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Londinium

von

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Die Nacht vor Ryou's Geburtstag

In einer dunklen Nacht, der einzig und allein vom Vollmond erhellt wurde, schauten zwei blaue Augen vom Balkon hinüber über die Stadt. Seine weißen Haare wurden von dem doch recht warmen nächtlichen Wind umschmeichelt. Leise seufzte er, als es an der Tür klopfte.
 

„Sohn, bist du etwa immer noch wach?“, ertönte eine leicht verärgerte Stimme hinter der Tür.

„Tut mir leid, Vater. Ich gehe schlafen.“, versprach er artig und schloss die Balkontür.
 

Ryou lebte auf einem großen Anwesen, abseits der Stadt auf einem Berg von dem man nur über die ganze Stadt blicken konnte, sie aber nie erreichen würde. Er hasste es hier oben zu leben, doch sein Vater war nun mal eben Minister und liebte diesen Prunk. Zugegeben hatte er Einfluss und das kam auch ihm zugute. Der einzige Nachteil war die Isolation und dass er eben so keine Freunde hatte. Mit einem letzten Gedanken daran, drückte er sich von der Balkontüre ab und kleidete sich hinter dem Paravent um. Dann warf er einen Blick hinüber zu seinem riesigen gemütlichen Bett und kletterte unter die weiche Decke.
 

Morgen war sein 17. Geburtstag und das genau an einem Freitag, den 13. September 1742. Und dann wollte sein Vater mit ihm auch ausgerechnet mit ihm per Kutsche hinunter in die Stadt fahren, damit dieser sich sein Geschenk selbst aussuchen konnte. Dabei wünschte er sich nicht mehr als einen Freund. Mit einem letzten Gedanken an den morgigen, doch recht anstrengenden Tag, schlief er ein und träumte von einer angenehmen Geburtstagsfeier.

Ein ganz besonderes Geschenk

(So, liebe Tebian. Du hast also meine FF gelesen und fandest sie recht gut, jedoch zu kurz. Es handelte sich doch aber auch nur um den Prolog, also einer Einleitung zur Hauptgeschichte. Hätte ich hier zu viel geschrieben, dann hätte ich der Geschichte, wie sie sich entwickeln soll, zu viel vorweg genommen. Die eigentliche Geschichte beginnt nun eben jetzt. Ich weiß, dass solche Tatsachen schon alle existieren, doch das heißt ja nicht, dass meine Geschichte sich so unbedingt in die selbe Richtung entwickeln muss XD. Die Kurzbeschreibung ist deswegen so kurz, weil ich ebenfalls vorab nicht zu viel hinweg nehmen will und zum Anderen ich nur ein paar Ideen habe, was natürlich mehr Spielraum nach hinten offen lässt, was der Entwicklung der Geschichte Raum für mögliche Änderungen lässt und ein eigenständiges Leben gibt. Ich hoffe doch, dass du die Geschichte trotzdem weiter lesen und vielleicht sogar weiter empfehlen wirst. Ses-chan...)
 

Am nächsten Morgen, es war noch recht früh, wurde Ryou sanft von seinem Kammerdiener geweckt, der die Vorhänge beiseite schob und die Türe zum Balkon hin öffnete.
 

„Junger Herr, es ist schönes Wetter. Euer Vater wünscht, dass Ihr euch ankleidet und hinunter zum Frühstück kommt. Er lässt zudem ausrichten, dass er heute eine ganz besondere Überraschung für euch habe.“, wollte dieser den Jungen zum Aufstehen bewegen.
 

„Ja, ist in Ordnung.“, erhob er sich noch immer leicht benebelt.

„Ich wünsche aber zunächst, ein Bad zu nehmen und mich dann einzukleiden.“, wollte Ryou den Tag ruhig angehen lassen.
 

„Wie Ihr wünscht.“, nickte dieser und veranlasste alles, damit der Wunsch seines Herren zufriedenstellend erfüllt wurde.
 

Es dauerte eine Weile bis Ryou ein gut duftendes Bad nehmen konnte, dass nur nach den teuersten Badeessenzen roch. Vorsichtig stieg Ryou in die Badewanne und ließ sich etwas Zeit, bevor sich um seine Sauberkeit gekümmert wurde. Selbst beim Abtrocknen wurde im geholfen und so stand er schon wenig später mit einem Bademantel bekleidet in seinem Zimmer, wo er sofort einen Stuhl von seinem Kammerdiener angeboten bekam. Dieser half ihm, wie an jedem Morgen, die passende Kleidung auszuwählen, hatte mehrere Vorschläge für ihn vorbereitet.
 

Seine Kleiderzimmer war mal wieder zum überquellen voll, doch wie immer hatte der Weißhaarige das Problem sich zu entscheiden, was er heute an diesem besonderen Tag tragen wollte. So entschied er sich letztendlich für ein weißes Hemd, dazu eine Weste in Preußenblau und eine farblich dazu passende Culotte (das sind die Kniehosen). Dazu wählte er seine Lieblingskette mit einem silbernen Kreuzanhänger. Zusätzlich ließ er sich seine Haare zu einem schönen Zopf zusammen binden. Seine Justaucorps, eine für das Rokoko typische Jacke, wollte er aber erst anziehen, wenn er das Haus verlassen würde. Nun wurde er von seinem Kammerdiener in eines seiner Lieblingsgewänder eingekleidet und erhob sich schließlich, um zum Esszimmer zu gelangen. Seinen Kammerdiener ließ er dabei zurück, um seine Kleidung, für die er sich nicht entschieden hatte, wieder zurück in sein Kleiderzimmer zu hängen.
 

So wurde er von einem Hausdiener zum Esszimmer gebracht und nahm dort auf einem der dunklen rustikalen Stühle an einem langen Tisch platz, an dem sein Vater die morgendliche Zeitung weg packte. Dieser lächelte ihn an und Ryou lächelte ebenfalls freudig zurück.
 

„Guten Morgen, Vater.“, begrüßte er ihn mit einem sanften Lächeln.
 

„Guten Morgen, mein Geburtstagskind. Wie fühlst du dich heute, Sohn?“, wollte dieser wissen.
 

„Gut, ich bin sehr aufgeregt.“, musste er zugeben, als das Essen herein gebracht wurde.
 

Schließlich prangte nicht nur das übliche Brot und der dazu passende Belag auf dem Tisch, sondern auch ein schöner Erdbeerkuchen, den sein Vater extra bei einem Konditor bestellt zu haben schien, da er Erdbeeren liebte. Und dies zeigten auch seine strahlenden braunen Augen, die nun mit der Sonne um die Wette funkelten. Heute hatte er ihn wirklich überrascht, denn er hatte sich nicht nur für Ryou einen Tag seiner Pflichten entbunden, sondern ihm auch noch so einen schönen Kuchen anfertigen lassen. Also ließ er sich von einem Diener ein Stück hinüber reichen und aß genüsslich mit seinem Vater zum Frühstück. Danach ließen sie sich noch ein wenig Zeit, unterhielten sich und hatten endlich mal wieder Zeit für einander. Schließlich erhob sich sein Vater allerdings und sah zu ihm hinüber.
 

„Die Kutsche wird bald hier sein. Wir sollten uns allmählich für die Abreise fertig machen.“, informierte er Ryou, da dieser die Kutsche zu einer bestimmten Uhrzeit vorgeladen hatte.
 

Dieser nickte verständnisvoll, erhob sich brav und ließ sich von einem Diener seine Justaucorps bringen, die er dieses Mal alleine anzog. Anschließend ging er hinaus zu seinem Vater, der schon vorgegangen war. An der Kutsche angekommen, hielt man ihm die Türe auf und sein Vater wartete, dass Ryou eingestiegen war, bevor er selbst einstieg. Dann fuhr die Kutsche auch schon los und brachte sie immer weiter hinunter in die Stadt, während Ryou aufgeregt die sich verändernde Landschaft betrachtete.
 

Es dauerte nahezu eine Stunde, bis sie endlich an ihrem Ziel waren und Ryou mit seinem Vater aus der Kutsche aussteigen konnte. Sie hatten noch zwei Diener mitgenommen, die auf Ryou zusätzlich achten sollten, da dieser dazu neigte, einfach kreuz und quer ohne acht zu geben einher zu laufen. Doch Ryou fühlte sich hier doch eher unbehaglich, waren sie doch in einer Gegend, in der nur reiche Aristokraten verkehrten und gewann so wenig Eindruck über das Leben und die Leute hier. Jeder, der diese Straßen entlang schritt, schien aus weiter ferne zu kommen. Dabei hatte er doch gehofft, einen Freund oder jemandem zum Reden in seinem Alter hier in dieser Stadt zu finden.
 

Kopfschüttelnd schmetterte er den Gedanken nun aber ab und entschloss sich das Beste daraus zu machen. Also machte er sich auf zum ersten Geschäft, hatte eben die Wahl und entschied sich erst einmal, seinen Kleiderschrank um ein paar neue Gewänder zu bereichern. Doch das war nicht die Hauptaufgabe, wollte er doch etwas neues entdecken. Dies hatte er seinem Vater auch des Öfteren auf der Fahrt mitgeteilt, der die Neugierde seines Sohnes für ungewöhnliche neue Dinge nur zu gut kannte. So suchte und suchte er, verbrachte den ganzen Tag damit und entdeckte wenige Dinge, die ihm gefallen könnten. Doch dieses Mal wollte er nur das Seltenste und Ungewöhnlichste haben, wusste nicht, ob er es tatsächlich hier finden würde. So rückte der Abend langsam näher, bei dem sie sich für einen Cafébesuch entschieden hatten.
 

Es war bereits 16 Uhr laut seiner Taschenuhr, als sein Vater ihn darauf aufmerksam machte, dass ihnen nicht mehr viel Zeit blieb und Ryou sich bei einem Café noch einmal Gedanken machen sollte, was er nun denn haben mochte. Diesem Vorschlag willigte er ein und dachte während des Café über verschiedene Dinge nach und was er sich denn wirklich von Herzen wünschte. Anschließend gingen sie gemeinsam in das Restaurant, dass sein Vater extra für seinen Geburtstag angemietet hatte, um dieses Ereignis ausgiebig zu feiern.
 

So empfing Ryou brav seine Gäste, die meist aus den Arbeitskollegen seines Vaters und Kaufleuten stammten, die er so kannte. Dass ihm etwas fehlte, ließ er sich so nicht anmerken und spielte das Spielchen schön brav mit, begrüßte seine Gäste und lud sie zu Speis und Trank. Sein Geschenk würde er noch bekommen, versprach ihm sein Vater, der gute Beziehungen pflegte und so dachte er hin und wieder über die gesehenen Dinge nach. Wenig später begann die Feier mit einem Toast auf Ryou, zu dem sich alle erhoben und ihm für die Einladung danken konnten. Zusätzlich folgte eine Rede seines Vaters, wie stolz und glücklich er auf Ryou sei, bei der er ebenfalls seinen Dank aussprach. Schließlich brachten die Kellner das Essen hinein und kümmerten sich um die Bewirtung, bis alle Gäste fertig gespeist hatten. Aus besonderem Anlass durfte er sogar etwas Wein zu sich nehmen, auf den er sehr neugierig gewesen war. Dies hob seine Stimmung wieder etwas und er tanzte auch zu der klassischen Musik, was er sonst nicht so gerne tat.
 

Die Festlichkeit schob sich so bis in den späten Abend herein. Es war schon dunkel, während Ryou mit einen der letzten Gäste verabschiedete und nur noch eine Hand voll Kaufleute geblieben waren, die seine Entscheidung bezüglich eines Geburtstagsgeschenkes erwarteten. Dieser überlegte eine Weile, entschied sich dann es zumindest zu versuchen, nachdem sein Vater ihn erneut gefragt hatte, was er sich denn nun wünschte.
 

„Also... Ich habe nachgedacht...“, fing der Weißhaarige an.

„Die Dinge die ich heute gesehen haben, waren alle sehr faszinierend. Aber ich habe einen anderen Wunsch. Es ist mein 17. Geburtstag und das einzige was ich kenne ist die Villa außerhalb von London. Meine Aufgabe wird es später einmal sein in Vaters Fußstapfen zu treten und das Volk zu verwalten. Wie soll ich das aber schaffen, wenn ich das Volk gar nicht kenne?“, erntete er wildes Getuschel.
 

„Worauf willst du hinaus, mein Sohn?“, ahnte sein Vater nicht, was ihn erwartete.
 

„Ich wünsche mir eine Weile hier unten zu leben. Es muss auch nicht lange sein und...“, stammelte er auf den Blick seines Vaters hin.
 

„Ryou! Das Leben hier ist nicht gut für dich. Es ist viel zu gefährlich.“, kannte er Ryou's Wunsch noch von Kindertagen.
 

„Aber ich... Es könnte sogar jemand Tag und Nacht auf mich aufpassen. Nur einen Monat, bitte Vater.“, sah er ihn durchdringend an, der daraufhin seufzte.
 

„Na gut, einen Monat. Allerdings... Wo sollen wir jetzt noch eine Unterkunft für dich finden?“, fragte er ihn, woraufhin sich einer der Kaufleute räusperte und sowohl er als auch Ryou ihn ansahen.
 

„Sir. Ich habe einen Makler zum Bruder, der mir gestern von einem schönen geräumigen Haus erzählt hat, welches vor kurzem frei geworden ist. Für eine Person ist es schon eingerichtet und könnte ihrem Sohn sicher ohne Probleme vermietet werden.“, bot der Kaufmann an.

„Es ist nur zwei Straßen weiter in diesem Viertel. Wenn Sie möchten, könnte ich meinen Bruder sofort kontaktieren.“
 

Daraufhin nickte der Vater, fand er diesen Vorschlag doch akzeptabel und erklärte sich damit einverstanden. Ryou freute sich darüber, unterließ aber einen Aufschrei und entschloss sich, diesen zu einem späteren Zeitpunkt zu verwenden, wenn er ungestört wäre. Nachdem sein Vater sich die Wohnung angesehen hatte, konnte auch er nicht mehr ablehnen und willigte letztendlich gänzlich ein, sodass der Wunsch des Weißhaarigen nun endlich in Erfüllung gegangen war. Sein Vater hinterließ ihm jedoch die zwei Diener und die Auflage sich einmal die Woche zu melden. Dieser versprach er nachzukommen, bedankte sich bei seinem Vater und verabschiedete sich von ihm. Der Kutsche sah er noch eine Weile hinterher, bevor er die erste Nacht in dieser schönen Stadt mit dem ach so ersehnten erholsamen Schlaf verbrachte...

Begegnung im Irrgarten

Am nächsten Morgen erwachte Ryou kurz nach Sonnenaufgang, rieb sich noch etwas verschlafen die Augen, als er sich erinnerte, dass gestern sein Geburtstagswunsch in Erfüllung gegangen war. Diese Tatsache pustete seine Müdigkeit augenblicklich hinfort, ließ ihn frohen Mutes aufstehen. Noch in Nachtbekleidung tapste er zu den Holzfenstern hinüber und öffnete diese, belächelte einen kleinen Schmetterling, der neugierig den Blumenkasten umflog.
 

„Guten Morgen.“, begrüßte er den Schmetterling, als es an der Tür klopfte.

„Wer ist da?“, wollte er neugierig wissen.
 

„Ihr Kammerdiener, Sir.“, antwortete die bekannte Stimme, der daraufhin die Tür geöffnet wurde.
 

„Guten Morgen.“, ließ er diesen herein, musste immerhin für den Tag eingekleidet und straßenfertig gemacht werden.
 

Nachdem dieser Punkt der Tagesordnung erledigt war, entschied er sich auswärts zu frühstücken und verließ das Haus. Daraufhin machte er sich auf den Weg in die Stadt, suchte sich mehrere Geschäfte aus und nahm schließlich in einem der kleineren Cafés Platz, wo er seinen Milchkaffee und ein Hefeteiggebäck zu sich nahm. Munter und gestärkt verließ er schließlich die Hauptstraße und entschied sich, auch mal den Rest der Stadt heimlich zu erkunden. Schon wenig später entdeckte er ein altes Geschäft mit Puppen im Schaufenster, was er sofort besichtigen ging. Das Geschäft hieß 'Puppenmacherstube' und da er noch nie gesehen hatte, wie Puppen gefertigt wurden, entschloss er sich zur Nachfrage.
 

Es dauerte etwa eine Stunde, der alte Mann hatte sich freundlicher Weise dazu bereit erklärt, da hatte er alles über das Puppen machen erfahren, was er wissen wollte. So bedankte er sich artig bei dem alten Mann und versprach, dass er irgendwann einmal wieder vorbei schauen wollte. Anschließend, nachdem er das Geschäft verlassen hatte, machte er sich auf den Weg, lief jedoch in die falsche Richtung. Der Weißhaarige merkte seinen Fehler jedoch recht spät und befand sich inzwischen in einem Viertel, in dem er sich gar nicht aus kannte. So bekam er es allmählich mit der Angst zu tun, denn irgendwie waren ihm die Menschen hier sehr unheimlich. So rannte er immer weiter und versuchte trotz alledem den Weg zurück zu finden.
 

Es war schon fast eine weitere Stunde vergangen, in der Ryou umher geirrt war und versuchte zurück zu finden. Seine Kräfte neigten sich dem Ende entgegen, weshalb er sich in einer Nebengasse auf den Boden setzte und beschloss, eine Pause einzulegen. Ihm vielen kurz die Augen zu, sodass er leicht weg döste, als ihn auf einmal Schritte wieder aufweckten.
 

„Wer... wer ist da?“, schluckte er hart und stand auf.
 

Direkt blickte er nach rechts, wo es dunkel war und wo kein Licht mehr hin fiel. Ryou versuchte, etwas zu erkennen, wusste nicht, wie viel Zeit inzwischen vergangen war. Immer wieder hörte er diese Schritte, die dann schließlich zum halten kamen. Letztlich erkannte er eine Person, die einen schwarzen Umhang und schwarze Stiefel trug. Diese schaute ihn scheinbar an, was Ryou jedoch nicht erkennen konnte, hatte er doch eine Kapuze weit ins Gesicht gezogen.
 

„Hast du dich verlaufen.“, fragte die Gestalt, die eine wunderschöne Stimme hatte.
 

„Ja, i-ich... Ich finde nicht mehr zurück. Woher...?“, fragte Ryou ängstlich.
 

„Du wirkst verloren. Hier, fang.“, warf er Ryou eine kleine längliche Phiole mit einer Flüssigkeit zu.

„Damit findest du zurück.“, versprach ihm der Fremde.
 

Der Weißhaarige fing die Phiole auf, doch als es plötzlich neben ihm krachte, drehte sich Ryou für einen kurzen Moment erschrocken um. Er schaute nach links, um zu sehen, was da gewesen sei und als er wieder zurück blickte, war die Person verschwunden. Überrascht schaute er das Fläschchen an, wusste nicht so recht, wie ihm das helfen sollte. Jedoch steckte er es auch ein, verließ die Gasse und fand tatsächlich wenig später die 'Puppenmacherstube' wieder, lief dieses Mal in die richtige Richtung.
 

Als Ryou wieder an seinem Haus angekommen war, brachte er die Phiole schnell hinein, legte sie in eine Schmuckschatulle. Wie er feststellen konnte, war etwas von seiner geliebten Kleidung hinunter gebracht worden. Zufrieden damit, steckte er sich einen Kamm ins Haar und entschied sich, doch wieder die Gegend zu erkunden. Immerhin wollte er einen Freund haben und das duldete keinen Aufschub. Also streifte er bis abends umher und kehrte erst heim, als die Sonne bereits unter ging.
 

Der Weißhaarige schleppte sich in das Schlafzimmer und ließ sich dort erschöpft auf das Bett fallen. Doch so blieb er nicht lange, drehte sich unruhig darauf herum und ließ den Tag Revue passieren, der heute kein Ergebnis gebracht hatte. Dennoch erinnerte sich auch an den Mann im Kapuzenumhang mit der schönen Stimme, lächelte über diese kleine Begegnung mit seinem Retter. Seufzend erhob er sich und entnahm die Phiole wieder aus der Schmuckschatulle, besah sie nun genauer. Leicht wiegte er die verkorkte Flasche zwischen seinen Fingern hin und her, bestaunte die lila Flüssigkeit darin, die irgendwie zu leuchten schien.
 

Plötzlich ertönte ein Knall in der Luft, nicht unweit seines Hauses, wodurch er das Gleichgewicht verlor. Reflexartig ließ er die schöne Flasche fallen und sie zersprang auf dem Boden in tausend kleine Stücke, hatte es den Anschein.
 

„Oh nein, dass...“, berührte er die Flüssigkeit auf dem Boden, die eiskalt war.
 

Ohne wirklich zu überlegen, leckte er die Flüssigkeit mit der Zunge von seinen Fingern und merkte, dass sie nicht nur kühl war, sondern auch sehr süß schmeckte. Interessiert nahm er noch ein wenig mehr von der Flüssigkeit in sich auf und verließ daraufhin das Haus. Draußen wurde wohl ein kleines Feuerwerk auf dem Marktplatz gehalten, dass er sich etwas näher anschauen wollte. Langsam kam er seinem Ziel näher, während er mehr und mehr zu wanken begann...

Ohne Erinnerung

Als am nächsten Tag, es war schon fast Mittag, die Sonne durch die Fensterladen hindurch sickerte, rührten sich allmählich die schweren Augenlider. Langsam klappten diese hoch und legten ein Paar glasklare blaue Augen frei. Überrascht schaute sich Ryou um, erhob schwerfällig seinen Oberkörper und fand sich dann in seinem neuen Zuhause auf dem Bett vor. Doch als ob dies noch nicht seltsam genug gewesen wäre, hatte er auch noch immer die selbe Kleidung an, mit der er gestern das Haus verlassen hatte. Schließlich stand er auf, suchte in seinem Kopf nach einem Hinweis, wie er hier her gekommen war. Jedoch fand er nach Verlassen des Hauses seine Erinnerung nicht wieder. Ryou beschloss erst einmal seine Kleidung zu wechseln, erhielt aber nach mehrmaligem Rufen keine Antwort seines Kammerdieners oder irgendwem. Im ganzen Haus war es totenstill, was ihn nur noch nervöser machte. Seufzend entschloss er, dass er sich auch alleine umziehen konnte, öffnete dann die kleine Kleiderstube. Aus dieser fiel ihm plötzlich etwas entgegen, riss ihn mit zu Boden und...
 

„AAAAAAHHHHHHHHHH~!!!“, ertönte ein lauter Schrei.
 

Sofort entfernte Ryou sich von dem Etwas, welches ihn zu Boden gerissen hatte, presste sich hart an die Wand hinter ihm. Das Etwas war niemand anderes als sein Kammerdiener, der nun tot vor seinen Augen weilte. Dieser Anblick wurde nur noch davon übertroffen, dass ein Schwert in dessen Mund hinein geführt worden war und einen grausigen Anblick für Ryou darstellte. Die Gedanken an das Umziehen waren inzwischen wie weggeblasen, da überall in der Kleiderstube Blut klebte. Zitternd sprang er auf, dachte nur noch daran Hilfe zu holen. Schnell huschte er vor die Tür, wusste, dass dort seine beiden Hausdiener die Türe bewachten. Doch auch hier konnte er keine Hilfe mehr erwarten, fand die beiden Diener mit einem Dolch im Kopf vor und sackte noch im Türrahmen zusammen.
 

Sämtliches Gefühl für Zeit war verloren gegangen, als der Weißhaarige die letzten Tränen wegwischte, die aus Panik seine Augen benetzt hatten. Noch immer wusste er nicht, was passiert war, hatte jedoch keine andere Wahl, als die Morde der Polizei zu melden, bevor man ihm diese anhängen konnte. Im Eiltempo verließ er die Wohnung, ließ die Leichen unangetastet und fragte sich bis zum Revier durch. Dort wurde er erst einmal seelisch betreut, bevor sich der Officer um ihn kümmern wollte, bekam sogar einen Tee. Schließlich ließ der Polizist, der sich so nett um ihn gekümmert hatte, ihn alleine und ein älterer Herr setzte sich ihm gegenüber.
 

„Guten Tag, junger Herr. Mein Name ist Officer Richards. Und wie heißen Sie? Oder darf ich 'du' sagen?“, wollte er die Atmosphäre zunächst etwas auflockern.
 

„Ich bin Ryou Veskon, Officer. Meinem Vater gehört das Anwesen auf dem Mount Humbelton.“, erzählte er kurz über sich und erntete einen erstaunten Blick.

"Und sie dürfen mich auch duzen.", erlaubte er dem Officer.
 

„Was macht der Sohn eines Ministers denn alleine hier in der Stadt?“, wollte er mit erstaunter Stimmlage wissen.
 

„Ich... Es war mein Geburtstagswunsch. Ich wollte einen Freund finden. So weit abseits der Stadt war ich immer sehr alleine. Mein Vater hat mir dann den Wunsch erfüllt und ich durfte in ein Haus hier im Viertel einziehen.“, erzählte Ryou kurz.
 

„Du meinen das Haus, in dem die drei Morde verübt worden sind?“, fragte der Officer und erntete nur ein stummes Nicken.

„Weißt du, Ryou. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Wir nehmen den Fall mit auf, dir wird nichts passieren.“, versprach der Mann.
 

„Wie kommen Sie darauf?“, wollte Ryou nun wissen.
 

„Weißt du, die Morde gehören zu einer Serie. Der Täter benutzt immer Schwerter oder Dolche und hinterlässt Tarotkarten am Ort, die die Szene wieder spiegeln. Bisher waren es insgesamt acht Schwertkarten, die wir an verschiedenen Tatorten gefunden haben. Leider haben wir bisher noch keinen Anhaltspunkt, wer der Mörder sein könnte oder was ihn bewegt. Das sind unsere einzigen Hinweise.“, erklärte der Mann.
 

„Serie? Aber woher wissen Sie dann, dass ich nicht in Gefahr bin?“, wollte Ryou sofort wissen.
 

„Du wärst tot, wenn er es vorgehabt hätte dich zu töten. Aber du lebst noch und das ist der Beweis, dass er an dir nicht interessiert ist. Er tötet immer schnell und das auch ohne gesehen zu werden. Allerdings wundern wir uns, wie so etwas passieren konnte, ohne dass der Hausherr etwas bemerkt.“, sah der Officer Ryou an.
 

„Ich, also... Ich weiß auch nicht was passiert ist. Gestern Abend, da bin ich noch einmal aus dem Haus gegangen um mir das Feuerwerk anzusehen. Aber ich erinnere mich schon nicht mehr, auf dem Marktplatz angekommen zu sein.“, war er ehrlich.
 

„Das ist ja interessant. Hast du irgendeine Droge zu dir genommen? Oder ein Schlaftrunk?“, sah ihn Officer Richards nun skeptisch an.
 

„Nein, so etwas mache ich nicht.“, sagte er die Wahrheit.

„Bitte glauben Sie mir, Officer.“
 

Dieser seufzte und packte dann seine Unterlagen zusammen, hatte erneut nichts in der Hand, was er nutzen konnte um den Täter, der London in den letzten zwei Wochen in Angst und Schrecken versetzt hatte, fassen zu können. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen, ordnete er die Säuberung des Tatortes nach der Bestandsaufnahme an und zog sich zurück. Wieder einmal konnte er nur einen Standartbericht ohne Ergebnis schreiben, da sein wahrscheinlich einziger Zeuge sich nicht mehr erinnern konnte.
 

„Geht nach Hause, Junge. London ist zu gefährlich für euch. Ihr solltet hier nicht bleiben.“, wurde er wieder sachlicher und verabschiedete sich.
 

Ryou sah ihm noch einen Augenblick nach, wurde plötzlich vor die Tür gesetzt. Entweder wollte oder konnte man ihm hier nicht helfen, ihn allerdings tief traf und verletzte. Wenn sein Vater davon erfahren würde, würde dieser sicher ausrasten, doch er hatte keine andere Wahl. Als er zurück zum Haus kam, erkannte er mit einem gezielten Blick die bereits durchgeführte Reinigung seines von ihm bewohnten Hauses. Seufzend beschloss er, dass er doch besser die Koffer packen und verschwinden sollte, bevor er das nächste Opfer dieses Wahnsinnigen sein würde. Ein Blick in den Kleiderschrank ließ ihn die gähnende Leere in seinem Kleiderschrank erkennen, die man wohl als Beweismittel durch das an ihr klebende Blut mitgenommen hatte. Jedoch wollte er auf keinen Fall abreisen, beschloss, sich neue Gewänder zu besorgen und verließ sein Haus wieder.
 

Es dämmerte bereits, als Ryou mit seiner neuen Kleiderauswahl fertig war und sich in einem kleineren Laden nach einem Souvenir umsah. Die Kleidung würde er am nächsten Morgen fertig abgeändert geliefert bekommen und hatte beschlossen, diese eine Nacht noch in dem Haus zu verbringen. Interessiert schaute er durch eine bunte gläserne Vase hindurch, als er plötzlich eine doch recht bekannte Silhouette erkennen konnte. Es war der Mann von gestern Abend, glaubte er jedenfalls zu erkennen. Sofort spurtete er nach draußen, bekam gerade noch so mit, wie ein Stück von dessen Umhang um eine Ecke verschwand. Der Weißhaarige rannte ihm nach, war dieser Mann doch der einzige Hinweis, den er hatte, um vielleicht doch noch zu erfahren, was geschehen war. Also folgte er ihm durch die Gassen Londons, verlor dabei fast vollkommen die Orientierung. Wo er hier war und wieso der Mann sie gerade hier lang führte, wusste Ryou nicht, hatte jedoch keine andere Wahl mehr, als ihm zu folgen. Schließlich, es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, fand er sich auf der Hauptstraße wieder, war direkt neben seinem Haus angelangt.
 

Ryou schluckte hart, wusste nicht, wohin der Mann verschwunden war und sah sich auf der Straße genauestens um. Er hatte ihn aus den Augen verloren, fühlte sich nun gar nicht mehr so sicher, wie vorhin noch. Vorsichtig betrat er das Anwesen, schnappte sich den erstbesten Gegenstand, den er finden konnte und erkundete schleichend das Anwesen. Den Mann konnte er dabei nicht entdecken, wurde nur langsam ruhiger und schließlich erleichtert. Schnell stellte er die Holzstatue wieder zurück an seinen angestammten Platz, ging zurück auf sein Zimmer und atmete tief ein und aus. Müde ließ sich der weißhaarige auf sein Bett fallen, als er etwas ungewöhnliches an seinem Rücken spürte. Überrascht tastete er sich vor, hielt plötzlich etwas Flaches in der Hand. Langsam richtete er sich auf, blickte auf den Gegenstand, der sich als eine Tarotkarte heraus stellte. Auch erkannte er, dass diese anders war, wie die bisher gesehenen. Vorsichtig, als würde ihm diese Karte gerade etwas schlimmes antun, drehte er diese zwischen seinen Fingern hin und her. Auf der Karte war eine schlafende Frau abgebildet und darunter war der Kartenname „Eremit“ zu lesen.
 

Der Weißhaarige seufzte, wusste nicht, was diese letzte Karte zu bedeuten hatte und warum sie gerade jetzt auftauchte. War sie überhaupt erst jetzt da oder hatte die Polizei sie irgendwie übersehen? Er sah erneut auf die Karte, die ihn nun immer nervöser machte. Es war eine Karte, die offensichtlich nur ihm galt und ihn zu seiner Bestimmung zu rufen schien. Doch was sagte diese Karte über ihn? Ryou wusste es nicht, hatte jetzt aber keine Möglichkeit mehr, einfach so nach Hause zu reisen. Wenn er wieder ruhig schlafen wollte, dann musste er zumindest herausfinden, was die Karte bedeutete und welche Rolle er in dem Ganzen spielen sollte...

Tarot

Am nächsten Tag erwachte Ryou in seiner üblichen Manier in seinem Zimmer, musste sich dieses Mal ganz alleine anziehen. Seufzend ging er zu der Kleiderkammer, erkannte jedoch schnell, dass er ja keine Kleidung mehr hatte. Als es an der Tür klingelte, war er erleichtert, warf sich einen Morgenmantel über und öffnete dem Boten mit seiner neuen Kleidung die Tür.
 

„Vielen Dank.“, war er recht höflich und bezahlte die Ware.
 

Eilig und wie auf der Fluch verließ dieser die Gegend, weshalb Ryou die Tür wieder schloss und die Kleidung in die Kleiderkammer fein säuberlich einräumte. Danach nahm er sich eines der Gewänder und zog sich mehr schlecht als recht an. Er hatte einfach zu wenig Erfahrung, um das alleine zu können. Bisher war es auch nie nötig gewesen sich selbst anzukleiden, hatte er bis dato immer jemanden um sich herum gehabt. Ryou machte einfach einen wilden Knoten in die Schuhe und stopfte die Senkel in diese hinein. Auch der Rest verlief nicht besser, ließ ihn etwas wie Hemd in die Hose einfach vergessen. Mit anderen Worten sah Ryou einfach katastrophal aus, konnte jedoch nicht um Hilfe bitten.
 

Das Haus abgeschlossen, trabte er heimlich die Schleichwege durch London, hatte die seltsame Karte, die auf seinem Bett gelegen hatte, mitgenommen. Vorsichtig spielte er damit zwischen seinen Fingern, fragte sich, was er nun damit anfangen sollte. Er interessierte sich zunehmend dafür, was die Karte ihm sagen sollte, oder ob in ihr vielleicht eine Botschaft steckte. Seufzend kam er an dem Puppenladen vorbei, den er gestern besucht hatte, hoffte, dass der Mann ihm als Einwohner vielleicht weiterhelfen konnte.
 

„Guten Morgen, Sir. Ich war gestern bei Ihnen wegen der Puppen.“, fing er an.
 

„Oh, der kleine Junge. Stimmt.“, fiel es dem alten Herrn auf.

„Aber wie siehst du denn aus?“, bemerkte er Ryou's Erscheinung.
 

„Ähm, also...“, seufzte er schwer.

„Meine Diener sind gestern alle ermordet worden und ich hab mich noch nie selbst anziehen müssen.“
 

„Das sieht man. Aber warte, ich werde dir helfen.“, versprach der Mann und half ihm tatsächlich, dass er sich halbwegs anständig herrichtete.
 

„Vielen Dank, sie sind wirklich nett.“, machte sein Herz nun einen Hüpfer.
 

„Ach, Junge. Kein Problem, aber... Du solltest nicht länger hier verweilen, wenn so etwas schreckliches passiert. Fahrt heim zu eurer Familie.“, forderte ihn der alte Mann auf.
 

„Das würde ich ja gerne, aber... Ich kann noch nicht. Sehen Sie, meine Butler wurden nicht einfach so ermordet. Sie wurden regelrecht abgeschlachtet und bei ihnen lagen merkwürdige Karten.“, erzählte Ryou.

„Und als ich gestern wieder nach Hause kam, da habe ich das hier gefunden.“, zeigte er dem Mann seine Karte.
 

Dieser nahm die Karte vorsichtig an sich, setzte sich seine Brille auf und studierte sie erst einmal gründlich. Indes wuchs die Spannung in dem Weißhaarigen, fragte sich, ob der Mann vielleicht etwas entdeckt haben könnte oder würde. Möglicherweise kannte er ja sogar die Bedeutung, war gebannt auf dessen Worte.
 

„Nun, es ist eine Karte. Mehr kann ich auch nicht sagen. Aber ich kenne jemanden, der sich vielleicht mit so etwas auskennen könnte. Moment, ich schaue mal, ob ich die Adresse der Dame finde.“, suchte er am Tresen und schrieb schließlich etwas auf ein Blatt Papier.

„Hier, das ist die Adresse der Dame. Sie wird dir sicher mehr sagen können als ich, auch wenn sie etwas verrückt wird. Lass dich von dem ersten Eindruck nicht täuschen. Sie ist sehr klug.“
 

„Oh, danke. Ich weiß gar nicht, wie ich das wieder gut machen kann.“, war Ryou da ehrlich.
 

„Ich habe aber eine Idee. Kauf doch diese Puppe. Sie steht schon fast ewig lange im Schaufenster und alle ihre Freundinnen sind schon verkauft. Über das Zuhause eines so netten Jungen würde sie sich sicher freuen. Ich mache dir auch einen besonderen Preis, weil du so lieb bist.“, gab er ihm die Puppe.
 

„Äh, sicher. Das ist schön, sie wird einen Ehrenplatz bekommen.“, versprach Ryou und bezahlte für die kleine Wachspuppe einen Sonderpreis von 750 Pfund.
 

Freudig lächelnd, dass er nun endlich etwas Hilfe bekommen würde, ging er mit der besagten Puppe spazieren und fragte sich bis zu der Gegend vor, in der die Dame leben sollte. Ryou musste mehrere Viertel durchqueren, wohnte die Frau scheinbar weit weg von seinem Haus, was Ryou schließlich aber endlich in das Zigeunerviertel führte. Trotzdem wunderten ihn die Menschen hier, hielt er als einer, der nicht von ihrem Volk stammt, lieber etwas Abstand. Doch dann verlor sich die Spur, konnte er keine Hausnummern mehr finden, was hier in der Gegend wohl keine Seltenheit zu sein schien. Immer mehr Zigeuner starrten ihn an, als sich plötzlich eine Frau hinter ihm räusperte.
 

„Du bist hier hergekommen um Madame Majoré zu treffen?“, fragte eine Frau mit rötlichem Haar in einem Kleid und mit einem deutlichen Akzent.
 

„Ja, die suche ich. Der Puppenmacher meinte, dass sie mir vielleicht helfen könnte.“, erzählte er.
 

„Ah, der Puppenmacher. Folge mir, Junge.“, verlangte sie.
 

Etwas unsicher folgte Ryou der Frau, die ein ziemliches exotisches und tief ausgeschnittenes Kleid trug. In seiner Gegend war dies absolut untypisch, weswegen er sich fragte, ob die Frau vielleicht als Prostituierte hier arbeitete. Dies zu fragen, dazu kam Ryou nicht mehr, wurde mit in ein Haus geführt, in dem zwei Kinder herumtollten und spielten. Die Frau setzte sich an einen Tisch, der anscheinend zu ihrer Küche gehörte und drückte die Zigarre aus.
 

„Also, Junge. Sperr deine Lauscher auf. Ich bin Madame Majoré. Und nein, ich bin keine Nutte.“, erntete er Ryou's erstaunten Blick.
 

„Woher...? Tut mir leid, ich wollte nicht...“, tat es ihm nun leid.
 

„Ich weiß, ich weiß. Du bist ein Junge mit großem Herz. Ich bin dir nicht böse, keine Angst. Es ist unsere Kultur hier. Und mach dir nicht so viele Gedanken, ich kenne deine Fragen schon, bevor du sie aussprichst.“, lächelte die Dame.
 

„Sie sind nett, danke. Ich wollte nicht unhöflich sein, aber... Ich bin zum ersten Mal an so einem Ort.“, erzählte er trotzdem.
 

„Ich weiß, ich weiß. Der Puppenmacher hat dir eine Puppe gegeben, daran habe ich dich erkannt. Seine Puppen sind ihm sehr lieb und teuer. Er gibt einer Person immer die Puppe, die zu ihm passt. Du hast eine ganz besondere Puppe von ihm bekommen. Du musst etwas ganz besonderes sein, denn weißt du... Puppen haben eine empfindliche Seele.“, brachte sie Ryou bei.
 

„Eine Seele?“, fragte Ryou erstaunt.
 

„Ja, eine Seele. Willst du einen Tee, bevor ich weiter erzähle?“, fragte die Dame.
 

„Ja, gerne.“, mochte er Tee und bekam eine Tasse, wofür er sich bedankte.
 

„Also Puppen haben eine empfindliche Seele. Wenn sie sich wohl fühlen, blühen sie auf und werden von Besuchern sehr schnell wahrgenommen. Wenn sie sich nicht wohl fühlen, gehen sie irgendwann verloren, so sagt man bei uns. Dinge, die etwas bedeuten, die hegt und pflegt man, stellt sie aus. Es macht den Besitzer glücklich und auch die Puppe. Du verstehst, was ich meine?“, wollte die Frau wissen.
 

„Ja, ich glaube irgendwie schon. Ich bin hier hergekommen, um einen Freund zu finden. Das ist das einzige, was ich trotz des vielen Geldes nie haben konnte. Ich habe Unmengen an neuen Erfindungen und Spielzeug gehabt und immer neues bekommen. Aber irgendwie wusste ich das nie zu schätzen, weil es mir nichts bedeutete. Es war zu einfach, etwas zu bekommen, dass ich mit Geld kaufen konnte. Allerdings verband ich mit den Gegenständen nichts, weswegen sie mir immer schnell egal wurden. Diese Puppe ist da anders. Wenn ich sie ansehe, dann denke ich an den alten Mann, der so nett zu mir gewesen ist und mir geholfen hat. Es ist eine schöne Erinnerung. Deswegen ist diese Puppe etwas besonderes.“, erkannte er nun, was ihm die ganze Zeit gefehlt hatte und lächelte.
 

„Siehst du... Aber nun genug der lieben Worte. Zeigst du mir die Karte?“, fragte die Frau ihn.
 

Dieser sah erneut überrascht daher, holte die Karte aber heraus und gab sie ihr. Die Frau besah sich die Karte genau, holte mehrere Bücher hervor. Diese wälzte sie einige Zeit, machte mehrere Zettel in die Bücher und schrieb sich viele Dinge heraus. Auch sein Geburtsdatum musste er wohl anscheinend dafür nennen, wusste nicht wirklich, was die Frau vor hatte. Mal schien sie zu schreiben, dann rechnete sie wieder und schlug schließlich das letzte Buch zu.
 

„Also, Junge. Was glaubst du, was diese Karte bedeutet?“, erntete sie ein fragendes Gesicht.
 

„Ich dachte, dass würden sie mir sagen?“, war er da ehrlich.
 

„Das könnte ich tun, aber erst mal solltest du versuchen, die Karte selbst zu interpretieren. Es gibt nicht immer nur eine Lösung für eine Karte.“, erklärte sie.
 

„Na also, keine Ahnung. Mir fällt die Ähnlichkeit ein wenig auf. Die Frau auf der Karte schläft und ich habe auch geschlafen, als die Morde passiert sind. Was mir sonst noch auffällt ist die Laterne, aber da weiß ich nicht so viel... Ein Licht aufgehen oder ein Licht im Dunkel...“, mutmaßte er irgendwas.
 

„In Ordnung, soviel weißt du. Also der Eremit symbolisiert die Jungfrau. Soviel ich herausgefunden habe, ist das dein Sternzeichen. Diese beschließt eines Tages, sich eine Auszeit zu nehmen, um sich um wichtigere Dinge, als ihr die weltlichen bieten können, nachzudenken. So lautet die Grundgeschichte. Du müsstest dich also sehr gut in dieser Karte wieder erkennen. Du suchst etwas, dass du hoffst hier zu finden. Wenn es positiv läuft, dann wirst du an dieser Erfahrung heranreifen.“, erzählte sie.
 

„Und die negative Seite?“, interessierte es Ryou brennend.
 

„Du meinst, wenn du scheiterst? Dann wirst du in der Dunkelheit bleiben. Du hörst nicht auf Ratschläge und könntest sogar in Schwierigkeiten geraten. Es liegt an dir, ob du das annimmst, was du lernst oder nicht.“, machte sie Ryou klar.
 

„Das ist nicht so toll. Ich... Ehrlich gesagt, macht mir das Angst.“, war er ehrlich.
 

„Keine Sorge, du bist doch gut beschützt. Deine Kette, die du um deinen Hals stammt. Sie enthält für dich doch Erinnerungen an deine Mutter. Denke daran, welche Ratschläge sie dir gegeben hat. Jetzt muss ich mich aber wieder um meine Kinder kümmern. Joska wird dich bis zum Puppenladen bringen. Du verläufst dich sonst wieder und es bringt dir nichts, wenn du nur glaubst zu wissen, wo es lang geht. Hier sehen zu viele Straßen gleich aus.“, brachte sie Ryou als letzte Lektion bei.
 

Ryou nickte und bedankte sich noch einmal bei der Dame, ließ sich von dem jungen Mann zum Puppenmacher zurückbringen und trennte sich dort von ihm. Auf den Weg nach Hause schlenderte er und dachte über die Worte der Zigeunerin nach. Er hatte also die Möglichkeit, dass es positiv oder negativ verlief. Er suchte eben mehr als das, was er nun hatte, wusste jedoch nicht, was er finden würde und auf welche Ratschläge er hören sollte. Seine Neugierde war einfach zu groß um jetzt in sein behütetes Heim einzukehren, wollte mehr denn je wissen, wieso das alles passierte. Er fand es einfach zu aufregend, lechzte förmlich nach einem Abenteuer.
 

Wenig später kam er zu Hause an und kümmerte sich darum, dass die Puppe den besonderen Ehrenplatz bekommen würde, die sie verdiente. Der Weißhaarige stellte sie auf das Sideboard, das nah am Fenster stand, sodass sie wenigstens ein wenig erhellt wurde und die Puppe strahlen würde. Eine Weile sah er sie einfach an, freute sich über dieses schöne Geschenk und dachte an den alten Mann, der ihm so geholfen hatte. Inzwischen war er aber durch die viele Lauferei sehr müde, ließ ihn noch im Schaukelstuhl wegschlummern.

Ertrinken

(So, mir ist nicht wirklich ein guter Titel eingefallen... Hatte zwar viele Ideen, wie Angst, Ertrinken, Todeskampf, Eine stürmische/ dunkle/ teuflische (Gewitter)nacht, doch nichts wirklich konkretes. Ich weiß also nicht, wie der Titel sein soll. Wenn ihr Vorschläge habt, dann unterbreitet sie mir ruhig. Sie sollten eben nur nicht zu lang sein und passen. Wenn ich ihn auch gut finde, dann ändere ich ihn um. Trotzdem wünsche ich euch, liebe Leser, nun viel Spaß mit dem Fortlauf der Geschichte ^^)
 


 

Als am Abend ein Blitz die Nacht erhellte und kurz darauf der dazugehörige Donner ertönte, schreckte Ryou aus dem Schaukelstuhl hoch. Sofort fiel sein Blick nach draußen, wo ein Unwetter tobte und der Regen alles fortzuspülen schien. Neugierig schritt der Weißhaarige an das Fenster, als ein erneuter Blitz die Nacht zum Tage zu machen schien. Ein geweiteter Blick, ein unheimliches Lächeln auf der anderen Seite der Glasscheibe und ein Stück Stoff tief in das Gesicht gezogen.
 

„Aaaaahhhhhhhhhhhh~“, übertönte Ryou's Schrei selbst den nächtlichen Donner.
 

Sofort fiel er rittlings nach hinten, landete auf den Hosenboden und musste sich erst einmal fassen. Ryou fasste sich an die Brust, sein Herz raste und er hatte eine Mordsangst. Doch nun konnte er etwas unternehmen, war die Gestalt, die ihn so vehement zu verfolgen schien, endlich wieder aufgetaucht. Er raffte sich zusammen und lief zur Tür, sah gerade noch, wie die Person in einer Seitengasse verschwand.
 

„Hey, warte!“, rief er dem Fremden hinterher und folgte ihm vorsichtig.
 

Der Fremde ließ sich scheinbar darauf ein, wartete an der Ecke auf ihn und lief nur langsam weiter. Dies ließ Ryou vermuten, dass der Fremde ihm etwas zeigen wollte, jedenfalls, dass er ihm folgen sollte. Nur mit äußerster Vorsicht ließ er sich darauf ein, hielt immer etwas Abstand. Der Vermummte führte ihn durch einige Straßen, bis sie schließlich an einem verlassenen Lagergelände am Hafen kamen. Noch immer regnete es, Ryou war inzwischen klitschnass und atmete vom vielen Laufen schnell ein und aus.
 

„Wer bist du?“, fragte Ryou den Fremden, der ihm den Rücken zugedreht hatte und zur London Bridge herüber schaute.
 

Doch statt einer Antwort zu erhalten, drehte sich der Fremde blitzschnell um, grinste ihn erneut an und sprang schließlich mehrere Meter hoch in die Lüfte. Der Junge wollte seinen Augen kaum glauben, sah mit an, wie die Kutte des unheimlichen Mannes im Wind flatterte und schien für einen Moment alles um sich herum zu vergessen. So flink und grazil, wie der Mann schien, so gefährlich war er auch. Silberne Messer glänzten im Mondenschein, der durch eine kleine Wolkenlücke hindurch trat und landeten vor Ryou's Füßen.
 

„Wuuuaaaahhh~“, kreischte dieser auf, fing sofort an um sein Leben zu rennen.
 

Ryou hatte kein besonderes Ziel, nur weg von dem Mann, der ihn hier attackierte. Immer wieder landeten Messer vor oder hinter ihm, kam so nur spärlich voran. Mit Todesangst kniff er seine Augen kurz zusammen, hoffte irgendwie das Ganze nur zu träumen. Es war real, merkte er, als er die Augen wieder öffnete, fand erneut nicht den Weg in sein sicheres Heim. Völlig außer Atem, machte er schließlich halt, sank auf seine Knie zusammen und merkte, dass ihm das Laufen einfach nicht lag. Schritte kamen näher und er versuchte diese zu ignorieren, hatte einfach zu große Angst.
 

„Bitte töte mich nicht... Ich habe doch nichts schlimmes getan!“, flehte er mit piepsiger Stimme.
 

All das Flehen half jedoch nichts. Wenig später fasste eine starke Hand Ryou in die Haare, zog ihn an diesen hoch. Starke Schmerzen durchzuckten seine Kopfhaut, ließen den Weißhaarigen seine Augen zusammen kneifen. Der Fremde ging so mit ihm einige Schritte, ließ ihn nicht los. An einem Seitenarm der Themse standen die beiden nur, Ryou noch immer die Augen geschlossen und ahnend, dass dies seine letzten Minuten waren. Schneller als ihm lieb war, drang er in die eisige Kälte ein, konnte nicht einmal mehr einen Schrei von sich geben. Er versuchte sich frei zu kämpfen, war nicht in der Lage dazu. Die Hand, die ihn dort unter Wasser hielt, war einfach viel zu stark. Dennoch wollte er es nicht einsehen, kämpfte immer weiter und schluckte dabei eine Menge Wasser. Letztendlich verlor er den Kampf sowie das Bewusstsein und wurde von der Strömung fortgespült, nachdem der Fremde ihn losgelassen hatte.
 


 

Es war bereits der nächste Morgen angebrochen, als eine Weißhaarige durchnässte Gestalt am Rande der Themse lag und scheinbar tot war. Ein Obdachloser machte sich einen Spaß daraus und piekte die leblose Person mit einem Stock an. Ein Zucken war die Reaktion darauf, was dem Obdachlosen Angst einjagte und er lieber schnell weg lief als zu helfen. Ryou's Körper reagierte automatisch, spuckte das viele Wasser aus, das er geschluckt hatte. Mühselig drehte er sich herum, musste wieder Luft holen. Er konnte es kaum fassen, dass er dieses Szenario überlebt hatte, zitterte bei seinen Erinnerungen heftig. Strähnen nassen Haares klebten in seinem Gesicht, die Dreck in sich beherbergten, ließen die Tränen, die er aus Freude und Angst zugleich weinte, kaum sichtbar werden.
 

Müde, ängstlich und verwirrt stand er auf, sackte wieder zurück und konnte nur schwermütig laufen. Bei näherem Umsehen befand er sich auf dem Land am Rande von London, wo noch Viehwirtschaft betrieben wurde. Ein paar Bullen zogen einen Heuwagen, auf dem ein Landwirt saß und dieses auf einer ländlichen Straße transportierte. Doch es war eine völlig andere Gegend aus der er eigentlich kam. Auf einem Hügel, etwas weiter weg, konnte man auch ein Schloss entdecken. Es wirkte jedoch unheimlich und verlassen, schenkte er dem nur wenig Beachtung.
 

„Entschuldigung, Herr. Wohin des Weges fahren Sie?“, fragte er auf noble Art und Weise.
 

„Oh, min' Jung'. Ik bin grad' uf dem Weg nach Hus'. Magste mich a Stück begleite?“, fragte er nach.
 

„Äh...“, verstand er nur wenig, was der alte Bauer gesagt hatte.

„Klar, natürlich. Ich wünsche zurück in die Stadt zu kehren, wenn dies in Ordnung geht.“, erklärte er.
 

„Bis in da Stadt kann ik dich net nehme. Aber ik kann dich uf ne Straß absetze, die direch dort hin führt.“, verstand Ryou es diesmal.
 

„Gerne, es ist sicher nicht leicht die Strecke zu laufen.“, nahm er das Angebot an und nahm hinten auf dem Wagen Platz.
 

Etwa eine halbe Stunde später kam er auf den Weg in die Stadt an, bedankte sich bei dem Bauersmann und lief den restlichen Weg zurück in die Stadt. Sich schämend, wie er aussah, mied er jedoch die Hauptstraßen und kehrte über die Nebengassen zurück in sein Haus. Jetzt noch die Polizei einzuschalten würde laut seines Glaubens sowieso nichts bringen. Zum einen würde ihm niemand glauben und zum Anderen hatte er keinerlei Beweise. Er hoffte einfach, dass ihn niemand gesehen hatte, verriegelte alle Türen und Fenster. Blanke Angst war noch immer in seinen Gliedern, entledigte sich mit letzter Kraft seiner nassen Kleidung. All seine Hausdiener waren weg, wusste nicht einmal, wie er ein Bad nehmen konnte. Mit etwas klarem kalten Wasser, was noch übrig war, wusch er sich den Dreck aus den Haaren, rubbelte diese mit einem Handtuch trocken und kuschelte sich in die Warme Bettdecke.
 

Regungslos lag er einfach so da, fühlte sich wie tot und spürte immer wieder irgendwelche Blicke. Zu viel Angst hatte er jedoch, diesmal erneut nachzusehen. Ihm war kalt und doch konnte er nicht einmal ein Feuer machen. Mit der Decke um sich herum gewickelt, setzte er sich an den Schreibtisch, auf dem etwas Tinte und eine Feder in einem Federhalter stand, nahm ein Blatt Pergamentpapier und fing an zu schreiben.
 

'Lieber Vater,
 

wenn du das hier liest, dann erbitte ich höflichst, dass du mich aus dieser Stadt heraus holst. Ich gebe dir Recht, dass ich auf das Leben hier nicht gefasst war, nachdem ich es hier erlebt habe. In diesem Punkt sehe ich nun ein, dass du weitaus erfahrener als ich bist.
 

Londinium ist eine gefährliche Stadt, trotz seiner Schönheit und Abenteuer. Jetzt, wo ich mein eigenes Abenteuer erlebt habe, wünsche ich mir nichts sehnlicher als die Ruhe und der Frieden in meinen Gemächern zurückgezogen auf unseren Landen.
 

Ich glaube nicht, dass du verstehen wirst, was mit mir passiert ist. Es wird nie ein Wort meinerseits diesbezüglich geben. Dafür ist mein Erlebnis einfach zu unglaublich und Angst einflößend. Zudem werde ich aufgrund der Vorkommnisse eine neue Dienerschaft brauchen. Hier ist es kalt und unerträglich, sehne mich nach einem Kaminfeuer und einem geborgenen Zuhause. Bitte hole mich hier raus!!!
 

Ich erwarte die Pferdekutsche morgen Mittag vor meiner Tür.
 

In Liebe, Ryou.'
 

Diesen Brief steckte er in einen Briefumschlag, versah diesen mit seinem Siegel. Noch konnte er nicht vor die Tür, zog sich halbwegs an und packte den Brief ein. Hart schluckend erblickte er die Tür, zitterte, als er den Türknauf umdrehte und blickte zunächst durch einen Spalt nach draußen. Dort schien ein wenig die Herbstsonne, ließ ihn erkennen, dass der Fremde nicht dort war. Eilig brachte er den Brief einen Boten und rannte wie von einem Geist gehetzt zurück, verschloss erneut die Tür und verbrachte die restliche Zeit des Tages isoliert und hellwach, schlief letztendlich nur unter Angst ein.

Kein zurück

Am Abend war es still, totenstill so schien es. Langsam schlug Ryou die Augen auf, war in dem Schaukelstuhl wohl eingeschlafen. Müde sah er sich um, erkannte, dass das Feuer im Kamin längst ausgebrannt war. Deswegen ging er zum Lichtschalter und erleuchtete das Zimmer, war froh, dass er hier alleine war. Dennoch schmerzte sein Rücken von der unbequemen Haltung, sodass er letztendlich entschied, sich in sein Bett zu legen. Vorsichtig trottete er nach oben, gab kaum ein Geräusch von sich und schaltete das Licht im Schlafzimmer ein. Dann lief er noch einmal zurück um das Licht im Wohnzimmer zu löschen. Zurück im Schlafzimmer, setzte er sich auf sein Bett und rieb sich müde durch das Gesicht, bevor seine Hände an diesem erstarrten.
 

Eine kleine Karte lag auf seinem Nachttisch, die ihn stark an etwas erinnerte. Sofort schrak er auf, lief durch das ganze Haus und überprüfte Fenster und Türen. Diese waren jedoch ausnahmslos verschlossen, lief zurück zu der Karte. Wie lange diese schon hier lag, wusste er nicht, hatte jedoch Angst diese umzudrehen. Erneut setzte er sich, war sich sicher, dass der Fremde ihm nichts anhaben konnte. Also drehte er die Karte blitzschnell um, schreckte dann zurück und kauerte sich zusammen. Sein Blick fiel vorsichtig auf die Karte, besah sich das Symbol des brennenden Turmes. Plötzlich und ohne Vorwarnung, wurde es laut, eine Sirene huschte an seinem Haus vorbei und Männer schrien wild durcheinander. Neugierig geworden, öffnete er die Holzfensterladen und entdeckte dort Männer, die die Straße hinauf liefen.
 

Ryou wunderte sich, was dort los war und warum draußen die Straße voller Feuerwehrleute und Helfern zu sein schien. Da so viel los war, traute er sich auch hinaus und verriegelte die Tür, ging in die Richtung, in der die Männer verschwanden. Er versuchte, dass er nicht den Anschluss verlor, war er ja immer noch in Gefahr war. Als er auf einem großen Gelände ankam, dass ziemlich am Rande der Stadt lag, drängte er sich an den Schaulustigen vorbei. Irgendwie schien etwas im Vormarsch zu sein, entdeckte dann schnell, dass ein großer Teil der Hügel, auf denen sich auch ein großer Wald erstreckte, brannte.
 

„Dad!“, schrie er in die Nacht herein, lief sofort zu dem Feuerwehrmann.

„Dort oben lebt mein Vater.“, erklärte er sofort, wollte unbedingt helfen.
 

Jedoch schien man ihn nicht ernst zu nehmen, so wie er nun aussah, weswegen man ihn einfach wegschleppen ließ. Der Weißhaarige wollte sich dies nicht bieten lassen, zappelte so gut er konnte. Er erkannte, dass er hier keine Hilfe erwarten konnte, riss sich los und stahl eines der festgebundenen Pferde. Das einzige, was für ihn nun noch zählte, war, seinem Vater zur Hilfe zu eilen, wollte sich von niemandem aufhalten lassen. Das Reittraining, dass er damals gehabt hatte, war ihm dabei eine gute Hilfe, ritt er nun in den Wald und ignorierte die Männer, die ihn noch aufhalten wollten.
 

Schnell ritt er an diesen ganzen Menschen vorbei, die ihm erstaunt nach sahen, trieb das Pferd immer weiter an und in den Wald hinein. Überall brannte es und er musste aufpassen, dass ihm das Pferd nicht durch ging. Immer weiter trieb er das Pferd hoch, wollte noch rechtzeitig bei der Villa sein. Durch die vielen Brände am Boden, musste er jedoch außen herum reiten, kam nur stückweise an die Villa heran. Es dauerte fast eine viertel Stunde bis er endlich die Villa wieder sah, entschloss sich, es auf direktem Wege zu versuchen. Das Pferd trabte wieder an, angetrieben durch Ryou, der es zum rennen bringen wollte. Ein Knacken, ein Scheppern, züngelnde Flammen...
 

Ryou schreckte zurück, ebenso wie das Pferd, das seinen Reiter abwarf. Ein großer Ast war durchgebrannt und von einem Baum gefallen, hatte es verschreckt. Noch einmal richtete sich das galante Tier auf, galoppierte dann durch die Flammen davon. Geschockt und mit noch leichten Schmerzen von dem Sturz, sah er dem Tier nach.
 

„Bleib stehen!“, rief er ihm nach, machte sich Sorgen, wie er hier weg kommen sollte, wenn er seinen Vater noch fand.
 

Es half nichts... Das Pferd hörte nicht auf ihn und er musste handeln. Ryou entschied sich dafür, zur Villa zu gehen und seinen Vater zu suchen, sah von weitem einen Mann, der bereits auf dem Boden strauchelte. Dieser schrie und drehte sich, versuchte die Flammen zu löschen. Sofort eilte er dort hin, erkannte die verbrannte Gestalt kaum. Hilflos versuchte er einen Hinweis zu finden, entdeckte dann das Familienwappen an der Kleidung des Mannes.
 

„Vater! Vater!“, schrie er, suchte ängstlich nach Wasser oder irgendwas zum löschen.
 

Doch hier war weit und breit nichts, entdeckte nur die Tür zur Küche, die sperrangelweit geöffnet war. Davor brannten die Flammen, zündeten langsam die Holztüre an. Für seinen Vater wollte er es wagen, schluckte hart und sprang durch die Flammen hindurch. In der Küche brannte bereits vieles oder glühte durch die Hitze. Seine Augen wanderten herum, entdeckten in der Ecke einen Eimer. Blitzschnell, damit er nicht auch noch in Brand geriet, riss er an einem Lappen, umwickelte damit den Henkel des Eimers und füllte diesen eilig mit Wasser. Er ahnte, dass er nur wenig Chance hatte, dass sein Vater dies überlebte, gab die Hoffnung noch nicht auf. Dabei ignorierte er sogar seine wachsende Rauchvergiftung, hustete und hustete immer mehr. Seine Kraft schwand, entschied sich den Hahn abzudrehen und nahm den Eimer mit nach draußen.
 

„Vater!“, schrie er erneut, bewegte sich dieser nämlich nicht mehr.
 

Augenblicklich schüttete er das Wasser über diesen aus, brachte die Flammen zum erlöschen und ließ den Eimer einfach fallen. Ohne Rücksicht auf sich selbst glitt er zu Boden und drehte den verbrannten Körper seines Vaters um, bettete ihn auf seinem Schoß. Dieser atmete keuchend ein und aus, was ein kurzes Lächeln des Weißhaarigen zur Folge hatte, dessen Augen sich mit Tränen füllten.
 

„Ryou... Mein Sohn...“, keuchte er kränklich, berührte er sanft Ryou's Wange.
 

„Nicht reden., schone deine Kräfte. Hilfe ist bereits unterwegs.“, versprach er dem Verwundeten.
 

„Es... tut mir... leid...“, machte dieser einen letzten Atemzug, bevor sein Arm leblos zu Boden fiel.
 

Erschrocken hielt Ryou für einen Moment die Luft an, konnte nicht glauben, dass sein Vater tot sein sollte. Genau auf dieses Weise rüttelte er den leblosen Körper in seinen Armen, hoffte, dass dieser vielleicht doch noch einmal die Augen aufschlagen würde. Seinem Lächeln wich dabei die Trauer...
 

Nein... Nein!!! Aaaaaaaahhhhhhhhhhhh~“, erhellte ein verzweifelter Schrei die Nacht.
 

Durcheinander und aufgebracht kabbelte er von seinem Vater weg, kauerte sich auf dem Boden zusammen und weinte verzweifelt, hatte jetzt keinen Ort mehr, an dem er zurückkehren konnte. Dies begriff er noch nicht völlig, bemerkte nicht einmal mehr die Feuerwehrmänner, die nun endlich auch hier angelangt waren und die Flammen löschten. Alles lief im Zeitraffer ab, selbst wie er auf die Beine gezogen und fortgebracht wurde. Er bekam nicht einmal mehr mit, wie das Gebäude letztendlich in sich zusammen brach und es nur noch Asche und Schutt war, die gelöscht worden war.
 

Eine halbe Stunde später saß Ryou im Polizeirevier von London, sollte ebenfalls vernommen werden. Dennoch stand er viel zu sehr unter Schock, brachte beim Verhör nicht einen Ton heraus. Letztendlich führte dies zu keinerlei Ergebnis, sodass man den Weißhaarigen aus Mangel an Beweisen und wegen eines fehlenden Motivs gehen ließ. Es war bereits stockdüster und von der nächtlichen Unruhe nichts mehr zu sehen. Niemand befand sich mehr auf den Straßen, es war unheimlich. Trotzdem kam er ohne einen Kratzer vor seinem Haus an, wo ihn ein bekanntes Gesicht erwartete, mit welchem er nicht gerechnet hatte. Es war der Makler des Hauses und Ryou ahnte schlimmes, überquerte die Straße und schritt auf diesen zu.
 

„Guten Abend, Sir. Was kann ich für sie tun?“, fragte er nach, fürchtete sich ein wenig vor dem, was nun kommen könnte.
 

„Die Schlüssel.“, verlangte der Mann augenblicklich, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.
 

„Wie? Also...“, stotterte er.

„Aber... Dürfte ich wenigstens meine persönlichen Dinge holen.“, gestand er ein, dass er keine Geld zur Mietung dieses Hauses hatte.
 

Der Herr rümpfte die Nase, nahm die Schlüssel und nickte schließlich. Erleichtert, dass er wenigstens dazu die Chance hatte, folgte er seinem Vermieter, packte seine Kleidung und die Puppe in einen Stoffbeutel.
 

„Komm wieder, wenn du bezahlen kannst.“, schickte der Vermieter Ryou mitten in der Nacht noch vor die Tür.
 

Dieser überlegte, wo er zu dieser späten Stunde hin sollte und in welche Richtung er gehen sollte. Er konnte ohne Geld weder in die abgebrannte Villa oder das gemietete Haus, noch in ein Hotel zurück kehren. Letztendlich kannte er hier auch nur eine Person, zu der er überhaupt hin wollte, machte sich auf in die Richtung, in der diese wohnte. An der Gasse angekommen, in der die besagte Person wohnte, musste er hart schlucken, war es doch recht unheimlich, wie der Wind hier durch fegte und ein Quietschen und Klopfen der Holzschilder die Stille durchdrang. Erst einige Minuten später kehrte er in die Gasse ein, betätigte den Türklopfer erst einmal, schließlich ein zweites Mal, bevor man ihm öffnete.
 

„Oh, du bist es Junge.“, legte der alte Puppenmacher eine Eisenstange beiseite.

„Komm rein, was machst du denn noch hier.“, wartete er, bis Ryou in der Wohnung war, verriegelte die Tür wieder.
 

„Man hat mich rausgeworfen. Mein Vater hat in der Villa gewohnt, die diese Nacht gebrannt hat. Er ist heute Nacht verbrannt und... Eben hat man mich aus der hier von ihm angemieteten Wohnung geworfen.“, fasste er zusammen.
 

„Oh, verstehe. Na dann komm mal in die Stube und mach es dir bequem. Es ist zwar nicht so luxuriös wie du vielleicht gewohnt bist, aber du kannst hier erst mal schlafen, Bursche. Ist sowieso zu gefährlich für dich.“, spürte er schon, wieso Ryou hier war.
 

„Danke...“, murmelte dieser leiser, machte es sich in dem kleinen Gästezimmer bequem.
 

Nur noch müde und geschafft von dem Erlebten, hoffte er trotzdem, dass es nur ein böser Traum war. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als dass er morgen aufwachen würde und alles sei wie immer. Der alte Mann reichte ihm sogar ein Nachthemd, begab sich in dieses gehüllt schließlich zu Bett und schlief mit einer letzten Träne für seinen Vater in den Augen ein...

Der Hierophant

Am nächsten Morgen wurde Ryou von dem alten Mann geweckt, der ihm etwas frische Milch und ein paar Brote brachte. Verschlafen rieb er sich die Augen, starrte traurig das Tablett an und behielt dies einige Minuten aufrecht. Seufzend verspeiste er die Brote, die ihm wie Steine im Magen lagen. Zu tief war die Trauer um seinen Vater und zu tief die Narben durch die Erlebnisse der letzten Tage. Sein Wunsch war nicht in Erfüllung gegangen, hatten es nicht zu einem bösen Traum werden lassen.
 

„Hey, alles in Ordnung?“, besah ihn der alte Herr, woraufhin der Weißhaarige nur stumm nicken konnte.

„Ich weiß, was passiert ist. Es steht bereits in der Zeitung. Du hast deinen Vater wohl sehr lieb gehabt.“, begann dieser vorsichtig ein Gespräch.
 

„Nein, das kann man so nicht sagen. Die meiste Zeit war ich alleine und er hatte nur wenig Zeit für mich. Innerlich hatte ich immer gehofft, dass sich das irgendwann ändert.“, gestand er.
 

„Dann standet ihr euch nicht sehr Nahe.“, war dies mehr eine Feststellung des Alten.
 

„Nein, eigentlich nicht. Aber es tut weh, dass ich ihn so leiden sehen musste. Dieses Feuer... war einfach überall...“, keuchte er.
 

„Schon gut, beruhige dich. Hier wird dir nichts geschehen.“, versprach der Mann.
 

„Danke, sie sind lieb. Ich weiß gar nicht, wie ich das wieder gut machen soll.“, hatte er nichts außer seinen Worten, womit er sich bedanken konnte.
 

„Hm... Wenn du möchtest, kannst du mir hier etwas im Laden aushelfen. Also natürlich nur, wenn du magst. So etwas wie aufräumen, reinigen und Werbung machen. Ich hatte schon lange keinen jungen Herren, der dies könnte.“, schlug er vor.
 

„Also, ich könnte es zumindest probieren.“, versprach Ryou und lächelte wieder.
 


 

Wenige Monate später, es war bereits Winterbeginn, hatte Ryou sich gut in das Geschäft und der Arbeit integriert. Er wusste, was der Meister brauchte, besorgte immer neue Waren und hielt den Laden sauber. Dank seiner charmanten Art verkauften sich auch wieder ein paar Puppen. Nach einer Umfrage hatte Ryou herausgefunden, dass fast kaum einer das Geschäft kannte, weil es in einer kleinen Gasse fernab jeglichen Geschäftstreibens lag. Zusammen hatten sie ein entsprechend schönes Plakat an beiden Enden der Gasse angebracht, sodass es nun mehr Menschen besuchten, auch wenn dies nicht immer zum Erfolg führte. Ryou putzte vor und nach der Geschäftszeit, nahm sogar einige wenige Bestellungen auf und hatte Spaß an dieser Arbeit gefunden.
 

Das einzig Merkwürdige war, dass der Fremde in der ganzen Zeit nicht mehr einmal aufgetaucht war, was den Weißhaarigen selbst ein wenig vergessen ließ. Ryou sah auf einen Kalender, während er sich für eine letzte Besorgung dick einkleidete um sich nicht zu erkälten.
 

„26. November... Nicht mehr ganz einen Monat bis Weihnachten.“, flüsterte er leise vor sich hin.
 

„Hier ist das Geld. Hol ein großes Glas Tinte und bring dir etwas Schokolade mit.“, gab er ihm Geld und somit auch ein Geschenk zur Belohnung.
 

Munter nickte Ryou und lächelte. Draußen tanzten die ersten Schneeflocken im Wind vor sich hin, was diesem gefiel, liebte er Schnee doch sehr. Mit einem Bimmeln der Türglocke verließ er das Geschäft in der fast vollkommenen Dunkelheit des Abends und Pfiff unbesorgt ein Lied vor sich her. Klare Fußstapfen bildeten sich im Schnee und man hörte bei jedem Schritt ein angenehmes Knacken.
 

//Herrlich... Und so sternenklar...//, dachte er und schaute in den mit Sternen bedeckten Himmel.
 

Als die Glocke des großen Kirschturmes ertönte, beeilte er sich. In einer halben Stunde würden die Geschäfte schließen und er musste es noch rechtzeitig schaffen. Ryou rannte zu dem Geschäft mit Papier und Tinte über den Marktplatz, merkte dabei jedoch nicht, wie ihm klare Blicke folgten. In einem Beutel trug er das erworbene Glas mit Tinte, schlenderte mit diesem schräg gegenüber zum Chocolatier. Die gekaufte Schokolade ließ er sich verpacken und nahm sie mit, freute sich schon diese zu Essen. Etwas durchnässt und frierend kehrte er in die Stube des Puppenmachers zurück.
 

Indes waren ihm die klaren Blicke gefolgt. Diese lauerten in die Nacht hinein, während alle Geräusche in der Umgebung verstummten. Nicht einmal eine Krähe war noch zu hören. Das Mondlicht erhellte durch die wenigen Wolken die Nacht, ließen schwarze Schatten erkennen, die sich an den Wänden der Gasse in den Winkeln versteckten und umher zu kriechen schienen. Ein Windhauch fegte durch die Gasse, ließ den Umhang einer vermummten Person schnell in diesem tänzeln. Ein unheimliches Lächeln schlich sich auf das Gesicht des Fremden, der sich vornüber den Rand des Daches beugte und an der Ebene hinunter kletterte, seine Haare wirr herunter hängend.
 

„Ich bin wieder zurück.“, rief Ryou so gut er konnte.
 

„Ah, das ist gut.“, antwortete der alte Mann und kam aus einem der Zimmer heraus, sah zu Ryou.

„Ryou! Komm da weg!“, hatte er die weißen Haare am Fenster entdeckt.
 

Aus einer Schublade griff er ein altes Holzkreuz, zog den überraschten Ryou hinter sich und hielt das Kreuz in die Luft. Der Blick des Mannes war konzentriert, beobachteten die Gestalt genauestens. Langsam drehte Ryou sich herum und erkannte die Gestalt am Fenster, was seine Augen vor Angst weitete.
 

„Oh mein Gott.“, fiepte er, begann zu zittern.
 

„Hihihi... Endlich habe ich dich gefunden.“, erklang die Stimme des Fremden kalt, woraufhin dieser an der Scheibe kratzte, als würde man mit einer Gabel über einen Teller streifen.
 

„Verschwinde!“, schrie Ryou, hielt sich die Ohren zu und kauerte sich zusammen.
 

„Ryou, hör auf. Du darfst keine Angst haben. Das macht ihn nur noch gefährlicher. Verschwinde, Dämon.“, ging er mit dem Kreuz ein paar Schritte weiter.
 

Dieser lachte nur, musste jedoch etwas zur Seite ausweichen. Indes atmete Ryou tief durch, versuchte keine Angst zu habe. Dies war aber leichter gesagt als getan, konnte er sich nur ein wenig beruhigen, weil er hier nicht alleine war. Mutig kämpfte der alte Herr gegen dieses Wesen. Er musste erkennen, dass sein Gegner kein Mensch war. Innerlich flehend und betend, dass dieses Wesen verscheucht werden konnte, sah er ihm zu. Mehr und mehr drängte der Puppenmacher es zurück, bis es schließlich ganz verschwunden zu sein schien. Der Weißhaarige hielt den Atem an, wartete, doch einige Minuten lang geschah nichts.
 

„Es ist weg... Es ist weg!“, freute Ryou sich.
 

„Pssst, sei doch leise.“, verlangte dieser, was Ryou's innerer Freude allerdings nichts anhaben konnte.
 

Gebannt wartete Ryou auf ein Zeichen, dass er sich wieder frei bewegen durfte. Nichts geschah und auch der alte Mann äußerte sich nicht. Plötzlich knallte die Scheibe entzwei, ein kurzes Fiepen und ein lebloser Körper fiel zu Boden. Fassungslos und mit den Händen vor dem Mund, blickte der Weißhaarige auf den leblosen Körper mit der Haarnadel im Kopf, an der eine Tarotkarte klebte. Sein Herzschlag beschleunigte sich und der Angst wich Wut. Aus dieser heraus griff er sich das Kreuz und einen Holzknüppel, preschte aus dem Geschäft heraus.
 

„Du Dämon!“, schrie er.
 

Ein erbitterter Kampf startete zwischen ihnen. Geschickt wich das Wesen den versuchten Schlägen aus, bewegte sich sehr schnell und hatte so keinerlei Mühe. Der Ryou, der nun aber vor ihm stand, überraschte und beschäftigte ihn zugleich, ließ ihn ein wenig nachlässig werden. Mit einem gezielten Schlag vor sein Gesicht und einer zufälligen Windbö, flatterte die Kapuze von seinem Kopf. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte Ryou Blick auf das Gesicht des Mannes, der ihm so viel Leid zugefügt hatte, bevor dieser es mit seiner Hand so gut wir möglich verdeckte. Der Fremde reagierte wütend, ergriff mit der anderen Hand den Holzknüppel über Ryou's Kopf und sprang mit einem gezielten Salto über ihn hinweg. Zeitgleich holte er Schwung und beförderte ihn mitsamt diesem mehrere Meter weit aus der Gasse, ließ ihn hart über den Schnee rutschen. Erst durch eine Messingfigur wurde er gestoppt und schlug sich den Kopf an dieser an.
 

„Autsch.“, jammerte er.
 

Mit einem Blick in die Gasse stellte er fest, dass das Wesen verschwunden war. Sachte untersuchte er seinen Kopf und stellte fest, dass er keine äußeren Verletzungen hatte, bevor er sich erhob. Erneut kam ihn der alte Mann in den Sinn, lief zurück und versuchte noch ein Lebenszeichen zu bekommen.
 

„Tut mir leid.“, hauchte er, als er den Tod feststellte.
 

Ein paar Tränen rannen für ihn über seine Wangen. Vorsichtig nahm er die Karte von der Haarnadel, betrachtete sie genauer. Auf dieser war ein älterer Mann abgebildet und zeigte den Kartennamen „Der Hierophant“. Sanft drückte Ryou die Karte anstelle des Toten an sich, wollte ihm so zeigen, dass er ihn gern gehabt hatte.
 

„Ich werde mich noch ein wenig um die Puppen kümmern, bis sie bei ihren Besitzern sind.“, versprach er leise und mit ganzen Herzen.
 

Der Weißhaarige wartete gebannt auf den Morgen, wollte den Tod unbedingt der Polizei als Mord melden. Die ganze Nacht tat er auch kein Auge mehr zu, hatte einfach zu viel Angst, dass der Fremde wieder kommen würde. Schließlich saß er im Büro des Polizeikommissar, schilderte den Verlauf der vergangenen Nacht. Jedoch ließ er die seltsamen Geschehnisse, wie z. B. den über Kopf Hängenden und das Kreuz weg. Diese Details waren einfach zu unglaublich, als dass er sie erzählen konnte. Nachdem die Spurensicherung im Laden war, wurde der Tote abtransportiert. Für einen kurzen Moment war Ryou mit dem Oberkommissar alleine, musste noch einmal mit ihm reden.
 

„Sir, ich... Seine Puppen... Ich würde sie gerne den Käufern überbringen und das Geld für seine Beerdigung benutzen.“, sagte er selbstsicher.
 

„Hm, wieso das denn?“, fragte dieser daraufhin.
 

„Er war der Einzige, der sich nach dem Tod meines Vaters um mich gekümmert hat und mich aufnahm. Das bin ich ihm schuldig, zumindest das!“, flehte er.
 

„Hn, na meinetwegen.“, seufzte dieser.

„Er hatte sowieso keine Familie, die das für ihn machen kann.“
 

„Danke, Herr Kommissar. Bis Ende der Woche habe ich das Geld. Bitte beerdigen Sie ihn nicht vorher.“, bat Ryou.
 

Der Kommissar verließ daraufhin das Geschäft. Sofort machte Ryou sich an die Arbeit, schlug im Bestellbuch nach und entdeckte 14 von 17 Puppen, die er ausliefern konnte. Diese reihte er erst einmal auf, verschaffte sich so einen Überblick über den Zustand. Zunächst kämmte er die Haare aller Puppen und richtete ihre Kleider, bevor er sie behutsam in die vorbereiteten Holzschachteln legte. Mit einem Haken verschloss er die Puppen und band um jede von ihnen vorsichtig zwei Stoffbänder zu einer Zierschleife. Diese Arbeit dauerte bis in den Nachmittag hinein, ließ ihn erkennen, dass er heute nicht mehr alle ausliefern können würde. Dennoch hielt es Ryou nicht davon ab sein Bestes zu geben, lieferte immerhin noch fünf Puppen an ihre glücklichen Besitzer.
 

Noch eine letzte Puppe wollte er heute schaffen, erkannte ihren Bestimmungsort wieder. Vorsichtig trug er die Schachtel in das Zigeunerviertel hinein, klopfte an der Türe des schmalen Hauses. Eines der Kinder öffnete ihm, geleitete ihn zu der Wahrsagerin. Die Frau mit der ungewöhnlichen Kleidung bot ihm einen Stuhl an, stellte die Puppe auf eine alte Kommode zu den anderen.
 

„Ich habe dich erwartet. Du hast dir wirklich sehr viel Mühe gegeben.“, lobte sie die Puppe und ihre Verpackung.
 

„Danke. Aber woher wissen Sie, dass ich das gemacht habe?“, war er immer noch ganz überrascht.
 

„Ich weiß vieles. Auch, dass er jetzt tot ist. Die Karten haben es mir eben gezeigt. Willst du wissen, wer er ist?“, fragte sie mit erhöhter Stimmlage.
 

Diese machte den Weißhaarigen neugierig, schob ihm verdeckt eine Karte rüber...

Devia

Überrascht blickte Ryou die Karte vor sich an, haderte mit sich selbst, ob er diese umdrehen sollte oder nicht. Zu viel Ehrfurcht lag in dieser Entscheidung, sodass eine kurze Weile eine absolute Totenstille in dem engen Raum herrschte. Zaghaft kam die schmale Hand des Weißhaarigen schließlich doch der Karte näher, drehte sie mit einer schnellen Bewegung um und zuckte blitzschnell zurück. Die Karte zeigte eine dämonische Fratze mit zwei Hörnern auf dem Kopf, umgeben von Dunkelheit. Es war die Karte des Teufels...
 

„Was? Was hat das zu bedeuten? Ist der Teufel hinter mir her?“, fragte er.
 

„Nicht 'Der Teufel'. Diese Karte ist Symbolisch zu sehen. 'The Devil' steht für alles Böse und dessen Versuchungen. Aber sie hat nur insoweit Macht, wie du dich entscheidest. Er gehört einer uralten Dämonenrasse an... 'The Devil' oder besser gesagt ein Devia-Dämon, eine uralte Vampirrasse.“, erzählte die Zigeunerin.
 

„Devia... Ein schöner Name.“, wiederholte Ryou diesen.
 

„Schön, aber gefährlich. In der Tat.“, urteilte die Frau.

„Es gibt einige Rassen und unterschiedliche Fähigkeiten, die diese besitzen. Numian... L'essasin... Devia...“, nannte sie ein paar Beispiele.
 

„Und was soll ich jetzt tun?“, wollte er wissen.
 

„Das liegt ganz bei dir.“, antwortete sie.

„Mehr weiß ich leider nicht. Der Weg ist leider verschleiert. Die Karten sagen mir nichts mehr dazu.“
 

„Hn, na gut. Das heißt auf jeden Fall abwarten. Vielen Dank trotzdem. Ich werde die Puppen morgen weiter ausliefern.“, beschloss er zu gehen, denn es dämmerte bereits wieder.
 

Gerade als er in die Gasse zum Geschäft des Puppenmachers gehen wollte, erkannte er am anderen Ende die Umrisse einer anderen Person, die er erst sorgfältig musterte und die sich auf ihn zu bewegte. Am Geschäft blieb er jedoch stehen, brachte Ryou so nicht dazu fort zu laufen. Die fremde Gestalt holte einen weißen Umschlag hervor und legte diesen auf das Fensterbrett des Ladens, dessen Scheiben noch immer zersprungen waren. Der Weißhaarige sammelte all seinen Mut zusammen und blieb stehen, als der Fremde seinen Weg kreuzte. Er konnte sagen, dass es nicht der selbe Vampir war, der vergangene Nacht den Puppenmacher getötet hatte, hoffte, dass dieser ihm nichts tun würde. Einen Augenblick blieb die ebenfalls vermummte Gestalt neben ihm stehen, ließ Ryou die Luft anhalten.
 

„Mein Herr wünschte, dass Ihr diesen Brief bekommt.“, teilte er ihm mit, bevor er in die Nacht verschwand.
 

Blitzschnell drehte Ryou sich um, schaute nach, ob die Gestalt auch wirklich verschwunden war. Erleichtert holte er Luft, rannte in das Geschäft und verriegelte die Tür. An dieser ließ er sich hinab gleiten und verschnaufte kurze Zeit so auf dem Boden, die Beine an sich angezogen. Als er wieder aufgestanden war, machte er ein kleines Kaminfeuer und warf den Brief dort hinein. Er wollte diesen Brief nicht lesen, fürchtete sich vor dem Inhalt. So setzte er sich wieder in den Schaukelstuhl, wickelte eine Decke um sich und hielt Wache, wollte nicht überrascht werden. Ohne es zu bemerken, schlief er schließlich ein, die Stange aus seiner Hand gleitend.
 

Am nächsten Morgen erwachte Ryou aus dem Schaukelstuhl heraus, stellte mit einem Augenzwinkern fest, dass das Feuer erloschen war. Es war Morgen und es war kalt. Der Weißhaarige kuschelte sich enger in die Decke, als sein Blick auf das Fensterbrett fiel. Dort lagen nunmehr zehn Briefe, alle mit dem gleichen Stempel. Er war erstaunt über so viel Hartnäckigkeit, warf diese ebenfalls in den Kamin. Es war noch recht früh, doch es war kalt. Also benutzte er diese Briefe als Brennmaterial, brauchte er wenigstens etwas Wärme. Immerhin lebte er noch und so musste er dafür sorgen, dass dies auch so blieb, bevor er eine Lösung für seine Probleme erhalten würde. Doch er hatte auch Hunger, beschloss sich umzusehen, ob er noch etwas Essbares finden konnte.
 

Ryou hatte Glück, fand er doch ein kleines Lager mit Lebensmitteln drin. Da diese nun nicht mehr gebraucht wurden, nahm er sich etwas Fleisch und Gemüse, garte es über dem offenen Feuer und richtete eine Suppe an. Zufrieden darüber, dass er nun nicht verhungern musste, ließ er sich die Suppe schmecken. Es war zwar ungewöhnlich für ihn schon so früh am Morgen etwas warmes zu essen, doch er musste praktisch denken. Dazu aß er etwas von dem Baguette, dass er noch gefunden hatte, war schließlich satt. Als er die Schüssel in die Spüle stellte, klingelte es an der Tür und neugierig näherte er sich der Tür.
 

„Hier ist der Briefbote, Sir. Wohnt ein Herr Veskon bei Ihnen?“, fragte eine edle Stimme.
 

„Ja, einen Augenblick.“, öffnete Ryou die Tür.

„Ich bin Ryou Veskon. Was kann ich für Sie tun?“
 

„Ich habe ein Paket für Sie. Wenn Sie mir den Erhalt bitte hier bestätigen würden.“, hatte dieser einen gedruckten Zettel dabei.
 

Ryou unterschrieb den Zettel, den der Bote wieder mitnahm. Neugierig holte er das große Paket herein, öffnete es vorsichtig und blickte hinein. Zu seinem Erstaunen befanden sich darin sicher an die hundert Briefe. Seufzend gab Ryou nach und öffnete einen der Briefe, brach das Siegel. Als er einen ersten Blick darauf warf, erkannte er, dass es in einer sehr alten Schrift geschrieben stand. Sie sah schön aus und lud zum Lesen ein, was er dann auch machte.
 

----------------------------------Brief Anfang----------------------------------
 

Einladung
 

Hiermit lade Ich Dich zu Meiner ganz privaten Party in Eltham Palace ein. Eine Kutsche erwartet Dich in zwei Tagen. Wir werden uns hoffentlich besser kennen lernen.
 

gez. Bakura
 

P. S.: Bitte verzeih Mir die Unannehmlichkeiten, die Ich Dir bereitet habe.
 

----------------------------------Brief Ende----------------------------------
 

Ryou zerriss den Brief wütend und wollte dies nicht wahr haben. Unannehmlichkeiten... Dieser Vampir ruinierte sein Leben und nannte es Unannehmlichkeiten! Entschlossen, es dem Vampir heim zu zahlen, entschied er sich der Einladung nach zu kommen, überlegte sich einen Plan und grübelte nach, was er gegen so einen mächtigen Feind ausrichten konnte. Die einzige Möglichkeit, die ihm einfiel, war allerdings die, sich heimlich einzuschleichen. Nach Betreten des Grundstückes musste er irgendwie entwischen und sich einschleichen. Diese Gelegenheit musste er nutzen um den Vampir zu töten.
 

Den Rest der Briefe nutzte er nach und nach, nutzte sie, um sich noch ein paar warme Tage in dem winterlichen Wetter zu machen. Durch die Menge an Briefen hatte er auch hier kaum Probleme, war es ihm egal. Nachdem Ryou den Inhalt gelesen hatte, waren keine Neuen mehr gekommen, was Vor- und Nachteile hatte. Über diesen Gedanken musste er leicht Schmunzeln, steckte er doch voller Ironie. Er hatte auch keine Probleme mehr zu schlafen, fühlte sich sicherer und nicht mehr beobachtet, seitdem er den Brief gelesen hatte. Die letzten Puppen lieferte er am nächsten Tag aus, brachte das Geld am Tag darauf zum Polizeipräsidium und veranlasste die Beerdigung des alten Mannes, der sich so gut um ihn gekümmert hatte. Es stellte auch keinerlei Probleme dar, sodass er sich erleichtert noch einmal in das alte Geschäft begab.
 

Geduldig wartete er auf die Kutsche, hatte sich ein Kreuz, einen Pflock und Weihwasser eingesteckt. Diese Utensilien würden ihn schützen, so hoffte er jedenfalls. Dabei achtete er genau darauf, dass sie unter seiner Kleidung nicht hervor schauten, wollte nicht verdächtig wirken. Es war bereits am Abend in der Dämmerung, als es an der Tür klopfte und eine vermummte Stimme ihn bat heraus zu kommen. Noch einmal warf er einen nostalgischen Blick auf das Geschäft und all seine Hoffnungen, die hier gelegen haben. Letztlich wand er sich ab, drückte mutig die Türklinke hinunter und folgte dem vermummten Toten zu der Kutsche...

Maskenball

(So, hier mein letztes Kapitel vor dem Epilog und mein Halloween Spezial für alle Leser meiner Geschichte. Ich hoffe, dass es euch gefällt und mir auch bis zum Epilog treu sein werdet. Viel Spaß beim Lesen und ich hoffe auf viele Kommentare, da ich mir sehr viel Mühe mit dem letzten Kapitel gegeben habe.)
 

Die Tür der Kutsche hatte sich geschlossen und diese setzte sich ganz langsam in Bewegung. Die Pferde schnaubten leicht, zogen ihn so gut es ging, auch wenn ab und an die Peitsche zu hören war. Die Umgebung veränderte sich und sie durchquerten die Stadt. Ryou schaute nach draußen, wo die wenigen Menschen Abstand hielten oder ganz in andere Gebäude verschwanden. Es war so, als wüssten sie, wer die Kutsche fuhr und woher sie kam. Letztlich schloss er den kleinen Vorhang und zog sich zurück, wartete darauf, dass sie außerhalb der Stadt ankamen. Vorsichtig lugte er immer mal wieder raus, erreichte nach einiger Zeit, als es bereits dunkel war, die Stadtgrenze. Hier öffnete Ryou den Vorhang wieder, wollte sich gut einprägen, wo sie hin fuhren. Dennoch war er sehr erschöpft vom Austragen der Puppen und so übermannte ihn nur wenig später die Müdigkeit, ließ ihn in einen tiefen Schlaf sinken.
 

Es war bereits Morgens, die ersten Sonnenstrahlen der Wintersonne fielen durch das Fenster der Kutsche, als Ryou wieder zu sich kam. Er brauchte kurze Zeit um sich zu orientieren und zu erinnern, wo er sich befand. Sich wundernd, warum ihn niemand geweckt hatte, kletterte er aus der Kutsche und sah sich um, konnte niemanden auch nur im Umkreis ausfindig machen. Es wirkte alles verlassen, was seine Neugierde sehr weckte. Nicht unweit war eine kleine Brücke, die über einen Graben führte, dessen Wasser durch die Kälte gefroren war. Über diese mussten sie auf das Grundstück gelangt sein, spazierte er zu dieser hin und berührte das Gelände. Wenig interessiert sah er sich weiter um, wanderte durch den Schnee. Das Grundstück war wirklich riesig und beherbergte neben dem Anwesen auch noch jede Menge Grünfläche. Die meiste hiervon war jedoch mit Schnee bedeckt, was ihn wenig störte.
 

Ryou's Gedanken schweiften ab, dachte er darüber nach, wie toll es wäre, hier einen Schneemann zu bauen. Plötzlich machte er halt, hatte etwas entdeckt, was ihn sehr faszinierte und seine Aufmerksamkeit ganz auf sich lenkte. Eine Empore führte ihren Weg entlang zu einem kleinen runden Pavillon. Dieser bestand aus einem sehr dunklen fast schwarzen Holz, hatte einen leichten Rotstich passend zu den Blumen. Die Rosen waren alle dunkelrot und blühten trotz der Kälte und des Schnees, der ihnen noch zusätzlich Glanz verlieh. Fasziniert und wie in Trance blieb er stehen, duftete es doch herrlich süß. Wie zum Beweis, dass dies echt und kein Traum war, wollte er eine der Rosen nehmen, zuckte allerdings blitzschnell zurück.
 

„Au.“, gab er ein Geräusch des Schmerzes von sich, hatte sich an einer der Rosen gepiekt.
 

Als er nun genauer hinsah, konnte er ihre Dornen genau entdecken, war es nun zu spät. Die ersten Bluttropfen hatten sich auf seinem Finger gebildet, sodass er sein Taschentuch nahm und es darum band. Dafür hatte er sich in den Pavillon gesetzt, der nun, wie er merkte, merklich kälter wurde. Das Wetter war wohl umgeschwenkt und es wirkte, als würde es bald wieder schneien. Unsicher, was er machen sollte, suchte er nach einem Eingang. Der Haupteingang verschloss sich ihm, doch ein Seiteneingang bot ihm dafür Einlass. Ryou befand sich in einer Art Nebenküche, die aussah, als seie sie seit einem Jahrhundert nicht mehr benutzt worden. Den Weißhaarigen wunderte dies nicht, wenn hier niemand menschliches lebte, verschwand schnell aus diesem Raum.
 

Nach Durchquerung eines schmalen Korridors fand er sich in der Eingangshalle wieder. Von dieser führten mehrere Gänge weg und eine Treppe auch nach oben. Es war sicher nicht die einzige Treppe, doch vermutete Ryou dort die Schlafräume und folgte ihr aus diesem Grund. Am Ende der Treppe angelangt, schaute Ryou sich erneut um. Die Wände waren bereits sehr alt, aber dennoch gut erhalten und es hingen Bilder von reichen Persönlichkeiten, die hier einmal gelebt haben mussten. Der Boden war mit einem roten Teppich ausgelegt und passte perfekt zu den roten Wänden mit ihren Goldverzierungen. Der Gang war einige Meter lang mit Zimmer zur rechten und zur linken an denen er vorbei schritt. Am Ende des Weges teilte dieser sich nach links und rechts, stand nun genau vor einem Zimmer mit einer Doppeltüre, an der ein Brief befestigt war. 'Für Ryou' stand mit geschwungenen Buchstaben auf diesem, den er sich von der Tür nahm.
 

----------------------------------Brief Anfang----------------------------------
 

Willkommen
 

Ich heiße Dich herzlich willkommen auf dem Anwesen von Eltham Palace.
 

Sicher bist Du sehr überrascht und fasziniert und ich hoffe, dass es Dir gefällt. Fühle Dich ganz wie zu Hause. Dieses Zimmer soll Deines sein. Wenn Du möchtest, dann kannst Du ein Bad nehmen und Dich von den Strapazen Deiner Reise erholen.
 

Also tritt ein und Staune.
 

Bis später
 

----------------------------------Brief Ende----------------------------------
 

Ryou nahm den Brief und steckte ihn sich in die Hosentasche, drückte schließlich die Türgriffe hinunter und öffnete die schwere Tür. Im ersten Moment schien ihm die Sonne entgegen, sodass er geblendet nicht sah, was sich vor ihm befand. Als sich seine Augen angepasst hatten, staunte er jedoch nicht schlecht. Das Zimmer war riesig, beherbergte ein massives dunkles Himmelbett mit Vorhängen, einen Schrank und einen Schreibtisch.
 

„Wow...“, konnte Ryou es nicht fassen, dass doch nicht alles an seiner Situation schlecht war.
 

Nachdem er eine der beiden Türen geöffnet hatte, entdeckte er das Ankleidezimmer und kurz darauf das noble Bad mit italienischen Marmorfliesen. Nun wieder munter, dennoch gequält von seinen Schuhen, warf er sich auf das weiche Bett und entledigte sich dieser erst einmal. Eine Weile blieb er einfach so liegen, machte sich wenig Gedanken über den Verlauf der kommenden Nacht. Er war einfach zu überwältigt von den vielen Eindrücken, musste sie erst mal verarbeiten. Kurz schloss er die Augen, döste etwas vor sich hin. Es war sehr langweilig für ihn, musste er immerhin warten, bis es dunkel wurde. So nahm er neugierig das Taschentuch vom Finger ab, der bereits aufgehört hatte zu bluten. Diesen nicht mehr beachtend, stand er schließlich wieder auf und entschloss sich, ein schönes heißes Bad vorzubereiten. Die Waffen gegen den Vampir nahm er mit hinein, wollte sie nicht unbeaufsichtigt lassen. Den Rest seiner Kleidung ließ er draußen, wollte so vermeiden, dass sie unnötig nass wurde. Dieses Bad war wohl eines der wenigen in London, wenn nicht sogar das einzige, das über fließendes Wasser verfügte. Das Wasser wurde über einen Ofen erhitzt und gelangte in die Badewanne, was ein sehr angenehmes Gefühl auf seiner Haut hinterließ.
 

„Ah, herrlich.“, seufzte er auf, machte es sich bequem.
 

Als die Wanne voll war, drehte er das fließende Wasser ab, schüttete etwas Parfum hinein, damit er später gut riechen würde. Dieses hatte auf der Ablage gestanden und deswegen nutzte er es auch. Gründlich reinigte er dabei seinen Körper, hatte schon lange kein Bad mehr gehabt. Auch wenn er es bei dem alten Mann gut gehabt hatte und immer saubere Kleidung trug, war Baden nur selten drin gewesen. Sein Körper hatte dies redlich vermisst und so entspannte er sich wieder. Nachdem das Wasser fast ausgekühlt war und einige Zeit ins Land gezogen war, zog er sich aus der Wanne in das warme Zimmer zurück. Um seine Hüfte war ein großes blaues Handtuch geschwungen und seine Haare trockneten ebenfalls unter einem etwas kleineren.
 

Um sich auszukühlen, setzte er sich auf das Bett, wollte sich schon kurz darauf anziehen. Als er nach der Kleidung Griff, stellte er fest, dass sie nicht dort lag, wo er sie zuletzt hingelegt hatte. Erschrocken sah er auf, begriff, dass seine Kleidung verschwunden war. Sofort und etwas panisch sah er sich in dem Zimmer um, fand aber keinen Hinweis. Die einzige Idee, die er noch hatte, war draußen nachzusehen, ob sich der Kleiderdieb noch irgendwo befand. Schnell riss er die Tür auf und stieß mit dem Fuß gegen eine mittelgroße Holzschachtel. Auf dieser lag ebenfalls ein an Ryou adressierter Brief, sodass er diese mit hinein nahm. Zuerst nahm er sich vor den Brief zu lesen, wollte nicht wissen, was sich in der Schachtel befand.
 

----------------------------------Brief Anfang----------------------------------
 

Entschuldigung
 

Dies ist Mein Geschenk für Dich. Ich hoffe, dass es Dir gefällt und Du es zu Meinem Maskenball tragen wirst.
 

Es tut Mir leid, dass Ich zu solch drastischen Mitteln greifen musste. Aber Ich wusste auch, dass Du es nicht freiwillig tragen wirst, wenn Ich Dir die Wahl lasse. Ich hoffe, Du kannst mir verzeihen.
 

gez. Bakura
 

P. S.: Wir sehen uns später.
 

----------------------------------Brief Ende----------------------------------
 

Der Weißhaarige seufzte genervt auf. Er wusste nicht, ob das alles von vorn hinein geplant gewesen war, oder ob sich der Vampir tatsächlich in diesem Zimmer aufgehalten hatte. Doch irgendwie schloss er die zweite Möglichkeit aus, war es doch immer noch Tag. Noch einmal seufzte er, rollte dabei mit den Augen und öffnete schließlich die Schachtel. Zum Vorschein kam ein großer Haufen Stoff, den Ryou erst einmal entwirren musste, bevor er herausfand, was es war. In seiner Hand befand sich nun ein weinrotes Kleid, welches er ungläubig anstarrte. Er war keine Frau, also wieso dieses Geschenk, fragte er sich. Dennoch blieb ihm nichts anderes, als es anzuziehen, genau so wie die übrigen Teile dazu. Wäre der Raum nicht bereits warm gewesen, würde er darin sicherlich etwas frieren.
 

Ahnungslos, was er nun tun sollte, nahm er erst einmal das Handtuch ab. Schnell versteckte er noch die Utensilien, die er mitgebracht hatte. Dann kuschelte er sich in die weiche Bettdecke des Himmelbettes, schlief schließlich ein. Als er einen lauten Gong vernahm, wurde er allmählich wieder wach, fühlte sich dennoch träge. Es war die Standuhr auf dem Gang, die er vernahm und die ihn geweckt hatte. Etwas durcheinander sah er auf und torkelte zu der Holzschachtel, zog sich langsam an. Auch wenn er die Kleidung sehr gewöhnungsbedürftig fand, war sie doch sehr nützlich, denn dort konnte er leicht die Dinge wie das Weihwasser und das Kreuz verstecken. Trotz des ungewohnten Tragekomforts konnte er sich sehr galant darin bewegen, zog zum Schluss die Maske an. Mit einem Blick nach draußen stellte er fest, dass es bereits dämmerte. Für ihn wurde es Zeit zu verschwinden, was die Uhr im Gang bestätigte, die bereits wenige Minuten nach 18 Uhr anzeigte.
 

Schnell verließ der Weißhaarige das Zimmer, folgte dem linken Gang und weiter zu einer Treppe, die in einen kleinen Salon führte. Dieser schien ebenfalls seit Ewigkeiten nicht mehr benutzt worden zu sein, war dennoch zu groß für ein Versteck. Also verließ er das Zimmer, zog sich in die Küche zurück und hoffte, dass sie hier nicht nach ihm suchen würden. So verging die Zeit, wartend und unwissend, während draußen ein reges Treiben herrschte. Doch Ryou wunderte dies nicht, suchte man wahrscheinlich nach ihm. So leise wie möglich verhielt er sich, versuchte keinen Laut von sich zu geben. Vampire waren sehr hellhörig und deswegen war dieses Verhalten das Beste. Indes verspürte er immer wieder kurze Schwächeanfälle, wusste nicht was heute mit ihm los war. Langsam, so konnte er vom Fenster aus sehen, verschwand die Sonne am Horizont und die Vampire verschwanden plötzlich nach und nach. Er wusste nicht wirklich, was los war, schlich sich leise nach draußen, als alle Vampire die Eingangshalle verlassen hatten. Ryou folgte einem Gang nach links, wollte nicht gerade auf die Vampire zu spazieren. Deswegen suchte er nach einem Nebeneingang, musste erst einmal wissen mit wie vielen er es zu tun hatte. Bei der Suche entdeckte er auch ein Zimmer, das ein wenig offen stand. Dort fand gerade eine laute Diskussion statt, bei der Ryou neugierig wurde und sich heran schlich.
 

„Aber Meister, wir haben schon überall gesucht.“, klang eine Stimme ziemlich verängstigt.
 

„Ach wirklich? Und wo ist er dann?“, klang diese Stimme sehr erhaben.
 

„Wir wissen es noch nicht. Wahrscheinlich bewegt er sich im Schloss.“, meinte der Untertan.
 

„Dann findet ihn!!!“, schnaubte dieser wütend, setzte sich die Maske auf und kam auf die Tür zu.
 

Schnell reagierte Ryou, versteckte sich sofort im Nebenzimmer, weil er nicht erwischt werden wollte. Er ahnte schon, dass die Person, die er eben gehört hatte, der Vampir war, den er suchte. So wandelte sich seine Angst erwischt zu werden in Wut um, konnte sein Herz beruhigen. Als der Vampir verschwunden war, lief er schnell weiter, fand dennoch keinen geeigneten Eingang. Die Vampire, die er hinein gehen sah, waren wenig auf ihre Umgebung sondern mehr auf den Raum fixiert. Diese Gelegenheit oder besser gesagt diesen Zustand nutzte er aus, schlich sich heimlich in den großen Ballsaal ein. Von dem Eingang aus konnte er auch erkennen, worauf die Vampire so fixiert waren. Ganz vorne im Saal befand sich auf einer Empore eine Art Thron. Die Menge hatte sich inzwischen nach links und rechts geteilt, ließ einen Mann in einer adligen Robe passieren.
 

Der Vampir trug einen schwarzen Rock aus Samt, ein weiß gerüschtes Hemd aus Seide und passend dazu eine schwarze Pantalon (laut Recherche war dies der Name von langen Hosen im 18. Jh.). Dazu trug er feine Stiefel aus schwarzem Leder, ließ den Vampir sehr erhaben wirken. Dieser bewegte sich auf den Thron zu, drehte sich in einer galanten Bewegung herum und setzte sich auf eben jenen Thron. Ruhig schlug er die Beine übereinander, nahm das Zepter entgegen, das man ihm reichte.
 

„Meine Kinder... Geschöpfe der Nacht...“, war mit einem Mal der ganze Saal verstummt.

„Ich heiße euch auf meinem Maskenball herzlich willkommen. Dies ist eine ganz besondere Nacht. Heute laben wir uns nicht nur an frischen Blut, feiern und tanzen.“, erklang die Stimme des Vampirs im gesamten Raum.
 

Während dieser eine Rede hielt und die anderen Vampire aufmerksam zuhörten, schlich er sich von hinten an den Vampiren heran, versuchte dabei so wenig wie möglich aufzufallen.
 

„Heute ist auch die Nacht, in der ich meinen Schüler erwählt habe. Also amüsiert euch gut und stillt euren Hunger nach Belieben.“, wussten die Vampire bereits, dass Ryou tabu war.

„Dennoch fehlt uns noch ein Gast für den heutigen Abend.“, atmete der Vampir gut durch, vernahm ein starkes Klopfen nicht weit von sich entfernt.
 

Mit einer geschickten Handbewegung leisteten ihn die Vampire folge, verneigten sich vor ihm und gaben so das Blickfeld auf den überraschten Weißhaarigen frei. In Windeseile nahm dieser sich die Flasche mit dem Weihwasser und stürmte auf den Vampir zu. Dieser war jedoch schneller und flinker als er selbst. Er schnappte sich Ryou's andere Hand und wirbelte ihn herum, sodass er sich nur wenige Sekunden später auf dem Schoß des Vampires wieder fand, mit dem Rücken zu diesem gewandt. Doch noch hatte er das Fläschen in der Hand, kämpfte mit dem Vampiren darum es zu entleeren oder nicht. Dieser gewann mehr und mehr die Oberhand in dem Kampf, schaffte es schließlich ihm das Fläschen zu entreißen und warf es weit weg. Es zersprang auf dem Boden in tausend kleine Stücke und damit auch Ryou's Hoffnung.
 

„Nein.“, bekam er nun zunehmend Angst.
 

Mit einer geschickten Bewegung riss er sich los, entfernte sich von dem Vampir und blieb für einen erneuten Schwindelanfall stehen. Indes wies der Dämon an die Türen zu verriegeln, nahm ihm damit die Möglichkeit zur Flucht. Sofort orientierte Ryou sich neu, rannte auf die Tür vor ihm zu. Dies kam jedoch zu spät, war nun gefangen. Seine Schwindelgefühle wurden immer stärker und er ließ sich an der nun verschlossenen Türe hinab gleiten. Indes erhob sich der Dämon von seinem Thron, bewegte sich galant auf ihn zu und nahm sich dessen Hand. Ryou versuchte erneut diese zu entreißen, was ihm dieses Mal nicht gelang. Schwer atmend sah er auf, blickte mit an, wie sein Gegenüber seinen Finger genau betrachtete.
 

„Wie ich sehe, haben dir meine Rosen sehr gut gefallen. Waren sie sehr schön?“, fragte dieser, hatte eine wirklich wunderschöne Stimme.
 

„Was?“, bekam Ryou nur am Rande mit, konnte dem Geschehen nicht mehr ganz folgen.

„Die Rosen... Sie glänzten so schön.“, lallte er.
 

„Dass ein Stich von so etwas schönem nur so viel Schmerz nach sich ziehen kann.“, sprach Bakura in Rätseln.
 

„Was... Was ist mit mir?“, sprach sein erhitzter Körper mit warmen Atem aus, wurde immer träger.
 

„Die Dornen. Du hast dich an ihnen gestochen und bist vergiftet worden. Bald wirst du sterben.“, antwortete der Gefragte.
 

„Sterben? Aber... Ich muss dich doch...“, hatte er kaum noch Kraft um weiter zu sprechen.
 

„Ach, Ryou, Ryou. Sei doch nicht so töricht. Lass uns erst einmal tanzen. Musik!“, klatschte er in die Hände und kurz darauf ertönte Musik.
 

Bakura hievte den Weißhaarigen mit Leichtigkeit hoch, bewegte sich mit ihm als seie dieser seine Marionette. Wie in Trance vernahm Ryou die Geigen und Flöten, konnte sich nicht wirklich dagegen wehren. Indes begannen die anderen Vampire ebenfalls zu tanzen, bewegten sich gleichmäßig im Takt der Musik. Es fühlte sich alles immer leichter für ihn an, so als würde er seinem Körper langsam entgleiten. Es war eine schöne Melodie, die in dem ganzen Saal wieder hallte. Normalerweise kannte man solch einen Ball nur vom reichen Königshaus. Ryou drehte sich in einer Pirouette und wurde dann nach hinten gelegt. Die Tanzschritte wurden von dem Vampir angeleitet und waren sehr Zielsicher. Obwohl Ryou kein besonders guter Tänzer war, bewegte er sich geschickt nach seiner Führung und fühlte sich dabei, als würde er schweben. Erneut folgte eine Pirouette, in der er sogar kurzzeitig vom Boden abhob und diesem Gefühl noch näher kam. In einem kurzen wachen Moment erinnerte er sich an das Kreuz. Mit einer blitzschnellen Bewegung zog Ryou es hervor und ließ den Vampiren auf fauchen, der daraufhin zurück wich.
 

„Du wagst es?!! Das ist ein verbotener Gegenstand und hat hier nichts zu suchen!“, ließ Bakura seiner Wut freien Lauf, schallte seine Stimme im ganzen Saal.
 

Die Vampire hatten inzwischen aufgehört zu tanzen, waren ebenfalls etwas zurück gewichen und starrten ihn mit kalten Augen an. Der Weißhaarige war durch den Verlust seiner Führung auf den Boden gesackt, atmete schnell und krabbelte erneut Richtung Tür. Es wurde immer mühseliger für ihn diese zu erreichen, aber nicht unmöglich, wie es schien. Etwas verärgert über die Hartnäckigkeit, atmete Bakura erst einmal tief ein und aus, umkreiste ihn schließlich aus sicherer Distanz.
 

„Ach, Ryou. Bist du es nicht leid? Du kannst dem Tod nicht mehr entkommen, nur seine Art wählen.“, machte er ihm klar.
 

„Sei still! Wieso? Wieso quälst du mich so?“, wollte er wenigstens eine Erklärung, bevor er starb.
 

„Du willst einen Grund? Deine Familie ist der Grund! Vielleicht weißt du es nicht, aber du bist der Erbe der Veskon's.“, fing er erst einmal an.

„Aber du weißt nichts über die Lasten und Sünden deiner Familie.“
 

„Sünden?“, wusste er nicht, was der Vampir meinte.
 

„Na gut, ich will es dir erklären. Aber hör auf weglaufen zu wollen. Das ist sinnlos.“, machte er ihm seinen Umstand noch einmal bewusst, woraufhin Ryou schwieg.

„Es war deine Familie, Ryou. Vor einem guten halben Jahrhundert lebten Menschen und Vampire noch gemeinsam in diesem Städtchen. Wir halfen uns gegenseitig zu überleben. Die Menschen beschützten uns vor der Sonne und dafür gewährleisteten wir den Menschen, dass sich Krankheiten nicht all zu sehr ausbreiteten, indem wir das Blut der infizierten tranken. Wir machten sie manchmal sogar zu einem von uns und gewährleisteten, dass Verwandte noch eine Weile zusammen leben konnten, wenn sie sonst eigentlich gestorben wären.“, erzählte er, wie es damals war.
 

„In London... gab es Vampire...?“, fragte Ryou ungläubig und etwas kraftlos nach.
 

„Pst, du solltest dich schonen. Aber ja, gab es. Doch der politische Einfluss in der Stadt nahm immer mehr zu, genau so wie der Einfluss des Parlaments. Dein Großvater war bereits seit vielen Jahren Mitglied des Parlaments und dein Vater seit kurzem ebenfalls diesem beigetreten. Da sie mir sehr viel Einfluss zu haben schienen, berieten wir Vampire uns ebenfalls über ein Mitspracherecht in dieser politischen Institution. Es wurde beschlossen, dass neben mir noch zwei weitere meiner Brüder und Schwestern sich in das Parlament wählen lassen sollten. Doch die Menschen fürchteten uns inzwischen...“, setzte er hier eine kleine Pause an.
 

„Aber ich verstehe immer noch nicht.“, wand Ryou ein.
 

„Die Menschen hielten eine geheime Versammlung am Tage, damit kein Vampir daran teilnehmen konnte. Viele Mitglieder des Parlamentes wurden eingeladen und es wurde debattiert. Sprecher dieser Versammlung war dein Großvater und zusammen mit deinem Vater und ein paar weiteren Menschen, gelang es ihnen, das gesamte Parlament davon zu überzeugen, dass wir gefährlich waren. Dabei spielte so auch Eigennutz eine Rolle.“, erinnerte er sich.
 

„Eigennutz?“, fragte Ryou, der sich inzwischen an die verschlossene Tür gelehnt hatte.
 

„Deine Mutter, dein Vater und ich kannten uns vor deiner Zeugung. Die beiden waren damals schon ein Paar. Aber es ergab sich, dass deine Mutter auch viel Zeit mit mir verbrachte. Das betrachtete dein Vater irgendwann natürlich als Missgunst, misstraute mir immer mehr. Dabei hatte ich damals keinerlei Interesse an Menschen. Jedenfalls nicht auf diese Weise. Dein Vater sprach mich auch darauf an und ich beteuerte ihm, dass nichts zwischen uns liefe. Trotzdem misstraute er mir und vertraute sich seinem Vater an. Diese Versammlung diente nicht einzig und allein dazu, dass wir Vampire kein Mitspracherecht in der Politik erhielten. Es war eine gute Gelegenheit für sie uns ein für alle Mal los zu werden.“, erklärte er.

„Jedenfalls... nach dieser Versammlung beschloss man uns aus der Stadt zu verbannen. Doch es kam noch schlimmer. Diejenigen, die Widerstand leisteten oder nicht schnell genug waren an jenem Tag wurden getötet. Mit Äxten, Silberpfeilen und anderen Werkzeugen schlachteten die Menschen uns gnadenlos ab. Der Rest von uns musste aus der Stadt fliehen, wo man uns nicht weiter verfolgte. In jener Nacht verlor ich so vieles... Familie... Freunde... Und das nur aus der Selbstsucht zweier Männer.“
 

„Ich...“, wusste Ryou nicht, was er dazu sagen sollte, war so ziemlich geschockt.
 

„Wie gesagt war dies vor deiner Geburt. Dennoch wusste dein Großvater und dein Vater, dass ich mich irgendwann für diesen Verrat rächen würde und ebenso an all jenen, die ihn dabei unterstützt haben.“, war er eine Weile still.
 

„Es tut mir leid. Ich wusste nicht, dass mein Vater so etwas grausames getan hat.“, konnte er nun nachvollziehen, wieso dieser Vampir so viele Menschen getötet hatte, auch wenn er diese Denkweise nicht unterstützte.
 

„Es war Vollmond, als ich dich das erste Mal erblickte. Ich war im Wald um mich an deinem Vater zu rächen, als ich dich auf dem Balkon sah. Deine weichen Haare wehten in der Herbstbrise und das Licht einer Laterne in deinem Zimmer umhüllte die Konturen deines weichen Gesichtes. Du hattest die Reinheit deiner Mutter und strahltest eine Schönheit aus, wie ich sie noch nie zuvor gesehen hatte. Als ich dich erblickte, konnte ich meinen Blick nicht mehr von dir abwenden. Ich schaffte es damals nicht mehr, deinen Vater zu töten und ließ so lange ich konnte den Blick nicht von dir.“, schwärmte er.

„Als du dich ins Bett zurück zogst, war ich etwas enttäuscht, zog mich an jenem Tag ebenfalls zurück. Ich kümmerte mich daraufhin erst mal um die anderen, die ich vorhatte zu töten und die damals zum Parlament gehörten. Es waren siebzehn Männer, die damals den Beschluss unterschrieben haben, uns aus der Stadt zu jagen. Natürlich haben weitaus mehr an der Jagd und dem Gemetzel teilgenommen.“, wusste er, da es damals noch sehr viele Vampire gegeben hatte.

„Es gab zwar auch Gegner, aber die waren in der Unterzahl und konnten uns nicht helfen.“
 

„Du hast mich beobachtet?“, fragte er nun doch genauer nach.

„Wieso? Hast du das öfter gemacht?“
 

„Es traf den Zufall, dass ich genau in dieser Nacht an eben jenem Ort war und du hinaus kamst um die Sterne zu sehen. Es war nur dieses eine Mal, aber ich wusste, dass ich so etwas noch nie zuvor gefühlt hatte. Dieses Begehren... dieses Verlangen... Es fraß sich tief in mich hinein...“, sprach er sehr poetisch seine Gefühle aus.

„Ich war sehr neugierig muss ich zugeben, was deine Erscheinung betraf und wollte unbedingt mehr über dich wissen. Um so überraschter und neugieriger wurde ich, als ich hörte, du würdest nach London kommen. Das gab mir die Gelegenheit zu vielerlei Dingen...“, erinnerte er sich.
 

„Ich verstehe nicht.“, war es für Ryou in seinem Zustand schwer den Worten des Vampirs zu folgen.
 

„Eigentlich ist es doch ganz leicht zu verstehen. Dieses Verlangen... diese Gefühle...“, beugte er sich über ihn, war ihm nun ganz nah.

„Ich liebe dich.“, hauchte er auf Ryou's Lippen.
 

Kurze Zeit darauf herrschte Stille und Spannung füllte die Luft. Der Vampir schaute in Ryou's doch sehr überraschte Augen, die nun wieder geöffnet waren. Innerlich kämpfte er mit sich selbst, wusste nicht so wirklich, wie er reagieren sollte. Noch nie hatte ihm jemand seine Liebe gestanden, besonders kein Mann und erst recht nicht ein Vampir. Sehr genau dachte er über diese Worte nach, konnte jedenfalls nicht behaupten, dass er nichts fühlte. Schon als er den Vampir das erste Mal traf, als er sich verlaufen hatte, jagte ihm diese Stimme einen angenehmen Schauder über den Rücken. Selbst jetzt spürte er im Angesicht des Todes ein starkes Herzklopfen. Er konnte nur nicht sagen, ob es Angst oder eben jenes begehren war, da er noch nie geliebt hatte. Es vergingen Minuten ohne dass sich etwas regte und es schien, als würde die Zeit um sie herum still stehen. Dieser Moment dauerte nicht ewig, als Ryou sich plötzlich an die Brust griff und einen schmerzverzerrten Laut von sich gab. Sein Atem beschleunigte sich und für ihn fühlte es sich an, als würde sein Herz gleich aus der Brust schnellen.
 

„Ah... Es tut weh.“, zappelte er mit den Füßen, wollte den Schmerz so von sich schieben.
 

„Ryou... Ryou, hör mir zu. Ich kann nicht viel für dich tun. Die Medizin ist noch nicht so weit.“, klang seine Stimme leicht verzweifelt, konnte diesen Schmerz fast fühlen, den Ryou durchlebte.
 

„Es tut so weh!“, schlug sein Herz immer einige Male schnell und spürte dann diesen stechenden Schmerz.

„Was passiert mit mir?“
 

„Du stirbst, Ryou... Dein Herz kämpft gegen das lähmende Gift an, aber es kann diesen Kampf nicht gewinnen. Du musst dich entscheiden, Ryou. Ich kann dich retten, aber... Du musst es wirklich wollen. Wenn auch nur ein Fünkchen Zweifel, Hass oder ein negatives Gefühl in dir bleibt, stirbst du selbst durch meinen Biss.“, erklärte er ihm.
 

„Ich... ich... Ah~“, schrie er.
 

Die Schmerzen wurden immer unerträglicher und der Weißhaarige spürte, dass der Vampir recht hatte. Sein Körper starb und sein Herz würde bald für immer stehen bleiben. Es war wie bei einem Uhrwerk nur eine Frage der Zeit. Noch einmal versuchte er sich zu konzentrieren, dachte über die Worte des Vampirs nach. Er versuchte eine Antwort darauf zu finden, ob er Bakura verzeihen konnte oder jemals wirklich böse auf ihn gewesen war. Noch einmal blickte er zu Bakura, war ein paar Sekunden trotz des Schmerzes ganz still. Einsehend, dass er eben doch Gefühle hatte, nachdem er nun das Motiv des Geschehens verstand, fasste er einen Entschluss. Mit festem Griff schob er den Stoff an seinem Hals etwas zur Seite und schaute ihn selbstsicher an.
 

„Tu es.“, verlangte er von dem Dämon.
 

Dieser ließ sich nicht ein zweites Mal darum bitten. Seine Augen wurden glühend rot und seine Zähne wuchsen zu denen eines typischen Vampires heran. Schließlich warf er einen letzten Blick auf die sterbende menschliche Gestalt vor ihm, nahm wie selbstverständlich seine andere Hand und drückte diese um ihm Vertrauen zu schenken. Ryou's Kopf legte sich etwas zur Seite, doch sein Blick war fest auf den Vampir fixiert, der mit einem gezielten Stoß seine Zähne in Ryou's Kehle versenkte. Der Weißhaarige keuchte auf, spürte, wie langsam das Leben aus seinem Körper wich, Dabei hielt er an dem Gefühl der Liebe fest, das er in seinem die letzten Takte schlagendem Herzen vernahm. Indes saugte der Dämon mit jedem Tropfen Blut das Leben aus ihm heraus, spürte er den Schmerz des Giftes aber immer weniger. Ein leichtes Lächeln zauberte sich auf seine Lippen und er wurde in jener Nacht als Vampir geboren...

Desire

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]



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Kommentare zu dieser Fanfic (22)
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Von:  jyorie
2013-03-07T16:21:31+00:00 07.03.2013 17:21
Hi ~.*

Irgendwie ein biter-süß-traurig-schönes Ende, ich kann
mich da nicht ganz entscheiden.

CuCu Jyorie

Von:  jyorie
2013-03-07T16:21:09+00:00 07.03.2013 17:21
Hi ~.*

was eine Überraschende Erklärung, die Bakura da für Ryou
hatte, warum alle Menschen um Ryou herum sterben mussten.
Aber wenn Bakura Ryou so viel Leid zugefügt hat, dann wird
es doch ganzschön schwer für ihn Zuneigung zu fühlen, obwohl
da wohl von ihm aus eine bestimmte Faszination ist. Ich finde
es gemein, das Bakura die Rosen vergiftet hat. Ryou hat ja
keine große Wahl was er ihm sagen soll.

CuCu Jyorie

Von:  jyorie
2013-03-06T16:11:03+00:00 06.03.2013 17:11
Hi ~.*

oh … ich dachte das jetzt gelüftet wird, wer den der Puppenmacher ist, aber dann hatte ich mich wohl verlesen … brrr das ist ja gruselig, wer den diese Gestalt ist, die Ryou da jagt, aber wieso bleibt Ryou immer unbehelligt von ihr und nur die Leute in Ryous umfeld müssen sterben und was will dieser seltsame Devia-Fürst von Ryou? .. na ja noch zwei Kapitel dann werde ich es erfahren :D

CuCu Jyorie

Von:  jyorie
2013-03-06T16:10:35+00:00 06.03.2013 17:10
Hi ~.*

Hm ... Woher weiß den der puppenmacher, was das für eine seltsame gestallt ist und woher kann er gegen ihn kämpfen? Wenn es immer mehr Tote um Ryou gibt ... Kommt er dann vielleicht irgendwann in den Verdacht? Schön das sich Ryou noch um den Rest von Geschäft kümmert. Was ein gemeines chliffi ... Wer war der puppenmacher??

CuCu Jyorie

Von:  jyorie
2013-03-06T16:10:29+00:00 06.03.2013 17:10
Hi ~.*

oh nein, wieder tut mir Ryou total leid – jetzt hat er ja wirklich alles verloren, das ist so gemein, das war bestimmt auch dieser komische Mörder … was jetzt nur aus Ryou werden wird? Er kann nichts, ist nichts und jetzt hat er auch nichts mehr. ach seuftz – Feuer und Naturkatastrophen sind wirklich erbarmungslos.

CuCu Jyorie

Von:  jyorie
2013-03-05T16:14:09+00:00 05.03.2013 17:14
Hi ~.*

wie Krass – wenn Ryou bisher so behütet war und jetzt sogar bei dem Gewitter ganz allein
in diesem grausigen kalten Haus ist – das Blut seiner Dienerscharr hat bestimmt auch niemand
beseitig – ich will eigentlich gar nicht wissen, welche Ängste er da ausgestanden hat.

Und dann der Mann, dem er erst folgt und der ihn dann ins Wasser wirft. Aber ich fand den Bauer
mit seinem Dialekt herzig^^ Was sein Vater wohl denkt, wenn er den Brief bekommt – ob der Vater
es vielleicht inszeniert hat – andererseits ist´s ja auch kurzsichtig von dem Vater wenn er Ryou nie
die Welt zeigt, wie soll er dann ein würdiger Erbe sein, wenn er nur behütet ist.

Deine Texte sind echt schön, aber so an manchen Stellen, könntest du ausführlicher sein. Z.b.
die Stelle an der der Fremde ihn packt und dann ist Ryou schon im Wasser. Manchmal fehlt mir
irgendwie der Übergang der Szenen an sich.

CuCu Jyorie

Von:  jyorie
2013-03-05T16:14:03+00:00 05.03.2013 17:14
Hi ~.*

hi hi … irgendwie ein seltsamer Gedanke das sich noch nie jemand selbst angezogen hat,
dann hat sich Ryou auch noch nie die Hose hochgezogen, nachdem er mal aufs WC mußte?
War bestimmt ein „lustiges“ Bild, wie er da so halb angezogen durch die Gegend läuft.

Hm … also ich bin echt mal gespannt, was es noch mit der Puppe auf sich haben wird, die
Ryou da erhalten hat. Und ob dieser Puppenmachen ein „normaler“ Mensch ist.

CuCu Jyorie

Von:  jyorie
2013-03-05T16:13:22+00:00 05.03.2013 17:13
Hi ~.*

Hm ... Das wird ja ein richtiger Kriminal fall :)

Armer Ryou, so hat er sich das Freunde suchen und Geburtstagsgeschenk bestimmt nicht
vorgestellt :'( was der Mördern wohl vor hat...

CuCu Jyorie

Von:  jyorie
2013-03-04T16:08:16+00:00 04.03.2013 17:08
Hi ~.*

das ist schön – aber kann Ryou sich eigentlich mit 17 nicht
alleine Anziehen? – Muß ein tolles gefühl sein, wenn er erst
so „eingesperrt“ war und er sich jetzt frei in der Stadt bewegen
kann :D

Hat das mit dem Puppenmacher später noch eine Bewantnis?

Der Lila Trank ist auch ineressant, ich hätte jetzt auf Yami oder
Malik getippt, wegen der Augenfarbe … aber ich bin mal gespannt,
was da mit Ryou passiert, wenn es ihm jetzt schwindelig wird.

CuCu Jyorie

Von:  jyorie
2013-03-04T16:07:59+00:00 04.03.2013 17:07
Hi ~.*

Das ist aber ein schöner Geburtstag gewesen. Und ich
freu mich für Ryou, das ihm der Wunsch gewählt wurde
und sogar so schnell erfüllt werden konnte. Ich finde es
spannend und freue mich schon darauf, wie es weiter geht.

CuCu Jyorie



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