum, spielt auch keine Rolle. Ich will sie jegendlich wieder zurück bringen. Ich habe erkannt, dass Eure Tochter ebenso verschlagen und verlogen ist, wie Ihr es seid, König Sapientia!“, sprach der Magier und alle, der König, seine Töchter und der Hauptmann schnappten hörbar nach Luft.

Der König und Fortitudo, weil sie solch eine Anschuldung nicht glauben konnten und über alle Maße empört waren. Und Cor ebenso. Aber auch, weil sie es ihm nicht glaubte. Lumen würde ihn niemals hintergehen. Dass hatte sie deutlich in ihren Augen gesehen, als sie von ihrer Liebe für den Magier erzählte. Nein, etwas anderes musste dahinter stecken.

„Was erlaubt Ihr Euch?“, keifte der König außer sich über solch eine Unverschämtheit und machte einen drohenden Schritt nachvorne. Dass er immernoch die bewusstlose Lumen in den Armen hielt, schien er vergessen zuhaben.

„Erst bedroht Ihr michm, raubt mir mein Kind und bringt mir nun eine leblose Hülle. Und dann wagt Ihr es noch mich und sie als verlogen zubeschimpfen!“, polterte der König und sein Gesicht wurde rot.

„Ich sage nur die Wahrheit. Und dass sie eine leblose Hülle ist, stimmt nicht. Wie ich bereits sagte: Ich habe sie gerettet. Sie lebt. Obwohl ich sie eigentlich für ihren Verrat hätte sterben lassen sollen!“

Cor wurde es eiskalt bei diesen Worten, während bei dem König und der ältesten nur blanker Zorn hochkam. „Ihr seid ein Ungeheuer!“, schrie Fortitudo außer sich. Tenebrae hob dabei die Brauen. „Bin ich das? Oder haltet Ihr mich nur für solches, um Euch in ein anderes, besseres Licht zurücken?“, hakte er nach und sah deutlich das Entsetzen in den Augen des Königs. Hatte er ihn endlich wiedererkannt. Oder überraschte es ihn nur, dass ein vermeintlich außenstehender, wusste, was er getan hatte?

Tenebrae konnte und wollte nicht weiter daraufherumreiten. Er hatte die Prinzessin zurückgebracht und damit hatte es sich.

„Seht es so wie Ihr wollt. Ich habe getan, was ich tun wollte. Und jetzt werde ich Euch verlassen. Gehabt Euch wohl, König Sapientia!“, sagte er und legte all sein Hohn und seine Verachtung hinein. Dann drehte er sich um und wollte gehen. Da erklang die Stimme des Königs. „Hauptmann. Tötet ihn!“

Es war reine Wut und Verzweiflung, die den König dazu getrieben hatte, diesen Befehl auszusprechen und er wusste auch, dass er ihn in den sicheren Tod schickte. Doch was anderes blieb ihm nicht. Sein Hass und sein Entsetzen über die Gleichgültigkeit des Magiers brachten ihn dazu und ließen alle Vernunft vergessen.

Hautpmann Fidus sah nun etwas verunsichert drein. Er hatte nicht vergessen, dass er tief in der Schuld des Magiers stand und dies nun mit gleichem gutmachen konnte. Dennoch behagte es ihm nicht, dass er sich gegen den Befehl des Königs wiedersetzte. Er tauschte einen besorgten Blick mit Cor. Seine Frau schüttelte kaum sehbar den Kopf. Fidus verstand, nickte und überhörte den Befehl des Königs. Königs Sapientia, sichtlich verwirrt, über die plötzliche Befehlsverweigerung seines Schwiegersohnes, wiederholte den Befehl, weil er glaubte, der Hauptmann hätte es nicht richtig verstanden. Als sich der Hauptmann immernoch nicht rührte, wurde er nun auch auf ihn wütend. „Wollt Ihr wohl gehorschen, Hauptmann. Auch wenn Ihr der Mann meiner Tochter seid, seid Ihr auch mein Hauptmann und müsst meinen Befehlen gehorschen!“, rief er ihm ins Gewissen. Da mischte sich Cor ein. Sie ergriff die Hand ihres Mannes, der unter der Drohung des Königs ein wenig zusammen schrumpfte. „Vater, lass es. Es ist gut!“, rief sie und hob beschwichtigend die Hand. König Sapientia glaubte seinen Ohren nicht zutrauen. Was sagte da seine mittlere Tochter?

Hatte sie sich nun gegen ihn gestellt?

„Cor, was ist in dich gefahren?“, fragte er.

Doch Cor ließ sich von dem Entsetzen ihres Vaters nicht zurückschrecken. Dass er außer sich war, weil Lumen nicht bei Bewusstsein war, kann sie verstehen. Aber dass er nun den Hauptmann dem Magier auf den Hals hetzte, ihm den Befehl gab, ihn zu töten, und ihn damit sicherlich selbst ins offene Messer laufen ließ, ging zuweit. Selbst ihr Vater musste einsehen, dass es nicht so weiterging.

„Dassselbe könnte ich dich fragen. Was willst du noch? Er hat sie zurückgebracht, hat sie vor dem Tod gerettet. Das sagte er selber und ich glaube ihm. Also lass ihn gehen!“, erwiederte sie und ihre älteste Schwester schaute sie nun ebenso an, als habe sie ihren Verstand verloren. „Cor, weißt du, was du da sagst?“, fragte sie sie. Cor jedoch antwortete nicht sofort, sondern sah zum Magier. Dieser schaute sie nur stumm an und für die anderen wirkte es so, als würde es ihn nicht kümmern, dass man ihm dankbar war, doch Cor sah deutlich in seinen Augen, dass er froh war, dass immerin sie ihm glaubte und wohl die einzige war, die die erhitzten Gemüter beruhigen konnte.

„Das weiss ich!“, endete sie und sah dann wieder zu ihrem Vater. „Vater, lasst den Magier gehen!“

Diesesmal legte sie alle Nachdrücklichkeit in ihre Worte und auch wenn sie ihren Vater dabei flehend ansah, war auch bitterer Ernst darin zusehen. Sollte er nicht zur Vernunft kommen und nochmal dem Hauptmann befehlen, den Magier anzugreifen, würde sie ihm das niemals verzeihen. König Sapientia schaute daraufhin seine Tochter lange schweigend an und haderte mit sich. Sollte er auf die Worte seiner Tochter wirklich hören und den Magier gehen lassen?

Er zweifelte wirklich daran, dass es seine Tochter Cor war, die ihn darum bat. Nie und nimmer hätte sie Partei für jemanden, wie den Magier ergriffen. Aber er brauchte nur in ihre Augen sehen, um zuwissen, dass es wirklich seine Tochter war. Hauptmann Fidus mischte sich nun ein. „Eure Majestät, hört auf sie. Der Magier hätte die Prinzessin sicherlich nicht gerettet, wenn er wirklich so ist, wie Ihr glaubt!“, sagte er und musste dabei daran denken, wie der Magier ihn nur verletzt hatte, um ihn zu entlasten. Das verschwieg er jedoch. König Sapientia warf seinem Hauptmann kurz einen grimmigen Blick zu. Er hatte kein Recht, das zusagen, nachdem er den Befehl verweigert hatte. Ließ ihn das aber diesesmal durchgehen. „Na schön. Für heute will ich gnädig sein. Doch sollte ich Euch nocheinmal in meinem Schloss, in der Nähe meiner Tochter erwischen, gnade Euch Gott!“, drohte der König ihm und der Magier musste ein höhniches Lächeln unterdrücken. Gnädig. Das kam einer Beleidigung gleich. Ihr seid nicht gnädig. Sondern verlogen und ein Mann, der sich gern fromm wie ein Lamm stellt. Dabei aber Dreck am stecken habt.

Zugerne hätte er diese Worte dem König entgegen geschleudert. Ihm gezeigt, wer er wirklich war und was er von ihm hielt. Doch jetzt wo der König besänftigt war und ihn gehen lassen wollte, wollte er es sich nicht damit verderben.

Tenebrae sagte deswegen nichts, sondenr drehte sich um und ging. Löste sich nicht in Dunkelheit auf, sondern ging einfach, wie es ein normaler Mensch tat. Als er aus dem Blickfeld verschwunden war, rief der König nach den Wachen, die sofort kamen und er gab ihnen den Befehl, die ohnmächtige Lumen in ihr Gemach zu bringen. Fortitudo folgte ihnen. Der König sagte etwas zum Hauptmann, dass wie eine erste und letzte Mahung klang, ehe auch er ging und Hauptmann Fidus wischte sich nervös Schweiß von der Stirn. Dann ging er zu Cor. Sie aber reagierte nicht. Sondern blieb einige Minuten stehen, dann rannte sie los. Dem Magier hinterher.

Tenebrae war gerade im Garten angekommen und als er die Schritte der Prinzessin hinter sich gehört hatte, drehte er sich um und wartete auf sie. Er hatte damit gerechnet, dass sie ihm nachlief. Es sogar gehofft. Denn es gab da noch etwas, was er ihr, und nur ihr, geben konnte.

„Tenebrae, wartet!“, rief sie, auch wenn es dazu keine Aufforderung bedarfte. Als Cor vor ihm stand, sah sie ihn mit zweifelnden Blicken an. Sie verstand nicht, warum er sich so gleichgültig stellte. Dabei sah es in ihm doch ganz anders aus. Wieso gab er es nicht zuerkennen und wollte weiterhin als der grausame Magier angesehen werden.

„Warum das ganze Theater? Warum sagt Ihr nicht, warum Ihr sie wirklich zurückbringt?“, fragte sie ihn. Wie er es sich gedacht hatte, hatte sie ihn als einzige durchschaut und das ließ ihn lächeln. Doch nur für einen kurzen Moment. „Was spielt das für eine Rolle? Mir war es wichtig, dass sie in Sicherheit ist!“, sagte er und etwas wie Trauer lag in seiner, vorherigen so kalten Stimme. „Und jetzt wo ich sie nun zurückgebracht habe, werde ich in mein Reich zurückkehren!“

Doch statt zugehen, griff er dann in seinen Umhang und holte etwas kleines, rundes und goldschimmerndes hervor. Cor erkannte es sofort und schnappte nach Luft. Es war der Ring, der Lumen einst von ihrer Mutter gegeben wurde und den sie nun an ihn weitergereicht hatte. Es hatte sie schon etwas überrascht, auch wenn sie wusste, dass die beiden eine tiefe Liebe miteinander verband. Aber nun wo sie sich daran zurückerinnerte, war es für sie das verständlichste.

Nur, dass er ihr den Ring wiedergab, hatte sie verwirrt und tat es immernoch.

Mit gehobenen Brauen, streckte Cor die Hand aus und nahm den Ring in Empfang. „Warum…?“, fragte sie und sah ihn direkt an. Schien in seinen Augen nach etwas zusuchen. Doch Tenebrae schlug die Augen nieder, wollte nicht, dass sie es sah und sagte nur. „Es wäre besser, wenn sie mich vergisst!“, sagte er nur. „Bitte, erfüllt mir nur diesen einen Wunsch: Erzählt Ihr nicht, wie sie hierher gekommen ist und dass ich Euch den Ring gegeben habe. Es würde sie wieder zu mir treiben, und das will ich nicht!“

Cor blieb keine Zeit um etwas zusagen und sie wusste auch nicht, was. Denn der Magier schien festentschlossen zusein, Lumen nicht mehr bei sich haben zuwollen und auch wenn sie das nicht so recht verstand, nickte sie dennoch. Kaum hatte sie das getan, war der Magier auch schon verschwunden.

Cor seufzte und verwünschte sich, dass sie so leichtfertig ihr Wort gegeben hatte. Dabei lag ihr nichts mehr am Herzen als ihrer Schwester die Wahrheit zusagen. Weil sie sah, wie sehr sich Lumen mit der Frage quälte, warum er sie nicht bei sich haben wollte.

Die Prinzessin seufzte und schloss den Ring fest in ihre Faust. „Machst du dir immernoch Vorwürfe?“, fragte ihr Mann sie sanft und sie spürte, wie er von hinten seine Hände auf ihre Schulern legte und ihr sanft einen Kuss auf die Wange hauchte. Cor lächelte traurig und nickte. Ohne, dass sie etwas sagte, hatte er gewusst, was sie beschäftigte und lehnte den Kopf an seine Brust. „Sie hat es nicht verdient, angelogen zuwerden. Nicht nachdem was sie für den Magier empfindet und nun leiden muss!“

„Dann sag es ihr, wenn es dich so sehr bekümmert!“

„Und was dann?“

„Das wirst du nur sehen, wenn du es ihr sagst!“

Cor schloss dabei die Augen. Lange darüber nachzudenken, ob es richtig oder falsch war, brauchte sie nicht. Ihr Herz nahm ihr die Entscheidung ab. Auch wenn ihr dabei bewusst war, dass sie dabei war ihr Wort zubrechen. Sie musste es tun, um Lumens willen.
 

Jetzt wo Lumen ihrer Schwester reinen Wein eingeschenkt hatte, fühlte sie sich um einiges besser, doch wenn sie bedachte, dass sie ihrem Vater bald schon Rede und Antwort stehen musste, war sie nicht wirklich von der schweren Last befreit, die ihr Herz schwermachte und ihr keinen Schlaf vergönnte.

Mehr als einmal wälzte sie sich in Bett herum und versuchte einzuschlafen. Doch kaum, dass sie die Augen schloss, sah sie wieder den Magier vor sich, mit den schwarzen Augen und den Klauen, die einst mal seine Hände waren, um sie wieder hochschrecken zulassen. Irgendwann musste sie doch noch eingeschlafen sein, denn ein Geräusch ließ sie hochschrecken und einige Minuten lang konnte sie nicht sagen, ob sie immernoch träumte, oder wach war. Das Geräusch, welches erstmal nur gedämpft und weit weg zu sein schien, war nun deutlicher zuhören und Lumens Herz setzte einen kurzen Moment aus. Dieses Geräusch war in Wahrheit Musik gewesen. Violinenmusik und sie erkannte, wessen Musik es war. Tenebrae?!

Wie kam er hierher?

Und was machte er hier?

Doch diese und andere Fragen, die ihr dabei in den Sinn kamen, waren nebensächlich. Eine unbändige Freude ergriff sie und sie schwang die Beine aus dem Bett. Vegeudete keine Zeit damit, sich anzuziehen und lief so, in Nachthemd und Barfus aus ihrem Zimmer. Durch die langen Korridore, die sich mit einem Male in unendliche Längen zu ziehen scheinen. Als wollten sie verhindern, dass Lumen zu ihm ging und Lumen beschleunigte ihre Schritte, um endlich aus dem Schloss zu gehen. Zwar wusste sie nicht, woher genau die Musik kam, aber irgendwie schienen ihre Füsse den Weg zu kennen. Und so fanf sie sich schon sehr bald in dem Garten wieder. Irgendwie war es ironisch, dass sie hier nun stand und die Musik des Magiers hörte. Aber Lumen scherte sich nicht darum, sondern begann nach Tenebrae, der sich mit größter Wahrscheinlichkeit in den Schatten versteckte, zusuchen. Zuerst ging sie zu den Bäumen, hinter denen sich der Magier einst versteckt hatte, als er sie zum ersten Mal erblickt hatte, mit der leisen Hoffnung ihn dort sofort zufinden. Kaum das sie aber hinter die Bäume trat, wurde sie enttäuscht. Der Magier war nicht hier. Die Musik jedoch spielte weiter, als wäre er es und gab ihr neuen Mut, weiter nach ihm zusuchen. Sie suchte in den verborgensten Winkeln. Schaute trotzdem nach, um sicher zusein, dass sie sich nicht doch etwas übersehen hatte, an denselben Stellen nach. Doch der Magier blieb verschwunden. Nur die Musik war noch da und Lumen ließ sich, nachdem sie nach einer gefühlten Stunde erfolglos nach ihm gesucht hatte, auf den Rand des Springbrunnens nieder und stützte, mit einem schweren Seufzen, ihren Kopf auf den Händen. Irgendwo muss er doch sein, dachte sie und nun schien auch die Musik zu verstummen. Als wollte das Schicksal ihr zeigen, dass sie sich das alles nur eingebildet hatte. Wurde immer leiser, bis sie ganz verstummte und Lumen fühlte sich auf einmal verloren und kam sich ziemlich dumm vor.

Was wenn sie sich doch geirrt hatte und er nicht da war?

Wenn diese Musik wirklich nur ein Produkt ihrer Wünsche gewesen war, hatte sie sich in etwas verrannt, was sich als eine bittere Enttäuschung herausstellte. Und sie fühlte sich wie am Boden zerstört. Noch lange blieb sie auf dem Brunnen sitzen und machte sich selber Vorwürfe, dass sie so dumm war und geglaubt hatte, er wäre wirklich hier. Doch als sie aufstand, sah sie aus dem Augenwinkel etwas Rotes, Leuchtendes und verharte kurz. Als sie dann neben sich auf den Stein schaute, stockte ihre der Atem. Was sie dort liegen sah, war eine rote Rose. Eigentlich nichts Besonderes. In all der Dunkelheit aber leuchtete sie, als wäre das Sonnenlicht in ihr gefangen und als Lumen sie in die Hand nahm und an ihr roch, wusste sie, dass es eine der Rosen war, die der Magier ihr immer geschenkt hatte. Ihr Herz jubelte dabei und sie roch an ihr, als würde diese Rose die Luft haben, die sie dringend brauchte. Dann, mit beschwingten und glücklichen Schritten, ging sie zurück auf ihr Zimmer und schlief ein. Diesesmal ohne einen schrecklichen Traum zuhaben.
 

Die gehobene Stimmung, die sie seit der letzten Nacht hatte und die sie mit einem Lächeln auf den Lippen erwachen ließ, verging ihr allerdings schnell, als sie gleich nachdem Frühstück mit ihren Schwestern, die Nachricht erhielt, dass ihr Vater von seinen zurückgekehrt war und dass er, kaum dass man ihm gesagt hatte, seine verschwundene Tochter sei zurück, sie augenblicklich sprechen wollte. So würde nun die Konfrontation eintreffen, die sie zugerne vermieden hätte. Und als sie vor der großen Tür stand, die zum Thronsaal führte, rumorte es in ihrem Inneren. Ihr Magen fuhr Bergauf-und ab und ihre Füsse entwickelten ein Eigenleben. Wollten weglaufen und sie gleich mitzerren. Doch wenn sie jetzt weglaufen würde, würde der Vater natürlich misstraurisch werden und sie nie in Ruhe lassen. Vielleicht könnte sie ihm ja eine falsche Geschuchte erzählen, so wie sie es bei Fortitudo getan hatte. Auf keinen Fall, wollte sie ihm die Wahrheit sagen, da er ihr sowieso nicht glauben würde.

Daher raffte Lumen all ihren Mut zusammen und klopfte dreimal gegen die Tür. Als diese dann geöffnet wurde, trat sie ein. Neben ihrem Vater, waren auch einige der Stadtsminister, die natürlich große Augen machten, als sie die verschollene Prinzessin sahen. Doch wie überrascht und überglücklich war der König. Mit schnellen Schritten ging er zu ihr und schloss sie in seine Arme. Drückte sie so fest an sich, so dass sie beinahe keine Luft mehr bekam. „Lumen, ich dachte schon, ich würde dich niemals wieder sehen!“, sagte er und strich ihr über den Kopf. War den Tränen nahe, doch Lumen wiederstand der Versuchung sich aus der Umarmung ihres Vaters zubefreien. Kaum dass sie ihn sah, musste sie wieder daran denken, was der Magier gesagt hatte. Dass der König eigentlich ihn hinrichten wollte, weil er seine erwachende Macht fürchtete und seine Eltern nur sterben mussten, weil sie ihn schützen wollten. Zugerne hätte sie ihn darüber ausgefragt, doch sie fürchtete sich zusehr davor, dass er der Wahrheit sagen konnte. Doch wenn sie es sich so recht überlegte bezweifelte sie, dass er überhaupt etwas dazu sagen würde. Daher zog sie es vor zuschweigen.

„Lumen, tut mir leid, dass ich nicht bleiben konnte, bis du aufgewacht bist!“, hörte sie ihren Vater wie aus weiter Ferne sagen und sie schüttelte nur mit einem milden Lächeln den Kopf. „Schon gut, Vater. Es ist gut. Ich bin ja in guten Händen gewesen!“, sagte sie und versuchte ihre Hände ruhig zuhalten. Dabei hätte sie gerne was anderes gesagt. Es förmlich geschrien.

Warum hast du es nicht?

Warum hast du nicht die Geschäfte Geschäfte sein lassen und wärst an meinem Bett geblieben, wie es Fortitudo und Cor getan hatten?

Lumen biss sich auf die Unterlippe und versuchte die Vorwürfe nicht rauszulassen. Wobei sie eigentlich jeden guten Grund dazuhatte. Wenn ihr Vater sich wirklich so große Sorgen um sie gemacht hätte, wäre er geblieben. Solangsam fragte sich Lumen, ob seine Vaterliebe nicht doch nur gespielt war und ob er mit ihrem und dem Leben seiner beiden anderen Töchter leichtfertig spielte, als wären sie nicht von Bedeutung. Er würde nicht so handeln, wenn es anders wäre. Der Handel, den er damals mit dem Magier geschlossen hatte, war das beste Beispiel dafür. Aber was nützte es, sich darüber aufzuregen und wütend zuwerden. Sie war hier und sie lebte noch. Eigentlich sollte sie deswegen glücklich sein, doch der Gedanke, dass mit dem Magier womöglich etwas schlimmes passierte, ließ sie innerlich vor Angst erschauern. Der König deutete ihr Zittern falsch. Er dachte, es wäre eine Folge ihres Todesschlafes, aus dem sie erwacht war und umfasste sie an den Schultern. „Nein, Lumen. Nichts ist gut. Ich hätte das niemals tun sollen. Wenn ich gewusst hätte, was mit dir passieren würde, hätte ich…!“

Lumen konnte es nicht mehr hören und musste sich wirklich an sich halten, um nicht doch ihren Vater anzuschreien. „Hört bitte endlich damit auf, Vater!“, bat sie ihn inständig. Noch länger und sie wäre aus dem Thronsaal rausgerannt. König Sapientia nickte nur und lächelte dann wieder glücklich. „Du hast Recht. Du bist wieder unter den Lebenden und das allein ist wichtig!“, sagte er und umarmte sie wieder.

„Du kannst mir gleich alles erzählen, was passiert ist. Ich muss nur noch etwas klären!“, sagte er und Lumen war damit einverstanden. Auch wenn es sie wütend machte, dass er seine Pflichten als König über die als Vater stellte. Doch so konnte sie sich eine glaubwürdige Geschichte einfallen lassen. Daher verabschiedete sie sich erstmal von ihrem Vater und ging zurück zu ihrem Gemach. Dort, im Flur, wartete Cor auf sie. „Und wie ist es gelaufen?“, fragte sie sie. Lumen hob die Schultern. „Nunja, ich habe erstmal eine Gnadenfrist erhalten. Ich muss diese nun auch gut nutzen, um mir was einfallen zulassen!“

„Warum sagst du ihm nicht die Wahrheit?“

Lumen schüttelte den Kopf. „Nein, das würde er mir nie und nimmer glauben. Er würde denken, der Magier hätte mich mit einem Bann belegt. Er denkt sicherlich jetzt schon, dass er mich verhext hat!“, sagte sie. Cor nickte. Sie konnte sich gut in die Situation ihrer Schwester hineinversetzen. „Am besten gehen wir erstmal in dein Gemach. Hier haben selbst die Wände Ohren!“, sagte sie dann und Lumen und ihre Schwester gingen hinein.

Sie sprach noch lange und ziemlich ausführlich, über das was als nächstes kommen würde. Lumen schauderte bei der bloßen Erwähnung über das nahende Gespräch mit ihrem Vater. Am liebsten hätte sie ihm für den Rest ihres Lebens den Zutritt zu ihrem Zimmer verwehrt. Doch das war unmöglich. Selbst wenn es ihr gelänge ihrem Vater etwas vorzulügen. Er würde dahinter kommen und misstraurisch werden und dann würde sie sich nicht mehr vor ihm und seiner väterlichen Neugier verstecken können. Wäre es da nicht besser, das ganze gleich hinter sich zu bringen. Als es spät am Abend war, und der König nun endlich Zeit für seine jüngste hatte, setzte er sich mit ihr in den kleinen Salon, so wie sie es bei ihrer ersten Rückkehr getan hatten und der König war gespannt, was Lumen ihm zu berichten hatte.

„Und du kannst dich an nichts anderes mehr erinnern?“, hakte er nach und Lumen schüttelte den Kopf. Sie hatte sich gehütet, ihm die Wahrheit zu sagen. Dass der Magier sie in seinem blinden Zorn in ein tiefes Verließ geworfen und sie tage oder gar wochenlang dort unten gefangen hielt. Stattdessen hatte sie ihm das gleiche erzählt, was sie auch ihren schwester vorgelogen hatte. Dabei fügte sie noch hinzu, dass er sie in ihr Zimmer geschleppt und dir Tür hinter sich abgeschlossen hatte. Zugegeben, nicht die beste Ausrede um das ganze zuverharmlosen, aber besser als die Wahrheit zusagen. Durch die Hilfe eines Dieners, mit dem sie Freundschaft geschlossen hatte, war es ihr gelungen, aus dem Zimmer zu kommen und sie war gelaufen, bis sie, wie erwähnt den Schlag gegen den Kopf bekam. Doch ihr Vater schien ihr nicht so recht zuglauben. Seine Stirn legte sich in misstraurische Falten.

„Dieser Teufel!“, knurrte der König. „Zuerst hat er seine Schatten auf dich losgelassen, damit sie dich bewusstlos schlagen und dann hat er dich vergiftet!“

„Nein, das glaube ich nicht!“, kam es aus ihr heraus, noch ehe sie richtig nachdenken konnte und schreckte zusammen. Verflucht, soeben hatte sie sich selber verraten.

„Was macht dich da so sicher?“

Lumen biss sich nun auf die Unterlippe, schlug die Augen nieder und überlegte, wie sie sich aus dieser Situation herauswinden konnte. „Er…er mag zwar…abundzu furchteinflösend sein. Aber er ist auch gut. Er würde niemals seine Schatten auf mich hetzen, davon bin ich überzeugt. Ist es denn nicht dafür Beweis genug, dass ich noch lebe. Wenn er wirklich so ist, wie du denkst, warum lebe ich dann noch!“, sagte sie. Tenebrae würde sich eher selbst richten, als dass er mir etwas antut oder gar tötet, dachte sie und ihre Hände krallten sich in den Stoff ihres Kleides. „Ein Beweis ist das nicht. Du lebst noch, weil die Ärzte dich wieder zurückgeholt haben, nachdem der Hauptmann dich aus den Klauen dieses Monsters befreit hat. Und dass er gut sein soll? Ich bezweifle das. Nach all dem, was er getan hatte!“, hörte sie ihren Vater sagen. „Und was hast du getan?“, schrie es in ihr und sie musste sich beherrschen, um es nicht laut auszusprechen.

Stattdessen senkte sie noch tiefer den Kopf, sodass ihr Kinn die Kuhle in ihrem Hals berührte. Sie konnte und wollte ihm nicht in die Augen sehen. Diesem Mann, an dessen Händen Blut klebte und sich dennoch als Heiliger hinstellte. „Mich würde es nicht wundern, wenn er dich mit einem dunklen Bann belegt hat!“, sagte der König. „Die Kette, die du da um deinen Hals trägst, könnte zum Beispiel eine Art von solch einem Bann in sich tragen!“

Da ruckte ihr Kopf nun hoch und ihre Finger fuhren zu dem Anhänger. Schnell schlossen sich die Finger um diesen und verbargen ihn vor den Blicken ihres Vaters. „Ich möchte, dass du diese Kette ablegst und mir gibst. Ich werde sie von meinen Magiern vernichten lassen, auf das sein unheiliger Zauber von dir abfällt!“

„Nein, Vater. Das kannst du nicht von mir verlangen!“, rief Lumen entsetzt darüber, dass ihr Vater das letzte und einzige haben wollte, was sie an den Magier erinnerte. Auch wenn sie sich bewusst war, dass sie sich damit nun endgültig verriet. Doch dieses eine kleine Stück von Tenebrae dürfte er ihr nicht nehmen. König Sapientias Gesicht verfinsterte sich daraufhin. Der Verdacht, dass der Magier einen dunklen Zauber über sein Kind gelegt hatte, nahm immer mehr zu. Wurde hart wie Stein. Er stand auf und streckte verlangend die Hand aus. „Gib sie mir, Lumen!“, sagte er und hörte sich in ihren Ohren nicht wie der Mensch an, den sie zu kennen glaubte. Sondern ganz wie der König, der über sein Volk herrschte.

Lumen schüttelte den Kopf. Sie war bereit ihrem Vater die Stirn zu bieten, wenn es sein musste und sich seiner Forderung zu wiedersetzen. Etwas, was sie noch nie getan hatte. Aber von der Kette wollte sie sich noch weniger trennen, als von dem Respekt, den sie ihrem Vater stets entgegen gebracht hatte. „Lumen, ich sage es nicht nocheinmal. Gib. Mir. Die. Kette!“, sagte er und machte einen Schritt auf sie zu. Wenn es sein musste, würde er ihr die Kette sogar vom Hals reissen, wenn er damit sie von dem Einfluss des Magiers befreien konnte.

„Nein!“, flüsterte Lumen und ihre Hand, die die Kette umklammerte, zitterte. Nie hätte sie gedacht, dass sie sich vor ihrem Vater fürchten würde. Der König blinzelte paarmal, richtete sich dann in seiner vollen Größe auf. Blickte mit einer Mischung aus Sorge und grimmiger Enttäuschung über den Ungehorsam seiner Tochter zu ihr hinunter und holte tief Luft. Versuchte ruhig und beherrscht zu klingen. „Ich meine es nur gut!“, sagte er und seine Hand streckte sich weiter nachvorne. Lumen presste sich in den Stoff des Sofas auf dem sie saß. Sie glaubte ihm nicht. Sie glaubte ihm einfach nicht, dass er es wirklich so meinte, wie er es sagte. Immer wieder hielt sie sich vor Augen, dass er der Mörder zweier Unschuldiger war. Wie konnte sie ihm dabei noch Glauben schenken?

„Ich glaube dir nicht!“, kam es erstickt aus ihr und Tränen rannen ihr die Wangen hinunter. Noch bevor der König etwas sagen konnte, sprang sie auf und lief aus dem Salon. Hörte dabei nicht wie ihr Vater nach ihr rief. Sondern rannte einfach blind von Tränen und Kummer durch die Flure, bis sie ihr Zimmer erreichte und sperrte sich darin ein.
 

In den folgenden Tagen setzte Lumen keinen Fuss vor die Tür ihres Zimmers. Zu groß war die Angst, dass ihr Vater ihr über den Weg laufen und wieder von ihr verlangen würde, ihm die Kette zu übergeben. Da verhungerte sie lieber. Doch Cor und Fortitudo wollten, dass ihre kleine Schwester sich nicht einsperrte und vor, was weiss der liebe Herr, dahinsiechte. Also berschlossen sie, ihr das Essen, egal ob Frühstück, Mittag-oder Abendessen aufs Zimmer zu bringen und dabei ihre eigenen Speisen mit zunehmen, damit sie zusammen essen konnten. Irgendwie hatte es für sich, zudritt und allein miteinander zuessen. Es hatte etwas Verschworenes. Wie einst in ihren Kindertagen, als sie sich mit Bettbezügen ein Zeltaufbauten und nur im Kerzenlicht sich Geschichten über Geister und anderen Märchengestalten erzählten. Doch so unbekümmert und schön diese Momente waren, waren dennoch die Sorge und die Ratlosigkeit über das Verhalten der jüngsten präsent. Und so war es auch kein Wunder, dass Fortitudo irendwann wissen wollte, was eigentlich los war. „Warum sperrst du dich ein und lässt niemanden, außer mir und Cor in dein Zimmer?“, fragte sie und die fröhliche Stimmung war dahin. Cor, die natürlich ahnte, was Lumen bekümmerte, verbiss es sich, ihre ältere Schwester zusammenzufahren. In manchen Dingen konnte sie wirklich ein Trampel sein.

„Ich…ich möchte Vater einfach nicht sehen!“, erklärte Lumen und legte den Löffel nieder, mit dem sie vorher etwas von der würzigen Suppe gegessen hatte. Dann trat langes Schweigen ein und die beiden Schwestern sahen ihre jüngere mit besorgten und verwirrten Blicken an. „Ist es etwa doch, weil er dich damals verkauft hat?“, fragte Fortitudo und Cor war zuerst verblüfft, dass sie so etwas Ungeheuerliches ausgesprochen hatte. Sie konnte verstehen, dass sie zu Anfang wütend auf ihn war, da er sie so einem schrecklichen Schicksal überlassen hatte. Wer wäre das nicht. Auch sie hatte ihrem Vater zuerst gegrollt. Hatte mit ihm zwei Wochen nicht gesprochen. Doch Fortitudo war ihrem Vater treuergeben und hatte sich immer davor gehütet, ihm solche Schandtaten zubezichtigen. Aber nun schien sie wieder wütend auf ihn zusein. Lumen schüttelte den Kopf. „Nein, nicht deswegen!“, sagte sie leise. „Dann sag uns doch um Himmelswillen endlich, warum du dich hier einsperrst und du Vater nicht sehen willst. Wir wollen dir doch nur helfen!“, sagte Fortitudo und ihre Stimme war erfüllt von Ungeduld, aber auch von Sorge. Wie konnten sie ihr helfen, sie trösten und wieder aufbauen, wenn sie ihnen nichts sagte. Lumen kaute auf ihrer Unterlippe und blickte verstohlen zu Cor. Die einzige Mitwisserin. Bis jetzt hatte sie in ihr die einzige Person gesehen, der sie sich anvertrauen konnte. Doch nun mutte sie sich auch ihr offenbaren und so sehr sie auch fürchtete, dass Fortitudo dies alles als eine Lüge abtun würde, war sie auch erleichtert, es endlich loszuwerden. Dieses ganze Versteckspiel wurde wirklich zu einer Last, die sie nicht länger tragen konnte. Cor ahnte dies, konnte es wohl auch auf ihrem Gesicht sehen, denn sie nickte. Es war Zeit reinen Tisch zumachen.

Lumen holte daher tief Luft, fasste allen Mut zusammen und erzählte nun auch ihrer ältesten Schwester, was wirklich geschehen war.

„Hast du das gewusst?“, fragte Fortitudo aufgebracht Cor, nachdem Lumen geendet hatte und Cor senkte beschämt den Kopf. „Ja!“

„Und warum sagst du mir nichts. Ich dachte, wir können immer ehrlich zueinander seien!“, warf sie Cor vor und die mittlere schloss die Augen. Es machte sie wütend, dass sie als Letzte die Wahrheit erfuhr. Dabei hatte sie immer gedacht, dass zwischen ihr und ihren Schwestern ein festes Band des Vertrauens war. „Hör auf, ihr Vorwürfe zumachen. Ich habe sie darum gebeten, nichts zuverraten!“, mischte sich Lumen ein, die sich noch schlechter fühlte, als Cor es tat. Immerhin war sie ja die Schuldige, die dieses Geheimniss bis zuletzt für sich behalten hatte. „Weil ich wusste, wie du darauf reagierst!“

„Ach, ist es denn ein Wunder? Wir alle machen uns die schrecklichsten Sorgen, die man sich vorstellen kann und fürchten, dass du nicht mehr lebst. Du stellst den Magier hin, als wäre er der reinste Engel. Verteidigst ihn und dann höre ich, wie er dich in ein Verließ sperrt, nur weil du nicht an diesem verdammten Treffpunkt warst und dich beinahe sterben lässt. Also in meinem Augen ist das Grausamkeit in seiner höchsten Form!“, tobte Fortitudo und lief auf und ab, wie ein Tiger in seinem Käfig.

Lumen war die einzige, die sitzen blieb und hilflos von einer zur anderen schaute. Wo waren so hinein geraten. Nun stritten sie sich, wer Recht hatte und wer nicht. Vermutlich würde Fortitudo noch zu ihrem Vater gehen und die Wahrheit sagen und sie, Lumen, damit an Messer liefern.

„Wenn er wirklich grausam wäre, dann hätte er sie bestimmt nicht gerettet!“, warf Cor ein und stand ebenso auf. Da horchte Lumen auf und ihr klappte der Mund auf. Was hatte Cor da eben gerade gesagt. Tenebrae hatte sie gerettet und nicht die Ärzte?

Was wurde hier gespielt. Nun war es an ihr aufzuspringen und ihre Schwestern zur Rede zustellen. „Was war das eben? Er hat mich gerettet. Aber ich dachte, die Ärzte…!“, brach es aus ihr heraus und Cor und Fortitudo sahen sie ertappt an. Doch während Fortitudo ihre Verlegenheit hinter einer Maske aus Zurückhaltung und immernoch angestauter Wut zurückhielt, blickte Cor ehrlich betroffen ein. „Ja, das…das war eine Lüge. Wir…zumindest ich sollte behaupten, dass die Ärzte es waren, die dich ins Leben zurück holten. Auch dass Fidus dich hierherbrachte!“

„Aber warum?“

„Weil Tenebrae mich darum bat. Er hatte es so gewollt. Ich musste ihm versprechen, dich glauben zulassen, dass er dich nicht mehr wolle!“, brachte Cor heraus und wirkte dabei genauso hiflos, wie es Lumen vorher war, als sie ihre Beichte ablegte. Fortitudo, die dies nun auch zum ersten Mal hörte, war noch mehr in Rage. Nicht jedoch so sehr, wie Lumen es war. Von Cor hätte sie solch eine infame Lüge nicht erwartet. „Und du sagst mir nichts?“, schrie sie mit unterdrückter Wut. „Obwohl du siehst, wie sehr ich leide? Was bist du nur für eine Schwester? Ich habe mich dir anvertraut und du lügst mir weiterhin ins Gesicht!“

Cor, erschüttert darüber und auch mit einem einem enormen Schuldgefühl, machte einen Schritt auf sie zu und legte ihr die Arme um sie. Zog sie an sich und versuchte sie zu beruhigen. „Ich weis und es tut mir leid. Ich hätte dir von anfang an sagen sollen, was eigentlich die Wahrheit ist. Aber ich musste dem Magier versprechen, dass ich dich in Unwissenheit lasse. Er wollte nicht, dass du die Wahrheit erfährst. Mir ist es selber nicht leichtgefallen, dich Tag für Tag anzulügen!“, gestand sie und trotz das Lumen über diesen Vertrauensbruch ihrer Schwester jedes Recht hatte, sie dafür zu hassen, konnte sie es nicht. Stattdessen fragte sie sich, was in den Magier gefahren sein konnte, dass er ihrer Schwester solch ein Versprechen abnahm.

Lumen schluchzte und schüttelte immerwieder fassungslos den Kopf. Das ergab alles einfach keinen Sinn. Warum? Warum nur?

Cor konnte deutlich die Verzweiflung ihrer Schwester spüren. So hatte sie sich ebenso gefühlt, als ihr Mann schwer verwundet ins Schloss zurückkam und es schlecht um ihn stand. Doch während sie mit ihm vereint war, war Lumen von dem Mann getrennt, den sie liebte und die Verzweiflung und der Schmerz waren größer, als es ihre waren. „Lumen, ich…!“, wollte sie sagen und weitersprechen, doch da löste sich Lumen von ihr. Schüttelte, mit Tränen auf den Wangen, den Kopf und bat ihre Schwestern sie allein zulassen. Cor öffnete den Mund um zu wiedersprechen, doch da schritt Fortitudo ein. Sie legte ihrer Schwester die Hand auf die Schulter und drückte sie. Ihr Ärger darüber, dass sie nicht eingeweiht war, war verflogen, als sie sah, wie Lumen weinte und sich ihrem Kummer ergab. Cor blickte daraufhin zu ihr und Fortitudo gab ihr stumm zuverstehen, dass sie gehen sollten. Jedoch, bevor sie aus dem Zimmer gingen, blieben sie in der Tür stehen und sahen Lumen mitleidig und flehend an. „Bitte, versuche es zuverstehen und sprich mit uns, wenn der Kummer für dich zugroß wird!“, sagte Cor inständig. Das letzte was sie wollte, war, dass Lumen sich in ihrem Schmerz womöglich etwas antat und auch Fortitudo bangte um das Leben ihrer kleinen Schwester. „Wir sind immer für dich da. Du bist nicht allein!“

Dann gingen sie, auch wenn es ihnen schwerfiel. Doch trotz der aufmunternden Worte zum Schluss fühlte sich Lumen so verlassen und einsam, wie nie zuvor. Und es gab niemanden, der sie daraus befreien konnte. Nur der Magier konnte dies. Dieser ist nicht da, um sie in seine Arme zu schließen und ihr das Gefühl von Geborgenheit und Mut zugeben.
 

Spät in der Nacht lag Lumen zusammengerollt in ihrem Bett und starrte ins Leere. Das was ihre Schwester ihr gestanden hatte, ließ sie nicht los und machte es unmöglich einzuschlafen. Aber das erklärt zumindest warum der Magier sie hierher gebracht hatte und warum sie nichts von ihm hörte. Sie verstand es sogar. Sie wusste ja von der Gefahr, die von den Schatten ausging. Und dass er sich um sie sorgte. Dennoch wäre sie am liebsten jetzt bei ihm. Jetzt wo sie nicht mehr bei ihm war, was würde aus ihm werden. Der Traum, in dem sie den Magier sah, wie er sich verwandelte, kam wieder in ihren Sinn und sie schauderte. „Er darf nicht…!“, dachte sie und grub das Gesicht ins Kissen.
 

Er kam lautlos wie ein Schatten in ihr Gemach. Und war darauf bedacht, sie nicht zuwecken. Leise glitt er zu ihr, schien förmlich über dem Boden zuschweben und blieb dann an ihrem Bett stehen. Blicke auf sie nieder und beobachtete sie, während sie schlief. Wie friedlich ihr Gesicht war und wie ruhig ihr Atem. Dennoch sah er deutlich die Tränen, die sie geweint hatte und sein Herz krampfte sich zusammen. Sie zuvergessen war leichter gesagt, als getan. Die Sehnsucht nach ihr war viel zu groß gewesen, als dass er diese einfach so verdrängen und als vergangen abtun konnte. Sich Vorwürfe zumachen und seine Entscheidung zubereuen. Sogr mit dem Gedanken spielen, sie doch noch mitzunehmen, wollte er nicht zulassen. Er hatte diese Entscheidung getroffen und würde dazu stehen. Sie durfte nicht weiterhin ewig in Gefahr schweben, nur weil er zu egoistisch war und sie bei sich haben wollte.

Doch wie sollte es weiter gehen?

Er konnte nicht ohne sie sein. Sie war sein Licht. Dieeinzige, die ihm zeigte, dass es noch ein anderes Leben gab. Außer ein Leben in der Dunkelheit. Ohne sie würde er sterben. Er spürte es jetzt schon. Seine Macht über die Schatten schwand. Trotz der ersten Warnung an die Schatten, hatten sie es nicht aufgegeben, ihn weiterhin zubelauern und ihre Klauen nach ihm auszustrecken. Und es würde nicht lange, bis sie sich auf ihn stürzten. Wieder musste er dabei denken, wie wichtig sie ihm. Wie sehr er sie brauchte und wie einfach es wäre, sie wieder mit sich zu nehmen. Aber was würde dies bringen, wenn sie doch irgendwann ein Opfer der Schatten wurde. Da wollte er lieber an Einsamkeit dahinsiechen, sich von den Schatten verschlingen lassen, als zuzulassen, dass sie doch noch ein schlimmes Ende fand.

Heute Nacht würde er sie zum ersten und auch zum letzten Mal besuchen. Sich von ihr verabschieden und die Türe, zwischen sich und ihr für immer verschliessen. Zum Abschied beugte er sich zu ihr hinunter und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. Da öffnete sie die Augen und der Magier schrack hoch.

Damit sie ihn nicht sah, machte er einen Satz nachhinten und tauchte in den schützenden Schatten. Von dort aus, sah er zu ihr. Lumen war, als hätte ein Lufthauch sie gestreift. Doch das konnte nicht sein. Das Fenster war geschlossen. Dann dachte sie, sie hätte geträumt, aber dann wurde sie sich der Berühung wirklich bewusst und sie war hellwach. Mit aufgeregten Augen schaute sie sich um und Tenebraes Herz setzte einen Schlag aus, als ihre Augen auf ihm haften blieben. Er erstarrte und hoffte, dass sie ihn nicht sehen würde. Das Bangen und Hoffen schien ewig zudauern, bis die Prinzessin schwer seufzte und sich wieder hinlegte. Tenebrae unterdrückte ein erleichtertes Ausatmen. Blieb aber dennoch einige Zeit dort, wo er war stehen und beobachtete weiterhin ihren Schlaf, ehe er wieder in sein Schloss zurückgekehrt war.

Kaum dass er in seinem Gemach war und in seinem Sessel platz nahm, spürte er, wie schwer ihm das Atmen ging und wie schnell ihm das Herz in der Brust hämmerte. Ihm wäre nie in den Sinn gekommen, dass das Wiedersehen mit ihr ihn so aus der Fassung brachte. Schon als er die Violine spielte und die Musik zu ihr in das Schloss mit dem Wind tragen ließ, wusste er, dass er damit gegen seinen eigenen Entschluss verstiess. Und damit ihren Wunsch wieder zu ihm zu kommen nährte. Aber er konnte nicht anders. Umso mehr brach es ihm das Herz, als er den enttäuschten Ausdruck in ihren Augen sah. Ich hätte etwas sagen sollen. Ihr zeigen sollen, dass ich da war und das es mir gut ging.

Warum habe ich nur geschwiegen und mich davon gemacht, wie ein Feigling?

War es überhaupt richtig, zu ihr zugehen?

Auf diese Fragen wusste sich der Magier keine Antwort zugeben. Fest stand nur, dass es viel schwieriger sein würde, nicht mehr an sie zu denken, als er bisher angenommen hatte. Verzweifelt darüber, dass er nicht mehr die Kraft hatte, das durchzusetzen, was er sich vorgenommen hatte, grub er das Gesicht in beide Hände und fragte, was nun werden sollte.

Als ein jäher Schmerz ihn durchfuhr und ihn zusammenkrümmen ließ. Der Schmerz war dort, wo sein Herz sich befand, entflammt und darauf folgte eine lähmende Kälte, die ihm das Atmen schwer machte. Entsetzt und fassungslos, was da mit ihm ebenpassiert war, befühlte er sich die schmerzendkalte Stelle und spürte plötzlich, wie sich etwas unter seinen Fingern, unter seiner Haut zubewegen schien. Hastig und mit einer schlimmen Vorahnung, riss er seine Jacke und das Hemd auf und warf einen Blick auf seine Brust. Ein entsetztes Keuchen kam über seine Lippen, als er den schwarzen ausgefransten Klecks sah, der sich auf der Herzstelle gebildetet hatte und sich mit einem Pulsieren zuvergrößern schien. Tenebrae brauchte nicht lange nachzudenken, was das bedeutete. Er verwandelte sich in einen Schatten!

Stille und Frieden!

Seit der Nacht in dem sie den Magier zu sehen glaubte, seine Nähe förmlich gespürt hatte, war Lumens Schlaf nur halbwegs tief, weil sie fürchtete, dass sie ihn womöglich verpassen würde, wenn sie tief und fest eingeschlafen war. Sich aber große Hoffnung zumachen, konnte sie sich aber auch nicht, da sie wusste, dass der Magier auf Biegen und Brechen es tunlichst vermeiden würde, dass sie ihn sah.

Nacht für Nacht lag sie wach in ihrem Bett und schaute aus den Fenstern in die mondbeschienene Nacht hinaus. Mehr als einmal ertappte sie sich dabei, wie sie leise den Namen des Magiers flüsterte und ihn hierherbat. Es wurde zu einem Singsang, wie es Magier taten, wenn sie eine magische Formel vortragen und immerwieder umschloss sie den Anhänger mit den Fingern.

Ihr Vater hatte, nach ihrem gemeinsamen Gespräch immer wieder darauf bestanden, dass sie ihm doch den Anhänger aushädnigen möge und Lumen hatte sich mit ebenso großer Starrsinnigkeit geweigert. Nie legte sie das Schmuckstück ab. Nicht mal wenn die gute Amme kam, um sie zu baden. Bis dahin hatte sie es auch immer geschafft, die Narben, die noch deutlich sichtbar waren, zuvertuschen, in dem sie ihre Haare offen über den Rücken fallen ließ.

Nur an diesem einen Tag war sie unvorsichtig gewesen und hatte ihre Haare hochgebunden. So hatte die Amme natürlich freien Blick auf ihren Rücken und als Lumen aus der Wanne stieg, schlug die Amme entsetzt die Hände vor den Mund und unterdrückte ein entsetztes Keuchen. Dennoch entging der Prinzessin nicht, dass die Amme etwas erschreckt haben musste und erst da wurde sie sich bewusst, dass sie ihre Narben unfreiwillig zeigte. Hastig zog sie das Band aus ihren Haaren und schüttelte es, sodass es hinunterfiel. Doch die Amme hatte es bereits gesehen und auch wenn sie es sich nicht anzumerken versuchte, wusste Lumen, dass sie es ihrem Vater berichten würde. Sie zubitten, es nicht zu tun, würde nichts bringen. Ihr Vater würde der Amme dann des Hauses verweisen, oder schlimmeres, wenn sie dies geheim hielt.

Und so war es auch keine Frage der Zeit, bis ihr Vater von ihr wieder verlangte, mit ihm zu sprechen. Diesesmal jedoch sollten ihre Schwestern ihr den Rücken stärken, was dem König sichtlich nicht gefiel. Fortitudo und Cor selbst war unwohl zumute. Doch Lumen hatte darauf bestanden, dass sie dabei waren. „Ihr habt einiges wiedergutzumachen!“, hatte sie gesagt und damit ihren Schwestern die Sprache verschlagen. Fortitudo hatte geglaubt, dass ihre Ohren ihr einen Streich spielten und wollte zuerst wiedersprechen. Doch Cor kam ihr zuvor und sagte, dass sie ihr helfen würden.

Und als Fortitudo sie ebenso ungläubisch ansah, wie sie zuvor Lumen angesehen hatte, hatte Cor zu ihr gesagt:„ Wir schulden es ihr, für die Lügen, die wir ihr aufgetischt haben!“

Fortitiudo erwiederte daraufhin nichts mehr. Gemeinsam gingen sie zum König.

Als er sie hinausschicken wollte, da er nur mit ihr sprechen wollte, bot ihm Lumen die Stirn. „Ich will, dass sie dabei sind. Und auch etwas dazu was zusagen haben!“, waren ihre Worte, die alle zu einem Luftschnappen veranlassten. Solche Töne kannten sie nicht von der kleinen Lumen. „Etwas dazu sagen? Zu was?“, äußerte sich ihr Vater aufgebracht, doch Lumen blieb ruhig. Was sie eigentlich selber erstaunte. Sie hatte von sich erwartet, dass sie einkicken würde. Doch dass sie nun so ruhig dasaß und sich nicht von der Empörung ihres Vaters einschüchtern ließ, überraschte sie, als es bei den anderen der Fall war. „Damit du auch einmal die Kehrseite siehst und nicht immernur das, was du sehen willst!“

Fortitido und Cor wechselten daraufhin einen erstaunten Blick.

Was war nur in ihre kleine Schwester gefahren?

Fast schon musste Cor ein Grinsen unterdrücken. Während Fortitudo mit sorgenvoller Miene zu ihrem Vater schaute, der deutlich an rötlicher Gesichtsfarbe zunahm. „Was soll ich für eine Kehrseite sehen? Etwa dass der Magier gute Gründe hatte, dich zu tote zu prügeln?“, blaffte er. Daraufhin warfen die beiden Schwestern Lumen einen überraschten Blick zu. Cor fromte mit ihren Lippen stumm das Wort Prügeln. Fortitudo erstarrte. „Er war es nicht!“, sagte Lumen sofort, doch den König interessierte das nicht.

„Dann sicherlich einer seiner Lakeien. Wundern würde es mich nicht, wenn ein treuer Diener dich für dein angebliches Verbrechen bestrafen würde, nur in den Augen dieses Scheusals gut dazustehen!“, grollte der König und Lumen musste sich beherrschen um ihn nicht als ein größeres Ungeheuer zubeschimpfen. „Er…wenn er mir wirklich hätte schaden wollen, dann hätte er mich nicht gerettet!“, versuchte es Lumen auf diesem Wege, aber ihr Vater war taub für solche Worte. „Wer weiss schon, was in dem Kopf dieses kranken Menschen vor sich geht!“

„Der einzige Mensch, der hier krank ist, bist du, Vater!“, zischte sie.

„Lumen, was ist in dich gefahren?“, kam es aus Fortitudo geschockt, doch Lumen achtete nicht darauf. „Alles was du in ihm siehst, ist ein Monster! Dabei bist du das Monster!“, sagte sie wütend und ballte die Fäuste. Sapientia, der über die Worte seiner Jüngsten entsetzt war, wusste zuerst nicht, was er sagen sollte. Ihre Worte und der darin liegendes Hass, kamen einem Hieb mit dem Schwert gleich. Minutenlang herrschte Schweigen und niemand war in der Lage etwas zusagen. Lumen zitterte und ihre Lippen bebten. Endlich hatte sie ausgesprochen, was Tage, nein Wochenlang durch, das Herz so schwer gemacht hatte. Und sie fühlte sich besser. Wie als wäre ihr nun eine schwere Last genommen. König Sapientia hingegen fühlte sich vor vom Donner gerührt und starrte seine Tochter nur entsetzt an. Fragte sich immernoch, was in sie geraten war, dann aber verfinsterte sich sein Gesicht und er stand auf, sodass sie auf gleicher Höhe waren. „Dass du sowas sagst, ist das beste Beispiel dafür, dass der Magier dich verhext hat!“, grollte er und Lumen war kurz davor, die Augen zu rollen und wütend auszuschreien, was sie davon hielt. Doch sie schwieg und trat einen Schritt zurück. Dann drehte sie sich um und stürmte aus dem Salon. Sie war es leid über dieses Thema mit ihm zudiskutieren. Daher zeigte sie ihrem Vater die kalte Schulter und hörte nicht, als er von ihr verlangte, stehen zubleiben und zurück zukommen.
 

Den ganzen Tag hatte Lumen ihr Gemach nicht verlassen. Nicht mal ihre Schwestern ließ sie ein, um mit ihnen zureden und so saß sie in ihrem Lieblingsessel und schaute stumm vor sich hin aus dem Fenster. Bis zum Anbruch des Abends. Nur die liebe alte Amme ließ sie rein, damit sie etwas zuessen bekam. Als es dann Zeit zum Schlafen war, legte sie sich hin und versuchte zuschlafen.

Kaum das ihre Augen zufielen und sie merkte, wie sie in Reich der Träume glitt, hörte sie ein Geräusch und richtete sich schnell auf. Wie zuvor in der letzten Nacht hatte sie etwas gehört, oder vielmehr gespürt , was sie aus dem Schlaf riss und auch diesesmal ließ sie den Blick aufgeregt durch den Raum wandern. Zuerst sah sie nichts, konnte in der Dunkelheit nichts erkennen. Doch dann sah sie eine Bewegung und Minuten später, schälte sich aus der Dunkelheit Tenebrae. Lumens Mund klappte auf, wie zu einem freudigen Ruf, doch dann schloss sie ihn schnell wieder, aus Angst sie könnte sich und ihn verraten. Schlug schnell die Decke zurück und eilte zu ihm. Es waren nur wenige Schritte, aber Lumen kamen sie vor, als würde sie Meilen zurücklegen müssen und als sie dann ihre Arme um seinen Hals legte, drückte sie sich an ihm, als würde sie seine Wärme, seinen Körper brauchen, um leben zumüssen. „Ich habe dich so vermisst. Ich dachte, ich würde dich nie wiedersehen!“, flüsterte sie in seine Brust und strich mit den Händen über seine Schultern und Rücken, um sicher zusein, dass sie das wirklich nicht einbildete. Tenebrae erwiederte ihre Umarmung, lächelte sanft. Dann löste er die Umarmung und schaute ihr mit ebenso großer Freude, dass sie sich wiedersahen, ins Gesicht. Sanft strichen seine Finger über ihre Wange und Lumen schloss dabei die Augen. Ein wohliger Seufzer kam ihr dabei über die Lippen. „Du hast mir auch gefehlt. Es verging kein Tag, an dem ich dich nicht vermisste und an dem ich es bereute, dich weggebracht zuhaben!“, kam es vom Magier und Lumen wusste, dass er die Wahrheit sprach. Warum sollte er sie belügen?

„Dann…dann nehme mich mit dir!“, kam es leise von ihr. Doch so sehr der Magier diesen Wunsch gerne erfüllt hätte, konnte er nur den Kopf schütteln. „Nein. Das geht nicht!“, flüsterte er und es fiel ihm schwer, diese Worte auszusprechen. „Warum nicht?“

Lumens Stimme war schwach vor Enttäuschung und Kummer und der Magier musste an sich halten, um sich nicht doch anders zuentscheiden. Mit sanftem Griff nahm er ihre Hände in seine und beugte sich zu ihr, sodass ihre Stirn an seiner lag. „Weil es nicht sicher bei mir ist!“, flüsterte er. „Ich kann dich nicht mehr schützen!“

„Natürlich kannst du das!“, sagte sie außer sich. „Du hast die Kraft, wieso solltest du es nicht können?“

Sie verstand einfach nicht, wie er so an sich zweifeln konnte. Und vorallem warum er es schon wieder tat. Tenebrae antwortete nicht sofort, da er selber nicht wusste, was er darauf sagen sollte und biss sich daher auf die Unterlippe. Dann aber holte er tief Luft und sprach leise und mit einem Zittern in der Stimme:„ Ich kann es einfach nicht!“

„Das einzige, was ich kann ist…!“, sagte er und kam Lumen zuvor, als sie den Mund öffnete um zuwiedersprechen. „Dich sooft wiederzusehen, wie nur möglich!“
 

Kurz bevor der Morgen anbrach, verabschiedete sich der Magier von der Prinzessin und versprach ihr, in der nächsten Nacht wiederzukommen.

Kaum dass er in sein Schloss zurückgekehrt war, war er vor den großen Spiegel getreten und hatte sein Hemd geöffnet. Es durchfuhr ihn eiskalt, als er sah, wie weit sich schon das Gift der Schatten in ihm ausgebreitet hatte. Einerseits wusste er, wie schnell es ging, dennoch war er entsetzt. Fast seine ganze Brust war pechschwarz. Hatte die Stelle wo sein Herz saß vollkommen bedeckt. Noch spürte er Leben darin, sein Schlagen, doch das machte es nicht besser. An den Seiten der Dunkelheit waren die Ränder ausgefranzt, doch es würde nicht lange dauern, bis auch diese letzten Stellen von Haut von dieser bedeckt wurden. Dann würde es weiter zu seinen Armen hochklettern. Hinauf, über seinem Hals bis zu seinem Gesicht. Und dann wäre es zuspät. Die Finsterniss würde durch seine Augen dringen und ihn verschlingen. Ihn verdauen, bis nichts mehr von ihm blieb.

Tenebrae schluckte. Er konnte sich gut vorstellen, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleiben würde, ehe er zu einem Schatten wurde. So wie es aussah, gab er sich noch zwei Tage, ehe es soweit war. Doch bevor es soweit war, wollte er die Zeit nutzen und Lumen wiedersehen. Von ihr Abscheid nehmen. Bis dahin wollte er nicht weiter daran denken. Eiligst knöpfte er sein Hemd wieder zu und wandte sich von dem Spiegel ab.

Er musste an Morgen denken. Morgen würde er sie wiedersehen.
 

Lumen konnte es kaum erwarten, ihren Liebsten wiederzusehen.

Die hartnäckigen Versuche ihres Vaters, sie nochmal zu einem ernsten Wort zubewegen, wies sie schroff zurück. Sie wollte mit diesem Unmenschen, der sich gerne in ein rechtes Licht rückte, nichts zu tun haben. Nur mit ihren Schwestern sprach sie wieder ein Wort, nach dem letzten Aufeinandertreffen mit ihrem Vater.

Etwas was Cor und Fortitudo mit unterschiedlichen Gefühlen aufnahm. Cor war erleichtert, darüber, während Fortitudo immernoch über den Ausbruch ihrer jüngsten Schwester immernoch verunsichert und auch erschrocken war.

Was war nur aus ihrem Nesthäkchen geworden?

„Ich kann immernoch nicht glauben, dass du unseren Vater als ein Monster beschimpfst hast!“, bemerkte sie, während sie Tee tranken. Cor warf ihrer Schwester über den Rand der Tasse einen Blick zu. Lumen senkte den Blick. „Ich habe nur die Wahrheit gesagt!“

„Und was macht dich da so sicher, dass er eines ist?“

„Weil er es mir gesagt hat!“

„Vater?“

„Nein, Tenebrae!“

„Und du glaubst ihm?“, hakte Fortitudo nach und deutlich hörte man die Skepsis darin. „Mehr als unserem Vater!“, sagte Lumen und nahm einen Schluck Tee.

„Was gibt dir die Sicherheit?“

„Ich habe es gesehen!“

„Wie?“

„In einem Traum!“

„In einem Traum?“, fragte Fortitudo und ihre Skepsis wuchs. „Ja, irgendwie habe ich, während meiner Zeit beim Magier, selbst etwas Magie erhalten. Ich weiss auch nicht, wie ich das beschreiben soll. Aber ich sehe Geschehnisse, die lange zurückliegen!“

Cor und Fortitudo tauschten Blicke. Schienen ihr nicht so recht zuglauben. Lumen glaubte es ehrlich gesagt auch nicht. Es war schließlich das erste Mal, dass sie solch einen Traum hatte und sie zog auch die Möglichkeit in Betracht, dass sie das nur geträumt hatte, weil es sie so sehr mitnahm. Doch das wollte sie ihren Schwestern gegenüber nicht zugeben. „Lumen, ganz ehrlich? Findest du nicht, dass das ziemlich weithergeholt ist?“, fragte Fortitudo und Lumen musste zugeben, dass das stimmte. Was wenn sie sich irrte und der Traum nur die Folge von den dramatischen Geschehnissen war, die sie erlebt hatte.

Schweigend saß sie da und wusste zunächst nicht, was sie sagen sollte. Nach eine Antwort für ihre Schwester und vorallem für sich, suchend, blickte sie in ihre Tasse Tee und kaute auf ihrer Unterlippe. „Ja, ich gebe es zu. Aber…ich vertraue ihm!“, sagte sie nach einer Weile gedehnt und traute sich nicht, den Blick zu heben. „Du vertraust ihm? Und nicht Vater!“

In Lumen klangen diese Worte, wie ein Vorwurf, vermutlich war es auch einer. Doch sie konnte nichtsdestotrotz nur nicken. „Liebst ihn wirklich so sehr?“

Wieder nickte sie. „Bitte versteht das!“

„Es fällt mir schwer, wenn ich ehrlich sein soll!“, murmelte Fortitudo. Cor sagte nichts, sondern sah einfach zu ihrer jüngeren Schwester und dann zur ältesten. „Auch wenn ich gerne Fortitudos Meinung wäre, kann ich dich auch verstehen. Schließlich hatte ich mit ihm auch ein ernstes Gespräch gehabt und ich habe deutlich gesehen, dass er es ernst mit dir meint!“, sagte Cor und legte tröstend die Hand auf Lumens bebende Schulter. „Willst du mir in den Rücken fallen?“, fragte Fortitudo empört. Cor schüttelte entschieden den Kopf. „Nein, aber ich will auch nicht, dass Lumen lebenslang allein mit ihren Gefühlen zu dem Magier dastand. Wir sollten beide hinter ihr stehen und ihr glauben. Schließlich ist sie unsere kleine Schwester!“, apelierte Cor an sie und Fortitudo verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. Man sah ihr deutlich an, dass sie sich nur ungern erweichen ließ. Doch dann nickte sie, begleitet von einem schweren Seufzer.

„Also gut. Wenn ihr wirklich meint, er sei gut, dann glaube ich Euch das. Dennoch sage ich Euch, dass Vater alles daran setzen wird, Lumen an die Leine zu nehmen!“, gab sie zubedenken. Doch das brauchte sie ihnen nicht zusagen, da es Lumen und Cor wussten.

Sie kannten schließlich ihren Vater schon ein Leben lang.

Und wussten, dass er auch hartdurchgreifen konnte.
 

Lumen lag wach im Bett und wartete auf ein Zeichen des Magiers. Ein Rascheln, eine Berührung. Irgendwas, was ihr sagte, dass er hier war. Immer wieder schaute sie zur Uhr und musste feststellen, dass sie das im Rhythmus von fünf Minuten machte. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, ehe sie das Violinenspiel hörte. Wie beim ersten Mal kam es von draußen und sie sprang sogleich aus dem Bett. Öffnete die Türe und eilte aus dem Zimmer. Die Vorfreude ihn wiederzusehen, verlieh ihr Flügel und dabei vergass sie jegliche Vorsicht.

Sie lief in den Garten und spähte in die Dunkelheit der Nacht. Sie brauchte einige Minuten, ehe sie ihn entdeckte. Er stand zwischen den Obstbäumen. Nicht mehr als eine Gestalt in den Schatten der Bäume, die zu ihr hinüber schaute. Fast so wie früher, als er mich das erste Mal sah, dachte sie und lief zu ihm.

Kaum dass sie bei ihm war, umarmte sie ihn und küsste ihn stürmisch. Der Magier war natürlich verblüfft darüber, doch dann lächelte er. Erwiderte ihre Küsse. Als sie sich von ihm löste und sich bewusst wurde, was sie gerade getan hatte, wurde sie rot und senkte den Kopf. „Verzeih, ich…!“

Tenebrae lächelte nur und küsste sie, nicht so stürmisch wie sie ihn, doch es war deutlich, dass er sich ebenso freute, sie zusehen und dass er es kaum erwarten konnte. „Schon gut!“, flüsterte er. „Ich konnte es kaum erwarten, dich wiederzusehen!“, flüsterte sie und legte den Kopf auf seine Brust. „So wie ich, Lumen. So wie ich!“, kam es von ihm und er strich ihr sanft über das Haar. Lumen schloss dabei die Augen. Auch wenn ihr letztes Treffen eine Nacht her war, hatte sie es vermisst.

Die Berührung seiner Hand, die so sanft und weich war. Die ihr niemals wehtun würde.

Seine Hand, die pechschwarz war und Klauen besaß.

Lumen riss dabei die Augen auf und sie machte einen hasigen Schritt zurück. Warum kam ihr gerade jetzt dieser grässliche Alptraum in den Sinn?

Eben noch war sie so glücklich.

Doch wenn er das nicht gewesen wäre, hätte sie womöglich auch vergessen, dass sie sich schreckliche Sorgen um ihn gemacht hatte. Beim ersten Wiedersehen hatte sie es schon versäumt, ihn sich genauer anzusehen. Nun aber griff sie nach seinen Händen, weil sie sich sicher war, dass sie dort die ersten Spuren entdecken würde, die ihr sagten, dass es schlecht um ihn stand. Aber da war nichts. Keine Schatten, keine Klauen. Erleichtert atmete sie aus und ließ seine Hände wieder sinken. „Gott sei danke!“, flüsterte sie. „Stimmt was nicht?“, fragte der Magier verwirrt.

„Nein, nichts nichts. Ich dachte bloss, dass…!“, wollte sie sagen, doch sie brachte es nicht über die Lippen. „Nicht weiter wichtig!“

Tenebrae legte den Kopf schief. Er glaubte ihr das nicht so richtig. Immerhin kannte er sie lange genug. Doch er wollte es nicht aussprechen, da er es bereits wusste. Und er wollte diesen Moment, einer der wenigen, die ihnen noch blieben, nicht damit vergeuden. Darum nahm er sie bei der Hand und führte sie in einen entlegenen Winkel des Gartens. Auf einer Bank setzten sie sich. „Wirst du nun jede Nacht zu mir kommen?“, fragte sie hoffenungsvoll und Tenebrae blickte kurz an ihr vorbei. Schien selber nicht zuwissen, was er sagen sollte, dann aber lächelte er und hob ihre Hand an seine Lippen. „Wenn du es dir wünschst?“

„Natürlich wünsche ich mir das. Wie kannst du denken, dass es anders wäre?“, kam es aus Lumen empört. Wie konnte er denken, dass sie es nicht wollte?

„Mir wäre es viel lieber, wenn du mich wieder zu dir, auf dein Schloss mitnimmst!“

„Das geht nicht!“, sagte Tenebrae entschieden. Er hatte schon geahnt, dass sie wieder daraufbestehen würde, dass er sie mitnahm, dennoch hatte er gedacht, sie würde schon beim ersten Mal ein Einsehen haben. Aber offentlsichtlich war sie in dieser Angelegenheit stur, wie ein Bock.

„Warum nicht?“

„Es geht eben nicht. Es ist viel zu gefährlich!“

„Aber…die Sternenträne…!“, wollte sie sagen, doch kaum das sie auf den Anhänger hinunterschaute, verstummte sie. Es schien noch schwächer geworden zusein. „Nein!“, keuchte sie.

Ihr Blick ging zum Magier, der ebenso auf den Anhänger sah und seine Miene war mehr als niedergeschlagen. Ihre Blicke begegneten sich und jeder wusste, was das zu bedeuten hatte. „Siehst du? Schon bald verlischt das Licht der Sternenträne!“, sagte er bloss und mehr brauchte er auch nicht zusagen. Lumen wusste genau, was er damit meinte. Sie schüttelte den Kopf. „Nein, das darf nicht…!“, wollte sie sagen, doch ihre Stimme verlor sich. Sie schüttelte ungläubig den Kopf. Tenebrae nahm ihr Gesicht in beide Hände. Schüttelte ebenso den Kopf, doch anders bei ihr lag darin festes und unerschütterliches Wissen. „Es lässt sich nicht ändern. Ich habe dich fortgebracht, weil ich dich vor den Schatten schützen wollte und die Schatten werden nun mich holen, weil ich deswegen, meine Kräfte verliere. Weil du nicht bei mir bist! Es ist ein verdammter Teufelskreis!“, sagte er bitter. Ihm wurde übel bei diesen Worten und er musste gegen den widerlichen Geschmack der Galle ankämpfen, der sich in seinem Mund bildete. Dann lächelte er. Es fiel ihm schwer in so einem Moment zulächeln, doch der Gedanke, der ihm jetzt in den Sinn kam machte seine Bitterkeit wieder wett. „Und das ist gut so!“

„Was ist daran gut?“, fragte sie aufgebracht und erhob sich hastig. Sie konnte nicht fassen, dass er darin etwas Gutes sah. War ihm sein Leben nichts wert?

„Du stirbst oder noch schlimmeres. Und ich will dich nicht verlieren!“, rief sie. „Nicht nachdem ich dich endlich wiedersehe!“

„Lumen!“, sagte er sanft. „Ob jetzt oder wenn ich alt bin. Ich werde sterben. Das ist gewiss. Das einzigwichtige ist, dass wir die Zeit, die uns noch bliebt, nutzen!“, beschwichtigte er sie und umarmte sie. Lumen wiederstrebte es zuerst. Seien Worte klangen in ihren Ohren wie ein freiwilligunterzeichnetes Todesurteil. Als würde er sich zu gern dem Tode ausliefern. Und sie hätte wiedersprochen. Ihm gesagt, dass sie es niemals zulassen würde und dass es sicher noch eine Möglichkeit gab, ihn zu retten. Tenebrae schien das in ihren Augen zu sehen. Er seufzte schwer und knöpfte sein Hemd auf. „Sieh selbst!“, sagte er und Lumen fuhr der Schreck in alle Glieder, als sie den schwarzen Fleck auf seiner Brust sah, der pulsierte.

Lumen presste sich die Hände auf den Mund und schüttelte fassungloslos den Kopf.

So weit war es schon?

Tenebrae hätte ihr diesen Anblick gerne erspart, doch ein besseres Argument war ihm nicht eingefallen. Sie musste sehen und erkennen, dass es keine Rettung mehr von ihm gab.

Und Lumen begriff dies, mit schmerzlichem Gesicht. „Was…was wirst du tun, wenn es soweit ist?“, fragte sie. Ob sie damit den Tod oder die Vollendung zu einem Schatten meinte, wusste er nicht. Vermutlich beides. Tenebrae holte tief Luft. An den nächsten Worten würde er sich verschlucken. „Dann werde ich es selbst beenden!“, sagte er. Seine Stimme war in diesem Moment tonlos und hohl. Als wäre darin kein Leben. Lumen schluckte und senkte den Blick. Sie fragte sich, wielange es noch dauern würde, bis er…

„Dann…dann bleibt uns nicht mehr viel Zeit?“, fragte sie mit zitternder Stimme. Tenebrae nahm ihre Hände in seine. „Ich fürchte nicht. Wir sollten die Zeit, die uns bleibt, nutzen, sogut es geht!“, sagte er und küsste sie auf die Stirn.
 

Als der Magier gegangen und die Prinzessin auf ihr Zimmer zurückgekehrt war, löste sich ein Schatten und huschte von seinem Versteck, einer Säule, zu dem Eingangstor. Schnellen Schrittes eilte er zu der großen Halle. Er musste dem König berichten, was er gesehen hatte.
 

Der schwarze Fleck, der auf Tenebraes Brust prangte blieb ihr in Erinnerung, wie ein schrecklicher Alptraum und ließ sie immer wieder zusammenzucken, sobald sie sich beruhigt hatte. Die darauffolgenden Stunden, die sie miteinander verbrachten, vergingen wie im Flug und Lumens Sorge, war, nachdem sie ihn gesehen hatte, noch größer geworden.

Unruhig lief sie aufundab in ihrem Zimmer und fragte sich immer wieder dasgleiche.

Wielange noch? Wielange würde es noch dauern, bis er starb?

Wieviele Tage blieben ihnen noch?

Wie sehr sie sich wünschte, dass sie den magischen Spiegel nun hätte. Mit ihm könnte sie sehen, wie es um ihn stand. Der Gedanke, dass er womöglich morgen nicht mehr wiederkommen würde, machte sie krank vor Sorge.

Ließ ihr Blut zu Eis gefrieren.

Sie konnte nur hoffen, dass er wiederkam.
 

„Hm, ich verstehe. Die Sache ist sehr ernst. Dieser Teufel schreckt wirklich vor nichts zurück!“, sagte Invidia, der höchste Magier am Hofe des Königs mit ernster Miene, als der König ihn aufgesucht und ihm von dem nächtlichen Treffen zwischen seiner Tochter und dem Magier erzählt hatte.

Es war einem der Diener zuverdanken, dass er davon erfahren hatte. Dieser war gerade auf dem Weg zu den Unterkünften und hatte die beiden in einer verborgenen Ecke entdeckt. Schnell hatte er sich versteckt. Um nichts auf der Welt wollte er von ihnen, besonders nicht von dem Magier, erwischt werden und hatte gewartet, bis er fort war.

Dann war er zu dem König gegangen und hatte ihm von seiner Beobachtung berichtet.

Nun saß der König bei seinem höchsten Magier und wollte von ihm einen Rat.

Invidia überlegte lange und mit düsterer Miene. Und dem König behagte es nicht. Nervös knetete er die Fäuste. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, ehe der Magier etwas sagte.

„Die einzige Möglichkeit um den bösen Bann des Magier zubrechen ist, ihm eine Falle zustellen!“, sagte er ruhig. „Der Diener sagte, dass der Magier wieder kommen würde?“

„Ja, so hatte er es vernommen!“

Wieder überlegte der alte Magier. „Dann rate ich, dass Ihr Euch heute Abend versteckt und die beiden beobachtet. Schreitet noch nicht ein. Sondern beobachtet nur. Und dann berichtet Ihr mir!“

Dies gefiel dem König nicht. Denn er wollte so schnell wie möglich diesem Spuk ein Ende machen. Doch wenn es half, dem Magier eine wirksame Falle zustellen, dann würde er dies tun.
 

Comitas war voller Sorge. Seit Wochen hatte er seinen Herren nicht mehr zu Gesicht bekommen und immer wenn er zu ihm in die Gemächer wollte, um nach ihm zusehen, hatte er ihn fortgeschickt. Doch länger wollte er sich nicht mehr abwimmeln lassen und war nun, trotz des Verbots des Magiers, in das Gemach getreten. Tenebrae saß im Sessel. Die Hände auf die Lehnen gelegt und den Kopf gesenkt. Er sah aus, als ob er schlafen würde. Comitas trat näher an ihn heran. Und wich einen Schritt zurück. Entsetzen packte ihn. An den Rändern seines Gesichts waren deutlich schwarze Franzen zusehen. Seine Hände waren schwarz, wie die Finsterniss. Seine Augen geschlossen. In dem schwachen Schein der Kaminflammen, glich sein Gesicht von einem Geist. Es war ausgemergelt und schien kein Leben mehr zu haben. Comitas spürte, wie sich sein kleines Herz zusammenkrampfte und wagte es nicht, ihn zuberühren. Da öffnete der Magier die Augen. Das Blau seiner Augen war einem dunkleren Ton gewischen. Comitas erschrak, als er es sah. Ermahnte sich aber ruhig zu bleiben. Als der Magier ihn erblickte, verzog sich sein Gesicht etwas. „Ich habe dir befohlen fortzubleiben!“, knurrte er.

„Herr, Ihr…!“, begann er, seine Stimme jedoch brach. Er wollte seinen Herren nicht allein lassen.

„Geh, lass mich allein!“, kam es von dem Magier. Seine Stimme war rau, kaum zuverstehen. Doch die fortschickende Geste, die er mit der Hand machte, war deutlich genug.

Comitas blieb an Ort und Stelle stehen. Blickte zu seinem Herren. Unfähig etwas zutun oder zusagen. „Geh endlich!“, sagte der Magier erneut und seine Worte kamen einem Knurren gleich. Comitas wich einen weiteren Schritt zurück. Auch wenn er deutlich hörte, dass der Magier keine weitere Wiederrede dulden würde und sein Zustand sowieso alles andere als harmlos war, wollte er nicht gehen. Schon zulange hatte er ihn allein gelassen und zugelassen, dass die Schatten sich seiner bemächtigten. „Herr, bitte. Ihr nicht aufgeben dürfen. Ihr dagegen ankämpfen müssen!“, sagte er mit drängender Stimme. „Was würde das schon bringen? Es ist bereits zuspät!“, sagte der Magier und klang, als hätte er bereits jetzt schon verloren. Comitas schüttelte vehement den Kopf. „Nein, Ihr das nicht sagen dürft. Es nicht zuspät ist. Ihr es aufhalten könnt!“

Tenebrae lächelte über die ermutigenden Worte seines Dieners. Das sah Comitas ähnlich. Er wollte nie das wahrhaben, was das Schicksal verlangte und was sich nicht abwenden ließ.

Oft war dies ihm auch gelungen. Mit guten Worten und herzigen Ratschlägen, hatte es der kleine Kerl immer wieder geschafft, dass der Magier den richtigen Weg gewählt hatte. Doch diesesmal würden nicht mal aufbauende Worte helfen und verhindern, dass er sich seinem Schicksal ergab.

„Ich fürchte, diesesmal werden deine Worte nichts bewirken, Comitas. Ich spüre es deutlich, mit jedem Atemzug und jedem Schlag, den mein Herz macht!“, sagte er mit einem schwachen Lächeln. „Ich werde einer von ihnen werden und ich möchte nicht, dass du dann noch hier bist!“

„Ihr mich fortschicken wollt? Aber…!“, kam es entsetzt von Comitas und seine Augen weiteten sich. Wenn er ihn wirklich fortschicken wollte, was würde aus ihm werden. Das Schloss war sein Zuhause und er wusste nicht, wohin er sonst gehen würde. Und außerdem wollte er den Magier, dem er solange diente, wie er denken konnte, nicht verlassen. Schatten hinoderher.

„Comitas!“, sagte der Magier und in seiner Stimme lagen ein Flehen und ein Ton, der keinen weiteren Widerspruch duldete. „Ich will nicht, dass du hier bist, wenn ich zu einem Schatten werde. Denn dann werde ich nicht mehr wissen, wer Freund oder Feind ist. Und bevor ich dir ein Haar krümme, will ich, dass du gehst und mich hier zurücklässt!“

„Denn soviel schulde ich dir!“

„Ihr mir nichts schulden. Ich Euch diene, bis zum Ende!“, sagte Comitas, festentschlossen seinem Herren die Stirn zu bieten. „Comitas!“, brachte Tenebrae mit einem schweren Seufzer über die Lippen und wollte ihn nocheinmal, diesesmal etwas befehlerischer, sagen, er solle gehen, solange er konnte. Doch Comitas fuhr ihm über den Mund. „Nein, ich Euch nicht verlassen werde!“, sagte er und klang dabei genauso unerschütterlich, wie es sein Herr tat. Dann drehte er sich um und ging.

Tenebrae sah ihm nach und wusste nicht, ob er über die Sturheit seines Dieners lachen oder weinen sollte.
 

Den ganzen Tag hatte Lumen am Fenster gesessen und hinausgeschaut. Ihre Schwestern hatten vergebens versucht sie dazu zubewegen, mit ihnen einen Spaziergang in den Garten zu machen, oder eine Kutschenfahrt durch das Dorf zu unternehmen.

Sie wollte in ihrem Zimmer bleiben und die Nacht herbeisehnen. Cor hätte sie am liebsten am kragen ihres Kleides gepackt und sie aus dem Zimmer gezerrt. Da sie aber wusste, dass das nichts bringen würde, ließ sie sie gewähren. Nicht jedoch ohne ihr etwas zuvor wiederzugeben. „Da du die Wahrheit nun weißt, gibt es keinen Grund mehr, ihn dir nicht zugeben!“, sagte sie und noch ehe Lumen nachfragen konnte, was sie meinte, reichte Cor ihr den Ring, den der Magier ihr gegeben hatte. Lumen, die vorher schon niedergeschlagen war, weil sie um das unaufhaltsame Ende des Magiers wusste, war nun außerhalb von Sorge und Verzweiflung. Mit zitternen Fingern nahm sie den Ring.

„Hat er ihn dir gegeben?“, fragte sie. Wobei diese Frage wirklich überflüssig war. Doch was anderes konnte sie dazu nicht sagen. „Ja, an dem Abend, wo er dich zurückbrachte!“

„Warum gibst du ihn mir erst jetzt?“

Cor senkte den Blick und presste die Lippen aufeinander. „Du warst in letzter Zeit zu aufgewühlt, sodass ich fürchtete, du würdest an einem Nervenfieber erkranken!“

Lumen öffnete den Mund. Das war wirklich die Übertreibung des Jahrhunderts. Und Lumen hätte darüber gelacht. Doch ihr war nicht danach. Bis jetzt hatte sie nur die Kette gehabt, die sie an den Magier erinnerte und sie hatte bisher immer gedacht, der Magier würde den Ring behalten wollen. Damit er auch sie nicht vergass. Ihn aber in den Händen zu halten, machte ihr erneut klar, dass es vorbei war und alles in ihr verkrampfte sich. Fest schloss sie den Ring in ihre Hände und kämpfte gegen die Tränen an. „Das alles ist nichts im Vergleich…!“, murmelte sie. Cor legte die Arme um sie. Sie wollte ihre Schwester so nicht alleine lassen. „Es wird alles wieder gut!“, flüsterte sie.

„Nein, das wird es nicht. Das kann es nicht!“, sagte Lumen und sie konnte die Tränen nicht zurück halten.
 

So schmerzlich das Warten und Hoffen war, umso größer war die Erleichterung, als sie am darauffolgenden Abend in den Garten kam und den Magier im Schatten der Bäume stehen sah.

König Sapientia sah aus seinem sicheren Versteck, wie sich die beiden trafen und ihm fuhr es eiskalt den Rücken hinunter. Er war es wahrhaftig. Der Magier.

Zu gerne wäre er aus seinem Versteck gesprungen und hätte sich mit bloßen Händen auf ihn gestürzt. Ihn dafür gestraft, dass er sich erdreistete, sich seinem Kind zu nähern. Nach allem was er ihr angetan hatte. Lumen mochte zwar behaupten, dass er gut war. Aber sicherlich lag sie unter einem unheilvollen Bann, der ihr die Wahrheit verschleierte und sie ihm vollkommen hörig machte. Den Rat seines Magiers nur mit größter Mühe beachtend, sah er zu, wie die beiden sich auf eine Bank setzten und miteinander sprachen. Was sie da redeten konnte er natürlich nicht hören, doch was kümmerte es ihn, was sie sagten. Dass er überhaupt hier war und seiner Tochter einen Floh ins Ohr setzte, reichte ihm aus, um dafür zusorgen, dass seinem Treiben ein Ende gesetzt wird. Noch eine Weile blieb er in seinem Versteck, dann ging er. Soleise, wie er nur konnte und verschwand in einer kleinen Seitenrüt.

Lumen fuhr herum, als sie meinte ein Geräusch gehört zuhaben. Es klang wie das Knacken eines Astes oder das Zuschlagen einer Tür. Aber da war niemand. Dabei hätte sie schwören können, dass sie nicht allein waren. Ihr Herz klopfte wie wild und trieb ihr Blut mit solch einer Kraft durch die Adern, dass sie es in ihren Ohren rauschen hören konnte. Angst machte sich in ihr breit. Konnte es sein, dass man sie beobachtet hatte?

Unruhig sah sie sich um, versuchte etwas zuerkennen. Eine Gestalt oder etwas anderes, was einem Lauscher entlarvt hätte. Als sie keinen entdecken konnte, wurde sie noch nervöser. Der Gedanke, dass man sie belauscht und beobachtet hatte, sorgte für die schlimmsten Ängste, die man sich vorstellen konnte. Gerade weil sie mit dem Magier hier war und sich heimlich mit ihm traf.

Tenebrae sah ihre Angst und legte behutsam seine Finger unter ihr Kinn. Zog es zu sich wieder zurück. „Was hast du?“, fragte er. Lumen schluckte. Blickte nocheinmal kurz über die Schulter. „Ich…ich dachte, ich hätte etwas gehört!“, flüsterte sie mit überschlagener Stimme und begann am ganzen Leib zu zittern. Tenebrae konnte sich denken, was sie gehört hatte und umfasste sanft ihre Schultern. Merkte wie sehr sie bebten und zog sie an sich heran. Legte ihren Kopf an seine Brust. „Was immer es war. Jetzt ist es fort!“, flüsterte er sanft und küsste sie aufs Haar. „Hab keine Angst. Solange ich hier bin, wird dir nichts passieren!“

„Und was ist mit dir?“

Darauf antwortete Tenebrae erstmal nicht sofort, sondern schwieg und Lumen fürchtete, dass er sich jeden Moment in Luft auflöse würde und sie allein zurück ließ. „Du kennst die Antwort!“, sagte er dann und Lumen unterdrückte ein Schluchzen. „Ja, und ich wünschte immernoch, dass ich etwas dagegen tun kann!“

„Das kannst du nicht. Nicht mal die größte Macht könnte daran etwas ändern!“

„Ich weiss!“, sagte sie und blieb eine lange Weile so an ihm gelehnt, dann richtete sie sich auf und sah ihn mit traurigen Augen an. „Warum hast du Cor den Rign zurückgegeben? Dachtest du, ich würde dich damit wirklich vergessen?“, fragte sie und es sollte nicht als Vorwurf klingen, dennoch war sie einwenig darüber enttäuscht, dass der Magier sie für so töricht hielt.

Tenebrae lächelte bei dieser Frage matt. „Nein. Nicht wirklich. Dennoch wollte ich es glauben. Wenn du erstmal aus dem schwarzen Schlaf erwachen würdest, dachte ich, du würdest mich vergessen!“, gestand er beschämt. „Aber wie es scheint, ahbe ich dich unterschätzt. Dich und deine Sturheit!“

Lumen musste dabei etwas lächeln. „Das muss man ja, wenn man mit dir auskommen will!“, konterte sie und kurz mussten sie beide lachen. Dann aber wurde Lumen wieder ernst. „Bitte, nimm ihn trotzdem. Ich möchte, dass du immerhin etwas von mir hast, was dich an mich…an uns erinnert!“, sagte sie und hielt ihm den Ring hin. Sie hatte sich festvorgenommen, dass sie ihn, sobald sie sich mit ihm traf, ihm wiedergeben wollte. Und wenn nötig, würde sie dazu zwingen. Ihr erschien es nicht gerecht, wenn sie etwas von ihm hatte und er nicht von ihr.

Tenebrae blickte lange auf den Ring in ihrer Hand. Selbst in der Dunkelheit schien der Smaragd darin zuleuchten, als würde darin ein Feuer lodern und langsam, mit zitternen Fingern, nahm er ihn an sich. Wie sie es am Mittag getan hatte. „Ich brauche keinen Ring um an dich erinnert zuwerden!“, sagte er. Er wollte ihn ihr schon zurückgeben, doch Lumen schüttelte den Kopf und hielt seine Hand zurück. Drückte sie zurück. „Nimm ihn trotzdem. Bitte. Mir zuliebe!“

Tenebrae sah seiner Liebsten in die Augen, sah deutlich das Flehen darin. Sie wollte auf Biegen und Brechen, dass er den Ring behielt. Auch wenn er nicht wusste, warum. Er würde sie nicht soleicht vergessen, wie sie glaubte. Dennoch wollte er den Wunsch der Prinzessin nicht abschlagen. So steckte er ihn sich an den Finger. „Und ich sage dir, ich brauche diesen Ring nicht, um mich an dich zuerinnern!“, sagte er. „Fang nicht an mit mir zustreiten. Wer weiss wielange wir noch uns sehen können!“, kam es prompt von der Prinzessin und der Magier war erstaunt wie inbrünstig sie darauf beharte.
 

„Es ist der Magier. Der Magier, der einst das Königreich mit seiner dunklen Magie rettete!“, platzte der König bei dem Magier Invidia heraus, kaum dass die Sonne aufgegangen war und war außer sich. Invidia hatte schon damit gerechnet, dass es sich nicht dabei um einen Amatuer handelte. Welcher Magier war schon so mächtig, dass er seine Ausstrahlung verbergen konnte und sich damit unsichtbar machte?

Ihm viel da nur einer ein. Das konnte doch nicht sein!

Er war davon ausgegangen, dass der Junge, den er einst unterrichtete und wegen seiner Angst, vor einer Verdrängung aus seinem Rang, hinrichten lassen wollte, in den Bergen umgekommen sei. Nun aber wusste er es und es wurde ihm Angst und Bange. Er ahnte und war sich auch ganz sicher, dass der Magier schon bald dahinter kommen würde, wer ihn hatte töten wollen und sich an diesem rächen. Schon allein bei der bloßen Vorstellung, stellten sich seiner weissen Nackenhaare auf. „Dann müssen wir schnell handeln. Sonst ist es zuspät. Wer weiss, was dieser Teufel als nächstes tut!“, sagte er und schlug sein Buch der Magie auf. Blätterte darin, als würde er darin etwas suchen. Ohne zuwissen, was genau. Sicher war nur eins: Er musste einen Bann finden, der den Magier schwächen und es ihm damit so leicht machen würde, ihn aus der Welt zuschaffen. Das Wohl der Prinzessin, lag ihm allerdings wenig am Herzen. Doch das sollte der König nicht wissen.
 

„Und hat er ihn wieder an sich genommen?“, fragte Cor. Lumen nickte. „Ich habe ihm gesagt, dass ich nicht eher Ruhe geben werde, bis er ihn sich an den Finger steckt!“

Cor musste dabei etwas lächeln. „Ganz schön stur, unsere kleine Schwester!“, bemerkte sie. Fortitudo sagte dazu nichts. Ihr war es immernoch nicht recht, dass ihre jüngste Schwester zu Magier hielt. Auch wenn sie meinte, dass sie es den beiden glaubte. Die Sorge um sie blieb jedoch. „Ich kann nur hoffen, dass du es nicht bereust!“

„Das einzige, was ich bereue, ist, dass ich Vater bisher für einen gütigen und gerechten Mann gehalten habe!“, murrte Lumen finster. „Du hälst immernoch an dieser Geschichte fest?“, es war mehr eine Frage an sich selbst gerichtet, als an sie und Lumen seufzte. „Ich dachte, wir hätten das geklärt?“, fragte Lumen, leid über dieses alte Thema zureden. „Haben wir auch. Aber mir will es einfach nicht in den Kopf. Tut mir leid, wenn ich da engstirnig bin, aber ich kenne Vater genauso lange wie ihr. Und ich kann mir das beim besten Willen nicht vorstellen!“

„Fortitudo. Lass es gut sein!“, bot Cor sie. Um zuverhindern, dass die Schwestern sich darüber stritten und womöglich ihre enge Bindung noch mehr darunter litt, als sie es jetzt schon tat. Fortitudo murmelte nur etwas und schaute nach draußen. Es versprach ein sonniger Tag zuwerden. Auch Lumen blickte hinaus und sah den blauen Himmel, der sich über das Reich und die Täler spannte. Keine einzige Wolkte bedeckte das Blau oder die Sonne. Doch trotz dass die warmen Strahlen der Sonnen in das Zimmer fielen, fühlte Lumen, wie sie ein kalter Lufthauch streifte und sie frösteln ließ. Fast als wäre dies ein böses Omen.

Daran wollte sie keinen Gedanken verschwenden.

Sondern nur daran denken, dass der Magier heute Nacht wiederkommen würde.
 

Mit jedem Stundenschlag der Turmuhr, wurde Lumen aufgeregter. Es war heftiger, als bei den letzten Malen und sie fragte sich, woran das liegen konnte. An der Freude, ihn wieder zusehen etwa?

Gut möglich. Denn die nächtlichen Treffen mit ihm hatten etwas Verbotenes und damit etwas Verlockendes, auch wenn sie sich fürchtete, erwischt zuwerden. Nichts konnte die Freude und das aufregende Gfühl seiner Nähe trüben.

Als es endlich soweit war und es weit nach später Stunde war, eilte sie zur Tür und wollte sie öffnen. Doch kaum dass sie hinaustreten konnte, versperrten drei Gestalten ihr den Weg. Zwei davon waren die Wachen der Schlosswache und die dritte, ihr Vater. Lumens Knie wurden schwach und kurz schwankte sie. Fing sich aber wieder und versuchte sich nichts anmerken zulassen. „V-Vater, was…was machst du hier zu so später Stunde?“

„Das gleiche könnte ich dich fragen?“

„Ich…ich will nur etwas frische Luft schnappen gehen!“

„So?“, fragte der König und hob misstraurisch die Brauen. „Oder willst du eher, höchstwahrscheinlich den Magier wiedertreffen. So wie die anderen Nächste zuvor?“

Lumen spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. Er wusste davon?

Wie? Und von dem?

Das Geräusch von Holz, das brach oder gegen etwas zufiel kam ihr wieder in den Sinn. Sie hatte sich also nicht gettäuscht. Es war jemand dagewesen und dieser Jemand, war ihr Vater gewesen. Unfähig etwas darauf zu erwidern, sah sie ihren Vater nur an. Versuchte dann etwas über die Lippen zubringen. Ihm davon zu überzeugen, dass das nicht stimmte. Doch der König deutete ihre Sprachlosigkeit und ihr blasses Gesicht als eine Bestätigung seines Verdachts und sein Gesicht verdüsterte sich. „Du wirst ihn nicht sehen. Heute nicht und auch niemals mehr!“, sagte er. Trat auf seine Tochter zu. Lumen wich zurück. In diesem Moment machte er, ihr eigener Vater, ihr Angst. „Was…was hast du vor?“, fragte sie und sie erschrak, als sie hörte, wie sehr ihre Stimme zitterte. Mit diesem Gesicht und solch einer dunklen, bedrohlichen Stimme, hatte sie ihren Vater noch nie erlebt. Was war nur in ihn gefahren?

König Sapientia sagte nichts, sondern blickte hinunter zu dem Anhänger. Und noch ehe Lumen etwas dagegen unternehmen konnte, hob er die Hand und riss ihr mit einem hefigen Ruck die Ketter vom Hals. „Nein!“, kam es schrill aus ihrem Mund und sie fasste sich an den Hals, weil sie nicht glauben konnte, was er da getan hatte. Als sie dann den Anhänger mit samt Ketter in der Faust ihres Vaters sah, schüttelte sie entsetzt den Kopf und wollte danach greifen. War ihr Vater von allen guten Geistern verlassen?

Der König wich ihrer Hand aus und war mit zwei Schritten draußen. „Dafür sorgen, dass er verschwindet und dich niemals mehr mit seiner schwarzen Magier verhext!“, sagte er etwas verspätet und als Lumen ihm nachwollte, ihn bei was auch immer abhalten wollte, warf er ihr die Tür vor der Nase zu und schloss von außen ab. „Nein!“, schrie sie erneut, diesesmal lauter und schlug mit ihren Fäusten gegen das Holz der Tür. Verzweiflung, ohmächtige Wut und Angst stieg in ihr auf. Erfasste sie, wie eine Klaue, die sich immer mehr um sie schloss und sie zu würgen schien. „Mach auf, Vater. Das kannst du nicht machen!“, schrie sie außer sich. „Du weißt ja nicht, was du da tust!“

Doch ihr Vater hörte sie nicht. Er hatte den Wachen den Befehl gegeben, niemanden zu der Prinzessin zulassen und die Tür zubewachen. Allein ging er von dannen. In den Garten, wo schon Invidia auf ihn wartete. Gemeinsam wollten sie den Magier in eine Falle locken.
 

Ungeduldig warteten der König und der Magier darauf, dass Tenebrae sich zeigte. Starr waren ihre Blicke auf die Baumgruppe geheftet, wo der Magier beim letzten Mal erschienen war. Die Wachen, zehn an der Zahl, hatten sich verborgen rund um den Garten postiert und warteten auf das Zeichen.

Lange passierte nichts und der König und sein Magier fürchteten schon, dass sie kein Glück haben würden. Sie kamen sich vor, wie zwei Jäger, die Ausschau, nach der ersehnten Beute hielten. „Wann kommt endlich dieser Teufel?“, knurrte der König ungeduldig.

Und drückte seinen Rücken etwas durch. Er verzog dabei schmerzlich das Gesicht.

Schon letzte Nacht hatte er aus einer unbequemen Körperhaltung beobachten müssen, wie der Magier und seine Tochter sich zu einem Techtelmechtel trafen. Diese hier war genauso schlimm und er spürte, wie sein Rücken gegen diese verkrampfte Haltung protestierte.

Invidia hob beschwichtigend die Hand. „Ganz ruhig, mein König. Es wird sicher nicht mehr lange dauern. Wenn es stimmte, wird er sicher blad auftauchen und dann wird es aus mit ihm sein!“, versprach Invidia ihm und hoffte, dass dies reichen würde, um den König ruhig zu halten.

Die Nacht schien nicht mehr enden zuwollen und der König kämpfte darum, ruhig zu bleiben und sich und die anderen nicht zu verraten.

„Er wird nicht kommen. Sicherlich hat er Wind davon bekommen!“

„Ruhig!“, zischte Invidia und noch ehe der König darauf etwas erwidern konnte, ließ ihn ein Geräusch verstummen. Erst war es leise, doch dann wurde es lauter und der König hielt den Atem an. Schritte!

Jemand war hier und als er zu den Bäumen schaute, sah er eine dunkle Gestalt umherstreifen. Der Magier war gekommen!
 

Langsam, als hätte er alle Zeit der Welt durchschritt er den Garten und bewegte den Kopf hinundher. Als würde er etwas suchen. Oder jemand. Der König konnte sich ein diebisches Grinsen nicht verkneifen. „Sie wirst du nicht hier treffen, du Scheusal!“, dachte er und freute sich darauf, in das überraschte des Magier zublicken, sobald die Falle zu schnappte.

Da blieb die Gestalt stehen und nun verharte der Kopf in der Richtung, in der der König und sein höchster Magier sich verbargen. „Wollt Ihr nicht rauskommen und Euch dem Scheusal zu Angesicht zu Angesicht stellen, so wie es ein guter König tun sollte. Statt sich wie ein Dieb zuverstecken?“, höhnte der Magier und die beiden Männer zuckten zusammen.

Er wusste, dass er ihm auflauerte?

Unsicher tauschte er mit dem Magier einen Blick. Dieser machte ihm ein Zeichen, dass zutun, was der Magier von ihm wollte. Langsam erhob er sich und kam aus seinem Versteck.

Dem König war alles andere als wohl dabei, sich dem Magier zustellen und mehr als einmal blickte er verstohlen zu dem Magier, der sich im Schatten zusammen kauerte.

„Was treibt Euch zu so später Stunde in den Garten?“, fragte der Magier kühl. „Dasgleiche könnte ich Euch auch fragen. Wie könnt Ihr es wagen, hier aufzutauchen und mein Kind weiterhin zu quälen?“, kam es von dem König und er versuchte wütend zuklingen. Doch in der Dunkelheit der Nacht kam ihm der Magier bedrohlich und übermächtig vor. Er konnte nur hoffen, dass Invidia gegen ihn etwas ausrichten konnte.

„Euer Kind quälen? Womit?“, fragte Tenebrae mit gehobenen Brauen. Offenbar war er in den Augen des Königs das Monster. Wie leicht es doch war, die Schuld von sich auf andere zuschieben und sich als Unschuldslamm darzustellen.

Tenebrae verzog kurz das Gesicht, als Abscheu vor dem König hochkam.

Der König war immernoch dergleiche Feigling wie einst. Und ebenso arrogant.

Er würde sich niemals ändern. Tenebrae unterdrückte seine Wut. Zwang sich ruhig zubleiben.

„Damit, dass Ihr sie heimsucht und sie…!“, der König wusste nicht, wie er den Satz beenden sollte, angesichts dieser Gleichgültigkeit des Magiers. Sondern ballte nur die Fäuste und sah den Magier wütend und außer sich an.

„Ich tue gar nichts. Der einzige, der hier schuldig ist, seit Ihr. Ihr habt selbst dafür gesorgt, dass die Prinzessin nun in diesem Zustand ist. Ihr hättet meinen Vorschlag ausschlagen können, statt einzuwilligen. Ihr hättet wissen müssen, dass es soweit kommt!“, sagte der Magier.

„Ihr geht zuweit, Magier!“, rief der König wütend.

„Das einzige, was hier zuweit geht, ist dieses lächerliche Theater!“, sagte Tenebrae, das ganze leidgeworden und wandte sich dem verstecktem Magier zu. „Wann gedenkt Ihr rauszukommen. Oder wollt Ihr Euch ewig verkrieschen, wie ein feiges Schwein!“

Invidia erstarrte. Hatte er ihn etwa ebenso benerkt, wie den König. Für einen Magier war es ein leichtes, einen Sterblichen zusehen, ohne dass er seine Augen benutzte. Aber dass ein Magier einen anderen Magier spüren konnte, war einfach unmöglich. Für gewöhnlich schützte sich ein Magier vor anderen, in dem er seine Anwesenheit hinter einem magischen Schleier verbarg. Dass Tenebrae diesen jedoch durchschauen konnte, bestätigte seine Befürchtung. Er war mächtig und es würde nicht leicht werden, ihn zubeseitigen.

Mit krampfhafter Haltung und sich dazu zwingend, sich seine Furcht nicht anmerken zulassen, verließ nun auch er sein Versteck und schritt gemessenen Schrittes zu ihnen hin. Als Tenebrae seinen alten Lehrmeister sah, verzog verächtlich das Gesicht. Die vielen Jahre waren nicht spurlos an ihm vorbeigegangen und aus dem Mann, der das gleiche Alter hatte, wie nun Tenebrae, war ein alter Greis geworden, in dessen Augen Angst aufflackerte. Tenebrae genoss es den Lehrmeister und Verräter so zusehen. Behielt sich doch ein bissiges Kommentar und wandte sich wieder dem König zu.

„Um Eure Tochter braucht Ihr Euch nicht mehr zusorgen. Heute Nacht, werde ich sie zum letzten Mal besuchen!“, sagte er. Der König verzog daraufhin grimmig das Gesicht. „Ohja, das wird das letzte sein. Das versichere ich Euch!“, sagte er grimmig.

Wie auf ein Zeichen, flammte bläuliches Licht auf und umschloss den Magier. Geheimnissvolle in sich verschlungene Zeichen loderten an den Rändern auf und entfesselten ihre Kräfte. Der Magier zuckte kurz zusammen, als das magische Licht ihn umhüllte und die freigesetzten Kräfte ihn durchfuhren, wie eisige Stromstösse.

Da er fast vollends von den Schatten verschlungen war, war es nur natürlich dass das Licht, welches aus dem magischen Kreis entstieg, ihm zusetzte. Die Schatten, welche sich in ihm eingenistet hatten, schrien auf und ihre Schmerzen durch das Licht waren auch der seine. Krochen in jede Faser seines Körpers und entbranntren in einem kaum auszuhaltenen Brennen. Als würde Feuer durch seine Adern rasen, das alles verschlang. Tenebrae versuchte den Schmerz zu ignorieren und ruhig zu bleiben. Er hatte damit gerechnet, dass Invidia diesen Zauber einsetzten würde.

Denn wie ließ sich Dunkelheit am besten vernichten wenn nicht mit Licht?

Und vermutlich würde dies ihm auch gelingen. Doch soleichtn würde er ihm das nicht machen.

Tenebrae lächelte und konzentierte sich. „Alle Achtung, dass Ihr solch einen schweren Zauber noch in Eurem hohen Alter vollbringen könnt!“, sagte er und natürlich war jedes Wort voller ätzender Verachtung. Jeder Lehrling konnte die Lux Signum heraufbeschwören, wenn er auch nur ein bisschen Talent im kleinen Finger hatte. Selbst er hatte diesen Zauber auswirken können. Dass er ihn mit diesem mickrigen Zauber versuchte zu schwächen war typisch für ihn. Trotzdem schmerzte es. Mochte der Zauber noch so einfach sein.

Licht war das einzigste Mittel gegen Schatten.

„Ich mag zwar alt sein. Für dich reicht es aber allemal!“, kam es von Invidia inbrünstig und er verstärkte den Zauber. Tenebrae verzog schmerzhaft das Gesicht, als die Lichtzeichen an Kraft gewannen und diese auf ihn zurückwarfen. Das Feuer in ihm brannte dadurch nun umso stärker und zerrte an ihm. Tenebrae begann am ganzen Leib zu zittern, als würden schreckliche Fieberanfälle ihn schütteln. Seine Knie gaben nach und er spürte, wie er schwächer wurde. Unter größter Kraftanstrengung versuchte er sich gegen diese Macht zustemmen. Wollte nicht kampflos aufgeben und sich von diesem miesen Feigling bezwingen lassen. Doch der Schmerz war viel zustark, als das er dagegen halten konnte. Für einen kurzen Moment schwankte er und fühlte, wie das Licht ihn immermehr schwächte. Ihm jegliche Kraft und jeden Willen nahm, sich zuwehren.

Aber dann, als er glaubte, das Bewusstsein zuverlieren, erfasste ihn in eine dunkle, kalte Welle. Noch kälter als die erste, als das Licht ihn durchzuckte und vertrieb den Schmerz. Schien ihn für eine kurze Weile, von dem Schmerz, der ihn peingte, zu befreien und neue Kraft zu geben. Tenebrae horchte in sich hinein. Versuchte herauszufinden, woher diese neue Kraft kam. Dabei war es so leicht die Antwort darauf zu finden. Jeder Mensch trägt das Uralte in sich. Den Drang zum Überleben. Und das mit verbundene Dunkle Wesen, welches in jedem menschlichem Herzen hauste. Den Menschen dazu trieb, Dinge zutun, die er unter normalen Umständen niemals tun würde.

Tenebrae hatte es bisher immer unterdrückt. Doch nun musste er es gewähren lassen. Wenn er schon starb, dann wollte er sein Ende lange genug hinauszögern, damit auch der Alte dabei an Kraft und vielleicht auch sein Leben verlor. Kein Magier konnte solange solch einen Zauber aufrecht halten, wenn der Gegner einen nicht minder schwachen Zauber dagegen ansetzte.

Mit der ihm noch vorhandenen Magie, sprach er leise eine Gegenformel und die Zeichen begannen zu flackern. Veloren dabei an Helligkeit und damit auch an Kraft. Aber nicht genug, sodass Tenebrae diesen Zauber brechen konnte. Tenebrae zwang sich also über seine Grenzen hinaus zugehen und konzentierte sich noch stärker, sodass ihm Schweissperlen auf der Stirn standen. Das dunkle Wesen schrie. Dunkel und wütend. Zuerst dachte er, das dunkle Wesen duldete keine Überschreitung der ihm auferlegten Grenzen, da es sie beide auch töten könnte. Doch dann erkannte er dieses Schreien. Nein, das war kein Schreien. Es war ein Rufen!

Tenebrae öffnete die Augen, da er sie in seiner Konzentration geschlossen hatte, sah aus dem Augenwinkel, wie etwas auf ihn zukroch. Langsam, schleichend, wie Schlangen, die sich an ihre Beute heranpirschten und als Tenebrae genauer hinsah, erkannte es, dass es sich hierbei um Schatten handelten. Das dunkle Wesen in ihm und das ein Teil von ihm war, hatte die Schatten gerufen.

Tenebrae war erleichtert. Aber nur zum Teil. Denn er fürchtete, dass er damit umso mehr zu einem von ihnen wurde. Daran durfte er aber nicht denken. Nicht jetzt. Zuerst musste er diesen Verräter und den Mörder seiner Eltern dafür bluten lassen und das allein verlieh ihm noch mehr Kraft, als er jetzt schon hatte. Was für eine wirkungsvolle und nützliche Waffe der Hass doch sein konnte, dachte er und lächelte finster.

Die Schatten krochen weiter, glichen nun nicht nur Schlangen, sondern auch anderen Tieren und auch dämonischen Gestalten, die sich gegen den Schild aus Licht pressten und ihn mehr zu schwächen versuchten, als er es jetzt schon war. Sie warfen, schlugen und kratzten dagegen. Ein wütendes Fauchen und Brüllen drang aus tausend Kehlen und ließ die Anderen erschauern.

Invidia umso mehr, denn er erkannte nun, dass es ein Fehler gewesen war, den Magier herauszufordern.

Invidia sah, dass der magische Kreis der Lux Signum schwächer wurde und hob die Hände. Beschwor die darin liegende Kraft erneut herauf, doch wo beim ersten Mal ein sofortiges Leuchten zuerkennen war, flackterte der helle Lichtschein unregelmässig. Es schien als würden beide Kräfte der Magier miteinander um die Oberhand kämpften.

Während Invidia versuchte, dem jungen Magier Contra zugeben und den magischen Kreis wieder hellaufleuchten zulassen, lachte das dunkle Ich in Tenebrae über diesen Versuch. Es wusste genau, dass es nur eine Frage der Zeit war, ehe die Kräfte des Alten erlahmten und er den Tod ereilen würde. Diese Gewissheit, über seinen nahenden Sieg und das er endlich Rache an denjenigen ausüben konnte, gaben dem Magier neue Kraft und ließen den alten Magier ächzen. Sein Körper, gezeichnet durch die vielen Jahre, begann sich zu krümen und zubeugen und seine Hände, die vorher voller Kraft hocherhoben waren, verkrümmten sich zu Klauen. Seine Erscheinung war die eines sterbenden Mannes, der in den letzten Minuten seines Lebens noch einmal versuchte den Tod zuüberwinden.

Doch mit der Kraft des Magiers, die voller Entschlossenheit war, konnte er es nicht aufnehmen und das erkannte er nun.
 

Lumen wusste nicht, wielange sie schon gegen die Tür schlug, die ihr Vater verschlossen hatte. Ihre Hände schmerzten und waren an den Seiten aufgeschürft. Blut klebte an dem dunklen Holz und ihre Fassungslosigkeit schlug erst in Wut und dann in Verzweiflung um. Heiße Tränen rannen ihr über die Wangen und sie sank in die Knie. Erstickt flehte sie die Wachen an, die Türe zu öffnen und sie rauszulassen. Doch von Draußen war nichst weiter zu hören, als Schweigen. Lumen war am Rande der Verzweiflung. Sie lehnte sich an die Tür und schluchzte.

Es verging eine lange, lange Zeit und Lumen hatte keine Hoffnung. Dann aber hörte sie Stimmen auf der anderen Seite der Türe und ihr Herz setzte einen Schlag aus.

Waren das ihre Schwestern?

„Was tut Ihr hier?“, fragte Fortitudo und die Wachen sagten ihr:„ Wir sollen die Tür der Prinzessin bewachen!“, kam es prompt von den Wachen und Lumen schöpfte neue Hoffnung. „Schwestern helft mir. Vater hat mich hier eingesperrt!“, schrie sie und schlug erneut gegen die Tür. „Worauf wartet Ihr? Öffnet diese Tür!“, blaffte Fortitudo die Männer herrisch an und kurz herrschte Schweigen. „Wir haben den ausdrücklichen Befehl, niemanden die Türe zu öffnen!“, kam es wieder und Lumen verfluchte die Sturheit dieser Männer. Auch Fortitudo schien darüber nicht gerade begeistert zusein. „Ich bin nicht irgendwer. Sondern die Tochter Eures Herrschers und ich befehle Euch als diese: Macht die Tür auf!“

Das hatte Wirkung, denn keine Minute später, hörte Lumen, wie der Schlüssel eingesteckt wurde und das Schloss aufsprang. Lumen wartete erst gar nicht, bis man ihr öffnete, sondern warf sich mit aller Macht gegen diese und die Wachen wichen in letzter Minute zurück, um nicht von der schweren Eichentür getroffen zuwerden. Lumen sah ihre Schwestern gehetzt an. „Wo ist er?“, fragte sie atemlos und ihre Schwestern verstanden nicht. Sie wussten nichts von dem, was ihr Vater im Begriff war zutun. Sie waren erst durch das Schlagen und Schreien ihrer Schwester darauf aufmerksam geworden und waren zu ihrem Zimmer gegangen. Hatten die Wachen gesehen, die vor der Tür postiert waren und hatten sich gefragt, was das sollte. Als sie hörten, dass Lumen außer sich war und hinaus wollten, hatte Fortitudo nicht gezögert. Nun sah sie sie besorgt an. „Lumen, was ist los?“, fragte sie. Lumen sah sich erneut unruhig um. Wo war nur ihr Vater hingegangen und, was noch wichtiger war, was hatte er vor?

„Ich…ich kann es nicht erklären. Nicht jetzt. Bitte, sag mir wo Vater ist!“, bat sie sie inständig, doch so gern Fortitudo ihr geholfen hätte, sie konnte nicht sagen, wo ihr Vater sich aufhielt. Aber vielleicht wussten es die Wachen.

„Ihr da! Wo ist mein Vater jetzt. Raus damit?“, fragte sie die Männer barsch und kurz tauschten die beiden unsichere Blicke. Ihren König waren sie zur Treue verpflichtet, aber an Strenge und Hartnäckig stand die älteste der Schwestern ihrem Vater in sich nichts nach.

„Im Garten. Euer Vater befindet sich im Garten. Doch was er da will, können wir Euch nichts sagen!“

Lumen fuhr der Schrecken durch alle Glieder. Der Garten!

Aber natürlich, schoss es ihr durch den Kopf und Panik stieg in ihr hoch. Oh bitte nicht!

Sofort drehte sie sich auf dem bsatz um und rannte. Richtung Garten. Und während sie wie vom Teufel gehetzt durch den Gang lief, betete sie, dass sie nicht zuspät kam.
 

Mit schmerzverzerrtem Gesicht, drehte er sich zum König herum und schrie mit krächzender Stimme: „Worauf wartet Ihr, zerstört es. Sonst verlieren wir alle!“

Der König, der dem Kampf mit weitgeöffnetem Mund zugesehen hatte, verstand erst nicht, doch dann wurde er sich des Anhängers in seinen Händen bewusst und er schleuderte diesen zu Boden. Der Anhänger zerbarste in tausend kleine Teile und das Licht der Sternenträne schoss aus den Splittern heraus und verglühte, als diese aufstiegen.

Als dies passierte, schrie Tenebrae auf und sein Schutz und zugleich sein Angriff fielen in sich zusammen.

Seine Kraft und die Schatten, die sich gegen das Licht gestellt hatten, alles war ausgelöscht. Mit der Zerstörung der Sternenträne, war das letzte bisschen seiner Kraft verloren und Invidia nutzte dies, um den Kreis der Lichtzeichen wieder zuverstärken. Tenebrae wurde davon regelrecht zu Boden gedrückt. Tenebrae schrie auf. Das Licht, was er vorhin so gut zurückgehalten hatte, nahm an Kraft zu und es war, als würden tausend glühende Dolche ihn druchbohren. Ihn innerlich verbrannten.

Er glaubte, sie würden ihn in Stücke reissen. Tenebrae schrie aus vollster Kehle und mit ihm das dunkle Ich in ihm. Es wand sich und versuchte das Licht wieder zurückzudrängen. Doch seine Kräfte waren aufgebraucht und so war er dem Licht und der Kraft des Magiers hilflos ausgeliefert. Invidia schrie triumphierend auf. „Endlich habe ich dich!“, schrie er und verstärkte die Kraft, auch wenn er selbst an seine Grenzen geraten war. Doch um den Magier, seinen verhassten und auch gefürchteten Nebenbuhler, loszuwerden, war ihm jedes Mittel recht. Mit eiskalter Genugtuung sah er, wie Tenebrae immer schwächer wurde und sich kaum noch wehren konnte. Nicht mehr lange und es wäre aus mit ihm. Dass die Finsterniss schon den größten Teil von seinem Körper und seiner Seele besetzt hatte, machte das ganze noch umso einfacher. Auch wenn es zu Anfang schwer gewesen war, weil er, von allen dunklen Kreaturen, das mächtigste war, hatte Invidia befürchtet, dass er es niemals schaffen würde. Nun aber hatte sich das Blatt, zu seinen Gunsten gewendet und er genoss diesen Moment, in dem Tenebrae geschwächt am Boden lag.

Fast schon hätte er seiner Hochstimmung hingegeben, doch dann erinnerte er sich daran, dass der König neben ihm stand und das ganze nur befohlen hatte, um seine Tochter zuschützen. „Worauf wartet Ihr? Bringt es zuende!“, herrschte der König ihn in diesem Moment an und der Magier nickte. So gern er sich dieser Freude hingegeben hätte, wollte er den König nicht verstimmen. Wer weiss, was er mit ihm anstellen würde, wenn er seinen Befehlen nicht gehorchte.

So sprach Invidia die letzte Formel, die nötig war, um Tenebrae endgültig unschädlich zu machen. In diesem Moment kam Lumen in den Garten und sah, was vor sich ging. Sie schrie auf, als sie sah, wie Tenebrae am Boden lag und sich vor Schmerzen wand. „Nein, was tut Ihr da?“, schrie sie und stürmte nach vorne. Die Wachen, die am Eingang des Gartens standen, fingen sie ab und hielten sie zurück. Lumen warf sich gegen sie und versuchte, sich an ihnen vorbei zuschieben. „Hört auf. Ihr bringt ihn ja um!“

König Sapientia hatte bemerkt, dass seine Tochter in den Garten gekommen war und würde die Wachen hart bestrafen, sobald das ganze vorbei war. Hecktisch trieb er den Magier an, es zuende zubringen. Bevor es zu einem Unglück kam.

Invidia murmelte die letzte Strophe nocheinmal und das Licht wurde heller und heller.

Tenebrae schrie erneut und es zerriss Lumen das Herz. Glaubte denselben Schmerz zu spüren, der ihn peinigte. Und erneut, diesesmal heftiger versuchte sie die Blockade, die die Wachen bildeten, zu überwinden. „Hört endlich auf damit!“

Als Tenebrae die Stimme seiner Geliebten hörte, meinte er, im Moment des nahenden Todes, sein Verstand würde ihm einen Sreich spielen. Doch als er aufschaute und sie, durch das Licht sah, wie verzweifelt und fassunglos und sie flehen hörte, sie sollen aufhören, erkannte er, dass sie es wirklich war und lächelte schwach. Auch wenn er sich gewünscht hatte, dass ihr solch ein Anblick erspart blieb, war er dennoch froh, sie ein letztes Mal zusehen. Denn os würde sie auch sehen, was für ein skrupelloser Mann er war. Doch das alles hatte keine Bedeutung mehr. Nur das er sie nocheinmal sehen durfte. Er streckte die Hand aus, wie zu einem letzten Abscheidsgruß. Da konnte es Lumen nicht mehr ertragen. Trotz der starken Gegenwehr der Wachen, schaffte sie es, sich an ihnen vorbeizudrängen und rannte halsüberkopf los. Beachtete dabei nicht, wie ihr Vater nach ihr schrie und auch nicht auf den Magier, der kurz seine Salven an fremdklingenden Wörtern kurz unterbrach und damit ein Loch in die Lichtsäule riss, sodass sie hineinlaufen konnte. Für sie zählte nur Tenebrae. Sie wollte und musste zu ihm. Wie als wollte sie ihn vor einem Hagelsturm schützen, warf sie sich auf ihn und umarmte ihn.

Invidia, der eben vor lauter Verwunderung seine Sprüche unterbrochen hatte, schaute unsicher zum König. Wollte wissen, ob er weitermachen sollte, auch wenn die Prinzessin sich in den magischen Lichtkreis begeben hatte. Der König schien sich erstmal nicht sicher zu sein, dann aber schüttelte er den Kopf. Sehr zum Bedauern des Magiers. Auch wenn dieses unvernünftige junge Ding, in den Kreis getreten war. Der Lichtzauber würde ihr nicht schaden. Ihr nur ein wenig Übelkeit bereiten. Doch der König wollte das Leben seiner Tochter nicht aufs Spiel setzten. Und so musste der Magier den Bann aufheben. Aber er machte sich deswegen keine Sorgen. Denn Tenebrae war zu geschwächt, als dass er auch nur einen Zauber gegenihn wirken lassen konnte.

So ließ er den Lichtkreis verschwinden und blickte zu den Bogenschützen, die auf den Mauern Stellung bezogen hatten. Sie würden den Rest erledigen.

Ein einziges Zeichen würde reichen und tausend Pfeilen würden auf ihn niedergehen und durchbohren. Vorrausgesetzt der König würde seine Tochter von dem Magier wegschaffen. Lumen kauerte neben dem besinnungslosen Magier. Ihr Oberkörper bedeckte den seinen, schützte ihn so vor den drohenden Pfeilen. Sehr zum Ärger und Sorge ihres Vaters.

„Lumen, geh von ihm weg!“, rief der König und gab seinen Männern zugleich den Befehl, sie von dem erschöpften Magier wegzuzerren. Doch kaum dass sie sie ergreifen und wegzerren wollten, schrie Lumen auf und klammerte sich noch mehr an ihm. „Ich werde nicht zulassen, dass Ihr ihm was tut!“, schrie sie außer sich und der König schnappte nach Luft.

War zu erschüttert über ihre Naivität als dass er noch etwas sagen konnte. Invidia knirschte mit den Zähnen. Wenn sie dieses dumme Ding nicht von ihm wegbekamen, würde er sich wieder erholen und das ganze würde wieder von vorne anfangen. Invidia war sich nicht sicher, ob er einen weiteren Lichtkreis heraufbeschwören konnte. Schon jetzt hatte es an seiner Kraft gezerrt. Ein weiteres Mal würde er nicht überstehen.

„Schafft endlich Eure Tochter von ihm weg!“, blaffte Invidia ihn an. Der König überhörte dies fliesentlich und diesesmal ging er selbst, um seine Tochter von dem Magier wegzubekommen. Doch kaum dass er sie an den Schultern ergriff, schrie sie ihn an und stiess ihn von sich. König Sapientia keuchte entsetzt auf, als er sah, wie wütend ihr Blick war.

„Lumen, bist du von Sinnen?“, fragte er. „Dasgleiche könnte ich Euch fragen, Vater!“, spie sie und es versetzte dem König einen Stich, als er hörte, wie seine Tochter mit ihm sprach.

Lumen aber war es gleich. Für sie zählte nur der Magier. Sie rollte ihn vorsichtig auf den Rücken und beugte sich über ihn. Strich sanft mit den Fingern über seine Wange. „Tenebrae!“, flüsterte sie. „Bitte. Öffne deine Augen. Wach auf. Du darfst nicht tot sein!“

„Worauf wartet Ihr? Schiesst endlich!“, schrie der Magier, dem das ganze zu bunt wurde und die Wachen spannten schon die Sehnen. „Nein, nicht solange meine Tochter bei ihm ist!“, rief der König. Und dann passierte es. Mit einem wilden Schrei war der Magier plötzlich aus seiner Ohnmacht erwacht und hatte Lumen gepackt. Wie Schraubstöcke legten sich seine Hände um ihren Hals und drückten zu. Lumens Augen weiteten sich. Sie wollte schreien, doch es kam nur ein Gurgeln aus ihrer zugedrückten Kehle. Sie begriff nicht, was das zubedeuten hatte. Warum würgte der Magier sie? Was war nur in ihn geraten?

Doch ein Blick in sein Gesicht, reichte aus, um zu erkennen, was dahinter steckte. Tenebraes Gesicht war, bis auf auf einen Streifen über seinem rechten Auge, von der Finsterniss verschlungen worden. Während das eine rechte Auge noch seine normale Farbe hatte, war das andere schwarz vor Dunkelheit und eine Leere war aus diesem zusehen, sodass es Lumen eiskalt bei diesem Anblick wurde. Mordlust und der Wunsch nach Rache hatten sein Gesicht, das ihr einst so vertraut gewesen war, in eine schrecklich verzerrte Grimasse verwandelt.

Nicht einmal lockerte er seinen Griff um ihren Hals. Aber er drückte auch nicht weiter zu. Sondern zog sie an sich und griff ihr mit der anderen Hand ins Haar, sodass ihr Kopf nachhinten gerissen wurde. Ihr Hals lag frei und ungeschützt da. Die Finger seiner anderen Hand immernoch um diesen gelegt. „Befehlt Euren Wachen, sie sollen die Pfeile senken, sonst breche ich ihr das Genick!“, krächzte der Magier und Lumen lief es kalt den Rücken runter. Seine Stimme klang, als würden tausend Eissapfen zerbrechen. Sie begann in seiner Umklammerung zuzittern. „Tenebrae…bitte!“, flehte sie mit erstickter Stimme. Doch der Magier reagierte auf ihr Flehen nicht. Hatte für ihre Worte nur ein Knurren übrig.

König Sapientia ballte verzweifelt die Fäuste. Wo er sich vorher sicher gewesen war, dass er und Invidia den dunklen Magier nun endlich loswerden würden, befürchtete er nun, dass sie es sein werden, die unterlagen. Solange der Magier Lumen als Geisel hatte, würden sie nicht zum Gegenangriff ausholen können.

„König Sapientia!“, rief der Magier und seine Stimme war dem Knurren eines Tieres ähnlich. Wie um seine Drohnung noch zuverstärken, machte er mit ihren Kopf einen kraftvollen Ruck nach links. Lumen schrie. „Nein, bitte nicht. Ich tue, was Ihr wollt!“, rief der König panisch und wandte sich an die Wachen auf der Mauer. „Legt die Waffen nieder. Sofort!“

Invidida war dem König einen fassungslosen Blick zu. Wieso ging er auf die Forderung dieses Teufels ein, statt darauf zuvertrauen, dass sein Magier einen anderen Weg zur Lösung des Problems finden würde. Die Wachen gehorchten und senkten die angespannten Bögen. Tenebrae, oder das was sein Gesicht hatte, lächelte kalt. Dachte aber nicht daran die Prinzessin loszulassen.

„So ist es brav!“, knurrte er. „Lasst jetzt mein Kind los!“, schrie der König außer sich und machte einen Schritt nachvorne. Doch kaum dass er das getan hatte, folgte ein weiter heftiger Ruck an Lumens Kopf und diesesmal meinte er das Knirschen von Knochen zu hören. Lumen stiess einen erstickten Schmerzenslaut von sich. „Nein!“

„Noch einen Schritt und…!“, sagte der Magier nur und der König blieb stehen, wo er war. „Was wollt Ihr noch. Ich habe getan, was Ihr verlangt habt?“

„Was ich will? Ganz einfach: Rache!“, sagte der Magier und grinste wieder unheilvoll. „Rache für das, was Ihr und Euer Magier mit angetan habt!“

„Was soll ich uch angetan haben? Wovon sprecht Ihr?“, fragte der König verwirrt.

Da wurde das Grinsen zu einer zornigen Grimasse und die Augen des Magiers glimmten in einem kalten Licht auf. „Habt Ihr das etwa vergessen oder stellt Ihr Euch dumm, um Euch als frommes Lamm darzustellen?“, fuhr er ihn wütend an. „Ihr wart es, der mir Mutter und Vater nahm. Aus Angst, ich könnte einst Euer Feind sein!“

Für einen langen Moment war immernoch Verwirrung in dem Gesicht des Königs zusehen. Doch als er über die Worte des Magiers nachdachte, begriff er und sein Gesicht wurde kalkweiss. „Ihr…ihr seid das?“, stammelte er und kurz sah er den Jungen vor sich, den er vor vielen Jahren an seinem Hofe gesehen hatte und der in die Lehre seines Magiers gegangen war. Damals als er seine Eltern verbrennen ließ, hatte er gedacht, der Junge wäre bei seiner Flucht ums Leben gekommen. Ihn nun aber als erwachsenen Mann zusehen und noch dazu als einen mächtigen Magier, ließ ihn vor Angst erstarren.

Es ergab alles nun einen Sinn. Warum war er ihm nicht gleich bekannt vorgekommen?

Und vorallem wusste Invidia davon?

„Invidia? Wusstet Ihr, wer das ist?“, schrie er ihn an und deutete auf Tenebrae. Invidia schluckte. Zusagen, dass er es tat, würde ihm sicher den Kopf kosten. Aber anlügen traute er sich auch nicht. „Nun ich…ich hatte so eine Ahnung!“, sagte er und versuchte sich nichts anmerken zulassen. „Ihr hattet eine Ahnung? Und hieltet es nicht für nötig es mir zusagen?“, fuhr er ihn an und Invidia schrumpfte in sich zusammen. „Stattdessen lasst Ihr zu, dass ich meine Tochter an diesen Teufel verliere!“

„Ihr habt ebenso Schuld daran!“, rief Tenebrae wütend. Es reichte ihm. Der König war wirklich ein Feigling. Ebenso wie Invidia. Womöglich ein noch größerer. Seine Augen hefteten sich an den blassen Magier, der krampfhaft nach einem passenden Zauber suchte. Hilflos rang er die Hände und seine Lippen bewegten sich unablässig. Ob er den richtigen Spruch sagte oder nach Hilfe flehte, konnte Tenebrae nicht sagen. Es war ihm auch egal.

„Egal was ihr das vorhabt, Invidia. Es wird Euch nichts nützen!“, rief er und in seiner Stimme war deutlich zuhören, dass er Recht behalten würde. Invidia sah sich dadurch in die Enge getrieben. Er musste etwas unternehmen, sonst würde sein einstiger Schüler ihm doch noch den Tod bringen.

Mit dem Mut der Verzweiflung rief er eine Formel und ein silbriger Nebel erschien. Umgab seine Hände, wuchs heran, bis er die Größe einer Wolke hatte. Dann schickte er diese zum Magier auf dass sie ihneinhüllen und ersticken solle. Doch der Magier hatte dafür nur ein müdes, hähmisches Lächeln übrig. Er nahm eine Hand von der Prinzessin. Mit der anderen hielt er sie dennoch gut fest und murmelte einige Worte. Die Wolke blieb mitten in der Bewegung stehen, kurz bevor sie ihn erreichte und verharte für einige Minuten. Dann färbte sich das Silber in ein tiefes Schwarz und die Wolke schwebte nun auf Indivia zu. Die Augen des alten Magiers wurden groß und hecktisch versuchte er einen Gegenzauber heraufzubeschören. Die Wolke jedoch glitt unaufhaltsam auf ihn zu und hüllte ihn ein. Invidia schrie und versuchte sich aus der Wolke zubefreien. Aber diese verdichtete sich noch mehr und schon bald war nichts mehr von ihm zusehen. Nur seine Schreie hörte man.

Diese verklangen aber nach und nach. Wurden schwächer.

Bis nichts mehr von ihm zuhören war.

Es vergingen noch einige Minuten, ehe sich die Wolke lichtete und den Magier wieder freigab. Doch was war mit ihm passiert?

Wo vorher noch ein Mensch aus Fleisch und Blut dagestanden hatte, war nun eine Statue an seine Stelle getreten. Der Körper in einer hilflosen Haltung erstarrt. Die Hände zu einer abwehrenden Geste erhoben. Deutlich konnte man den Schrecken und die Verzweiflung in seinem zu steingewordenen Gesicht sehen. Sie waren tief in sein ohnehin schon faltiges Gesicht eingebrannt und ließen es dadurch noch älter wirken.

Jedem Anwesenden wurde es eiskalt, bei diesem Anblick. Der Magier Tenebrae hatte deutlich gezeigt, zuwas er in der Lage war und nun würde nicht mal der mächtige Indivia dem König zur Seite stehen können. Wie gebannt blickte der König zu seinem einstigen ersten Magier und Angst packte ihn.

Jetzt wo Invidia nichts weiter war als eine schmückende Statue für den Garten würde Tenebrae nichts und niemanden mehr aufhalten. Kurz blickte er zu den Wachen, die immernoch oben auf der Mauer postiert waren und kurz spielte er mit dem Gedanken, ihnen mit einem knappen Nicken den Befehl zugeben, ihn zutöten. Doch wie als wenn er seine Gedanken gelesen hatte, unterbrach der Magier ihn. „Versucht es nicht mal, Sapientia!“, knurrte er und ließ Lumen schmerzlich aufschreien. Mit einer Mischung aus Sorge und Hass auf den Magier schüttelte den Kopf und ballte die Fäuste. „Was woll Ihr noch? Ihr habt doch bekommen, was Ihr wolltet!“

„Nicht ganz!“, sagte Tenebrae leise und sein Lächeln war alles andere als zufrieden. Dem König lief es eiskalt den Rücken runter. Er konnte sich denken, was er damit meinte. Dofort fiel er auf die Knie und hob flehend die Hände. „Bitte, verschont mein Leben. Ich weiss, ich habe einen Fehler begannen, doch so grausam könnt Ihr doch nicht sein und mich dafür mit dem Tode strafen!“, flehte er und war ein einziges Häuflein Elend. Tenebrae verzog angewidert das Gesicht. Wie tief kann ein König nur so sinken, dass er um sein Leben fleht, statt sich ihm entgegen zustellen und sein Leben zuverteidigen. „Ich soll Euch verschonen? Habt Ihr meine Eltern verschont? Nein! Im Gegenteil: Es machte Euch Freude sie sterben zusehen!“, sagte erkalt. Hob dabei nicht einmal die Stimme, sondern klang so als würde er über eine Banalität reden. Doch Lumen konnte deutlich hören, wie sehr er ihren Vater dafür hasste und wie seh r es ihn danach gelüstete, ihn dafür bluten zulassen. Wäre sie an seiner Stelle, wäre sie ebenso weit gegangen und würde sich nicht davon abhalten lassen. Dennoch fürchtete sie um das Leben ihres Vaters. Er mochte ein Mörder sein, aber er war auch ihr Vater. Sie wollte ihn nicht sterben sehen. In dem Glauben, wobei es auch gut Naivität sein konnte, versuchte sie den Magier anzusehen und zu ihm durchzudringen. „Tenebrae, bitte. Ich bitte dich!“, brachte sie aus ihrer geschundenen Kehle hervor. „Er hat etwas Schlimmes getan. Ich weiss. Aber bitte, töte ihn nicht. Bitte, mir zuliebe!“

Tenebrae schnaubte. „Etwas Schlimmes? Er hat getötet, weil er fürchtete, seine Macht zuverlieren. Er ließ meine Eltern hinrichten, weil sie mich schützen wollten. Sag mir, ist das gerecht?“, fragte er. Lockerte etwas seinen Griff, gestattete ihr so, etwas frische Luft in ihre ausgedörrten Lungen zu holen. Lumen sagte daraufhin erst nichts. Wie könnte sie auch?

Deutlich hatte sie den Hass in seinen Augen gesehen und dieser war auch berechtigt gewesen. Kein Mensch verdiente es, seine Familie durch solch eine hinterhältige Tat oder aus einem feigen Grund zuverlieren. Trotzdem. Sie wollte ihren Vater nicht verlieren.

„Nein, ist es nicht!“, hörte sie sich selber sagen.

Das reichte dem Magier. Mit diesen einigen Worten hatte sie eingeräumt, dass der König seine Strafe verdient hatte.

Er nahm erneut die Hand von ihr und streckte sie dem König entgegen. Kaum dass er dies getan hatte, murmelte er einige Worte und die Schatten kamen erneut. Krochen auf den König zu und griffen nach ihm. Der König schrie auf und versuchte, sich die Schatten vom Leib zuhalten. Doch kaum dass er nach ihnen schlug und sie zerfaserten, bildeten sie sich neu und packten ihn an den Handgelenken und an den Beinen.
 

Einer der Soldaten nutzte es, dass der Magier abgelenkt war und spannte seinen Bogen. Nahm seinen ungeschützten Rücken ins Visier. Ein gezielter Schuss zwischen die Schulterblätter und aus war es dann mit ihm.

Doch kaum dass er den Pfeil abschoss, warf sich der Magier herum und streckte die Hand aus. Der Pfeil blieb mitten in der Bewegung stehen, als hätte er ihn eine unsichtbare Wand gebohrt. Die Wache schnappte nach Luft. Tenebrae lächelte kalt, machte dann eine drehende Handbewegung. Der Pfeil drehte sich und flog zurück. Direkt zur Wache und bohrte sich in dessen Brust. Ein kurzer Schmerzensschrei drang aus seiner Kehle, ehe er tot von der Mauer fiel.

Die anderen Wachen wichen zurück. „Versucht das nicht nochmal!“, rief der Magier und wandte sich wieder an den König. Dieser windete sich immernoch im Griff der Schatten. Sein Gesicht war angstverzerrt. Aber da war noch etwas. Zuerst dachte Lumen, es sei die Angst, die sein Gesicht älter wirken ließ. Doch dann, als sie genauer hinsah, bemerkte sie, dass sich die Falten in seinem Gesicht immer tiefer gruben und sein Haar mal zu mal grauer wurde.

Er altert, ging es ihr durch den Kopf und blickte zum Magier, der es sichtlich genoss, den König im Griff der Schatten zappeln zu lassen.

Während dessen wurde der freie Fleck seines Gesichts mehr und mehr von der Finsterniss eingenommen. Nicht mehr lange und er…

Sie schauderte. Und sah wieder zu ihrem Vater. Mittlerweile war er genauso alt wie es der Magier gewesen war. Wielange würde es noch dauern, bis sein Herz aufhörte zuschlagen. Lumen schloss die Augen und versuchte die Schreie ihres Vaters auszublenden. Doch sie hallten in ihren Ohren wieder und ließen ihr Herz stillstehen.

Und auch wenn sie wusste, dass der Magier in seinem Verlangen nach Rache nicht auf sie hören würde, wollte sie ihn dennoch darum bitten, es nicht zutun. „Tenebrae…ich…bitte…!“, wimmerte sie. „Sei still!“, zischte der Magier, schlang nun den Arm um ihren Hals und drückte zu. Lumen war zwar froh, dass er nicht länger ihren Hals drückte, doch das änderte nichts daran, dass sie um das Leben ihres Vaters fürchtete. Verzweifelt, nicht wissend, was sie dagegen tun konnte, blickte sie zum Magier. Sah das Grinsen, welches die Fänge eines Wolfes zeigte und es lief ihr kalt den Rücken runter.

Kaum noch etwas von seiner Haut war zusehen. Die Dunkelheit hatte ihn gänzlich verschlungen. „Nein!“, kam es ihr über die Lippen. Er musste sie gehört haben, denn er sah zu ihr hinunter und das Grinsen wurde breiter. „Seht gut hin, Prinzessin. So ergeht es jedem, der es sich mit mir verdirbt!“, sagte er leise und Lumen wurde es kalt, bei seinen Worten.

Sie erinnerte sich daran, wie er sie in den Kerker gesperrt hatte, weil sie ihr Wort gebrochen hatte. Er war außer sich gewesen und hatte sie nicht einmal nur angehört. Die Wut hatte seinen Geist vernebelt und nun war es genauso. Nur schien es diesesmal noch schlimmer zusein und Lumen fürchtete, dass kein Flehen oder Betteln ihn dazu bringen würden, Gnade zuzeigen. Dennoch musste sie es versuchen. Sie wollte ihren Vater nicht sterben lassen.

Nicht so!

„Bitte, Tenebrae…hör auf damit!“, flehte sie in seinem hartem Griff, doch Tenebrae reagierte nicht, sondern war ganz und gar darauf fixiert, dem König sämtliche Lebenskraft zurauben. Deutlich war in seinem Gesicht zusehen, was für eine Freude es ihn machte. Ihr wurde eiskalt und sie sah wieder zu ihrem Vater, der immer schwächer wurde.

Sie konnte es nicht ertragen. Mit dem Mut der Verzweiflung riss sie sich aus seinem Griff. Trat vor ihn. Verzweifelt und auch entschlossen, dem Ganzen ein Ende zumachen, ergriff sie sie ihm am Kragen, als wollte sie ihn wachrütteln. „Tenebrae, komm zu dir!“, rief sie aufgebracht. Tenebrae knurrte und stiess sie von sich. Lumen schrie auf, als sie auf den Boden aufschlug. Blieb einige Minuten liegen, dann aber stand sie auf. Ging auf ihn zu und ergriff seinen ausgestreckten Arm. Wollte ihn senken, oder zumindest dafür sorgen, dass er sie ansah. Aber kaum dass sie seinen Arm berührte, schrie er wütend auf und holte aus. Mit brutaler Kraft trat er sie mit der Hand im Gesicht und warf sie wieder zu Boden. Lumen glaubte, ihr Kopf würde von den Schultern fliegen, als er sie schlug und war zugleich entsetzt darüber, dass er die Hand gegen sie erhoben hatte. Ihre Wange schmerzte und sie kämpfte dagegen an, dass Bewusstsein zu verlieren.
 

Tenebrae schrie auf, als er sah, wie das Ding, welches seinen Platz angenommen hatte, Lumen schlug. Zu Anfang war er einverstanden gewesen, dass es ihn beherrschte. Denn so war es ihm möglich neue Kraft zubekommen und sich an seine Peiniger zurächen. Als er nun den König mit einem dunklen Zauber die Lebenskraft nahm und bemerkte, wie Lumen um Gnade für ihn flehte, waren diese Rufe erst nur schwache Echos. Doch kaum, dass sie sich aus seiner Umklammerung befreit hatte und ihn angesehen hatte und er die Angst in ihren Augen gesehen hatte, war er sich nicht mehr so sicher un es nagten Sorgen an ihm.

Was wenn er zuweit gegangen war und niemals mehr zurückkommen würde?

Nie mehr zu sich finden würde?

Aus weiter Entfernung hörte er ihre Rufe. Ihr Flehen, dass er wieder zu sich kommen solle. Zuerst hatte er sie nur von sich gestossen und dabei den Ekel und die Wut des dunklen Wesens gespürt, die es gegenüber der Prinzessin spürte. Er konnte sich gut vorstellen, dass das dunkle Wesen noch weiter gehen und sie nicht einfach wegschieben würde, wenn sie ihm wieder zunahe kam.

Und genau das tat sie. Diesesmal berührte sie ihn am Arm und das dunkle Wesen hatte genug davon. Genug von ihr.

Das Böse in ihm jubelte, als die Prinzessin zu Boden ging und ihn entsetzt ansah. Erfreute sich daran, dass sie Schmerzen hatte.

Tenebrae hingegen war fassungslos.

Der Gedanke, dass sie ihn nun für das Monster hielt, für das ihn alle hielten, war unerträglich.

Sie war die einzige, die ihn nicht so sehen sollte. „Was tust du da?“, rief Tenebrae entsetzt und auch wütend. „Das geht zuweit!“

„Sie ist selbst Schuld, wenn sie glaubt, dass sie uns in die Quere kommen kann!“, knurrte das Dunkle in ihm und es lief den Magier kalt den Rücken runter. Uns?

Tenebrae fragte sich wirklich, ob das Dunkle wirklich sich und ihn meinte, oder nicht doch sich. Der Magier hatte das Gefühl keine Macht mehr über seinen Körper und der Magier zuhaben. Alles wonach er griff, war nicht verhanden. Nicht mal seinen Arm konnte er senken, um den König aus dem Bann zuentlassen. Kaum, dass er es versuchte, schrie das Dunkle und er spürte einen entsetzlichen Schmerz. „Wage es nicht, von deinem Entschluss zurückzuweichen!“, zischte es. „Du hast mich freigelassen. Freiweillig. Du wirst mich nicht einsperren!“

Die letzten Worte troffen von grausamer Siegessicherheit und Tenebrae erstarrte. Und er brauchte auch nich lange zu überlegen. Er wusste, dass er gegen das Dunkle nicht ankommen konnte. Dafür hatte er dem Dunklen viel zuviel Macht gegeben. Allein würde er das nicht schaffen. Vielleicht würde Lumen…

Sein Blick ging zu ihr. Und er sah wie sie vor ihm zurück wich.
 

Lumen glaubte einen anderen vor sich zu haben. Ihre Wange schmerzte immernoch und sie zitterte wie unter einem schlimmen Fieber. Gebannt, als würde um sie herum nichts existieren, blickte sie zu ihm hoch. Sah sein grausames Lächeln, das wahnsinnige Glänzen in seinen Augen. Das konnte umöglich der Magier sein, in den sie sich verliebt hatte. Nichts an diesem Mann erinnerte sie an ihn.

Eine Ewigkeit blickte sie zu ihm hoch und die Zeit schien stillzustehen.

Ihr Vater war zwar gerettet, weil sie ihn davon abgehalten hatte, weiterzumachen.

Doch was nun?

Würde er sie als nächstes töten wollen?

Lumen hoffte, dass dies nicht eintreffen würde. Doch sie brauchte nur in sein Gesicht zusehen, um zuerkennen, dass er nicht mal vor ihr Halt machen würde.
 

„Es reicht, hör sofort auf!“, schrie Tenebrae, als er die Gedanken des dunklen Wesens las. Es würde ihr wehtun, wenn er nicht endlich etwas dagegen unternahm. „Nein. Solange mussten wir warten, dass dieser Moment gekommen ist und wir werden jetzt nicht aufhören, nur weil diese Prinzessin glaubt, sie könnte dich um den Finger wickeln!“

Tenebrae wurde schlecht, als er diese Worte hörte. Immernoch sprache das Dunkle von sich und ihn. Dabei war es nur das Dunkle, was endgültige Rache wollte und dabei vor niemanden zurück schreckte.

„Ich will, dass du mich loslässt und wieder dahin zurück gehst, wo du herkommst!“, forderte er. Auch wenn er wusste, dass das Dunkle nur darüber lachen würde. Und das tat es auch. „Du willst mich wieder einsperren?“, höhnte es. „Sei nicht albern. Wer, glaubst du, hält dich am leben? Wer gab dir die Kraft, dich an den Mördern deiner Eltern zu rächen? War das nicht ich? Du kennst die Antwort und dass du mich nicht mehr einsperren kannst, in meinen Käfig!“, zischte das Dunkle und Tenebrae wusste nur zugut, dass es Recht hatte.

Was hatte er nur getan?

Warum hatte er sich darauf eingelassen, obwohl er wusste, dass das ein schlimmer Fehler war?

Sich deswegen jetzt aber schwere Vorwürfe zumachen, würde nichts mehr bringen.

Er konnte nur eines: Sich seinem Schicksal fügen. Sie aber retten.

„Mit mir kannst du machen, was du willst. Aber lasse sie leben!“, sagte er. Das Dunkle lachte und Tenebrae wusste, dass es niemals daran denken würde, seine Bitte zuerfüllen. „Sie leben lassen?“, fragte es hähmisch. „Warum sollte ich sie leben lassen? Schließlich hattest du sie zum Mittel für deine Rache gemacht. Sie steckt genauso tief drin, wie ihr Vater!“

„Nein, lass sie gehen. Sie ist keine Bedrohnung!“

„Doch ist sie. Sie hat mich schon lange genug zurückgehalten. Ich lasse mich nicht länger von diesem dummen Kind aufhalten!“

Tenebrae wurde es eiskalt, als er die Drohung des Dunklen hörte und er schrie auf. „Nein, dafür habe ich dir nicht Tür und Tor geöffnet!“

Das Dunkle lachte und sein Lachen schnitt wie tausend Scherben in seine Seele. Zerriss sie, sodass er unerträgliche Schmerzen erlitt.
 

Lumen sah, dass etwas nicht mit ihm stimmte. Irgednwas ging in ihm vor. Immer wieder ging sein Blick zu und sie sah darin Angst, Hass und Verweiflung. Das Blau seines einen Auges flackerte. Wurde mal schwarz, dann mal wider Blau. Sein ganzer Körper zitterte. Unkontrolliert bewegten sich seine Hände. Verkrampften sich zu Klauen, die alles und jeden töten würden. Erschlafften dann und machte flehende Gesten. Lumen verdstand nicht, was das dzu bedeuten hatte. Aber sie hatte das Gefühl, dass es etwas mit dem Fluch der Schatten zutun hatte, der sich über den Magier gelegt hatte. Mit zitternen Knien und wohlwissend, dass sie damit womöglich einen weiteren Fehler machen und damit ihr Leben verwirken würde, stand sie auf und wankte auf ihn zu. Vorsichtig streckte sie die Hand aus und flüsterte seinen Namen.
 

Tenebrae hörte es und flehte sie an, trotz dem Wissen, dass sie ihn nicht hören würde:„ Lumen, bleib weg von mir. Komm nicht näher. Er wird dich töten!“

Und wie als wenn das Schicksal seine Befürchtung wahrmachen wollte, brüllte das Dunkle in ihm auf. Machte deutlich, dass es genug von dem sinnlosen Mühen und Jammern der Prinzessin hatte und übernahm erneut die Kontrolle über den Körper des Magiers. Mit einem Fauchen streckte er den Arm und ehe Lumen einen Schritt zur Seite machen konnte, befanden sich schon die Finger des Magiers, die dem Willen des Dunklen gehorchten, um ihren Hals und begann sie zu würgen.

„Nein, hör auf damit!“, schrie der magier außer sich. „Niemals. Ich habe genug von ihr. Sie soll endlich verschwinden!“, keifte das Dunkle und verstärkte den Girff um den Hals der Prinzessin. Vergebens versuchte der Magier die Gewalt über seinen Körper wiederzuerlangen. Doch kaum dass er das Gefühl hatte, einigermassen wieder die Kontrolle zurück zugewinnen, nur ein Stück davon, wurde er von dem Dunklen zurückgestossen und immer weiter in einen Teil verdrängt seines Geistes verdrängt dem aus er nichts tun konnte. Nur mit ansehen, wie das Dunkle mit seinem Gesicht, Lumen immer mehr würgte bis sie kaum noch Farbe im Gesicht hatte.
 

Vor Lumens geschlossenen Augen explodierten Sterne und ihr Puls hämmerte in den Schläfen. Ein schreckliches Schwindelgefühl ergriff sie und ließ sie immer schwächer werden. Ihre Beine gaben bereits unter ihr nach und sie hing schlaff im Griff des Magiers.

König Sapientia, der sich nur mässig von dem Fluch des Magiers erholte, rief mit heiserer Stimme zu den Wachen hinauf. „Worauf wartet Ihr, schiesst endlich!“

Cor und Fortitudo hatten die ganze zugesehen und sich bisher zurück gehalten. Doch nun mischte sich die mittlerste ein. „Vater, nicht. Er wird sie genauso töten, wie den ersten. Riskiere nicht noch mehr Leben!“, flüsterte sie.

„Und Lumen? Was ist mit ihr?“, fragte Fortitudo. „Siehst du nicht, dass der Magier sie würgt!“

„Und siehst du nicht, dass etwas mit ihm nicht stimmt!“, sagte Cor und deutete auf den Magier, der Lumen immernoch im Griff hatte. Fortitudo verstand nicht, was ihre Schwester damit meinte. Sie sah nichts Auffälliges. Nur das der Magier ihre Schwester zutode würgte. Und das reichte aus, um den Wachen zu befehlen, zuschiessen. Doch kaum, dass sie einen Ton sagen konnte, ergriff Cor ihren Arm. „Bitte, Schwester!“, bat sie sie.

Fortitudo fiel es sichtlich schwer, auf die Bitte ihrer Schwester zu hören. Gerne hätte sie sich selber auf den Magier gestürzt, ihn von ihrer Schwester losgerissen.

Doch etwas hielt sie zurück. Sie blickte wieder zu Lumen, die in dem Griff des Magiers hing und kaum noch am Leben war. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Sie warf ihrer anderen Schwester einen skeptischen Blick zu. Sie fragte sich, woher Cor die gute Hoffnung nahm?

Ob sie nicht doch zu gutgläubig war?

Was wenn ihr Zögern Lumens Leben kostete?

Fortitudo warf ihrer Schwester einen vielsagenden Blick zu. Doch Cor sah immernoch zu den beiden. Zum Magier und zu Lumen. Fortitudo verstand nicht, warum ihre Schwester nicht einschreiten wollte. Sie fürchtete, dass, wenn sie nichts unternahm, ihre kleine Schwester sterben würde. Sie packte Cors Arm, drückte ihn bestimmt. „Lass uns ihr helfen!“

Noch bevor Cor etwas sagen konnte, hörten sie einen Schrei, der sie zusammenzucken und das schlimmste befürchten ließ. Der Schrie schien aus tausend anderen zu bestehen und hallte lange nach. Brach sich an den Mauern und verdumpfte in einem Echo, das schauerlich klang. Die beiden Schwestern und auch die Männer auf den Mauern blieben wie zur Salzsäule erstarrt stehen und blickten zu Lumen und zum Magier. Die Zeit stand für einen kurzen Moment still, dann aber sahen sie, wie der Magier Lumen losließ und dann zusammenbrach.
 

Lumen hatte das Bewusstsein verloren und hatte gespürt, wie ihr Geist sich bereits von ihrem Körper zu lösen begann. Dann aber hörte sie den Schrei und der Griff um ihren Hals war fort. Ihre Knie hatten keine Kraft sie aufrecht zuhalten. Schwach wie sie war sank sie in die Knie. Schwer nach Luft ringend, hielt sie sich den Hals und sie meinte tiefe Furschen in ihrer Haut zu fühlen.

Minuten vergingen ehe sich ihre ausgedörrten Lungen wieder mit genügend Luft gefüllt und erholt hatten. Sie blinzelte. Verscheuchte die explodierenden Sterne und die Dunkelheit, die sie umhüllt hatte. Dann bemerkte sie den Magier, der neben ihr lag.

Sein Gesicht war schmerzverzerrt, aber nicht mehr von Dunkelheit bedeckt.

Sie war erleichtert, dass das Böse ihn womöglich endlich losgelassen hatte.

Aber dann sah sie den Dolch, der bis zum Heft in seinem Bauch steckte.

Blut schoss stossweise aus der Wunde und rann zäh zu Boden. Färbe den Stoff seiner Kleider dunkelrot und das Gras unter ihm. Nicht ein einziges Mal hob sich seine Brust. Seine Augen waren geschlossen und waren wie Marmor. Kalt und leblos. So als sei er tot.

Lumens Gedanken überschlugen sich. Alles war wie weggeblasen. Der Schrecken, der sie ergriffen hatte, als der Magier erst ihren Vater und dann sie angriff, war fort.

Sie konnte an nichts denken. Nichts sagen. Nur fühlen. Schmerz und Entsetzen darüber, was der Magier getan hatte. Langsam, als würde es sie quälen, streckte sie die Hände aus und berührte sein Gesicht. Seine Wange, die eiskalt war und der eines Toten gehörte. Nein!

Sie schüttelte den Kopf. Wollte nicht wahrhaben, dass sich ihr Geliebter selbst die Klinge in den Leib gestossen hatte und dass es vermutlich zuspät war.

Stattdessen sagte sie sich, dass es nicht zuspät war. Dass er gerettet werden konnte, wenn sie nur endlich aus dieser Ohnmacht erwachte. Und plötzlich riss sie etwas aus dieser lähmenden Angst, die sich an fühlte, wie ein kaltes Leichentuch und gab ihr ihre Stimme wieder. „Helft ihm!“, schrie sie laut und die Menschen vor und hinter ihr fuhren hoch, als seien sie mit Gewalt aus einem tiefen Schlaf geweckt worden. „Steht nicht da, wie angewachsen! Sondern helft ihm!“
 

Tenebrae hatte es nicht mehr ertragen können, es sich mit anzusehen. Das Dunkle würgte mit seinen Händen, die nicht mehr seinem Willen gehorchten, den Hals der Prinzessin und ließen sie immer schwächer werden. Er schrie wie unter Qualen und schlug gegen die dunkle Mauer, hinter der er gefangen war. Das Dunkle jedoch verhöhnte seine Versuche und strafte ihn, in dem er sie noch mehr würgte und ihr jedes bisschen Leben Stück für Stück rauspresste. Irgendwann war es genug und neben der Hilflosigkeit und der Verzweiflung flammte in ihm etwas auf, was er nie für möglich gehalten hätte. Hass!

Aber nicht diegleiche Art von Hass, die er dem König und seinem ehemailigen Meister entgegenbrachte. Sondern Hass auf sich und auf seine Schwäche. Hass auf das Dunkle, welches nun an seine Stelle getreten war und sich an ihr vergriff. Tenebrae kam dies absurd vor, doch angesichts der Lage und der geeringen Chancen, die ihm noch blieben, war dieser Hass, das einzige, was ihm noch einen Nutzen geben konnte. So konzentierte er sich auf seinen Hass und schaffte es, die Mauer um ihn herum einzureissen. Erst einige Steinbrocken, dann soweit, bis sie Löcher bekam und er die Möglichkeit hatte, durch diese mit seinen Gedanken hindurch zuschlüpfen. Tastete nach etwas, was er benutzen konnte. Und hatte das Gefühl als würde die freie Hand, die nicht von dem Dunklen benutzt wurde, unter seine Kontrolle kommen. Erst zaghaft, als wollte er sich sicher sein, begann er die Finger zu krümmen. Schloss die Hand zu einer Faust, um sie dann wieder zuöffnen. Auf. Zu. Auf. Zu.

Ein Kribbeln, wanderte von der Hand hoch zu seiner Schulter. So als wäre die Hand vorher eingeschalfen und nun zu neuem Leben erwachen. Tenebrae musste ein Jubeln unterdrücken, um das Dunkle über seine Absicht aufmerksam zu machen. Es galt vorsichtig zu sein. Sie waren zuzweit in einem Körper gefangen und wenn er nicht aufpasste, würde das Dunkle merken, was er vorhatte und ihn zurück hinter die Mauer sperren. Oder ihn gänzlich verschlingen. Quälend lange dauerte es, indem er seine Kontrolle über die Hand ausbaute, ehe er sich sicher war, dass sie ohne Probleme seinem Willen gehorchen würde. Dann kam der nächste, weitaus schwierigste Teil. Er hatte keine Waffen dabei. Zumindest keine greifbare. Wenn es ihm gelänge, mit Magie einen Dolch in seine freie Hand zu materialisieren, dann…

Tenebrae zwang sich ruhig zu bleiben. Nur keine Eile. Ganz ruhig, ermahnte er sich und versuchte nun auch einen Teil seiner Magie zurück zugewinnen. Suchte in der Dunkelheit nach einer Spur seiner Kraft. Er konnte nicht sagen, wie genau sich seine Magie darstellte. Dennoch würde es sich von der Finsterniss unterscheiden. Da war er sich sicher. Wo er schon dachte, dass die Zurückgewinnung der Kontrolle über seine eine Hand schwer sein würde, so musste er erkennen, dass die Suche nach seiner Magie noch viel schwerer war. Ewig lange suchte er nach ihr. Und egal wohin er seine übriggeblieben Sinne ausstreckte, fand er nichts als Finsterniss und Leere. Tenebrae wollte schon aufgeben. Doch dann meinte er etwas zusüren. Schwach zwar nur, aber deutlich genug, um ihm neue Hoffnung zu geben. Er streckte seine Sinne aus. Immer weiter und weiter, bis er es fand. Ein Lichtschimmer. Flackernd und unruhig zitternt, wie eine kleine Flamme.

Tenebrae atmete erleichtert aus, folgte dem Pfad, den seine Sinne geschlagen hatten und zu diesem Schimmer führen würden. Als er ihn fand, umschloss er ihn mit seinem Geist. Es war wenig, aber besser als nichts und Tenebrae würde alles nehmen, was er kriegen konnte. Vorsichtig nahm er die Flamme mit seinem Geist auf. Hätte er Hände gehabt, hätte sie in diese geschlossen. Dann vereinte er sich mit der magischen Flamme. Nahm sie in sich auf, bis er spürte, wie sie ihn von innen erwärmte und spürte, wie ihn etwas von der alten Kraft erfüllte. Dann konzentierte er sich wieder und beschwor die Magier hervor. Achtete dabei auf seine Hand und wartete auf das Gefühl von kaltem Stahl auf der Haut. Erst war da nur ein kalter Luftzug zuspüren. Flüchtig, nicht mehr als ein Hauch. Dann aber fühlte er etwas Schweres darin. Seine Finger bewegten sich, fühlten den Gegenstand nach.

Die Klinge, die glatt und geschliffen war.

Der Griff, gut Hand zuhaben.

Ein Dolch!

Jetzt oder nie, ging es dem Magier durch den Kopf und sein Arm schnellt nach oben. Die Hand schloss sich blitzschnell um den Griff und die Klinge bohrte sich mit tödlicher Sicherheit in den Bauch des Magiers. Das Dunkle, welches zuspät erkannte, was eben passiert war, schrie auf und Tenebrae ebenso. Eine entsetzliche Hitze in seiner Wunde machte sich bemerkbar. Brannte wie Feuer. Das Schreien des Dunklen wurde gellender, schmerzlicher. Tenebrae konnte spüren, wie es sich windete und die Hitze zuersticken versuchte. Dagegen ankämpfte.

Doch das Feuer, welches von der Klinge ausging, war nicht so einfach zuersticken. Es brannte weiter. Mit jedem Versuch, der das Dunkle unternahm. Frass sich durch den Körper, der noch unter der Kontrolle von diesem stand. Und mit jeder Minute, in der die Hitze weiter brannte, konnte Tenebrae spüren, wie das Dunkle immer schwächer wurde. Seinen Wiederstand verlor.

Wie sie es zerfrasen, als sei es ein Stück Stoff. Tenebrae, der zuvor noch schrie, als die Klinge sich in ihn bohrte, empfand keinen Schmerz mehr, sondern Befreiung. Während das Feuer das Dunkle vernichtete. Ein Tosen, das nur von Flammen kommen konnte, raubte ihm die Sinne. Das Schreien des Dunklen, das immer leiser wurde, bis es ganz verstummte. Ebenso das Tosen und Fauchen der Flammen.

Bis nichts mehr zu hören. Nur Stille und mit der Stille kam der Frieden.

Zusammen vereint

Eine angenehme Wärme machte sich auf seiner Wange bemerkbar und Tenebrae lächelte. War das die Wärme, die der Himmel jedem versprach, der die Schwelle des Lebens überschritten hatte?

Wenn ja, dann wollte er mehr. Mehr von der Wärme und von dem Wind, der durch sein Haar strich. Es war so schön. So ruhig. Ohne die Spur von Gefahr, den Schatten erneut anheim zufallen. Tenebrae wäre liebend gern dort geblieben. Hätte sich dem Frieden hingegeben. Doch dann…

„Tenebrae!“

War das Lumens Stimme?

Aber was machte sie im himmlichen Garten?

War sie auch gestorben?

Hatte er es doch nicht rechtzeitig geschafft und sie war durch seine Hand gestorben?

Die Antwort schmerzte zusehr, als dass er darüber weiternachdenken wollte. Dennoch war der Gedanke präsent und quälte ihn. „Lumen?“, rief er in die Helligkeit hinaus, die ihn umgab, um ganz sicher zusein. „Bist du das? Bist du etwa…?“

„Tenebrae!“, hörte er wieder und ihre Stimme klang flehent. Als würde sie ihn ebenso in dem Licht suchen, wie er sie. „Lumen! Ich bin hier!“, rief er. „Lumen. Hörst du mich!“

Da verblasste die Helligkeit, wurde matt, ehe sie gänzlich ergraute und dunkel wurde. „Nein!“, schrie es in ihm, da er fürchtete, dass er doch noch in die ewige Finsterniss der Unterwelt verbannt wurde. Er versuchte sich dagegen und gegen die Dunkelheit zuwehren. Doch egal wie sehr er es versuchte, er versank darin, wie ein Ertrinkender in einem Meer. „Nein...nein…NEIN!“

„Tenebrae, wach auf!“, schrie Lumens Stimme und er spürte, wie Hände ihn ergriffen und an ihm rüttelten. Tenebrae wusste nicht, was das zubedeuten hatte. Er war doch tot!

Oder etwa doch nicht?

Aber wie war das möglich?

Er hatte deutlich gespürt, wie seine Seele den Körper verließ. Davonglitt und seine sterblichen Überreste zurückließ.

Nun aber war er sich nicht mehr so sicher.

Das Rütteln an ihm wurde stärker und auch die Rufe der Prinzessin wurden lauter. Anstatt schwächer zuwerden. Immer lauter und lauter, bis seine Ohren schmerzten. Und er die Augen aufriss. Als wäre ein Blitz niedergangen, war er kurz geblendet und drehte den Kopf weg. Grub ihn in einen weichen Stoff, der raschelte. Er hatte die Augen zusammengenkniffen, als das Licht kurz diese berührte und blieb erstmal so liegen. Dann drehte er sich wieder um und öffnete sie. Langsam, vorsichtig. Wieder der Schmerz als das Licht in seine Augen drang, doch es war nicht mehr ganz so schlimm, wie zu Anfang. Es wurde ein wenig schwächer und er konnte auch einige Schatten erkennen. Nach mehrerem Blinzeln wurden die Schatten schärfer. Nahmen Gestalt an und er erkannte nun, dass es sich dabei um Möbel handelte.

Ein Schreibtisch vor einem der bis zum bodenreichenden Fenster. Vorhänge, die sanft hinundher tanzten. Ein kleiner Tisch, um den Stühle standen. Dahinter ein großer Kamin, in dem Dunkelheit herrschte. Tenebrae brauchte einen Moment, ehe er sich bewusst wurde, wessen Raum das war. Das Gemach der Prinzessin!

Kaum dass er sich weiterfragen konnte, wie er hierherkam, geschweige denn wie er überhaupt hatte, spürte er, wie eine Hand ihn an der Schulter berührte und er wandte den Kopf herum.

Da saß sie. Lumen!

Schöner noch als er sie in Erinnerung hatte. Zuerst dachte er, sie sei ein Geist, eine Illusion. Hervorgerufen durch die Angst, sie nie wieder zusehen.

Doch welcher Geist verfügte über die Gabe, einen Menschen zu berühren?

Um jedoch ganz sicher zusein, streckte er die Hand nach ihr aus und berührte sie an ihrer Wange. Ihre Haut war warm und weich. Nicht wie die eines Geistes und Tenebrae seufzte erleichtert. Sie war wirklich. So wie er wirklich lebendig war. „Lumen!“, flüsterte er.

Lumen lächelte als er ihren Namen aussprach und dankte dem Allmächtigen.
 

Für Lumen waren die Minuten, in denen die Heiler um das Leben des Magiers ringten, unendlich vorgekommen.

Man hatte ihn in ein Krankenzimmer gebracht und sofort damit begonnen, die Wunde zu reinigen.

Den König hatte man in ein anderes Zimmer gebracht, damit er sich erholte. Einige der Magier kümmerten sich um ihn. Fortitudo blieb bei ihm. Sie vertraute zwar darauf, dass die Magier ihr Bestes gaben, aber sie wollte bei ihm sein, wenn sie es nicht schafften. Ihm das letzte Geleit geben. Sie saß neben ihm und hielt seine Hand. Betete, dass er durch kam.

Ihre Gedanken glitten aber auch zu Lumen. Und sie fragte sich, was wenn sein würde, wenn der Magier überlebte. Würde sie wieder zu ihm gehen?

Sie hatte ja gesehen, dass sie ihn liebte und wie sehr sie ihn vermisst hatte.

Doch noch schlimmer als ihre Rückkehr zu ihm, war die Trauer, die sie ergreifen würde, wenn der Magier es nicht überstand. Fortitudo würde es nicht ertragen können, sie so zusehen. Schon als sie wieder zurück war und sich nach ihm sehnte, glich sie einer Trauendern und es war schrecklich es sich mit anzusehen. Ihre Appathie, das traurige Schimmern in ihren Augen. Die Alpträume, die sie aufschreien ließen.

Die Schreie, die auch ihre Schwestern aus dem Schlaf rissen.

Fortitudo mochte gar nicht darüber nachdenken. Sondern konzentierte sich auf ihren Vater, dessen Gesicht eingefallen und aschfahl war.

Lumen zitterte und bangte ebenso um den Magier, wie es ihre große Schwester bei ihrem Vater tat. Sie hielt ihm die Hand. Sprach mit leiser, flehender Stimme auf ihn ein.

Die Heiler hatten inzwischen das Blut, was um die Wunde getrocknet war, abgewischt und das neue, welches aus ihm hinaus floss, gestoppt. Säuberten die Stelle mit warmem Wasser und tupften das Blut ab. Mit einer, im heissen Wasser gekochten, Nadel nähten sie die Wunde zu, wobei der Magier schmerzliche Laute von sich gab und sich unter den Heilern aufbäumte. Die Wachen mussten ihn an Armen und Beinen festhalten, damit die Heiler ihre Arbeit beenden konnten. Legten dann Heilkräuter, die einen würzigen Geruch verströmten, auf die frischgenähte Wunde, damit sie sich nicht entzündete und verbanden sie mit sauberen Wickeln. Dann war es vorbei. Die Heilkundigen hatten getan, was sie tun konnten. „Nun liegt es nicht mehr in unserer Hand!“, sagten sie und verließen den Raum. Lumen blieb allein zurück. Mit dem Magier, der geschwächt durch die Verletzung und durch die Bemühungen der Heiler, in einen tiefen Schlaf gesunken war. Ruhig lag er da und nur das Heben und Senken seiner Brust verriet ihr, dass er noch lebte. Stunde um Stunde saß sie an seinem Lager. Strich mit ihren Fingern über seine Hand, die locker in ihrer lag. Lumen konnte nicht sagen, wie lange sie so dasaß, ehe ihr die Augen zufielen. Irgendwann weckte Cor sie. Legte ihr eine Decke über die Schultern. Lumen erwachte aus einem traumlosen Schlaf, als sie die flüchtige Berührung ihrer Schwester spürte und richtete sich auf. Ihr Leib schmerzte, als sie sich streckte und gähnte. „Wie-wielange habe ich geschlafen?“, fragte sie. „Drei Stunden!“

„Nur?“, kam es aus ihr. „Ich dachte, es wären Tage!“

„Du solltest dich ausruhen. Er wird wieder gesund werden. Du musst auch an dich denken!“, sagte Cor. „Das kann ich nicht!“, sagte Lumen und schüttelte den Kopf. Sie wollte den Magier nicht allein lassen, während er allein mit dem Tode rang. Sie fürchtete, dass er stirbt, wenn sie ihn allein ließ. Außerdem wie sollte sie jetzt Ruhe finden?

„Du musst aber!“, drängte Cor sie und umfasste ihre Schultern. „Lumen!“

„Nein, ich bleibe bei ihm!“

Und damit war diese kurze Diskussion erledigt.

Es dauerte Tage, ehe Tenebraes Zustand sich einigermassen besserte und er außer Lebensgefahr war. Doch die Augen blieben geschlossen. Lumen wurde unruhig. Immer wieder ließ sie einen der Heilkundigen holen, damit er überprüfte, dass es den Magier auch gut ginge. Er versicherte ihr, dass dem Mann nichts fehlte. Nur dass es Zeit brauchte, ehe sich die Wunde schloss und er wieder zu Kräften kam.

Als sie ihn fragte, wie lange es dauern würde, hob er nur die Schultern.

Irgendwann war die Wund everheilt und die Nähte wurden entfernt.

Auch der König kam wieder zu Kräften. Und kaum dass er auf den Beinen war, wollte er zu seiner jüngsten. Doch Cor hielt ihn ab. „Du bist, glaube ich, der Letzte, den sie sehen will!“, sagte sie mit fester Stimme und der König schnappte nach Luft, als er das aus dem Munde seiner zweitjüngsten hörte. Erst Lumen und nun auch noch Cor.

Sind denn alle verrückt geworden.

„Lass es gut sein, Vater!“, mischte sich nun auch Fortitudo ein. Dem König fiel nun alles aus dem Gesicht. Gerade von seiner ältesten hätte er das nicht gedacht, doch nur ein Blick reichte aus, um ihm bewusst zumachen, dass auch sie, selbst wenn sie es wollte, nichts dagegen tun konnte. „Sie liebt ihn. Das hast du selbst gesehen!“

Ja, das hatte er und es hat ihm nicht gefallen.
 

Nach wenigen Tagen, als sich der Zustand des Magiers besserte, ohne jedoch, dass er nur ein einziges Mal die Augen öffnete, setzten sich der König und seiner drei Töchter zusammen.

Es ging darum, wie es weitergehen sollte. Mit dem Magier und mit ihr. „Was werdet Ihr jetzt tun, Vater?“, fragte sie und ihre Finger krallten sich in den Stoff ihres Kleiders. Dabei konnte sie sich vorstellen, was er am liebsten mit ihm anstellen würde. Ihn verbrennen, wie er es mit seinen Eltern getan hatte. Doch sie versuchte die Angst und den Zorn nicht wieder hochkommen zulassen. Sondern ruhig zu bleiben. „Was ich mit ihm machen werde?“, echote er und sein Gesicht wurde nachdenklich. Schwieg für eine Weile, dann wurde sein Blick ernst. „Ich werde ihn zurück in sein Schloss bringen lassen!“, sagte er und für einen kurzen Moment war Lumen überrascht. Er würde ihn zurückbringen. Heil und unversehrt?

Lumen wollte den Mund öffnen, um seine Worte zu hinterfragen, doch er hob die Hand. „Unter einer Bedingung: Du wirt nicht mit ihm gehen!“

„Aber…!“, wollte sie sagen, aber der König fiel ihr wieder ins Wort. „Entweder akzeptierst du meine Bedingung oder der Magier fristet sein Leben in einem Verließ!“

Kaum hatte er das gesagt, wurde Lumen bleich. Was war das nur für ein grausames Angebot?

Wie sollte sie sich entscheiden?

Sie konnte doch nicht zulassen, dass er in einer Zelle landete und darin starb. Aber ihn alleine lassen, in seinem Schloss, konnte sie auch nicht. Sie würde nicht ohne ihn leben können. Lumen biss sich auf die Unterlippe, bis es schmerzte. „Das kannst du nicht von mir erwarten!“, flüsterte sie.

„Doch das kann ich. Und das werde ich!“, sagte Sapientia und seine Stimme wurde kalt. Lumen schauderte bei diesen Worten. Dann herrschte Schweigen. In Lumen arbeitete es. Krampfhaft versuchte sie einen Weg zu finden, ihren Vater von seinem Entschluss abzubringen. Lieber würde sie sterben, als hier zu bleiben und den Magier alleine lassen. Davon dass er in einer, mit Magie versehenden, Zelle dahinsiechte ganz zuschweigen.

Also beschloss sie es auf die etwas unfeinere Art zuversuchen. „Also gut. Ich bleibe!“, sagte sie und der König wagte es, erleichtert aufzuatmen. Jedoch hielt er inne, als sie weitersprach. „Aber…glaube nicht, dass es gut ist und ich das alles vergessen werde. Sei versichert, dass ich nach eine Möglichkeit suchen werde, hier wegzukommen!“

Ihre Schwestern sahen sie an. Während die eine Schwester, Cor, von der immernoch anhaltenden und entschlossenen Starrsinnigkeit Lumens imponiert war, war die andere entsetzt. Fortitudo zweifelte nicht daran, dass wahrlich Liebe dahintersteckte, aber auch nicht, dass sie es sich damit mit ihrem Vater verdreben würde. Sapientia war ein geduldiger Mann. Es brauchte viel, ehe er in die Luft ging. Aber bei seinen Töchtern war es was anderes. Besonders in Lumens Fall. Da er immernoch in ihr sein kleines Mädchen sah, das man behüten musste. So wie auch jetzt.

„Lumen!“, flüsterte er und wirkte so, als habe man ihm ein Herz in Stücke gerissen.

Er wollte weitersprechen. Versuchen, sie davon irgendwie abzuhalten. Aber Lumen wollte nicht mehr mit sich reden lassen. Ihr Vater musste es endlich einsehen, dass sie zum Magier hielt und nicht mehr zu ihm.

„Akzeptiere es, oder lass es sein. Mich kannst du ruhig einsperren, in den höchsten Turm, wenn du willst. Aber selbst da, werde ich nicht aufgeben!“, sagte sie eisern und verschränkte die Arme vor der Brust. Ihr war es gleich, dass sie sich benahm, wie ein kleines bockiges Kind. Aber zulange hatte sie sich von anderen sagen lassen, was sie zudenken hatte. Besonders von ihrem Vater. Der der Hauptverantwortliche war, an der ganzen Misere. Und das wollte sie ihn spüren lassen. „Du hast mich einst an ihn verkauft, obwohl du wusstest, was das für Folgen haben könnte. Du wusstest, dass er mir was antun würde. Dennoch hast du seinen Preis angenommen!“, warf sie ihm vor, auch wenn es ihr selber zuwider war. Zu anfang hatte sie seine Selbstvorwürfe widerlegt, ihm gesagt, dass er nichts dafür konnte. Doch nun wo alles vorbei war und von dem Magier keine Gefahr mehr ausging und eine Zukunft mit ihm, nun durchaus möglich war, kamen ihr diese Worte einfach so aus dem Mund, aus den Tiefsten Inneren ihres Herzens. Sie sollten ihm zeigen, dass er sie nicht länger halten konnte. Auch wenn sie wusste, dass er es aus Liebe zu ihr tat. Die Liebe eines Vaters.

Lumen zitterte innerlich, weil ihr nun bewusst wurde, dass sie ihm damit sicherlich sehr wehtat. Ihre Worte aber rückgängig oder mildern konnte sie aber nicht.

Sie waren die Wahrheit.

Er musste es einfach verstehen.

Der König sank tiefer in seinen Sessel und sein Gesicht war gezeichnet von Kummer und Zweifel. Wirkte dadurch wie ein gebrochener Mann, der alles verloren hatte.

Die Worte der Prinzessin verfehlten ihre Wirkung nicht und machten ihm klar, dass sie im Recht war. Er allein war schuld daran, was geschehen war.

Auch wenn es ihm nicht gefiel und wenn er ehrlich sein sollte, hätte er wirklich alles dafür getan, sie hier bei sich zubehalten. Aber der Gedanke, dass seine Tochter irgendwann eines Tages nicht mehr da sein würde. Ohne ein Wort des Abschieds oder einen Brief hinterlassen zu haben, machte ihn mehr zuschaffen, als dass sie mit dem Magier ging. Daher ergab er sich und seufzte schwer. Es half nichts. Wenn er seine Tochter nicht endgültig verlieren wollte, musste er sie gewähren lassen.

„Also gut, Lumen. Ich erlaube dir, mit ihm zugehen!“, sagte er matt und Lumens Herz schlug heftig in der Brust. Einerseits freute sie sich, dass er sie gehenließ. Aber anderseits war sie auch traurig, ihn so zusehen. Sie sah ihm an, dass es ihm schwefiel, sich geschlagen zugeben und sie loszulassen. „Leicht fällt mir dasnicht, dass weißt du. Aber wenn es dich glücklich macht, dann…!“

Weitersprach der König nicht, da er nicht wusste, was er noch sagen sollte. Das brauchte er auch nicht, denn Lumen verstand, dass es ihm nicht behagte. Er war ihr Vater und er liebte sie. Sie liebte ihn ebenso. Den Magier liebte sie aber auch. Es fiel ihr schwer sich zwischen den beiden entscheiden zumüssen. Ihr war so, als würde jemand ihr Herz in zwei Hälften reissen. Umso erleichterter fühlte sie sich, als ihr Vater einwilligte, sie gehen zulassen.

Mit einem Lächeln fiel sie ihm um den Hals. „Danke, Vater!“, flüsterte sie und küsste ihn auf die Wange.
 

Eine kleine Escorte, bestehend aus Fortitudo und Cor und Fidus und auch aus einigen Männern, zog durch die dunklen Gebirge. Die beiden Königstöchter ritten auf ihren Pferden, neben dem Hauptmann und schauten sich immer wieder um und es lief ihnen kalt en Rücken hinunter. „Richtig unheimlich, diese Gegend!“, flüsterte Cor, die zum ersten Mal die dunklen Berge sah. „So habe ich auch gedacht, als ich hier durchgeritten bin!“, bemerkte Fidus und richtete sich im Sattel auf. „Ich möchte mir nicht vorstellen, wieviele Menschen hier ihr Ende gefunden haben!“, sagte Fortitudo leise, aus Angst, man könne sie hören. Die Bedrohung, die von den Bergen und scharfen Felsen ausging, war deutlich zufühlen. Ließ ihr wahrlich eine Gänsehaut über die Haut wandern und sie zwang sich, sich auf den Weg vor ihnen zu konzentieren. Sie hatte sie schonmal verspürt, als sie als Lumen verkleidet zum Schloss des Magiers gegangen war. Und trotz dass es solange her war, so hatten die Berge und die darin lebenden Schatten nichts von ihrer furchteinflössenden Wirkung verloren.

Lumen bekam von dem ganzen nichts mit. Sie saß mit dem Magier in einer kleinen Kutsche, die über den Boden rumpelte und strich dem schlafenden Magier durch das Haar. Sein Gesicht war entspannt und sie hörte sein regelmässiges Atmen.

Als man sie und ihn in die Kutsche brachte, wollte man ihn auf die eine Bank und sie auf die andere setzen. Doch stattdessen betete Lumen seinen Kopf auf ihren Schoss. Sah stets auf ihn hinunter und betete, dass er bald die Augen öffnete. Achtete dabei nicht darauf, was sich draußen abspielte. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt dem Magier, der in ihrem Schoss schlief. Und sie fragte sich, wieviel Zeit noch vergehen würde, ehe er endlich die Augen öffnete.

So saß sie stundenlang da, bis die Kutsche stehenblieb und die Tür geöffnet wurde. „Wir sind da!“, sagte Fidus und Lumen nickte. Mithilfe einer Bahre trugen die Männer den Magier ins Schloss. Kaum dass sie die massive Eichentür auschoben und in die Eingangshalle traten, kam ihnen ein spindeldünner Zwerg entgegen, gekleidet in schäbige Lumpen. „Prinzessin Lumen, welch eine Freude es seien, Euch wiedertzusehen!“, quiekte er.

Als der kleine Kerl die Gruppe erreichte, hoben die Wachen, die den Magier nicht trugen und auch Fidus, die Schwerter und wollten ihn schon angreifen, weil sie in ihm eine Gefahr sahen. Lumen jedoch schritt schnell ein und erklärte ihnen, dass sie nichts von ihm zu befürchten hatten.

An Comitas gewandt, sagte sie:„Ich freue mich auch, dich wiederzusehen, Comitas!“

Dann umarmte sie ihn und drückte ihn an sich. Es war so schön, ihren kleinen besten Freund wiederzusehen. Dann entließ sie ihn und richtete sich ihren Schwestern zu. „Cor. Fortitudo. Fidus. Darf ich Euch vorstellen, Comitas. Mein kleiner Freund!“, sagte sie. Cor und Fortitudo besahen sich den kleinen Kerl und wussten nicht sorecht, was sie zuerst sagen sollten. So einen hatten sie noch nie gesehen. Während Fortitudo noch etwas skeptisch war, lächelte Cor nun herzlich und streckte ihm die Hand entgegen. „Die Freunde meiner Schwester, sind auch meine Freunde. Freut mich dich kennenzulernen!“, sagte sie und schüttelte ihm die kleine Hand. Fortitudo grüsste ihn ebenso. Wenn auch ein wenig zurückhaltend. Doch es freute sie, dass ihre kleine Schwester immerhin einen Freund hatte, während ihrer Zeit beim Magier hatte, der gut zu ihr war.

Da sein Herr schonlange wegblieb, hatte sich Comitas ernsthafte Sorgen gemacht, doch die Möglichkeit oder gar die Kraft ihn auszumachen, war ihm verwehrt geblieben, da der Mager selbst dafür gesorgt und das Schloss mit einem Bann versehen hatte. Niemand sollte während seiner Abwesenheit das Schloss betreten und Comitas etwas zuleide tun. Da er wusste, wie manche Menschen auf einen Zwerg reagieren. Mit dem Schwert und der Angst, dass er ihnen etwas antun könnte.

Dass die Schatten ihm etwas antun könnten, daran glaubte der Magier nichts. Da Comitas sich genauso gut gegen sie behaupten konnte, wie er selbst. Doch die Schatten waren nicht mehr. Von einem Moment auf den anderen waren sie verschwunden. Hatten sich aufgelöst und waren niewieder gekommen. Zum einen freute es Comitas. Doch er hatte auch so seine Bedenken. Sein Hass und sein Wunsch nach Rache hatten die Schatten entstehen lassen. Dass sie nun verschwunden waren, konnt nur eines bedeuten. Sein Tod!

Und als er ihn auf der Bahre liegen sah, die Augen geschlossen und ohne eine Rührung, befürchtete er das schlimmste.

Lumen merkte, dass ihn der Anblick seines Herrn, das schlimmste erahnen ließ. „Er lebt, Comitas. Mach dir keine Sorgen!“, sagte sie und Comitas atmete erleichtert auf.

Zusammenmit ihm brachten sie den Magier auf ihr Zimmer und legten ihn ins Bett. Sorgsam deckte Lumen ihn zu und blieb an seiner Seite. Lange Zeit blickte sie auf ihn nieder. Dann drehte sie sich zu ihren Schwestern und zu Fidus um. „Ich danke Euch, dass Ihr mich hierherbegleitet habt!“, sagte sie. „Und du bist sicher, dass du hierbleiben willst?“, hakte Fortitudo nach. Lumen seufzte schwer. „Fortitudo, du siehst, dass es keinen Sinn hat, weiter mit ihr darüber zustreiten. Wenn schon Vater bei ihrem Dickkopf aufgibt, dann musst du das auch!“, sagte Cor und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Ja, leider!“, bemerkte Fortiudo und sah Lumen mit einem vielsagenden Blick an. „Mir fällt es ehrlich gesagt schwer!“, murmelte sie vor sich hin. Laut sagte sie. „Versprich mir, dass du uns besuchen kommst!“

Lumen hörte deutlich die Sorge in ihren Worten und lächelte.

„Natürlich werde ich das, versprochen!“, sagte sie und umarmte und küsste ihre Schwestern. Dann verließen sie sie.
 

Als Fortitudo sich auf den Rücken ihres Pferdes schwang, blickte sie hinauf zu den Fenstern des Schlosses. Erneut hatte sie ihre Schwester an diesen Ort lassen müssen.

Doch diesesmal war es anders.

Lumen hatte diesesmal wirklich aus freien Stücken, ohne Zwang und ohne Furcht sich dafür entschieden, bei dem Magier zu bleiben. Und sie wünschte sich, dass Lumen glücklich werden würde mit. Dennoch sprach sie in ihren Gedanken einen gut gemeinten Rat zu dem Magier, in der Hoffnung, dass er sie hören würde. „Achte gut auf sie, Magier. Sie ist meine Schwester und sie verdient es, dass sie ihr Glück findet!“

Dann gab sie ihrem Pferd die Sporen und ritt mit ihrer Schwester und ihrem Schwager davon.
 

Es verging noch einige Zeit, ehe er sich wieder soweit erholt hatte, dass er das Bett verlassen konnte.

Als Lumen ihm an einem Morgen sein Frühstück brachte, stand er vor dem Fenster und schaute hinaus. Mit nicht mehr bekleidet, als seiner Hose und einem Hemd, das zerknittert war. Sein Blick war in die Ferne gerichtet und er wirkte abwesend. Lumen stellte das Tablett auf dem Tisch ab und blickte ihn lange schweigend an. Sie fragte sich, was er gerade dachte, als er sich langsam umdrehte. Seine Augen waren ernst und Lumens Nackenhaare stellten sich auf. Ihr Blick fiel auf seine freigelegte Brust und auf die Narbe, die sich als heller, beianhe weisser Streifen von seiner Haut abhebte. Die Nacht, in der er sich selbst den Dolch in den Leib gestossen und sie um sein Leben gebangt hatte, lag zwar lange zurück, doch sie konnte sich noch gut genug daran erinnern und sie schauderte. Langsam ging sie auf ihn zu und streckte die Hand aus. Berührte ihn an der Brust, fühlte seinen Herzschlag und schaute ihn an. Sorge lag in ihren Augen. Fragte ihn mit ihren Augen, ob er noch Schmerzen hatte. Tenebrae nahm ihre in seine Hand und hob sie an seine Lippen. Küsste ihre Fingerkuppen. Sanft, so wie er es immer tat. Lumen erschauderte bei dieser Geste.

„Es tut nicht mehr weh, keine Sorge!“

Und Lumen glaubte ihm das. Sie lächelte und lehnte sich an ihn. „Es kommt mir vor, als wäre das alles ein böser Traum gewesen!“, flüsterte sie. Tenebrae verstand nur zugut, was sie damit meinte. Auch ihm erging es nicht anders. Nur war dieser Traum schlimmer, als für sie es gewesen war. Er hatte gespürt, wie nahe der Hass, das Dunkle in ihm, daran gewesen war, ihn zu verschlingen. Allein bei dieser Erinnerung, lief es ihm kalt den Rücken hinunter.

Er schlang die Arme um sie und drückte sie fest an sich. Spürte ihren Körper dicht an seinem. Diesen wunderbaren, warmen Leib, der zerbrehlich wie Glas war, aber eine starke Seele in sich barg. Stärker, als es seine eigene war. Er erkannte wiedermal, dass er ohne sie nicht sein konnte. Er brauchte sie. Brauchte ihr Licht, dass ihre Seele war. Und sie brauchte ihn.

„Jetzt ist es ja vorbei!“, sagte er. Strich ihr sanft über den Rücken und drückte sie etwas von sich. „Und wir können endlich zusammen sein. Ohne Angst und ohne eine Spur von einer Bedrohung!“

Lumen nickte und lächelte. „Ja!“

Blickte ihn lange an und er sie. Worte waren überflüssig. Ihre Augen und ihre Herzen, sagten mehr, als das sie es mit dem Mund konnten. Dennoch beugte sich der Magier zu ihr hinunter. Und legte seine Lippen sanft auf die ihrigen. Lumen schloss dabei die Augen und erwiderte seinen Kuss. Drückte sich dabei enger an ihn und meinte in seinen Armen dahinzuschmelzen. Für sie hätte dieser Moment ewig dauern können.

Die Hochzeit von Licht und Finsterniss

Tenebrae führte Lumen an der Hand durch das Schloss. Hatte ihr dabei die Augenverbunden und ihr gesagt, sie solle sie erst abnehmen, wenn er es ihr sagte. Lumen war mehr als verwirrt, aber auch gespannt. Was würde er ihr wohl zeigen?

Doch egal wie sehr sie ihn löcherte mit ihren Bitten, er möge es ihr sagen. Tenebrae blieb standhaft. „Jetzt hab doch etwas Geduld!“, tadelte er mit einem Lächeln in der Stimme und führte sie weiter.

Irgendwann hielt er an. Lumen schlug frische Luft entgegen und ein Geruch stieg ihr in die Nase, der ihr vertraut war. Er war süß und lieblich. Ließ ihr Herz höher schlagen.

Sie kannte ihn und eine Vorfreude ergriff sie.

Ließ ihre Hände unruhig werden.

Es war der Duft von Rosen.

„Kann ich die Augenbinde nun abnehmen?“, fragte sie aufgeregt, wie ein kleines Kind, das sich auf ein heissersehntes Geschenk freute und der Magier lachte leise. „Ja, kannst du!“

Kaum hatte er das gesagt, nahm sie die lästige Augenbinde ab und öffnete die Augen.

Ihr verschlug es die Sprache.

Der Garten, der vorher trostlos und abgestorben war, erblühte in einem neuen Leben.

Statt normaler Rosen, schimmerten und leuchteten diese jedoch in den unterschiedlichsten Blautönen. Eigentlich kein ungewöhnlicher Anblick. Sie kannte ja die Rosen, die der Magier für sie erblühen ließ. Aber diesesmal war es ein ganzer Garten. Herrlicher und schöner, als die, die es im Schloss ihres Vaters gab. Die Rosenspaliere, die vorher von leblosen Ranken umringt waren, erstrahlten in einem neuen Weiss und wurdenvon den grünen Ranken umringt, an denen die Rosen wuchsen. Der Brunnen, in dem einst schmutzig, schlammiges Wasser war, erwachte zu neuem Leben, so wie der Garten selbst und aus den Statuen, die vorher noch bedrohlich vor sich hinstarrten und zu einem Leben, zu ewiger ,unerträglicher Ruhe verdammt waren, sprudelte kristallklares Wasser. In Fontänen, deren Tropfen glitzerten, als seien es Diamanten, ergoss es sich in das Becken und das Sprudeln und Plätscern klang wie das Singen von tausend herrlichen Stimmen. Lumen war sprachlos, angesichts solcher Pracht. Sie ging einige Schritte vorraus und besah sich den zu einem Leben erwachten Garten. Minutenlang stand sie so da, dann drehte sie sich um und eilte zum Magier. „Das…das ist einfach…Mir fehlen die Worte!“, sagte sie sprachlos und blickte wieder zum Garten. Um ganz sicher zusein, dass sie sich das doch nicht nur einbildete und es für einen vielzuschönen Traum hielt. Doch der Garten war da.

Es war kein Trugbild und ihr Herz schäumte über vor Freude. „Warum machst du mir nur so schöne Geschenke, obwohl du weißt, dass du mir reichst?“

Tenebrae lächelte. „Du hast den magischen Wald gesehen. Er war ein Geschenk meines Vaters an meiner Mutter. Ich möchte dir nun diesen Garten zum Geschenk machen. Und warum? Weil es im Gegensatz zu den anderen Geschenk, etwas sehr Besonderes es.

Es ist nämlich mein Hochzeitsgeschenk an dich!“

Als Tenebrae dies sagte, klappte Lumens Kinnlade nach unten.

Hochzeitsgeschenk?

Sollte das etwa heissen, dass er sie heiraten wollte?

Lumen wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie starrte ihn an, als sei er ein Geist. Dabei schrien tausend Stimmen in ihrem Kopf mehrmals freudig auf und ihr Herz machte Sprünge, dass sie glaubte, es würde stillstehen bleiben.

Tenebrae musste bei ihrem Gesicht noch breiter lächeln. Er trat ruhig an sie heran, nahm ihre Hand in seine und sah sie mit einem schelmischen Funkeln in den Augen an. „Vorrausgesetzt, du willst mich heiraten?“

Lumen schloss den Mund, blinzelte paarmal und sie sah ihn empört an. „Ob ich dich heiraten will? Natürlich will ich deine Frau sein. Wie kannst du denken, dass ich es nicht werden will!“, platzte es dann aus ihr heraus und sie umarmte ihn stürmisch. Tenebrae konnte nun nicht mehr an sich halten und musste laut lachen. Er hatte gewusst, dass sie „Ja“, sagen würde. Konnte es aber nicht lassen und musste sie einfach necken. Nun umfing er sie mit seinen Armen und wirbelte sie umher. Lumen lachte dabei glücklich. Küsste ihn immer wieder auf den Mund.

Ihre Freude war unbeschreiblich und sie konnte es kaum erwarten ihren Schwestern und ihrem Vater von der freudigen Nachricht zu berichten.
 

Dass dem König alles aus dem Gesicht fiel, als er die Einladung seiner Tochter zu ihrer Hochzeit erhielt, konnte man sich sicherlich denken. Fortitudo erging es nicht anders, und fragte sich zuerst, ob dies nicht ein Scherz ihrer jüngsten war. Aber dann freute sie sich doch. Sie sollte glücklich mit ihm werden. Nach allem was passiert war.

Und was Cor anging. Sie freute sich ebenso. Sie hatte schon immer gewusst, dass solch eine Einladung eines Tages zu ihnen ins Schloss kommen würde.

So machten sie sich gemeinsam auf den Weg in das Schloss des Magiers, um der Hochzeit ihrer Schwester beizuwohnen und ihr und ihrem frischangetrauten Mann alles Gute und alles Glück dieser Welt zu wünschen.
 

Lumen strahlte an diesem Tag heller, als es jeder Stern am Himmel jemals konnte und als sie und ihr Mann das Ehegelübde mit dem Kuss besiegelten, wusste sie, dass es nun nichts mehr gab, was sie trennen konnte. Sie würden für immer zusammen sein. Selbst noch im Tode würden sie das.

Das wusste und spürte sie.
 

Seit der Magier in das dunkle Schloss gezogen war und seinen Hass eine eigene Gesatlt gegeben hatte, gab es keinen Tag, an dem die Wolken, die dick und schwer am Himmel hingen, sich einmal lichteten, um einen Strahl Sonnenlichts durchzulassen. Es vergingen Jahre und die Erde, die einst fruchtbar und eine grasbewachsene Fläche war und wo die Bäume Schatten spendeteten und mit ihren Blättern raschelten, so hielt der Tod Einzug in das Tal und verschlang alles. Verwandelte den Boden zu einer trostlosen Wüstengegend und ließ die Bäume verdorren, bis sie nur noch ein Schatten ihrer Selbst waren.

Nichts ließ daran glauben, das sich dies einmal ändern würde.

Aber dann, als würde mit dem Verschwinden der Schatten, auch die Wolkendecke an Kraft velieren, schoben sie sich auseinander. Und ließen einen feinen Sonnenstrahl hindurch, der sich rach ausbreitete und auf einen der kargen Bäume fiel. Wie als würde sich der Baum an dem neuen Licht erfreuen und die neue Nahrung in sich aufnehmen, spross die erste feine Knospe, die immer größer wurde, bis ein Zweig mit saftig grünen Blättern daraus wurde.

Und dieser Baum sollte der erste von vielen sein, der zu neuem Leben erwachte.
 


 


 

Endlich fertig. Es war an einigen Stellen wirklich schwierig gewesen, weiterzuschreiben. Da mir partout einfach nicht einfallen wollte, wie es weitergehen sollte und ich weiss, dass einige dieser Stellen, mehr als dürftig sind. Dennoch hoffe ich, dass sie euch gefällt und das das Ende nicht zu kurz gekommen ist.

Bei Fragen, auf den Verlauf, bin ich immer anzusprechen und freue mich natürlich über jedes Kommentar.
 

P.S: Ich weiss, auch hier haben sich einige böse Rechtschreibfehler eingefunden und bitte daher um Nachsicht,da es mit der neuen Rechschreibgung wirklich nicht immer so einfach ist.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (68)
[1] [2] [3] [4] [5] [6]
/ 6

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Pamuya_
2015-11-08T20:34:37+00:00 08.11.2015 21:34
Super Geschichte!
Es hat mir tierisch Freude gemacht sie zu lesen und mitzufiebern.
Ich konnte kaum aufhören und jetzt bin ich ein bisschen traurig, dass es schon vorbei ist, aber es ist von Anfang bis zum Ende spannend und ergreifend geblieben. ^^
Antwort von:  Pamuya_
08.11.2015 21:36
Acha ja und was die Rechtschreibfehler angeht. -> Mein Gott es gibt schlimmeres. Da habe ich schon Sachen gelesen, in der die Rechtschreibung auch den Schreibstil mitrunter gezogen hatte und das war bei deiner nicht der Fall. War also eher einfach die zu überlesen. ^^
Antwort von:  Mad-Dental-Nurse
08.11.2015 21:37
Danke danke und immer wieder danke...*verbeug*
Antwort von:  Mad-Dental-Nurse
08.11.2015 21:39
okay ^^
Antwort von:  Mad-Dental-Nurse
08.11.2015 22:24
Kann idr ja empfehlen, die FF Gänsehaut: Soul Spirit zu lesen...wirst begeistert sein
Von:  Pamuya_
2015-11-08T20:26:29+00:00 08.11.2015 21:26
Ende gut, alles gut. Wurde auch mal langsam Zeit. ^^ Die beiden haben ja genug durchstehen müssen.
Antwort von:  Mad-Dental-Nurse
08.11.2015 21:31
Gneau der weg ins Glück ist oft schwer und steinig
Antwort von:  Pamuya_
08.11.2015 21:31
Stimmt
Von:  Pamuya_
2015-11-08T20:07:58+00:00 08.11.2015 21:07
Traurig, ergreifend und spannend. Mehr sage ich dazu nicht.
Antwort von:  Mad-Dental-Nurse
08.11.2015 21:13
danke schön...^^
Von:  Pamuya_
2015-11-08T19:02:56+00:00 08.11.2015 20:02
Oh bitte nicht! Tenebrae darf nicht zu einem Schatten werden!
Lumen, wach auf und renne zu ihm! Er braucht dich! Ihr braucht euch einander!
Antwort von:  Mad-Dental-Nurse
08.11.2015 20:47
Keine Bange ^^
Von:  Pamuya_
2015-11-08T18:10:34+00:00 08.11.2015 19:10
Ich weiß zwar das laut Kapitelübersicht die Sache gut ausgehen wird, aber die Spannung hängt in diesem Kapitel immer noch in der Luft. Trotzdem bin ich fro, dass diese Fallacia endlich ihr Ende gefunden hat, denn wieder hat sie die verzweifelte Lumen durch einen Verwandlungszauber getäuscht und sie in den Tod getrieben.
Jetzt kommt mir die Frage, wie der Magier seine Geliebte wieder aus diesem todesähnlichen Zustand wieder herausholen will. Ich bin schon gespannt.
(P.S. Manche Szenen aus den bisherigen Kapiteln haben mich irgendwie an den beiden Disneyfilmen "Die Schöne und das Biest Teil 1 & 2 [Weihnachtszauber] erinnert. Besonders, was das gebrochene Versprechen angeht.^^)
Antwort von:  Mad-Dental-Nurse
08.11.2015 19:53
Sagte ja, dass ich es an dieses Märchen angelehnt habe
Von:  Pamuya_
2015-11-08T17:19:25+00:00 08.11.2015 18:19
Puh! Arme Lumen! Ständig hat sie daran gedacht rechtzeitig wieder bei Tenebrae. Wenn ihr Vater nicht so stur gewesen wäre. Auf der einen Seite kann ich ja verstehen. Er liebt seine Tochte und will sie nicht ins Unglück stürzen lassen. Aber durch sein Handeln hat er alles schlimmer gemacht. Ich hoffe nur, dass Tenebrae rechtzeitig zur Vernunft kommt, bevor er noch was Schlimmeres macht.
Von:  Pamuya_
2015-11-08T16:41:15+00:00 08.11.2015 17:41
Au Mann! In diesem Kapitel war ganz schön viel los, es hat mich aber voll und ganz mitgerissen. Na endlich hat unser Magier endlich geschnallt, das sein Herz auch ein Wörtchen mitzureden hat. Gott sei Dank und sein idiotisches Verhalten hat er auch endlich abgelegt.
Also Fallacia tut mir überhaupt nicht Leid. Die hat ihre gerechte Strafe bekommen und ich hoffe für sie, dass sie es nie wieder wagen wird Lumen auch nur anzusehen. Wobei, wenn sie im Verlies ist, wird das wohl schwer werden. Sie hat noch Göück gehabt, dass ihr Gebieter sie an Leben gelassen hat.
Mich wundert es nur, dass die Wunden so schnell gerheilten. Wird aber wohl an den Kräutern liegen, die mit Sicherheit bei den Verbändern dabei waren. Zum Glück konnte Lumen noch rechzeitig gerettet werden, auch wenn sie nun mit diesen Narben leben muss.
Umso schöner ist es, dass sie nun endlich vereint sind und ihre Liebe nichts mehr im Wege steht. ^^
Antwort von:  Mad-Dental-Nurse
08.11.2015 17:43
Sagte wer? *Muhahahahaha*
Antwort von:  Pamuya_
08.11.2015 17:44
Oho! das klingt ja nicht gut °°
Antwort von:  Mad-Dental-Nurse
08.11.2015 17:44
Grins*
Von:  Pamuya_
2015-11-08T15:04:23+00:00 08.11.2015 16:04
Puh, wenn das so weitergeht, kommen die ja nie wirklich zusammen. Ich hoffe, dass Lumen endlich bald hinter seinem Geheimnis kommt und dass er ihr endlich seine Liebe gesteht.
Antwort von:  Mad-Dental-Nurse
08.11.2015 16:30
Keine Angst das kommt schon noch
Von:  Pamuya_
2015-11-08T12:56:42+00:00 08.11.2015 13:56
Ach du Sch...! Wie kann man nur so ein Idiot sein?! Die ganze Zeit hatte er versucht ihr zu zeigen, dass er keine Bestie ist (manchmal eher umständlich aber doch) und nun schnappt er über. Hat er sich nicht so sehnlichst gewünscht, sie körperperlich zu spüren, dass sie ihn berührt und vielleicht sogar umarmt. Fast wäre es soweit gekommen und Tenebrae zuckt einfach aus. Viel Glück dabei Herr Magier, wie du das wieder hinbekommst.
Antwort von:  Mad-Dental-Nurse
08.11.2015 13:57
Tja Männer machen es sich manchmal echt schwer...aber er hat seine Gründe
Antwort von:  Pamuya_
08.11.2015 13:58
Glaube ich gern, trotzdem wird er einiges dafür tun müssen, dass Lumen sich ihn wieder annähert. Werde mal lesen, wie er das bewerkstelligen will.
Antwort von:  Mad-Dental-Nurse
08.11.2015 13:59
^^ hab Gnade mit dem Kerl
Antwort von:  Pamuya_
08.11.2015 14:00
Mal sehen ^^
Antwort von:  Mad-Dental-Nurse
08.11.2015 14:01
kicher*
Von:  Pamuya_
2015-11-08T11:58:37+00:00 08.11.2015 12:58
Au Mann. Da ist Liebe in der Luft. Auch wenn es beide nicht richtig glauben wollen. Sie empfinden etwas für einander und dieses Gefühl sitzt tiefer, als was man glauben will.
Da fragt man sich wirklich, was den armen Tenebrae angetan wurde, dass er der dunkle Magier wurde und jedes Gefühl aus seinem Herzen verbannte. Und es muss etwas mit Lumens Vater zu tun haben. Sonst würde er ihm nicht Rache schwören. Also ich habe mich in diese Geschichte richtig verliebt. Abgesehen davon, dass ich so und so ein Fan von "Schöne und das Biest"- Geschichten bin. Die Gefühle und die Handlung an sich ist so schön geschrieben, dass ich mir die einzelnen Szenen richtig vor meinen Augen sehen kann.
Antwort von:  Mad-Dental-Nurse
08.11.2015 13:01
hihi danke. Ich sollte mich hier unbenennen als Märchentante


Zurück