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Shadowwalkers II

Kampf und Flucht
von

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235

Es hatte Ashley Stunden gekostet, durch die halbe Stadt zu laufen und dann durch den Forst zurück an diesen Ort. Sie wusste nicht, ob Lily ihre "Flucht" aus ihrem Haus bereits bemerkt hatte, ob sie bereits nach ihr suchte. Sie wusste auch nicht, wer sie vielleicht sonst suchte. Doch soweit sie wusste, war sie Wochen bei Lily gewesen, nachdem der Dämon sie verletzt hatte. Wahrscheinlich hielten Duncan, Emma und die anderen Schattengänger sie längst für tot.

Doch auf eine seltsame Art und Weise war dies befreiend. Ashley hatte die Freiheit, zu tun und zu lassen was sie wollte, hin zu gehen, wo sie wollte. Und nachdem der Gedanke an Lily sie im Moment wutentbrannt in Tränen ausbrechen ließ und eine Rückkehr zu den Schattengängern viele Fragen aufwerfen würde, denen sie sich jetzt nicht stellen wollte, war sie stundenlang durch die Stadt geirrt. Und während sie versuchte alle Gedanken an Lily und an die Schattengänger zu verdrängen, kehrten sie immer wieder an diesen Ort zurück, ein Ort, an dem Ashley in den vergangenen Nächten in ihren Alpträumen immer wieder zurückgekehrt war.

Und jetzt stand sie wirklich hier, bei der Ruine im Stadtforst. Sie stand vor ihnen und starrte um sich. Minutenlang stand sie einfach da und sah die verwitterten Steine, das Moos, die Blätter, die Büsche und wenigen anderen Pflanzen, die im Laufe der Jahrzehnte diesen Ort erobert hatten. Sie atmete schwer und Tränen füllten ihre Augen. Vor ihrem inneren Auge erschienen die verschwommenen Erinnerungen an das, was vor einigen Wochen hier passiert war. Und es gesellten sich noch mehr Erinnerungen dazu, die sie verdrängt hatte. Eine davon war, dass sie Delia sterben sah. Und diese Schuld lastete schwer auf ihren Schultern.

Obwohl Delia eine von denen war, die ihr das Leben schwer gemacht hatte, seit sie zu den Schattengängern kam, war diese Feindschaft am Ende ihres Lebens erkaltet. Delia schien Ashley besser zu verstehen als zuvor, sie hatte sich die Mühe gemacht, nicht einfach nur mit ihr zu arbeiten, sondern auch sie und ihr ganzes Wesen zu hinterfragen. Und Ashley glaubte, dass sie am Ende etwas verstanden hatte, welches ihr erst kürzlich wirklich und wahrhaftig bewusst geworden war. Ein Eingeständnis, welches gefährlich für sie werden könnte.

Die Tränen rannen über ihre Wangen und sie sank auf die Knie. Wenn sie und Delia nicht hier her gekommen wären, wurde Delia noch leben und Ashley hätte niemals erfahren, dass Lily verheiratet war und eine erwachsene Tochter hatte, die ein Halbdämon war. Es war zuviel für sie und für einige Augenblicke gab sie sich ihrer Trauer hin und weinte und schluchzte laut vor sich hin. Wen sollte es hier auch stören?

Dann ballte sie die Hände zu Fäusten und stand auf, sie wischte sich die Tränen aus den Augen und ging zielstrebig auf die Ruine zu. Sie zog zwischen zwei Felsen einen Rucksack hervor - ihr eigener Rucksack, der so tief dazwischen klemmte, dass niemand ihn bisher hatte finden können. Dann ging sie weiter.

Ihr Ziel war der alte, knorrige, vertrocknete Baum, welcher in der Ruine wuchs - der einzige Baum innerhalb. Ashley fiel davor auf die Knie und begann die morschen, aber dicken Wurzeln aus dem Boden zu reißen. Sie war sich ihrer Sache so sicher, dass sie nicht aufhörte, bis sie schließlich einen weißen Marmorstein freigelegt hatte, der sich so deutlich von den anderen unterschied, dass es das Symbol in der Form eines Dreiecks mit zwei ineinander verschlungenen Kreisen nicht gebraucht hatte, damit Ashley wusste, dass sie am Ziel war.

Wenige Augenblicke später nutze sie ihre Fähigkeit, und fiel durch den Boden hinab in einen dunklen Raum. Warum sich Ashley so sicher war, dass es unter dem Stein einen Raum gab, wusste sie nicht, nur dass es sich richtig anfühlte. Aus ihrem Rucksack holte sie eine Taschenlampe hervor und war freudig erstaunt darüber, dass sie nach den Monaten, in denen der Rucksack der Vegetation ausgeliefert war, noch funktionierte.

Ashley erkannte, dass sie sich auf einer ziemlich breiten Treppenstufe befand und folgte der engen Treppe einige Stufen weiter nach unten in einen breiten und hohen Raum - eine Katakombe. Zentimeter dicker Staub hatte sich auf den Boden gelegt und auf verschiedene Statuen und Wandbehänge, die sich hier befanden. Der Raum war rund angelegt, wie Ashley nun erkannte und in seiner Mitte stand ein großer, ebenfalls runder Altar aus weißem Marmor - wahrscheinlich dem selben Marmor wie der Stein oben unter den Wurzeln des Baumes.

Ashley widerstand der Versuchung sich hier lange aufzuhalten und sich die "Ausstattung" des Raumes länger zu Gemüte zu führen. Die Luft war dünn und verbraucht und sie wusste nicht, wie lange sie es hier aushalten würde, ohne ohnmächtig zu werden. Denn das würde angesichts der Tatsache, dass niemand wusste wo sie war, ihren sicheren Tod bedeuten. Sie durchquerte den Raum und erkannte auf der gegenüberliegenden Seite eine etwa brusthohe Säule aus ebenfalls weißem Marmor. Ashley kam näher und je näher sie kam, desto schneller schlug ihr Herz. Auf der Säule lag eine dicke Schriftrolle.

Sie stand schließlich vor der Säule und fixierte die Schriftrolle. War sie wirklich das, was sie glaubte? War es das, was Generationen von Schattengängern, Unterweltler und Dämonen suchten und wofür viele von ihnen gestorben waren? So wie Delia! schoss es ihr durch den Kopf. Und dieser Gedanke ließ Wut in ihr aufsteigen. Und diese Wut gab ihr die Kraft das zu tun, was sie sich vorher nicht getraut hatte. Sie packt die Schriftrolle und zischte verächtlich: "Ich hoffe, dass alles bist du wert!" als sie sie in ihren Rucksack packte. Anschließend verließ sie diesen geheimen Ort.

Es dauerte noch einmal ein paar Stunden, um in die Stadt zurück zu kehren. Ashley hatte sich lange mit der Frage beschäftigt, ob sie sich nicht einfach irgendwo hinsetzten sollte und anfangen zu lesen. Doch irgendetwas in ihr hielt sie davon ab. Sie hatte das Gefühl, dass es noch nicht an der Zeit war, dass dieses Schriftstück gelesen werden sollte - und das diese Zeit vielleicht niemals kommen würde. Und deshalb tat sie etwas, von dem sie wusste, dass es wahrscheinlich kommende Generationen zu derselben, blutigen Suche verdammen würde, wie alle vor ihr. Kurz dachte sie an Kacey, daran, dass dies auch ihr Schicksal sein konnte, doch sie verbannte diesen Gedanken - Kacey würde niemals ein Schattengänger sein, dafür würde sie sorgen.

Schließlich stand sie am Hauptbahnhof der Stadt vor den Schließfächern und suchte ein freies. Schließlich fand sie eines mit der Nummer 235. Ashley nahm ihren Rucksack und sperrte ihn ein. Sie umschloss den Schlüssel mit ihren Fingern und jagte Zweifel aus ihrem Kopf. Wieder dachte sie an Kacey. Und sie fasste einen Entschluss: Damit sie sicher war, musste Ashley sich Duncan stellen. Und sie musste ihr Eingeständnis sich selbst gegenüber auch ihm gegenüber eingestehen - egal welche Konsequenzen dies haben würde. Und eine davon würde ihr das Herz brechen. Doch sie tat es für Kacey - für den einzigen Menschen, den sie vor alle dem beschützen wollte und konnte.

Sie ging in Richtung Ausgang und ließ den Schlüssel im Vorbeigehen auf die Schienen fallen. Das Manuskript konnte ruhig noch ein paar hundert Jahre weiter verschollen bleiben - oder vielleicht sogar für immer.
 

Ashley stand seit einer halben Stunde am Bahnhof in der Nähe der Schließfächer. Ihre Erinnerung an das letzte Mal, als sie hier war, lief wie ein klarer Film in ihrem Kopf ab. Und sie hatte sich die Umgebung genau eingeprägt. Die Passage mit den Schließfächern, war von vielen Punkten genau einsehbar, weshalb es nicht auffiel, dass ihre Blicke nun immer wieder in deren Richtung wanderten.

Sie hatte das mit der Nummer 235 genau beobachtet. Es war immer noch verschlossen und niemand schien es in den letzten Monaten interessiert zu haben. Sie haderte mit sich, ob es das richtige war, was sie sich vorgenommen hatte. Und langsam machte ihr Zögern sie selbst nervös. Sie war nicht mehr unsichtbar. Um ihr Vorhaben zu erfüllen, hatte sie auf diese Fähigkeit verzichten müssen.

Obwohl sie in den letzten Tagen Colins Kräfte gut ein zusetzten gelernt hatte, hatte sie aber auch bemerkt, dass ihre eigenen Fähigkeiten eine Grenze hatten. Je besser sie diese Fähigkeit perfektionierte, desto schlechter konnte sie ihre ursprüngliche Kraft, durch Wände zu gehen, einsetzen. Das hätte sie bei ihrer "Flucht" aus dem Kloster beinahe Kopf und Kragen gekostet, da sie mehr als einmal beide Fähigkeiten gleichzeitig benutzt hatte.

Nicht nur, dass es sie enorm anstrengte und sie danach fast ohnmächtig geworden wäre, sondern auch die Kontrolle über das kostete, was sie jahrelang so selbstverständlich einsetzte. Doch nur durch die Fähigkeit, festes Material zu durchdringen konnte sie an den Inhalt des Schließfaches kommen. Aber sie war sich nicht sicher, ob sie das tun sollte. Dann würde sie etwas in Gang setzten, was sie vielleicht nicht zu kontrollieren im Stande sein würde. Und Lily... nun sie hatte nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass sie niemals das Manuskript finden und mit der ganzen Suche danach nichts zu tun haben wollte.

Doch Ashley war bewusst, dass sie früher oder später entdeckt werden würde, je länger sie hier stand, desto auffälliger würde es werden. Und ihr Kapuzenpullover und ihre Kappe konnten sie vielleicht vor neugierigen Blicken der normalen Menschen verbergen, doch nicht vor denen, vor denen sie sich in Acht nehmen sollte, Dämonen, Unterweltler und Schattengänger.

Falls sie sich aber entscheiden würde, jetzt zu gehen, riskierte sie, dass vielleicht jemand, der sie hier gesehen haben könnte, eins und eins zusammenzählen würde und die Schließfächer durchsuchen würde. Und dann würde das gefunden, was... sie doch finden musste, was sie beschützen musste.

Sie schloss die Augen. Sie sah Isaac vor sich, der ihr Mut zu gesprochen hatte. "Du musst es finden!" schien er ihr zu zurufen. Wenn es soweit ist, wirst du es wissen. Und schließlich setzte sich Ashley in Bewegung. Zielstrebig ging sie auf das Schließfach zu. Ihr Atem war abgehackt, ihr Herz schlug so schnell und hart gegen ihren Brustkorb, als wollte es ihn sprengen. Sie konzentrierte sich und erinnerte sich an ihr Training, an die Zeit, als ihre Fähigkeit noch neu für sie war. Sie hielt die Luft an und griff... durch die Schließfachtür. Und Sekunden später, als Ashley schon das Gefühl hatte, das Bewusstsein zu verlieren, zog sie ihre Hand zurück und hielt ihren Rucksack in Händen. Sie schnappte nach Luft. Schweißperlen und Tränen der Anstrengung rannen an ihr herunter und sie presste ihre Beute erleichtert an sich. Sie ignorierte die Lichtpunkte die vor ihren Augen auftauchten. Es war egal, sie hatte es geschafft. Sie holte tief Luft und schloss kurz die Augen, den Moment genießend. Sie war allen zuvor gekommen.

Doch lange über ihren Erfolg freuen konnte sie sich nicht. Denn im selben Moment spürte sie etwas. Sie schlug die Augen auf und spürte ein seltsames Kribbeln am ganzen Körper. Sie konnte sie vielleicht nicht sehen, aber sie wusste instinktiv, sie war nicht mehr allein. Und das war ganz und gar keine gute Sache.



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